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Rechtsextrem oder postmodern?
Max Preglau's Regierungs- und Wahlkampf-Watch

Teil 2

5. Regierungserklärung und zwei Jahre Regierungspolitik der blau-schwarzen Wendekoalition

Bis zu den Wahlen im Oktober 1999 waren sich in Österreich alle Parteien einig: die FPÖ steht "außerhalb des Verfassungsbogens" (Klubobmann Khol, ÖVP), und es ist für die demokratische und humane Entwicklung Österreichs und Europas besser, wenn sie aus Regierungsämtern ferngehalten wird, um ihr nicht die Gelegenheit zu geben, ihre Politik der Geschichtsrevision, des Angriffs gegen die Zweite Republik und der Ausgrenzung umzusetzen. Seit Februar 2000 gilt das nicht mehr: Im strategischen Spiel nach den bisher gültigen Regeln in die ausweglose Situation geraten, als Juniorpartner der Macht nicht den Bonus für Erfolge lukrieren zu können, wohl aber den Malus für Misserfolge und das Ausbleiben von konservativen Wähler/inne/n erwarteten Reformen ertragen zu müssen und zugleich über keine Koalitionsalternative zu verfügen, ist die ÖVP unter Obmann Schüssel aus diesem Konsens ausgeschert und hat gemeinsam mit der FPÖ eine Koalitionsregierung gebildet. Sie hat damit den Tabubruch begangen, sich mit einem Partner einzulassen, bezüglich dessen im In- und Ausland Zweifel bestehen, ob er die normativen Grundlagen der österreichischen und (west-) europäischen Nachkriegsordnung - die Werte der Aufklärung, die Menschenrechte und die damit verbundene Verurteilung der nationalsozialistischen Barbarei - teilt. Sie hat damit in anderen europäischen Ländern, die Opfer nationalsozialistischer Überfälle waren und heute ihrerseits mit rechtsextremen Parteien konfrontiert sind, verständlicherweise die Angst vor einem Dammbruch ausgelöst, der nicht nur die demokratische Kultur der einzelnen Staaten, sondern das gesamte Projekt der europäischen Integration gefährden könnte. Um ihrer Bestürzung darüber Ausdruck zu verleihen, haben sie geschlossen mit der Herabstufung der bilateralen außenpolitischen Kontakte – in Österreich in unkorrekter Weise "EU-Sanktionen" genannt - reagiert. Mit dieser im legitimen Bereich ihrer nationalen Souveränität gelegenen Entscheidung haben die EU-Mitgliedsstaaten den Versuch unternommen, jene Normalität zu bekräftigen und jene Kooperationsverweigerung fortzusetzen, die vor der Wende auch in Österreich als selbstverständlich gegolten hatte.

Im Folgenden soll auf Grund einer genaueren Analyse des Regierungsprogramms und des ersten Jahres Regierungspraxis von FPÖ und blau-schwarzer Wendekoalition (Ende des Beobachtungszeitraums: Februar 2000) geklärt werden, ob die Vorbehalte inländischer und ausländischer Kritiker, die sie der neuen Regierung im Voraus auf Grund ihrer - nicht unberechtigten - Einschätzung der FPÖ als rechtsextremer Partei entgegengebracht hatten, auch "an den Taten der Regierung gemessen" gerechtfertigt waren, also an jenem Maßstab, den Bundeskanzler Schüssel immer an die neue Regierung angelegt wissen wollte.

In der Präambel zur Regierungserklärung hat sich die Bundesregierung, unter dem Druck des Bundespräsidenten, unmissverständlich zu Menschenrechten, Demokratie und europäischen Werten bekannt:
"… Die Bundesregierung tritt für Respekt, Toleranz und Verständnis für alle Menschen ein, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion oder Weltanschauung. Sie verurteilt und bekämpft mit Nachdruck jegliche Form von Diskriminierung, Intoleranz und Verhetzung in allen Bereichen. Sie erstrebt eine Gesellschaft, die vom Geist des Humanismus und der Toleranz gegenüber den Angehörigen aller gesellschaftlichen Gruppen geprägt ist.
Die Bundesregierung arbeitet für ein Österreich, in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden. Sie wird jeder Form von menschenverachtendem Gedankengut und seiner Verbreitung konsequent entgegentreten und sich für die volle Beachtung der Rechte und Grundfreiheiten von Menschen jeglicher Nationalität einsetzen – gleichgültig aus welchem Grund sich diese in Österreich aufhalten. Sie bekennt sich zu ihrer besonderen Verantwortung für einen respektvollen Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten.…
Die Bundesregierung bekennt sich zu den allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsamen Prinzipien der pluralistischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, wie sie auch in der österreichischen Verfassung verankert sind und die Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Europarat bilden. Die in Österreich verfassungsmäßig garantierten, in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegten Rechte und Freiheiten sind klarer Ausdruck dieses Bekenntnisses.
Die Bundesregierung bekennt sich zum Friedensprojekt Europa. Die Zusammenarbeit der Koalitionsparteien beruht auf einem Bekenntnis zur Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union. Die Bundesregierung ist den allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsamen Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, wie sie im Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union festgeschrieben sind. In der Vertiefung der Integration und der Erweiterung der Union liegt auch Österreichs Zukunft. … " (Schüssel/ Riess-Passer 2000)

Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, in wiefern die Regierung dieses Bekenntnis auch in der Praxis umgesetzt hat.

Natürlich waren und sind weite Teile von Regierungsprogramm und –praxis menschenrechts- und demokratiepolitisch völlig unbedenklich. Es mag linke, emanzipatorisch orientierte KritikerInnen stören, wenn das Budgetdefizit in einer abrupten Notbremsung auf Null reduziert, verstaatlichte Betriebe weitgehend privatisiert, die Wirtschaft entlastet und Sozialleistungen zurückgefahren, das Pensionssystem schwergewichtig auf private Vorsorge verlagert, im Justizbereich ein betonter Law-and-Order-Kurs verfolgt und finanzielle Anreize dafür gesetzt werden, dass Frauen "an den Herd zurückkehren"; dies liegt jedoch aus menschenrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht ebenso im Rahmen des Spektrums liberal-demokratischer Systeme wie die Tatsache, dass im staatlichen Einflussbereich Vertrauensleute der alten Koalition durch solche der neuen ersetzt werden, und all dies steht ja gegebenenfalls nach einem abermaligen Regierungswechsel wiederum zur Disposition. In ihrer Notwendigkeit und Wünschbarkeit überhaupt völlig außer Streit stehen die Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen sowie die Entschädigung der NS-"Arisierungs"-Opfer.
Bedenklich sind allerdings Ankündigungen, Maßnahmen und Vorgehensweisen, die Menschenrechte und die formalen Grundlagen der liberalen Demokratie selbst gefährden.
Tatsächlich enthalten aber Regierungsprogramm und –praxis der blau-schwarzen Wendekoalition eine Reihe von Ankündigungen, Maßnahmen und Vorgehensweisen, die ein derartiges Gefährdungspotenzial besitzen:
Was das Regierungsprogramm (FPÖ/ ÖVP 2/2000) betrifft, so haben Scharsach/ Kuch (2000) bereits die wichtigsten - offenkundig v.a. auf freiheitliche Federführung zurückgehenden - rechtsextremen Elemente benannt:
- Rassismus: die Regierung hat sich die Forderung aus dem FPÖ-Volksbegehren nach einer "Drittelquote für Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache" zu eigen gemacht – und damit nicht die "erworbenen" Sprachkenntnisse sondern die ethnische Herkunft zum Kriterium der Segregation erhoben;
- Revisionismus: die Regierung will im kulturnationalen Sinne die "altösterreichischen Minderheiten im Ausland fördern", sich für die "Wiedergutmachung" an Sudentendeutschen einsetzen;
- Volksgemeinschaft: durch die Reform des Bundesministeriengesetzes wurden die konfligierenden Agenden für Arbeit und Wirtschaft in einem Ministerium zusammengefasst; ebenso wurde das Frauenministerium aufgelöst und in das Ministerium für Soziale Sicherheit und Generationen integriert. Die Koalition hat damit de facto die Konfliktlinien zwischen Klassen und Genusgruppen im Geiste eines harmonistischen ständischen Gesellschaftsbilds für irrelevant erklärt.

Noch ergiebiger in Sachen rechtsextremer Politikelemente ist ein Streifzug durch die politischer Praxis der FPÖ als Regierungspartei, aber auch der Wendekoalition selbst (Quelle: laufende Berichterstattung in Der Standard-online 2/2000 – 2/2001):
- Aus Anlass der so genannten "EU-Sanktionen" entwickelte die blau-schwarze Regierungskoalition an Stelle einer realistischen und selbstkritischen Lagebeurteilung sehr rasch ausgesprochen verschwörungstheoretische Mythen und massive Sündenbockprojektionen gegenüber jenen, die sich angeblich des Verrats am zur homogenen Einheit stilisierten österreichischen Volk schuldig gemacht haben:
Trotz gegenteiliger Evidenz – an den EU-Maßnahmen waren konservative Politiker (namentlich Chirac und Aznar) maßgeblich beteiligt - war in beiden Koalitionsparteien sofort von einer "Verschwörung der Sozialistischen Internationale" die Rede. Diese Verschwörung richte sich, so hieß es in bewusster Verkehrung der Realität und im Bemühen, das ganze Volk für das Selbstbehauptungsinteresse der Regierung zu vereinnahmen, gegen "alle Österreicher" und habe angeblich vom Inland, von Klestil, Gusenbauer und Voggenhuber, von kritischen JournalistInnen und Intellektuellen, ihren Ausgang genommen, die "Österreich vernadern" und "mit den Feinden Österreichs champagnisieren". Ganz im Geiste eines Volksgemeinschaftsdenkens, das Konflikte und Differenzen negiert, wurde die Opposition ultimativ dazu aufgefordert, sich mit der Regierung und dem Volk in einem "rot-weiß-roten nationalen Schulterschluss" zu vereinen. Tatsächlich gelang es nach einem aus der Geschichte autoritärer (und totalitärer) Systeme bekannten Muster, aus einem dringend Tatverdächtigen das Opfer, aus kritisch Distanzierten Schuldige und aus individuellen Bürger/innen eine homogene Masse zu machen, die sich mehrheitlich gegen einen Rücktritt der Regierung ausspricht (vgl. Meinungsumfrage des Kurier zur neuen Regierung vom 27.2.2000). So – und nicht durch rationale Argumente oder untadeliges Handeln - konnte schließlich auch die Strategie der EU – Alarmierung der österreichischen Öffentlichkeit – durchkreuzt und die Aufhebung der Maßnahmen durchgesetzt werden.

Eine weitere Gelegenheit zur Beschwörung der Volksgemeinschaft und zur Entsorgung von politischen Hypotheken in der Gluthitze nationaler Emotionen hat der Wendekoalition und insbesondere der FPÖ das "Jahrhunderthochwasser" im August 2002 geboten:
Von einem Tag auf den anderen zählte wieder einmal nicht mehr "Rot, Schwarz oder Blau", sondern lediglich ein "rotweißroter Kraftakt zum Wiederaufbau Österreichs" (Westenthaler) (APA 19.08.02). Auch vom Ort der Katastrophe weit entfernte Bundesländer wie Kärnten standen da nicht abseits, sondern "Gewehr bei Fuß" (Haider). Die Ziele Nulldefizit, Steuerreform und Lohnnebenkostensenkung, die auch ohne Hochwasser nicht mehr zu erreichen gewesen wären, wurden nun - "ganz offen und ehrlich" - mit dem Hinweis auf die Naturkatastrophe zurückgezogen, den unpopulären Ankauf von Abfangjägern, auf den sich die Regierung vorher festgelegt hatte, gab’s mit 18 statt 24 Flugzeugen nun doch etwas kleiner. Zugleich war man bemüht, durch die Zusage "großzügiger" und "unbürokratischer" Hilfe dem im Zuge von Budgetsanierung und Sozialabbau erworbenen Image der "sozialen Kälte" entgegenzuarbeiten und "Warmherzigkeit" zu demonstrieren (derStandard-online 15.08.02.).
Für die FPÖ galt es nun, statt dem (ausländischen) "Nachbarn in Not" endlich dem volkseigenen "Österreicher in Not" zu helfen. Bei den anstehenden Aufräumungsarbeiten konnte sich Haider auch den (Zwangs-) Einsatz von Arbeitslosen vorstellen – sozusagen "ordentliche Beschäftigungspolitik": Damit würde "… viel Geld gespart werden und Arbeitslose hätten zudem eine sinnvolle Tätigkeit" (APA 13.08.02). Selbst das Feindbild EU – sonst von Freiheitlichen verachtet, geschmäht und behindert – wird von der FPÖ-Europaparlamentarierin Raschhofer zur Hilfe für das "Mitgliedsland Österreich" aufgefordert, zumal sie ja sogar dem ungeliebten Beitrittswerber Tschechien bereits finanzielle Unterstützung zugesagt habe (APA 14.08.02). Nach den chauvenistischen Vorstellungen Westenthalers sollten aber auch die – ohnehin unter dem Richtwert der EU liegenden - Mittel für Entwicklungshilfe und Auslandskatastrophen für "Österreicherinnen und Österreicher" im Inland verwendet werden (APA 15.08.02).

- Der blau-schwarzen Koalitionsregierung wird von Seiten der Oppositionsparteien sowie von autonomen Frauenorganisationen vielfach vorgeworfen, dass sie Frauenpolitik vorzugsweise aus familienpolitischer Perspektive wahrnehme und Frauen mit Maßnahmen wie dem geplanten Kindergeld, statt eines einkommensabhängigen Karenzgelds sowie auf Kosten des Ausbaus von Kinderbetreuungseinrichtungen und von Hilfen beim beruflichen Wiedereinstieg, "zurück an den Herd" drängen wolle. Die von der Regierung umgesetzten Maßnahmen sehen zwar formell keinerlei Diskriminierung nach dem Geschlecht vor und sind insofern nicht als "sexistisch" einzustufen. Sie beinhalten jedoch tatsächlich Anreizsysteme, die vor dem Hintergrund bestehender Einkommensdifferenzen und traditionaler geschlechtsspezifischer Rollenzuschreibungen zwischen Männern und Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit faktisch in diesem Sinne wirken werden. Insofern sind sie letztlich doch im Effekt als sexistisch einzustufen.
Inhaltlich wird die neue Linie aber v.a. durch das neugeschaffene, ab 1.1.2002 wirksam gewordene Kindergeld zum Ausdruck gebracht. Es kann zwar als sozialpolitischer Fortschritt gewertet werden, wenn nun auch Studierende und Unternehmer/innen Anspruch auf Karenzgeld haben, das frauenpolitische Signal, dass damit gesetzt wird, lautet jedoch unmissverständlich: "Frauen zurück an den Herd" – und Exklusion vom Arbeitsmarkt. Dies wird dadurch erhärtet, dass gleichzeitig der weitere Ausbau von Einrichtungen der Kinderbetreuung massiv zurückgefahren wurde, und dass die Anspruchsdauer nicht auf die Fristen für das Rückkehrrecht am Arbeitsplatz abgestimmt wurden (derStandard-online 06.03.01, 08.03.01). Auch die Tatsache, dass das Kindergeld nicht existenzsichernd ist und sich die Bezugsdauer auf das Kleinkindalter beschränkt ist, beweist, dass im Modell die Versorgung der Bezieherin durch den (männlichen) "bred-winner" vorausgesetzt ist.
Mittlerweilen wird durch eine von der AK präsentierten Studie dokumentiert, dass Österreich neben Griechenland, Spanien, Italien und den Niederlanden zu den Schlusslichtern beim Angebot an Kleinkindbetreuung zählt – mit der Folge überlanger Berufsunterbrechungen, absteigender Karriereverläufe und einer wachsenden Einkommensschere zwischen Männern und Frauen (derStandard-online 01.09.02).Daran können auch die eher symbolisch-appelativen Begleitaktionen nichts ändern, die die ÖVP mit großem Propagandaaufwand unter dem Motte "Stark. Schwarz. Weiblich" oder "Vom Ausstieg zum Einstieg. Kniffe gegen den Karriereknick" gestartet hat (derStandard-online 06.09.00 bzw. 08.11.01); Wenig zielführend erscheinen auch die von Generalsekräterin Rauch-Kallat präsentierten Vorhaben der ÖVP, Ausgaben für Kinderbetreuung steuerlich absetzbar zu machen (nur wenige Frauen sind in der privilegierten Position der Selbstveranlagung!) und die bedarfsgerechte Bereitstellung von Kinderbetreuungsangeboten den Gemeinden zu überlassen (lässt ein Auseinanderdriften der Angebotsqualität in urbanen und "moderneren" größeren Gemeinden einerseits und ländlichen und "traditionalistischeren" kleineren Gemeinden andererseits erwarten) (derStandard-online 28.07.02).
Ein weiteres Problem beim Kindergeld ist die Tatsache, dass ausländische Frauen, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, vom Bezug des Kindergeldes ausgeschlossen sind. Das hängt damit zusammen, dass jedenfalls aus der Sicht von FPÖ-Klubobmann Westenthaler das Kindergeld auch volkspolitisch und insofern rassistisch motiviert ist: Westenthaler begründet nämlich das Kindergeld folgendermaßen: "Wir wollen mehr Kinder in Österreich haben, damit wir nicht das Argument hören, das ja von der linken Seite immer wieder kommt, wir brauchen Zuwanderung zur Sicherung der Pensionen" (der standard-online, 7.1.2001)!

Als Rückschritt im Bereich der Integration von Frauen ins Beschäftigungssystem wird auch das neue "Objektivierungsgesetz" gewertet: in Zukunft sind demnach Frauen nicht mehr unter allen Umständen den Männern bei gleicher Qualifikation vorzuziehen.
Eine Verschlechterung für knapp 20.000 Betroffene, aber ebenfalls einen sanften Zwang zu Mutterglück und Familienorientierung, bedeutet die Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepartner/innen oder Lebensgefährt/inn/en, die kein Kind erziehen oder mindestens vier Jahre lang erzogen haben (derStandard-online 13.02.01).
In das Muster einer "sexistischen Reaktion" fügt sich auch die Einsetzung einer "Männerabteilung" durch Frauenminister Haupt im Frühjahr 2001 (derStandard-online 26.02.01).

Frauenpolitisch sowie rechtsstaatlich bedenklich ist es aber auch, dass "Human-Life-International", eine Gruppe militanter Abtreibungsgegnerinnen, die Frauen hindert oder zumindest durch Psychoterror davon abzuhalten versucht, eine Ihnen durch die Fristenlösung eröffnete Möglichkeit wahrzunehmen, von der ehemaligen Anwaltskanzlei des derzeitigen FPÖ-Justizminister Böhmdorfers vertreten wird (derStandard-online 11.06.02). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass auch Bundeskanzler Schüssel die Weltkonferenz der radikalen Abtreibungsgegner im Herbst 2002 – mitten im vorgezogenen Wahlkampf - in Wien mit einer vom ultrakonservativen Bundesrat Liechtenstein übermittelten Grußbotschaft bedachte: "Er bewundert euren Einsatz und sagt herzliche Grüsse und ein gutes Gelingen, und er ist sehr dankbar (dafür), was das gekämpft und gearbeitet wird" (derStandard-online 12.11.02)

Als im Effekt frauenfeindlich und rechtsstaatlich grundsätzlich bedenklich wurde auch Vorschlag von Sozialminister Herbert Haupt Anfang August 2002 wahrgenommen, in Fällen von sexuellen Übergriffen auf Kinder oder auch bei Übergriffen am Arbeitsplatz sowohl Täter als auch Opfer einem - im heimischen Strafverfahren nicht zugelassenen - Lügendetektortest zu unterziehen. In den Augen der KritikerInnen impliziere Haupts Standpunkt nämlich "dass Opfer primär lügen". Die Folge wären noch mehr Freisprüche im Zweifel (derStandard-online 02.08.02).

Signifikant auch der Paradigmenwechsel im Umgang mit autonomen Frauenorganisationen: Der skandalverdächtige Umgang mit AMS-Fördermitteln im Falle des sogenanten EURO-Teams wurden von der FPÖVP-Parlamentsmehrheit zum Anlass genommen, die Vergabemodalitäten des ehemaligen Sozialministeriums und des AMS zwischen 1995 und 1999 in einem Untersuchungsausschuss zu prüfen. Dieser Ausschuss hat sich dabei dem grünen Abgeordneten Öllinger zufolge durch den Einsatz inquisitionsartiger Methoden als "mittelalterliches Hexengericht" und "Gesinnungsschnüffelausschuss" positioniert, der in Wahrheit nicht auf Aufklärung, sondern auf "Rufschädigung und Behinderung" der Arbeit der Frauenvereine und auf "Stimmungsmache, Diskriminierung und Skandalisierung von Frauenpolitik" (S. Rosenberger, Politologin) abzielt (derStandard 21.06.02).
Wenn es nach dem Vertreter der Regierungsfraktionen Kukacka geht, dann wird Frauenförderung in Zukunft nach anderen, fremdenfeindlichen und androzentrischen Kriterien erfolgen: "Nicht förderwürdig ist zumindest für ihn der Verein Lefö, der in Zusammenarbeit u.a. mit dem Innenministerium die einzige Interventionsstelle für die Opfer des Frauenhandels betreibt. Unter anderem werden dabei illegale Prostituierte betreut, … Förderungen aus Mitteln des AMS seien unzulässig, weil diese Frauen als Illegale logischerweise nicht die Klientel des Arbeitsmarktservice sind. …. Ebenfalls ‚nicht förderwürdig’ ist eine Zeitschrift, die aus Mitteln des AMS eine Frau angestellt hat, aber ‚feministisch-lesbische Ziele’ verfolgt. Dies schliesse Männer als Kollegen ‚von vornherein aus’ und verletze somit ‚das Gleichbehandlungsgesetz’ " (CeiberWeiber 20.06.02).
Ein letzten Anschlag auf emanzipatorische Fraueninteresse vor den vorzeitigen Neuwahlen wurde von KritikerInnen hinter dem Plan von Frauenminister Haupt vermutet, den "Käthe-Leichter-Preis - Österreichischer Staatspreis für die Frauengeschichte der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung" durch eine Preis "EVA" für besondere Leistungen von Frauen im Alltag zu ersetzen:
Mit dem 1991 ins Leben gerufenen Käthe-Leichter-Preis sollte das Andenken an die Nationalökonomin Käthe Leichter, die als erste Frauenreferentin der Wiener Arbeiterkammer wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet hat und im KZ Ravensbrück ermordet wurde, lebendig erhalten und all jenen, die in ihrem Sinn weiterarbeiten, die gebührende Anerkennung zuteil werden. Gleichzeitig sollte mit dem Preis die wissenschaftliche Bedeutung und die gesellschaftliche Relevanz von Frauenforschung unterstrichen werden.
Die Jury, die die PreisträgerInnen nominieren sollte, wurde seit Februar 2000 nicht mehr einberufen. Statt dessen erging nun an die Jurymitglieder ein Brief aus dem Ministerium, in dem es heißt: "Die Abteilung für Grundsatz- und internationale Frauenangelegenheiten teilt auftragsgemäß mit, dass Herr Bundesminister Mag. Herbert Haupt beabsichtigt, in Hinkunft anstatt des ‚Käthe-Leichter-Staatspreises‘ einen weitaus umfassenderen Bundespreis ‚EVA‘ zu vergeben. Dieser Preis wird an Frauen verliehen, die Hervorragendes in vielen Bereichen des täglichen Lebens geleistet haben". Der "EVA"-Preis zielt also, wie WissenschafterInnen, ArbeitnehmerInnenvertretungen und Opposition befürchten, auf ein traditionelles, unpolitisches und nicht-intellektuelles Rollenbild der Frau und auf eine Aufwertung von Leistungen im Bereich der privaten Reproduktion ab.
Minister Haupt beeilte sich angesichts der Kritik zu versichern, dass der Käthe-Leichter-Preis in Zukunft durch das Wirtschaftsministerium vergeben werden solle - es handle sich also lediglich um einen Ressortwechsel. Man darf gespannt sein, was nun tatsächlich geschieht. Diesbezügliche Anfragen von AK und ÖGB an Wirtschaftsminister Bartenstein vom Ende August 2002 sind bis auf weiteres unbeantwortet … (Profil Heft 40/2002, APA OTS 30.09.02, 13.11.02).

- Ein – aus grundrechtlicher Sicht per se ebenfalls unbedenklicher – Schwerpunkt blau-schwarzer Regierungsarbeit ist die Verwaltungsreform und in diesem Zusammenhang die "Verschlankung" des Verwaltungsdienstes sowie die Zurückdrängung der Pragmatisierung. Dasselbe gilt für die unter dem unschuldigen Schlagwort einer "Objektivierung der Postenvergabe" vorgenommene Umfärbung der Vorstandetagen von Ministerien (z.B. die Ablöse der SP-nahen Chefs des Wiener Sicherheitsbüros Edelbacher, der Fremdensektion Szymanski, der Gendarmerie Strohmeyer und der Staatspolizei Haindl im Zuge der Reorganisation des Innenressorts im Frühsommer 2002 sowie die Frühpensionierungen SP-naher Spitzenbeamter im Bereich der Gendarmerie durch VP-Minister Strasser und diverse Personalrochaden im Bereich des Sozialministeriums sowie des Finanzministeriums und der Finanzlandesdirektionen noch kurz vor den vorgezogenen Neuwahlen im Herbst 2002, s. derStandard-online 07.06.02, 10.06.02, 25.09.02, 08.10.02, 27.10.02, 08.11.02), von ORF, ÖIAG und staatsnahen Betrieben (z.B. Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG) und Forschungseinrichtungen (z.B. Seibersdorf) auf schwarz-blau, zumal dieser ja auch eine rot-schwarze Einfärbung vorausgegangen ist. Häufig wird jedoch übersehen, dass bei der Staats- und Verwaltungsreform auch wichtige liberale Verfassungsprinzipien ins Visier blau-schwarzer Reformer/innen geraten: die Gewaltenteilung sowie die Unabhängigkeit von Verwaltung und Justiz. Pragmatisierung und Versetzungsschutz haben ja auch den Sinn, die Beamtenschaft und den Verwaltungs- und Justizbetrieb vor Übergriffen seitens der Politik zu schützen. Deshalb bedarf es dieser Schutzmaßnahmen in sensiblen Bereichen, zu denen Polizei und Justiz, von manchen auch Bildung und Wissenschaft gezählt werden. Öffentlichen Stellungnahmen zufolge ist in dieser Angelegenheit die FPÖ (neuerdings Vizekanzlerin Riess-Passer, vgl. Der Standard-Online 1.2. und 26.2.2001) im Wesentlichen sorgloser als die ÖVP (neuerdings Finanz-Staatssekretär Finz, vgl. Der Standard-Online 14.2. und 23.2.2001).
Dass diese Sorglosigkeit der FPÖ unter Stress in die Bereitschaft zu einem willkürlichen Einsatz staatlicher Macht umschlagen kann, welcher der Gewaltenteilung Hohn spricht, hat sich anlässlich der sogenannten "Spitzelaffäre" herausgestellt: Freiheitliche Spitzenfunktionäre – allen voran Klubobmann Westenthaler, Haider und Vizekanzlerin Riess-Passer – überschlugen sich mit Vorwürfen und Abberufungsforderungen an Polizei (v.a. gegen den "notorischen Roten" Buxbaum, Leiter der Sonderkommission im Innenministerium, gegen Horngacher von der Wirtschaftspolizei und gegen den zuständigen Ressortminister Strasser, derStandard-online 04.11.00, 11.11.00), an die Staatsanwaltschaft, an die Justiz (Untersuchungsrichter Erdei – so Westenthaler - "hat sie nicht alle") (derStandard-online 10.12.00).
Hinzu kam die von zahlreichen AkteurInnen des Justizsystems bis hin zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Adamovich als unvereinbar angesehene Tatsache, dass ein Minister, der lange Jahre Parteianwalt der FPÖ war und selbst der Verwicklung in den Spitzelskandal verdächtigt wird (Falter 43/00), für die Untersuchung ressortzuständig und weisungsbefugt ist und darüber hinaus einem Verdächtigen und ehemaligen Mandanten vorweg in aller Öffentlichkeit bescheinigt, "über jeden Verdacht erhaben" zu sein (derStandard-online 30.10.00).
Es überrascht daher nicht, dass diese Vorgänge den Bundespräsidenten zur Stellungnahme bewogen und zu bisher nicht gekannten öffentlichen Initiativen im Interesse der Unabhängigkeit der Justiz von Seiten der StaatsanwältInnen und der Richterschaft geführt haben (derStandard-online 16.12.00 bzw. 18.12.00).

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die im - mittlerweile zur Regierungsvorlage gediehenen -Entwurf der neuen STPO eingeschlagene und von Richtern und Staatsanwälten kritisierte Linie, die Federführung bei Ermittlungsverfahren von unabhängigen Richtern zu einer - nach wie vor weisungsabhängigen - Staatsanwaltschaft und von dort zur Polizei zu verlagern, besonders problematisch (derStandard-online 03.06.02). Eine – von Böhmdorfer urgierte - Beschlussfassung noch vor den Neuwahlen im Herbst 2002 scheint auf Grund von Vorbehalten des Koalitionspartners aber nun doch nicht mehr zustande zu kommen (der Standard-online 10.09.02).
Auf heftigen Protest der Richtervereinigung ist auch der Versuch des Justizminiers gestoßen, mittels erlassförmigen Tips und Vorverurteilungen in laufende Gerichtsverfahren betreffend die (von Seiten des Ministeriums als Versuch der Umgehung des Aufenthaltsgesetzes interpretierte) Adoption ausländischer Erwachsener einzugreifen und in diesem Zusammenhang auch in unzulässiger Weise auf die Dienstbeschreibung von FamilienrichterInnen Einfluß zu nehmen (derStandard-online 26.6.02).

Auch die – ungewöhnliche und vermutlich politisch motivierte - Abberufung des österreichischen Richters Fuhrmann beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg wurde selbst von dessen gewöhnlich äußerst zurückhaltenden Schweizer Präsidenten Wildhaber als Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz empfunden und mit dem Kommentar quittiert wurde, die österreichische Regierung wolle offenbar "... die Richtigkeit des Weisenberichts beweisen" (derStandard-Online 01.03.2001)
Ein Schritt der Subversion der Gewaltenteilung im österreichischen Regierungssystem war die Infragestellung des Amts des Bundespräsidenten seitens der Freiheitlichen im April 2001 (derStandatrd-online 27.04.01).

Vorläufiger Höhepunkt der Angriffe auf die Gewaltenteilung sind aber zweifellos die Attacken Haiders auf den Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit dessen Spruch in der Ortstafelfrage Ende 2001/ Anfang 2002 (Faschingsurteil, unwürdiges und unpatriotisches Verhalten, sozialistisches Mehrheitsurteil, "absolut nichtig"). Die Situation wird dadurch noch dramatischer, dass sich die gesamte FPÖ bis zu VK Riess-Passer, aber auch die Kärntner Filialen von SPÖ und ÖVP hinter Haider gestellt hat (derStandard-online 27.12.01, 07.01.02., 15.01.02)
Im Februar 2002 setzt Haider beim seinem berüchtigten Rieder Aschermittwoch nochmals nach und setzt sich mit dem ungeheuren deutschnational-fremdenfeindlichen Satz in Szene: "Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man sich zuerst einmal fragen, ob er eine ordentliche Aufenthaltsberechtigung hat" (derStandard-online 14.02.029.
Als im Mai 2002 der VGH in seinem Jahresbericht darauf reagierte und von einem "Fußtritt für den Rechtsstaat" und einer "Theorie für einen Staatsstreich" sprach, bekräftigte Haider, dass es in Kärnten "keine einzige Ortstafel mehr geben" werde und bezeichnete die VGH-Kritik als "kindisch und dumm", Westenthaler bezeichnete sie als erbärmlich, und auch Khol sekundierte mit der Feststellung, hier werde "unnötig dramatisiert" und das Ausmaß der Kritik überschritten, das in einem Tätigkeitsbericht nach 1945 je enthalten gewesen sei (derStandard-online 14.-16.05.02). Die Frage, ob zuvor nicht ein VGH-Urteils in einer seit 1945 noch nicht da gewesenen Weise ignoriert wurde, hat Herr Khol nicht gestellt ….
Im Juni 2002 erklärte LH Haider in provozierender Ignoranz des VGH-Entscheids neuerlich im ORF-Radio: "… wir haben keinen Handlungsbedarf" und "wir machen uns nicht strafbar", wenn sich nichts ändert (derStandard-online 27.06.02).
Als es im Herbst 2002 darum ging, eine NachfolgerIn für den scheidenden Präsidenten Adamovich und eine weitere VerfassungsrichterIn zu bestellen, hatte man es angesichts der vorverlegten Neuwahlen sehr eilig: Unter Protest der Opposition wurden nach einer verkürzten Ausschreibungsfrist von lediglich zwei (!) Wochen und unter Verzicht auf ein öffentliches Hearing Karl Korinek (bisheriger Vizepräsident des VGH; VP-nah) als neuer Präsident und Rudolf Haller (bisheriger Vorsitzender des Datenschutzrates; FP-nah geltend) als neuer Verfassungsrichter bestellt. Noch hastiger war man dann bei der Ausschreibung der Position der VizepräsidentIn: sie erfolgte (nach Meinung des Verfassungsexperten Mayr rechtswidrigerweise) noch bevor Korinek vom Bundespräsidenten zum Präsidenten bestellt wurde, die Stelle war also zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch gar nicht frei. Offenkundig hatten die maximale Ausschöpfung des Stellenmarktes und die Transparenz des Bestellungsprozesses und die Einhaltung des vorgeschriebenen Prozedere gegenüber der politischen Farbenlehre keine Bedeutung. Der brüskierte Präsident ließ Schüssel mit der Besetzung warten. Erst am 31. Oktober erfolgte die Ernennung von Korinek und erst am 12. November die von Haller … (derStandard-online 01.10.02, 08.10.02, 09.10.02, 31.10.02, 13.11.02).

Aber auch der Verwaltungsgerichtshof ist ins Visier der Rechtsstaatsskeptiker in der FPÖ geraten: Als dieser Ende Juli 2002 den Bewilligungsbescheid für einen Bauabschnitt der Koralmbahn – ein umstrittenes Prestigeobjekt des Kärtner Landeshauptmanns, dass dieser bei der freiheitlichen Verkehrsministerin durchgesetzt hatte – mit der Begründung aufhob, eine nach EU-Recht vorgesehene Umweltverträglichkeitsprüfung sei nicht durchgeführt worden, wurde dieses von freiheitlicher Seite sofort in unsachlicher Weise heftig attackiert: FPÖ-Verkehrsminister Reichhold sprach von einer "fragwürdigen Aktion" und einer "gegen Kärnten" gerichteten "juristische Spitzfindigkeit", und Haider witterte dahinter gar eine "böse Absicht" und "einen neuerlichen Versuch eines Höchstgerichtes, Kärnten zu schaden" (derStandard-online 30.07.02, 31.07.02)

Ein weiteres Beispiel für den Versuch, eine bisher relativ autonom agierende Einrichtung des Bundes durch "Verwaltungsreform" in direkte Regie der Regierungspolitik zu nehmen, war der auf eine Initiative von VK Riess-Passer zurückgehende und Anfang Juli 2002 im Parlament gefasste Beschluß, die als hochwertige Ausbildungseinrichtung für Verwaltungskader mit einem verwaltungswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt konzipierte "Verwaltungsakademie des Bundes" aufzulösen und deren Funktionen den einzelnen Ressorts zu übertragen (derStandard-online 26.05.02, 09.07.02).

Dass derlei Vorgänge im Zuge der Verwaltungsreform bei den Betroffenen nicht ohne Widerspruch geblieben sind, wurde bereits verschiedentlich aufgezeigt. Bezeichnend die Reaktion der Regierung darauf: VK Riess-Passer hat entschieden, die Personalvertretungswahlen bis 2003 auszusetzen, mit der kaltschnäuzigen und zynischen Begründung, die MitarbeiterInnen sollten nicht "durch Wahlen blockiert werden". Die Empörung der Opposition darüber hat sie einfach als "künstliche Aufregung" vom Tisch gewischt (derStandard-online 09.07.02). Bleibt zu hoffen, dass dieses demokratiepolitisch bedenklich Beispiel in Zeiten permanenter Institutionenreform nicht auch außerhalb des Bereichs der Verwaltung Schule macht. Angesichts des – naturgemäß von den Freiheitlichen für "diskussionswert" erachteten, von der Opposition hingegen heftig abgelehnten - Vorschlags des oberösterreichischen Landeshauptmanns Pühringer, die Legislaturperiode künftiger Regierungen auf zumindest fünf Jahre zu verlängern (derStandard-online 07.08.02), scheinen solche Befürchtungen durchaus berechtigt …

- Im Bereich der inneren Sicherheitspolitik ist bei der blau-schwarzen Regierungskoalition eine verstärkte Akzent auf "Recht und Ordnung" angesagt: Auch das ist zunächst durchaus Bestandteil und im legitimen Rahmen eines normalen demokratischen Wechsels. Problematisch wird es freilich, wenn dabei – wie in einigen Reformvorschlägen der FPÖ zur Verbrechensbekämpfung oder in bereits beschlossenen Polizei- und Militärgesetzen - schwerwiegende Eingriffe in das durch die Verfassung geschützte Persönlichkeitsrecht in Kauf genommen werden:
So hat die FPÖ etwa im Bereich des Sexualstrafrechts mit der Idee der Einrichtung einer "Kinderschänder-Watch-List" Aufsehen erregt, und FPÖ-Verkehrsministerin Forstinger kann sich vorstellen, einen Harntest für DrogenkonsumentInnen einzuführen, der im Falle einer positiven Reaktion zur Abnahme eines Führerscheins führen könnte, auch wenn zum Zeitpunkt des Tests gar keine Verkehrsbeeinträchtigung mehr vorliegt.
Das neue Sicherheitspolizeigesetz wird nicht nur von Oppositionspolitiker/inne/n, sondern auch von AnwältInnen und VerfassungsjuristInnen dahingehend kritisiert, dass die/der dort vorgesehene Rechtsschutzbeauftragte Auskünfte und Unterlagen nicht erhalten soll, wenn ihre Bekanntgabe die nationale Sicherheit oder die Sicherheit von Menschen gefährden würde (derStandard-online 27.06.00). Höchst problematisch und daher umstritten ist auch die Einführung der verdeckten Ermittlung unter Beteiligung von privaten Vertrauenspersonen ("private Geheimpolizei", Pilz)) und – im Zusammenhang damit die Erstellung eines sogenannten Vertrauenspersonenindex ("Spitzelkartei", Pilz) (derStandard-online 13.06.02).
Im neuen Militärbefugnisgesetz, mit dem "Spitzeldienste des Militärs legalisiert" werden (Van der Bellen) ist gar erst dann eine Überprüfungsmöglichkeit nachrichtendienstlicher Tätigkeit vorgesehen, wenn Rechtswidrigkeit vermutet wird oder Personen behaupten, in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Zudem wird an der Unabhängigkeit der Rechtsschutzbeauftragten gezweifelt, weil diese direkt von der Regierung eingesetzt werden sollen (derStandard-online 27.6.00). Kurz vor Beschlussfassung im Parlament wurden zudem noch die Verpflichtung öffentlicher Telekommunikationsdienste, unverzüglich und kostenlos Auskünfte über InhaberInnen, Anschrift und Teilnehmernummern für Sie interessanter Anschlüsse zu erteilen sowie die Verpflichtung aller zur Ausstellung von Urkunden berechtigten Behörden, "Legenden" für verdeckte Ermittler auszustellen, aufgenommen (derStandard-online 13.06.02):
Weitere Beispiele waren die nach dem Terrorangriff auf das WTC (11.9.01) erhobenen Forderungen nach "Fingerabdrücken für alle" und nach einer weiteren, der Genfer Konvention widersprechenden Verschärfung des Asylrechts durch Haiders und Westenthaler (Anträge nur noch im Heimatland, Meldpflicht für AsylwerberInnen, Verfahrensbeschleunigung unter Inkaufnahme der Beschneidung von Berufungsmöglichkeiten, Beschränkung des Asylrechts auf der Herkunftskontinent etc., vgl. derStandard-online 25.09.01, 20.10.01, 04.06.02).
Unauffälliger, aber möglicherweise ebenso schwerwiegend sind die aus dem seit Jänner 2002 in Betrieb befindlichen "zentralen Melderegister" beim Innenministerium resultierenden Gefahren für die Persönlichkeitsrechte: Die zwölfstellige Nummer, mit der alle in Österreich Gemeldeten elektronisch registriert sind, wird bald von allen Behörden verwendet werden, und auf Grund der wachsenden Fülle der zentral gespeicherte Informationen über jeden Einzelnen werde etwa eine Rasterfahndung zunehmend "ein Kinderspiel", meint der Datenschutzexperte Zeger. Auch Datenräubern könnten in Zukunft auf einen Schlag Auskünfte über Kredite, Mahnungen oder Arztbesuche in die Hände (derStandard 17.05.2001, 10./11.08.2002)
Voll im Trend des "Law-and-Order um jeden Preis" liegt aber auch die Tendenz, Jugendliche ungeachtet ihrer psychischen Sondersituation der vollen Härte des Strafgesetzes zu unterwerfen und selbständiges Jugendstrafrecht und eigenständige Jugendgerichtsbarkeit aufzuheben: der erste Schritt dazu war die Einschränkung des Sonderstrafrechts für Jugendliche 2001, der nächste das vorweg im Ministerrat akkordierte und danach per fax dekretierte Vorhaben im April 2002, den eigenständigen Jugendgerichtshofs auflösen zu wollen, obwohl der Gerichtspräsident, Richtervereinigung, die große Mehrheit der RichterInnen und ExpertInnen massive Bedenken dagegen vorgebracht haben. (der Standard-online 16.04.02, 28.05.02). Der diesbezügliche Gesetzesentwurf passierte noch am 10.9.02 - einen Tag nach Ankündigungen der vorgezogenen Neuwahlen – den Ministerrat, die von Böhmdorfer geforderte Beschlussfassung noch vor den Wahlen wird jedoch vom Koalitionspartner auf Grund des nach wie vor bestehenden Diskussionsbedarfs verweigert (derStandard-online 10.09.02). Dies hat Böhmdorfer jedoch nicht daran gehindert, per Verordnung bereits die Übersiedlung des Jugendgerichtshofs ins Landesgericht zu dekretieren (derStandard-online 20.09.02).

Auf dieser Linie liegt aber auch das – von VK Riess-Passer als "Initiative der Bürgergesellschaft" verteidigte – FPÖ-Projekt von Bürgerwehren, die mit Videokameras und Handys ausgerüstet den Kampf gegen Drogendealer ("vorwiegend schwarzafrikanische Asylanten" - so FPÖ-Partik-Pablé übereinstimmend mit ÖVP-Kiss in der ORF-Diskussion "betrifft" am 26.05.02) und Ordnungsstörende in Parks, Einkaufsstrassen und öffentlichen Verkehrsmittel aufnehmen sollen. Das in Graz gestartete Projekt, das als Eingriff in die Persönlichkeitssphäre, als Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols und als Rüstung für den Bürgerkrieg nach dem Muster der 1. Republik interpretiert werden kann, und (vorerst?) von den angeblich Geschützten selbst und von Angehörige aller anderen Parteien entschieden abgelehnt wird, soll auch in anderen österreichischen Städten Schule machen (derStandard-online 13.05.02).

- Innerhalb der neuen Regierungskoalition werden aber auch - weit über den Bereich einer normalen "Deregulierung" und "Redimensionierung" der Sozialpartnerschaft hinausgehende - Forderungen laut und Maßnahmen gesetzt, deren Realisierung geeignet scheint, die Realverfassung der Gesellschaft zu verändern, ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation zu beeinträchtigen und ihre Abhängigkeit vom Staat zu verstärken:
Dazu zählen die FPÖ-Forderung nach einer 40 %-igen Kürzung der Arbeiterkammerumlage, die auf eine massive Schwächung einer wichtigen Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen hinauslaufen würde, der neue Stil des Regierens ohne Rücksicht auf den Sozialpartner-Konsensus - und nicht zuletzt die Abberufung des Präsidiums des Hauptverbandes der SV-Träger durch FPÖ-Sozialminister Haupt – mit der autoritären Begründung, Präsident Sallmutter sei nicht mehr tragbar, weil er "die Rechtsauffassung des Ministeriums nicht teilt" - sowie die Drohung des Ministers, den Hauptverband der SV-Träger als autonomen Selbstverwaltungskörper zu zerschlagen und durch eine Holding mit einer von der Regierung eingesetzten Leitung zu ersetzen – und weiters die – von Kritiker/inne/n als "Zensurparagraf" bezeichnete - Verpflichtung, Informationsschreiben des Verbandes in Zukunft dem Sozialminister als Aufsichtsbehörde vorzulegen (derStandard-online 17.10.01)
Mittlerweilen hat der Verfassungsgerichtshof eine Prüfung der Hauptverbandsreform wegen Bedenken betreffend die Bestimmung, die die Unvereinbarkeit einer Tätigkeit im Verwaltungsrat des Hauptverbandes mit einer leitenden Gewerkschaftsfunktion vorsieht, eingeleitet; diese Bestimmung stehe möglicherweise mit dem Konzept der Selbstverwaltung in Widerspruch (deStandard-online 10.07.02). Mit einer Entscheidung vor den vorzeitigen Neuwahlen im November 2002 ist jedoch auf Grund eines Regierungsantrags auf Verlängerung der Stellungnahme-Frist nicht mehr zu rechnen (derStandard-online 19.09.02).
Ihre Fortsetzung hat diese Ausschaltung der Selbstverwaltung und die Besetzung von Spitzenfunktionen entgegen den politischen Mehrheitsverhältnissen im Bereich der dafür bisher verantwortlichen Arbeitnehmerorganisationen zwecks Sicherung des Regierungseinflusses mit der Bestellung von E. Wetscherek (VP) und R. Gaugg (FP) zum Generaldirektor bzw. GD-Stellvertreter der neu geschaffenen Pensionsversicherungsanstalt (PVA) durch den mit einer satten blau-schwarzer Mehrheit ausgestatteten "Überleitungsausschuss" (derStandard-online 28.05.02). Der von diesem gewünschter Sondervertrag, der Gaugg nicht nur die Dienstprüfung ersparen, sondern auch eine fette Gage und die Anrechnung aller nur erdenklichen Vordienstzeiten bringen sollte, wurde ihm jedoch bis Juli 2002 vom "Überleitungsausschuss" zweimal abgelehnt (derStandard-online 18.07.02), ehe der Kandidat der "Anti-Privilegien-Partei" im August - nachdem er am Steuer "Alkoholsymptome" gezeigt und einen Alkoholtest verweigert hatte – über Nacht aus Politik und PVA-Funktion ausscheiden musste (derStandard-online 05.08.02). Statt ihm wurde dann allerdings vom Überleitungsausschuss einstimmig mit Univ. Prof. R. Ammer ein parteiunabhängiger Gesundheitsexperte zum GD-Stellvertreter bestellt (derStandard-online 19.09.02).

Als Flankenschutz für die Angriffe auf die Selbstverwaltungskörper und wohl auch zur Ablenkung von der Affäre Gaugg haben sich Sozialminister Haupt und Verkehrsminister Reichhold in Vollzug einer entsprechenden Aufforderung durch das "einfache FPÖ-Mitglied" Haider im August 2002 von Amts wegen auf die Suche nach angeblichen "rot-schwarzen Privilegien" begeben: Nach einer Erhebung über Verträge und mögliche lukrative Sonderklauseln in den Krankenkassen nahm Haupt – begleitet von einem Aufschrei des Betriebsrates, der Gewerkschaft und der Opposition - die Krankenstände in der Pensionsversicherung im Visier. In einem Brief an den Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Ewald Wetscherek, verlangt das Ministerium ohne jegliche datenschutzrechtliche Bedenken Auskunft über die Namen der Bediensteten, die im Vorjahr länger als drei Wochen im Krankenstand waren. In Berufung auf den Datenschutz stellte die PVA dem Sozialminister jedoch nur statistisch aufbereitete, anonymisierte Daten zur Verfügung (derStandard-online 23.08.02, 29.08.08). Riechhold will auf seiner Jagd nach "Privilegien" vom Rechnungshof die Regelungen für die wegen einer Funktion als Personal-/ GewerkschaftsvertreterIn dienstfrei gestellte MitarbeiterInnen bei der ÖBB - Ausmaß der Dienstfreistellungen, Bereitstellung von Dienstwägen, unternommene Dienstreisen, Bezüge, Karriereverläufe, Aufwandsentschädigungen von Seiten Dritter - prüfen lassen. Das zielt unmittelbar auf die Arbeitnehmervertretungen, indirekt aber auch auf das Betriebverfassungsgesetz, das ja zur Erleichterung der Wahrnehmung der Vertretungsaufgaben zum Schutz der Personalvertretung Sonderregelungen vorsieht (derStandard-online 28.08.02).

Ein weiteres Beispiel eines Angriffs auf ArbeitnehmerInnenorganisationen als Teil der gesellschaftliche Realverfassung war der FPÖ-Vorschlag, leitende Funktionäre der Trägerorganisationen der WSP vom passiven Wahlrecht zum Nationalrat auszuschließen (derStandard-online 13.07.01, 20.07.01, 11.06.02, 10.08.02) sowie die generelle Infragestellung des ÖGB als "nicht mehr zeitgemäß" durch FPÖ-Gorbach im Sommer 2001 (derStandard-online 07.09.01).
Der nächste Schritt der Aushöhlung gesellschaftlicher Selbstorganisation durch die Sozialpartner war die Verweigerung der Mitgliedsbeiträge und damit von 50% des Budgets für den Sozialpartnern getragenen "Verein für Konsumenteninformation (VKI)" durch Justizminister Böhmdorfer. Unter dem Vorwand, für die KonsumentInnen einen "unabhängigen Konsumentenschutz" erreichen zu wollen, soll damit im Widerspruch zur ansonsten auf Seiten der Regierung so beliebten Privatisierungsrhetorik und entgegen europäischen Gepflogenheiten ein weiteres Handlungsfeld unter ministerielle Kontrolle gebracht und quasi verstaatlicht werden (derStandard-online 02.04.02).

Ein weitere Fall der Zerschlagung demokratischer Selbstverwaltung war die – im Eiltempo (von März bis Juli 2003 vom Ministerialentwurf über Regierungsvorlage bis zur parlamentarischen Beschlussfassung) und weitgehend über die Köpfe der betroffenen hinweg erfolgte - Neuorganisation der Universität, mit der – im krassen Widerspruch zur bisher maßgeblichen Humboldt'schen Universitätsidee die Marktorientierung der Universität verordnet, die Organisation zentralisiert und die Mitbestimmung entsorgt, die autonome Gemeinschaft der Lehrenden zu einem weisungsabhängigen und gehorsamspflichtigen Personal degradiert und die Studierenden von prinzipiell gleichberechtigten Beteiligten am Prozess der Bildung durch Wissenschaft zu zahlungspflichtigen Konsument/innen von Ausbildungsangeboten umfunktioniert werden (derStandard-online 11.08.02). Die SPÖ hat am 21. November einen Antrag auf Aufhebung des neuen Universitätsgesetzes eingebracht – u. a. wegen Verletzung der verfassungsmäßig gewährleisteten Selbstverwaltung (derStandard-online 22.11.02). Ungeachtet dessen hat bereits die Implementierung des Gesetzes begonnen. An den Universitäten Klagenfurt und Innsbruck und an der WU Wien hat der entrechtete Mittelbau freilich die Wahlen zum "Gründungskonvent" im November 2002 demonstrativ boykottiert (derStandard-online 28.11.02).
Besorgniserregend im Hinblick auf den Grundwert der Autonomie der Wissenschaft und die Zukunftsperspektiven von nicht kurzfristig rentabler Grundlagenforschung und nicht machtgenehmer kritischer Gesellschaftsforschung waren auch die im August 2002 bekannt gewordenen Pläne von FPÖ-Verkehrsminister Reichold und FPÖ-Wissenschaftssprecher Graf, den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) durch Zusammenlegung mit anderen Institutionen der Forschungsförderung wie dem derzeit für die "angewandte Forschung" zuständigen Forschungsförderungsfonds der gewerblichen Wirtschaft (FFF) im üblichen Eiltempo - Präsentation am 16. September, kurze Begutachtung, Inkrafttreten im Jänner – ohne vorhergehender Evaluierung und ohne Einbindung der für den FWF Verantwortlichen aufzulösen. FWF und Wirtschaftskammer haben sich bereits vorsorglich dagegen ausgesprochen (derStandard-online 24.08.02). Nach Ablehnung durch das Wissenschaftsministerium ist die umstrittene Fusionierung des FWF mit dem FFF vom Tisch. Der FWF soll vorderhand eigenständig bleiben (derStandard-online 04.09.02) (5).

Hinzuweisen ist hier aber auch Maßnahmen im Zuge der Budgetsanierung wie die Einschränkung der Zivildienststellen und die Streichung der begünstigten Posttarife, die geeignet sind, autonome Assoziationen, Initiativen und karitative Organisationen der so genannten "Zivilgesellschaft" in ihrer Existenz zu gefährden. Andererseits wird laut Liste für das Jahr 2001 nun der deutsch-nationale "Pennälerring" unter dem Titel "Jugendförderung" von Sozialminister Haupt finanziell unterstützt; auch die Renovierung von Vereinslokalen und Sanitäranlagen deutschnationaler Verbindungen wird - unter dem Titel der "Projektförderung" – neuerdings aus Mitteln der Jugendförderung vom Sozialministerium gefördert (derStandard-online 27.6.02).

- Aus grundrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht höchst bedenklich sind weiters die wiederholten und auch im so genannten "Weisenbericht" (Ahtisaari u.a. 2000) kritisch kommentierten Vorstöße führender FPÖ-Politiker, die auf eine Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit hinauslaufen:
In diesen Bereich fallen die von der Kanzlei Böhmdorfer eingebrachten "Einschüchterungsklagen" gegen OppositionspolitikerInnen, Medien bzw. JournalistInnen (profil, Standard, Falter, News bzw. Rauscher, Worm, Thurnher u.a.) kritische WissenschaftlerInnen (Pelinka, Neugebauer), KünstlerInnen (Heller) und Intellektuelle (6) und die von den Betroffenen als massiv empfundene Versuche der Interventionen in die Berichterstattung des ORF. Mittlerweilen sind ja bekanntlich bereits – mit der in der ORF-Reform 2001 erfolgten Installierung blau-schwarzer Intendanzen mit verstärkten Durchgriffsrechten - die personellen und strukturellen Voraussetzungen für eine Instrumentalisierung des ORF für die FPÖVP-Wendepolitik geschaffen (derStandard-online 13.03.01, 05.07.01).Wie entsprechende Analysen von Mediawatch zeigen, hat sich allerdings solchen Befürchtungen zum Trotz die relative Medienpräsenz von Regierung und Opposition weder im Übergang von der SPÖ-ÖVP- zur ÖVP-FPÖ-Koalition noch durch den von der FPÖVP herbeigeführten Führungswechsel im ORF erheblich verändert: Nach wie vor entfallen ca. drei Viertel der Redezeit auf VertreterInnen der Regierungsparteien (vgl. derStandard-online 30.10.01, 05.08.02).

Weiters zählt dazu die von Haider anlässlich der innenpolitischen Auseinandersetzungen um die sogenannten "EU-Sanktionen" geborene und von Justizminister Böhmdorfer sowie Vizekanzlerin Riess-Passer für "überlegenswert" befundene Idee, regierungskritische Oppositionspolitiker gleichsam wegen "Hochverrats" vor Gericht zu bringen. Mittlerweilen gibt es sogar Gesetzesentwürfe des Justizministers (neue STPO) und der Außenministerin ("Informationssicherheitsgesetz"), in denen die Bestrafung von Enthüllungsjournalismus vorgesehen ist (derStandard-online 30.04.01 bzw. 20.10.00);
Auf Kritik des Presserates wegen der damit verbundenen Einschränkung der "Freiheit in Berichterstattung und Kommentar" stößt aber auch das Informationsverhalten des Justizministers, der – so die Klage eines "Falter"-Journalisten, Recherchen durch "Maulkorberlässe" für potentielle Auskunftspersonen unterbindet (derStandard-online 28.06.02).

Auf Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zielt auch die von FPÖ und ÖVP-PolitikerInnen wiederholt erhobene Forderung ab, die wöchentlichen Donnerstagsdemonstrationen gegen "Blau-Schwarz" zu unterbinden.
Ein weiteres Beispiel für den Angriff auf das Demonstrationsrecht war die vorverurteilende Denunziation der "Volkstanztheater-Karawane" als angebliche Angehörige des "Schwarzen Blocks" beim italienischen Polizeiapparat anlässlich des G8-Gipfels in Genua im Sommer 2001 (derStandard-online 27.07.01).
Bemerkenswert sind auch die Umstände der Anzeige gegen den grünen Abgeordneten Öllinger wegen angeblichen "Widerstands gegen die Staatsgewalt" im Zusammenhang mit der Demonstration gegen die Kundgebung rechtsextremer Gegner der Wehrmachtsausstellung ausgerechnet am Wiener Heldenplatz: Während Öllinger angibt, sich auf Ersuchen der Polizei zwecks Vermittlung bei Ausschreitungen am Ort der Demonstration befunden zu haben und dort seinerseits von Polizisten attackiert worden zu sein, als er sich nach der Dienstnummer eines Beamten erkundigen wollte, erheben Khol und Westenthaler den öffentliche den Vorwurf einer Beteiligung Öllingers an "linksextremer Gewalt" und bestätigt die Staatsanwaltschaft erst danach das Vorliegen einer entsprechenden Anzeige, die ihrerseits allerdings erst nach der Mitteilung der Staatsanwaltschaft dort eingelangt sein soll (derstandard-online 17.04.02). Ein gefallener Abgeordneter oder eine Falle der Polizei und eine "Anzeige auf Zuruf" (Pilz) der Regierungsparteien? Die Anzeige wurde jedenfalls nach drei Monaten zurückgelegt (derStandard-online 23.07.02).
Die erwähnten Ausschreitungen waren für die Regierungskoalition auch der willkommene Anlass, ein generelles Vermummungsverbot für politische Kundgebungen zu beschließen - ungeachtet der damit verbundenen Einschränkung der Demonstrationsfreiheit: DemonstrantInnen gegen totalitäre Regime können es sich wegen möglicher Repressionen gegen sie selbst und gegen Mitglieder ihrer Familien nicht riskieren, an Kundgebungen teilzunehmen, ohne ihre Identität zu verhüllen! (derStandard-online 03.07.02, 09.07.02)
Politisch zumindest dubios auch die Tatsache, dass am 8. Mai 2002 (Jahrestag der Kapitulation des NS-Regimes) der Heldenplatz und Josefsplatz für Demonstrationen linker Nazi-Gegner gesperrt wird, während es rechten und rechtsextremen Burschenschaften gestattet wurde, am "Tag der Niederlage" in der Krypta des Heldentores ein Totengedenken für gefallene Wehrmachtssoldaten und am Josefsplatz eine Kundgebung mit rechter Weltkriegsnostalgie von NR Jung (FPÖ) und Polemik gegen "linke Intoleranz" von Volksanwalt Stadler (FPÖ) abzuhalten (derStandard-online 08.05.02).
Ebenso bedenklich, dass nun die Veranstalter der Anti-Nazi-Demonstrationen am 13. April und 8. Mai nach einer Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien Geldstrafen für die Ausschreitungen zahlen sollen, die es bei diesen Demonstrationen gab. Diesen Versuch, die Anmelder einer Demonstration unabhängig von deren Motivation und Verhalten pauschal für Ausschreitungen in deren Verlauf verantwortlich zu machen, haben die Veranstalter der Anti-Nazi-Demonstration als eine "eklatante Aushebelung des Demonstrationsrechtes" kritisiert (derStandard-online 23.08.02).

In diesem Zusammenhang ist der Umstand bemerkenswert, dass heute Medien öffentlich gefördert werden, die man vor dem Februar 2002 als ausserhalb des legitimen Pluralismus liegend angesehen hätte: so finden sich seit dem schwarz-blauen Regierungsantritt rechtsextreme Zeitschriften wie "Zur Zeit" auf der Liste der Printmedien, die öffentliche Förderung beziehen (Euro 62 499 oder öS. 860.000.- im Jahr 2001, vgl. derStandard-online 22.01.02, und Euro 75.550 oder über 1 Mio öS. Im Jahr 2002, vgl. derStandard-online 14.08.2002).

- Zweifellos hat jedes Land das Recht, den Zuzug Fremder zu regeln und nach Maßgabe der Möglichkeiten des Arbeits- und Wohnungsmarkts zu begrenzen. Aus grundrechtlicher Sicht bedenklich ist jedoch, wenn diese Regulierung und Begrenzung aus rassistischen Motiven und unter Missachtung der Menschenrechtskonvention erfolgt und dabei auch das Asylrecht ausgehöhlt wird:
So haben selbst starke ökonomische Motive, wie der Mangel an IT-Kräften, die FPÖ nicht zur Erhöhung der Zuwanderungsquoten für 2001 motivieren können, denn "wir sind den Wählern im Wort"; der Mehrbedarf solle – so Westenthaler mit der im Widerspruch zur Menschenrechtskonvention getroffenen Feststellung "Das Recht der Inländer auf Heimat ist stärker als das Recht der Ausländer auf Familienleben" (futurelinks 2000) - auf Kosten der Teilquote für Familienzusammenführung gedeckt werden.
Im Gegenteil: Nach den fremdenfeindlichen Vorstellungen Haiders soll es in den nächsten Jahren "nicht nur einen Einwanderungsstop geben, sondern auch eine klare Sichtung jener, die hier anwesend sind. Viel zu viele Illegale, Straftaten, Drogenhändler – alle haben hier in Österreich nichts verloren. Das muss unser Interesse sein, hier eine konsequente Beseitigung herbeizuführen" (Der Standard-Online 21.102001).

Zu den (allerdings bereits von der SPÖ-ÖVP-Koalition geerbten) grundrechtlichen Defiziten zählen insbesondere die Säumigkeit (hoher Rückstau) und Restriktivität (Quotierung der Familienzusammenführung; Ausschluss von Jugendlichen über 14) bei der Familienzusammenführung, die Schubhaft für unter-14-Jährige und die faktische Aushöhlung des Asylrechts mangels eines Rechts der Asylwerber/innen auf Bundesbetreuung. Neu hinzugekommen ist hier die Blockade einer EU-weiten liberaleren Regelung der Familienzusammenführung durch Justizminister Böhmdorfer im Mai 2001 (derStandard-online 28.05.01).

Der – als "Fortschritt, der sich am holländischen Modell orientiert" verkaufte – Anfang Juli 2002 im Parlament beschlossene neue Integrationsvertrag, der nicht nur NeuzuzüglerInnen, sondern auch Arbeitslose erfasst und in Wahrheit keine neuen Rechte, aber neue Hürden (Gesundheitszeugnis) und neue Pflichten (z.B. verpflichtende, z.T. kostenpflichtige Deutschkurse) und bei Nicht-Erfüllung dieser Pflichten sogar den Entzug von Rechten (Erhöhung der Kursbeiträge, Geldstrafen bis hin zur Ausweisung) vorsieht, ist der bisherige Höhepunkt dieser Politik auf Regierungsebene; Dafür wurde gleichzeitig das so genannte "Saisonier-Modell" ausgeweitet und damit der Weg zurück zum überholten "Gastarbeitermodell" geebnet (vgl. derStandard-online 04.03.02, 10.07.02). Gleichzeitig macht nun die Bundes-ÖVP (!), ganz auf der Linie ihres xenophoben Koalitionspartners, gegen das im SPÖ-Programm für die Wiener Wahlen 2001 als Teil einer integrationspolitischen Offensive vorgesehene Vorhaben der Wiener Stadtregierung mobil, das passive Wahlrecht für AusländerInnen einzuführen. Klubobmann Khol hat jedenfalls diesbezüglich einen Einspruch der Bundesregierung und – falls dieser unbeachtet bleiben sollte – eine Klage beim VGH angekündigt (derStandard-online 02.08.02).
Eine derart restriktive Zuwanderungspolitik ist aus humanitärer Sicht bedenklich, aber hat letztlich auch ökonomisch negative Konsequenzen, wie im Sommer 2002 von einer WIFO-Studie dokumentiert wurde: Hochqualifizierte Arbeitskräfte kommen vorwiegend aus EU-Ländern, zum Teil auch aus Mittel- und Osteuropa nach Österreich, siedeln sich hier aber auf Grund der vergleichsweise ungünstigen Niederlassungsbedingungen nicht an, sondern verlassen das Land wieder, um sich in traditionellen Einwanderungsländern wie USA, Kanada und Australien endgültig niederzulassen. In Österreich (und in anderen ländern mit einer ähnlich restriktiven Zuwanderungspolitik) bleiben dagegen Flüchtlinge sowie Arbeitskräfte aus Südosteuropa und der Türkei, die jedoch minderqualifiziert sind und hauptsächlich in Niedriglohnbranchen arbeiten (derStandard-online 22.08.02).
Aber auch im Asylrecht schlägt sich die fremdenfeindliche Haltung der FPÖ und der von dieser vor sich her getriebenen Regierung wieder:
Exemplarisch dafür die Forderung Haiders nach einer weiteren Restriktionen im Bereich des (wie oben dargelegt nach dem WTC-Terrorakt in Österreich ohnehin bereits im europäischen Gleichschritt verschärften) Asylrechts anfang August 2002: Ganz im Geiste seines Treffens mit Spitzen des Europäischen Rechtsextremismus im Juli in Kärnten (s. weiter oben) fordert er: "Künftig soll es Asyl nur noch für politisch Verfolge geben". Dies klingt zwar harmlos, ist es aber insofern nicht, als er damit irreführenderweise unterstellt, dass dies gegenwärtig nicht der Fall sei. Weiters fordert Haider neuerlich eine beschleunigte Abwicklung des Verfahrens sowie eine Neuregelung bei der Zustellung eines negativen Bescheides: "Dieser muss zuerst der zuständigen Fremdenpolizei ausgefolgt werden, die dann den Bescheid dem Asylwerber zustellt und gleichzeitig abschieben kann". Weitere Forderungen Haiders betreffen die Daueraufenthaltsbewilligung ("Frühestens nach sieben Jahren", die Einschränkung des Familienzuzuges ("Das geht zu Lasten von österreichischen Staatsbürgern") und eine strengere Fassung in der Frage der Eheschließungen ("Sie sind zu 99,9 Prozent Missbrauch und sollen künftig frühestens ab dem 24. Lebensjahr ermöglicht werden"). Seine Verachtung rechtsstaatlicher Grundsätze kommt in der Forderung zum Ausdruck, der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) müsse als Instanz ausgeschaltet werden. Dessen Spruchpraxis sei "verantwortungslos", weil "Schwerverbrechern im Asylverfahren eine aufschiebende Wirkung zuerkannt wird"; es gebe ohnehin den Unabhängigen Bundesasylsenat, er solle künftig letzte Instanz sein (derStandard-online 06.08.02).

Während solche Ideen öffentlich ventiliert werden, wird im Innenministerium auf kritische Meinungsäußerungen von Seiten von Hilfsorganisationen wie "Asyl in Not" äußerst empfindlich reagiert: nachdem man im Ministerium im Sommer im Archiv einer e-mail-Zeitung einen Rundbrief des Geschäftsführers von "Asyl in Not" Michael Genner entdeckt hatte, in dem dieser einen Ministerialbeamten als "Schreibtischtäter" bezeichnet, erfolgte – unter Federführung von SC Szymanski - nicht nur eine Anzeige gegen den Geschäftsführer von Asyl in Not und eine Aktion scharf gegen das Wiener "Integrationshaus", sondern auch die Blockade einer Förderung aus dem Europäischen Flüchtlingsfond. Die Causa ist gerichtsanhängig (derStandard-online 23.09.02).

Letztes praktisches Beispiel restriktiver Asylpolitik vor den vorverlegten Neuwahlen war eine Richtlinie des Innenministeriums, nach dem 1. Oktober 2002 alle AsylwerberInnen, die nicht aus Afghanistan oder dem Irak kommen - also auch solche aus Indien, Bangla Desh, Pakistan, Nepal, Mongolei, Sri Lanka und Nigeria, mangels Aussicht auf Asylgewährung nicht mehr in Bundesbetreuung zu belassen – und diesen damit vor Abschluss eines Asylverfahrens von Amts wegen pauschal Asylmissbrauch zu unterstellen. Den kurz vor dem Winter in die Obdachlosigkeit Entlassenen können mangels Adresse nicht einmal Bescheide zugestellt werden. Dieser Erlass ist auf heftige Kritik von Seiten der Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, des UNHCR und der Opposition gestoßen (derStandard-online 20.09.02, 27.09.02). Nach Ansicht von Amnesty International ist er völkerrechts- und menschenrechtswidrig: Um das in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehene Recht auf Asyl jedoch auch materiell in Anspruch nehmen zu können, sei es "zwingend, mittellosen Flüchtlingen ohne Wenn und Aber das Überleben zu sichern". Weiters sei es aus juristischer Sicht "diskriminierend, wenn nicht sogar rassistisch", einzelne Ländergruppen aus der Flüchtlingsbetreuung auszuschließen. Weiters verwies AI darauf, dass die Richtlinie mit einer neuen EU-Richtlinie kollidiert, die Mindeststandards für die Flüchtlingsbetreuung bringe. Diese sei trete zwar erst 2004 in Kraft, doch sei es laut EU-Recht nicht erlaubt, vor dem Inkrafttreten einer neuen Richtlinie "zielwidrige Veränderungen" vorzunehmen. Schließlich sei der Erlass auch nach österreichischem Recht fragwürdig. dass AsylwerberInnen bereits auf Grund eines polizeilichen Verdachts auf eine strafbare Handlung aus der Bundesbetreuung entlassen werden können, verstoße gegen die Unschuldsvermutung (derStandard-online 12.10.02). Während dies vom BMI bestritten wurde (derstandard-online 14.10.02), will Das Netzwerk Asylanwalt, ein gemeinsames Projekt von UNHCR, Caritas, Rotem Kreuz, Amnesty, Diakonie, Volkshilfe, 12 Rechtsanwälten und weiteren Partnern, deshalb eine Verfassungsklage gegen Minister Strasser einbringen (APA OTS 18.10.02). Auch für den scheidenden Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs sind einzelne Punkte der neuen Richtlinie "nicht unproblematisch"(derStandadr-online 28.10.02).
Mitte Oktober 2002 hat dann übrigens auch die Landeshauptleutekonferenz als Vorleistung für ihre Kooperation eine Beschleunigung des Asylverfahrens – u.a. durch Einschränkungen der Berufungsmöglichkeiten – gefordert. Kärnten ist allerdings mit der Forderung, dass Asylwerber sofort nach einem negativen Bescheid abgeschoben werden können und dass der Bund ein restriktiveres Vorgehen bei humanitären Aufenthaltserlaubnissen einschlägt, abgebiltzt. "Verfassungsrechtlich und inhaltlich nicht möglich", so der Vorsitzende, Salzburgs VP-Landeshauptmann Franz Schausberger. Auch beim Innenministertreffen in Luxemburg hat man sich europaweit über beschleunigte Verfahren und – auf Grund eines Vorschlags von Strasser vorgeschlagene - über gemeinsame Listen "sicherer Drittstaaten" verständigt (derStandard-online 15.10.02, 16.10.02).
Mittlerweilen hat freilich ein unabhängiges Gerichte bereits die Entlassung eines Asylwerbers aus der Bundesbetreuung auf Grund dieser Richtlinie als rechtswidrig aufgehoben. Aufgrund eines erst verspätet eingelangten Rekurses des Innenministeriums ist dieses Urteil bereits rechtskräftig (derStandard-online 20.11.02)

- Ein Gradmesser für die Bedeutung von Grund- und Menschenrechten ist auch die Minderheitenpolitik: In diesen Zusammenhang bedenklich ist in erster Linie die – von der FPÖ, aber von der Regionalfilialen von SPÖ und ÖVP mitgetragene und vom Koalitionspartner nur zaghaft kritisierte - Weigerung Haiders als Kärntner Landeshauptmann um die Jahreswende 2001/2002, der Aufforderung des Verfassungsgerichtshofs nachzukommen, entsprechend der aus dem Staatsvertrag stammenden und dem Grundsatz des Minderheitenschutzes entsprechenden Verpflichtung mehr zweisprachige Ortstafeln in Kärtner Gebieten mit slowenischer Bevölkerung aufzustellen, und dessen Drohung gegenüber der Volksgruppe, ihr Zugeständnisse zu entziehen, sollte sie sich auf den Rechtsstandpunkt stellen (derStandard-online 14.12.01, 27.06.02).
Die Regierung hat mittlerweile zur Erarbeitung einer Lösung dieser Frage eine von Parteien- und Minderheiten-VertreterInnen und Heimatverbänden beschickte "Konsenskonferenz" eingesetzt. Dies ist freilich insofern problematisch, als mit der Schaffung einer so bezeichneten Einrichtung ganz im Sinne Haiders und gegen den Geist der Verfassung zum Ausdruck gebracht wird, dass die Gewährung von Minderheitenrechte von der Zustimmung der Mehrheit abhängig gemacht werden soll. Es wundert daher nicht, dass diese Einrichtung bisher unfähig war, angesichts der Unvereinbarkeit der – auf das VGH-Urteil gestützten – Forderung der MinderheitenvertreterInnen nach zusätzlichen zweisprachigen Ortstafeln und der kategorischen Weigerung Haiders und der Kärtner FPÖ, auch nur eine Ortstafel mehr zu akzeptieren, eine einvernehmliche Lösung zu finden (derStandard-online 11.07.02). Nach einer weiteren ergebnislosen Sitzung am 11.September 2002 wurde die Lösung der Thematik der nächsten Legislaturperiode nach den Neuwahlen im Spätherbst überlassen (derStandard-online 11.09.02). Am Tag der der vorzeitigen Auflösung des Nationalrats am 20.09.2002 schob Haider das Nicht-Zustandekommen eines Konsens einseitig den Slowenen zu: es sei "ein historischer Fehler seitens der Slowenenvertreter" gewesen, die Paketlösung nicht angenommen zu haben. Das gemeinsam geschnürte Angebot (mit der Verdoppelung von Ortstafeln sowie Kultur- und Medienförderungen) hätte der Volksgruppe einen enormen qualitativen und quantitativen Fortschritt gebracht. Nun werde es kein neues Angebot und auch keine Bereitschaft zu Verhandlungen geben (derStandard-online 20.09.02).
Nachdem die Kärnter FPÖ im November 2002 tatsächlich die Subvention eines slowenischen Radiosenders mit dem Hinweis auf das mangelnde Wohlverhalten der Minderheitenvertretung in der "Konsenskonferenz" verweigert hatte, hat eine Gruppe rund um den slowenisch-kärntner Rechtsanwalt Rudi Vouk Ende 2002 – kurz vor Ende der vom VGH gesetzten Frist - erklärt, die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln in Südkärnten erzwingen und notfalls "jeden Ort einzeln durchfechten" zu wollen (derStandard-online 08.12.02).

Hierher gehört aber auch die beharrliche Weigerung der Regierungspartei ÖVP, die mit dem § 209 STGB gegebene Diskriminierung homosexueller Beziehungen aufzuheben, während gleichzeitig in Schweden, Holland oder Deutschland die Homosexuellenehe eingeführt wird (derStandard-online 06.06.01, 22.11.01). Erst die Aufhebung dieses dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Paragraphen durch den VGH als verfassungswidrig am 21.Juni 2002 hat hier eine neue Situation geschaffen (derStandard-online 24.06.02), und eine – von der Opposition allerdings als überflüssiger Schnellschuss kritisierte - Neuregelung mit der Zielsetzung des Schutzes von bis zu 16-jährigen Jugendlichen beiderlei Geschlechts vor sexuellen Missbrauch soll noch vor dem Sommer beschlossen werden (derStandard-online 04.07.02). Freilich scheint das Justizministerium die damit eröffneten Amnestiemöglichkeiten sehr restriktiv – nämlich nur bezogen auf die Fälle der vorübergehenden, sogenannten "wechselnden Strafbarkeit" Jugendlicher bzw. junger Erwachsener mit nur geringem Altersunterschied – wahrnehmen zu wollen (derStandard-online 25.06.02, 26.06.02).
- In konsequenter Orientierung an ihrem völkisch-nationalistischen Programm, das nur ein ethnopluralistisches "Europa der Völker" zulässt, betreibt die FPÖ trotz des von ihr im Regierungsprogramm unterzeichneten Bekenntnisses zur EU eine Europapolitik, die sich gegen Erweiterung, Vertiefung und Institutionenreform richtet:
Die EU-Erweiterung betreffend reicht das Arsenal nationalistisch motivierter Behinderungsmaßnahmen von populistischen Aktionen wie der Einleitung einer Volksbefragung (FPÖ Burgenland) oder der Forderung nach einer Volksabstimmung (FPÖ-Niederösterreich), über die revanchistische Forderung nach einer Aufhebung der Avnoj-Beschlüsse bzw. der Benes-Dekrete als Bedingung für die Aufnahme Sloweniens bzw. Tschechiens (Haider, Westenthaler) bis hin zur Forderung, die Beitrittsverhandlungen überhaupt auszusetzen (Haider). Auch die ÖVP ist mit der Forderung nach Aufhebung der Benes-Dekrete (Schüssel) und nach "Restitution" (Khol) als Bedingungen eines Beitritts Tschechiens zur EU auf diese Linie eingeschwenkt, hat jedoch im Gegensatz zur FPÖ in diesem Zusammenhang keine Veto-Drohung in den Raum gestellt (derstandard-online 14.04.02, 15.04.02). Nach dem Gutachten von J. Frowein für das Europäische Parlament, dass die Kompatibilität der Benes-Dekrete mit dem EU-recht attestiert, hat die FPÖ ihre Veto-Position für den Fall einer Nicht-Aufhebung der Dekrete erneuert, die ÖVP hingegen hofft auf eine Konfliktlösung durch eine politisch-moralische Geste Tschechiens (derStandard-online 01.10.02).
Im Jänner 2002 erreicht die Hintertreibung der EU-Erweiterung mit dem von der FPÖ initierten und von der Kronenzeitung unterstützten Volksbegehren gegen Temelin, dass für den Fall der Inbetriebnahme Temelins ein Veto Österreichs zum EU-Beitritt Tschechiens vorsieht, einen neuen Höhepunkt (derStandard-online 26.11.01, 13.12.01, 22.01.02).
Anfang Juli 2002 erklärt Westenthaler dann, man müsse die "bisher so fixe Größe" der siebenjährigen Übergangsfrist für die Freizügigkeit am Arbeitsmarkt "in Frage stellen" , und läßt mit der – in Kollision mit dem Gleichheitsgrundsatz stehenden – Forderung aufhorchen, die Sozialleistungen für Zuwanderer aus den neuen osteuropäischen Mitgliedländern "auf das Niveau der jeweiligen Herkunftsländer zu reduzieren" (derStandard-online 01.07.02).
Anfang September 2002 hat sich auch der "liberale" FPÖ-Finanzminister Grasser als Erweiterungsbehinderer profiliert: "Die Erweiterung muss weniger kosten als jetzt veranschlagt ist, und wir müssen die Risken für die Zeit nach 2006 jetzt bereinigen", forderte Grasser. Während die Vorschläge der EU-Kommission im Zeitraum 2004 bis 2006 eine Mehrbelastung von 616 Millionen Euro bedeuten würden, wolle Österreich nur 473 Millionen Euro zahlen. Für die Bauern in den neuen EU-Mitgliedsstaaten sollte es im Agrarbereich bis zum Jahr 2006 "keine Direktzahlungen" geben. Weiters forderte Grasser noch vor der Erweiterung die bisherige Obergrenze für das EU-Budget von 1,27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts "bestenfalls auf ein Prozent, schlechtestenfalls auf 1,1 Prozent" zu senken. Auch zu den FPÖ-Reizthemen Benes-Dekrete und Temelin gab sich Grasser linientreu: Zwar müsse man mit "Veto-Drohungen vorsichtig sein", bei den Benes-Dekreten dürfe es aber "kein Augenzwinkern geben". In der Frage Temelin hingegen "sagt bereits die Leiterin der tschechischen Atombehörde, dass es so nicht weiter gehen kann" (derStandard-online 02.09.02).
Kanzler Schüssel und Außenministerin Ferrero-Waldner nutzten dann freilich doch das sich durch den Bruch der Wendekoalition und die Neuwahlen ergebende "window of opportunity", um beim EU-Gipfel in Brüssel Ende Oktober 2002 der Feststellung der EU-Reife der 10 Kandidaten-Länder beizutreten und dem Plan für die Finanzierung deren Beitritts zuzustimmen und damit die letzten Hindernisse für den Abschluss der Erweiterungsrunde beim Dezember-Gipfel in Kopenhagen aus dem Weg zu räumen (derStandard-online 25.10.02). Der Gipfel von Kopenhagen brachte dann auch tatsächlich ungeachtet der Benes-Dekrete und Temelins die positive Entscheidung über die Ost-Erweiterung. Wegen der ungelösten Transit-Frage hat sich allerdings nun Bundeskanzler Schüssel die Vetooption für die am 16. April 2003 in Athen vorgesehene Unterzeichnung des Erweiterungsvertrags vorbehalten (derStandard-online 13.12.02, 15.12.02)

Französische Pläne einer Vertiefung und Weiterentwicklung der EU im Sinne eines Bundesstaates, die der ethnopluralistischen Version eines "Europa der Völker" zuwider laufen, wurden mittels eines geschickten Umdeutung nationalistisch aufgeladen und zur Bedrohung stilisiert: Diese seien Ausdruck der Bestrebungen Frankreichs, als Avantgarde und "besseres Volk" die EU anführen zu wollen und als solche "der Beginn einer Fehlentwicklung, wie wir sie bereits aus dem deutschen und italienischen Faschismus kennen" (Haider).
Was die Institutionenreform betrifft so wehrte sich die Koalition beim EU-Gipfel in Nizza einhellig gegen ein Zurückdrängen des Einflusses und der Vetomacht der nationalen Einzelstaaten, indem sie auf dem Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat "in sensiblen nationalen Fragen" und auf dem Recht besteht, einen eigenen EU-Kommissar zu stellen. Viele andere Regierungen der EU-Staaten haben sich ähnlich verhalten, aber die dahinter stehenden Motive und Europakonzeptionen waren zumeist andere: die einen argumentieren mit Föderalismus und Subsidiaridätsprinzip, der blauen Regierungsfraktion aber geht es dabei als Ausfluss ihres ethno-nationalistisch motivierten Programms um ein nach ethnischen Gesichtspunkten segmentiertes Europa ethnisch reiner Völker.
Dazu kamen, auch aus der FP-Regierungsriege, fortgesetzte nationalchauvenistisch-europafeindlich motivierte Angriffe gegen EU-Politiker, beispielsweise die wiederholt von VK Riess-Passer vorgetragene Dolchstosslegende, Fischler habe in "unpatriotischer" Weise die österreichischen Bauern "verraten" (derStandard-online 08.04.02) und die Attacke Westenthalers gegen Erweiterungskommissar Verheugen: dieser werde auf EU-Ebene nur noch "Mohrhuhn-Verheugen" genannt, "weil er so feige ist" (derStandard-online 14.04.02).

- Ohne Zweifel war die Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen und -"Arisierungs"-Opfern eine verdienstvolle Handlung der Bundesregierung. Auch dieses Projekt lief jedoch nicht ohne revanchistische und antisemitische Begleitmusik aus FPÖ-Kreisen ab (vgl. auch dazu Der Standard-Online 02-2000 bis 02-2001):
Für FPÖ-Bundesrat Gudenus zahlt Österreich mit den Zwangsarbeiterentschädigungen "Schutzgeld, um die Handelsbeziehungen – insbesondere mit den USA - nicht zu stören". Der freiheitliche Vizebürgermeister der Salzburger Gemeinde Seekirchen wiederum wehrt sich gegen einen Gemeindebeitrag für den NS-Zwangsarbeiterfonds. Es sei "historisch erwiesen, dass die Gemeinde keinerlei Zwangsarbeiter eingesetzt hat". Dafür seien viele Seekirchner nach Kriegsende in Russland und anderen Siegerstaaten zur Zwangsarbeit eingesetzt worden, die ihrerseits eine "Gefallenen- und Vermisstenentschädigung" verdienten.
Zu Beginn der Verhandlungen über die Restitution für enteignetes jüdisches Vermögen wurde der US-Opferanwalt Ed Fagan von BR Gudenus in klassisch antisemitischer Manier als "Geschäftsmann" bezeichnet, der "nicht dazu beiträgt, Sympathien für seinesgleichen (gemeint sind die Juden, M.P.) zu erwecken". Haider warnte nach Abschluss der Verhandlungen hintergründig, es sei eine trügerische Hoffnung des Bundeskanzlers, dass er "ungeteilten Applaus an der Ostküste erhalten werde".
Die steirischen Abgeordneten Schöggl und Tremml wiederum wollen die Restitution nur als Teil eines "Gesamtpakets" akzeptieren, zu dem die Entschädigung aller ehemaligen österreichischen Kriegsgefangenen und Kriegerwitwen ebenso gehörten wie die "Bemühungen um Aufhebung der AVNOJ- und Benes-Dekrete". Bundesrat Gudenus und NR-Abgeordneter Graf fordern gar Entschädigungszahlungen für Sudetendeutsche.
In Zusammenhang mit der Frage der Restitution sind übrigens auch die hetzerischen offen antisemitischen "Scherze" Haiders über Muzikant ("Ich verstehe nicht, wie einer, der Ariel heißt, soviel Dreck am Stecken haben kann") im Frühjahr 2001 gefallen (derStandard-online 01.03.01).

- Nach den langjährigen Bemühungen um eine selbstkritische Aufarbeitung der österreichischen NS-Vergangenheit, die seit den 1970-er-Jahren von einer neuen Generation von ZeithistorikerInnen in Angriff genommen worden waren, im "Bedankjahr" 1988 und auf Grund des konkreten Anlassfalls Waldheim Breitenwirkung und mit dem Eingeständnis der österreichischen Mitschuld durch Kanzler Vranitzkys im israelischen Parlament Ende der 1990er-Jahre einen staatsoffiziellen Charakter erhalten hatten, scheint die schwarz-blaue Wendekoalition nun in "revisionistischer" Weise neuerlich eine Umdeutung der österreichischen NS-Vergangenheit anzustreben:
In diesem Zusammenhang sei zunächst an die Äußerung von Bundeskanzler Schüssel zur Mittäterschaft Österreichs im Nationalsozialismus erinnert, der in einem Interview für die israelische Zeitung "Jerusalem Post" demonstrativ von der nach der "Waldheim-Affäre" von früheren Regierungen eingeschlagenen Linie eines klaren Bekenntnisses zur Mitschuld an den NS-Verbrechen abgewichen ist - und damit zu dem Opfermythos zurückgekehrt ist, welcher der jahrelangen "Absperrung der NS-Vergangenheit"aus den Gedächtnissen der Österreicher/innen (vgl. Ziegler/ Kannonier-Finster 1993) zugrunde liegt. Schüssel räumte zwar ein, dass die Österreicher eine "moralische Verantwortung" für die Vergangenheit trügen, er behauptete aber auch: "Die Nazis nahmen Österreich mit Gewalt, die Österreicher waren das erste Opfer" (Der Standard-Online am 9.11.2000). Diese Behauptung mag im engen staatsrechtlichen Sinne stimmen; was "Österreich" im Sinne der politischen Einstellung und des sozialen Verhaltens eines Großteils der Österreicher/innen betrifft (Ausschreitungen in der "Reichskristallnacht", begeisterter Empfang Hitlers auf seinem Marsch von Braunau über Linz nach Wien; prominente Mittäterschaft von "Ostmärklern" bei der Vernichtung von Juden ...), ist diese pauschale Aussage jedoch schlicht falsch und als Leugnung des historischen Faktums der österreichischen Mittäterschaft zu betrachten.

In der Folge ist es dann zu weiteren als revisionistisch bzw. als Ignoranz von NS-Verbrechen einzustufenden Akivitäten seitens der Regierung und Angehörigen der Regierungsparteien gekommen:

So wurden die Mauthausen-Gedenkfeier im Mai 2001 von Regierungsteam und Führungsriege der FPÖ quasi in einer akkordierten revisionistischen Aktion (vielleicht aber auch aus Pietät gegenüber den Opfern) demonstrativ boykottiert (derStandard-online 03.05.01).
Auch bei der Feier zum Gedenken des Massakers der NS-Besatzungstruppen im tschechischen Lidice am 27.5.1942, bei der unter anderem RepräsentantInnen der USA, Russlands, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands den Opfern des Terrrors mit ihrer Anwesenheit die Ehre erweisen, zeichnet sich das offizielle Österreich durch ignorante Abwesenheit aus (derStandard-online 15.06.02).
Selbstentlarvend auch die Zusammensetzung der Projektgruppe für die Gestaltung der Staatsvertragsausstellung im neuen "Haus der Geschichte". Nominiert wurden, unter Protest der österreichischen Zeitgeschichtler, zwei liberal-konservative (Rauchensteiner, Karner), ein sozialdemokratischer (Scholz) – und, um der revisionistischen Ausgewogenheit Willen - ein freiheitlicher Historiker (Brauneder) (derStandard-online 19.03.02).
Offen revisionistisch war auch das "Totengedenken" der schlagenden Buschenschaften am Wiener Josefsplatz am 8. Mai, dem von den dort Versammelten als Trauertag empfundenen "Tag der Niederlage" des NS Regimes. Die "Totenrede" hielt FPÖ-Nationalrat Wolfgang Jung. Zu den Rednern zählte neben dem Südafrikanischen Rechtsextermisten Nordbruch auch FPÖ-Volksanwalt Ewald Stadler, der dort unter Polizeischutz in trutziger Entschlossenheit erklärt: "Wir Korporierte, wir werden es nicht zulassen, dass der linksextreme Mob in diesem Land mit grünmarxistischer und sozialistischer Unterstützung entscheidet, wer, wann, wo und für wen ein Blumengebinde niedergelegt werden darf", und der auch nicht davor zurückschreckt, nach dem Vorbild des vom RAF-Sympathisanten zum militanten Rechtsextremisten konvertierten deutschen Horst Mahler einen "enttabuisierten Umgang mit der Geschichte" zu verlangen, der dafür freilich "auch entsprechend verfolgt" werde (DÖW 20.05.02). Was damit genau gemeint ist, lässt einen guten Monat später FP-Gemeinderat Bodo Blind im Wiener Rathaus wissen: "Im 45-Jahr, da sind die Besatzungsmächte gekommen, nur Geschichtsfälscher glauben, da sind die Befreier gekommen" (derStandard-online 25.06.02).
Auch Stadler redet bei einer Sonnwendfeier unter Gleichgesinnten Klartext: Dort wendet er sich in seiner "Feuerrede" entschlossen gegen die "Befreiungsideologie, die uns übergestülpt wird". Im Schein des "Feuers (der) Kelten und Germanen" erklärt Stadler: "Es war nicht immer eine Befreiung, wie es uns die gnadenlosen Gutmenschen und Tugendterroristen, die heute Wehrmachtsveranstaltungen und Wehrmachtsausstellungen gestalten, einreden wollen, die unser Volk im vergangenen jahrhundert erfahren hat"; so sei Österreich "1945 - und das ist zur Staatsideologie geworden - angeblich vom Faschismus und der Tyrannei befreit worden". Damit wollte er natürlich nicht selbstkritisch darauf aufmerksam machen, dass Leute seines Schlages heute wieder politische Ämter bekleiden. Er wollte sagen, dass der Sieg der Alliierten über das NS-Regime keine Befreiung war. Im Schein des "Feuers (der) Kelten und Germanen" hat er beklagt, dass wir dadurch "… in die nächste Tyrannei geraten (sind), insbesondere hier auf diesem Boden, auf dem wir uns heute befinden". Aber auch nach dem Abzug der alliierten "Tyrannen" habe das deutsche Volk weiter leiden müssen: "Wir haben alles niedergetrampelt an Werten, was unseren Vorvätern heilig war. Unser Volk, unsere Familien, ja selbst unsere Religion wurde in den vergangenen Jahrzehnten niedergetrampelt und es wurde alles was gut und wert und teuer war, wertlos gemacht". Eindringlich beschwört er die Anwesenden: "Es muss an uns liegen, die Werte, die unserem Volk das Überleben und die kulturellen Höchstleistungen über tausend Jahre gesichert haben, auch für die Zukunft zu sichern". Dies erfordere es, "… dass wir unseren Volkserhalt durch gesunde, starke und kinderreiche Familien selbst organisieren und nicht durch Zuwanderungsexperimente, es anderen Völkern überlassen, unser Volk zu erhalten"; dies erfordere es aber auch "… klarzulegen, dass wir gewillt sind, für diese Werte einzutreten, für einen Wert der Wehrbereitschaft, für einen Wert des Familienerhalts, für einen Wert des Kulturerhalts und letztlich auch für die Werte des Volkserhalts. Daran wollen wir denken, wenn wir heute in die Flammen blicken und zuschauen, wie diese Flammen die letzten Reste des Holzes im Sonnwendfeuer verbrennen" (derStandard-online 03.07.02, 04.07.02). Diese "Verharmlosung des Nationalsozialismus" (Minister Molterer) hat in der FPÖ zu offener Unterstützung (Westenthaler, Haider) aber auch Kritik (Sichrovsky, Gorbach, Grasser), zu entschiedenen Verurteilungen seitens ÖVP-PolitikerInnen (Molterer, Khol, Rauch-Kallat, Schüssel) sowie des Bundespräsidenten und zu entrüsteten Rücktrittsaufforderungen seitens Opposition geführt. Kanzler Schüssel betonte zwar, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war, machte Stadler jedoch insofern die Mauer, als er eine ausdrückliche Distanzierung von Stadler vermied und seinerseits kryptisch eine "ganzheitliche Geschichtsbetrachtung" einmahnte. Angesichts der Loyalität der - letztlich doch deutsch-völkisch orientierten - FPÖ mit ihrem Volksanwalt und der Loyalität der – um des Machterhalts Willen untrennbar an die FPÖ geketteten – ÖVP_mit ihrem Koalitionspartner war es letztlich nicht möglich, im Parlament die Voraussetzungen für die Absetzung Stadlers zu schaffen. Sogar staatsanwaltlichen Vorerhebungen wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Wiederbetätigungsgesetz wurden eingeleitet, jedoch nach zwei Wochen wegen "fehlender Anhaltspunkte (!)" wieder eingestellt. (derStandard-online 11.07.02, 26.07.02).

Als Konzession an den Revisionismus á la Stadler kann auch die Tatsache gewertet werden, dass im nach dem Ende der Wendekoalition Mitte September 2002 beschlossenen Konjunkturpaket u.a. 218.000 Euro für ein Forschungsprogramm "Rote Armee zwischen 1945 und 1955" und vier Mill. Euro für den Verband volksdeutscher Landsmannschaften vorgesehen sind (derStandard-online 18.09.02).

Fazit: Programm und Praxis der blau-schwarzen Koalition sind überwiegend "rechts-konservativ" orientiert, einzelne Ankündigungen, Maßnahmen und Vorgehensweisen der blau-schwarzen Wenderegierung und zahlreiche Vorschläge, Diskussionsbeiträge und Aktionen der Regierungspartei FPÖ tragen jedoch rechtsextreme Züge. Einige, vor allem solche, die von der gesamten Regierung getragen werden, mögen mehrdeutig sein, sozusagen ideologisch doppelt codiert – rechtsextrem und zugleich kulturkonservativ und/ oder neoliberal: So bietet etwa das Zurückdrängen der Pragmatisierung die Chance, die Effizienz und Flexibilität der öffentlichen Verwaltung zu steigern – sie kann aber auch die Unabhängigkeit der Exekutive und damit die Gewaltenteilung gefährden. Die Reorganisation der Trägerschaft der Sozialversicherungen mag zu einem höheren Grad der Wirtschaftlichkeit und Absicherung der Gesundheitsversorgung beitragen – sie kann aber auch auf einen Eingriff des Staates in die gesellschaftliche Autonomie hinauslaufen. Diese Doppelcodierung mag die Duldung und das teilweise Mitspielen der ÖVP erklären und diese Partei subjektiv entlasten, sie ändert aber nichts daran, dass sich solche zumindest zweideutigen Ankündigungen, Maßnahmen und Vorgehensweisen Stück um Stück zu einem Muster zusammenfügen, das insgesamt letztendlich doch zum Bruch mit Menschenrechten und liberaler Demokratie in Österreich führen könnte und damit deutlich im Widerspruch zu den Prinzipien steht, zu denen sich Kanzler und Vizekanlerin in der eingangs zu diesem Abschnitt zitierten Präambel zum Regierungsübereinkommen mit ihrer Unterschrift bekannt haben. Insofern muss auch die Besorgnis der in- und ausländischen Kritik als berechtigt anerkannt werden.

Fortsetzung: TEIL 3

Anmerkungen:
(5) Nach einem - von den Chefs der Firmen Siemens-Österreich und Böhler-Uddeholm Hochleitner und Raidl (beide Wirtschafts- und nicht Wissenschaftsexperten!) ausgearbeiteten – Reformplan sollen FWF und FFF nun doch erhalten bleiben, aber durch eine beim Bundeskanzleramt angesiedelte Dachorganisation koordiniert werden. Dieses an der Autonomie der Forschung rührende Vorhaben soll in der neuen Legislaturperiode umgesetzt, davor aber noch „analog zur Unireform mit den Betroffenen breit diskutiert werden“ (Gehrer), was nach den Erfahrungen mit der Uni-Reform eher wie eine Bedrohung denn wie eine Beruhigung klingt … (derStandard-online 30.01.03).
(6) Manche Klagen haben sich dabei freilich als Bumerang erwiesen. So darf Haider diesbezüglichen Gerichtsentscheiden zu Gunsten der Beklagten Pilz bzw. Pelinka zufolge zu Recht "Ziehvater des Rechtsextremismus" und "Verharmloser der NS-Vergangenheit" genannt werden.

hagalil.com 17-11-03

 


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