Rechtsextrem oder postmodern?
Max Preglau's Regierungs- und Wahlkampf-Watch
Über Rhetorik, Programmatik und
Interaktionsformen der FPÖ und die Regierungspolitik der FPÖVP-Koalition
Letzte Aktualisierung: 13.10.2006 (1)
Laufend aktualisierte Fassung als pdf
Der Autor Max Preglau ist Professor am Institut für Soziologie der
Universität Innsbruck
Kurzzusammenfassung in Thesenform:
1) Die FPÖ ist eine ihrer äußeren Erscheinungsform und in ihrem Stil
nach postmodern-beliebig-populistische, ihren ideologischen Grundlagen
und ihrer gesellschaftspolitischen Stoßrichtung sowie ihrem
Verhaltensstil nach jedoch nach wie vor ihrer Regierungsbeteiligung
eine tendenziell rechtsextreme Partei.
2) Auf Grund des Einflusses der FPÖ und der "Verhaiderung" der
Schüssel-Khol-ÖVP finden sich auch in Regierungsprogramm und –praxis
der blau-schwarzen Koalition Momente des Ethno-Nationalismus und
Rassismus, der Geringschätzung von Menschenrechten, Rechtsstaat und
Demokratie sowie des Revisionismus, also rechtsextreme Elemente
(im Sinne der Definition von Holzer 1994), die längerfristig zu einer
schleichenden Aushöhlung von Menschenrechten und liberaler Demokratie in
Österreich führen könnten.
3) Die zunehmend als "normal" akzeptierte Regierungsbeteiligung der FPÖ
entfaltet auch auf europäischer Ebene problematische Wirkung: Die
Aufhebung der "Sanktionen" wurde von der Regierung und der FPÖ in höchst
selektiver Wahrnehmung und aktiver Uminterpretation als Persilschein
ausgelegt, der es ihnen nun auch ermöglicht, die Entwicklung eines
stärker integrierten europäischen Bundesstaates von innen zu verhindern.
Zudem ist der "cordon sanitaire" gegen rechtsextreme Parteien auch in
anderen Ländern Europas bereits zusammengebrochen.
4) Letztlich ist die Wendekoalition nicht am Widerstand ihrer
GegnerInnen gescheitert, sondern an den inneren Widersprüchen der
FPÖ, die zugleich Regierungspartei sein und an ihren
rechtspopulistischen und –extremen Positionen festhalten wollte. Im
Wahlkampf des Herbst 2002 haben sich ungeachtet dessen die
rechtsautoritären und rechtsextremen Kräfte zur Neuauflage ihres
Regierungsbündnisses formiert und diese nach monatelangen
Scheinverhandlungen der ÖVP mit SPÖ und Grünen letztlich auch
realisiert.
Inhaltsübersicht:
Im folgenden Beitrag werden ein weiterer Versuch zur Bestimmung der "Natur
der FPÖ" und eine erste Zwischenbilanz über die Regierungspolitik der
blau-schwarzen Wendekoalition unternommen. Zur Diskussion steht dabei,
ob diese als populistisch-postmodern, rechts-konservativ oder
rechtsextrem einzuordnen sind. Nach einer kurzen Einleitung in die
Thematik und einer Klärung der Schlüsselbegriffe "postmodern", "rechts"
und "rechtsextrem" werden Rhetorik und Kommunikationspolitik der
(Haider-) FPÖ auf dem Weg zur Regierungsmacht, Programmatik, interne
Interaktionsformen und Führungsstil der FPÖ sowie Regierungserklärung
und ein Jahr Regierungstätigkeit der blau-schwarzen Wendekoalition
einer eingehenden Analyse unterzogen. Es folgt eine kurze Darstellung
der Popularität der Wendekoalition und ihrer Opposition an Hand von
Daten aus der Wahlforschung. Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit dem
Machtkampf in der FPÖ und dem daraus resultierenden vorläufigen (?) Ende
der FPÖVP-Wendekoalition im Sommer 2002. Auf dieser Grundlage ergibt
sich der abschließende Befund : die FPÖ war und ist eine tendenziell
rechtsextreme Partei, und auch Regierungsprogramm und die blau-schwarzen
Regierungspolitik hat rechtsextreme Elemente enthalten. Ein Epilog
befasst sich mit dem Wahlkampf im Herbst 2002 um Abbruch oder
Fortsetzung des Wendeprojekts sowie mit den Koalitionsverhandlungen
danach.
1. Einleitung
Analysen der digitalen Mediendemokratie mit ihrer Tendenz zur
marketing-orientierten und mediengerechten, zugleich
aufregend-unterhaltsamen und inhaltlich unverbindlichen "Showpolitik"
wie die von Plasser und Ulram (1994), Prisching (1998) oder Macho (2000)
legen ebenso wie die jüngste sprachwissenschaftliche Analyse
freiheitlicher Medienkommunikation von Walter Ötsch (2000) folgenden
Schluss nahe: Haider und die FPÖ sind im Stil ihrer Selbstinszenierung
sowie in der populistischen Beliebigkeit und Austauschbarkeit ihrer
politischen Inhalte typisch postmoderne Phänomene. Demgegenüber stellt
der im Auftrag der portugiesischen EU-Präsidentschaft angefertigte so
genannte "Weisenbericht" fest, die FPÖ sei eine "rechtspopulistische
Partei mit radikaler Ausdrucksweise und extremen Elementen" (Ahtisaari/
Frowein/ Oreja 2000). Einzelne europäische und österreichische
politische Kritiker der FPÖ (z.B. Frankreichs sozialistischer
Europaminister Moscovici und der Grüne Europaparlamentarier
Voggenhuber), aber auch neuere Analysen mit wissenschaftlichem Anspruch,
die auch die Programmatik und den Führungsstil der FPÖ sowie die
Regierungserklärung und die ersten Monate Regierungspraxis der
blau-schwarzen Wendekoalition in ihre Betrachtung einbeziehen (z.B.
Gessenharter 2000, Scharsach/ Kuch 2000), kommen hingegen zu dem
alarmierenden Befund, die FPÖ sei eine rechtsextreme Partei. Ich möchte
im Folgenden einen weiteren Anlauf zur Bestimmung der "Natur der FPÖ"
und der Politik der blau-schwarzen Regierung unternehmen. 2.
"Postmodern" – "rechts", "rechtsextrem": Begriffsbestimmungen
2.1 Zum Begriff "postmodern"
Der Terminus "postmodern" ist ein schillernder Begriff, bestehend aus
deskriptiven wie normativen Komponenten (vgl. dazu einführend Preglau
1998 und ausführlicher Welsch 1988). Nach dem bekannten Theoretiker der
"Postmoderne" Hassan (1988, 49 ff.) verweist dieser Begriff in
deskriptiver Hinsicht auf folgende Merkmale: (1)
Unbestimmtheit: Klare Grenzlinien zerfließen, Vagheit und Mehrdeutigkeit
tritt an die Stelle von Eindeutigkeit. Beispiel aus dem Bereich der
Politik: Leerformeln ohne konkreten Inhalt, unbestimmte Andeutungen und
Appelle an diffuse Gefühle statt sachbezogener Argumente und konkreter
Versprechen im politischen Diskurs.
(2) Fragmentierung: Systemische Ganzheiten brechen in ihre Einzelteile
auseinander: Beispiel: Forderungskataloge und Programme von Parteien
werden nicht mehr systematisch aus übergeordneten Ideologien abgeleitet,
sondern ohne Rücksicht auf innere Kohärenz aus einzelnen populären
Elementen zusammengesetzt.
(3) Auflösung des Kanons: Geschlossen Lehrgebäude und Ideologien verlieren
ihre Aura absoluter Geltung und weichen einem Pluralismus relativer
Meinungen und Werte. Beispiel: Politische Ideologien wie der Marxismus
haben an Überzeugungs- und Anziehungskraft verloren.
(4) Verlust von "Ich" und "Tiefe": Man glaubt nicht länger an ein
selbständiges "Ich", das in einem zugleich unveränderlichen und
unergründlichen Wesenskern ruht; stattdessen nimmt man an, dass sich das
Ich unter dem Einfluss der sozialen und kulturellen Umwelt ständig
verändert und in seinen jeweiligen äußeren Ausdrucksformen aufgeht.
Beispiel: Die postmoderne "Patchwork-Identität" die sich ohne Anspruch
auf Kohärenz und Kontinuität wie ein Chamäleon an seine jeweilige
soziale Umgebung anpasst.
(5) Beachtung des Nicht-Darstellbaren: Anders als der moderne Positivismus
und Rationalismus rechnet man mit der Existenz des Nicht-Messbaren und
der Möglichkeit des rational nicht Erklärbaren. Beispiele: Die
Wissenschaft hat an Autorität verloren, Esoterik und Astrologie haben
Konjunktur, der rationale politische Diskurs weicht einer "Politik der
Gefühle".
Diese fünf Merkmale kennzeichnen die negativ-"dekonstruktive" Seite der
"Postmoderne". Die folgenden sechs Merkmale stehen dagegen für ihre
positiv-"rekonstruktive" Seite:
(6) Ironie: Trockener Ernst und tragisches Pathos weichen einer ironischen
Grundstimmung, die sich subversiv gegen "heilige" Werte und Autoritäten
und rationalistische Besserwisserei richtet. Beispiel: Politisches
Kabarett in totalitären Staaten, das seine politische Systemkritik in
heitere Bonmots verpackt.
(7) Kombination und Abwandlung verschiedener Stile und Codes tritt an die
Stelle eines puristischen Reinheitsgebots. Beispiele: Überschreitung der
Grenze zwischen klassischer und populärer Musik oder zwischen Politik
und Unterhaltung.
(8) Konstruktivismus statt Realismus: Die Vorstellung, dass die Struktur
der Wirklichkeit unsere Erkenntnis bestimmt, wird durch die Vorstellung
ersetzt, dass unsere kognitiven und sprachlichen Erkenntniswerkzeuge
bestimmen, was uns als Wirklichkeit erscheint. Beispiel: Was in der
Mediendemokratie zur Sensation oder zum Skandal wird, hängt nicht von
der Bedeutung eines Ereignisses in irgendeinem objektiven Sinne ab,
sondern davon, ob es die Medien zur Sensation oder zum Skandal erklären.
(9) Immanenz bzw. Selbstreferenz: Unter den Voraussetzungen eines
radikalen Konstruktivismus findet unser Denken und Sprechen seinen
Inhalt nicht in der außersprachlichen Realität, es kreist vielmehr –
gesteuert durch die Regeln der sprachlichen Zeichensysteme – in sich
selbst. Beispiel: Der zeitgenössische politische Diskurs besteht
hauptsächlich aus Stellungnahmen einer Partei zu Stellungnahmen anderer
Parteien
(10) Karnevalisierung: Der Anspruch auf nüchterne und authentische
Darstellung der Realität weicht dem imaginären Spiel mit
phantastisch-komischen Masken, Kostümen und Requisiten. Beispiel:
Wahlkampfveranstaltungen, die Züge des Volksfests und des showartigen
Entertainments annehmen.
(11) Performanz, Teilnahme: dramatisch inszenierte "Happenings" und
"Performances", die das Publikum in ihren Handlungsablauf einbeziehen,
treten an die Stelle rein kognitiver Information oder rein ästhetischer
Erbauung: Beispiele: Schlingensiefs Wiener Container-Action "Bitte liebt
Österreich", aber auch politischer Aktionismus nach dem Muster der
Protest-"Pressekonferenz der Tiere" der Gegner des Kraftwerksbaus in
Haimburg.
In seiner normativen Bedeutung verweist der Begriff der "Postmoderne" auf
das konsequent liberal-demokratische Ideal einer "Verfassung radikaler
Pluralität", die "... das unüberschreitbare Recht hochgradig differenter
Wissensformen, Lebensentwürfe und Handlungsmuster" garantiert und
dementsprechend eine eingebaute Präferenz für eine "antitotalitäre
Option" (Welsch 1988, 4) besitzt.
2.2 Zu den Begriffen "rechts" und "rechtsextrem"
Folgt man Holzer (1994), so zeichnet sich "politisch rechts" durch
folgende Merkmale aus:
- Einordnung des Individuums in "natürliche" Gemeinschaften;
- Positionierung sozialer Gruppen innerhalb einer vorgegebenen
hierarchischen Ordnung;
- Streben nach stabilen, "natürlichen" Entscheidungsstrukturen;
- Annahme natürlicher Ungleichheit.
Auf dieser Basis gelangt die politische Rechte zu einer
skeptisch-konservativen Beurteilung von Emanzipations- und
Demokratisierungsprozessen.
Die politische Rechte schlägt in Rechtsextremismus um, sobald das rechte
Weltbild – z.B. mittels pseudowissenschaftlicher
(rassen-)biologistischer Axiome - in systematischer Weise ideologisch
abgestützt wird und sich dogmatisch verhärtet. Hier schlägt auch die
Skepsis gegen Emanzipation und Demokratie in reaktionär-destruktive
Gegnerschaft um, die auch vor gewaltsamen Mitteln nicht zurückschreckt.
Sichtet man die Literatur zur
Rechtsextremismusforschung, findet man zum Teil recht unterschiedliche
Definitionen (vgl. dazu den Überblick in Druwe/ Martino 1996, 66). Die
meisten stimmen jedoch ungeachtet von Differenzen in Randbereichen in
einem bestimmten Bedeutungskern weitgehend überein, wie er sich
namentlich in neueren Standardwerken (Holzer 1994, Heiland/ Lüdemann
1996 und Benz 1998) findet:
1. Ideologie/ Gedankeninhalte
- Ethnisch-völkischer Nationalismus – das Volk als natürliche Substanz -
und dessen Kehrseiten: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus;
- Postulat der natürlichen Ungleichheit, Gegnerschaft zur Idee der
Gleichheit aller Menschen;
- Hierarchisch-patriarchales Ordnungsdenken, gegen (Frauen-)Emanzipation
und einen Pluralismus der Werte und Lebensformen;
- für Führertum und autoritären Staat, Gegnerschaft zu liberaler
Demokratie und Gewaltenteilung;
- Soziale Gemeinschaftsbildung und Solidarität auf Grundlage "natürlicher"
Bande ("Volksgemeinschaft") und nicht auf Basis gemeinsamer Interessen;
- Tendenz zur verschwörungstheoretischen Konstruktion von Feindbildern und
zur Sündenbockprojektion;
- Rechtfertigung und Verherrlichung von Gewalt;
- Nationalistisches Geschichtsbild – das Volk als Subjekt der Geschichte;
in der Variante des Neonazismus: Glorifizierung des NS-Staats,
Geschichtsrevisionismus;
2. politischer Verhaltensstil: populistische Rhetorik, Sprachgewalt,
Bereitschaft zur physischen Gewalt (einschließlich Anleihen an Taktik,
Stil und Vokabular des Nationalsozialismus auf seinem Weg zur
Staatsmacht, dazu: Scharsach/ Kuch 2000);
3. Innen- und Außenbeziehungen: autoritär-hierarchische Interaktions- und
Organisationsformen, Integration von rechtsextremen Personen, Kontakte
zu anderen rechtsextremen Organisationen.
Ich werde nun in den folgenden Abschnitten zeigen, dass Haider und die FPÖ
zwar auf der Ebene der äußeren Erscheinung postmoderne Züge annehmen,
aber diese Momente nicht ins Spiel bringen, um im Sinne des normativen
Ideals der Postmoderne dem "Recht auf Differenz" (Lyotard) zum
Durchbruch zu verhelfen. Sie benutzen diese Momente vielmehr, um im
Geiste ihres Programms und in einer durchaus dem NS-Diskurs und den
Methoden der NS-Agitation ähnelnden Weise (Bobrowski 2000, Januschek
1994) ein (in seinem Wesen übrigens zutiefst modernistisches, dazu:
Baumann 1992) rechtsextremes politisches Projekt voranzutreiben: Dazu
gehören die Enttabuisierung, die geschichtsrevisionistische
Normalisierung und Rehabilitierung der NS-Vergangenheit, die
Durchsetzung und Erhaltung der ethnischen und kulturellen Reinheit bzw.
Homogenität, der Abwertung und Ausgrenzung alles Dissidenten,
Unangepassten und Fremden, kurz: von jeglicher "Differenz". Schließlich
umfasst dieses Projekt auch den Umbau des politischen Systems der
zweiten Republik und die Diskreditierung seiner RepräsentantInnen. Die
"postmoderne" äußere Form des Angriffs auf "das System" soll dabei
helfen, auch diejenigen zu erreichen, die mit einer offen rechtsextremen
Propaganda nicht mobilisiert werden können. 3. Rhetorik und
Kommunikationspolitik der FPÖ auf dem Weg zur Regierungsmacht (2)
Haider und die FPÖ weisen in der äußeren Form und im Stil ihrer
politischen Kommunikation in der Tat eine ganze Reihe dieser typisch
postmodernen Merkmale auf. Dazu einige Beispiele vor allem aus dem Munde
bzw. aus der Feder Jörg Haiders, entnommen aus Aschermittwoch-Reden,
kabarettistischen Bierzelt-Wahlkampfreden, Festreden vor
Traditionsverbänden, Aussendungen des Freiheitlichen Pressedienstes,
Äußerungen bei Pressekonferenzen und Interviews (Beobachtungszeitraum:
1986 – 02/2001; Zitate bis Juni 1994 aus Tributsch 1994, Zitate nach
Juni 1994 aus futurelinks 2000 und Der Standard-online 2000, 2001):
(1) "Unbestimmtheit/ Mehrdeutigkeit", (7)
Mehrfachcodierung":
- die provokante, auf die NS-Zeit bezogene oder blasphemische Anspielung:
"Systemparteien" (der Begriff, mit dem die Nazis die demokratischen
Parteien der Weimarer Republik etikettiert haben), "Am Kärntner Wesen
könnte auch diese Republik genesen", "ordentliche Beschäftigungspolitik
des Dritten Reichs", "Endlösung der Bauernfrage durch die
Bundesregierung", "... totaler Krieg gegenüber der freiheitlichen
Opposition", "Wäre die FPÖ eine Nachfolgeorganisation der NSDAP, hätte
sie die absolute Mehrheit", "NAZI" - Akronym für "neu, attraktiv,
zielstrebig, ideenreich" (R. Gaugg);
"Bevor überhaupt ein Hahn krähen konnte, hat Zernatto mich verraten", "Die
FPÖ nimmt das Papstwort von der Nächstenliebe ernst - denn Nächstenliebe
manifestiert sich letztlich in unserem Anspruch: Österreich zuerst",
"Was Lewinsky getrennt hat, wird Jörg Haider wieder zusammenbringen";
(3) "Auflösung des Kanons":
- Verkündung des "Endes der großen Erzählungen":
Jörg Haider eröffnet sein Buch "Die Freiheit, die ich meine" (1993, 9) mit
einem Passus, der fast wortwörtlich von Lyotard stammen könnte: "Die auf
dem Boden der Aufklärung gewachsenen, für Europa prägenden Ideen und
Gesellschaftssysteme sind überholt, am Ende oder überhaupt gescheitert.
Das gilt für den Sozialismus ebenso wie für den Liberalismus".
(4) "Verlust von ‚Ich‘ und ‚Tiefe‘":
- Rekrutierung, Styling, Outfit und Verhaltensstil von FP-PolitikerInnen
sowie die Perfektion der massenmedialen (Selbst-) Inszenierung, die in
chamäleonartiger Mimikry stets "trendy" und stilistisch auf das
jeweilige Zielpublikum abgestimmt sind:
Die "digitale Konstruktion" macht dabei - ganz im Sinne postmoderner
"Simulation" (Baudrillard) - Haider und sein Team zu "Atavaren", zu
artifiziellen Persönlichkeiten, deren Unheimlichkeit sich aus der
Unmöglichkeit ergibt, sie "mit Identitäts- und Eigentlichkeitsfragen zu
konfrontieren" (Macho 2000, 5) – gefälliger "Feschismus" (Armin
Thurnher) scheint den militanten Faschismus zu verdrängen.
(6) "Ironische Wertunterminierung":
- die Abwehr von Kritik durch das zynische Zitat allgemeiner Werte und das
zynische Rückspielen von Vorwürfen an die KritikerInnen:
"Demokratie- und Diskursverweigerer", "Ausgrenzer"; "NS-Methoden",
"(Austro-)Faschisten"; "Aufarbeitung der Geschichte – der Sanktionen" ;
(8) "Konstruktivismus":
- "hyperreale" Skandalisierung :
Konstruktion virtueller Skandale, vom "alkoholkranken" Schuldirektor über
Asylanten, die "11.000.- öS. Sozialhilfe beziehen", über die
"Drogendelikte" des Innenministers Caspar Einem bis zum "Megaskandal"
der "Schwarzgeldzahlungen" im ÖGB.
(10) "Karnevalisierung":
- die Preisgabe demokratischer Institutionen an die Lächerlichkeit:
Parteien: "Alt(e)Parteien", "rot-schwarze Einheitspartei"; SPÖ: "rotes
Gesindel", "Bonzen, Privilegienritter und Korruptionisten",
"Apparatschikpartei", "Multifunktionärspartei"; ÖVP:
"Mitregierungs-Attrappe"; Grüne: "Linke Chaoten", "Kryptokommunisten",
"linksradikales und österreichfeindliches Element", "Wassermelone, außen
grün, innen rot"; LIF bzw. dessen Gründergruppe abtrünniger
FPÖ-Abgeordneter: "Diebsgesindel und Lügenpack um Heide Schmidt",
"Scheinasylanten, die die Familie der FPÖ verlassen haben";
Regierung: "rot-schwarzes Machtkartell", "rot-schwarzes Narrenschiff",
"rot-schwarze Nachtwächterregierung", "rot-schwarzer Staatszirkus",
"rote und schwarze Kanalräumerbrigaden", "Wachsfigurenkabinett",
"politisches Kuriositätenkabinett", "Chaosregierung", "orientierungslose
Pleitegemeinschaft", "drittklassiger Raubritterstadel", "rot-schwarzer
Blutegel", "rote und schwarze Filzläuse, die mit Blausäure bekämpft
werden sollten";
Sozialpartner(-schaft): "Bauernbund ist Räuberbund", "Zwangskammersystem",
"Viererbande";
DemonstrantInnen/ OpernballdemonstrantInnen: "Anarchisten",
"Kryptokommunisten", "linker Mob", "linksradikale Raufbolde",
"Marxisten", "linksextreme Gewalttäter";
Medien: "aufheulende linke Medien", ORF - "Ostblock-Sender", "rote
Zensoren", "Rotfunk", "letzte linke Kohorten im ORF";
Österreich: "autoritäre Entwicklungsdemokratie", "Funktionärsstaat",
"Gaunerrepublik", "Missgeburt Österreichische Nation";
EU: "Hühnerstall", in dem "Aufregung herrscht, obwohl der Fuchs noch gar
nicht drin ist", "Europa der Bürokraten", "selbsternannte Scharfrichter
in Europa";
- die Schmähung und Verhöhnung politischer Gegner im In- und Ausland:
Meissner-Blau: "Anti-Atom-Tante", "Blaumeise, die zum Rotkehlchen wurde";
Pilz: "roter Spalt-Pilz", "marxistisch verstrahlter Giftpilz"; Mock:
"Alois Hilflos"; Busek: "Schrumpfaustriak", "Schrumpfungsbeauftragter" -
will "dem Land zur EU Mitgliedschaft verhelfen ..., von dem er offenbar
abstammt"; Graf: "Graf Bobby", "Ausbildungsabbrecher", "Vorbestrafter",
"Zigeunerkapellmeister"; Lacina: "Ferdinand mit den leeren Taschen";
Vranitzky: "Franz Ratlos", "Ankündigungsriese, der zum Problemlöserzwerg
geworden ist", "erster Austrofaschist im Nadelstreif", "Oberbankdirektor
mit dem Bauchansatz", "Aktienhändler für die leeren SP-Kassen"; Klima –
"wie eine Fledermaus: jahrelang hängt sie im Gebälk der Macht, wenn es
finster wird, schwirrt sie ab"; Gusenbauer: "Gruselbauer"; Klestil:
"ungläubiger Thomas", "Waldheim (konnte) nicht mehr ins Ausland ... ,
Klestil kann nicht mehr ins Inland", "Lump";
Fischler: " (weiß) immer schon genau ..., wann er sein Fähnlein in den
Wind hängen muss"; Walesa: "mehr breit wie hoch"; Chirac:
"Westentaschen-Napoleon";
Heller, Jelinek und Co.: "steuerflüchtige Subventionshaie"; Thomas
Bernhard: "subventionierter Schriftsteller, ... (der)
Österreichbeschimpfung (praktiziert)";
ForscherInnen zur NS-Vergangenheit: "pragmatisierte
Vergangenheitsbewältiger";
Soweit zur postmodernen Form der Kommunikationskultur. Das (neu-)rechte
Element dieser Kommunikationskultur kommt in den – den normativen
Idealen der Postmoderne geradezu konträren - strategischen Zielen und
Inhalten der Kommunikation der FPÖ zum Ausdruck. Die FPÖ thematisiert
"Differenz" nämlich nicht im Geiste der Postmoderne als gleichwertige
und bereichernde Komponente sozialer Pluralität, sondern als
abweichendes und störendes Element im Rahmen einer ethnozentrischen
Werteordnung und einer manichäischen Konzeption einer Welt voll von
feindlichen Gegensätzen. Sie will – ganz i.S. eines totalitären, auf
Homogenität und Reinheit sowie auf Ausgrenzung des Heterogenen und
Unreinen bedachten Modernismus - nicht auf Verständigung und Integration
hinaus, sondern auf Spaltung und Desintegration. Die FPÖ strebt nicht
eine demokratische Ordnung als partizipatorische Regelung öffentlicher
Angelegenheiten mit besonderer Berücksichtigung des (Minderheiten-)
Rechts auf Differenz an, sondern eine Demokratie als Medium, wo es der
Mehrheit erlaubt ist, den Minderheiten ihren Willen aufzuzwingen. Dafür
einige Beispiele:
- Manichäische Feindbilder:
Europa der Bürokraten vs. Europa der Bürger und Völker, politische Klasse
vs. Volk; Ausländer/ Schwarzafrikanische Drogenhändler/ Scheinasylanten
vs. Inländer; Christliche Abendländer vs. Islamische Fundamentalisten,
Geschützter Bereich (öffentlicher Sektor, staatliche Unternehmen) vs.
nichtgeschützter Bereich (Privatwirtschaft), Bonzen und
Privilegienritter, parasitäre Funktionäre vs. fleißige und anständige
Leute, Staatskünstler/ machtgenehme Journalisten/ pragmatisierte
Vergangenheitsbewältiger vs. Volk, Mehrheit vs. Minderheit, Patrioten
vs. vaterlandslose Gesellen und Vaterlandsvernaderer, Österreicher vs.
Sozialistische Internationale/ EU;
- Kampagnen zur Mobilisierung der Mehrheit gegen die Minderheit –
ihrerseits eine der Eigenheiten der FPÖ:
Anti-Ausländer-Volksbegehren "Österreich zuerst!", Forderungen des
Anti-Euro-Volksbegehren, Wiener (Anti)Ausländer-Wahlkampf, Kampagne
gegen Superintendentin Knoll, angestrebte Volksbefragung zu den
"EU-Sanktionen", Watch-List für "Triebverbrecher".
Diese Rechts-Orientierung ist im Sinne der oben gegebenen Definition
insofern als extrem zu bezeichnen, als sie
- offenkundig auf eine ideologische Delegitimierung demokratischer
Einrichtungen abzielt, die deren faktischer Demontage (s. weiter unten)
den Boden bereiten soll;
auf die Verbreitung und Verstärkung von rassistischen Vorurteilen,
Feindbildern und Sündenbockprojektionen abzielt, die ein Potenzial
physischer Gewalt schaffen, das sich bereits wiederholt auch tatsächlich
entladen hat – etwa während des Wiener Anti-Ausländer-Wahlkampfes der
FPÖ im Herbst 1999 im alltäglichen Umgang mit AusländerInnen oder nach
der Haider-Kundgebung in der Wiener Stadthalle im Herbst 2000 in Form
von gewalttätigen Übergriffen gegen Anti-RegierungsdemonstrantInnen
(vgl. Der Standard-Online 23.10.2000).
Trotz diesbezüglicher internationaler Kritik und Rüge im
EU-"Weisenbericht" ist die FPÖ nicht davor zurückgeschreckt, den Wiener
Wahlkampf 2001 wiederum mit offener und unterschwelligen Mobilisierung
fremdenfeindlicher Affekte zu führen (derStandard-online 14.09.00 bzw.
14.03.01).
- Auch schreckt die FPÖ nicht vor der unverhohlenen Drohung mit Gewalt
zurück:
Haider über DemonstrantInnen: "Die, die da hinten schreien, werden – wenn
ich etwas zu sagen habe – noch ihre Luft brauchen – zum Arbeiten" ; "in
Kärnten traut sich ja schon längst kein Linker mehr zu demonstrieren, in
Wien ist das anders", Haider über JournalistInnen: "Wenn ich etwas zu
sagen habe, wird in den Redaktionsstuben in Zukunft weniger gelogen und
mehr Wahrheit sein als jetzt".
Wie auch der sogenannte "Weisenbericht" (Ahtisaari u.a. 2000, 26f.)
feststellt, sind diese rechtsextremen Elemente "in Bezug auf den Schutz
und die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und die Verhinderung
jeder Art von ethnischer oder rassischer Diskriminierung ...
besorgniserregend".
Als rechtsextrem zu werten sind aber auch die oben angeführten humoresken
Anspielungen auf und Paraphrasen von NS-Parolen, da sie die Symbolik
einer verpönten Vergangenheit ent-tabuisieren und normalisieren – und
v.a. die bekannten, einem Geschichtsrevisionismus gleichkommenden
Aussagen zur NS-Vergangenheit. Dazu zählen etwa:
Die Rede von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich",
die Krumpendorfer Ehrenerklärungen an SS-Angehörige – "anständige
Menschen mit Charakter", oder die Umdeutung des Angriffskrieges auf die
Sowjetunion zum Kampf für Freiheit und Demokratie: "Hätten (die
Wehrmachtssoldaten) nicht Widerstand geleistet, wären sie nicht im Osten
gewesen, hätten sie nicht die Auseinandersetzung geführt, dann hätten
wir ... (keine) Demokratie in Europa" (zitiert nach futurelinks 2000;
für weitere Belege s. Scharsach/ Kuch 2000).
Auch folgende, beim FPÖ-Neujahrstreffen in Wien am 21.1.2001 gefallene
Verharmlosung einer Wiederbetätigung gehört in diese Rubrik:
"In Österreich wird der kleine Schimanek acht Jahre lang weggesperrt, weil
er eine kleine Wehrsportübung gemacht hat. In Deutschland darf ein
RAF-Sympathisant Außenminister werden" (Der Standard-online, 21.1.2001).
4. Programmatik, Interaktionsformen und Führungsstil der FPÖ
Wirft man einen Blick in das neue Parteiprogramm der FPÖ, dann kann man
feststellen, dass diese Kommunikationspolitik mit ihrer rechtsextremen
inhaltlichen Ausrichtung gerade kein Produkt des Zufalls oder eines
bloßen populistischen Opportunismus ist, der augenblickliche
Stimmungslagen ausbeutet. Sie ist konsequenter Ausdruck einer durch und
durch völkisch-nationalistischen, dem ökonomischen, politischen und
sozialen System der zweiten Republik fundamental kritisch
gegenüberstehenden und ausgesprochen kulturkonservativen Programmatik.
Das neue FPÖ-Programm von 1997 (hier zitiert in der Internet-Version von
2000) ist zwar weitgehend frei von belasteten Termini (weder das Wort
"Volksgemeinschaft", noch der Begriff "Dritte Republik" tauchen im
Programm auf): Es enthält ein Bekenntnis zu Menschenwürde und Demokratie
sowie zur offenen und pluralistischen Gesellschaft. Zugleich finden hier
aber auch die für Rhetorik und Kommunikationskultur festgestellten
rechtsextremen Elemente ihre ideologischen Entsprechungen und
Begründungen:
- Die Konzeption eines ethnisch homogenen Volkes, dessen Einheit räumlich
bzw. biologisch durch die mehrheitliche Zugehörigkeit zur deutschen
Volksgruppe und kulturell durch das Bekenntnis zur deutschen Kultur
konstituiert wird:
Die völkische Orientierung verbirgt sich dort unter dem unauffälligen
Stichwort "Recht auf Heimat". Dort heißt es: "Unter Heimat sind die
demokratische Republik Österreich ..., die historisch ansässigen
Volksgruppen ... und die von ihnen geprägte Kultur zu verstehen". Heimat
wird dabei ausdrücklich "...in räumlicher, ethnischer und kultureller
Hinsicht" (FPÖ 2000, 10), also auch über die Volksgruppenzugehörigkeit
definiert; andererseits wird diese Heimat – unter Verweis auf eine
angebliche "denklogische Voraussetzung der Rechtsordnung" - als
"überwiegend deutsch" apostrophiert.
Volk (und auch Familie) gelten dabei als vorpolitisch konstituierte
"organisch gewachsene Gegebenheiten", die im Sinne eines völkischen
Nationalismus in anti-individualistischer Weise als Kollektivsubjekte
und daher auch wie der Einzelmensch als "Träger von Freiheitsrechten"
aufgefasst werden, die auch "in der Politik Berücksichtigung finden
müssen" (FPÖ 2000, 5).
Der so definierten Heimat kommt im FPÖ-Programm der Rang des obersten
Wertes zu. Dieser bildet die Grundlage eines "Österreichpatriotismus",
der seinerseits wiederum die "Pflicht zur Solidarität mit den
Landsleuten" beinhaltet (FPÖ 2000, 9).
- Damit im Zusammenhang: Das chauvinistische Konzept eines über den
Menschenrechten stehenden "Grundrechts auf (deutsche) Heimat", in dessen
Namen "ungezügelte Zuwanderung" als Gefährdung der zum "Schutzobjekt"
erklärten Volksreinheit abgelehnt und supranationale Zusammenschlüsse
nur soweit zugelassen werden, wie sie die ethno-nationale Souveränität
der Einzelstaaten nicht gefährden ("ethnopluralistisches" Europa der
Völker, kein "nivelliertes" Vereinigtes Europa!):
Heimat in ihrer räumlich, ethnisch und kulturell bestimmten Identität wird
zum "Schutzobjekt" und "Grundrecht" erklärt. Dieses Grundrecht gestatte
"... keine unkontrollierte Zuwanderung nach Österreich", bedinge die
Ablehnung "multikultureller Experimente" und erfordere "... den Erhalt
der vollen Souveränität in Ausländerfragen" (FPÖ 2000, 11). Für "die
Erhaltung der (überwiegend deutschen, M.P.) Kulturlandschaft" bedürfe es
sogar einer "... Re-Nationalisierung der land- und forstwirtschaftlichen
EU-Zuständigkeiten an den Bund und an die Länder", also eine Revision
des EU-Rechtsbestandes (FPÖ 2000, 41).
Was die zukünftige Entwicklung Europas betrifft, müsse diese "von der
Gestaltungsfreiheit seiner Völker geprägt sein" und "vor der aktuellen
Tendenz der Einebnung und Gleichmacherei" bewahrt werden: Die EU dürfe
sich vor allem "nicht zu einem europäischen Bundesstaat, sondern zu
einem Staatenbund" entwickeln. Der innere Friede Europas sei durch ein
"Volksgruppenrecht" zu sichern (FPÖ 2000, 15).
- das Modell der autoritären, an "checks and balances" armen, auf
Dauermobilisierung des Volkes beruhenden "plebiszitären
Führerdemokratie" (früher als "Dritte Republik" bezeichnet) mit einem
"Kanzler-Präsidenten" an der Spitze; damit verbunden eine radikale
Neoliberalisierung der Wirtschaft einschließlich einer Demontage des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens sowie der autonomen
Sozialpartnerschaft:
Die FPÖ strebt nach wie vor eine "Demokratie- und Verfassungsreform zur
Erneuerung der Republik" an. Dies beinhaltet u.a. einen "Ausbau der
Einrichtungen direkter Demokratie", wobei "politische Verwaltungsakte"
wie "Regierungserklärungen, Regierungsprogramme, ... usw." einer
Volksbefragung zu unterwerfen sind. Die Mitglieder des Ministerrats
sollen in Hinkunft "verfassungsgesetzlich zahlenmäßig begrenzt" und
"nicht mehr ernannt, sondern ... vom Nationalrat ... gewählt werden" und
"zusammen mit dem direkt gewählten Bundespräsidenten die Bundesregierung
bilden". Durch eine "konsequente Liberalisierung der Medienlandschaft" –
im Klartext: durch die Zerschlagung des ORF-Monopols – soll die "massive
Verzerrung der politischen Wettbewerbsbedingungen" durch
"weisungsgebundene Berichterstattung" und "machtgenehme
Journalisten-Selektion" aufgehoben werden (FPÖ 2000, 21–24).
Wirtschaftspolitisch werden eine "umfassende Deregulierung" und eine
"echte Privatisierung" angestrebt, Kammern und Verbände sind " auf ihre
Kernaufgaben zu beschränken und durch freiwillige Mitgliedschaft zu
bilden", "Unternehmensverfassungen im Sinn betrieblicher Partnerschaft"
sollen gegenüber "zentralistisch-bürokratischen Kollektivvereinbarungen"
aufgewertet werden – im Klartext: die Wirtschaft soll nach neoliberalen
Vorstellungen umgebaut und das System der Sozialpartnerschaft
zerschlagen werden (FPÖ 2000, 30f.).
- eine Kulturpolitik, welche die Werte der "deutschen Kulturgemeinschaft"
und des christlichen Abendlandes unter Glassturz und deren Verletzung
unter Strafe stellt:
Kultur wird zwar der "Anspruch auf volle innere und äußere Freiheit"
zugestanden, der nur "durch die allgemeingültige Rechtsordnung
eingeschränkt" werde. Bestandteil der Rechtsordnung ist nach
freiheitlicher Auffassung jedoch auch das Rechtsgut "(deutsche) Heimat".
Dementsprechend wird betont, dass "der staatlichen Aufgabe der Erhaltung
... (des überwiegend deutschen, M.P.) kulturellen Erbes und der
Sicherung der zumeist regionalen kulturellen Identität ... alle
Bestrebungen kultureller Nivellierung und verordneter Multikultur
entgegen(stehen) und ... daher abgelehnt (werden)" (FPÖ 2000, 42f.).
Zudem wurde bereits im Kapitel III des Parteiprogramms festgelegt, dass
der "Österreichpatriotismus" zum "Widerstand gegen die kulturelle
Verflachung, gegen die stets stärker werdenden Bestrebungen, Traditionen
zu verunglimpfen und Österreich mutwillig herabzusetzen" verpflichtet
(FPÖ 2000, 9). Viel bleibt da von der "vollen inneren und äußeren
Freiheit der Kunst" nicht übrig!
Auch wenn sich die FPÖ zur "von Christentum und antiker Welt geprägte(n)
Wertordnung" als "wichtigste(s) geistige(s) Fundament Europas" bekennt,
kommt sie nicht ohne düsteres Feindbild aus: der Wertekonsens werde
heute nämlich, so die FPÖ, u.a. durch "Nihilismus", und "hedonistischen
Konsumismus", v.a. aber durch den "zunehmende(n) Fundamentalismus eines
radikalen Islam und dessen Vordringen in Europa" bedroht. Die FPÖ
fordert daher kulturkämpferisch ein "wehrhaftes Christentum" (FPÖ 2000,
13).
Die zitierten Programmpassagen enthalten eine Reihe von
Ideologieelementen, die im Sinne der oben erläuterten Begriffsdefinition
als rechtsextrem einzustufen sind, und zwar:
– ethnisch völkischer Nationalismus (Volk und Familie als "organisch
gewachsene Gegebenheiten");
– Ablehnung von Einwanderung und "multikulturellen Experimenten" unter
Berufung auf ein "Recht auf Heimat" der "autochthonen (mehrheitlich)
deutschen Volksgruppe"; Ersatz des Asylrechts durch eine
"Verfolgtenhilfe";
– autoritärer Umbau des Staates durch Rückbau von Parlamentarismus
(verbunden mit dem Ausbau plebiszitärer Elemente), von Gewaltenteilung
(z.B. durch die Schaffung eines Kanzler-Präsidenten oder die mit einer
zahlenmäßigen Begrenzung des Ministerrates zwangsläufig verbundene
Zusammenlegung von Ministerien) und gesellschaftlicher Selbstverwaltung
der "Sozialpartner" (die frühere "Dritte Republik");
– Volksgemeinschaft: Verpflichtung zur Solidarität mit Volksgenossen;
– Ablehnung des Wertepluralismus: "Erhaltung des kulturellen Erbes und
Sicherung der kulturellen Identität" als Staatsaufgabe, Ablehnung von
"kultureller Nivellierung und verordneter Multikultur";
– Konstruktion von Feindbildern: "konsumistischer Hedonismus",
"Nihilismus", "islamischer Fundamentalismus", "Kammern- und
Parteienfunktionäre", "geschützter Sektor", "machtgenehme Journalisten",
"Staatskünstler";
– nationalistisches Geschichtsbild: Volk als Träger subjektiver Rechte,
"ethnopluralistische" Vision eines Europa der Völker.
Es besteht demnach im FPÖ-Programm eine unaufgelöste Spannung zwischen dem
Bekenntnis zu Freiheit, Menschenwürde, Demokratie und Pluralismus auf
der einen Seite, ethno-nationalistischem Chauvinismus,
Fremdenfeindlichkeit, Fundamentalopposition gegen das demokratische
System der Zweiten Republik und kultureller Intoleranz andererseits.
Diese Spannung lässt zwei, einander keineswegs ausschließende
Interpretationen zu: Sie ist entweder Ausdruck der Tatsache, dass auch
in der "neuen FPÖ" seit Haiders Führungsübernahme 1986 die liberale
Tradition in der FPÖ neben der nationalen weiterhin eine Rolle spielt,
oder Resultat des Versuchs, die liberale Komponente rein taktisch zum
Kaschieren der nationalen Ausrichtung zu benutzen, die in einer liberal
gesinnten Öffentlichkeit Anstoß erregt.
Demokratietheoretisch problematisch erscheinen aber auch
Interaktionsformen und Führungsstil der FPÖ. Sie ist zwar formal
durchaus eine demokratisch verfasste Partei, in der Praxis hat sie sich
jedoch wiederholt als eine autoritäre Partei erwiesen, die den Willen
der Parteizentrale und des (Ex-)Parteiführers auch gegen den Widerstand
einzelner Teilorganisationen und Mitglieder der Partei gnadenlos
exekutiert. Sie hat sich nach der Wende durch die Bestellung
Riess-Passers zur Parteivorsitzenden auch formal von Jörg Haider – der
Figur, die den Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in der FPÖ
prominent verkörpert - emanzipiert, informell ist sie jedoch die
"Haider-Partei" geblieben, die es nicht wirklich wagt, sich von dessen
fortgesetzten Eskapaden eindeutig zu distanzieren und einen von dessen
Vorgaben unabhängigen politischen Weg zu gehen. Sogar der Verdacht, im
politischen Wettbewerb verfassungswidrige Methoden bedenkenlos
einzusetzen, steht im Raum:
- So wurden "… im April 1998 ... in Salzburg 700 gewählte Funktionäre ...
ihrer Ämter enthoben ... und die Landespartei unter kommissarische
Leitung gestellt" (Scharsach/ Kuch 2000, 245). Eine ähnliche
Vorgehensweise wurde ein Jahr später gegenüber der FPÖ Innsbruck
gewählt; Interventionen von Seiten der Bundespartei gab es aber auch
nach der für die FPÖ negativ verlaufenen steirischen Landtagswahl 2000
gegenüber der FPÖ Steiermark (Versuch, einen neuen Parteivorstand durch
die Bundesspitze zu installieren, was allerdings wegen reger
Interventionen des nunmehr "einfachen Parteimitglieds" Haider nicht
erfolgreich war) sowie im Vorfeld der Wiener Wahlen 2001 gegenüber der
Wiener FPÖ (Austausch des im Zuge der "Spitzelaffäre" in Turbulenzen
geratenen Spitzenkandidaten Kabas gegen Partik-Pablé; vgl. Der
Standard-online 2000, 2001) – und zuletzt der Aussschluss des alten
Vorsitzenden Eberharter und die Installierung des neuen Vorsitzenden
Tilg (?) in der Tiroler FPÖ (derStandard-online 23.10.01).
- Als autoritär muss aber auch die Art und Weise bezeichnet werden, wie
die Sozial- und Frauenministerin Sickl von ihrem Regierungsamt abberufen
wurde, das gleiche gilt für die parteiinternen Vorgänge um den vom Amt
des Verkehrsministers zurückgetretenen. Schmid: Sickl erfuhr ihren
Rücktritt aus den Medien. Gegen Schmid wurde bekanntlich von der
Parteiführung ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet, weil er auf
Grund bestehender Unterhaltsverpflichtungen nicht auf einen Teil seiner
Ministerpension verzichten wollte. Er kam diesem Ausschluss, den er
selbst als "öffentliche Hinrichtung" empfunden hätte, schließlich durch
Selbstaustritt zuvor (vgl. Der Standard-online 2000, 2001).
- Demokratietheoretisch bedenklich ist aber auch die nach wie vor starke
Stellung des im März 2000 (und formell am 1. Mai) unter dem Druck der
europäischen Öffentlichkeit als Parteivorsitzender zurückgetretenen und
nunmehr "einfachen Parteimitglieds" Haider : Obwohl weder Mitglied des
Parteivorstands und der Regierung, bleibt Haider bis Februar 2002 (nach
seiner spetakulären Reise zum irakischen Diktator und mutmaßlichen
Massenmörder Sadam Hussein, s. weiter unten) Mitglied des
Koalitionsausschusses und nimmt informell über die Mobilisierung der
Öffentlichkeit und der Parteibasis sowie mit der Drohung, die
Regierungskoalition zu sprengen, maßgeblich auf die Regierungspolitik
Einfluss - insbesondere auf freiheitliche Regierungsmitglieder.
Sei es in der Frage der angedrohten Volksabstimmung zu den
"EU-Sanktionen", in der Frage der Erweiterung, Vertiefung und
Neuorganisation der EU, in der Frage des Kindergelds oder beim jüngsten
Angriff auf den Hauptverband der Sozialversicherungsträger, immer wieder
zeigt sich dasselbe Muster: Haider gibt das Zeichen zur Attacke, die FPÖ
übernimmt die Zielkoordinaten, die Regierung führt die Aktion zumindest
in abgeschwächter Form aus. Haider kann bei diesem Spiel nicht
verlieren: geschieht, was er will, hat er bewiesen, dass er die
Regierung "vor sich her treiben" kann, geschieht es nicht, kann er
ungehindert durch Rollenzwänge eines offiziellen Amtes auf Distanz zur
Regierung und den freiheitlichen Regierungsmitgliedern gehen und
ungeschmälert für sich den Oppositionsbonus lukrieren, beleidigt damit
drohen, sich aus der Bundespolitik zurückzuziehen und der FPÖ seine -
für deren Erfolg wohl unersetzliche - Unterstützung im nächsten
Wahlkampf zu versagen und so die Mehrheit der FPÖ-FunktionärInnen doch
wieder auf seine Seite bringen.
Haider bleibt also informell die zentrale Führungsfigur der FPÖ, die sich
auch und gerade auf Kosten der um ein liberal-demokratisches und
staatstragendes Image bemühten Teile der Regierungsfraktion profiliert.
Er unterlässt es wohlweislich auch nicht, diese Profilierungsversuche
der formellen Parteiführung zu unterminieren und in regelmäßigen
Abständen zu demonstrieren, wo’s seiner Meinung nach wirklich lang gehen
soll und wer der eigentliche Herr im Hause ist: Die Irak-Reise im
Frühjahr 2002 während eines USA-Aufenthalts der Parteivorsitzenden und
das Treffen europäischer Rechtsextremer in Kärnten im Sommer 2002
während des Urlaubs Riess-Passers (s. weiter unten) sind die
signifikantesten Beispiele dafür.
- Grundrechts- und demokratiepolitisch im höchsten Maße bedenklich wäre es
aber auch, wenn sich der Verdacht der organisierten Beschaffung geheimer
Polizeidaten durch die FPÖ und deren Missbrauch für parteipolitische
Zwecke erhärten sollte. Dieser Verdacht wurde vom Expolizisten und
AUF-Funktionär Kleindienst geäußert und in den Medien unter dem
Stichwort "Spitzelaffäre" kolportiert wird (v.a. Falter, 25.10.2000,
1.11.2000, 8.11.2000; Format, 30.9.2000, 14.10.2000, 28.10.2000,
2.12.2000; News, 11.10.2000, 1.11.2000, 8.11.2000, 15.11.2000 und
profil, 9.10.2000, 16.10.2000, 23.10.2000, 30.10.2000, 7.11.2000):
Wenn die Fakten (öffentliche Verwendung geheimer Polizeidaten durch
Spitzenpolitiker/innen der FPÖ - Beteuerungen Haiders, sich solche Daten
jederzeit beschaffen zu können – nicht autorisierte Abfragen von
Polizeidaten - dubiose Bewegungen auf dem Konto der AUF – Geständnisse
zweier Polizisten, geheime Abfragen im Auftrag der FPÖ durchgeführt zu
haben) nicht täuschen, dann haben sich die FPÖ bzw. einige ihrer
führenden Repräsentanten (u.a. Böhmdorfer, Haider, Kabas, Kreißl,
Partik-Pablé, Schnell und Stadler) auf ihrem Weg zur Regierungsmacht
auch grob verfassungswidriger Methoden der parteipolitischen
Unterwanderung des Polizeiapparates, der Anstiftung von Beamten zum
Amtsmissbrauch und des Verstoßes gegen den Schutz personenbezogener
Daten bedient. Damit wollten sie sich Unterlagen für ihre Kampagnen
gegen "Sozialschmarotzer" und AusländerInnen (im Zuge der so genannten
"Operation Spring") beschaffen, um prominente politische GegnerInnen
(u.a. Einem, Heller, Knoll, Pilz) zu diskreditieren oder um die
Vergangenheit potenzieller KandidatInnen ihrer eigenen Listen zu
durchleuchten
Bis Februar 2001 ist es – z.T. mangels strafrechtlich relevanter Beweise,
z.T. aus Gründen der Verjährung – in einigen Fällen (z.B. Böhmdorfer,
Haider, Stadler) zur Einstellung der Vorerhebungen und noch zu keiner
Anklage gekommen.
Letztendlich wurden von insgesamt 21 Vorerhebungen 19 eingestellt,
lediglich in den Fällen Kreißl und Kleindienst, dem Aufdecker der
Affäre, wurde Anklage erhoben. Ein "Sieg der Gerechtigkeit"
(Riess-Passer) oder doch eine "staatsanwaltschaftliche Schiebung" (Pilz)
(derStandard-online 26.04.02)?. Jedenfalls hat der Aufdecker der Affäre
– Kleindienst – in parallel laufenden Zivilverfahren gegen seine
FPÖ-Kontrahenten wiederholt Recht bekommen und ist auch in darauf
gestützten Finanzstrafverfahren bereits verurteilt worden. Was aus der
Sicht der Staatsanwaltschaft nicht stattgefunden haben soll, hat es also
offenbar für die Zivilgerichte und die Finanzverwaltung doch gegeben …
(derStandard-online 13.01.02).
Auch die Klärung der politischen Verantwortung steht noch aus. Die Akten
sind hier daher noch als offen zu betrachten.
Bei einer Analyse der FPÖ sind weiters die Integration von Personen mit
rechtsextremer Herkunft und bestehende Kontakte zum internationalen
Rechtsextremismus in Rechnung zu stellen. So verfügt die FPÖ
- über eine Reihe von Mitgliedern und Funktionären, die aus rechtsextremen
und neonazistischen Organisationen (NPD, Aktion Neue Rechte/ ANR) zur
Partei gestoßen sind (dazu Scharsach/ Kuch 2000, 192ff.);
- Personen rechtsextremer Herkunft (zB. G. Waitz aus der rechtsextremen
Burschenschaft Brixia) machen Karriere und bringen es – etw im Büro von
Böhmdorfer - immerhin bis zum Ministersekretär (derStandard-online
11.01.02.)
- über internationale Kontakte zu rassistischen und fremdenfeindlichen
Organisationen in Deutschland (Republikaner), und Italien (Lega Nord,
Alleanza Nationale). Indirekte Kontakte bestehen auch zum belgischen
"Vlams Block", wechselseitige Sympathieerklärungen gab es früher auch
mit Frankreichs "Front National" (Scharsach/ Kuch 2000, 217-232).
Dabei scheut Haider bei seinen Streifzügen ins benachbarte Ausland nicht
davor zurück, separatistische Tendenzen zu unterstützen ("Viva Padania")
oder die dortige Einwanderungspolitik zu kritisieren ("zu lax",
"Einwanderungstourismus"). In München und Venedig wurde er deshalb
bereits zur "persona non grata" erklärt (vgl. Der Standard-online 2000).
- Zum Jubiläum der rechtsextremen Zeitschrift "Aula" im Herbst 2001 fand
sich die rechtsextreme Korona ganz Europas – von Vlaams-Block – de
Winter bis zum Front-National-Megret – zur Gratulation ein. Vielleicht
ein Vorspiel zur Konstitution einer vereinigten europäischen Rechten,
deren Gallionsfigur nach eigenen Angaben Jörg Haider, der "Töter der
Brüsseler Bürokratie" (O-Ton), heißen könnte (derStandard-online
11.11.01, 19.11.01).
- Am 13.2.02 reist Haider – nach dem Vorbild der Rechtsextremisten le Pen
und Schirinowski –ungeachtet der bestehenden UNO-Embargos ohne
Abstimmung mit der UNO und mit der österreichischen Regierung angeblich
"als Privatmann" und "aus humanitären Gründen" zum Diktator und
mutmaßlichen Kurden-Giftmörder Sadam Hussein in den Irak und versichert
diesen der Grüsse und der Solidarität des österreichischen Volkes
(derStandard-online 14.02.02).
Haider verwendet diese Affäre in der Folge geschickt, um seine
Führungsrolle in der FP herauszustreichen: Nach innerparteilicher Kritik
provoziert Haider eine FPÖ-interne Krise, indem er mit seinem Rückzug
aus der Bundespolitik "droht", sich dann von der umgehend ihren
USA-Besuch abbrechenden "Parteichefin" Riess-Passer in seiner
Unersetzlichkeit bestätigen und zum Rücktritt vom Rücktritt bitten
lässt, zwar sein Ausscheiden aus dem Koalitionsausschuss bekannt gibt,
aber zugleich seinen Einfluss in der Regierung stärkt, indem er mit
Reichhold statt Forstinger einen weiteren Vertrauensmann im
FP-Regierungsteam installiert (derStandard-online 17.02.02, 18.02.02).
Ein vom Kärtner Landtag eingesetzter Ausschuss zur parlamentarischen
Untersuchung dieser Angelegenheit wird von Haider, gestützt auf ein
umstrittenes privates Rechtsgutachten, als "nichtig" erklärt und in der
Folge öffentlich verhöhnt und von der FPÖ mit Unterstützung des
freiheitlichen Landtagspräsidenten in wahrscheinlich verfassungswidriger
Weise systematisch boykottiert (derStandard 28.03.02). Nachdem der
Ausschuss nochmals in rechtlich einwandfreier Weise konstituiert worden
war, verweigert Haiders Pressesprecher Petritz die Kooperation mit dem
Argument, es habe sich um eine "Privatreise" gehandelt
(DerStandard-online 06.06.02). (3)
Anfang November – mitten im vorverlegten Wahlkampf – reiste Haider dann
mit der Begleitmusik heftiger Attacken auf den "amerikanischen
Imperialismus und Kolonialismus wiederum ohne Vorinformation der
Bundesregierung in den Irak um – "im Interesse Österreichs und der FPÖ"
(Haupt) – Wirtschaftskontakte zu pflegen und den Außenminister Sabri und
Sadam Hussein zu treffen (derStandard-online 02.11.02).
- Am 25. und 26. Juli 2002 trifft Haider in Kärnten – vor dem Hintergrund
des mittlerweilen im Gang befindlichen Rechtsrucks in Europa nicht mehr
klammheimlich wie früher, sondern ganz offen - im Rahmen eines
"europapolitischen Symposions" mit hochrangigen Vertretern des
belgischen Vlaams Bloc und der italienischen Lega Nord und anderen
Rechtsparteien Europas zusammen. Dabei ging es um Fragen der Immigration
und um den Kampf gegen einen europäischen "Superstaat" sowie gegen die
Osterweiterung, aber auch um Fragen der Kooperation der Rechten bei
europäischen Wahlen und im europäischen Parlament. Weitere derartige
Treffen sind geplant. (derstandard-online 27.07.02).
Welch Geistes Kinder da auf "Urlaub bei Freunden" weilten, hat P.M.
Lingens exemparisch an der politischen Biographie des Führers des Vlaams
Bloc Filip Dewinter demonstriert: "1988 gedenkt Dewinter der flämischen
Gefallenen der SS und bezeichnet ihren Kampf an der Ostfront in der
‚Deutschen Nationalzeitung’ als ‚einen der wichtigsten der Geschichte’;
1989 nimmt er am Überfall einer Schlägertruppe auf einen
Rassismus-Gegner teil; 1990 wird er anlässlich der Organisation einer
Pressekonferenz gegen das Anne-Frank-Haus verhaftet; 1992 hat er
Schwierigkeiten bei der Organisation einer Verkaufsausstellung
verbotener antiquarischer Bücher, die Flanderns NS-Vergangenheit und
deren wichtigsten Exponenten, den legendären SS-Führer Leon Degrelle,
hochleben lassen; sein Mentor und Protektor im Vlaams Blok und dessen
Gründer, Karel Dillen, kann in der NS-Zeit nichts Verbrecherisches
sehen. 1996 nimmt Dewinter an einem Treffen teil, dessen andere Stars
Gilbert Quoilin und Hervé von Lathem heißen: Quoilin führt eine
Neonazigruppe namens ‚casque d’acier’ (‚Stahlhelm’), Lathem die
Neonazigruppe ‚l’assaut’ (‚der Angriff’), die sich zum Beispiel an einem
Aufruf der amerikanischen NSDAP zur Unterstützung der kroatischen
Rechten beteiligt hat; Hubert Defourny, der Gründer der Neonazigruppe
REF, die Flandern im Geiste Degrelles wieder begründen möchte, zählt
ebenso zu Dewinters Freunden wie der Franzose Bruno Mégret, dem Le Pen
nicht rechts genug war" (profil 31/2002).
- Im Gegenzug zu den Besuchen ausländischer Rechtsextremisten in
Österreich arbeitete "Zur Zeit"-Herausgeber und Jörg Haider-Biograph
Andreas Mölzer dann für den "Europakongress" der von Verbot bedrohten
deutschen NPD im Herbst 2002 in Saarbrücken ein Positionspapier als
"Grundlage für die weitere Zusammenarbeit europäischer Patrioten" aus,
das das u.a. vom NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, dem Chairman der British
National Party Nick Griphin und dem "fanatischen Antisemiten" (DÖW)
Horst Mahler unterzeichnet wurde (derStandard-online 30.10.02).
- Anlässlich eines Vortrags des Vorsitzenden der deutschen Republikaner
mit dem Titel "Schluss mit dem rechten Bruderkrieg" kam es Mitte
November 2002 im Beisein des freiheitlichen Bundesrats Gudenus zu einem
Treffen deutscher und österreichischer Rechter im – als Zentrum
rechtsextremer Veranstaltungen bekannten und erst kürzlich im Rahmen des
Kunjunkturpakets der Bundesregierung mit einer großzügigen Subvention
beglückten (4) "Haus der Heimat". Schönhubers Rede und die Beiträge der
Diskutanten waren voller nationalistische ("wir alle sind Deutsche",
"Moslems kommen auf Schleichwegen und etablieren sich hier, obwohl sie
nach Afrika und Asien gehören"), antisemitischer (Anspielungen auf die
"Ostküste", "amerikanisch-israelisches Weltherrschaftsstreben") und
rechtsextremer ("Terror des Verfassungsbogens") Töne (derStandard-online
19.11.02).
Fazit: Die FPÖ weist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sowohl im Hinblick
auf ihre Programmatik als auch hinsichtlich Interaktionsformen und
Führungsstil, Mitgliederrekrutierung und Außenbeziehungen eine Reihe
rechtsextremer Merkmale auf. Dass die Einstufung der FPÖ seitens der
Weisen als "rechtspopulistisch mit extremistischer Ausdrucksweise" bzw.
"mit radikalen Elementen" etwas moderater geraten ist (Ahtisaari u.a.
2000, 26, 31), erklärt sich m. E. daraus, dass sich die Weisen nicht
intensiv genug mit den ideologisch-programmatischen Grundlagen des
"Rechtspopulismus" der FPÖ, mit ihren Interaktionsformen, dem
Herkunftsmilieu ihrer Mitglieder und ihren internationalen Kontakten
beschäftigt haben.
Wollte sich die FPÖ wirklich von einer Partei des minderheiten- und
menschenrechtlichen Tabubruchs zu einer normalen Partei entwickeln,
müßte sie in unzweideutiger Weise mit ihrer rechtsextrem-populistischen
und fremdenfeindlichen Tradition brechen, die allgemeinen Menschen- und
Minderheitenrechte zu ihrer programmatischen Grundlage erklären und alle
ihre Mitglieder in einem symbolischen Akt der Neugründung persönlich auf
diese Grundlage verpflichten.
Fortsetzung: TEIL 2 Anmerkungen:
(1) Eine erste Version dieser Dokumentation über das
erste Regierungsjahr der FPÖVP-Koalition ist – unter beinahe gleichem
Titel – im der Zeitschrift SWS-Rundschau Heft 2/2001, S. 293 – 213,
erschienen.
(2) Die folgenden beiden Abschnitte sind die umgearbeitete und erweiterte
Fassung eines Teils eines Vortrags mit dem Titel "Postmoderne – ein
brauchbares Konzept für gesellschaftstheoretische Zeitdiagnose oder: Ist
die Haider-FPÖ postmodern?", den ich vor der Theoriesektion der ÖGS am
Österreichischen Kongress für Soziologie 2000, Wien 21. –23.9.2000,
gehalten habe. Dieser Text ist in seiner ursprünglichen Form auf der
Kongress-Homepage –
www.univie.ac.at/OEGS-Kongress-2000 - veröffentlicht worden und wird
später auf die noch im Aufbau befindliche
WWW-"Soziologie-Datenbank-Österreich" übernommen.
(3) Im Nachhinein kamen freilich Zweifel auf, ob Haider überhaupt den –
laut dem deutschen Gerichtsgutacher Buhmann von mindestens drei Personen
gedoubelten - richtigen Sadam Hussein zu Gesicht bekommen hat …
(derStandard-online 03.10.02).
(4) Laut Bericht des "Falter" wird das haus der Heimat allerdings auch von
der Stadt Wien mit einem betrag von 650.000 Euro subventioniert. Die
Begründung dafür aus dem
Büro des Bürgermeisters: Es habe eine Verknüpfung mit Beschlüssen
zugunsten der Restitution an NS-Opfern gegeben (derStandard-online
03.12.02).
hagalil.com
17-11-03 |