Fortsetzung: 9.2. Die Regierungspolitik
von Schwarz-Blau II in der Praxis
Autoritärer
Regierungsstil:
Schwarz-Blau II setzt den in seiner ersten Periode im Bruch
mit der politischen Verhandlungskultur der 2. Republik eingeführten
autoritären Regierungsstil – Durchziehen von Regierungsvorlagen, die
ohne Beratung mit der Opposition und Sozialpartnern erstellt und im
Eilverfahren unter ausschließlich formeller Abwicklung des
Begutachtungsverfahrens umgesetzt wurden - ungerührt fort. Signifikant
für diesen Stilbruch: Kanzler Schüssel hat bisher die "Paritätische
Kommission" – das zentrale Forum der Sozialpartnerschaft – kein einziges
Mal einberufen.
Ein Beispiele dafür ist die Pensionsreform: Obwohl
nachweislich kein akuter Handlungsbedarf bestanden hat und beide
Oppositionsparteien, starke Teile der FPÖ und der ÖVP und beide
Sozialpartner inhaltliche begründete Bedenken vorgebracht und für eine
gründlichere Vorbereitung der Reform plädiert hatten, ist die ÖVP
ungerührt auf den "Eckpunkten" der Reform und auf dem rigiden Zeitplan –
Ministerratsbeschluss Ende April, Parlamentsbeschluss Ende Juni -
bestanden. Schüssel hat damit die Gewerkschaft in eine Konfrontation mit
der Regierung getrieben, mit guten Aussichten, diese mittels einer
"Salamitaktik" – gerade soviel nachgeben, dass die Protestbewegung
gespalten und ihr der Wind aus den Segeln genommen wird – für sich zu
entscheiden, und damit die Gewerkschaft auch für andere bevorstehende
Auseinandersetzungen (z.B. Gesundheitsreform) nachhaltig zu schwächen.
In Reaktion auf die ab 6. Mai 2003 anberaumten "Abwehrstreiks" haben die
MinisterInnen Gehrer (ÖVP) und Gorbach (FPÖ) versucht, durch
entsprechende Nachforschungen über die "Rechtmäßigkeit" Druck auf die
Streikenden auszuüben. Am 16. Mai 2003 hat auch das Innenministerium
seinen MitarbeiterInnen die "Rechtsmeinung" verkündet, die Beteiligung
an einem Streik sei eine
"Dienstpflichtverletzung": Den Beamten drohen disziplinäre Maßnahmen,
bei einer Dienstabwesenheit von mehr als drei Tagen der Entfall der
Bezüge. Vertragsbedienstete müssten sogar mit der Auflösung des
Dienstverhältnisses rechnen.(derStandard-online 16.05.03);
Anlässlich des großen Streiktags, den 3. Juni 2003, wies Justizminister
Böhmdorfer prompt sämtliche Mitarbeiter des Justizressorts per Erlass
auf die "Wichtigkeit der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen
Dienstbetriebes bei den Gerichten, Staatsanwaltschaften und
Justizanstalten hin", und im Finanzministerium die Dienststellenleiter
angewiesen, "Sammelmeldungen" über streikende Bedienstete abzugeben (APA
OTS 02.06.03, derStandard-online 03.06.03). Grasser kündigte weiters an,
dass BeamtInnen, die sich am Streik beteiligt haben, "keinen Cent für
diesen Tag bekommen werden". Weiters erklärte er, dass er "ein
Streikrecht für öffentliche Bedienstete in dieser Form nicht sehe" und
daher die Initiative zu einem gesetzlichen Streikverbot für Beamtinnen
ergreifen werde (NEWS Networld 03.06.03).
Aufforderungen des Präsidenten, die Sozialpartner
einzubeziehen und die Beschlussfassung bis in den Herbst zu
verschieben, blieben unbeachtet. Die ÖVP ging sogar so weit, den
Vorschlag von Vizekanzler Haupt, der Bundespräsident möge zur
Entspannung der Situation zu einem "runden Tisch" einladen, zunächst
abzulehnen, um später dann zwar ihre Teilnahme zuzusagen, aber weiterhin
auf Eckpunkten und Terminplan der Reform zu bestehen (derStandard-online
07 – 10.05.03). Nach dem ersten "Runden Tisch" hat dann freilich
Vizekanzler Haupt – von Haider, dem Reiter des "Geists von Knittelfeld"
vor sich hergetrieben - dieser Linie widersprochen und erklärt,
"dass gegenseitig vorgebrachte Dogmen, Terminsetzungen und Formalismen
am Beginn eines Verhandlungsprozesses nichts verloren haben"
(derStandard-online 16.05.03).
Die mangelnde
Dialogbereitschaft des Bundeskanzlers hat den Bundespräsidenten dazu
provoziert, erstmals in der Geschichte der zweiten Republik in
einem Interview mit der NZZ die Entlassung des Bundeskanzlers in den
Raum zu stellen: Die politisch-soziale Harmonie in Österreich sei durch
Stil und Vorgehen der Regierung Schüssel in der aktuellen Kontroverse um
die Pensionsreform akut gefährdet. In solchen Fällen bliebe ihm nach den
Buchstaben der Verfassung die Möglichkeit, den Bundeskanzler ohne
weitere Begründung zu entlassen (derStandard-online 21.05.03).
In den weiteren "Runden Tischen" zwischen Regierung und Sozialpartnern hat
Schüssel dann konsequent und scheinbar erfolgreich folgende
Doppelstrategie verfolgt: (1) Festhalten an den neoliberalen
systemischen Eckpunkten und Nachgeben bei den vorsorglich eingebauten
Härten der Umsetzung der Reform: (2) Aufsprengen des "Schulterschlusses"
zwischen den Sozialpartnern und den verschiedenen
Gewerkschaftsfraktionen auf der einen und zwischen Opposition und FPÖ
auf der anderen Seite (derStandard-online 23. – 27.05.03). So ist es ihm
letztlich gelungen, im Grundsätzlichen seinen politischen Kurs zu
halten, die FPÖ im Boot zu halten und die Koalitionskrise zu bewältigen:
am Tag des zweiten "Abwehrstreiks" des ÖGB wurde – noch vor der Bilanz
des ÖGB über den mit über 18.00 Aktionen und über 1 Mio. Beteiligten
durchaus erfolgreich verlaufenen Streiktag - die Einigung mit der FPÖ
bekanntgegeben, der Weg für die parlamentarische Beschlussfassung
geebnet, und die Marginalisierung des ÖGB und der Sozialpartnerschaft
besiegelt (derStandard-online 03.06.03, 04.06.03).
Ein anderes Beispiel ist die – auf einen äußerst
problematischen internationalen Vergleich des Lehrstundenvolumens
gestützte, von der Ministerin als "Initiative zur Entlastung der
Schülerinnen deklarierte", in Wahrheit auf Personalreduktion abzielende
–
Reduktion der Unterrichtsstunden im Schulbereich: Auch hier gab es
keine vorgängigen Beratungen mit den Betroffenen, und
Mitwirkungsmöglichkeiten der Schulen wurden ausschließlich auf die Ebene
der Durchführung der Kürzungen beschränkt. (vgl. Berichterstattung im
Standard-online im April 2003). In Reaktion auf LehrerInnen-Streiks aus
diesem Anlass plant Gehrer nun eine Verkürzung der Sommerferien –
sozusagen ein kollektives Nachsitzen für LehrerInnen und SchülerInnen,
das die Ignoranz des Streikrechts durch die Ministerin dokumentiert
(NEWS Networld 05.06.03).
Weitere Beispiele einer von den Betroffenen als "Politik
des Drüberfahrens" empfundenen und von Abwehrstreiks begleiteten
Vorgehensweise war die Privatisierung der VOEST im September
2003.
Auch im Falle der Reform der ÖBB hatte die Regierung
zuerst die übliche autoritäre und sich an der Grenze der Legalität
bewegende Vorgehensweise versucht: Reform des Dienstrechts an den
Sozialpartnern vorbei auf gesetzlichem Wege, also unter Missachtung der
Tarifautonomie, und mittels verfassungsrechtlich bedenklicher Eingriffe
in bestehende Verträge; eiliges Durchziehen einer weitgehenden
Zergliederung des Unternehmens im Parlament - ungeachtet der sachlichen
Kritik seitens Experten des Rechnungshofes, der Wissenschaft sowie der
Opposition; Fristsetzung für die Beschlussfassung bis Anfang Dezember
2003. Nach dem unerwarteten entschlossenen und in drei Streiktagen
eindrucksvoll ins Werk gesetzten Widerstand der Eisenbahnergewerkschaft
ist die Regierung dann aber doch auf eine Kompromisslinie eingeschwenkt:
Nun soll es doch keinen Eingriff in bestehende Dienstverträge per Gesetz
und Zeit für Verhandlungen der Personalreform durch die Sozialpartner
bis Ende April geben. Die umstrittene Strukturreform wurde dann am 4.
Dezember 2003 in mehr oder weniger unveränderter Form und mit einer Art
Bleiberecht für bereits im Amt befindliche und politisch genehme Manager
garniert von der Regierungsmehrheit zum Parlamentsbeschluss erhoben
(derStandard-online 04.12.03).
Ende April 2004 lag dann ein
Sozialpartner-Verhandlungsergebnis mit einem weitgehenden Abbau von
Sonderrechten der ÖBB-Bediensteten (diverse Zuschläge und Biennalsprünge
beim Gehalt, verlängerte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Vetorecht
der Gewerkschaft bei Entlassungen u.a.) und einem Einsparungsvolumen von
100 Mio. Euro vor, das schließlich auch nach einem letzten Misstrauens-
und Machtdemonstration des Zögerns die Akzeptanz seitens des
Verkehrsministers Gorbach fand (der Standard-online 30.04.04).
Das
nächste Projekt, das ohne den Versuch durchgezogen wurde, die Opposition
einzubinden, war die - Anfang Jänner 2004 mit Jörg Haider als
Chefverhandler der FPÖ von den Regierungsfraktionen konzipierte
Steuerreform: obwohl auch ExpertInnen (z.B. WIFO-Leiter Kramer)
verteilungspolitische, beschäftigungspolitische und finanzpolitische
Vorbehalte geltend machten und entsprechende Korrekturen einmahnten,
zeigen die Regierungsparteien keinerlei Bereitschaft, ihren "großen
Wurf" (Schüssel) im Zuge des parlamentarischen Prozesses zu revidieren
(derStandard-online 09.01.04 – 16.01.04) – der Entwurf wurde im Kern
unverändert am 6. Mai 2004 zum Gesetz.
Bemerkenswert kompromissorientiert und durch
eigene Beweglichkeit aktiv um "Schulterschluss" bemüht war man hingegen
seitens der Koalitionsparteien beim Tierschutzgesetz. Ob bei der
Duldung des Schächtens, beim Verbot der Anbindehaltung von Rindern, der
Käfighaltung von Hühnern oder des Einsatzes von Elektroschocks bei der
Hundeabrichtung – alle gaben nach, und bei der Einführung eines
weisungsfreien Tierschutzombudsmanns oder der Verankerung des
Tierschutzes in der Verfassung stimmten alle zu – Ende Mai im
Verfassungsausschuss des Parlaments, und Mitte Juni 2004 schließlich im
Parlamentsplenum (derStandard-online 19.05.04). Die Regierung benutzte
offenbar diese für das "Wendeprojekt" unbedeutende, aber vom Publikum
und Boulevard mit viel Emotion besetzte Materie, um im Vorfeld der
Europawahlen im Juni 2004 ihr Image der "Herzlosigkeit" und des
"rücksichtslosen Drüberfahrens" zu korrigieren.
Nach den Zwischenwahlen der ersten Jahreshälfte
2004 wurde dann freilich wieder ganz auf "Drüberfahren"
zurückgeschaltet:
Eine neue Methode, parlamentarische
Kontrollmöglichkeiten der Opposition zu beschränken, hat die
blau-schwarze Regierung wurde im Juli 2004 im "ständigen Unterausschuss
des Rechnungshofausschusses (kleiner U-Ausschuss)" erprobt, nämlich die
Ablehnung sämtlicher von der Opposition beantragten Auskunftspersonen.
So wurde im Falle der Untersuchung der Agrarförderung die Befragung von
Landwirtschaftsminister J. Pröll und Finanzminister K.H. Grasser
unmöglich gemacht (ORF ON 11.07.04).
Und die – seit Herbst 2003 mit den
Sozialpartnern, aber praktisch unter Ausschluss der Oppositionsparteien
eher hinhaltend verhandelten – Grundzüge der Pensionsharmonisierung
wurden wieder ohne Konsens mit den Arbeitsnehmervertretungen und den
Oppositionsparteien beschlossen (derStandard-online 11.07.04). Der
Gesetzesentwurf hat wurde dann nur 5 Tage nach Ablauf Begutachtungsfrist
praktisch ohne Berücksichtigung der eingelangten Stellungnahmen am 13.
Oktober den Ministerrat passiert (derStandard-online 12.10.04).
Die Ausgliederung der
Familienpolitik in eine "Familien-GmbH." wurde überhaupt unter
Verzicht auf eine Begutachtung im Parlament beschlossen. Für die
Behandlung der Materie im Bundesrat, in dem nach dem letzten Zyklus der
Landtagswahlen die Opposition die Mehrheit hat und der auf eine
Begutachtung besteht, hat Schüssels Kanzleramt für seine Ministerien
Vordrucke vorbereitet, in die nur mehr der Name des Gesetzes und des
jeweiligen Ministeriums einzutragen sind (derStandard-online
17.11.05).
Sehr eilig hatte es die Regierung auch im Herbst 2005 mit
dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht: durch eine
Regierungsmehrheitlich verfügte Fristsetzung wurde die Diskussion
dieser Materie im Innenausschuss zur großen Empörung insbesondere der
Grünen zeitlich stark beschränkt (derStandard-online 16.11.05).
Bemerkenswert auch die Blockade des parlamentarischen
Aufklärungsinstruments des Untersuchungsausschusses durch die
Regierungsparteien:
Erstmals der Fall war dies angesichts der fragwürdigen
Amtsführung des Finanzministers in den Angelegenheiten der
Beschaffung der Euro-Fighter und der Privatisierung der VOEST (beide
Male stand der Verdacht der Intervention zugunsten der
Geschäftsinteressen des MAGNA-Konzerns, mit dem eine gültige
Rückkehrrechtsvereinbarung besteht, im Raum).
Besonders signifikant war hier aber der Fall der
Finanzierung der Homepage sowie von Flugreisen Grassers durch Firmen und
Industriellenvereinigung, der exzessiven Beratungsausgaben, sowie der
möglicherweise gegen ein Honorar erfolgten Vortragstätigkeit Grassers im
Frühsommer 2003. Kurios auch die an Stelle eines
Untersuchungsausschusses unter Aufsicht von Staatssekretär Finz
inszenierte amtliche Steuerprüfung des Homepage-Falls: weisungsabhängige
Beamte attestierten in dieser eine österreichische Vereinkonstruktion
betreffenden Causa ihrem obersten Herren in Berufung auf deutsches
Vereinsrecht und Stiftungsrecht, dass ohnehin alles in Ordnung sei
(vgl. dazu derStandard-online 13.06. - 11.07.03, ORF ON 12.07.03).
Als dann im Jänner 2004 bekannt wurde, dass das
Spendenvolumen der IV für die Grasser-Homepage noch größer war als
ursprünglich angenommen, dass die Staatsanwaltschaft derzeit entgegen
dem von Staatssekretär Finz ausgestellten "Persilschein" von einer
Steuerpflicht des Trägervereins ("Verein zur Förderung der New Economy")
ausgeht und Vorerhebungen gegen dessen Obmann, Grassers Kabinettschef
Winkler, eingeleitet hat, erklärte Grasser die Vorgangsweise der
Staatsanwaltschaft für "inakzeptabel". In einer parlamentarischen
Fragestunde verweigerte Grasser dann mit dem Hinweis, die
Angelegenheit betreffe nicht seine Amtsführung, konsequent die
Beantwortung. Eine diesbezügliche dringliche Anfrage der SPÖ
wurde von der ÖVP durch einen Geschäftsordnungstrick verhindert. Die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wurde mit den Stimmen der
Regierungsmehrheit abermals verhindert (derStandard-online 21.01.04,
27.01.04, 29.01.04).
Am 25. Februar 2004 flatterte dann allerdings, rechtzeitig
zum ersten Jahrestag von Schwarz-Blau II und just in die gerade laufende
parlamentarische Debatte über einen Misstrauensantrag gegen BM Grasser
und Staatssekretär Finz, die APA-Meldung herein, dass sich die
Staatsanwaltschaft Wien gegenüber dem (weisungsbefugten)
Justizministerium wegen Geringfügigkeit des Streitwerts für die
Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen Grasser wegen des
Verdachts der Geschenkannahme, Veruntreuung von Spendengeldern und
Insiderhandel mit Aktien ausgesprochen hat. Tags darauf hat dann
auch die (im Weisungsbereich Grassers agierende) Finanzbehörde das
Prüfverfahren gegenüber Grasser und dem Verein zur Förderung der New
Economy eingestellt
- mit der Begründung, dass "… auch nach dem
Ermittlungsstand der Abgabenbehörden sowohl Karl-Heinz Grasser als auch
der Verein zur Förderung der New Economy im Zusammenhang mit der
Errichtung und dem Betrieb des Vereines der New Economy steuerrechtlich
korrekt gehandelt haben" (derStandard-online 25.02.04, 26.02.04).
Es hatte zunächst den Anschein, dass nur noch die
Überprüfung der Vorgehensweise der Finanzbehörde durch den in dieser Frage
in Eigeninitiative aktiv gewordenen Rechnungshof und die durch
die ÖVP-Volksanwältin Rosemarie Bauer sowie eine vom rechten
FPÖ-Volksanwalt Ewald Stadler (dem berüchtigten "Feuerredner")
veranlasste Prüfung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Licht
in die Verdunkelung bringen könnte (derStandard-online 03.03.04). Anfang
April 2004 hat dann aber die Ratskammer am Wiener Straflandesgericht
der Entscheidung der Staatsanwaltschaft auf Einstellung der Ermittlungen
die Zustimmung verweigert und den Akt an den Untersuchungsrichter zur
weiteren Ermittlung zurückverwiesen. Ein Etappensieg für den
Rechtsstaat und neue Hoffnung für die Opposition (derStandard-online
06.04.04).
Am 2. Juni 2004 hat die Volksanwaltschaft dann in der Causa
Grasser auf Grund der Einstellung des Finanzverfahrens ohne Einholung
eines Gutachtens über den Wert der Homepage einstimmig eine
"Missstandsfeststellung" getroffen und an den Justizminister
adressiert (02.06.04).
Ende August 2004 stellte dann laut "News" ein Rohbericht
des Rechnungshofes zur Homepage-Causa (News Networld 25.08.04) fest,
dass entgegen der Auffassung der Finanzbehörde doch sowohl für den
Verein zur Förderung der New Economy als auch für Grasser selbst eine
Steuerpflicht bestehe. Grasser dementierte freilich umgehend und
kündigte seinerseits rechtliche Schritte gegen News an
(derStandard-online 26.08.04).
Am 30. August 2004 wurde dann bekannt, dass das nach der
Rückverweisung durch die Ratskammer vom Untersuchungsrichter in Auftrag
gegebene Gutachten den Wert der Homepage mit 220.000 – 250.000 Euro
beziffert, dass also der Antrag der Staatsanwaltschaft auf
Einstellung der Ermittlungen wegen Geringfügigkeit tatsächlich keine
Grundlage hatte (derStandard-online 31.08.04).
Aufgrund dieses Gutachtens hat dann die Ratskammer des
Straflandesgerichtes Wien Mitte September 2004 entschieden, dass doch
eine Zuständigkeit der Gerichte bestünde, und eine Fortführung der
Ermittlungen beantragt. Grasser ließ daraufhin mitteilen, dass er
sich über die weitere Prüfung freue. Weniger erfreut zeigte sich
hingegen die Staatsanwaltschaft Wien: Sie will keine weiteren
Ermittlungen führen und erwägt daher eine Beschwerde beim
Oberlandesgericht (derStandard-online 14.09.04, 29.09.04).
Ende Februar 2005 wurde das Verfahren gegen Grasser dann
doch endgültig durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. Eine
Schenkungssteuerpflicht bestehe zwar, aber nicht für Grasser, sondern
für den "Verein zur Förderung der New Economy", gegen den auch weiter
ermittelt wird. Diese Entscheidung sei jedoch nicht auf Weisung erfolgt,
sondern basiere inhaltlich auf einer Entscheidung des
Oberlandesgerichts. Die Opposition hingegen hielt sie für politisch
motiviert und will die Causa nun auf politischer Ebene – im Rahmen eines
parlamentarischen Untersuchungsausschusses – weiterverfolgen
(derStandard-online 28.02.05).
Am 22. Juni wurde dann von der Staatsanwaltschaft Wien auch
das Verfahren wegen Untreue und Steuerhinterziehung gegen Grassers
Kabinettschef und Obmann des "Vereins zur Förderung der New Economy"
Matthias Winkler eingestellt. Es habe keine Steuerpflicht bestanden,
und im Falle Winkler liege allenfalls ein "entschuldbarer Irrtum" vor
(derStandard-online22.06.05).
Damit war die Causa für Grasser nicht nur
finanzbehördlich, sondern auch gerichtlich ausgestanden - wiewohl
der einschlägige, aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse politisch
folgenlose Rechnungshofbericht Ende Juni 2005 der Finanzbehörde
attestierte, bei ihrem Persilschein für Grasser "unzureichend erhoben"
und "nicht nachvollziehbar argumentiert" zu haben (ORF On 20.06.05);
Überdies sei die finanzamtlich Prüfung keineswegs unabhängig vom
Ministerium erfolgt, wobei der Leiter einer der beteiligten
ministeriellen Gruppen pikanterweise Rechnungsprüfer im "Verein zur
Förderung der New Economy" war (Profil 27.06.05). Weitere Versuche
der Opposition, die Causa im Rahmen des ständigen
Rechnungshofausschusses politisch weiter zu verfolgen, blieben
angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse chancenlos.
Der einschlägige kritische Rechnungshofbericht ist auch dort dank
Regierungsmehrheit konsequenzenlos geblieben (derStandard-online
30.11.05).
Ähnliches wiederholte sich auch bei der Beantragung eines
Untersuchungsausschusses am 2. September 2003 aus Anlass der laut
Rechnungshofbericht und VFGH-Präsident Korinek rechtswidrigen
Gestaltung der Verträge der neu bestellten Manager der ÖIAG, die
ebenfalls unter der politischen Verantwortung des Finanzministers
erfolgt ist: Ein diesbezüglicher Antrag der Opposition wurde mit
Regierungsmehrheit abgeschmettert (derStandard-online 02.09.03). Auch
als die Opposition aus Anlass der Nichtbeachtung der (in
Verfassungsrang stehenden) Meldepflicht ihres Aktienbesitzes durch
Grasser neuerlich einen Untersuchungsausschuss forderte, legte sich
die Mehrheit der Regierungsfraktionen dagegen quer (derStandard-online
20.10.03).
Auch als die Opposition im Herbst 2004 nach einem
Rohbericht des Rechnungshofes, der schwere Vorwürfe gegen den Direktor
des kunsthistorischen Museums Wilfried Seipel enthielt- Seipel soll
Bilanzen manipuliert und für den Diebstahl der berühmten Saliera
Mitverantworten tragen, über das Haus wie ein Feudalherr verfügt und
sich durch seine Amtsführung auch private Vorteile verschafft haben –
Seipels Abberufung sowie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
forderte, wurde dies mit Regierungsmehrheit abgelehnt. Seipel hätte
sich um’s Museum höchst verdient gemacht, und außerdem liege der
Rechnungshofbericht erst in Rohfassung vor, die Opposition betreibe also
lediglich rechtsstaatlich bedenkliche Vorverurteilung (ORF ON 15.10.04).
Auch der Antrag der Opposition auf Einrichtung eines
Untersuchungsausschusses zur skandalumwitterten Bau-Vergabe des
Klagenfurter EM-Stadions – im Zuge des Verfahrens sind vertrauliche
Daten der Öffentlichkeit zugespielt worden, und Bestechungsgelder sollen
von Seiten der STRABAG zur FPÖ geflossen sein – wurde von den
Regierungsfraktionen niedergestimmt (derStandard-online 03.03.05)
Ebenso mit Regierungsmehrheit abgelehnt wurde der
neuerliche Antrag der Opposition auf Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses sowie die Forderung der SPÖ nach Offenlegung
der Verträge zur Abfangjägerbeschaffung, nachdem durch einen
Profilbericht (Profil Heft 39/2005) bekannt geworden war, dass sich die
Lieferung der bestellten zweiten Generation der Euro-Fighter verzögern
werde und Österreich zwischenzeitig mit Flugzeugen der ersten Generation
Vorlieb nehmen muss (derStandard-Online 28.09.05).
Nicht anders ist es er Opposition im November 2005 und dann
nochmals im Jänner 2006 mit ihrem Ansinnen ergangen, die sogenannte
Visa-Affäre (Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei der Visaerteilung
durch Botschaftsangehörige bzw. Vernachlässigung der Aufsichtspflicht
durch das Außenministerium) durch einen Untersuchungsausschuss prüfen zu
lassen (derStandard-online 17.11.05, 25.01.06)
Umgekehrt war die Regierung im Vorfeld der
Nationalratswahlen im Herbst 2006 sehr rasch dazu bereit, mit ihrer
Mehrheit den kleinen Rechnungshofsausschuss mit dem angeblich von der
SPÖ zu verantwortenden "BAWAG-Affaire" (s. unten, Kapitel 9.3.) zu
befassen
und damit im Vorwahlkampf ab Mitte Mai 2006 ein für die SPÖ
unangenehmes Thema öffentlichkeitswirksam auf der Agenda zu halten (ORF
On 12.04.06). Der von den Grünen am 27. April eingebrachte und von der
SPÖ unterstützte Antrag auf Einrichtung eines
Untersuchungsausschusses, der neben der BAWAG-Affäre und einer ähnlich
gelagerten Affäre der Kärntner Hypo Alpe Adria-Bank insbesondere auch
die Rolle der – dem Finanzminister unterstehenden - Finanzaufsicht bei
diesen Affären beleuchten sollte, wurde hingegen mit Regierungsmehrheit
niedergestimmt (derStandard-online 27.04.06).
Nach einer Schlussbilanz des stellvertretenden Klubobmanns
der Grünen Karl Öllinger ist es in der aktuellen Legislaturperiode
zu einer dramatischen "Aushöhlung der parlamentarischen Rechte"
gekommen: alle 40 Anträge der Opposition auf Einrichtung von
Untersuchungsausschüssen wurden abgelehnt, parlamentarische Anfragen
nicht oder nur "katastrophal schlecht" beantwortet, und auch die
parlamentarische Zusammenarbeit mit der Opposition verweigert – 340
Anträge der Grünen sind "im Nirwana dieser Gesetzgebungsperiode
verschwunden" (ORF On 17.07.06)
Und die ÖVP hat auch dafür gesorgt, dass die
Regierungsmehrheit weiterhin die Möglichkeit hat, das Kontrollinstrument
Untersuchungsausschuss zu blockieren: Im Juli 2004 im Verfassungskonvent
stellte sich dann die ÖVP als einzige Partei gegen den Vorschlag, die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem Recht der
parlamentarischen Minderheit zu machen, Instrumente wie die Gerichte
oder eine Ministeranklagen böten hinreichend Kontrollmöglichkeiten. Da
sie mit ca. 40 % der Mandate über die Sperrminorität verfügt, wird in
Österreich wahrscheinlich auch in Zukunft paradoxerweise die
Parlamentsmehrheit die Einsetzung eines U-Ausschuss kontrollieren (News
Networld 28.07.04, derStandard-online 29.04.04).
Im November 2004 wurden Pläne bekannt, die ÖH-Wahlsystem
dahingehend zu verändern, dass die Bundesvertretung nicht mehr
direkt gewählt, sondern von den Universitäten proportional zur Maßgabe
der jeweiligen Zahl der Studierenden beschickt wird. Damit würden
sich die Mehrheitsverhältnisse zum Nachteil von GRAS und VSSTÖ und zu
Gunsten von AG und den Fachschaftslisten verschieben. GRAS und VSSTÖ,
aber auch Grüne und SPÖ haben das Vorhaben wegen dieser
Machtverschiebung, aber auch die fehlende Einbindung in den
Reformprozess vehement kritisiert (ORF ON 11.11.04). Ungeachtet dessen
wurde die ÖH-Wahlrechtsreform am 10. Dezember 2004 mit
Regierungsmehrheit im Nationalrat beschlossen. (derStandard-online
10.12.04). SPÖ und Grüne haben eine Beschwerde gegen dieses Gesetz wegen
versetzung ndes Gleichheitsgrundsatzes beim VFGH eingebracht, die im
Juni 2006 behandelt wird (VFGH 06.06.06).
Mitte November 2004, kurz vor der Verabschiedung der
Pensionsharmonisierung, hat dann der – unter mehrheitlichem
Regierungseinfluss stehende – ORF die Aussendung eines 25 – Sekunden
Info-Spots des ÖGB zur Pensionsreform verweigert.
Im Jänner 2005 sprach sich dann FP-Vizekanzler und
Verkehrsminister Hubert Gorbach in der ORF-Pressestunde im Zusammenhang
mit der Dienstrechtsreform einmal mehr für eine Einschränkung des
Streikrechts aus: es bedürfe einer Gesetzgebung, die den
"ungerechtfertigten Streik" unmöglich mache (derStandard-online
16.01.05).
Für den 2. März 2005 haben die Regierungsparteien, vor dem
Hintergrund des Scheiterns des A1-Ring Projekts in der Steiermark und
des Skandals um den Bau des Fußball-EM-Stadions in Kärnten, einen
Abänderungsantrag betreffend das Gesetz über die
Umweltverträglichkeitsprüfung auf die Tagesordnung des Nationalrats
gesetzt, auf Grund dessen in Zukunft die
Umweltverträglichkeitsprüfung für Sportplätze, Rennstrecken, Golfplätze,
Skipisten, Freizeit- und Vergnügungsparks und für die Erweiterung von
Flughäfen entfallen soll. Aus der Sicht von Opposition,
Arbeiterkammer und Umweltorganisationen ein Anschlag gegen die Umwelt
und die Mitspracherechte von Anrainern (derStandard-online 28.02.05),
laut Rechtsgutachten der Universität Göttingen ein Bruch mit der
UVP-Richtlinie der EU (ORF On 01.03.05). Im Parlament wurde dann von den
Regierungsparteien eine abgeschwächte Variante beschlossen, derzufolge
die Landesbehörden darüber entscheiden, ob ein Großprojekt einer UVP
unterzogen wird. Gegen diese Entscheidung ist eine Rekursmöglichkeit
beim Umweltsenat vorgesehen, allerdings nicht für Bürgerinitiativen
(derStandard-online 02.03.05). Es bleibt also bei einem Abbau von
BürgerInnenbeteiligung.
Nachdem im November 2005 bekannt geworden war, dass die USA
bzw. die CIA außerhalb jeglicher rechtsstaatlicher Legalität im
Zusammenhang mit dem "Kampfe gegen den Terrorismus" auch in Europa
Gefangenentransporte vornimmt und Geheimgefängnisse unterhält, wurde von
der Opposition eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates beantragt,
um zu klären, ob auch Österreich von solchen Überflügen betroffen war.
Dabei hat Kanzler Schüssel durch Verordnung von Vertraulichkeit über
alle Vorgänge und Unterlagen des Ausschusses verhindert, dass der
Ausschuss als Instrument der Aufklärung wirksam werden und Informationen
an die in dieser Sache ermittelnden europäischen Institutionen
weitergeleitet werden konnten (derStandard-online 01.12.05). Im
EU-Ausschuss des Parlaments am 13. Dezember – nach einem Besuch des
Bundeskanzlers in den USA am Vorabend der österreichischen
EU-Präsidentschaft, bei dem der Kanzler aus der Sicht der Opposition
auch gegenüber dem US-Präsidenten den nötigen Nachdruck bei der
Vertretung einer rechtsstaatlichen Position und bei der Forderung nach
Aufklärung vermissen ließ - stimmte dann die Regierungsmehrheit einen
Antrag der Opposition auf "lückenlose Aufklärung" der Causa geheime
Überflüge nieder (derStandard-online 13.12.05).
Ende Februar 2003 wurde dann bekannt, dass das Gesetz
über das "Institute of Science and Technology – Austria", die
österreichische "Eliteuniversität", noch im März ohne vorherige
ordentlich Begutachtung mit Regierungsmehrheit durch das Parlament
gepeitscht werden soll. Die Begründung Gehrers dafür: das Projekt
solle "aus dem Wahlkampf herausgehalten" werden (ORF On 28.02.06). Das
Vorhaben musste dann freilich vor der endgültigen Beschlussfassung doch
modifiziert werden, da die auch Promotoren aus dem Bereich der
Wissenschaft damit nicht einverstanden waren und abzuspringen drohte.
Ende
April haben VertreterInnen der Oppositionsparteien im Europäischen
Parlament der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht, dass
Nationalratspräsident Khol (VP), der gegen ein offenes Diskussionsforum
des EU-Parlaments über die Zukunft Europas protestiert und sich dafür
stark gemacht hatte, dass an dessen Stelle ein von den einzelnen
Mitgliedsstaaten delegiertes "Forum zur Zukunft Europas" stattfindet,
nun im Paarlauf mit der ebenfalls der ÖVP angehörigen Vorsitzenden des
Bundesrates im Alleingang festlegen werde, was "die nationale
Position Österreichs" sei. Das Papier enthält dementsprechend zu den
Zukunftsfragen Europas nur die Regierungspositionen, die Klubs der
anderen Parteien dürfen ihre jeweiligen "Positionen bzw. dissenting
opinions" lediglich schriftlich deponieren – aber bitte nur "in
möglichst kurzen Texten" (derStandard-online 22.04.05).
Im Mai 2006 hielt dann der ZIB 2 Anker-Mann Armin Wolf
anlässlich der Entgegennahme des "Robert Hochner-Preises" eine
bemerkenswerte Rede, in der er in einer Art öffentlichem Hilferuf die
Machtverhältnisse im ORF anprangerte, die den Prinzipien des unabhängigen
Journalismus und des politischen Pluralismus Hohn spreche. Während
unter Bedingungen der großen Koalition noch ein "Gleichgewicht des
Schreckens geherrscht habe, sei nach der Wende 2000 und insbesondere
seit 2002 "vom Gleichgewicht … nur mehr der Schrecken geblieben"
(derStandard-online 19.05.06).
Nach einer Mitteilung der SPÖ vor Beginn der
herbstlichen Sitzungsperiode des Parlaments 2005 zeichnen sich die
Parlamentsfraktionen der Wendekoalition auch durch eine schlechte
bzw. parteipolitisch höchst selektive Arbeitsmoral aus: insgesamt
waren per 6. September 2005 580 parlamentarische Verhandlungsgegenstände
unerledigt, darunter 442 parlamentarische Anträge. Von diesen Anträgen
waren 422 (fast 95%!) Oppositionsanträge. Die Nicht-Erledigung hat die
Regierungsmehrheit im Parlament zur Hälfte durch Vertagung, zur Hälfte
durch Zuweisung an Unterausschüsse, in denen sie dann auf Dauer geparkt
werden, bewerkstelligt (derStandard-online 12.09.05).
Als Bundespräsident Klestil dann am Kongresse des ÖGB im
Oktober 2003 die Regierung ob ihrer autoritären Vorgehensweise
kritisierte und feststellte, dass die häufige Aufhebung von Gesetzen
durch den VFGH (s. oben) kein Ruhmesblatt für die Regierung sei, wurde
ihm postwendend von der Wilhelm Molterer, Klubobmann der ÖVP,
vorgeworfen, "falsche Signale" zu setzen und nicht "objektiv" zu
urteilen – und gleichsam als Rute im Fenster die Beschneidung seiner
Kompetenzen in den Raum gestellt: Angelobung und Abberufung der
Regierung sollten besser dem (von den Regierungsfraktionen dominierten)
Parlament übertragen werden (derStandard-online 24.10.03). Und Wolfgang
Schüssel riet dem HBP und all jenen, die "permanent den Dialog
einmahnen", am Nationalfeiertag sogar, "darüber nachzudenken, ob es
ihnen in Wirklichkeit nicht eher um die Verweigerung der notwendigen
Reformen geht" (derStandard-online 27.10.03).
Seitdem sie nach den Landeswahlen im Herbst im Bundesrat
die Mehrheit besitzt, hat die Opposition freilich mittlerweile dort
den Spieß umgekehrt und betreibt seither eine konsequente
Verzögerungspolitik gegen ihr unliebsame Gesetze: Gesetzesvorlagen
werden nicht nur – wie das Fremdenpaket (derStandard-online 25.01.06),
das Postgesetz, das ÖIAG-Gesetz, das neue Übernahmegesetz, eine
Wohnrechtsnovelle, das neue Eisenbahngesetz, das Gesetz über die
"Gesundheit Österreich GmbH" oder die neue Schwerarbeiterregelung
ablehnend an den Nationalrat zurückgeschickt. Um die Verzögerung zu
vergrößern, werden zur Empörung der Regierungsmehrheit unliebsame
Vorlagen – z.B. die Auslagerung familienpolitischer Agenden in eine
"Familie und Beruf Management Gesellschaft" - nochmals in die
Begutachtung geschickt und in Fachausschüssen beraten
(derStandard-online 04.12.05), und um Fristsetzungsanträge des
Nationalrates zu parieren, werden – wie im Falle des im Dezember
verabschiedeten und aus der Sicht der Opposition unzureichenden
Schulpakets - Sondersitzungen anberaumt. Dementsprechend auch die
Reaktion des VP-Bundesrats-Fraktionsvorsitzenden Bieringer: Die SPÖ
setze "ihre Mehrheit … brutal ein", und Kanzler Schüssel sei gefordert,
"da einmal hineinzufahren" (derStandard-online 16.01.2006).
Letztendlich sitzt die Regierung jedoch auch hier mit der
Möglichkeit des mehrheitlichen Beharrungsbeschlusses im Nationalrat
am längeren Ast. Auf diese Weise sind Anfang März 2006 das neue
Staatsbürgerschaftsrecht und andere von Bundesrat beeinspruchte
Gesetzesbeschlüsse endgültig besiegelt worden (derStandard-online
01.03.06).
Eine ähnliche Strategie hat die Opposition auch zur
effektiveren Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion eingeschlagen:
Nachdem das Begehren nach mehr Aufklärung über den Euro-Fighter-Ankauf
im Nationalrat und dessen Rechnungshofausschuss von der
Regierungsparteien beharrlich zurückgewiesen wurde, wollen SPÖ und Grüne
die verantwortlichen Minister Scheibner, Platter und Grasser, BeamtInnen
und VerfassungsexpertInnen nun im Frühjahr ihm Rahmen des
Verteidigungsausschusses der Länderkammer befragen (derStandard-online
05.04.06).
Wie der seit 25. Juni nicht mehr im Amt befindliche
Justizminister Böhmdorfer – in der ORF Talkshow "offen gesagt" gleichsam
"aus der Schule plaudernd" – berichtete, hat die Regierung diesen
autoritären Stil allerdings auch im Innenverhältnis, von Seiten der ÖVP
gegenüber der FPÖ – gepflogen: keine Regierungsklausuren zur
gründlichen Beratung, Änderungen von Gesetzesvorlagen über Nacht,
umfangreiche schriftliche Berichte erst unmittelbar vor der
Beschlussfassung im Ministerrat (ORF ON 27.12.04). Die ÖVP von ihrer
Übermacht offenbar auch hier hemmungslos Gebrauch gemacht.
In aller Öffentlichkeit vorexerziert wurde diese
Verfahrensweise der ÖVP mit dem Koalitionspartner im Jänner 2005, als
die
ÖVP einseitig gegen den Willen der FPÖ per Erlass des
Verteidigungsministers die Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate
dekretierte. Die FPÖ sprach von "Koalitionsbruch" und einem "Fall
für den Koalitionsausschuss" (Generalsekretär Scheuch) und drohte mit
dem Abbruch der Bundesheer-Reformverhandlungen, die ÖVP verwies davon
unbeeindruckt auf die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens und darauf, dass es
für die Periode der 2. Wendekoalition formell gar keinen
Koalitionsausschuss mehr gebe (ORF ON 31.01.05). Obwohl beide Partner
betonten, der Konflikt tangiere den Bestand der Koalition nicht, und ein
klärendes "Sicherheitsgipfeltreffen" vereinbart haben, hat die
Vorgehensweise der ÖVP Spekulationen über von der VP provozierte
vorzeitige Neuwahlen ausgelöst (derStandard-online 31.01.05, 01.02.05).
Einig waren sich
Bundespräsident, Regierung und Opposition freilich in einem Punkt: über
die Vorverlegung der Neuwahlen von November auf 1. Oktober 2006,
wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Die Opposition musste die
Neuwahlen wollen, um die Chance wahrzunehmen, die von ihr stets erhoffte
möglichts baldigen Ablöse der Regierung herbeizuführen, die Regierung
wollte die früheren Wahlen, weil sie die berechtigte Hoffnung hatte, mit
einer durch die Krise der Gewerkschaft gelähmten Opposition erfolgreich
"kurzen Pozeß" machen zu können. Ein entsprechender Vier-Parteinantrag
wurde am 14. Juli im Parlament angenommen (derStandard-online 13.07.06,
14.07.06)
Weiter im Schatten Jörg
Haiders und der "Knittelfelder": Die Dauerkrise und Selbst-Demontage der
FPÖ und ihr Einfluss auf die Wendekoalition:
Auch in der zweiten Amtsperiode der Wendekoalition ging es
erwartungsgemäß nicht ohne Machtdemonstrationen und Drohgebärden der
"rechtsextremen Elemente" der FPÖ gegenüber der eigenen offiziellen
Parteiführung und dem eigenen Regierungsteam ab:
Am 6. März 2003, dem Tag der Regierungserklärung,
wurde den von führenden Repräsentanten der rebellischen Knittelfelder
Delegierten Stadler und Fischl initiierte Haider-Fanclub "Verein der
Freunde Jörg Haiders" offiziell konstituiert. Erklärtes Ziel des
Vereins: Die "Botschaft Haiders am Leben erhalten und den Geist von
Knittelfeld verstärkt in die politische Diskussion einbringen". Ein Ziel
der Initiatoren ist es aber auch, in Vollendung des europäischen
Tabubruchs Jörg Haider als Vizekanzler neben Kanzler Schüssel zu
inthronisieren - ein Ihnen als "unschlagbar" erscheinendes Führungsduo.
Der Verein kann angeblich bereits auf 1.000 Mitglieder und – ganz im
Sinne der von Haider bereits in die Wege geleiteten rechter
Internationalität – auch auf Beitrittswillige aus Bayern, Liechtenstein,
der Schweiz und Italien zählen (derStandard-online 06.03.03).
Am 10. März 2003, einen Tag nach für die FPÖ neuerlich
verlustreichen Gemeinderatswahlen in Kärnten (-7 %!), reitet Er (Jörg
Haider) selbst zur Attacke und fordert ultimativ: entweder es gäbe einen
Belastungsstop, einen "tiefgreifenden Privilegienabbau" und es werde der
"Augiasstall" der Sozialversicherungen "ausgemistet", oder Kärnten
werde "wie Bayern ein Freistaat mit größtmöglicher Eigenständigkeit
werden". (derStandard-online 10.03.02).
Eine Woche später droht Haider dann im von keinerlei
Rücksichten auf Rechtssicherheit gebremsten populistischen Furor mit
einer
Abspaltung der Kärntner FPÖ von der Bundespartei und der Bildung einer
selbständigen NR-Fraktion, falls Haupt nicht binnen 10 Tagen die
Zusicherung geben sollte, dass Politikerinnen in Zukunft keine
Übergangszahlungen, Abfertigung oder Doppelpensionen mehr erhalten
dürfen, und dass es vor Beseitigung der Privilegien im "geschützten
Bereich" keine Belastungen mehr gibt. Haiders Angaben zufolge würde
seine Fraktion ("die wahre FPÖ"; Haider) vier Kärntner und drei weitere
Abgeordnete umfassen. Prompt ist daraufhin der gesamte FPÖ-Klub in der
Frage der Bezüge von Ex-PolitikerInnen auf die von Haider vorgegeben
Linie eingeschwenkt (derStandard-online 17.03.03, 19.03.03). Ab sofort
hängt es also unmittelbar von "Ihm" ab, ob die Regierung noch über eine
parlamentarische Mehrheit verfügt.
Am 31. März mahnt Haider in einem ORF/ZIB2-Interview unter
dem Schock der niederösterreichischen Landtagswahlen, bei denen die FPÖ
fast drei Viertel ihrer Stimmen verloren hatte und auf einen
Stimmenanteil unter 5 % zurückgefallen war, erneut den "Geist von
Knittelfeld" und eine
Steuerreform bereits im Jahr 2004.
Am 4. April forderte Haider dann bei einer
FPÖ-Frühlingsklausur in Kärnten eine Volksabstimmung zur
Pensionsreform, der die FPÖ im Ministerrat noch zugestimmt hatte und
die drei Tage zuvor durch Bartenstein und Haupt gemeinsam präsentiert
worden war – und prompt schloss sich Haupt dieser Forderung an
(derStandard-online 04.04.03). Am 10. April setzt er mit der Drohung
nach: Sollte der Entwurf nicht entschärft und die Harmonisierung der
verschiedenen Pensionssysteme sofort in Angriff genommen werden, "… wird
diese Koalition nicht langen Bestand haben" (derStandard-online
10.04.03), und am 5. Mai kündigt er an, dass die FPÖ-Fraktion der Reform
im Parlament die Zustimmung verweigern werde (derStandard-online
05.05.03).
In
weiterer Folge benutzte Haider das Thema Pensionsreform, um mittels der
ihm gefügige Knittelfelder Fraktion als Zünglein an der Waage Druck auf
Vizekanzler Haupt und die Regierung zu machen und sich selbst wieder
ins Zentrum des politischen Spiels zu bringen: SP-Vorsitzender
Gusenbauer war plötzlich zu einem verschwörerischen Treffen und zur
Zusammenarbeit in der Pensionsfrage mit Haider entschlossen
(derStandard-online 09.05.03), und auch am vom Bundespräsidenten
veranstalteten runden Tisch durfte er nicht fehlen (derStandard-online
15.05.03). In der Sache selbst war die Koalition buchstäblich über Nacht
zu kurz- und mittelfristigen wirksamen Aufschüben und Verlustdeckelungen
bereit, und auch der vorher unverrückbare Zeitplan der Reform war
plötzlich vom Tisch (derStandard-online 23.05.03, 25.05.03, 27.05.03).
Sogar im Koalitionsausschuss war der Herr über die für die
Regierungsmehrheit entscheidenden Knittelfelder Mandatare plötzlich
wieder unverzichtbar (derStandard-online 28.05.03). H. Haupt wünschte
sich, dass Haider wieder "hohe Parteiämter" übernähme
(derStandard-online 30.05.03, und der "Verein der Freunde Jörg Haiders"
warb für die neuerliche Kür Haiders zum FP-Obmann (NEWS-Networld
27.05.03). Haider selbst gefiel sich - mit einer Einladung an die etwas
verdutzten Sozialpartner zu einem runden Tisch in Kärnten - in der
ungewohnten Rolle des staatsmännischen Vermittlers (derStandard-online
28.05.03) und gab seiner Überzeugung Ausdruck: "ein Kanzler Haider wird
immer notwendiger und wichtiger" (NEWS-Networld 27.05.03). Er war also
"wieder da" und auch maßgeblich an der Einigung der Koalition in der
Pensionsfrage im Koordinationsausschuss beteiligt (derStandard-online
03.06.03), und auch seine Rückkehr an die formelle Parteispitze –
wahrscheinlich im Lauf des Sommers 2003 – schien zwischen Haider und
seinem Statthalter Haupt bereits akkordiert zu sein (derStandard-online
12.06.03).
Ein weiteres höchst öffentlichkeitswirksames, aber in der
Sache selbst folgenloses Lebenszeichen des "Knittelfelder Aufstands" in
der FPÖ war dann die Weigerung von 10 von 9 FPÖ-Abgeordneten im
Bundesrat, den Budgetbegleitgesetzen und damit der Pensionsreform
zuzustimmen – ohne dabei freilich dem Antrag der SPÖ auf Einspruch
und Rückverweisung an den Nationalrat zuzustimmen (derStandard-online
24.06.03). Der durch diese Nichtentscheidung des Bundesrates bewirkte
Aufschub der Wirksamkeit der Budgetbegleitgesetze hat dann aber immerhin
J. Haider die Gelegenheit geboten, die darin verpackte Beschaffung
der Luftraumüberwachungsflugzeuge nochmals in einer für den
Koalitionspartner provokanten Weise öffentlichkeitswirksam in Frage
zu stellen.
Ende Juni 2003 bestätigten dann Haider (Format/ZIB 2
26.06.03) und sein Fanclub (derStandard-online 26.06.03) in Interviews
die
bevorstehende Ablöse von Haupt als Parteiobmann durch Haider und
erhöhten den Druck auf einen umgehenden Vollzug dieses Wechsels. Damit
schien klar, dass die FPÖ nun auch offiziell wieder zur Haider-Partei
wird und die "rechtsextremen Elemente" wieder in der FPÖ das Sagen
haben, und dass Schüssels Projekt der Entmachtung Jörg Haiders
und der "Zähmung" der FPÖ endgültig zu scheitern droht. Nach wie vor
ausgeschlossen hat Haider die Übernahme des Amts des Vizekanzlers. Er
sei "lieber Erster in Gallien als Zweiter in Rom". Man beachte die
Anspielung: Cäsar hat bekanntlich letztlich den Rubicon überschritten.
Auf einer Parteivorstandssitzung auf Deutschlandsberg am
28. Juni erwies sich dann jedoch Statthalter Haupt als zäher und
schlauer als erwartet. Er ließ die dort versammelte ihm mehrheitlich
Getreuen über die Amtsübergabe abstimmen, und diese nahmen mit
Mehrheitsbeschluss zur Kenntnis, dass er bis zum nächsten ordentlichen
Parteitag im Oktober 2004 "als Obmann zur Verfügung stehe". Haider
bezeichnete zwar diese Vorgehensweise Haupts als "schweren Fehler",
musste jedoch bis auf weiteres deren Ergebnis akzeptieren
(derStandard-online 28./29.06.03). Haider bekräftigte freilich weiterhin
den Anspruch auf die Parteiführung, indem er wiederholt erklärte, der
Führungswechsel sei für Herbst vereinbart. Haupt seinerseits zeigte
weiterhin keine Bereitschaft zeigte, das Feld zu räumen und stellte
sogar öffentlich eine Kandidatur für eine weitere Amtsperiode als Obmann
in den Raum (derStandard-online 31.07.03)
Haider verlegte sich daher wieder darauf, die Koalition
mit der Steuerreform unter Druck zu setzen: Vorverlegung auf 2004,
auch auf Kosten einer höheren Verschuldung. Die FPÖ sollte das noch im
Sommer beschließen, und als Parteichef würde er dann eine entsprechende
Abänderung des Koalitionspakts verlangen (New Networld 16.07.03,
derStandard-online 17.07.03). Hier musste Haupt nachgeben: Unter dem
Druck Haiders und seiner Gefolgsleute hat die FPÖ beschlossen, sich
diesbezüglich auf Konfrontationskurs mit dem Koalitionspartner zu
begeben und bei der von der SPÖ beantragten Sondersitzung zur
Steuerreform am 12. Auguste eine zumindest teilweise Vorziehung der
Steuerreform zu beantragen (derStandard-online 07.08.03). Dann aber –
wie schon zuvor bei Pensionsreform und Abfangjägerbeschaffung - wieder
die Angst vor der eigenen Courage: kein eigener Antrag und natürlich
auch keine Bereitschaft, dem diesbezüglichen Entschließungsantrag der
SPÖ zuzustimmen (derStandard-online 12.08.03). Als
"Verhandlungsforderung" an die ÖVP hielt die FPÖ jedoch an der
Vorziehung der Steuerreform fest, und Haider untermauerte diese
Forderung, indem er für den Fall, dass die ÖVP ihr nicht nachkommen
sollte, mit einer Volksabstimmung und neuerlich mit einem
parlamentarischen Initiativantrag im Herbst drohte (NEWS-Networld
12.08.03, 14.08.03).
Dasselbe Spiel sollte sich auch, im Vorfeld der
Landtagswahlen in Oberösterreich und Tirol, im Zuge der im
Koalitionsübereinkommen vorgesehenen und bereits im Frühjahr im
Ministerrat beschlossenen Privatisierung der VOEST wiederholen:
Einen Tag vor der von der SPÖ dazu beantragten Sondersitzung des
Nationalrats fordert Haider im Gleichklang mit der Opposition den Behalt
einer Sperrminorität von 25 % der Anteile seitens der Republik, wenig
später droht Haupt in einem Pressegespräch mit einem vorläufigen
Privatisierungsstop, da "die Einheit des Unternehmens, der Erhalt der
Forschung und Entwicklung in Österreich und eine Kernaktionärsstruktur"
nicht gesichert seien (derStandard-online 01.09.03). Tags darauf dann
doch die willfährige freiheitliche Zustimmung zu einem
Entschließungsantrag für das Privatisierungsprojekt, das Haider noch
wenige Stunden vorher abermals als "Schweinerei" bezeichnet hatte und
unverzüglich gestoppt haben wollte (derStandard-online 02.09.03, NEWS
Networld 02.09.03). Am Abend desselben Tages versuchte es dann Herbert
Haupt mit Schlitzohrigkeit: in einem ORF-Gespräch interpretierte er den
- inhaltlich unbestimmt gehaltenen und laut Verfassungsjuristen
rechtlich unverbindlichen - Entschließungsantrag dahingehend, dass
dieser eine Behaltegebot eines Staatsanteils von 25 % beinhalte - und
deutete damit die Kapitulation vor dem Koalitionspartner in einen Sieg
um. Tags darauf ließ die FPÖ diese Interpretation brieflich auch der
ÖIAG zukommen; zudem forderte sie zur Verblüffung des Koalitionspartners
einen Sonderministerrat, der die Leseart der FPÖ zur offiziellen
Regierungsinterpretation erheben soll - und Jörg Haider war’s zufrieden.
Schüssel hingegen sah erwartungsgemäß keinen Anlass für einen
Sonderministerrat … (derStandard-online 04.09.03).
Als weiterer Schritt der Rückkehr Haiders ins Zentrum der
Macht der FPÖ und der inneren Anspannung der Koalition wurde die
Ablöse von K. Schweitzer als "Regierungskoordinator" der FPÖ durch
Justizminister D. Böhmdorfer, Haiders Freund und anwaltlicher
Mitstreiter in diversen Einschüchterungsprozessen, interpretiert,
der auch sogleich dem Koalitionspartner attestierte, der FPÖ "Frust
bereitet" zu haben und laufende "Nachverhandlungen" des
Regierungsprogramms forderte (derStandard-online 10.09.03).
Nach außen hin gespenstisch ruhig in den Reihen der FPÖ
Koalition ist es dann zunächst nach den Landtagswahlen in
Oberösterreich und Tirol vom 28. September geblieben, bei denen die
FPÖ 60% ihrer Stimmen verloren hat und SPÖ (vor allem in OÖ) und Grüne
(vor allem in Tirol) stark zulegen konnten. Haider verspürt offenbar vor
den Kärntner Landtagswahlen weder Lust, die undankbare Rolle des Führers
des ohnmächtigen Juniorpartner der Regierungsmacht zu übernehmen, noch
den Mut, die Flucht nach vorne anzutreten und die Partei aus der
tödlichen Umarmung durch die ÖVP heraus in Neuwahlen zu führen. Er
will’s lieber wieder über den Kärntner Umweg versuchen: "Es
gibt nur eine Chance für die FPÖ: Am Erfolgsmodell Kärnten zeigen, wie’s
geht. Am Kärntner Wesen werden die Republik und die FPÖ genesen".
Ohne Frage ist aber der Druck auf die FPÖ, sich in der Koalition
gegenüber ihren Partner durch Widerspenstigkeit zu profilieren, noch
größer geworden. In diesem Sinne bekräftigte die FPÖ die Forderung nach
Vorziehen der Steuerreform und schoss sich erneut auf K.H. Grasser ein;
und Haupt ließ wissen, dass auch die Zustimmung der FPÖ zum "Herzstück"
(Schüssel) des Regierungsprogramms, der EU-Erweiterung, noch keineswegs
fix sei. Auch mit der inszenierten Harmonie der gemeinsamen Pressefoyer
der Koalitionspartei hat Haupt demonstrativ gebrochen
(derStandard-online 29.09.03, 30.09.03, News Networld 30.09.03). Laut
Format soll Schüssel Anfang Oktober postwendend mit dem Ende der
Koalition gedroht haben, falls die FPÖ auf Blockade umstelle (New
Networld 09.10.03).
Haider, den Zusammenbruch seine Lebenswerks vor Augen,
brach aber bald die Grabesruhe in der FPÖ: Im Gegensatz zur
Regierungsfraktion, die peinlichst um eine Vermeidung einer
Personaldiskussion bemüht war, erklärte er: "Die jetzigen Akteure …
haben (ihren) Kredit bei den Wählern aufgebraucht. Deshalb braucht die
Partei dringend neue Hoffnungsträger". Und während die formelle
Parteispitze die Krise der Partei zu einem Problem des Verkaufs
erklärte, geißelte Haider die "nicht mehr nachvollziehbare" thematische
und inhaltliche Arbeit (News Networld 02.10.03). Am 19. Oktober 2003 gab
Haider dann eine gemessen an seinen vorherigen Forderungen geringfügige
"Umstellung" der FP-Regierungsriege bekannt: Hubert Gorbach übernahm
das Amt des Vizekanzlers, und Haiders Schwester Ursula Haubner wurde
Herbert Haupt als geschäftsführende Parteivorsitzende zur Seite
gestellt, ansonsten wurde aber vorerst keine Änderungen in den Partei-
und Regierungsfunktionen vorgenommen. Offenbar müssen die Mohren bis zu
den Kärntner Landtagswahlen noch weiter ihre Schuldigkeit – Haider von
der undankbaren Regierungsarbeit entlasten und ihm den Platz für die
"Sanierung der Partei von Kärnten aus" frei halten – tun. Haider bleibt
also die graue Eminenz im Hintergrund und hat aber seine Schlüsselrolle
dadurch unterstrichen, dass er den Part des FPÖ-Chefverhandlers der
Steuerreform und damit das Kommando in einer zentralen
Auseinandersetzung mit Grasser und Schüssel übernommen hat.
Klimatisch setzt der neue Vize in der Koalition freilich auf
versöhnliche Symbolik: er will es wieder mit dem gemeinsamen Pressefoyer
versuchen (derStandard-online 20.10.03).
Im Dezember 2003 meldete sich Haider dann wieder einmal
in Sachen Irak und Sadam Hussein als Störenfried der Außenpolitik zu
Wort. Die wenige Tage zuvor erfolgte Festnahme Sadams sei ein
"ziemliches Betrugsmanöver", eine "Schmierenkomödie" der Amerikaner - es
könne sich ja schließlich "um einen seiner vielen Doppelgänger handeln".
Auf die Menschenrechtsverletzungen von Sadam angesprochen, rechnete er
diese gegen solche von George W. Bush auf, und gefragt nach der Rolle
Sadams als Diktator erklärte er: "Im Vergleich mit anderen Diktatoren im
Lebensraum bis China, Israel muss ich schon sagen, es fällt mir schwer ,
hier graduelle Unterschiede zu erkennen" (derStandard-online 16.12.03).
Wie schon früher im Falle des Nationalsozialismus keine Distanzierung,
keine Verurteilung, sondern indirekte Verteidigung durch Aufrechnung und
Verharmlosung durch unangebrachte Vergleiche. Der innenpolitische Preis:
Die Kärntner ÖVP schließt angesichts dessen "unbedachten Äußerungen und
braunen Rülpsern" dezidiert die Wiederwahl Haiders zum Landeshauptmann
aus. Rücktrittsaufforderungen von ÖVP und SPÖ sowie ein
Misstrauensantrag der SPÖ im Kärntner Landtag - seine Warteposition als
"Erster in Gallien" und seine Strategie, die Republik und die FPÖ "am
Kärntner Wesen genesen" zu lassen, sind damit in akute Gefahr geraten.
Im Gegenzug hat die FPÖ-Spitze (Haubner, Bleckmann)
angekündigt, der vermutlichen ÖVP-Präsidentschaftskandidatin
Ferrero-Waldner die Unterstützung zu entziehen (derStandard-online
18.12.03).
Die Affäre hinderte die Bundes-ÖVP freilich nicht daran, in
den folgenden Wochen mit Haider als FPÖ-Chefverhandler die zweite Etappe
der Steuerreform zu verhandeln und ihm am Beginn des Kärntner
Intensivwahlkampfs die Gelegenheit einzuräumen, sich als
kompromissfähiger Sachpolitiker darzustellen und Seite an Seite mit
Bundeskanzler und Finanzminister "die größte Steuerreform der zweiten
Republik" zu präsentieren. Kanzler Schüssel distanzierte sich sogar
offen von der Kärntner ÖVP: er halte die Festlegung, Haider nicht mehr
zum Landeshauptmann zu wählen, für "zumindest hinterfragbar, bevor seine
Majestät der Wähler gesprochen hat" (derStandard-online 16.01.04).
Allerdings haben sich auch einzelne Kärntner SPÖ-Bürgermeister entgegen
der offiziellen Parteilinie für eine Wiederwahl Haiders im Falle einer
FPÖ-Mehrheit ausgesprochen.
Beim offiziellen Wahlkampfauftakt der Kärntner FPÖ
am 11. Jänner 2004 in Klagenfurt, dessen bombastische Inszenierung die
vergangene Größe der FPÖ und deren Gallionsfigur "Cäsar Sisyphus" Haider
im Mittelpunkt rückte, gab Haider wieder einmal, gleichsam als
Startsignal für sein Kärntner Erlösungsprojekt für Österreich, eine
Kostprobe seiner Kampfrhetorik – mit Ausfällen gegen den schwarzen
"Privatisierungswahn", gegen "rote Raunzer" (übrigens eine Abwandlung
des in der ANR in den 1970er-Jahren gebräuchlichen Stabreims "rote
Rotzer!), gegen die Bundesbetreuung von AsylwerberInnen und gegen die EU,
wo "pensionierte Politiker in grenzsenilem Zustand (gemeint war wohl
Giscard d’Estaing) Verfassungen verordnen wollen" (derStandard-online
12.01.04).
Mittlerweilen werden aber auch von der ÖVP - mit der
Nominierung von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner als
Präsidentschaftskandidatin im Jänner 2004 - strategische
Weichenstellungen vorgenommen, die darauf abzielen, die bisher
bestehenden Hindernisse für das mögliche Come-Back Jörg Haiders in der
Bundespolitik auf höchster Ebene auszuräumen: Im Gegensatz zum
amtierenden Bundespräsidenten Thomas Klestil, der bekanntlich eine
Regierung von Haiders Gnaden immer abgelehnt und eine Bestellung Haiders
als Regierungsmitglied verweigert hat, definiert sich Ferrero-Waldner in
ihrem Wahlkampf hauptsächlich durch ihre Loyalität gegenüber Kanzler
Schüssel und ihre Rolle als "Kampflächlerin" in der Zeit der so
genannten "Sanktionen", erklärt, dass sie jede Regierung mit einer
parlamentarischen Mehrheit und einen Programm "mit einem freundlichen
Lächeln" abgeloben würde und auch gar nichts dabei fände, Jörg Haider
zum Minister zu bestellen - "warum nicht?" (derStandard-online
18.01.04).
Als sich dann im Jänner 2002 herausstellte, dass die von
der FPÖVP-Regierung für das Jahr 2004 beschlossene Aussetzung der
Pensionsanpassung in Verbindung mit den erhöhten Kranken- und
Freizeitversicherungsbeiträgen beim Großteil der ASVG-PensionistInnen zu
Netto-Pensionsverlusten im Vergleich zum Vorjahr geführt hat, und dies
einen im Vorfeld der Landtagswahlen für die Regierungsparteien
gefährlichen Sturm der Entrüstung bei den Betroffenen auslöste, war es
wiederum J. Haider, der nicht nur seine eigene Partei auf Widerstand
gegen die von ihr selbst mitzuverantwortende Maßnahme einschwor und
die ÖVP mit der Androhung einer Unterstützung eines
Oppositionsantrags auf Ausgleich der Verluste unter Druck setzte,
sondern auch in Kärnten höchstpersönlich eine spektakuläre, durch
Landtagsbeschluss nicht gedeckte und an die zweifelhafte Praxis des
Stimmenkaufs durch römische Volkstribune erinnernde Aktion zur
Verlust-Rückerstattung startete und mit dem ebenfalls mit dem Rücken
zur Wand wahlkämpfenden Salzburger ÖVP-Landeshauptmann Schausberger auch
gleich einen "Nachahmungstäter" fand (derStandard-online 08.02.04). So
blieb letztlich auch der Regierung nichts anderes übrig, als ihre – wie
Kanzler Schüssel betont hatte, ganz bewusst eingeschlagene –
Rentensparpolitik mit ihrer parlamentarischen Mehrheit zu korrigieren
(derStandard-online 25.02.04).
Anlässlich seiner berüchtigten Aschermittwoch-Rede, die
diesmal als Teil des Kärntner Wahlkampffinales in Traibach-Althofen
stattfand und die bereits notorischen Attacken gegen rote
Spitzenpolitiker (Ambrozy, Präsidentschaftskandidat Fischer) und gegen
die EU und das europäische "Bermuda-Dreieck" Blair, Schröder und Chirac
enthielt, stellte Haider dem Seniorpartner der Wendekoalition
abermals die Rute ins Fenster: ein Wahlsieg in Kärnten sei "ein
Signal für ganz Österreich, Änderungen in der Bundespolitik
durchzusetzen" (derStandard-online 25.02.04).
Während bei den Landtagswahlen am 7. März 2004 in
Salzburg die FPÖ abermals um über 11 % dramatisch verlor und die SPÖ
mit mehr als 13 % Gewinn einen überwältigenden Wahlsieg einfuhr, und zur
Landeshauptfrauenpartei geworden ist, ging in Kärnten Haider
wiederum leicht gestärkt vor der aufholenden SPÖ als Sieger aus den
Wahlen hervor, während nun die ÖVP einen dramatischen Einbruch um über 9
% erlebte (derStandard-online 08.03.04). Haider hatte in einer
strategischen Meisterleistung den Landeshauptmannbonus mit
populistischer Mobilisierung von SozialprotestwählerInnen gegen die von
ihm selbst maßgeblich mitbestimmte Bundespolitik, deutschkärntner
Volkstümelei und Europafeindlichkeit verknüpft. Ein Tag der Rache
Haiders an Schüssel, der Haiders Führungsposition in der FPÖ massiv
untermauert und sein bundespolitisches Gewicht gegenüber Schüssel
deutlich verstärkt hat
(Profil 11.03.04).
Aber auch die Zeit des Offenbarungseids für die SPÖ:
Die Partei, die mit dem Ziel, Haider als Landeshauptmann zu stürzen, in
die Wahl gezogen war, kroch, ohne auch nur mit den anderen Parteien über
Alternativen Gespräche zu führen, nach dem Verfehlen ihres Ziels zu
Kreuze und erklärte sich zur Koalition mit der FPÖ und zur Duldung der
Wiederwahl Haiders zum Landeshauptmann bereit. Obmann Ambrozys
entlarvende Begründung dafür: "Es hat immer schon in Sachfragen kaum
eine Trennungslinie mit der FPÖ gegeben". Verblüffend ehrlich, hatte
doch auch die SPÖ seinerzeit einen Vorsitzenden (Wagner), der sich als
"hochgradiger Hitler-Junge" geoutet hatte und bis zuletzt Haiders
rechtswidrige Haltung in der Ortstafelfrage mitgetragen
(derStandard-online 13.03.04, 14.03.04). Tags darauf betonte auch
Parteivorsitzender Gusenbauer in einem ZIB2- Interview wie dereinst im
Jänner 2000 W. Schüssel, man dürfe "niemanden von vorne herein
ausschließen" und müsse andere Parteien nach ihrem "Verhalten"
beurteilen, und er sah auch auf Bundesebene keinen anderen Grund mehr
für eine Distanzierung von der Haider-FPÖ als deren "unsoziale Politik":
"ordentliche Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches", Ehrenerklärung
an SS-Veteranen, antisemitische Attacken gegen Muzicant? – aus dem
Protokoll gestrichen! Rassistische Ausfälle gegen MigrantInnen und
AsylwerberInnen, Ignoranz des Verfassungsgerichtshofs, Aufwartung beim
Massenmörder Sadam Hussein? – vergessen! Das Rot-Blaue Machtkartell in
Kärnten ist mehr als eine regionale Episode. Es signalisiert die Abkehr
von der nach dem Februar 2000 zunächst sehr erfolgreich (z.B. bei den
Wiener Wahlen 2001) beschrittenen Weg, eine Kooperation mit der durch
Haider verkörperten extremen Rechten weiterhin konsequent zu verweigern
und verlorenes Vertrauen der WählerInnen durch eine Rückbesinnung auf
unter Vranitzky und Klima zu wenig beachtete sozialdemokratische
Grundsätze, durch positive Akzente im Bereich der Integrationspolitik
und durch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit eigenen
Versäumnissen im Umgang mit der NS-Vergangenheit wiederzugewinnen. Ab
sofort soll die "Rückholung" ehemaliger FPÖ-WählerInnen nicht mehr
(nur) über politische Inhalte, sondern (auch) über die öffentlich zur
Schau gestellt Verbündung mit dem Idol des "kleinen Mannes" Jörg Haider
laufen. Das Kärntner Bündnis signalisiert das definitive Ende der
grundsätzlichen Abstinenz der SPÖ von der Haider-FPÖ und die
Entschlossenheit der Partei, Grundsätze, die den machtstrategischen
Handlungsspielraum behindern, in opportunistischer Weise als "Ballast"
über Bord zu werfen. Haider seinerseits kann triumphieren, ist es
ihm doch auf dem Umweg über Kärnten nun auch gelungen, seine Isolation
durch die große Oppositionspartei zu durchbrechen. Nach der ÖVP macht
sich damit nun auch die SPÖ zum Mitverantwortlichen für die
Verallgemeinerung eines Klimas der rückwirkenden Verharmlosung des
Nationalsozialismus, der Akzeptanz von Fremden- und
Minderheitenfeindlichkeit und der Geringschätzung von
Rechtsstaatlichkeit. "Linke" Mitglieder, FunktionärInnen und
Teilorganisationen der SPÖ scheinen sich damit freilich nicht
widerspruchslos abfinden zu wollen. Massive Kritik auch von Seiten
Grünen, der Opfer des Nationalsozialismus, von Widerstandsinitiativen
gegen Schwarz-Blau (Republikanischer Club), sowie von Seiten der
deutschen, der französischen und der europäischen Sozialdemokratie - für
SPÖ-Clubobmann Cap ein Anlass, sich wie Schüssel und Westenthaler im
Februar 2000 "Zurufe aus dem Ausland" zu verbitten. Hingegen
spöttisch-herablassende Kenntnisnahme des Richtungswechsels durch die
ÖVP und triumphierende Genugtuung darüber bei der FPÖ: Mit der
FPÖ-SPÖ-Koalition in Kärnten, so Jörg Haider auf einer
FPÖ-Funktionärskonferenz, hätten die
"Ausgrenzer" in der SPÖ ihr "Waterloo" erlebt, auch auf Bundesebene sei
damit ein "neues Kapitel" aufgeschlagen - "Der antifaschistische Zirkus
wird sich langsam erübrigen" (derStandard-online 28.03.04).
Ein eilig einberufener Parteivorstand der Kärntner SPÖ hat
am Abend des 18. März 2004 die Koalition mit der FPÖ allerdings mit
deutlicher Mehrheit bestätigt. Angesichts der Empörung im Teilen ihrer
AnhängerInnen und FunktionärInnen war man in der Bundespartei um
Beruhigung bemüht: Bundesgeschäftsführerin Bures versicherte, dass es
bei der Frage der NS-Zeit darum gehe, eine klare Distanz zur "braunen
Vergangenheit" einzunehmen, das habe Haider bisher vermissen lassen. Es
gebe deshalb auch "keinen Anlass die Einschätzung über die
problematische Rolle, die Haider in der österreichischen Innenpolitik
spielt, neu zu überdenken". Daher bleibe Kärnten ein Sonderfall und habe
über die Landesgrenzen hinaus keine Bedeutung auf die Bundesebene (APA
OTS 20.03.04). Ähnlich auch Vorsitzender Gusenbauer, der in der Folge
weiterhin auf die "unsoziale Politik" der ÖVP-FPÖ-Koalition verwies,
ohne eine Koalition mit der Haider-FPÖ prinzipiell auszuschließen
(derStandard-online 25.03.04). Angesichts der Kärntner Tatsachen kaum
genug, um das erschütterte Vertrauen in die Grundsatztreue wieder
herzustellen.
Angesichts der fortgesetzten Debatten innerhalb und
außerhalb der Partei erfolgte dann, nach der Wahl Haiders zum
Landeshauptmann in Kärnten, am 1. April 2004 der Versuch einer
deutlicheren Klarstellung seitens des Präsidiums der Bundes-SPÖ.
Die Kärntner blau-rote Koalition habe "keinerlei
Präzedenzwirkung für die Bundesebene". Als Begründung dafür wird zwar
einerseits wiederum lediglich auf die "unsoziale Politik" der
ÖVP-FPÖ-Koalition verwiesen, die "durch eine verfehlte
Wirtschaftspolitik, die Rekordarbeitslosigkeit verursacht, eine
undifferenzierte Belastungspolitik, die den sozialen Zusammenhalt
gefährdet sowie eine Ausverkaufspolitik, die österreichisches Eigentum
ohne Not und zum Schaden des Landes veräußert" gekennzeichnet sei. Das
Präsidium stellt aber auch klar, dass sich an der politischen
Bewertung der FPÖ aus grundsätzlichen politischen Gründen angesichts der
Regierungspraxis der schwarz-blauen Koalition nicht das Geringste
geändert habe (derStandard-online 01.04.04). Es bleibt jedoch als
Ergebnis dieser Episode festzuhalten, dass es in der Partei und ihrer
AnhängerInnenschaft große Sympathien für eine Kooperation in der SPÖ
gibt. Erst die Attacken Haiders gegen den "Vaterlandsverräter" Swoboda
im Europawahlkampf im Mai 2004 (s. oben, S. 141) bedeuteten das
endgültige (?) Ende der frivolen FP-SP-Koalitions-Strategiespiele:
Gusenbauer erklärte, dass Haider sich damit "außerhalb des Rahmens
demokratischer Verhältnisse" bewege und aus dem "politischen
Kooperationsverhältnis" herausgenommen habe, und dass ein weiteres
"Spargelessen" für ihn nicht mehr vorstellbar sei (derStandard-online
28.05.04). Im November 2004 kündigte SP-Klubobmann J. Cap einen
formellen Parteitagsbeschluss mit dem Kernsatz an: "Keine Koalition mit
einer rechtspopulistischen FPÖ" (News Networld 17.11.04). Der Antrag
wurde am SPÖ Bundesparteitag am 30. November 2004 mit großer Mehrheit
angenommen (derStandard-online 30.11.04).
Auch in der Endphase des Bundespräsidentenwahlkampfes
spielte die Frage der Haltung zu Jörg Haider eine wichtige Rolle.
ÖVP-Kandidatin Ferrero-Waldner profilierte sich bei einem FPÖ-Hearing in
Kärnten als Person, die ja bereits praktisch bewiesen habe, dass sie
"niemanden ausgrenze" (derStandard-online 13.04.04). Der von der SPÖ
unterstützte Präsidentschaftskandidat Heinz Fischer ließ sich
unmittelbar nach der Kärntner Koalitionsentscheidung am Rande einer
Pressekonferenz die Aussage entlocken, dass er ein Bündnis mit einer
Person wie Haider nicht "goutiere" (derStandard-online 18.03.04).
Bei einem Hearing der FPÖ bekannte er sich aber immerhin zur
Abgrenzung von der FPÖ wegen Jörg Haider’s Verteidigung der
"ordentlichen NS-Beschäftigungspolitik" oder Stadler’s Gleichsetzung der
Zeiten vor und nach Mai 1945 (derStandard-online 20.04.04). Ob er
als amtierender Bundespräsident Jörg Haider als Regierungsmitglied
angeloben würde oder nicht, darauf wollte aber auch er sich partout
nicht festlegen.
Nach dem neuerlichen Rekordverlusten der FPÖ bei den -
durch J. Haider emotionalisierten - Europawahlen im Juni 2004 wurde in
der mehr und mehr auf ihre "rechtsextremen Element" (EU-Weisenbericht)
reduzierten FPÖ wieder einmal der Ruf nach Jörg Haider oder einer
anderen stramm-rechten Lichtgestalt an die Parteispitze (Mölzer), ja
sogar nach einer "Neugründung" (Strache) und nach einem Überdenken der
Regierungsbeteiligung (Strutz) laut (derStandard-online
13./14.06.04, ORF ON 14.06.06). Paradoxerweise schwört sich die FPÖ umso
hartnäckiger auf Haider und rechts-nationalistische Politik ein, je mehr
und nachhaltiger sie auf dieser Linie Stimmen verliert. Damit besteht ab
sofort wieder akute Gefahr in Verzug für Schwarz-Blau II.
Haider selbst freilich winkte ab: er wolle weder zurück an
die Parteispitze noch zu einer rechten Partei strammer Ideologen; er
stehe vielmehr für die rechtspopulistischen, national-sozialen Kurs der
Öffnung zum "kleinen Mann" sowie zur Fortsetzung der Wendekoalition.
Allerdings müsse das Reformtempo reduziert und die Sozialverträglichkeit
gesteigert, das Regierungsteam umgebildet und evtl. auch das
Koalitionsübereinkommen umgeschrieben werden. Am 15. Juni kürte der
Parteivorstand dann einstimmig
Haiders Schwester Ursula Haubner zur Obfrau, und diese holte
postwendend Jörg Haider in ihr "Team der besten Köpfe"
(derStandard-online 16.06.06). ER ist nun also bundespolitisch auch
offiziell "wieder da", das FP-Regierungsteam noch enger an die von IHM
maßgeblich vorgegebene Parteilinie gekoppelt - und die Koalition unter
noch höherem inneren Spannungsdruck.
Am 25. Juni 2004 präsentierte dann die designierte
Parteiobfrau Haubner die neuen Regierungsmitglieder. Ausgetauscht
wurden nicht, wie erwartet (und im Falle Haupt sogar öffentlich
angekündigt), Sozialminister Haupt und Staatssekretär Schweizer, sondern
Justizminister Böhmdorfer und Gesundheits-Staatssekretär Waneck. Der
eigenwillige und für die Regierung schwer kalkulierbare Minister wurde
durch Karin Miklautsch, eine politisch bisher nicht in Erscheinung
getretene und nicht der FPÖ angehörige Juristein im Kärntner
Landesdienst. Laut der designierten Parteiobfrau Haubner eine
"frauenpolitische Ansage".
Neuer Staatssekretär wurde Eduard Mainoni, bisher Nationalrat und
Verkehrssprecher der FPÖ und engagierter "Knittelfelder", und zwar im
Infrastrukturministerium (derStandard-online 25.06.04). Gemessen an
diesem Ergebnis waren die tosenden Runderneuerungsankündigungen der Tage
davor viel Lärm um nichts. Entsprechend enttäuscht auch die Parteirechte
um Mölzer und Stadler, die nun darauf verwiesen ist, ihren Einfluss über
Parteipositionen sicherzustellen. E. Stadler, FP-Volksanwalt und
berüchtigter Sonnwendfeuerredner ("angebliche Befreiung 1945"), hat
bereits seine Kandidatur angemeldet (derStandard-online 30.06.04). Der
für den 3. Juli 2004 vorgesehene Erneuerungs-Sonderparteitag verspricht
so zum show-down zwischen rechtsextremistischen Fundis und
rechtspopulistischen Realos zu werden.
Die KontrahentInnen konnten sich im Vorfeld in hektischen
Beratungen dann doch noch auf einen Kompromiss verständigen: Der
Wiener Exponent der Parteirechten Strache und der oberösterreichische
Vertrauensmann Haubners Steinkellner wurden als Obfrau-Stellvertreter
und der Kärntner Haider-Schützling und Knittelfelder U. Scheuch als
Generalsekretär nominiert, und Stadler konnte durch das Angebot der
Leitung der Parteiakademie und der Kooptation in den Vorstand von einer
Kandidatur als Vizeobmann abgebracht werden (derStandard-online 03.
07.04). Ende August wurde dann auch der einzige verbliebene
EU-Abgeordnete Mölzer in den Parteivorstand kooptiert
(derStandard-online 25.08.04). So konnte der Vormarsch der "extremen
Elemente" in der Partei ohne offenes Kräftemessen relativ unauffällig
erfolgen.
Erste inhaltliche Kampfansage Haiders: Die
Pensionsreform bedürfe "für die Masse der ASVG-Versicherten … noch
einmal einer sozialen Korrektur". H. Haupt, selbst ressortzuständig für
die Pensionsreform, sekundierte prompt: es sie sinnvoll, "endlich
Gerechtigkeit herzustellen" (derStandard-online 17.06.06).
Die politische Debatte um die Pensionsharmonisierung im
Juli 2004 bot dann der FPÖ Gelegenheit, ihre Ankündigung umzusetzen und
einmal mehr zum Zweck der Eigenprofilierung und zum Ärgernis des
Koalitionspartners das bereits erprobte Doppelspiel von Regierung und
Opposition zu praktizieren: 1. Spielzug: Schüssel, Bartenstein,
Haubner und Haupt präsentieren eine scheinbar gemeinsame
Regierungsvorlage und feiern sie als "großen Wurf". 2. Zug: nachdem die
Opposition die Hauptschwächen des Entwurfs - u.a. das empfindliche
Abschlagssystem für SchwerarbeiterInnen bei vorzeitigen Pensionsantritt
- aufgedeckt und Schüssel den Entwurf als im Kern nicht mehr
verhandelbar erklärt hat, versuchen Scheuch und Haider, den Widerstand
für sich zu vereinnahmen, erklären den Entwurf zur bloßen
"Verhandlungsgrundlage" und fordern ultimativ die Rücknahme der
Abschläge (derStandard-online 12.07.04 – 18.07.04). Daraufhin gab sich
auch der ÖAAB kämpferisch, und so mussten die Verhandlungen auf
Regierungsebene wieder aufgenommen werden. Erst am 7. September 2004
konnte sich die Regierung auf eine Gesetzesvorlage mit einer
schonenderen Schwerarbeiterregelung einigen (derStandard-online
07.09.04).
Im September 2004 benutzte Haider dann einen Rohbericht des
Rechnungshofes, in dem überteuerte und nicht Richtlinien-konforme
Auftragsvergaben seitens des Hauptverbandes der
Sozialversicherungsträger im Zusammenhang mit der Einführung der
Chip-Karte angeprangert wurden, zur Profilierung auf Kosten der
eigenen Regierung (derStandard-online 06.09.04).
Als die FPÖ dann bei den Vorarlberger Landtagswahlen
am 19. September 2004 den bisher stärksten Stimmenverlust hinnehmen
musste, sah J. Haider abermals das Heil in der Rückkehr zum von ihm
bestimmten Kurs vor der Regierungsbeteiligung:
Die "alte Politik von 1986 bis 1999" müsse wieder belebt werden. Es
sei kein Wunder, dass der andere Koalitionspartner Wahlen gewinne, wenn
man selbst ein "liebevoller Koalitionspartner" sei (derStandard-online
20.09.04).
Die erste Gelegenheit für diesen Schritt zurück in die
Zukunft bot dann die Verhandlungen des Gesundheitspakets im
Oktober/November 2004: Wie die SPÖ so sprang auch die FPÖ von dem
bereits zwischen Bund und Ländern paktierten auch einnahmeseitige
Maßnahmen beinhaltenden Vorhaben ab: es dürfe keine zusätzlichen
Belastungen geben. Letztendlich wurden die Gebührenerhöhungen in
abgemilderter Form aber doch vom Ministerrat beschlossen
(derStandard-online 27. – 31.10.04, 11.11.04) und am 9. Dezember 2004
vom Nationalrat verabschiedet (derStandard-online 09.12.04).
Nächster Fall: die geplante Abänderung der
Einlagensicherung im Konkursfall im Bankwesengesetz im Dezember 2004,
derzufolge der gesicherte Vermögensbetrag zwar von 20.000.- auf 30.000.-
Euro erhöht, dafür aber ab einer Höhe von 7.000 .- Euro ein
SparerInnen-Selbstbehalt von 10 % eingeführt werden sollte – ein klarer
Nachteil für die/den "kleine SparerIn": Haider erklärte, die FP werde
hier nicht mitziehen, und prompt verweigerten die FP-MinisterInnen
Miklautsch und Haupt im Ministerrat ihre Zustimmung (derStandard-online
21.12.2004).
Seit Anfang 2005 häuften sich in den Medien wieder einmal
die Spekulationen um eine Rückkehr Haiders in die Bundespolitik – sei
es an der Spitze der FPÖ, sei es als Gallionsfigur einer neuen Partei
(derStandard-online 12.01.05, News Networld 20.01.05, ORF ON 22.01.05).
Tatsächlich wurde dann aber beim Neujahrstreffen der FP am 23. Jänner
2005 andere Weichen gestellt: Haiders Schwester Ursula Haubner ist ab
sofort nicht nur BPO, sondern auch Sozialministerin, und der bisherige
Sozialsprecher der FPÖ, der Kärntner Sigisbert Dolinschek
Sozialstaatssekretär. Ansonsten war das Treffen vom Aufrufen zur
Einheit, zur Besinnung auf die FPÖ-Kernthemen und von Versuchen der
Abgrenzung gegenüber dem Regierungspartner durch Angriffe gegen Schüssel
und die ÖVP geprägt (derStandard-online 24.01.05).
Nachdem die FPÖ am 7. März 2005 bei den
niederösterreichischen Gemeinderatswahlen erneut mehr als
halbiert worden und von 7,9% auf 3,3% Stimmenanteil und damit hinter die
Grünen (Zunahme um 1,3 % auf 3,8 %) zurückgefallen war, kam es erneut zu
einer Krisensitzung des FP-Bundesvorstands in Klagenfurt. Nachdem die
bisherige Strategie der Einbindung der extremen Partei-Rechten
Gudenus, Mölzer, Stadler und Strache, wurde nun die entgegengesetzte
Strategie erprobt: Nach einer stundenlangen nächtlichen Sitzung wurden
die Rechtsextremen zwar nicht, wie von Haider ventiliert, im Zuge einer
Neugründung aus der Partei entfernt, die "Störenfriede" wurden aber
immerhin aufgefordert, den Parteivorstand zu verlassen, und sie
haben dies auch – "freiwillig", wie die Betroffenen betonten – getan.
Gleichzeitig wurde ein sechs-köpfiges Gremium, bestehend aus Gorbach,
Haider, Haubner, Kabas, Scheibner und Scheuch, eingesetzt, um die
Neuorientierung der Partei vorzubereiten (ORF ON 08.03.05). Im Vorstand
der "FPÖ neu" (Haubner) hat so nunmehr die Regierungsfraktion das Sagen,
die Partei selbst bleibt freilich rechtsextrem durchwachsen. Die Spitze
kann nun bis auf weiteres geschlossener agieren, aber auch die rechten
IdeologInnen können sich nun noch unbekümmerter und unbelasteter gegen
die rechten "PragmatikerInnen" profilieren, und die Kluft zwischen
Teilen der Parteibasis und -spitze ist wieder so groß wie zu
Riess-Passers Zeiten vor dem Ende der ersten Wendekoalition.
Als Stadler und Strache dann am Dienstag die Vorgangsweise
Haiders und der Regierungsfraktion mit bissigem Hohn kommentierten (sie
wollten dem "Haider-Dream-Team nicht im Wege stehen" und erwarteten sich
nun "Wahlerfolge am laufenden Bande"), preschte Haider erneut vor und
erklärte in einem Mediengespräch, dass die FPÖ nun doch neu gegründet
werden soll, um "bestimmte Gruppen hinter sich zu lassen".
Das gesamte Regierungsteam und die
Führungsspitze der Partei sowie die überwiegende Mehrheit des
Freiheitlichen Parlamentsklubs würden in die neue Partei übertreten.
Auch die Mehrheit der Landesgruppen werde dies unverzüglich geschlossen
tun. Damit werde auch der Fortbestand der schwarz-blauen Koalition
"sichergestellt sein". (APA OTS 08.03.05, derStandard-online
08.03.05,ORF-ON 08.03.05). Am Abend des 8. März schob Haider dann in
einem ORF-Interview zur Bekräftigung seiner Forderung die Drohung nach,
dass sich andernfalls "in absehbarer Zeit etwas ereignen" werde, nämlich
die Gründung einer "neuen Bewegung in Österreich, die den Menschen
Antworten auf ihre Fragen gibt": Also Spaltung der FPÖ, wenn nicht
durch Neugründung und Trennung von den ideologischen
"FundamentalistInnen", dann durch Auszug der pragmatischen PopulistInnen
– die Partei hat die Wahl.
Tags darauf dann doch wieder anders: Neugründung nur
dann, wenn die Neuorientierung mit klaren Vorgaben unter dem Motto
"Arbeit schaffen" und einem autoritativen Durchgriffsrecht der
Parteiführung an einem Sonderparteitag Ende April keine Mehrheit findet
(derStandard-online 09.03.05).
Bemerkenswert an diesem für die FPÖ durchaus normalen Drama
ist die Selbst-Positionierung Jörg Haiders. Der bisherige
Hauptstörenfried schlüpft in die Rolle des Friedensmissionars, der Mann,
der den Nationalsozialismus verharmlost, der SS-Traditionalisten seine
Ehrerbezeugung erwiesen, Sadam Hussein bewundert und in zynischer Weise
mit antisemitischen und fremdenfeindlichen Gefühlen gespielt hat, und
der der slowenischen Minderheit hartnäckig ihre verfassungsmäßigen
Rechte verweigert, geriert sich als Vorkämpfer gegen rechte Ideologie.
Wie auch immer: die 2002 in Knittelfeld in Gang gesetzte
Selbst-Dezimierung und Selbst-Zerstörung der FPÖ durch die Wendung der
für sie charakteristischen Ausgrenzungsdynamik nach innen treibt einem
neuen Höhepunkt entgegen. Mittlerweile rüsten die KontrahentInnen für
das möglicherweise finale Show-Down: die einen, Haider und Co., mit dem
Programmentwurf "Arbeit schaffen", die anderen, Strache und Co., mit
einem Gegen- bzw. Ergänzungsentwurf (derStandard-online 10.03.05) und
mit einem wehleidig-vorwurfsvollen Brief gegen J. Haider: "Du hast
bewährte Mitstreiter missbraucht und verraten … , dich wiederholt vor
der Führungsverantwortung gedrückt und die Gesinnungsgemeinschaft … der
Lächerlichkeit preisgegeben") (derStandard-online 11.03.05). Der Brief
hat Haider offenbar so beeindruckt, dass er sich unter der
Voraussetzung, dass "die Führungsmannschaft dies geeint wolle" und ihm
das geforderte "Durchgriffsrecht" eingeräumt wird, zur Übernahme der FPÖ
bereit erklärt hat (der Standard-online 12.03.05).
Dann am 17. März ein weiterer Knalleffekt in der FPÖ: Die
FPÖ Kärnten gab bekannt, Mölzer, der die Vorgehensweise von Haider und
der Bundespartieleitung mit höhnischen Kommentaren bedacht hat, aus der
Landesorganisation ausgeschlossen zu haben, und Haubner kündigte seinen
Ausschluss auf Antrag Kärntens aus der Bundespartei an – wohlgemerkt
nicht wegen extremer Rechtsabweichung und Nationalismus (Haider: die
nationale Linie sei ja bei ihm "selbst in guten Händen"), sondern wegen
"parteischädigenden Verhaltens", sprich wegen - in einer sich zunehmend
autoritär gerierenden Partei ungebührlicher - Kritik an der Führung und
deren Kurs. Mölzer hat seinerseits Berufung und gerichtliche Schritte
gegen diese Entscheidungen angekündigt (derStandard-online 17.03.05).
Dann weiter Schlag auf Schlag: Mölzer-Freunde in der
Kärntner FPÖ sammeln Unterstützungserklärungen für Mölzer, der Wiener
Frontmann Strache kritisiert den Ausschluss, erklärt sich zur Kandidatur
bereit, und seine Landespartei beantragt bei der Bundespartei eine
Prüfung der Frage, ob nicht Haiders Drohung, eine neue Partei zu
gründen, ihrerseits "parteischädigendes Verhalten" darstellt. Dann
erklärt Schöggl, der Vorsitzende der bei den Gemeinderatswahlen am 13.
März ebenfalls schwer geschlagenen steirischen FPÖ, seine Landesgruppe
wünsche sich Haider als BPO, aber bereits Stunden später wird dies von
anderen steirischen Freiheitlichen als "persönliche Meinung" relativiert
und dementiert; dann in der ORF-talk-show "offen gesagt"
FP-Generalsekretär Scheuch für Haider und Mölzer für Strache als
zukünftigen FP-Chef (ORF ON 18. – 20.03.05).
Dazwischen aber auch direkte Kontakte zwischen den
Galionsfiguren der beiden Fronten, Strache und Haider zur Sondierung der
Möglichkeiten eines "Schulterschlusses" (derStandard-online 22.03.05),
Stimmen aus Wien, die die Flöhe wieder im Sack und Haubner weiter als
Parteiobfrau haben wollen (derStandard-online 23.03.05).
Dann wieder weiter in der Mobilmachung gegeneinander:
Scheibner für Haider oder Haubner und gegen Strache, ein Plädoyer vierer
prominenter Altvorderer gegen den Ausschluss von Mölzer, und die
Ankündigung Straches, im Vorstand der Bundespartei am 29. März einen
Antrag gegen den Ausschluss Mölzers einzubringen (derStandard-online 24.
– 28.03.05).
Am 29. März dann die ominöse Vorstandssitzung in
Abwesenheit von Jörg Haider, mit einem Auszählungsergebnis von 15:7
Stimmen und einer (eigentlich als Ablehnung des Ausschlusses gemeinten)
Stimmenthaltung für einen Ausschluss Mölzers. Das waren zwar nicht zwei
Drittel der abgegebenen Stimmen, aber zwei Drittel der Voten, und das
reicht nach Meinung eines Parteijuristen für den Ausschluss. Knapper
hätte wohl das Ergebnis nicht ausfallen und deutlicher die innere
Zerrissenheit der Partei nicht demonstriert werden können. Trotz des
Pyrrhussieges am grünen Tisch helles Entsetzen bei der
Regierungsfraktion. Mölzer wollte das natürlich nicht hinnehmen und hat
eine Berufung beim Parteigericht angekündigt und Anwälte damit
beauftragt, die Möglichkeit zu prüfen, bei einem ordentlichen Gericht
eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Auch Strache und Stadler
äußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses und ihre
Enttäuschung darüber.
Aber auch das Wettrüsten um den Parteivorsitz und der
Spaltungsprozess der FPÖ gingen in die nächste Runde: Während sich eine
entnervte Haubner Bedenkzeit für ihre evtl. Wiederkandidatur ausbat und
Kärntens Strutz wieder eine "neue Bewegung" in den Raum stellte und
Haider davon abriet zu kandidieren - er wolle nicht zulassen, dass
Haider in den FPÖ-internen Konflikt hineingezogen wird – empfahl sich
Strache mit einem Parteitags-Antrag mit dem Titel ""Zurück zu den Werten
- hin zu den Menschen" für höhere Partei-Weihen (derStandard-online
30.03.05). Auch das Szenario einer Spaltung – "FPÖ Neu" unter Haider und
"FPÖ Alt" unter Strache – stand wieder im Raum. Weichenstellungen in
diese Richtung hatte man auf den Landesparteitagen im Vorfeld des
Bundesparteitags am 14. April erwartet(ORF On 01.04.05, der
Standard-online 02.04.05).
Tatsächlich ging
aber alles noch schneller – Gorbach, Haider, Haubner, Scheibner und
Scheuch präsentierten bereits am 4.April in Wien ihr
Neugründungsprojekt:
Haubner legt den Vorsitz der FPÖ zurück, die Spitze der FPÖ verlässt die
Partei und gründet eine neue "Bewegung" namens "Bündnis Zukunft
Österreich" (BZÖ), deren Führung soll Jörg Haider übernehmen. Mit
diesem Zug gelang es Haider, seine Kontrahenten um Strache, mit dem er –
offenbar um ihn in falscher Sicherheit zu wiegen - noch 14 Tage zuvor
mit Unterschrift einen Pakt über die Einheit der Partei und eine Teilung
der Funktionen geschlossen hatte, völlig zu überrumpeln. Als Grund für
die Spaltung nannte Haubner, dass die "zerstörerischen Kräfte" in der
FPÖ den von ihr gewollten "Schulterschluss" verweigert hätten. Alle
freiheitlich gesinnten Personen seien eingeladen, in der neuen Bewegung
mitzuarbeiten. Rasch verbreitete sich der Spaltpilz daraufhin in den
Landesorganisationen: Kärnten und OÖ schlugen sich auf die Seite des
BZÖ, Wien und Niederösterreich auf die Seite der Alt-FPÖ, die anderen
waren zu überrascht, um sofort zu reagieren. Der schwarze Peter des
interimistischen Vorsitzes der alten FPÖ fiel statutenmäßig auf das
älteste Vorstandsmitglied, Hilmar "Hump-Dump" Kabas (derStandard, ORF On
04.04.05).
Das BZÖ ist
laut Gründungsstatut offen für alle "Personen,
Vereine und Organisationen im Sinne des Parteiengesetzes", die sich "zu
einer wertorientierten, sozialen, freisinnigen, heimatbewussten Politik
bekennen, in deren Mittelpunkt der Mensch steht" – eine Allerweltsformel
mit durchaus FPÖ-bodenständigen, nationalen Hintergrund. Der
Bündnisobmann hat weitgehende Befugnisse: er vertritt das Bündnis nach
außen und hat die Letztentscheidung über Europaparlaments- und
NationalratskandidatInnen und ein Mitspracherecht bei Landtagslisten.
Für den Parteiausschluss eines Mitglieds oder Funktionärs genügt ein
einfacher Mehrheitsbeschluss des "Bündnisteams", des Leitungsgremiums
des BZÖ, bei einer Anwesenheit von mindestens 50 % (Wiener Zeitung
06.0405). Insgesamt ergibt sich das Erscheinungsbild einer trendy
gestylten, (rechts-)populistisch orientierten, schlanken und flexiblen
und durch die Obfrau oder den Obmann leicht steuerbaren Organisation.
Der Steuermann und seine Crew werden nicht müde zu betonen, ihr Blick
sei "in die Zukunft" gerichtet – um sich von der
"vergangenheitsorientierten" Alt-FPÖ abzugrenzen, um aber auch von der
eigenen dunklen, rechtsextremen Geschichte abzulenken. Dass die
FPÖ-Neu bzw. das "BZÖ" und die Regierung nach Vollzug der Spaltung zur
Ruhe kommen, ist freilich unwahrscheinlich, dann einerseits steht mit
den Vorarlberger Gemeinderatswahlen der erste Dämpfer unmittelbar bevor,
andererseits kann man davon ausgehen, dass auch das Spaltprodukt der im
Prozess der Implosion befindlichen Ausgrenzerpartei FPÖ vom Spaltpilz
infiziert ist, und mittelfristig noch heftig unter dessen Wucherungen
leiden wird.
Wie dem auch sei: am
17. April fand in Salzburg der Gründungskonvent statt. Gleichsam per
acclamationem wurden in offener Abstimmung Haider zum Obmann, Gorbach
zum geschäftsführenden Obmann und Justizministerin Karin Miklautsch
sowie die Wiener FPÖ-Abtrünnige Heike Trammer zu stellvertretenden
Vorsitzenden gekürt. Auch ein Programm hat sich das BZÖ gegeben –
mit Bekenntnissen
·
zu "soviel Freiheit wie möglich" und gegen die
"menschenverachtende Systeme des 20. Jahrhunderts (Nationalsozialismus,
Faschismus und Kommunismus)",
·
zu einem "fürsorglichen und ordnenden Staat", der
den "missbrauchsanfälligen Sozialstaat" zu einem "sozialen Netz nach dem
Vorbild der Familie" umgestaltet, der die Rahmenbedingungen einer
"freien Wirtschaft" sichert und durch eine "differenzierte Flat Tax"
Leistungsanreize schafft und der die heimische Wirtschaft vor unfairem
Wettbewerb in der globalisierten Wirtschaft – z.B. durch
"Billigproduktion durch Kinderarbeit" oder "Umweltzerstörung" – schützen
soll,
·
zur steuer- und sozialrechtlichen Förderung der
Familie "als Ort der Geborgenheit und des geistig-seelischen
Ankerplatzes für Kinder",
·
zu "Heimatschutz" durch effiziente
Strafverfolgung, eine moderne Sicherheitsexekutive, "rasch einsetzbare
Streitkräfte" und Schutz der lebenswichtigen Infrastruktur,
·
zur Erhaltung und Sammlung des kulturellen Erbes
sowie zur Bewahrung und Pflege der deutschen Sprache sowie der
autochtonen Volksgruppensprachen" und
·
zu Erweiterung und Vertiefung der EU (BZÖ
18.04.05).
Ein bisschen Wettbewerb und Steuerparadies für Neoliberale,
ein bisschen Nestwärme und Globalisierungskritik light für den kleinen
Mann, ein bisschen Traditionspflege für die Nationalen, und ein
(Lippen-) Bekenntnis zur EU für den Koalitionspartner und misstrauische
Partnerstaaten – und keine rechtsextreme Terminologie.
Zwei Tage später wurde freilich offenbar, dass das Spaltprodukt BZÖ
nicht so sehr auf Gesinnungswandel, als vielmehr auf
unter-den-Tisch-Kehren einschlägiger Überzeugungen beruht: Siegfried
Kampl, Kärntner BZÖ-Mitgänger, Bundesrat und ab Juli 2005 dessen
Vorsitzender, bekannte sich in einem Interview zu einer Auffassung, die
er bereits zuvor anlässlich der Debatte über Wehrmachtsdeserteure im
Bundesrat kundgetan hatte: Wehrmachtsdeserteure seien
"Kameradenmörder", und nach dem Krieg hätte es eine "Naziverfolgung"
gegeben (derStandard-online 19.04.05). Hinter der Maske des vorwärts
gewandten "Zukunftsbündlers" das hässliche Gesicht des ewiggestrigen
Verharmlosers und Verdrehers der Rollen von Tätern und Opfern.
Empörte Reaktionen von der Opposition über den Bundespräsidenten bis zu
christlich-liberalen Kreisen in der ÖVP, "persönliches Verständnis" aus
Kreisen der BZÖ, beharrliches Schweigen von Schüssel und Khol … Auf
Grund des öffentlichen Drucks und des Zuredens seiner Parteifreunde
legte Kampl eine Woche später zwar doch sein Bundesratsmandat zurück,
wurde aber bezeichnenderweise nicht aus dem BZÖ ausgeschlossen
(derStandard-online 28.04.05). Einen Monat später hat er sich’s, zum
Entsetzen vor allem der Oppositionsparteien, dann freilich doch wieder
anders überlegt: Austritt aus dem BZÖ, aber Beharren auf dem
Bundesratsmandat und dem (ihm turnusmäßig zufallenden) Bundesratsvorsitz
(derStandard-online 30.05.05). Erst durch eine am 9. Juni 2005 auf
Antrag aller Fraktionen einstimmig (FP-Abgeordnete Rosenkranz nahm an
der Sitzung nicht teil) vom Nationalrat beschlossene
Verfassungsänderung, die es den Landtagen mit Zustimmung der jeweiligen
Mehrheitsfraktion ermöglicht, die Reihung ihrer Bundesräte zu verändern,
wurden die Voraussetzungen geschaffen, um die internationale
Peinlichkeit einer Bundesrats-Präsidentschaft Kampls zu verhindern
(derStandard-online 09.06.05). Damit lag der Ball wieder bei Haiders
BZÖ, der Mehrheitsfraktion des Kärntner Landtags. Nach der
Verabschiedung der "Lex Kampl" durch den Bundesart (23. Juni) und ihrer
Unterzeichung durch Bundespräsident Fischer (24. Juni) ist die Umreihung
(Peter Mitterer statt Siegfried Kampl) am 29. Juni 2005 im Kärntner
Landtag tatsächlich über die Bühne gegangen (derStandard-online
23.06.05, 24.06.05, 29.06.05).
Haider
selbst, der "verantwortungsvolle Politiker" (Schüssel), nahm noch am Abend
des Parlamentsbeschlusses den Ball in einem ZIB2-Interview in seiner
Weise auf, nämlich indem er sich mit Kampls Nazi-Perspektive auf die
Zeit des NS-Regimes und dessen Ende und mit dessen Täter-Opfer Umkehr
identifizierte: Kampl habe sich "nichts zu Schulden kommen
lassen", sondern nur sein "Trauma" öffentlich gemacht, und wenn er vom
Präsidentenamt zurückgezogen werde, dann seinem Schutz - damit sich die
anderen Parteien nicht an "anständigen Menschen" wie ihm "die Füße
abputzen" können. Er könne das beurteilen, denn er sei ja selbst ein
"Nazi-Kind", dessen Mutter – so Haider in dreister Anspielung auf die
berühmten Bilddokumente von der öffentlichen Demütigung von Wiener Juden
im Jahr 1938 - "vor KZ-Häftlingen die Strasse putzen musste".
Das Spaltprodukt BZÖ tat sich in der Folge äußerst schwer,
beim Wahlvolk und organisatorisch Boden unter die Füße zu bekommen:
katastrophales Abschneiden bei den Landtagswahlen in der Steiermark und
Wien, gar kein Antritt beiden Wahlen im Burgenland, Umfragewerte an der
Schwelle der Wahrnehmungsgrenze (s. unten, Abschnitt 9.3.),
Gründungskonvente im Jänner bis März 2006 in Niederösterreich,
Vorarlberg, Burgenland, Salzburg und Tirol sollen Auftrieb geben
(derStandard-online 20.01.06), in Kärnten wird durch das Schüren des
Ortstafelkonflikts auf das für das BZÖ überlebensnotwendige
Nationalrats-Grundmandat hingearbeitet (s. oben, Abschnitt zur
Minderheitenpolitik).
Überdies läuft das BZÖ Gefahr, wegen Verwechslungsgefahr
mit dem Bürgerrechtsverein "EBZÖ - Zukunft Österreich. Verein für
langfristige Konzepte für eine gesicherte Zukunft Österreichs", seine
Bezeichnung zu verlieren. Eine einstweilige Verfügung des OGH in diesem
Sinne besteht bereits, ein Gerichtsverfahren mit der Zielsetzung, dem
BZÖ seinen Namen zu verbieten, läuft bereits (derStandard-online
27.01.06)
Am 5. April 2005 gab
dann Strache die Zukunftsperspektiven der Alt-FPÖ bekannt: Diese
mache im alten Mantel FPÖ mit den Landesorganisationen von Wien,
Niederösterreich, Salzburg, Burgenland und Tirol auf dem Boden der
(rechtsextremen) Tradition in der Opposition weiter, und er selbst werde
am Parteitag am 23. April als Obmann kandidieren. Strache stellte klar,
dass in der FPÖ-Alt, anders als im BZÖ, eine Mitgliedschaft bei einer
anderen politischen Partei nicht zulässig ist. Die Kärntner
Spaltungsbetreiber Haider, Strutz und Scheuch wurden wegen "Gefährdung
der Einheit" aus der FPÖ ausgeschlossen, weitere Ausschlüsse sollten
folgen. Damit war das Match um die orientierungslose Masse der
Mitglieder und Funktionäre der FPÖ eröffnet. Die FPÖ zerfiel sozusagen
kreuz und quer – nach Ländern und in den Ländern. Besonders erbittert
zunächst die Schlacht um Kärnten, in der sich zwei
Parallelorganisationen um die legitime Nachfolge und den Markennamen
stritten (derStandard-online 04. – 07.04.05). Noch heftiger die
Auseinandersetzung in Oberösterreich, wo sich die Kontrahenten
wechselseitig des "Putsches", der "Lüge" und sogar der "Geiselnahme"
beschuldigten, gegenseitige Aussperrungsversuche unternahmen, und die
Polizei zweimal mit Blaulicht anrückte (ORF On 18.04.05). Letztendlich
entschied sich die Mehrheit für den dritten Weg, sich als unabhängige
"oberösterreichische Freiheitliche" neu zu formieren (derStandard-online
22.04.05). Denselben Weg hat die Vorarlberger FPÖ – ungeachtet der
Drohungen Straches, den Landesparteiobmann aus der FPÖ auszuschließen -
bei einem Parteitag am 27. April 2005 eingeschlagen (derStandard-online
28.04.05).
Am 23. April wurde
dann tatsächlich Strache mit 90 % Zustimmung zum Obmann der ALT-FPÖ
gewählt. VertreterInnen der übrigen acht Bundesländer, darunter
Rosenkranz, Schöggl und Schnell, wurden zu StellvertreterInnen Straches,
und Partik-Pable zur "Bürgeranwältin" gewählt. In seiner Rede rechnete
Strache mit Haider ab ("Micheal Jackson der Innenpolitik") und
verkündete die "Wiedergeburt der FPÖ". In einem Leitantrag unter
dem Motto "Zurück zu den Werten – hin zu den Menschen" strich die FPÖ
ihren Charakter als (neu-)rechte Grundsatzpartei heraus:
national-chauvinistisch - sie sei die "Partei des
Österreich-Patriotismus"; xenophob - Österreich sei "kein
Einwanderungsland"; gegen Multikultur - nicht alle Kulturen seien "ohne
Beschädigung ihrer Substanz miteinander vereinbar", Zuwanderer
sollen daher nach einer "kulturellen und wirtschaftlichen
Integrationsprognose" zu selektioniert und auf die "Anerkennung der
Leitkultur" verpflichtet werden; EU-Skepsis – "die EU ist nicht unsere
Heimat", Ablehnung der EU-Osterweiterung, keine Beitrittsverhandlungen
mit der Türkei (FPÖ 24.04.05).
Als ob die Alt-FPÖ ihre rechtsextreme "Natur" unterstreichen und das BZÖ
in Sachen NS-Verharmlosung überbieten wollte, nahm sich zwei Tage später
Bundesrat John Gudenus heraus, in erzrevisionistischer Weise die
Existenz von Gaskammern in Zweifel zu ziehen. Einhellige Empörung und
Rücktrittsaufforderungen, diesmal auch von Kanzler Schüssel – diesmal
galt es ja (anders als im Fall Kampl) nicht, einen Koalitionspartner zu
schonen; Gudenus’ Reaktion: Rückzug aus der FPÖ, aber kein Verzicht auf
das Bundesratsmandat (ORF On, derStandard-online 26.04.05, 27.04.05).
Nachdem Gudenus dann – anscheinend durch das Nicht-Einschreiten der
Staatsanwaltschaft ermutigt - seine Zweifel zu einer expliziten Leugnung
der Existenz von Gaskammern im "Dritten Reich" verschärft hatte
(derStandard-online 08.06.05), wurde die Staatsanwaltschaft doch aktiv
und stellte an den Wiener Landtag ein Auslieferungsbegehren
(derStandard-online 13.06.05), dem am 29. Juni stattgegeben wurde (ORF
On 29.06.05).
Im März 2006 erklärten dann die freiheitlichen NR Hofmann, Neudeck und
Partik-Pablé ihren Austritt aus der FPÖ. Den Anlass dafür bildete
ein Konflikt über die Berechtigung der FPÖ, Fördergelder für die
Partieakademie zu erzielen, im Zuge dessen die FPÖ, um die notwendigen
fünf Unterschriften zu erhalten, angeblich Druck auf Abgeordnete
ausgeübt. Eigentlich Ursache war aber wohl die Unvereinbarkeit von
Regierungsarbeit mit dem FP-Kurs der Fundamentalopposition. Laut FPÖ
Generalsekretär Kickl wurden dadurch "klare Verhältnisse geschaffen",
die Partei läuft freilich nunmehr Gefahr, die
Parteiakademienförderung zu verlieren. Die FPÖ plant bereits eine
diesbezügliche Klage beim VFGH (derStandard-online 08.03.06, 09.03.06).
Ende März 2006 wurde die Förderung dann tatsächlich gestrichen und im
gegenzug die Klage der FPÖ dagegen eingebracht (derStandard-online
11.04.06).
In Zuge der erbitterten Konflikte zwischen
Strache-FPÖ und dem Haider-BZÖ platzte freilich auch die frühere
Selbstinszenierung der Freiheitlichen als Kämpfertruppe gegen
Privilegienritter und für den "kleinen Mann" wie eine Seifenblase: Es
stellte sich heraus das all die Saubermänner und –frauen und Robin Hoods
von Haider über Riess-Passer und Gaugg bis zu Rumpold und Sychrowski
Euro-Millionen-Beträge – zu einem guten Teil aus der öffentlichen
Parteienförderung - für das rechtspopulistische Spektakel umgesetzt
hatten (Profil 27.06.05). Angesichts des Imageeinbruchs des BZÖ zog Haider
zwischenzeitig - getragen von der Überzeugung, dass "die Marke Haider
doch noch etwas wert" ist - in Erwägung, bei den nächsten Wahlen unter
der Bezeichnung "Liste Haider" anzutreten (derStandard-online 20.07.05).
Auch die
Wahlgängen der Länder Steiermark, Burgenland und Wien im Herbst 2005 waren
Schauplatz des Duells der verfeindeten Spaltprodukte. Die FPÖ suchte
den Erfolg mit ihrer traditionellen Kernkompetenz: AusländerInnen- und
Minderheitenfeindlichkeit, das BZÖ (sofern es nicht, wie im Burgenland,
überhaupt auf einen Antritt verzichtete) mit Haider als Gallionsfigur –
beide mit sehr mäßigem Erfolg: Die FPÖ wurde – mit Ausnahme Wiens, wo
sich die Strache-FPÖ mit einem betont Ausländer- und Türkei-feindlichen
Wahlkampf überraschend gut behaupten konnte - weiterhin halbiert, und
das BZÖ verpasste mit Abstand den Einzug in die Landtage
(derStandard-online 03.10.05, 10.10.05, 24.10.05). Zwei Tage nach der
letzten Wahl in Wien erklärte Jörg Haider prompt einmal mehr seinen
Rückzug aus der Bundespolitik (derStandard-online 26.10.05) …
Nach den Wahlen in den Bundesländern Steiermark, dem Burgenland und Wien
im Herbst 2005 schlug das Pendel im Kampf um die Landesorganisationen
doch zugunsten der FPÖ aus: im Jänner 2006 schloss sich auch die
Oberösterreichische FPÖ und am 24 März die FPÖ Vorarlberg wieder der
Strache-FPÖ an (derStandard-online, 14.01.05, 24.03.06).
Mit einem personellen Schachzug hat das BZÖ dann im Mai versucht, im Kampf
um das freiheitliche WählerInnenpotential zu punkten: Am 22. Mai 2006
wurde Peter Westenthaler zum Bündnis-Obmann und Spitzenkandidaten für
die Nationalratswahl 2006 gekürt. Damit wurde der Bogen vor
Knittelfeld zurück zum Höhepunkt der freiheitlichen Macht geschlagen und
ein völkisch motivierter fremdenfeindlicher Ideologe - als FP-Klubobmann
hat er immerhin das Kindergeld als Instrument gegen Zuwanderung
angepriesen und das "Recht auf Heimat" über das Menschenrecht auf
Familienzusammenführung gestellt und Meister aggressiver Kampfrhetorik
gegen politische KontrahentInnen (Westenthaler hat so etwas wie das Copy
Right auf "Sanktionszeit"-Termini wie "Österreich-Vernaderer" und
"Champagnisierer") in die politische Arena zurückgeholt. Das alten
FP-Ausländervolksbegehrens-Zeiten entlehnte Motto seines Antritts:
"Österreich zuerst" (derStandard-online 22.05.06).
Am 7. Juni 2006 der
nächste Schlagabtausch zwischen den feindlichen Brüdern. Anlass: eine
mögliche Spitzelaffaire – diesmal begangen von blau an orange. Das
Nachrichtenmagazin News berichtete von einer angeblichen Bespitzelung
Jörg Haiders im Auftrag der FPÖ. Im BZÖ war umgehend von
"Menschenverachtung" und "Gestapomethoden" die Rede, für die FPÖ war
zunächst alles nur ein Produkt Haider’schen Verfolgungswahns;
später verlegte man sich dann auf die Version "von Haider selbst
inszeniert" (derStandard-online 07.06.06ff.).
Im Sommer 2006
entbrannte dann kurz vor den Wahlen ein Streit um das Prädikat
"freiheitlich" und die Markenfarbe blau: das BZÖ nennt seine Liste
"Die Freiheitlichen – Liste Westenthaler", bezeichnet sich selbst als
"das Original" und setzt in Werbung verstärkt auf blau und will die
Vertretung der "Freiheitlichen" in den Wahlbehörden stellen und auf dem
Stimmzettel am "freiheitlichen" dritten Platz vor der FPÖ
aufscheinen, die FPÖ hingegen beansprucht den Begriff "Freiheitlich"
exklusiv für sich und beharrt ihrerseits auf dem Sitz in den
Wahlbehörden sowie auf den dritten Platz auf dem Stimmzettel. Der Streit
wird auch auf juridischer Ebene ausgetragen: die FPÖ will den Begriff
durch eine einstweilige Verfügung gerichtlich schützen lassen, den VFGH
bemühen und die Wahlen allenfalls nachträglich anfechten
(derStandard-online 06.08.06, 10.08.09).
Am 21. August wurde
dann die Entscheidung des Ministerrats über die Vertretung der
Freiheitlichen in der Bundeswahlbehörde und in den Landeswahlbehörden
bekannt: den Zuschlag erhielt auf Vorschlag des Innenministeriums -
rechtlich fragwürdig, aber politisch nicht wirklich überraschend - wegen
der angeblichen größeren "Kontinuität der freiheitlichen Identität" das
BZÖ, das nunmehr trotz oder gerade wegen der hohen Verwechslungsgefahr
auch mit dem dritten Platz auf dem Stimmzettel rechen kann - für die
FPÖ ein "glatter Rechtsbruch", den man sofort vor dem Höchstgericht
einklagen werde. Eine Anfechtung wäre für die FPÖ rechtlich zwar erst
nach der Wahl möglich, es stünde dann allerdings weit mehr auf dem Spiel
als die Zusammensetzung der Bundeswahlbehörde: von der Anfechtung wäre
nämlich die gesamte Wahl betroffen (derStandard-online, ORF On 21.08.06,
22.08.06). Bemerkenswerterweise hat die Bundeswahlbehörde dann aber am
30. August mit großer Mehrheit (dagegen waren nur das BZÖ und die
Grünen) entschieden, dass doch die FPÖ den dritten Listenplatz erhält.
Indessen bemühte
sich das BZÖ selbst und namentlich Westenthaler auch selbst nach
Kräften, sich in Form und Inhalt als die "echten Freiheitlichen" zu
erweisen. Exemplarisch dafür die fremdenfeindlichen Exzesse und das
rücksichtslose und irreguläre, alle Regeln der
Verständigungsorientierung, der rationalen Argumentation und des
Anstands zu missachtende und ausschließlich auf erfolgreiche
Selbstbehauptung, Mobilisierung von Ressentiments und demonstrative
Missachtung der Gesprächleiterin bedachte Gesprächverhalten
Westenthalers im ORF-Sommergespräch am 22. Juli 2006.
Bemerkenswert auch
die Bundes- und Landeslisten der FPÖ-KandidatInnen für die
Nationalratswahlen: Sie kommt einem "Aufmarsch der
Burschenschafter" (Öllinger) gleich und liest sich wie das "Who is
Who" der extremen Rechten in Österreich (derStandard-online 17.08.06).
Anfang September
2006 dann ein weiterer Etappensieg der FPOE: Dem BZOE wurde durch
eine einstweilige Verfuegung die Fuehrung des Namenszusatzes
"Freiheitlich" gerichtlich verboten (ORF On 05.09.06).
Aber nun zu den Auswirkungen der Spaltung auf die
Wendekoalition: Nach Bekanntwerden der Spaltung der Freiheitlichen
forderte die Opposition im Hinblick auf die zu erwartende
Instabilität der Regierungskoalition Neuwahlen. Die SPÖ freilich
fiel – mit dem Klotz der Kärntner rot-blauen bzw. -orangen Koalition am
Beim – mit dieser Forderung prompt auf die Nase: Schüssel konnte
Gusenbauer am 12. April im Parlament mit den Worten von Ambrozy
antworten: "die Regierung hat eine stabile Mehrheit – kein Grund für
Neuwahlen" (derStandard-online 12.04.05).
Um die Koalition braucht man sich nach
Regierungsdarstellung freilich keine Sorgen zu machen. Reinhold
Lopatka, Generalsekretär der ÖVP, gab diesbezüglich sogar in einer
Pressekonferenz eine Bestandsgarantie ab, wobei er nicht ohne
Selbstironie andeutete, dass der Wert der Garantie sich erst noch später
herausstellen werde (derStandard-online 11.03.05). Ein Zweckoptimismus,
der mangels Alternativen für die ÖVP nicht weiter überraschend kommt.
Auch Haider hat eine Garantie dafür abgegeben, dass die Regierung hält
(derStandard-online 12.03.05). Ähnlich optimistisch eine Woche später
auch Kanzler Schüssel (derStandard-online 21.03.05). Auch nach der
Vorstandsitzung der FPÖ am 29. März demonstrierten die ÖVP
Regierungsmitglieder vom Kanzler abwärts weiter Gelassenheit,
Clubobmann Molterer deutete allerdings am 31. März im ORF erstmals an,
dass ein Führungswechsel in der FPÖ zu Strache für die Regierung doch
ein Problem wäre: "Unsere Partner heißen
Ursula Haubner, Hubert Gorbach und Herbert Scheibner", und: "Wer
noch nicht einmal in einer Wahl bestätigt hat, ob er etwas kann, wenn
der jetzt gute Tipps gibt, das weiß ich nicht, ob das der richtige
Maßstab ist." Auf die Frage, ob er damit Strache meine, meint Molterer:
"Sie liegen nicht ganz falsch" (derStandard-online 31.03.05).
Nach Abspaltung der FPÖ Neu bzw. des "BZÖ"
forderte die Opposition sofortige Neuwahlen, und auch für die ÖVP waren
Neuwahlen nicht ausgeschlossen. Molterers Wunschpartner Gorbach bekannte
sich seinerseits bereits bei der Kundgabe der FPÖ-Neu- bzw.
"BZÖ"-Abspaltung im Namen des gesamten Ex-FPÖ-Regierungsteam zur
Regierungsbeteiligung (ORF On 04.04.05) – ohne freilich zu diesem
Zeitpunkt garantieren zu können, dass die parlamentarische Mehrheit der
Koalition durch den Spaltungsprozess der FPÖ hindurch erhalten bleibt.
Nach einem Treffen Haiders mit Schüssel und einer Abstimmung im
Ex-FP-Parlamentsclub am 5. April, die ein Votum für die Fortsetzung der
Regierungsarbeit bzw. die BZÖ-Option bei nur zwei Enthaltungen ergab,
Erleichterung bei der ÖVP: doch nur alter Wein in neuen Schläuchen - die
Regierungsmehrheit schien gesichert, und Molterer gab die Fortsetzung
der Koalition bekannt.
Ungewiss blieb freilich, ob die Regierung auch im Bundesrat die Mehrheit
behält, oder sich darauf einstellen muss, den zeitaufwendigen Umweg des
Nationalrats-Beharrungsbeschlusses gehen zu müssen (derStandard-online
05.04.05).
Auch Kanzler Schüssel attestierte Haider, dem
Sprengmeister der ersten blau-schwarzen Koalition und notorischen
Hauptstörenfried der Regierungsarbeit, der seit Jahren die Umsetzung
eine Verfassungsgerichtsurteils blockiert und bei seinem
Abspaltungsprojekt auch vor einem Vertragsbruch nicht zurückschreckte,
ein "konstruktiver Partner" zu sein und eine "absolut korrekte Politik"
zumachen. Auf die Möglichkeit einer Belastung der bevorstehende
österreichische EU-Präsidentschaft durch die Regierungsbeteiligung des
Haider-BZÖ angesprochen, griff Schüssel auf den aus der Zeit der so
genannten "EU-Sanktionen" geläufigen völkisch-austrochauvinistischen
Propagandatrick zurück, Österreich-patriotische Gefühle für seine
Regierungsmachtspiele zu mobilisieren und zu vereinnahmen: er würde sich
in diesem Fall "schützend vor Österreich stellen" (ORF-Report am
05.04.05).
Der Start der neugefärbten Wendekoalition
bestätigte freilich die Zweifel an der Stabilität: Ein Misstrauensantrag
der Opposition wurde zwar erfolgreich abgewehrt, mehrere Abgeordnete der
FP/BZÖ-Regierungsfraktion – darunter Böhmdorfer, Prinzhorn und
Rosenkranz – verweigerten jedoch die Unterschrift auf die von der ÖVP
geforderte Garantieerklärung, die eine, weil sie sich zur FPÖ bekennt,
die anderen, weil sie das Regierungsprogramm sowieso bereits vor zwei
Jahren unterschrieben hätten. Und Haider erklärte, dass sich die
Garantie für den reibungslosen Ablauf der EU-Präsidentschaft, die
Schüssel vom BLZ gefordert hatte, nur auf organisatorische Abläufe, aber
nicht auf politische Inhalte beziehe (derStandard-online 06.04.05,
07.04.05). Macht nichts, erklärte daraufhin Molterer, eine Abstimmung im
Club der (Ex-) FPÖ und der Handschlag von Clubobmann Scheibner reiche
als Garantie.
In der Folgewoche behauptete sich die
Regierungsmehrheit dann tatsächlich wiederum geschlossen bei der
Abstimmung über das Budget, am 12. April ließ jedoch
Alt-FPÖ-Vorsitzender Kabas damit aufhorchen, dass mindestens fünf
freiheitliche Abgeordnete - Böhmdorfer, Bösch, Hofmann, Prinzhorn und
Rosenkranz - einen eigenen Parlamentsclub bilden könnten (ORF-Report am
12.04.05) – damit hätte der
Spaltpilz auch den freiheitlichen Parlamentsclub erfasst. Bis auf
weiteres bleibt jedoch die Einheit des Clubs gewahrt, nach dem Motto
"getrennt marschieren, vereint schlagen". Sollte das jedoch nicht
funktionieren, werde man, so Bösch, andere Schritte – sprich: die
Spaltung des Clubs – überlegen müssen (ORF On 13.04.05.).
Die Instabilität der "bürgerlichen Regierung",
die es angeblich braucht, damit "Rot-Grün nicht alles zerstört, was wir
aufgebaut haben" (Gehrer), zeigte sich am 14. April im Bundesrat: dort
fand ein Neuwahl-Antrag der Opposition mit Unterstützung der FPÖ (John
Gudenus) überraschend eine Mehrheit (ORF On 15.04.05) – ein
demonstrativer Akt der "rechtsextremen Elemente" der FPÖ
(EU-Weisenbericht) um aufzuzeigen, dass in der angeblich bürgerlichen
Regierung auch weiterhin ohne ihre Zustimmung nichts geht. Was die
Koalitionsvertreter als "unerfreulichen" (Scheibner) "Einzelfall"
(Lopatka) abtun, war in Wahrheit ein "Schuss vor den Bug" (Strache), der
die Regierung zur Einbeziehung der Altfreiheitlichen zwingen soll
(derStandard-online 15.04.05). In einem weiteren demonstrativen Akt des
Bruchs mit der Koalition hat sich dann die alt-freiheitliche Abgeordnete
Rosenkranz als der Verpflichtung "für ledig" erklärt, mit der Regierung
zu stimmen. (derStandard-online 18.04.05).
Beim der nächsten Testfall – Antrag der
Opposition auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Beschaffung
von Abfangjägern – stimmte die freiheitliche Parlamentsfraktion trotz
Aufforderung von Strache an alle Nicht-BZÖ-Mitglieder, diesen Antrag zu
unterstützen, allerdings wieder mit einer Ausnahme (Rosenkranz) im Sinne
der Regierung dagegen (derStandard-online 27.04.05). Angesichts der
Gefahr, bei allfälligen Neuwahlen Stimmen und Sitze zu verlieren, hält
der Selbsterhaltungstrieb den Wunsch, die Koalition in die Luft zu
sprengen, in Schach. In diesem Sinne könnte Schüssel mit seiner
Diagnose, die Koalition sei stabil, Recht behalten.
Im parlamentarischen "Sommerloch" 2005 dann
doch wieder ein Stück (Schein-)Konfrontation zwischen den
Koalitionspartnern BZÖ und ÖVP: das BZÖ verabschiedete in Kärnten
ein Forderungspaket, das im Hinblick auf die bevorstehende
EU-Präsidentschaft Österreichs u.a. einen Erweiterungsstop und die
Abkehr von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und im Hinblick auf
Österreich die Forderung nach einer neuerlichen Steuerreform enthielt
(derStandard-online 25.07.05), dem Kanzler Schüssel prompt via
Rundfunkinterview eine Absage erteilte (derStandard-online 27.07.05).
Die Landtagswahlen im Herbst 2005, die
neben Oppositionserfolgen vor allem die völlige Resonanzlosigkeit des
BZÖ ans Licht brachten, haben naturgemäß zu einem noch engeren
Zusammenrücken der Wendekoalition geführt. Latenten Sprengstoff barg
freilich das starke Lebenszeichen der rechtsextremen FPÖ bei den Wiener
Landtagswahlen. Wie die Politik auch und gerade der ÖVP in der Frage der
EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, in der Ausländerpolitik und im
Staatsbürgerschaftsrecht zeigten, versuchte die ÖVP die
blau-freiheitlichen WählerInnen und Abgeordneten ihrerseits durch eine
ausgeprägt rechte Positionierung auf Regierungskurs zu halten (s.
die einschlägigen Abschnitte im vorliegenden Text).
Das BZÖ
war indessen bestrebt, seine Marginalität und Unscheinbarkeit zu
überwinden. Das BZÖ ließ wissen, dass es "nicht mehr akzeptieren" werde,
dass die ÖVP bei allen orange Themen, von der Schwerarbeiterregelung
über Tempo 160 bis zur Ausweitung des Kindergeldes, blockiere, und
drohte dem Koalitionspartner mit Querschüssen während der
EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 und mit Widerstand gegen
ÖVP-Liebkinder (derStandard-online 18.11.05). Kanzler Schüssel versuchte
gleichzeitig, mit lobenden Worten für den schwächelnden
rechtspopulistischen Juniorpartner Öl auf die Wogen des aufgewühlten
Koalitionsklimas zu gießen: die Zusammenarbeit mit dem BZÖ funktioniere
"erstklassig", die Position Haiders in der Ortstafelfrage sei "völlig
richtig", und auch damit, dass die aktuelle Arbeitslosigkeit mit
Zuwanderung und Einbürgerungen der letzten Jahre zusammenhänge, habe das
BZÖ recht (ORF On 18.12.05).
Am 28. Februar dann eine bemerkenswerte Entwicklung in Kärnten: Die
Koalition zwischen BZÖ und SPÖ, die vor allem seit dem Wechsel des
Parteivorsitzes von Ambrozy zur Schaunig-Kandut immer brüchiger geworden
war, hatte zwar über alle Eskapaden Haiders in der Ortstafelfrage
gehalten, scheiterte aber anlässlich der Beschlussfassung über die
"Kärntner Lebenssicherung": Die FPÖ hatte gegen die Zustimmung der
SPÖ mit der ÖVP die Einführung eines Geburtengeldes beschlossen
(derStandard-online 28.02.06). Eine Chance der SPÖ, wieder aus dem
Schatten Jörg Haiders zu treten.
Anlässlich einer Landtagsdebatte über mögliche Neuwahlen in Kärnten
wurde einmal mehr das bedenkliche Verhältnis des BZÖ zu Rechtsstaat und
Demokratie deutlich: Präsident Freunschlag (BZÖ) verweigerte Schaunig
als Regierungsmitglied das Rederecht mit der Begründung, dass Wahlen in
die Zuständigkeit des Landeshauptmanns fielen. LH Haider nutzte dann
sein exklusives Rederecht ungeniert für persönliche Angriffe gegen
Schaunig aus. Übrigens: Da die ÖVP nicht bereit ist, einen Neuwahlantrag
der SPÖ zu unterstützen, wird es wohl auch kaum zu vorzeitigen Neuwahlen
kommen (derStandard-online 09.03.06).
Der
nächste Schlagabtausch Haider – Schüssel bzw. Regierung – BZÖ
spielte sich dann im Frühjahr 2006 im Vorfeld der Nationalratswahlen im
Herbst und vor dem Hintergrund der konstant niedrigen öffentlichen
Wahrnehmung des BZÖ ab: Haider durchkreuzte Schüssels Versuch, den
Ortstafelkonflikt zu einem verfassungskonformen Abschluss zu bringen (s.
oben, Abschnitt zur Minderheitenpolitik; Im Gegenzug durchkreuzte
Schüssel Haiders Absicht, Peter Westenthaler nach dessen Nominierung zum
Obmann und Spitzenkandidaten des BZÖ zwecks Profilierung in der
Öffentlichkeit zum Regierungsmitglied und Vizekanzler zu machen, indem
er jegliche Regierungsumbildung verweigerte. Haider konterte seinerseits
mit der Drohung, die Koalition noch während der laufenden
EU-Präsidentschaft Schüssels platzen zu lassen (derStandard-online, ORF
On 19.05.06ff.).
Am 22. Mai trat Westenthaler den Job des Obmann und Spitzenkandidaten des
BZÖ an – vorerst ohne Regierungsamt, aber als Koordinator der orange
Regierungsarbeit (ORF On 22.05.06). Seitdem darf er auch mit den
Regierungsmitgliedern gemeinsam frühstücken. Am Frühstückstisch:
Marmelade und Butter, aber auch Westenthalers hetzerische und paranoide
assoziative Verknüpfung "Ausländer" - "Kriminalität" –
"Arbeitslosigkeit" (ORF, ZIB 1 01.06.06).
Eine Woche vor der
Wahl ein weiterer Schlag fuer das beharrlich stagnative BZOE:
Justizministerin Gastinger, das "Boxenluder" (Haider) mit fuer Ihre Gruppe
viel zu liberalen familienpolitischen Vorstellungen, kapitulierte
angesichts der von Westenthaler betriebenen Auslaenderhetze und
erklaerte ihren Austritt aus dem BZOE. Die Parallele zu Grasser in
der Schlussphase des letzten Wahlkampfs 2002, legt eine Mitwirkung der
OEVP an der Regie nahe, laut Kanzler und VP-BPO Schuessel steht jedoch
ein Wechsel zur OEVP nicht zur Diskussion (derStandard-online
25.09.06f.).
5.3. Regierung und
Opposition in der Periode Schwarz-Blau II/ Schwarz-Orange-Blau im
Spiegel der Umfrageforschung und regionaler Wahlgänge
Die Entwicklung der öffentlichen Meinung über
Regierungs- und Oppositionsparteien im Zuge der 2. Amtsperiode der
Wendekoalition ist nachstehenden Übersichten zu entnehmen. Wie schon
beim ersten Mal hat die ÖVP demnach mit ihrer Entscheidung für die
schwarz-blaue Option und mit der einschneidenden Pensionsreform und
ihrer eher wirtschaftsfreundlichen Steuerreform ihren bei der NR-Wahl
erhaltenen und während der "Sondierungsgespräche" sogar noch
gesteigerten Kredit bei den WählerInnen vorerst weitgehend verspielt.
Übersicht:
Parteipräferenzen seit 24.11.2002 im Lichte der "Sonntagsfrage" – Teil 1
Quelle |
Zeitpunkt |
ÖVP |
FPÖ |
SPÖ |
Grüne |
So |
Wahlergebnis |
24.11.02 |
42,3 |
10,0 |
36,5 |
9,5 |
1,7 |
OGM/Format, Profil |
06.03.03
01.05.03
05.06.03
27.06.03
15.02.04
15.03.04
17.04.04
16.05.04
19.06.04
18.07.04
15.08.04
10.10.04
14.11.04
02.01.05
23.01.05
12.02.05
12.03.05
17.04.05
12.05.05
18.06.05
17.07.05
11.08.05
17.09.05
16.10.05
14.11.05
19.12.05
22.01.06
20.02.06
12.03.06
01.04.06
14.04.06
21.05.06
12.06.06
26.08.06
09.09.06
16.09.06
23.09.06 |
37
36
33
35
35
34
34
35
36
35
34
37
36
34
35
36
37
36
38
38
38
37
37
37
36
36
38
37
37
39
38
39
41
39
38
38
37 |
11
9
12
10
9
11
12
10
8
9
10
9
9
9
9
9
7
5 + 3*
4 + 2*
4 + 4*
4 + 4*
4 + 4*
5 + 4*
4 + 4*
3 + 6*
3 + 7*
3 + 6*
3 + 8*
3 + 8*
3 + 8*
3 + 10*
3 + 9*
4 + 7*
3 + 7*
2 + 9*
3 + 10*
3 + 10* |
38
42
42
41
42
41
40
41
40
41
42
40
40
40
40
40
41
43
43
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41
41
40
41
43
42
42
41
41
39
38
37
37
35
35
35
35 |
13
11
12
13
13
13
14
13
14
13
12
12
13
15
14
13
14
12
12
11
12
12
13
13
11
11
10
10
11
11
11
11
10
11
10
10
11 |
1
2
1
1
1
1
1
1
2
2
2
2
2
2
2
2
1
1
1
1
1
2
1
1
1
1
1
1
0
0
0
1
1
4° + 1
5° + 1
3° + 1
3° + 1 |
|
|
|
|
|
|
|
|
Stichprobe: N = 400 - 500, max. Schwankungsbreite = +- 4,5
%; * = BZÖ + FPÖ, ° = Liste H.-P. Martin
Übersicht:
Parteipräferenzen seit 24.11.2002 im Lichte der "Sonntagsfrage" – Teil 2
Quelle |
Zeitpunkt |
ÖVP |
FPÖ |
SPÖ |
Grüne |
So |
Wahlergebnis |
24.11.02 |
42,3 |
10,0 |
36,5 |
9,5 |
1,7 |
Gallup/News, Oesterreich
|
05.03.03
07.05.03
21.05.03
27.05.03
04.06.03
09.07.03
30.07.03
03.09.03
20.11.03
12.02.04
10.03.04
31.03.04
16.06.04
22.09.04
08.12.04
04.01.05
05.10.05
26.10.05
11.01.06
08.03.06
30.03.06
03.05.06
23.05.06
13.06.06
21.06.06
08.09.06
15.09.06
22.09.06 |
39
37
35
35
34
35
34
38
36
36
35
36
35
35
38
37
36
38
38
38
40
40
37
39
39
38
38
38 |
9
7
8
8
8
10
9
8
7
9
11
9
7
8
9
8
3 + 5*
1 + 7*
2 + 6*
1 + 6*
2 + 9*
2 + 8*
3 + 7*
3 + 6*
2 + 7*
3 + 7*
3 + 9*
3 + 10* |
38
41
42
43
45
41
42
41
43
42
40
42
38
43
40
41
42
42
41
43
39
38
35
35
36
35
35
35 |
12
13
14
13
11
12
13
12
13
12
13
12
14
14
11
13
13
12
12
12
10
12
12
12
11
12
10
10 |
2
2
1
1
2
2
2
1
1
1
1
1
4° + 2
0
2
1
1
0
1
0
0
0
6° + 0
5° + 0
5° + 0
4° + 1
4° + 1
4° + 0 |
Stichprobe: N = 500, max. Schwankungsbreite = +- 4,5 %; ° =
Liste HPM, * = BZÖ + FPÖ
Übersicht:
Parteipräferenzen seit 24.11.2002 im Lichte der "Sonntagsfrage" – Teil 3
Quelle |
Zeitpunkt |
ÖVP |
FPÖ |
SPÖ |
Grüne |
So |
Wahlergebnis |
24.11.02 |
42,3 |
10,0 |
36,5 |
9,5 |
1,7 |
Market/ APA, derStandard, News |
17.06.03
01.08.03
19.10.03
23.11.03
15.02.04
12.03.04
17.08.04
13.09.04
xx.12.04
07.02.05
08.04.05
05.06.05
xx.09.05
21.11.05
01.02.06
02.04.06
23.06.06
30.06.06
12.07.06
02.08.06
16.08.06
23.08.06
30.08.06
10.09.06
17.09.06
20.09.06 |
37
39
37
39
37
35
38
39
39
39
38
40
38
40
38
39
42
41
41
39
40
38
39
38
37
39 |
8
9
7
7
8
9
9
8
7
8
4 + 3*
3 + 3*
3 + 4*
3 + 4*
?
2 + 7*
4 + 6*
4 + 6*
3 + 5*
3 + 5*
3 + 7*
4 + 7*
3 + 7*
3 + 8*
4 + 8*
3 + 9* |
42
40
43
40
43
43
41
40
40
41
42
42
41
42
42
40
37
37
36
35
34
36
35
34
35
34 |
11
10
13
13
11
12
11
12
12
11
12
11
12
10
?
11
10
11
11
11
11
10
11
11
11
11 |
2
2
0
1
1
1
1
1
2
1
0
1
2
1
?
1
1
1
3° + 1
5° + 2
4° + 1
4° + 1
4° + 1
5° + 1
4° + 1
3° + 1 |
Stichprobe: N = 400 - 500, max. Schwankungsbreite = +- 4,5 %; * = BZÖ +
FPÖ; ° = Liste HPM
Auch der Ausgang der lokalen und nationalen Wahlgänge
in dieser Legislaturperiode wies in diese Richtung: Keine
Landtagswahl, bei der die Koalitionsparteien nicht deutlich und in
zunehmenden Maße an Stimmen verloren hätten, zuerst und vor allem auf
Grund von Einbrüchen der FPÖ (Niederösterreich, Tirol, Oberösterreich,
Salzburg, Burgenland), aber auch – in Kärnten und noch deutlicher in der
Steiermark – auf Grund eines Einbruchs der ÖVP. Bemerkenswert auch die
Tatsache, dass in der Steiermark die Freiheitlichen nach ihrer Spaltung
in FPÖ und BZÖ und ihrem ersten getrennten Antreten bei einer Wahl gar
nicht mehr im Landtag vertreten sind. Auch hier kann grundsätzlich –
abgesehen von lokalen Faktoren - vor allem die harte Sozialsparpolitik
der Regierung auf der einen Seite und die Vertrauenseinbuße der
"Wendekoalition" nach dem Zerfall der Freiheitlichen auf der anderen
Seite als Ursache angesehen werden. Besorgniserregend allerdings das mit
knapp 15 % relativ gute Abschneiden der rechtsextremen Wiener
Strache-FPÖ nach einem betont Ausländer- und Minderheitenfeindlichen
Wahlkampf.
Übersicht:
Bundesregierung und Bundesopposition bei Landtagswahlen seit 2003
Bundesland
(Wahltag) |
ÖVP |
FPÖ |
Summe/ Verluste |
SPÖ |
Grüne |
Summe/ Gewinne |
N (30.03.03) |
53,3 (+ 8,4) |
4,5 (- 11,6) |
- 3,2 |
33,6 (+ 3,2) |
7,2 (+2,7) |
+ 5,9 |
OÖ (28.09.03) |
43,4 (+ 0,7) |
8,4 (-12,2) |
- 11,5 |
38,3 (+ 11,3) |
9,1 (+ 3,3) |
+ 14,6 |
T (28.09.03) |
49,9 (+ 2,7) |
8,0 (- 11,7) |
- 9,0 |
25,9 (+ 4,1) |
15,5 (+ 7,5) |
+ 11,6 |
K (07.03.04) |
11,6 (– 9,1) |
42,5 (+ 0,4) |
- 8,7 |
38,4 (+ 5,6) |
6,7 (+ 2,8) |
+ 8,4 |
S (07.03.04) |
37,9 (- 0,8) |
8,7 (- 10,9) |
- 11,7 |
45,4 (+ 13,1) |
8,0 (+ 2,6) |
+ 15,7 |
V (19.09.04) |
54,9 (+ 9,1) |
13,0 (- 14,4) |
- 5,3 |
16,9 (+ 3,9) |
10,2 (+ 4,2) |
+ 8,1 |
St (02.10.05) |
38,7 (- 8,6 ) |
6,3* (- 6,1) |
- 14,7 |
41,7 (+ 9,4 ) |
4,7 (- 0,9) |
+ 8,5 |
B (09.10.05) |
36,3 (+ 1,0) |
5,8 (- 6,9) |
- 5,9 |
52,2 (+ 5,7) |
5,2 (-0,3) |
+ 5,4 |
W (23.10.05) |
18,8 (+ 2,4) |
16,0* (- 4,2) |
- 1,8 |
49,1 (+ 2,2) |
14,6 (+ 2,2) |
+ 4,4 |
(Quelle: der Standard-online 31.03.03, 28.09.03, 08.03.04,
20.09.04, 03.10.05, 10.10.05, 24.10.05)
* FPÖ + BZÖ
Auch die BundespräsidentInnenwahl am 25. April 2004
ging mit 52,4% zu 47,6% an den SP-Kandidaten Heinz Fischer: Der Versuch
der ÖVP, mit der Wiederweckung der Emotionen aus der "Sanktionszeit"
einen "Schulterschluss" hinter der VP-Kandidatin Ferrero-Waldner
zu bewirken, schlug ebenso fehl wie das Bemühen, "Benita" als
Vorkämpferin der Frauen zu positionieren: was dadurch bei
eingefleischten PatriotInnen und bei manchen Frauen gewonnen werden
konnte, ist offenbar durch den Zorn der ReformverliererInnen übertroffen
worden und mit der überproportionalen Wahlenthaltung
frauenskeptisch-konservativer Stammwähler wieder zerronnen.
Bemerkenswert auch die Tatsache, dass mit Heinz Fischer ein Kandidat
gewonnen hat, der die Politik der Abgrenzung von der – damals noch als
Einheit auftretenden - Haider-FPÖ ausdrücklich verteidigt hat.
Bei den Arbeiterkammerwahlen von Februar bis Mai
2004 hat sich dieser Trend ebenfalls bestätigt: Die SPÖ und auch die
Grünen gewinnen, ÖVP und v.a. die FPÖ verlieren fast überall deutlich.
Ergebnisse der
AK-Wahlen 2004
Fraktion
AK |
FSG |
ÖAAB |
FA |
AUGE |
ÖAAB + FA +/- in %
|
Burgenland |
71,8 (+7,8) |
22,3 (-4,5) |
3,2 (-3,8) |
2,7 (+0,5) |
- 8,3 |
Kärnten |
72,0 (+5,6) |
8,3 (-5,2) |
16,2 (-2,8) |
3,2 (-) |
- 8,0 |
Niederösterreich |
69,3 (+5,0) |
20,4 (-3,1) |
3,2 (- 4,1) |
2,6 (-0,2) |
- 7,2 |
Oberösterreich |
67,0 (+1,1) |
23,4 (+4,0) |
4,7 (-5,6) |
3,7 (+0,5) |
- 1,6 |
Salzburg |
67,4 (+8,1) |
19,8 (-1,3) |
4,4 (-7,6) |
4,9 (+-0,0) |
- 8,9 |
Steiermark |
69,9 (+8,7) |
19,8 (-5,9) |
4,9 (-3,9) |
3,5 (+0,3) |
- 9,8 |
Tirol |
24,3 (+5,8) |
61,3 (-3,1) |
3,1 (-5,5) |
6,9 (+1,5) |
- 8,6 |
Vorarlberg |
35,2 (+19,1) |
46,5 (-13,5) |
6,3 (-6,5) |
- |
- 20,0 |
Wien |
69,4 (+5,3) |
14,4 (-2,2) |
4,3 (-4,4) |
5,6 (+0,8) |
- 6,6 |
Gesamt |
63,4 (+5,9) |
23,7 (-2,5) |
4,9 (-4,8) |
4,3 (+0,7) |
- 7,3 |
(Quelle: derStandard-online 01.04.04, 30.04.04, 15.05.04)
Ähnlich der Trend bei den Personalvertretungswahlen im
öffentlichen Dienst am 1. und 2. Dezember 2004: Die FCG fällt um
3,6% von 53,9 % auf 50,3 %, die AUF um 3,9 % von 7,7 % auf 3,8 %, die
FSG steigt um 4,9 % von 29,5 % auf 34,4 % und die UG (Grüne und
Unabhängige) um 3,4 % von 5,8 % auf 9,2 %. Die regierungsnahen
Fraktionen verlieren also 7,5 %, die oppositionsnahen Fraktionen legen
hingegen um 8,3 % zu (derStandard-online 04.12.04).
Nicht anders verlaufen sind auch die
Wirtschaftskammer-Wahlen im März 2005: die VP-Wirtschaftsbund hat um
2,4 % auf 70,4 % zugelegt, der Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender
kommt nach einem Verlust von 9,7 % nur noch auf 9,9 %, der
Sozialdemokratische Wirtschaftsverband hat um 3,2 % auf 13 %
zugelegt, und die Grünen erreichten bei ihrem ersten bundesweiten
Antritt immerhin 4,5 % (derStandard-online 16.03.05). Unterm Strich also
– 7,3 % für die Regierung und + 7,7 % für die Opposition!
Dessen ungeachtet setzt die Wendekoalition ihre
Hoffnungen auf eine weitere Prolongation – die ÖVP baut auf den
Wahlkampf und den Kanzlerbonus: "Wer soll das Land führen? Schüssel oder
Gusenbauer? Das ist unser großes Plus" (Lopatka) (derStandard-online
07.10.05), und das BZÖ klammert sich daran, dass "Totgesagte am
allerlängsten leben" (Scheibner) (derStandard-online 06.10.05). Die ÖVP
hat auch schon für den Fall, dass sie nach den
nächsten Nationalratswahl nur mit Unterstützung der aus den Wiener
Wahlen überraschend erfolgreich hervorgegangenen rechtsextremen FPÖ an
der Macht bleiben kann, Vorsorge getroffen: Schüssel sprach sich gegen
jede Festlegung in der Koalitionsfrage mit der FPÖ vor den Wahlen aus,
und Khol, der Strache noch im August 2005 außerhalb des
"Verfassungsbogens" verortete, war nach den Wiener Wahlen getreu seinem
Motto "Die Wahrheit ist ein Kind ihrer Zeit" ohne Skrupel dazu bereit,
diese Standortbestimmung zu revidieren (derStandard-online 03.11.05).
Zwar haben sich so einflussreiche PolitikerInnen der ÖVP wie C. Leitl
und L. Prokop gegen eine Koalition mit der Strache-FPÖ ausgesprochen
(derStandard-online 17.11.05), VP-Generalsekretär Lopatka hat dies
jedoch postwendend als deren Privatmeinung abgetan (ORF On 19.11.05).
Kurz vor Weihnachten 2005 hat auch Klubobmann Kohl diese Linie
bestätigt: "Jede Partei, die im Parlament vertreten ist, ist
demokratisch legitimiert. Das steht völlig außer Streit. Diese
demokratische Normalität haben wir im Jahr 2000 hergestellt, und dabei
bleibt's" (derStandard-online 19.12.05). Strache selbst hat allerdings
einer Koalition mit der ÖVP eine Absage erteilt (derStandard-online
13.11.05). Am 8. Jänner 2005 trotz des hartnäckigen
Minderheitenrechts-Boykotts durch das Kärntner Haider-BZÖ und ungeachtet
der fortgesetzter Ausländerhetze der Strache-FPÖ erneut Rosen von
Andreas Khol für die Freiheitlichen: sie hätten sich seit der
Regierungsbeteiligung gewandelt und "der Deutschtümelei eine Absage
erteilt" (der Standard-online 08.01.06). Demgegenüber erklärte
Schüssel dann wieder am 10 März. Strache habe sich mit seiner
Oppositionsansage selbst aus dem Rennen genommen (derStandard-online
10.03.06).
Im März 2006 sollte sich die SPÖ – die sich bereits als
Siegerin der nächsten Nationalratswahlen wähnte – auf spektakuläre Weise
selbst ein Bein stellen. Zu diesem Zeitpunkt wurde nämlich die Affäre
der Gewerkschaftsbank "BAWAG" ruchbar: diese hatte nämlich zwischen 1995
und 2000 bei einem von einer nepotistischen Clique um die einen früheren
Bankdirektor eingefädelten spekulativen Deal einen
EURO-Milliardenverlust eingefahren und war nahe an den Bankrott geraten.
Nachdem dies Bank-intern bekannt geworden war, hatten Finanzreferent und
Präsident des ÖGB (Weninger und Verzetnitsch) am ÖGB-Präsidium vorbei
die Gefahr im Verzug mit einer Haftung des ÖGB mit den Mitteln des
Streikfonds abgewandt. Der ÖGB hat also in einer Periode intensiver
arbeits- und sozialpolitischer Auseinandersetzungen um der Abdeckung des
Risikos eines erzkapitalistischen Vabanque-Spiels Willen seine
Konfliktfähigkeit und damit die Interessen seiner Mitglieder auf’s Spiel
gesetzt. Dies hatte zwar die Bank gerettet, der Imageschaden für
Gewerkschaft und SPÖ war jedoch ungeachtet der folgenden Rücktritte der
beiden Hauptakteure im ÖGB und des "Köpfe-Rollens" in Aufsichtsrat und
Vorstand der BAWAG verheerend – nicht nur bezüglich der ihnen
zugeschriebenen Wirtschaftskompetenz, sondern auch und vor allem
bezüglich der Glaubwürdigkeit ihrer Kritik des "Casinokapitalismus" und
ihrer Kernkompetenz, der Sozialkompetenz (derStandard-online, ORF On
24.03.06 – 27.03.06, Profil 27.03.06). Dementsprechend schossen sich
v.a. die Regierungsfraktionen medial, parlamentarisch und rechtlich aus
allen Rohren auf SPÖ und "rote" Gewerkschaft und AK ein, auch der in
Sachen Skandale im Umfeld der Regierung bekannt schweigsame Kanzler
Schüssel forderte "lückenlose Aufklärung, und die Mehrheit in den
laufenden Meinungsumfragen kippte quasi über Nacht zugunsten der
Koalitionsparteien.
Die "Wende von der Wende" erscheint nunmehr im Vorfeld der nächsten
Wahlauseinandersetzung unwahrscheinlicher denn je. Ob die Flucht des
ÖGB nach vorne in Form des Verkaufs der BAWAG hier eine entscheidende
Entlastung bringt, ist zweifelhaft – zumal im weiteren Verlauf
Verdachtsmomente über weitere Malversationen, insbesondere die mögliche
Beteiligung der BAWAG an betrügerischen Aktivitäten ihres
US-amerikanischen Partners REFKO mit einer Schadenssumme von bis zu 1,3
Mrd. Euro, aufgetaucht sind. Auch der ÖGB ist davon betroffen – er war
über eine Liechtensteiner Firma indirekt mit REFKO verbunden. Die
Bemühungen um einen Verkauf der BAWAG sind damit ins Stocken geraten.
Für das Image von Gewerkschaft und ÖGB fatal auch die Tatsache, dass die
Bemühungen der BAWAG um einen rettenden Vergleich mit den Gläubigern nur
mit Unterstützung der von ihnen heftig bekämpften Bundesregierung bzw.
eine Bundeshaftung möglich waren. Im Gegenzug musste sich der ÖGB
freilich selbst zur Haftung bis auf’s Existenzminimum und zur
Offenlegung des Streikfonds gegenüber der Nationalbank verpflichten, und
die Gewerkschaft musste sich nicht nur öffentlich bedanken, sondern auch
zusehen, wie schwarz-blau-orange Regierungsmitglieder von Schüssel und
Gorbach abwärts in demonstrativer Gönnerhaftigkeit vor laufenden Kameras
private BAWAG-Sparbücher eröffneten. Während die SPÖ nun mehr denn je
als Partei diskreditierbar ist, die "nicht wirtschaften kann" und die
Gewerkschaft damit in ihrer Kampfkraft massiv geschwächt dasteht, war
andererseits angesichts weiterer Sammelklagen durch REFCO-Aktionäre
lange nicht klar, ob der Rettungsversuch überhaupt erfolgreich sein wird
(der Standard-online, ORF On 26.04.06ff.). Erst am 5. Juni war der
Vergleich dann - mit einem Kostenvolumen von insgesamt ca. 1 Mrd. Euro
für die BAWAG – fixiert, und der Weg für den Verkauf der Bank frei
(derStandard-online 05.06.06).
Aber schon zwei Tage später wurden der Öffentlichkeit und
dem Krisenmanagement des ÖGB neue ÖGB-Verluste in Euro-Millionenhöhe,
eingefahren über geheime Stiftungen in Liechtenstein, und ein
Schuldenstand von weiteren 1,5 Mrd Euro, resultierend aus den
Karibik-Geschäften der BAWAG, bekannt – und damit die Tatsache, dass
möglichweise selbst der gesamte Verkaufserlös für die BAWAG die Schulden
des ÖGB nicht tilgen können wird (derStandard-online, ORF On
09.06.06ff.); Dann stellte sich auch noch heraus, dass
ÖGB-Interimspräsident Hundstorfer entgegegen früheren öffentlichen
Erklärungen selbst bereits im Herbst
2005 in
Vertretung von Präsident Verzetnitsch mit seiner Unterschrift an der
Verschiebung der Karibik-Schulden der BAWAG zum ÖGB mitgewirkt hatte. Ob
es sich dabei, wie Hundstorfer selbst vermutet, um einen "Leger"
gehandelt hat oder nicht, jedenfalls erreichte damit auch das
politisch-moralische Rating der Gewerkschaftsführung einen neuen
Tiefpunkt (derStandard-online 13.06.06ff.). Dazu kam noch die Schwächung
der SPÖ durch den – nach außenhin nur mühsam durch eine inszenierte
Versöhnung nur mühsam kaschierten - inneren Konflikt zwischen
Bundespartei und FSG angesichts der Entscheidung des Parteipräsidiums,
Spitzengewerkschafter die Kandidatur für den Nationalrat zu verweigern
(ORF On 23.06.06) und der Aussage des Partei-Vorsitzenden, dass das
Sozialministerium "keine Erbpacht" der Gewerkschaften sei (ORF On
01.07.06). Die OEVP tat mit einem entsprechenden "dirty campaigning"
(Hinweis auf die angebliche Existenz eines "rotes Netzwerk zur
Parteienfinanzierung" nach diesbezueglichen Vorwuerfen des
BAWAG-Spekulanten Floettl Junior) das Uebrige dazu, dass das Thema in
Verbindung mit der SPOE in der Oeffentlichkeit praesent blieb, und dass
sich die SPOE von diesem Schlag nicht mehr erholte (derStandard-online
11.09.06ff.).
Dem Verlauf der aktuellen Umfragen zeichnete sich auch nach
den naechsten Wahlen in Oesterreich eine rechte Mehrheit OEVP + FPOE +
BZOE ab, die "Wendekoalition" und der direkte Einfluss
"(rechts-)extremer Elemente" auf die Regierungspolitik duerfte jedoch
angesichts der schwachen Performance des BZOE und angesichts der
Festlegung der FPOE auf oppositionellen Protest dennoch keine
Fortsetzung finden.
Das tatsaechliche Wahlergebnis stellte sich dann
folgendermassen dar:
Ergebnis der
Nationalratswahlen am 1. Oktober 2006
Wahlergebnis |
Stimmenanteil in %
2006 +/- gg.
2002 |
Anzahl der Mandate
2006
+/- gg. 2002 |
+/- rechts : links
gg. 2000
% Stimmen
Mandate |
Wahlbeteiligung |
78,5 |
- 5,8 |
|
-
- |
OEVP |
34,3 |
- 8,0 |
66 - 13 |
|
FPOE |
11,0 |
+ 1,0 |
21 + 3 |
|
BZOE |
4,1 |
+ 4,1 |
7 + 7 |
- 2,9
- 3 |
SPOE |
35,3 |
- 1,2 |
68
- 1 |
|
Gruene |
11,0 |
+ 1,5 |
21 + 4 |
|
HPM |
2,8 |
+ 2,8 |
0 +- 0 |
|
KPOE |
1,0 |
+ 0,4 |
0 +- 0 |
+ 3,5
+ 3 |
Sonstige |
0,2 |
+ 0,1 |
0 +- 0 |
- |
Ueberraschenderweise ist die OEVP demnach hinter die SPOE
zurueckgefallen. Sie hat laut SORA-Waehlerstromanalyse jeweils knapp
100.000 Stimmen an die FPOE, SPOE und Gruene und und ueber 200.000 an
die NichtwaehlerInnen verloren. Offenbar war es ein Fehler,
ausschliesslich auf den negativen BAWAG-Effekt zu setzen
Die Freiheitlichen haben mit insgesamt 15 % doch wiederum
zugelegt – die neue "FPOE" hat offenbar ihre Glaubwuerdigkeit bei
rechten WaehlerInnen zurueckgewonnen, und auch das BZOE hat – v.a. dank
ueberproportionaler Resonanz in Kaernten - nochmals den Einzug in den
Nationalrat geschafft.
Unterm Strich hat die Rechte zwar die Stimmen- und
Mandatsmehrheit behauptet, angesichts der Spaltung der Freiheitlichen
und der Rueckkehr der FPOE zur Fundamentalopposition kann diese Mehrheit
jedoch nur noch negativ – gegen Rot-Gruen – effektiv werden.
Die SPOE konnte ihren Stimmenanteil immerhin soweit
behaupten, dass sie als stimmenstaerkste Partei aus dem Wahlgang
hervorgegangen ist. Offenbar war ihr Credit bei den WaehlerInnen in
sozialen Fragen doch so stark, dass ihr auf soziale Themen
zugeschnittener Wahlkampf Fruechte tragen konnte.
Die Gruenen haben um 1,5 %, die Linke insgesamt sogar um
3,5 % zulegen koennen, da jedoch weder die Liste HPM noch die KPOE den
Sprung ins Parlament geschafft haben, gibt es auch auf der Linken keine
parlamentarische Mehrheit.
Obwohl sich die OEVP
vorerst ziert und sich intern die Plaedoyers fuer einen weiteren Pakt
mit den Rechtsextremen mehren, bleibt als die wahrscheinlichste, zwar
unspektakulaere, aber immerhin menschenrechts- und demokratiepolitisch
unbedenkliche Alternative die grosse Koalition VP-SP. Der Spuk der
Wendekoalition scheint damit vorbei.
5.4. Die zweite Amtsperiode der "Wendekoalition" – eine Zwischenbilanz
Legt man an die Praxis der zweiten Auflage der
Wendekoalition die Latte von Menschenrechten, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit an, so schneidet diese diesbezüglich keineswegs
anders ab als die Praxis der ersten Auflage. Ihre Politik lässt sich
weiterhin als wirtschafts- und sozialpolitische "neoliberal" und
gesellschaftspolitisch rechts-konservativ mit "(rechts-)extremen"
Elementen bezeichnen. Nach wie vor stehen nämlich - insbesondere in den
Bereichen Asylrecht, Minderheitenrechte (Frage der zweisprachigen
Ortstafeln in Kärnten), Institutionenreform (Neuorganisation des
Sozialversicherungswesens oder der ÖH) und im Umgang mit der Opposition
(mangelhafte Einbindung, Behinderung der Kontrolltätigkeit) - menschenrechtlich,
rechtsstaatlich und demokratiepolitisch bedenkliche Statements und
Praktiken an der Tagesordnung.
Angesichts der Tatsache, dass sich bei den letzten Wahlen
im Jahr 2002 das Kräfteverhältnis bzw. der WählerInnenanteil zwischen
ÖVP und FPÖ von 1:1 auf 4:1 deutlich zugunsten der ÖVP verschoben hat,
ist das auf den ersten Blick erstaunlich. Bedenkt man jedoch, dass diese
Verschiebung dadurch zustande gekommen ist, dass sich die ÖVP in
ihrer Rhetorik und inhaltlichen Positionierung deutlich nach rechts
bewegt und der FPÖ bzw. dem BZÖ angeglichen hat, ist der obige
Befund keineswegs überraschend.
Von diesem Ruck einer der beiden Parteien der politischen
Mitte Österreichs nach rechts ist aber auch die andere Partei der Mitte
und wichtigste Oppositionspartei, die SPÖ nicht unberührt geblieben:
Auch hier ist eine Bereitschaft spürbar, sich politisch in
populistischer Weise rechten, xenophoben Stimmungen anzupassen
(Beispiel: Ablehnung des EU-Beitritts) und politische Grundsätze
machtstrategischen Kalkülen und Praktiken zu opfern (Bespiele:
"Spargelkoalition" Gusenbauer – Haider, FPÖ-SPÖ-Koalition in Kärnten).
Angesichts dessen scheint es gerechtfertigt, von einer Hegemonie
einer rechten, in Dauerkollision mit den Grundsätzen einer liberalen
Demokratie stehenden politische Kultur in Österreich zu sprechen.
Dank der nach wie vor ihrem Verfassungsauftrag
entsprechenden dritten Gewalt der Justiz ist diese Entwicklung im
Bereich von Politik und Kultur allerdings bisher von den Kernbereichen
der rechtlich-institutionellen politischen Struktur weitgehend
abgeprallt:
der Verfassungsgerichtshof hat durch seine Rechtssprechung wiederholt
signifikante Eingriffe in die Ordnung der liberalen Demokratie
verhindert (z.B. Aufhebung der Reform des Hauptverbands der
Sozialversicherungen, des Asylgesetz oder des Militärbefugnisgesetzes).
So stagniert die Weiterentwicklung der liberalen Demokratie in
Österreich zwar, ihrer Rückentwicklung ist aber mit einer
funktionierenden "dritten Gewalt" bis auf Weiteres ein wirksamer Riegel
vorgeschoben.
Das galt jedenfalls bis zum Ende des Jahres 2005.
Seitdem die Kanzlerpartei ÖVP durch ihre Duldung Jörg Haider die
Möglichkeit bietet, die Umsetzung des VfGH-Entscheids in der Frage der
zweisprachigen Ortstafeln Bleiburg-Ebreichsdorf beharrlich zu
hintertreiben, schien freilich auch jener Riegel zu brechen. Der 30.
Juni 2006, der Tag an dem die vom VFGH gesetzte Frist für die
Herstellung des verfassungsmäßigen Zustands in Bleiburg endete, war
insofern der Lostag für die Rechtsstaatlichkeit. Die Frist ist ungenutzt
abgelaufen. Letztendlich hat sich herausgestellt, dass die
Herausforderer der Rechtsstaatlichkeit lediglich dazu bereit waren, dem
Rechtsstaat formal und nur um den Preis einer politischen
Teilentmachtung des VfGH sowie einer Aufweichung des Prinzips des
Minderheitenschutzes Genüge zu tun. Hier hat die SPÖ jedoch
verdienstvollerweise die ihr zugedachte Rolle als
Verfassungsmehrheitsbeschafferin verweigert.
Auf Europäischer Ebene zeigt die Entwicklung ein
uneinheitliches Bild: Während sich in Spanien, Ungarn und Italien eine
Verschiebung des politischen Zentrums nach links ergeben hat, ist
Deutschland mit dem Übergang zur großen Koalition eher nach rechts
gerückt. Neue Regierungskoalitionen mit Rechtsextremen sind in Polen und
in der Slowakei entstanden, der Protest dagegen hält sich – nach den
Erfahrungen mit den konterproduktiven Effekten der "Sanktionen" gegen
Österreich und nach der italienischen Ära Berlusconi – in Grenzen.
Unterm Strich ist der "Rechtsruck" auch in Europa keineswegs gestopt,
Xenophobie und Europaskepsis bewegen sich weiterhin auf hohem Niveau,
Vertiefung und Erweiterung der EU bleiben weiterhin blockiert.
Österreich, angesichts dieser Situation und nach einer Charmeoffensive
in seiner zweiten Präsidentschaftsperiode wieder Teil des europäischen
Mainstreams, bleibt die zweifelhafte Ehre, Schrittmacher diese
Entwicklung gewesen zu sein.
Bleibt zu hoffen, dass
sich die neue Regierung in Oesterreich entschlossen daran macht, die im
Inland an Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat entstandenen
instutionellen und kulturellen Schaeden zu beseitigen - und damit auch
gegenueber Europa und der internationalen Staatengemeinschaft ein
Zeichen der Umkehr setzt.
6. Wende der
Wende? Koalitionsverhandlungen im Herbst 2006
Am 11. September hat Bundespraesident Fischer dann
Alfred Gusenbauer den Auftrag zur Regie-rungsbildung erteilt. Erster
Verhandlungspartner fuer die Sozialdemokraten war die OEVP, die
Vorzeichen fuer einen Erfolg waren aber mehr als unguenstig: Die SPOE
hatte fuer die OEVP kaum akzeptable Forderungen wie die nach dem
Ausstieg aus dem Eurofighter-Vertrage, der Ab-schaffung der
Studiengebuhren und einer Grundsicherung als Koalitionsbedingungen in
den Raum gestellt, die OEVP hatte die SPOE daraufhin umgekehrt als
"nicht Partnerschaftsfaehig" bezeichent. Nachdem Gussenbauer dann seine
Forderungen auf "sehr wichtig, aber verhandelbar" herunterge-stuft
hatte, erklaertye Schuessel seinerseits die Eurofighter als nicht
verhandelbar, "nicht in Frage" kaemen auch die von der SPÖ geforderte
Grundsicherung und Gesamtschule, und die Abschaffung der Erbschafts- und
Schenkungssteuer sei ein Muss. Auf die Frage, in welchen Punkten man der
SPÖ entgegenkommen wolle, meinte Schüssel in alter Ueberheblichkeit: Das
wichtigste Entgegen-kommen sei die Aufnahme von Verhandlungen
(derStandard-online, ORF-On 11.10.06).
In der Folge verdichteten sich freilich die Indizienen
dafuer dass die ungeliebte grosse Koalition tatsaechlich zustandekommt:
Mit Elisabeth Gehrer und Andreas Khol haben zwei zentrale Akteu-rInnen
der Wendekoalition ihren Ruecktritt aus ihren Regierungs- bzw.
Parlamentsfunktion angetre-ten. Noch-Kanzler Schuessel hat dem offiziell
mit der Regierungsbildung beauftragten Gusenbauer die bisher stets
zurueckbehaltenen Euro-Fighter-Vertraege uebergeben. Parallel dazu ist
das Dank dem Sonderfall Kaernten um Haaresbreite ins Parlament gelangte
BZOE und dessen Spitzenreprae-sentant Westenthaler nach einer
angeblichen Pruegelattacke seines Body-Guards gegen einen Mit-arbeiter
der abtruennigen Justizministerin Gastinger am Wahlabend ins Visier von
Staatsanwalt-schaft und Polizei geraten und als moeglicher
Koalitionspartner nunmehr so diskreditiert, dass die Fortsetzung der
Wendekoalition selbst fuer Schuessels wohl kaum mehr in Frage kommen
duerfte (derStandard-online, ORF On 02.10.06ff.).
Nachdem das nach einiger Sickerzeit auch der
Wendekanzler zur Kenntnis zu nehmen hatte, konn-ten am 17. Oktober die
ersten wirklich sachbezogenen Koalitionsgespraeche stattfinden
(derStan-dard-online 17.10.06). Parallel zu diesen Gespraechen
demonstrierte die SPOE ihren Koalitions-partner wider Willen ihre
Staerke und mutete ihm Wechselbaeder der Zu- und Abwendung zu: Betreiben
der in der Oppositionszeit vergeblich geforderten
Untersuchungsausschuesse in Sachen Eurofighter und Bankenaffairen mit
Gruenen und FPOE, aber Ablehnung der Unterstuetzung eines
Misstrauensantrags der Gruenen gegen Bildungsministerin Gehrer ("reiner
Aktionismus") (derStan-dard-online 18.10.06ff., ORF On 26.10.06).
Die in die Enge getriebene OEVP drohte daraufhin damit,
die Koalitionsverhandlungen zumindest auszusetzen, die beiden
Untersuchungsausschuesse wurden jedoch ungeachtet dessen am 30. Okto-ber
beschlossen (derStandard-online 30.10.06). Als die OEVP daraufhin nach
einer Parteivorstand-sitzung tatsaechlich die Unterbrehungen der
Regierungsgespraeche erklaerte, forderte die SPOE die OEVP auf "ihre
Aemter zur Verfuegung zu stellen" und den Weg frei fuer eine neue
Regierung o-der fuer neue Verhandler zu machen. Einen Misstrauenantrag
oder einen Antrag auf Neuwahlen wolle man aber voererst nicht stellen
(ORF On, derStandard-online 31.10.06).
Glaubt man den Meinungumfragen, dann braucht die SPOE
keine Angst vor Neuwahlen zu haben: Die Schuld fuer einen eventuellen
weiteren Wahlgang wird mehrheitlich der OEVP zugeschrieben.
Übersicht: Parteipräferenzen seit Oktober 2006 im
Lichte der "Sonntagsfrage"
Quelle |
Zeitpunkt |
ÖVP |
FPÖ |
BZOE |
SPÖ |
Grüne |
So |
Wahlergebnis |
01.10.06 |
34,3 |
11,0 |
4,1 |
35,3 |
11,0 |
4,3 |
Ö, Gallup
Profil, OGM
Ö, Gallup
Ö, Gallup
Profil, OGM
Ö, Gallup
Profil, OGM
Ö, Gallup
News, Market
News, Market
Profil, OGM |
21.10.06
21.10.06
31.10.06
07.11.06
11.11.06
14.11.06
18.11.06
21.11.06
22.11.06
06.12.06
31.12.06 |
35
32
34
33
32
33
32
36
34
36
33 |
11
12
10
11
13
10
12
10
11
11
12 |
3
4
3
3
-
3
3
2
3
2
2 |
36
37
37
40
38
41
39
40
39
39
40 |
13
12
14
13
14
12
13
12
12
11
12 |
2
3
2
0
3
1
1
0
1
1
1 |
In den naechsten Wochen verschlechterte sich das
Verhandlungsklima zwischen SPOE und OEVP weiter dramatisch; Schuessel
und Molterer erklaerten bei einer Pressekonferenz am 5. November, erst
nach Abschluss des Untersuchungsausschusses zu den Eurofightern zu
weiteren Verhandlungen mit der SPOE bereit zu sein – die SPOE solle doch
den Mut haben, mit ihren Ausschuss-Partnern FPOE und Gruene eine
Koalition zu bilden. Gusenbauer stellte der OEVP seinerseits ein
ein-woechiges Ultimatum fuer die Rueckkehr zum Verhandlungstisch und
stellt die Moeglichkeit eines Sturzes der interimistisch
weiteragierenden Regierung in den Raum (derStandard-online 05.11.06,
06.11.06). Ein als "letzte Chance" erklaertes Gipfelgespraech am Freitag
den 10. November blieb abgesehen von einer weiteren Vertagung der
Entscheidung bis Mitte der Folgewoche ebenfalls ohne greifbare
Ergebnisse (derStandard-online 10.11.06). Am 16. November erklaerte sich
dann der OEVP-Vorstand doch noch zu Verhandlungen parallel zu den
Untersuchungsausschuessen bereit – allerdings unter der Bedingungen dass
die SPOE die OEVP im Parlament nicht ueberstimmt und mit einem
Positionspapier, in dem u.a. die Fortsetzung der Privatisierung, die
Absage an die Gesamtschule und an eine Anhebung der
Hoechstbeitragsgrundlage fuer SV-Beitraege, die "Luftraumueberwachung",
die Abschaffung der Erbschaftssteuer und ein Familiensteuermodell, die
Ablehnung einer Grundsicherung sowie die festschreibung der
Pensionsreform in ihrer Substanz vorsieht. Inhaltlich also keinerlei
Konzessionsbereitschaft – offenbar ging es der OEVP mehr darum, der SPOE
den "Schwarzen Peter" der Verantwortung fuer den Verhandlungsabbruch
zuzuschieben. Die SPOE ihrerseits begruesste die Gespraechsbereitschaft
der VP, stellte aber klar, dass es bei Verhandlungen nicht darum ginge,
Bedingungen zu stellen, sondern um eine Einigung auf ein tragfähiges
Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre (derStandard-online 16.11.06).
Bei einem weiteres Spitzengespraech am Freitag fiel dann
doch wieder die Entscheidung fuer’s weiterverhandeln. In einer
gemeinsamen Erklaerung wurden die Ziele und Prinzipien dafuer
niedergelegt:
Als vorrangige Ziele wurden definiert:
-
Stärkung von Wachstum, Innovation und
Mittelstand
-
Reduzierung der Arbeitslosigkeit
-
Zukunftsorientierte Bildungsreformen
zur Erhöhung der Chancen für die Jugend
-
Erhaltung der Qualität und
nachhaltige Finanzierung des Gesundheits- und Pflegesystems
-
Sichere Pensionen und
menschenwürdiges Altern
-
Gleichstellung der Frauen; Stärkung
der Familien
-
Bekämpfung der Armut
-
Reform von Staat und Verwaltung
-
Umfassende Integration und
kontrollierte Zuwanderung
-
Verlässliche Sicherheits- und
Europapolitik
· Stabile Staatsfinanzen
Was die Prinzipien betrifft,
akzeptiert die VP die Untersuchungsausschuesse, allerdings wird die
Wahrung des Bankengeheimnisses sowie das Bekenntnis zu
Luftraumueberwachung und Vertragstreue festgeschrieben. Grundsaetzlich
wird einerseits festgehalten, "dass jede künftige Zusammenarbeit nur auf
dem bereits Erreichten aufbauen kann. Die Geschichte erlaubt kein
Zurückdrehen des Rades", andererseits vermerkt, dass "es in der Politik
notwendig (ist), Verbesserungen und Neuentwicklungen der
gesellschaftlichen Situation vorzunehmen. Im Mittelpunkt steht der
Gestaltungsauftrag für die Zukunft." Darueber hinaus soll fuer die Dauer
der Regierungsverhandlungen im Parlament "eine zwischen den beiden
Verhandlungspartnern abgestimmte Vorgangsweise" im Parlament
sichergestellt werden (derStandard-online 17.11.06).
Viel gewonnen scheint auch mit diesem Papier nicht zu sein:
die kontroversen Methoden zur Erreichung der Ziele sind nicht
angesprochen, und die gemeinsamen "Prinzipien" lassen einen so weiten
Spielraum, dass geradezu gegenteilige Interpretationen mit ihnen
vereinbar sind und jede Partei jederzeit der anderen deren Verletzung
vorhalten kann.
Inzwischen betrieb die FPOE im Hinblick auf den
moeglichen naechsten Wahlgang Imagepolitur: einerseits Signale ans
politische Zentrum als smarter Player im politischen Alltag:
Bereitschaft zur Kooperation mit anderen Fraktionen, Charmeoffensive des
Parteivorsitzenden - Blumen fuer die Moderatorin einer Talk Show:
andererseits knallhart-deutschnationale Signale an den rechten Rand:
Zur Konstituierung des Nationalrats nach den Wahlen
am 1. Oktober 2006 erschienen die Abgeordneten der FPOE ganz im Sinne
ihrer wiedergefundenen "urfreiheitlichen" Identitaet mit einer blauen
Kornblume am Revers – ein gezielter Tabubruch, handelt es sich doch
dabei um ein Symbol der deutschnationalen Bewegung, das Symbol der
alldeutschen Bewegung von Schoenerer und das Erkennungszeichen der
illegalen Nationalsozialisten in der Zeit der ersten Republik (ORF
On 10.10.06).
Am 8. November legte dann der freiheitliche Neo-Nationalrat
Wolfgang Zanger, nebenberuflich Fechtlehrer in der schlagenden
Schuelerverbindung "Corps Austria", im Inlandsreport einen
rechtsnationalen Offenbarungseid ab: der Nationalsozialismus hatte
"natuerlich auch gute Seiten", 1945 eine "Quasi-Befreiung"
(derStandard-online 08.11.06).
Am
12. November 2006. gab es am Zentralfriedhof wieder das gewohnte
rechtsextreme Stelldichein aus Anlass des Todestages des vom
NS-Regime hoch dekorierten Luftwaffenoffiziers Novotny. Die Grabrede
hielt der freiheitliche Obmann des Vereins zur Pflege des Grabes und
Universitaetsrat der Medizinischen Universitaet Wien, Gerhard Pendl.
Seine Worte:
Es sei "unsere Pflicht,
gegen die seelischen Narben der Gutmenschen, die auch die Toten nicht in
Ruhe lassen, aufzuzeigen, dass es doch noch ein Fähnlein gibt in diesen
deutschen Landen, die unsere unschuldigen Soldaten und ihren furchtbaren
Tod nicht vergessen oder gar herabwürdigen". Demgegenueber wuerden die
"RAF-Sympathisanten" aus der "Generation der Widersacher der
Kriegsgeneration" sowie der "Generation der Zivildiener und Störer der
Totenruhe", "klammheimliche Freude" verspüren, wenn das Grab Nowotnys
"wahrscheinlich wieder" geschändet würde nach dem Gedenken. Anders als
in vergleichbaren frueheren Faellen erfolgte die Reaktion des
Wissenschafstministeriums diesmal – nach den verlorenen Oktoberwahlen -
auf dem Fusse:
Bildungsministerin Gehrer hat seine Abberufung angekündigt. Pendls
Aussagen seien dazu angetan, "den Ruf der medizinischen Universität zu
schädigen". Bereits Tags darauf wurde die Abberufung durch die Gremeien
der betroffenen Universitaet tatsaechlich vorgenommen
(derStandard-online 13.11.06f.).
Die Gruenen
erklaerten sich nach einer Periode der Kritik von SPOE und OEVP und der
Ablehnung von Neuwahlen, aber auch aller uebrigen Regierungsvarianten
immerhin zur Duldung einer allfaelligen Minderheitsregierung der SPOE
bereit (ORF On, derStandard-online 05.11.06ff.).
Das BZOE,
wiederum bot sich aus Angst vor dem Untergang bei moeglichen Neuwahlen
als Partner in allen nur denkbaren Dreierkoalitionen an (ORF On,
derStandard-online 05.11.06ff.). Nach Beginn der Koalitionsverhandlungen
zwischen OEVP und SPOE legte es sich dann ebenfalls auf die
Oppositionsrolle als "buergerliche Kraft rechts der Mitte" fest. Haider
pflegte indessen mit weiteren provokanten Aktionen sein deutschkaerntner
Waehlerklientel:
In Sachen Ortstafeln
liess er unter heftigem Protest von SlowenInnenorganisationen, der
Gruenen sowie des slowenischen Aussenministeriums im Kaertner Schwabegg
eine weitere erst vor einem Jahr im Beisein von Kanzler Schuessel
errichteten
zweisprachige Tafel durch eine einsprachige Tafel mit kleinem
slowenischem Zusatzschild ersetzen (ORF On, derStandard-online
22.11.06). In Sachen AuslaenderInnen/ Fremde liess er mit der
Weigerung aufhorchen, entsprechend dem Auftrag des VfGH den –wegen
"mangelnder persoenlicher Integration" in erster Instanz abgelehnten -
Staatsbuergerschaftsantrag eines als fundamentalistisch beleumundeten
muslimischen Religionslehrers sudanesischer Herkunft nochmals zu pruefen (ORF
On 26.11.06).
Drei Tage nach Wiederaufnahme der Koalitionsverhandlungen
zwischen SPOE und OEVP am 20. November 2006 standen die Vorzeichen
jedoch wieder auf Konflikt: die OEVP praesentierte in einer
Verhandlungsrunde ein Gutachten des Verfassungsdienstes zum
Banken-Untersuchungsausschuss, demzufolge
die weisungsfreie Finanzmarktaufsicht gar nicht befragt werden darf oder
Akten vorzulegen brauche. Der diesbezuegliche Pruefungsauftrag sei daher
"absolut nichtig". Die SPOE reagierte darauf ebenso empoert wie FPOE und
Gruene – die Rede war von einem "Gefaelligkeitsgutachten", mit dem sich
die Verwaltung selbst der Kontrolle entziehe. Die zuvor demonstrierte
Kompromissbereitschaft der Sozialdemokratie war auf einem Schlag
verschwunden: Die Positionen bei Eurofighter, Studiengebühren und
Grundsicherung, waren laut Cap wieder "unverrückbar"
(derStandard-online, ORF On 23.11.06).
Trotzdem kamen die Verhandlungen wieder in Schwung, und
anfang Dezember wurde - auf Untergruppenebene - sogar eine
Verstaendigung in der Frage der Grundsicherung erzielt (ORF On
01.12.06). Nach einem unterkuehlten Zwischenspiel mit Dementis ueber
erzielte Fortschritte und gegenseitigen Schuldzuweisungen schien dann
Mitte Dezember der Durchbruch gelungen: seitens der VerhandlerInnen
wurden Uebereinstimmung ueber Staatsreform und Standortpolitik gemeldet
und der Abschluss der Verhandlungen fuer den 8. Jaenner 2007 avisiert
(ORF ON 13.12.06). Hic rodus hic salta. Um Druck zu machen hat Gabi
Burgstaller hat die Rute der Minderheitenregierung fuer den Fall des
Scheiterns ins Fenster gestellt (derStandard-online 14.12.06).
Parallel zu den Gepraechen miteinender habe beide Seiten
Nebengespraeche mit anderen politischen Gruppierungen gefuehrt, um ihren
Alternativenspielraum zu demonstrieren und Druck auf ihren
Verhandlungspartner zu entfalten: Schuessel und andere
OEVP-Advokaten einer Fortsetzung der Wende bastelten am Projekt einer
Koalition bestehend aus einem fusionierten schwarz-orangenen
Parlamentsfraktion und der FPOE. Die FPOE schloss das nach wie vor
offiziell aus, A. Moelzer begann freilich laut darueber nachzudenken, so
eine rot-gruene Regierung zu verhindern. Vertreter der SPOE sondierten
ihrerseits die Bereitschaft der FPOE zur Tolerierung einer
SPOE-Minderheitsregierung – mit der Auskunft,
dass die FP grundsaetzlich dazu bereit sei –
vorausgesetzt, die Regierungspolitik stuende nicht mit der strengen
FPÖ-Ausländerlinie in Widerspruch (ORF On, derStandard-online
20.12.06ff.).
Am 8. Jaenner war dann die grosse Koalition
fix. Inhaltlich ist von einem Richtungswechsel wenig zu bemerken vgl.
SPOE/ OEVP 2007):
-
Die Regierung knuepft positiv an die
Wendekoalition an; in der Praeambel ist vom "Aufbau auf der Basis des
Erreichten" und von der "Umsetzung weiterer Verbesserungen" die Rede
-
Von einigen bildungspolitischen
(Bildungsgarantie bis 18, weitere Harmonisierung der Sekundarstufe 1),
beschaeftigungspolitischen (Investitionen im Infrastrukturbereich,
aktive Arbeitsmarktpolitik) und sozialpolitischen Akzenten
(bedarfsorientierte Mindestsicherung, Einbeziehung von neuen
Selbstaendigen und freien DienstnehmerInnen in die Sozialversicherung,
Entschaerfung der Pensionsreform im Bereich der vorzeitigen
Alterspension) abgesehen Fortsetzung der marktorientierten
"neoliberalen" wirtschaftspolitischen Grundlinie, ausgeglichener
Haushalt ueber den Budgetzyklus als Ziel, also "keine neuen Schulden",
Liberalisierung der Ladenoeffnung und der Arbeitszeit, strengere
Zumutbarkeitsbestimmungen und Kontrollen fuer Arbeitslose;
Die Rueckverlagerung der Steuerlast von Arbeit auf Kapital wird nicht
einmal angedacht.
-
Staatsreform: Soziale Grundrechte
sollen Verfassungsrang erhalten, auch ein Ausbau der Minderheits- und
Kontrollrechte ist vorgesehen, ob es zum Recht der parlamentarischen
Minderheit auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kommt, ist
freilich dank der OEVP zweifelhaft;
-
An den Universitaeten sollen
die Studiengebuehren bleiben, jedoch auch in
Form freiwillige Sozialarbeit von 60 Stunden pro Semester beglichen
werden koennen; der Betriebsrat soll ein Mitbestimmungsrecht im
Universitaetsrat erhalten, eine einheitliche Kurie der unbefristet
beschaeftigten Wissenschafter sowie ein "tenure treck" geschaffen
werden:
-
Flexibilisierung des
Kindergeldbezugs: es wird eine zweite Wahlmoeglichkeit mit hoeherem
Auszahlungsbetrag (Euro 800.- statt 436.-/ Monat) und kuerzerer
Bezugsdauer (15 + 3 statt 30 + 6 Monate) und eine hoehere
Zuverdienstgrenze (Euro 16.200.- statt 14.600.-/ Jahr) geben,
ganztaegige Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen sollen ausgebaut
werden. Damit sollen Wiedereinstieg und Erwerbstaetigkeit von Frauen
ebenso gefoerdert werden wie die Beteiligung der Maenner an der
Kinderbetreuung.
Frauenpolitisch auch von Interesse: die "Chancengleichheit der
Geschlechter" als Budgetziel;
-
Diskriminierungen von Lebensgemeinschaften und
Ptchworkfamilien sollen beseitigt werden, es wird aber keine
eingetragene Partnerschaft fuer Homosexuelle geben;
-
Die Ortstafelfrage soll im Sinne des Urteils des
VfGH "in moeglichst breitem konsens mit den Volksgruppen" bis Mitte 2007
verfassungsgesetzlich geloest werden,
-
keine Aenderungen im Fremdenrecht: das
Fremdenrechtspaket 2005 habe sich ‚bewaehrt", seine Regelungen sind
"beizubehalten und weiterzuentwickeln"; einziger Hoffnungsschimmer: die
Schaffung einer Integrationsplattform und eines entsprechenden
Forschungsschwerpunktes, der das derzeitige Recht evaluieren und desssen
Weiterentwicklung beraten soll, und neue Massnahmen zur sprachlichen,
beruflichen und sozialen Integration von MigrantInnen.
-
Europapolitik: Bekenntnis zu einem sozialen
Europa, Einsatz bei der EU fuer Mindeststandards in den Bereichen
Beschaeftigung und soziale Sicherheitund gegen
eine weitere Liberalisierung der Dienstleistungen im Rahmen des GATS,
aber Zurueckhaltung bei der EU Erweiterung: "offensive Nutzung" der
Uebergangsfristen bei der Freizuegigkeit fuer Arbeitskraefte aus den
neuen Mitgliedsstaaten, schrittweises Vorgehen bei der Turkei - mit dem
Ziel einer "massgeschneiderten tuerkisch-europaeischen Gemeinschaft",
und mit einer Volksabstimmung ueber das Verhandlungsergebnis;
Die SPOE stellt den Bundeskanzler, die
Schluesselministerien fuer Finanzen, Arbeit und Wirtschaft (das im
Uebrigen als Einheit erhalten bleibt), Inneres und Aeusseres sowie das
Wissenschafts- und das Gesundheitysministerium gehen jedoch an die OEVP,
die SPOE erhaelt die Ministerien fuer Infrastruktur, Justiz und
Verteidigung sowie die "Menschenschicksalsministerien" fuer Soziales,
Frauen und Unterricht. Eine wichtige Personalie: Wolfgang Schuessel und
Karl Heinz Grasser werden der Regierung nicht angehoeren. Ersterer wird
VP-Klubobmann, letzterer geht in die Privatwirtschaft. Neuer VP-Obmann,
Vizekanzler und Finanzminister: Wilhelm Molterer (ORF On,
derStandard-online 08.01.07, 09.01.07)
Die OEVP musste demnach Macht abgeben und Korrektueren der
Wendepolitik hinnehmen, hat jedoch die "Wende von der Wende" erfolgreich
verhindert. Es gibt also ein hohes Mass an Kontinuitaet in der Politik,
und insofern kann ueberspitzt von einer "Fortsetzung von Schwarz-Orange mit einem roten Bundeskanzler" (Van der
Bellen) gesprochen werden. Immerhin kann aber nunmehr darauf vertraut
werden, dass das Agieren der Politik am Rande (und jenseits) der
Rechtsstaatlichkeit ein Ende findet – und damit die akute Gefahr
fuer Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie in Oesterreich ein Ende
findet.
Die Angelobung der neuen Regierung fand dann am 11. Jaenner
statt - 2007 begleitet von Protesten von Jugendorganisationen der SP,
KP, der OEH und Teilorganisationen der Gewerkschaft. Letzter Formalakt
der endenden Wende: ein schwarz-oranger Ministerrat am 10. Jaenner mit
nachtraeglicher Selbstbeweihraeucherung: "in Summe … eine absolut
gelungene Bilanz" (Schuessel). Zuvor hatte Vizekanzler Gorbach noch
rasch fuenf Parteigaenger seines Vertrauens mit Posten in der
"Gesellschaft des Bundes fuer technologiepolitische Massnahmen –
AustriaTech" versorgt (derStandard-online 10.01.07).
Ohne Zweifel wird der Rechtsextremismus der Freiheitlichen
seine Fortsetzung finden. Da ihm ab sofort der Zugang zur Staatsmacht
abgeschnitten ist, sie bis auf Weiteres der Mantel des Schweigens ueber
ihn gebreitet.
Zum Anfang
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Strassers Dossier. Der streng vertrauliche Rechtsextremismusbericht des
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profil (29.09.2002)
Bald sind
Wahlen. Welche Art Frauenbild werden wir wählen (können)?
Von Elfriede Hammerl (Heft 40)
profil (27.10.2002)
"Grüß Gott, ich bin’s".
In Wien
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mitunter skurrile Blüten.
Von Christa Zöchling (Heft 44)
profil (23.10.2003)
Jörgs Arabeske.
Jörg Haiders Reise-Aufsatz "Zu Gast bei
Saddam".
Von Rainer Nikowitz (Heft 13)
profil
(16.02.2004)
Autonome Zellen. Von Emil Bobi (Heft 8)
profil
(08.03.2004)
Was macht er mit dem Sieg. Nach seinem Triumph in Kärnten wird Jörg
Haider zum Großangriff auf den innerparteilich geschwächten Kanzler
ansetzen. Auf Wolfgang Schüssel kommen schwere Zeiten zu. (Heft 11)
Profil
(16.05.2004)
Europa: Morgenland. Ein möglicher EU-Beitritt der Türkei heizt auch den
matten EU-Wahlkampf in Österreich an. Doch anders als in Deutschland
sind alle vier Parlamentsparteien gegen die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit Ankara (Heft 21)
Profil (25.07.2004)
Bespitzelung im Finanzministerium? (Heft 31)
Profil (13.12.2004)
FPÖ-Rechte drohen mit Misstrauensantrag gegen Schüssel (Heft 51)
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Anmerkungen:
Trotz oder gerade wegen dieser ungeschminkten Umfärbeaktion konnte
Rot-Grün bei den ÖH-Wahlen im Mai 2005 aber ihren Stimmenanteil an den
meisten Universitäten deutlich ausbauen und ihre Mehrheit in der
Bundesvertretung behaupten (derStandard-online 03.06.05).
Als Klestil dann am 6. Juli 2004
zwei Tage vor Ende seiner Amtszeit starb, gab’s salbungsvolle Lob- und
Danksagungen von Seiten der Regierung (Schüssel, Khol), die von vielen
Beobachtern nicht nur als hohl sondern schon als Heuchelei empfunden
wurden, und ein Staatsbegräbnis erster Klasse. Die riesige Kluft
zwischen Regierung und Präsidenten und der ihr korrespondierende Riss in
der Gesellschaft blieb unerwähnt. Dieses Verschweigen war nicht posthume
Höflichkeit nach dem Motte "de mortibus nullum nisi bene", sondern
posthume Ignoranz der Person Rudolf Klestils und der von ihm erkannten
Wahrheit – des Verstoßes der bürgerlichen Partei gegen den eigenen
Wertekodex. Mit dem lästigen Mahner sollte so auch ein Stück
kompromittierender bürgerlicher Sittengeschichte begraben werden.
Am 4. Oktober 2004 wurde dieser Verein übrigens sang- und klanglos wieder
aufgelöst. Offiziell "ohne Groll" (Fischl) – deshalb, weil Haider
die ihm angesonnene Parteiführung nicht wieder übernehmen wolle,
inoffiziell aus Enttäuschung darüber, dass sich die Leitfigur der
Deutsch-Nationalen auf die Seite der Befürworter einer Aufnahme der
Türkei in die EU geschlagen hatte (derStandard-online 11.10.04).
Bei der Sitzung des Bundespräsidiums der SPÖ Anfang Jänner 2005 in der
Steiermark stellte sich freilich heraus, dass die Landesparteien über
diese Festlegung gar nicht glücklich sind und – wie der steirische
Landesvorsitzende Voves - bereits an theoretischen Konstrukten
schmieden, um sie zu umgehen: "Die SPÖ ist auf Bundesebene mit einer
rechtspopulistischen FPÖ konfrontiert. Diese hat nichts zu tun mit der
Landespartei unter einem Leopold Schöggl. Ich kann bei Schöggl keinen
Rechtspopulismus erkennen." Wenn die steirische SPÖ in die Lage komme,
wie in Salzburg die ÖVP-Vormacht zu brechen, werde man dies versuchen,
auch mit der FPÖ (derStandard-online 03.01.05).
Kaum im Amt wurde die "frauenpolitische Ansage" von Jörg Haider bei einem
Go-Cart-Rennen in Velden in aller Öffentlichkeit vor laufender Kamera in
frauenverachtender Weise als "Boxenluder" apostrophiert (ORF-Report
29.06.04).
Zu den tatsächlichen Verhältnissen der Autor eines
einschlägigen Sachbuchs Peter Pirker: "Der
Historiker Thomas Geldmacher hat unter 1276 österreichischen
Wehrmachtsdeserteuren ganze fünf Fälle gefunden, die bei ihrer Desertion
schwere physische Gewalt angewendet haben. … (Dagegen wurden) insgesamt
… zwischen 15.000 und 20.000 Deserteure hingerichtet, davon dürften etwa
zwischen 1.200 und 1.400 Österreicher gewesen sein. Tausende andere
kamen in KZ und Gefängnisse. Für diese Zeit konnten sie nie Ersatzzeiten
für die Pensionsversicherung anrechnen lassen. Das gilt bis heute."
(derStandard-online 20.04.05)
Dem Sudanesen steht freilich die Moeglichkeit einer Versaeumnisbeschwerde
beim VwGH offen, der im Falle einer nachhaltigen Weigerung der
zustaendigen Behoerde auch die definitive Entscheidungsbefugnis ueber
den Antrag haette.
hagalil.com
22-10-06 |