Rechtsextrem oder postmodern?
Max Preglau's Regierungs- und Wahlkampf-Watch
Teil 2 5. Regierungserklärung und zwei Jahre Regierungspolitik
der blau-schwarzen Wendekoalition
Bis zu den Wahlen im Oktober 1999 waren sich in Österreich alle Parteien
einig: die FPÖ steht "außerhalb des Verfassungsbogens" (Klubobmann Khol,
ÖVP), und es ist für die demokratische und humane Entwicklung
Österreichs und Europas besser, wenn sie aus Regierungsämtern
ferngehalten wird, um ihr nicht die Gelegenheit zu geben, ihre Politik
der Geschichtsrevision, des Angriffs gegen die Zweite Republik und der
Ausgrenzung umzusetzen. Seit Februar 2000 gilt das nicht mehr: Im
strategischen Spiel nach den bisher gültigen Regeln in die ausweglose
Situation geraten, als Juniorpartner der Macht nicht den Bonus für
Erfolge lukrieren zu können, wohl aber den Malus für Misserfolge und das
Ausbleiben von konservativen Wähler/inne/n erwarteten Reformen ertragen
zu müssen und zugleich über keine Koalitionsalternative zu verfügen, ist
die ÖVP unter Obmann Schüssel aus diesem Konsens ausgeschert und hat
gemeinsam mit der FPÖ eine Koalitionsregierung gebildet. Sie hat damit
den Tabubruch begangen, sich mit einem Partner einzulassen, bezüglich
dessen im In- und Ausland Zweifel bestehen, ob er die normativen
Grundlagen der österreichischen und (west-) europäischen
Nachkriegsordnung - die Werte der Aufklärung, die Menschenrechte und die
damit verbundene Verurteilung der nationalsozialistischen Barbarei -
teilt. Sie hat damit in anderen europäischen Ländern, die Opfer
nationalsozialistischer Überfälle waren und heute ihrerseits mit
rechtsextremen Parteien konfrontiert sind, verständlicherweise die Angst
vor einem Dammbruch ausgelöst, der nicht nur die demokratische Kultur
der einzelnen Staaten, sondern das gesamte Projekt der europäischen
Integration gefährden könnte. Um ihrer Bestürzung darüber Ausdruck zu
verleihen, haben sie geschlossen mit der Herabstufung der bilateralen
außenpolitischen Kontakte – in Österreich in unkorrekter Weise
"EU-Sanktionen" genannt - reagiert. Mit dieser im legitimen Bereich
ihrer nationalen Souveränität gelegenen Entscheidung haben die
EU-Mitgliedsstaaten den Versuch unternommen, jene Normalität zu
bekräftigen und jene Kooperationsverweigerung fortzusetzen, die vor der
Wende auch in Österreich als selbstverständlich gegolten hatte.
Im Folgenden soll auf Grund einer genaueren Analyse des
Regierungsprogramms und des ersten Jahres Regierungspraxis von FPÖ und
blau-schwarzer Wendekoalition (Ende des Beobachtungszeitraums: Februar
2000) geklärt werden, ob die Vorbehalte inländischer und ausländischer
Kritiker, die sie der neuen Regierung im Voraus auf Grund ihrer - nicht
unberechtigten - Einschätzung der FPÖ als rechtsextremer Partei
entgegengebracht hatten, auch "an den Taten der Regierung gemessen"
gerechtfertigt waren, also an jenem Maßstab, den Bundeskanzler Schüssel
immer an die neue Regierung angelegt wissen wollte.
In der Präambel zur Regierungserklärung hat sich die Bundesregierung,
unter dem Druck des Bundespräsidenten, unmissverständlich zu
Menschenrechten, Demokratie und europäischen Werten bekannt:
"… Die Bundesregierung tritt für Respekt, Toleranz und Verständnis für
alle Menschen ein, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion oder
Weltanschauung. Sie verurteilt und bekämpft mit Nachdruck jegliche Form
von Diskriminierung, Intoleranz und Verhetzung in allen Bereichen. Sie
erstrebt eine Gesellschaft, die vom Geist des Humanismus und der
Toleranz gegenüber den Angehörigen aller gesellschaftlichen Gruppen
geprägt ist.
Die Bundesregierung arbeitet für ein Österreich, in dem
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden.
Sie wird jeder Form von menschenverachtendem Gedankengut und seiner
Verbreitung konsequent entgegentreten und sich für die volle Beachtung
der Rechte und Grundfreiheiten von Menschen jeglicher Nationalität
einsetzen – gleichgültig aus welchem Grund sich diese in Österreich
aufhalten. Sie bekennt sich zu ihrer besonderen Verantwortung für einen
respektvollen Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten.…
Die Bundesregierung bekennt sich zu den allen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union gemeinsamen Prinzipien der pluralistischen Demokratie
und der Rechtsstaatlichkeit, wie sie auch in der österreichischen
Verfassung verankert sind und die Voraussetzung für die Mitgliedschaft
im Europarat bilden. Die in Österreich verfassungsmäßig garantierten, in
der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegten Rechte und
Freiheiten sind klarer Ausdruck dieses Bekenntnisses.
Die Bundesregierung bekennt sich zum Friedensprojekt Europa. Die
Zusammenarbeit der Koalitionsparteien beruht auf einem Bekenntnis zur
Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union. Die
Bundesregierung ist den allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union
gemeinsamen Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit
verpflichtet, wie sie im Artikel 6 des Vertrages über die Europäische
Union festgeschrieben sind. In der Vertiefung der Integration und der
Erweiterung der Union liegt auch Österreichs Zukunft. … " (Schüssel/
Riess-Passer 2000)
Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, in wiefern die Regierung
dieses Bekenntnis auch in der Praxis umgesetzt hat.
Natürlich waren und sind weite Teile von Regierungsprogramm und –praxis
menschenrechts- und demokratiepolitisch völlig unbedenklich. Es mag
linke, emanzipatorisch orientierte KritikerInnen stören, wenn das
Budgetdefizit in einer abrupten Notbremsung auf Null reduziert,
verstaatlichte Betriebe weitgehend privatisiert, die Wirtschaft
entlastet und Sozialleistungen zurückgefahren, das Pensionssystem
schwergewichtig auf private Vorsorge verlagert, im Justizbereich ein
betonter Law-and-Order-Kurs verfolgt und finanzielle Anreize dafür
gesetzt werden, dass Frauen "an den Herd zurückkehren"; dies liegt
jedoch aus menschenrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht ebenso
im Rahmen des Spektrums liberal-demokratischer Systeme wie die Tatsache,
dass im staatlichen Einflussbereich Vertrauensleute der alten Koalition
durch solche der neuen ersetzt werden, und all dies steht ja
gegebenenfalls nach einem abermaligen Regierungswechsel wiederum zur
Disposition. In ihrer Notwendigkeit und Wünschbarkeit überhaupt völlig
außer Streit stehen die Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen sowie
die Entschädigung der NS-"Arisierungs"-Opfer.
Bedenklich sind allerdings Ankündigungen, Maßnahmen und Vorgehensweisen,
die Menschenrechte und die formalen Grundlagen der liberalen Demokratie
selbst gefährden.
Tatsächlich enthalten aber Regierungsprogramm und –praxis der
blau-schwarzen Wendekoalition eine Reihe von Ankündigungen, Maßnahmen
und Vorgehensweisen, die ein derartiges Gefährdungspotenzial besitzen:
Was das Regierungsprogramm (FPÖ/ ÖVP 2/2000) betrifft, so haben Scharsach/
Kuch (2000) bereits die wichtigsten - offenkundig v.a. auf freiheitliche
Federführung zurückgehenden - rechtsextremen Elemente benannt:
- Rassismus: die Regierung hat sich die Forderung aus dem
FPÖ-Volksbegehren nach einer "Drittelquote für Kinder mit
nicht-deutscher Muttersprache" zu eigen gemacht – und damit nicht die
"erworbenen" Sprachkenntnisse sondern die ethnische Herkunft zum
Kriterium der Segregation erhoben;
- Revisionismus: die Regierung will im kulturnationalen Sinne die
"altösterreichischen Minderheiten im Ausland fördern", sich für die
"Wiedergutmachung" an Sudentendeutschen einsetzen;
- Volksgemeinschaft: durch die Reform des Bundesministeriengesetzes wurden
die konfligierenden Agenden für Arbeit und Wirtschaft in einem
Ministerium zusammengefasst; ebenso wurde das Frauenministerium
aufgelöst und in das Ministerium für Soziale Sicherheit und Generationen
integriert. Die Koalition hat damit de facto die Konfliktlinien zwischen
Klassen und Genusgruppen im Geiste eines harmonistischen ständischen
Gesellschaftsbilds für irrelevant erklärt.
Noch ergiebiger in Sachen rechtsextremer Politikelemente ist ein Streifzug
durch die politischer Praxis der FPÖ als Regierungspartei, aber auch der
Wendekoalition selbst (Quelle: laufende Berichterstattung in Der
Standard-online 2/2000 – 2/2001):
- Aus Anlass der so genannten "EU-Sanktionen" entwickelte die
blau-schwarze Regierungskoalition an Stelle einer realistischen und
selbstkritischen Lagebeurteilung sehr rasch ausgesprochen
verschwörungstheoretische Mythen und massive Sündenbockprojektionen
gegenüber jenen, die sich angeblich des Verrats am zur homogenen Einheit
stilisierten österreichischen Volk schuldig gemacht haben:
Trotz gegenteiliger Evidenz – an den EU-Maßnahmen waren konservative
Politiker (namentlich Chirac und Aznar) maßgeblich beteiligt - war in
beiden Koalitionsparteien sofort von einer "Verschwörung der
Sozialistischen Internationale" die Rede. Diese Verschwörung richte
sich, so hieß es in bewusster Verkehrung der Realität und im Bemühen,
das ganze Volk für das Selbstbehauptungsinteresse der Regierung zu
vereinnahmen, gegen "alle Österreicher" und habe angeblich vom Inland,
von Klestil, Gusenbauer und Voggenhuber, von kritischen JournalistInnen
und Intellektuellen, ihren Ausgang genommen, die "Österreich vernadern"
und "mit den Feinden Österreichs champagnisieren". Ganz im Geiste eines
Volksgemeinschaftsdenkens, das Konflikte und Differenzen negiert, wurde
die Opposition ultimativ dazu aufgefordert, sich mit der Regierung und
dem Volk in einem "rot-weiß-roten nationalen Schulterschluss" zu
vereinen. Tatsächlich gelang es nach einem aus der Geschichte
autoritärer (und totalitärer) Systeme bekannten Muster, aus einem
dringend Tatverdächtigen das Opfer, aus kritisch Distanzierten Schuldige
und aus individuellen Bürger/innen eine homogene Masse zu machen, die
sich mehrheitlich gegen einen Rücktritt der Regierung ausspricht (vgl.
Meinungsumfrage des Kurier zur neuen Regierung vom 27.2.2000). So – und
nicht durch rationale Argumente oder untadeliges Handeln - konnte
schließlich auch die Strategie der EU – Alarmierung der österreichischen
Öffentlichkeit – durchkreuzt und die Aufhebung der Maßnahmen
durchgesetzt werden.
Eine weitere Gelegenheit zur Beschwörung der Volksgemeinschaft und zur
Entsorgung von politischen Hypotheken in der Gluthitze nationaler
Emotionen hat der Wendekoalition und insbesondere der FPÖ das
"Jahrhunderthochwasser" im August 2002 geboten:
Von einem Tag auf den anderen zählte wieder einmal nicht mehr "Rot,
Schwarz oder Blau", sondern lediglich ein "rotweißroter Kraftakt zum
Wiederaufbau Österreichs" (Westenthaler) (APA 19.08.02). Auch vom Ort
der Katastrophe weit entfernte Bundesländer wie Kärnten standen da nicht
abseits, sondern "Gewehr bei Fuß" (Haider). Die Ziele Nulldefizit,
Steuerreform und Lohnnebenkostensenkung, die auch ohne Hochwasser nicht
mehr zu erreichen gewesen wären, wurden nun - "ganz offen und ehrlich" -
mit dem Hinweis auf die Naturkatastrophe zurückgezogen, den unpopulären
Ankauf von Abfangjägern, auf den sich die Regierung vorher festgelegt
hatte, gab’s mit 18 statt 24 Flugzeugen nun doch etwas kleiner. Zugleich
war man bemüht, durch die Zusage "großzügiger" und "unbürokratischer"
Hilfe dem im Zuge von Budgetsanierung und Sozialabbau erworbenen Image
der "sozialen Kälte" entgegenzuarbeiten und "Warmherzigkeit" zu
demonstrieren (derStandard-online 15.08.02.).
Für die FPÖ galt es nun, statt dem (ausländischen) "Nachbarn in Not"
endlich dem volkseigenen "Österreicher in Not" zu helfen. Bei den
anstehenden Aufräumungsarbeiten konnte sich Haider auch den (Zwangs-)
Einsatz von Arbeitslosen vorstellen – sozusagen "ordentliche
Beschäftigungspolitik": Damit würde "… viel Geld gespart werden und
Arbeitslose hätten zudem eine sinnvolle Tätigkeit" (APA 13.08.02).
Selbst das Feindbild EU – sonst von Freiheitlichen verachtet, geschmäht
und behindert – wird von der FPÖ-Europaparlamentarierin Raschhofer zur
Hilfe für das "Mitgliedsland Österreich" aufgefordert, zumal sie ja
sogar dem ungeliebten Beitrittswerber Tschechien bereits finanzielle
Unterstützung zugesagt habe (APA 14.08.02). Nach den chauvenistischen
Vorstellungen Westenthalers sollten aber auch die – ohnehin unter dem
Richtwert der EU liegenden - Mittel für Entwicklungshilfe und
Auslandskatastrophen für "Österreicherinnen und Österreicher" im Inland
verwendet werden (APA 15.08.02).
- Der blau-schwarzen Koalitionsregierung wird von Seiten der
Oppositionsparteien sowie von autonomen Frauenorganisationen vielfach
vorgeworfen, dass sie Frauenpolitik vorzugsweise aus familienpolitischer
Perspektive wahrnehme und Frauen mit Maßnahmen wie dem geplanten
Kindergeld, statt eines einkommensabhängigen Karenzgelds sowie auf
Kosten des Ausbaus von Kinderbetreuungseinrichtungen und von Hilfen beim
beruflichen Wiedereinstieg, "zurück an den Herd" drängen wolle. Die von
der Regierung umgesetzten Maßnahmen sehen zwar formell keinerlei
Diskriminierung nach dem Geschlecht vor und sind insofern nicht als
"sexistisch" einzustufen. Sie beinhalten jedoch tatsächlich
Anreizsysteme, die vor dem Hintergrund bestehender Einkommensdifferenzen
und traditionaler geschlechtsspezifischer Rollenzuschreibungen zwischen
Männern und Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit faktisch in diesem Sinne
wirken werden. Insofern sind sie letztlich doch im Effekt als sexistisch
einzustufen.
Inhaltlich wird die neue Linie aber v.a. durch das neugeschaffene, ab
1.1.2002 wirksam gewordene Kindergeld zum Ausdruck gebracht. Es kann
zwar als sozialpolitischer Fortschritt gewertet werden, wenn nun auch
Studierende und Unternehmer/innen Anspruch auf Karenzgeld haben, das
frauenpolitische Signal, dass damit gesetzt wird, lautet jedoch
unmissverständlich: "Frauen zurück an den Herd" – und Exklusion vom
Arbeitsmarkt. Dies wird dadurch erhärtet, dass gleichzeitig der weitere
Ausbau von Einrichtungen der Kinderbetreuung massiv zurückgefahren
wurde, und dass die Anspruchsdauer nicht auf die Fristen für das
Rückkehrrecht am Arbeitsplatz abgestimmt wurden (derStandard-online
06.03.01, 08.03.01). Auch die Tatsache, dass das Kindergeld nicht
existenzsichernd ist und sich die Bezugsdauer auf das Kleinkindalter
beschränkt ist, beweist, dass im Modell die Versorgung der Bezieherin
durch den (männlichen) "bred-winner" vorausgesetzt ist.
Mittlerweilen wird durch eine von der AK präsentierten Studie
dokumentiert, dass Österreich neben Griechenland, Spanien, Italien und
den Niederlanden zu den Schlusslichtern beim Angebot an
Kleinkindbetreuung zählt – mit der Folge überlanger
Berufsunterbrechungen, absteigender Karriereverläufe und einer
wachsenden Einkommensschere zwischen Männern und Frauen
(derStandard-online 01.09.02).Daran können auch die eher
symbolisch-appelativen Begleitaktionen nichts ändern, die die ÖVP mit
großem Propagandaaufwand unter dem Motte "Stark. Schwarz. Weiblich" oder
"Vom Ausstieg zum Einstieg. Kniffe gegen den Karriereknick" gestartet
hat (derStandard-online 06.09.00 bzw. 08.11.01); Wenig zielführend
erscheinen auch die von Generalsekräterin Rauch-Kallat präsentierten
Vorhaben der ÖVP, Ausgaben für Kinderbetreuung steuerlich absetzbar zu
machen (nur wenige Frauen sind in der privilegierten Position der
Selbstveranlagung!) und die bedarfsgerechte Bereitstellung von
Kinderbetreuungsangeboten den Gemeinden zu überlassen (lässt ein
Auseinanderdriften der Angebotsqualität in urbanen und "moderneren"
größeren Gemeinden einerseits und ländlichen und
"traditionalistischeren" kleineren Gemeinden andererseits erwarten)
(derStandard-online 28.07.02).
Ein weiteres Problem beim Kindergeld ist die Tatsache, dass ausländische
Frauen, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, vom Bezug des
Kindergeldes ausgeschlossen sind. Das hängt damit zusammen, dass
jedenfalls aus der Sicht von FPÖ-Klubobmann Westenthaler das Kindergeld
auch volkspolitisch und insofern rassistisch motiviert ist: Westenthaler
begründet nämlich das Kindergeld folgendermaßen: "Wir wollen mehr Kinder
in Österreich haben, damit wir nicht das Argument hören, das ja von der
linken Seite immer wieder kommt, wir brauchen Zuwanderung zur Sicherung
der Pensionen" (der standard-online, 7.1.2001)!
Als Rückschritt im Bereich der Integration von Frauen ins
Beschäftigungssystem wird auch das neue "Objektivierungsgesetz"
gewertet: in Zukunft sind demnach Frauen nicht mehr unter allen
Umständen den Männern bei gleicher Qualifikation vorzuziehen.
Eine Verschlechterung für knapp 20.000 Betroffene, aber ebenfalls einen
sanften Zwang zu Mutterglück und Familienorientierung, bedeutet die
Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepartner/innen oder
Lebensgefährt/inn/en, die kein Kind erziehen oder mindestens vier Jahre
lang erzogen haben (derStandard-online 13.02.01).
In das Muster einer "sexistischen Reaktion" fügt sich auch die Einsetzung
einer "Männerabteilung" durch Frauenminister Haupt im Frühjahr 2001
(derStandard-online 26.02.01).
Frauenpolitisch sowie rechtsstaatlich bedenklich ist es aber auch, dass
"Human-Life-International", eine Gruppe militanter
Abtreibungsgegnerinnen, die Frauen hindert oder zumindest durch
Psychoterror davon abzuhalten versucht, eine Ihnen durch die
Fristenlösung eröffnete Möglichkeit wahrzunehmen, von der ehemaligen
Anwaltskanzlei des derzeitigen FPÖ-Justizminister Böhmdorfers vertreten
wird (derStandard-online 11.06.02). In diesem Zusammenhang ist es
bemerkenswert, dass auch Bundeskanzler Schüssel die Weltkonferenz der
radikalen Abtreibungsgegner im Herbst 2002 – mitten im vorgezogenen
Wahlkampf - in Wien mit einer vom ultrakonservativen Bundesrat
Liechtenstein übermittelten Grußbotschaft bedachte: "Er bewundert euren
Einsatz und sagt herzliche Grüsse und ein gutes Gelingen, und er ist
sehr dankbar (dafür), was das gekämpft und gearbeitet wird"
(derStandard-online 12.11.02)
Als im Effekt frauenfeindlich und rechtsstaatlich grundsätzlich bedenklich
wurde auch Vorschlag von Sozialminister Herbert Haupt Anfang August 2002
wahrgenommen, in Fällen von sexuellen Übergriffen auf Kinder oder auch
bei Übergriffen am Arbeitsplatz sowohl Täter als auch Opfer einem - im
heimischen Strafverfahren nicht zugelassenen - Lügendetektortest zu
unterziehen. In den Augen der KritikerInnen impliziere Haupts Standpunkt
nämlich "dass Opfer primär lügen". Die Folge wären noch mehr Freisprüche
im Zweifel (derStandard-online 02.08.02).
Signifikant auch der Paradigmenwechsel im Umgang mit autonomen
Frauenorganisationen: Der skandalverdächtige Umgang mit
AMS-Fördermitteln im Falle des sogenanten EURO-Teams wurden von der
FPÖVP-Parlamentsmehrheit zum Anlass genommen, die Vergabemodalitäten des
ehemaligen Sozialministeriums und des AMS zwischen 1995 und 1999 in
einem Untersuchungsausschuss zu prüfen. Dieser Ausschuss hat sich dabei
dem grünen Abgeordneten Öllinger zufolge durch den Einsatz
inquisitionsartiger Methoden als "mittelalterliches Hexengericht" und
"Gesinnungsschnüffelausschuss" positioniert, der in Wahrheit nicht auf
Aufklärung, sondern auf "Rufschädigung und Behinderung" der Arbeit der
Frauenvereine und auf "Stimmungsmache, Diskriminierung und
Skandalisierung von Frauenpolitik" (S. Rosenberger, Politologin) abzielt
(derStandard 21.06.02).
Wenn es nach dem Vertreter der Regierungsfraktionen Kukacka geht, dann
wird Frauenförderung in Zukunft nach anderen, fremdenfeindlichen und
androzentrischen Kriterien erfolgen: "Nicht förderwürdig ist zumindest
für ihn der Verein Lefö, der in Zusammenarbeit u.a. mit dem
Innenministerium die einzige Interventionsstelle für die Opfer des
Frauenhandels betreibt. Unter anderem werden dabei illegale
Prostituierte betreut, … Förderungen aus Mitteln des AMS seien
unzulässig, weil diese Frauen als Illegale logischerweise nicht die
Klientel des Arbeitsmarktservice sind. …. Ebenfalls ‚nicht förderwürdig’
ist eine Zeitschrift, die aus Mitteln des AMS eine Frau angestellt hat,
aber ‚feministisch-lesbische Ziele’ verfolgt. Dies schliesse Männer als
Kollegen ‚von vornherein aus’ und verletze somit ‚das
Gleichbehandlungsgesetz’ " (CeiberWeiber 20.06.02).
Ein letzten Anschlag auf emanzipatorische Fraueninteresse vor den
vorzeitigen Neuwahlen wurde von KritikerInnen hinter dem Plan von
Frauenminister Haupt vermutet, den "Käthe-Leichter-Preis -
Österreichischer Staatspreis für die Frauengeschichte der Arbeiterinnen-
und Arbeiterbewegung" durch eine Preis "EVA" für besondere Leistungen
von Frauen im Alltag zu ersetzen:
Mit dem 1991 ins Leben gerufenen Käthe-Leichter-Preis sollte das Andenken
an die Nationalökonomin Käthe Leichter, die als erste Frauenreferentin
der Wiener Arbeiterkammer wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet hat
und im KZ Ravensbrück ermordet wurde, lebendig erhalten und all jenen,
die in ihrem Sinn weiterarbeiten, die gebührende Anerkennung zuteil
werden. Gleichzeitig sollte mit dem Preis die wissenschaftliche
Bedeutung und die gesellschaftliche Relevanz von Frauenforschung
unterstrichen werden.
Die Jury, die die PreisträgerInnen nominieren sollte, wurde seit Februar
2000 nicht mehr einberufen. Statt dessen erging nun an die
Jurymitglieder ein Brief aus dem Ministerium, in dem es heißt: "Die
Abteilung für Grundsatz- und internationale Frauenangelegenheiten teilt
auftragsgemäß mit, dass Herr Bundesminister Mag. Herbert Haupt
beabsichtigt, in Hinkunft anstatt des ‚Käthe-Leichter-Staatspreises‘
einen weitaus umfassenderen Bundespreis ‚EVA‘ zu vergeben. Dieser Preis
wird an Frauen verliehen, die Hervorragendes in vielen Bereichen des
täglichen Lebens geleistet haben". Der "EVA"-Preis zielt also, wie
WissenschafterInnen, ArbeitnehmerInnenvertretungen und Opposition
befürchten, auf ein traditionelles, unpolitisches und
nicht-intellektuelles Rollenbild der Frau und auf eine Aufwertung von
Leistungen im Bereich der privaten Reproduktion ab.
Minister Haupt beeilte sich angesichts der Kritik zu versichern, dass der
Käthe-Leichter-Preis in Zukunft durch das Wirtschaftsministerium
vergeben werden solle - es handle sich also lediglich um einen
Ressortwechsel. Man darf gespannt sein, was nun tatsächlich geschieht.
Diesbezügliche Anfragen von AK und ÖGB an Wirtschaftsminister
Bartenstein vom Ende August 2002 sind bis auf weiteres unbeantwortet …
(Profil Heft 40/2002, APA OTS 30.09.02, 13.11.02).
- Ein – aus grundrechtlicher Sicht per se ebenfalls unbedenklicher –
Schwerpunkt blau-schwarzer Regierungsarbeit ist die Verwaltungsreform
und in diesem Zusammenhang die "Verschlankung" des Verwaltungsdienstes
sowie die Zurückdrängung der Pragmatisierung. Dasselbe gilt für die
unter dem unschuldigen Schlagwort einer "Objektivierung der
Postenvergabe" vorgenommene Umfärbung der Vorstandetagen von Ministerien
(z.B. die Ablöse der SP-nahen Chefs des Wiener Sicherheitsbüros
Edelbacher, der Fremdensektion Szymanski, der Gendarmerie Strohmeyer und
der Staatspolizei Haindl im Zuge der Reorganisation des Innenressorts im
Frühsommer 2002 sowie die Frühpensionierungen SP-naher Spitzenbeamter im
Bereich der Gendarmerie durch VP-Minister Strasser und diverse
Personalrochaden im Bereich des Sozialministeriums sowie des
Finanzministeriums und der Finanzlandesdirektionen noch kurz vor den
vorgezogenen Neuwahlen im Herbst 2002, s. derStandard-online 07.06.02,
10.06.02, 25.09.02, 08.10.02, 27.10.02, 08.11.02), von ORF, ÖIAG und
staatsnahen Betrieben (z.B. Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG) und
Forschungseinrichtungen (z.B. Seibersdorf) auf schwarz-blau, zumal
dieser ja auch eine rot-schwarze Einfärbung vorausgegangen ist. Häufig
wird jedoch übersehen, dass bei der Staats- und Verwaltungsreform auch
wichtige liberale Verfassungsprinzipien ins Visier blau-schwarzer
Reformer/innen geraten: die Gewaltenteilung sowie die Unabhängigkeit von
Verwaltung und Justiz. Pragmatisierung und Versetzungsschutz haben ja
auch den Sinn, die Beamtenschaft und den Verwaltungs- und Justizbetrieb
vor Übergriffen seitens der Politik zu schützen. Deshalb bedarf es
dieser Schutzmaßnahmen in sensiblen Bereichen, zu denen Polizei und
Justiz, von manchen auch Bildung und Wissenschaft gezählt werden.
Öffentlichen Stellungnahmen zufolge ist in dieser Angelegenheit die FPÖ
(neuerdings Vizekanzlerin Riess-Passer, vgl. Der Standard-Online 1.2.
und 26.2.2001) im Wesentlichen sorgloser als die ÖVP (neuerdings
Finanz-Staatssekretär Finz, vgl. Der Standard-Online 14.2. und
23.2.2001).
Dass diese Sorglosigkeit der FPÖ unter Stress in die Bereitschaft zu einem
willkürlichen Einsatz staatlicher Macht umschlagen kann, welcher der
Gewaltenteilung Hohn spricht, hat sich anlässlich der sogenannten
"Spitzelaffäre" herausgestellt: Freiheitliche Spitzenfunktionäre – allen
voran Klubobmann Westenthaler, Haider und Vizekanzlerin Riess-Passer –
überschlugen sich mit Vorwürfen und Abberufungsforderungen an Polizei
(v.a. gegen den "notorischen Roten" Buxbaum, Leiter der Sonderkommission
im Innenministerium, gegen Horngacher von der Wirtschaftspolizei und
gegen den zuständigen Ressortminister Strasser, derStandard-online
04.11.00, 11.11.00), an die Staatsanwaltschaft, an die Justiz
(Untersuchungsrichter Erdei – so Westenthaler - "hat sie nicht alle")
(derStandard-online 10.12.00).
Hinzu kam die von zahlreichen AkteurInnen des Justizsystems bis hin zum
Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Adamovich als unvereinbar
angesehene Tatsache, dass ein Minister, der lange Jahre Parteianwalt der
FPÖ war und selbst der Verwicklung in den Spitzelskandal verdächtigt
wird (Falter 43/00), für die Untersuchung ressortzuständig und
weisungsbefugt ist und darüber hinaus einem Verdächtigen und ehemaligen
Mandanten vorweg in aller Öffentlichkeit bescheinigt, "über jeden
Verdacht erhaben" zu sein (derStandard-online 30.10.00).
Es überrascht daher nicht, dass diese Vorgänge den Bundespräsidenten zur
Stellungnahme bewogen und zu bisher nicht gekannten öffentlichen
Initiativen im Interesse der Unabhängigkeit der Justiz von Seiten der
StaatsanwältInnen und der Richterschaft geführt haben
(derStandard-online 16.12.00 bzw. 18.12.00).
Vor diesem Hintergrund erscheint auch die im - mittlerweile zur
Regierungsvorlage gediehenen -Entwurf der neuen STPO eingeschlagene und
von Richtern und Staatsanwälten kritisierte Linie, die Federführung bei
Ermittlungsverfahren von unabhängigen Richtern zu einer - nach wie vor
weisungsabhängigen - Staatsanwaltschaft und von dort zur Polizei zu
verlagern, besonders problematisch (derStandard-online 03.06.02). Eine –
von Böhmdorfer urgierte - Beschlussfassung noch vor den Neuwahlen im
Herbst 2002 scheint auf Grund von Vorbehalten des Koalitionspartners
aber nun doch nicht mehr zustande zu kommen (der Standard-online
10.09.02).
Auf heftigen Protest der Richtervereinigung ist auch der Versuch des
Justizminiers gestoßen, mittels erlassförmigen Tips und
Vorverurteilungen in laufende Gerichtsverfahren betreffend die (von
Seiten des Ministeriums als Versuch der Umgehung des Aufenthaltsgesetzes
interpretierte) Adoption ausländischer Erwachsener einzugreifen und in
diesem Zusammenhang auch in unzulässiger Weise auf die
Dienstbeschreibung von FamilienrichterInnen Einfluß zu nehmen
(derStandard-online 26.6.02).
Auch die – ungewöhnliche und vermutlich politisch motivierte - Abberufung
des österreichischen Richters Fuhrmann beim Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg wurde selbst von dessen
gewöhnlich äußerst zurückhaltenden Schweizer Präsidenten Wildhaber als
Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz empfunden und mit dem
Kommentar quittiert wurde, die österreichische Regierung wolle offenbar
"... die Richtigkeit des Weisenberichts beweisen" (derStandard-Online
01.03.2001)
Ein Schritt der Subversion der Gewaltenteilung im österreichischen
Regierungssystem war die Infragestellung des Amts des Bundespräsidenten
seitens der Freiheitlichen im April 2001 (derStandatrd-online 27.04.01).
Vorläufiger Höhepunkt der Angriffe auf die Gewaltenteilung sind aber
zweifellos die Attacken Haiders auf den Verfassungsgerichtshof im
Zusammenhang mit dessen Spruch in der Ortstafelfrage Ende 2001/ Anfang
2002 (Faschingsurteil, unwürdiges und unpatriotisches Verhalten,
sozialistisches Mehrheitsurteil, "absolut nichtig"). Die Situation wird
dadurch noch dramatischer, dass sich die gesamte FPÖ bis zu VK
Riess-Passer, aber auch die Kärntner Filialen von SPÖ und ÖVP hinter
Haider gestellt hat (derStandard-online 27.12.01, 07.01.02., 15.01.02)
Im Februar 2002 setzt Haider beim seinem berüchtigten Rieder
Aschermittwoch nochmals nach und setzt sich mit dem ungeheuren
deutschnational-fremdenfeindlichen Satz in Szene: "Wenn einer schon
Adamovich heißt, muss man sich zuerst einmal fragen, ob er eine
ordentliche Aufenthaltsberechtigung hat" (derStandard-online 14.02.029.
Als im Mai 2002 der VGH in seinem Jahresbericht darauf reagierte und von
einem "Fußtritt für den Rechtsstaat" und einer "Theorie für einen
Staatsstreich" sprach, bekräftigte Haider, dass es in Kärnten "keine
einzige Ortstafel mehr geben" werde und bezeichnete die VGH-Kritik als
"kindisch und dumm", Westenthaler bezeichnete sie als erbärmlich, und
auch Khol sekundierte mit der Feststellung, hier werde "unnötig
dramatisiert" und das Ausmaß der Kritik überschritten, das in einem
Tätigkeitsbericht nach 1945 je enthalten gewesen sei (derStandard-online
14.-16.05.02). Die Frage, ob zuvor nicht ein VGH-Urteils in einer seit
1945 noch nicht da gewesenen Weise ignoriert wurde, hat Herr Khol nicht
gestellt ….
Im Juni 2002 erklärte LH Haider in provozierender Ignoranz des
VGH-Entscheids neuerlich im ORF-Radio: "… wir haben keinen
Handlungsbedarf" und "wir machen uns nicht strafbar", wenn sich nichts
ändert (derStandard-online 27.06.02).
Als es im Herbst 2002 darum ging, eine NachfolgerIn für den scheidenden
Präsidenten Adamovich und eine weitere VerfassungsrichterIn zu
bestellen, hatte man es angesichts der vorverlegten Neuwahlen sehr
eilig: Unter Protest der Opposition wurden nach einer verkürzten
Ausschreibungsfrist von lediglich zwei (!) Wochen und unter Verzicht auf
ein öffentliches Hearing Karl Korinek (bisheriger Vizepräsident des VGH;
VP-nah) als neuer Präsident und Rudolf Haller (bisheriger Vorsitzender
des Datenschutzrates; FP-nah geltend) als neuer Verfassungsrichter
bestellt. Noch hastiger war man dann bei der Ausschreibung der Position
der VizepräsidentIn: sie erfolgte (nach Meinung des Verfassungsexperten
Mayr rechtswidrigerweise) noch bevor Korinek vom Bundespräsidenten zum
Präsidenten bestellt wurde, die Stelle war also zum Zeitpunkt der
Ausschreibung noch gar nicht frei. Offenkundig hatten die maximale
Ausschöpfung des Stellenmarktes und die Transparenz des
Bestellungsprozesses und die Einhaltung des vorgeschriebenen Prozedere
gegenüber der politischen Farbenlehre keine Bedeutung. Der brüskierte
Präsident ließ Schüssel mit der Besetzung warten. Erst am 31. Oktober
erfolgte die Ernennung von Korinek und erst am 12. November die von
Haller … (derStandard-online 01.10.02, 08.10.02, 09.10.02, 31.10.02,
13.11.02).
Aber auch der Verwaltungsgerichtshof ist ins Visier der
Rechtsstaatsskeptiker in der FPÖ geraten: Als dieser Ende Juli 2002 den
Bewilligungsbescheid für einen Bauabschnitt der Koralmbahn – ein
umstrittenes Prestigeobjekt des Kärtner Landeshauptmanns, dass dieser
bei der freiheitlichen Verkehrsministerin durchgesetzt hatte – mit der
Begründung aufhob, eine nach EU-Recht vorgesehene
Umweltverträglichkeitsprüfung sei nicht durchgeführt worden, wurde
dieses von freiheitlicher Seite sofort in unsachlicher Weise heftig
attackiert: FPÖ-Verkehrsminister Reichhold sprach von einer
"fragwürdigen Aktion" und einer "gegen Kärnten" gerichteten "juristische
Spitzfindigkeit", und Haider witterte dahinter gar eine "böse Absicht"
und "einen neuerlichen Versuch eines Höchstgerichtes, Kärnten zu
schaden" (derStandard-online 30.07.02, 31.07.02)
Ein weiteres Beispiel für den Versuch, eine bisher relativ autonom
agierende Einrichtung des Bundes durch "Verwaltungsreform" in direkte
Regie der Regierungspolitik zu nehmen, war der auf eine Initiative von
VK Riess-Passer zurückgehende und Anfang Juli 2002 im Parlament gefasste
Beschluß, die als hochwertige Ausbildungseinrichtung für
Verwaltungskader mit einem verwaltungswissenschaftlichen
Forschungsschwerpunkt konzipierte "Verwaltungsakademie des Bundes"
aufzulösen und deren Funktionen den einzelnen Ressorts zu übertragen
(derStandard-online 26.05.02, 09.07.02).
Dass derlei Vorgänge im Zuge der Verwaltungsreform bei den Betroffenen
nicht ohne Widerspruch geblieben sind, wurde bereits verschiedentlich
aufgezeigt. Bezeichnend die Reaktion der Regierung darauf: VK
Riess-Passer hat entschieden, die Personalvertretungswahlen bis 2003
auszusetzen, mit der kaltschnäuzigen und zynischen Begründung, die
MitarbeiterInnen sollten nicht "durch Wahlen blockiert werden". Die
Empörung der Opposition darüber hat sie einfach als "künstliche
Aufregung" vom Tisch gewischt (derStandard-online 09.07.02). Bleibt zu
hoffen, dass dieses demokratiepolitisch bedenklich Beispiel in Zeiten
permanenter Institutionenreform nicht auch außerhalb des Bereichs der
Verwaltung Schule macht. Angesichts des – naturgemäß von den
Freiheitlichen für "diskussionswert" erachteten, von der Opposition
hingegen heftig abgelehnten - Vorschlags des oberösterreichischen
Landeshauptmanns Pühringer, die Legislaturperiode künftiger Regierungen
auf zumindest fünf Jahre zu verlängern (derStandard-online 07.08.02),
scheinen solche Befürchtungen durchaus berechtigt …
- Im Bereich der inneren Sicherheitspolitik ist bei der blau-schwarzen
Regierungskoalition eine verstärkte Akzent auf "Recht und Ordnung"
angesagt: Auch das ist zunächst durchaus Bestandteil und im legitimen
Rahmen eines normalen demokratischen Wechsels. Problematisch wird es
freilich, wenn dabei – wie in einigen Reformvorschlägen der FPÖ zur
Verbrechensbekämpfung oder in bereits beschlossenen Polizei- und
Militärgesetzen - schwerwiegende Eingriffe in das durch die Verfassung
geschützte Persönlichkeitsrecht in Kauf genommen werden:
So hat die FPÖ etwa im Bereich des Sexualstrafrechts mit der Idee der
Einrichtung einer "Kinderschänder-Watch-List" Aufsehen erregt, und
FPÖ-Verkehrsministerin Forstinger kann sich vorstellen, einen Harntest
für DrogenkonsumentInnen einzuführen, der im Falle einer positiven
Reaktion zur Abnahme eines Führerscheins führen könnte, auch wenn zum
Zeitpunkt des Tests gar keine Verkehrsbeeinträchtigung mehr vorliegt.
Das neue Sicherheitspolizeigesetz wird nicht nur von
Oppositionspolitiker/inne/n, sondern auch von AnwältInnen und
VerfassungsjuristInnen dahingehend kritisiert, dass die/der dort
vorgesehene Rechtsschutzbeauftragte Auskünfte und Unterlagen nicht
erhalten soll, wenn ihre Bekanntgabe die nationale Sicherheit oder die
Sicherheit von Menschen gefährden würde (derStandard-online 27.06.00).
Höchst problematisch und daher umstritten ist auch die Einführung der
verdeckten Ermittlung unter Beteiligung von privaten Vertrauenspersonen
("private Geheimpolizei", Pilz)) und – im Zusammenhang damit die
Erstellung eines sogenannten Vertrauenspersonenindex ("Spitzelkartei",
Pilz) (derStandard-online 13.06.02).
Im neuen Militärbefugnisgesetz, mit dem "Spitzeldienste des Militärs
legalisiert" werden (Van der Bellen) ist gar erst dann eine
Überprüfungsmöglichkeit nachrichtendienstlicher Tätigkeit vorgesehen,
wenn Rechtswidrigkeit vermutet wird oder Personen behaupten, in ihren
Rechten verletzt worden zu sein. Zudem wird an der Unabhängigkeit der
Rechtsschutzbeauftragten gezweifelt, weil diese direkt von der Regierung
eingesetzt werden sollen (derStandard-online 27.6.00). Kurz vor
Beschlussfassung im Parlament wurden zudem noch die Verpflichtung
öffentlicher Telekommunikationsdienste, unverzüglich und kostenlos
Auskünfte über InhaberInnen, Anschrift und Teilnehmernummern für Sie
interessanter Anschlüsse zu erteilen sowie die Verpflichtung aller zur
Ausstellung von Urkunden berechtigten Behörden, "Legenden" für verdeckte
Ermittler auszustellen, aufgenommen (derStandard-online 13.06.02):
Weitere Beispiele waren die nach dem Terrorangriff auf das WTC (11.9.01)
erhobenen Forderungen nach "Fingerabdrücken für alle" und nach einer
weiteren, der Genfer Konvention widersprechenden Verschärfung des
Asylrechts durch Haiders und Westenthaler (Anträge nur noch im
Heimatland, Meldpflicht für AsylwerberInnen, Verfahrensbeschleunigung
unter Inkaufnahme der Beschneidung von Berufungsmöglichkeiten,
Beschränkung des Asylrechts auf der Herkunftskontinent etc., vgl.
derStandard-online 25.09.01, 20.10.01, 04.06.02).
Unauffälliger, aber möglicherweise ebenso schwerwiegend sind die aus dem
seit Jänner 2002 in Betrieb befindlichen "zentralen Melderegister" beim
Innenministerium resultierenden Gefahren für die Persönlichkeitsrechte:
Die zwölfstellige Nummer, mit der alle in Österreich Gemeldeten
elektronisch registriert sind, wird bald von allen Behörden verwendet
werden, und auf Grund der wachsenden Fülle der zentral gespeicherte
Informationen über jeden Einzelnen werde etwa eine Rasterfahndung
zunehmend "ein Kinderspiel", meint der Datenschutzexperte Zeger. Auch
Datenräubern könnten in Zukunft auf einen Schlag Auskünfte über Kredite,
Mahnungen oder Arztbesuche in die Hände (derStandard 17.05.2001,
10./11.08.2002)
Voll im Trend des "Law-and-Order um jeden Preis" liegt aber auch die
Tendenz, Jugendliche ungeachtet ihrer psychischen Sondersituation der
vollen Härte des Strafgesetzes zu unterwerfen und selbständiges
Jugendstrafrecht und eigenständige Jugendgerichtsbarkeit aufzuheben: der
erste Schritt dazu war die Einschränkung des Sonderstrafrechts für
Jugendliche 2001, der nächste das vorweg im Ministerrat akkordierte und
danach per fax dekretierte Vorhaben im April 2002, den eigenständigen
Jugendgerichtshofs auflösen zu wollen, obwohl der Gerichtspräsident,
Richtervereinigung, die große Mehrheit der RichterInnen und ExpertInnen
massive Bedenken dagegen vorgebracht haben. (der Standard-online
16.04.02, 28.05.02). Der diesbezügliche Gesetzesentwurf passierte noch
am 10.9.02 - einen Tag nach Ankündigungen der vorgezogenen Neuwahlen –
den Ministerrat, die von Böhmdorfer geforderte Beschlussfassung noch vor
den Wahlen wird jedoch vom Koalitionspartner auf Grund des nach wie vor
bestehenden Diskussionsbedarfs verweigert (derStandard-online 10.09.02).
Dies hat Böhmdorfer jedoch nicht daran gehindert, per Verordnung bereits
die Übersiedlung des Jugendgerichtshofs ins Landesgericht zu dekretieren
(derStandard-online 20.09.02).
Auf dieser Linie liegt aber auch das – von VK Riess-Passer als "Initiative
der Bürgergesellschaft" verteidigte – FPÖ-Projekt von Bürgerwehren, die
mit Videokameras und Handys ausgerüstet den Kampf gegen Drogendealer
("vorwiegend schwarzafrikanische Asylanten" - so FPÖ-Partik-Pablé
übereinstimmend mit ÖVP-Kiss in der ORF-Diskussion "betrifft" am
26.05.02) und Ordnungsstörende in Parks, Einkaufsstrassen und
öffentlichen Verkehrsmittel aufnehmen sollen. Das in Graz gestartete
Projekt, das als Eingriff in die Persönlichkeitssphäre, als Gefährdung
des staatlichen Gewaltmonopols und als Rüstung für den Bürgerkrieg nach
dem Muster der 1. Republik interpretiert werden kann, und (vorerst?) von
den angeblich Geschützten selbst und von Angehörige aller anderen
Parteien entschieden abgelehnt wird, soll auch in anderen
österreichischen Städten Schule machen (derStandard-online 13.05.02).
- Innerhalb der neuen Regierungskoalition werden aber auch - weit über den
Bereich einer normalen "Deregulierung" und "Redimensionierung" der
Sozialpartnerschaft hinausgehende - Forderungen laut und Maßnahmen
gesetzt, deren Realisierung geeignet scheint, die Realverfassung der
Gesellschaft zu verändern, ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation zu
beeinträchtigen und ihre Abhängigkeit vom Staat zu verstärken:
Dazu zählen die FPÖ-Forderung nach einer 40 %-igen Kürzung der
Arbeiterkammerumlage, die auf eine massive Schwächung einer wichtigen
Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen hinauslaufen würde, der neue
Stil des Regierens ohne Rücksicht auf den Sozialpartner-Konsensus - und
nicht zuletzt die Abberufung des Präsidiums des Hauptverbandes der
SV-Träger durch FPÖ-Sozialminister Haupt – mit der autoritären
Begründung, Präsident Sallmutter sei nicht mehr tragbar, weil er "die
Rechtsauffassung des Ministeriums nicht teilt" - sowie die Drohung des
Ministers, den Hauptverband der SV-Träger als autonomen
Selbstverwaltungskörper zu zerschlagen und durch eine Holding mit einer
von der Regierung eingesetzten Leitung zu ersetzen – und weiters die –
von Kritiker/inne/n als "Zensurparagraf" bezeichnete - Verpflichtung,
Informationsschreiben des Verbandes in Zukunft dem Sozialminister als
Aufsichtsbehörde vorzulegen (derStandard-online 17.10.01)
Mittlerweilen hat der Verfassungsgerichtshof eine Prüfung der
Hauptverbandsreform wegen Bedenken betreffend die Bestimmung, die die
Unvereinbarkeit einer Tätigkeit im Verwaltungsrat des Hauptverbandes mit
einer leitenden Gewerkschaftsfunktion vorsieht, eingeleitet; diese
Bestimmung stehe möglicherweise mit dem Konzept der Selbstverwaltung in
Widerspruch (deStandard-online 10.07.02). Mit einer Entscheidung vor den
vorzeitigen Neuwahlen im November 2002 ist jedoch auf Grund eines
Regierungsantrags auf Verlängerung der Stellungnahme-Frist nicht mehr zu
rechnen (derStandard-online 19.09.02).
Ihre Fortsetzung hat diese Ausschaltung der Selbstverwaltung und die
Besetzung von Spitzenfunktionen entgegen den politischen
Mehrheitsverhältnissen im Bereich der dafür bisher verantwortlichen
Arbeitnehmerorganisationen zwecks Sicherung des Regierungseinflusses mit
der Bestellung von E. Wetscherek (VP) und R. Gaugg (FP) zum
Generaldirektor bzw. GD-Stellvertreter der neu geschaffenen
Pensionsversicherungsanstalt (PVA) durch den mit einer satten
blau-schwarzer Mehrheit ausgestatteten "Überleitungsausschuss"
(derStandard-online 28.05.02). Der von diesem gewünschter Sondervertrag,
der Gaugg nicht nur die Dienstprüfung ersparen, sondern auch eine fette
Gage und die Anrechnung aller nur erdenklichen Vordienstzeiten bringen
sollte, wurde ihm jedoch bis Juli 2002 vom "Überleitungsausschuss"
zweimal abgelehnt (derStandard-online 18.07.02), ehe der Kandidat der
"Anti-Privilegien-Partei" im August - nachdem er am Steuer
"Alkoholsymptome" gezeigt und einen Alkoholtest verweigert hatte – über
Nacht aus Politik und PVA-Funktion ausscheiden musste
(derStandard-online 05.08.02). Statt ihm wurde dann allerdings vom
Überleitungsausschuss einstimmig mit Univ. Prof. R. Ammer ein
parteiunabhängiger Gesundheitsexperte zum GD-Stellvertreter bestellt
(derStandard-online 19.09.02).
Als Flankenschutz für die Angriffe auf die Selbstverwaltungskörper und
wohl auch zur Ablenkung von der Affäre Gaugg haben sich Sozialminister
Haupt und Verkehrsminister Reichhold in Vollzug einer entsprechenden
Aufforderung durch das "einfache FPÖ-Mitglied" Haider im August 2002 von
Amts wegen auf die Suche nach angeblichen "rot-schwarzen Privilegien"
begeben: Nach einer Erhebung über Verträge und mögliche lukrative
Sonderklauseln in den Krankenkassen nahm Haupt – begleitet von einem
Aufschrei des Betriebsrates, der Gewerkschaft und der Opposition - die
Krankenstände in der Pensionsversicherung im Visier. In einem Brief an
den Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Ewald
Wetscherek, verlangt das Ministerium ohne jegliche datenschutzrechtliche
Bedenken Auskunft über die Namen der Bediensteten, die im Vorjahr länger
als drei Wochen im Krankenstand waren. In Berufung auf den Datenschutz
stellte die PVA dem Sozialminister jedoch nur statistisch aufbereitete,
anonymisierte Daten zur Verfügung (derStandard-online 23.08.02,
29.08.08). Riechhold will auf seiner Jagd nach "Privilegien" vom
Rechnungshof die Regelungen für die wegen einer Funktion als Personal-/
GewerkschaftsvertreterIn dienstfrei gestellte MitarbeiterInnen bei der
ÖBB - Ausmaß der Dienstfreistellungen, Bereitstellung von Dienstwägen,
unternommene Dienstreisen, Bezüge, Karriereverläufe,
Aufwandsentschädigungen von Seiten Dritter - prüfen lassen. Das zielt
unmittelbar auf die Arbeitnehmervertretungen, indirekt aber auch auf das
Betriebverfassungsgesetz, das ja zur Erleichterung der Wahrnehmung der
Vertretungsaufgaben zum Schutz der Personalvertretung Sonderregelungen
vorsieht (derStandard-online 28.08.02).
Ein weiteres Beispiel eines Angriffs auf ArbeitnehmerInnenorganisationen
als Teil der gesellschaftliche Realverfassung war der FPÖ-Vorschlag,
leitende Funktionäre der Trägerorganisationen der WSP vom passiven
Wahlrecht zum Nationalrat auszuschließen (derStandard-online 13.07.01,
20.07.01, 11.06.02, 10.08.02) sowie die generelle Infragestellung des
ÖGB als "nicht mehr zeitgemäß" durch FPÖ-Gorbach im Sommer 2001
(derStandard-online 07.09.01).
Der nächste Schritt der Aushöhlung gesellschaftlicher Selbstorganisation
durch die Sozialpartner war die Verweigerung der Mitgliedsbeiträge und
damit von 50% des Budgets für den Sozialpartnern getragenen "Verein für
Konsumenteninformation (VKI)" durch Justizminister Böhmdorfer. Unter dem
Vorwand, für die KonsumentInnen einen "unabhängigen Konsumentenschutz"
erreichen zu wollen, soll damit im Widerspruch zur ansonsten auf Seiten
der Regierung so beliebten Privatisierungsrhetorik und entgegen
europäischen Gepflogenheiten ein weiteres Handlungsfeld unter
ministerielle Kontrolle gebracht und quasi verstaatlicht werden
(derStandard-online 02.04.02).
Ein weitere Fall der Zerschlagung demokratischer Selbstverwaltung war die
– im Eiltempo (von März bis Juli 2003 vom Ministerialentwurf über
Regierungsvorlage bis zur parlamentarischen Beschlussfassung) und
weitgehend über die Köpfe der betroffenen hinweg erfolgte -
Neuorganisation der Universität, mit der – im krassen Widerspruch zur
bisher maßgeblichen Humboldt'schen Universitätsidee die
Marktorientierung der Universität verordnet, die Organisation
zentralisiert und die Mitbestimmung entsorgt, die autonome Gemeinschaft
der Lehrenden zu einem weisungsabhängigen und gehorsamspflichtigen
Personal degradiert und die Studierenden von prinzipiell
gleichberechtigten Beteiligten am Prozess der Bildung durch Wissenschaft
zu zahlungspflichtigen Konsument/innen von Ausbildungsangeboten
umfunktioniert werden (derStandard-online 11.08.02). Die SPÖ hat am 21.
November einen Antrag auf Aufhebung des neuen Universitätsgesetzes
eingebracht – u. a. wegen Verletzung der verfassungsmäßig
gewährleisteten Selbstverwaltung (derStandard-online 22.11.02).
Ungeachtet dessen hat bereits die Implementierung des Gesetzes begonnen.
An den Universitäten Klagenfurt und Innsbruck und an der WU Wien hat der
entrechtete Mittelbau freilich die Wahlen zum "Gründungskonvent" im
November 2002 demonstrativ boykottiert (derStandard-online 28.11.02).
Besorgniserregend im Hinblick auf den Grundwert der Autonomie der
Wissenschaft und die Zukunftsperspektiven von nicht kurzfristig
rentabler Grundlagenforschung und nicht machtgenehmer kritischer
Gesellschaftsforschung waren auch die im August 2002 bekannt gewordenen
Pläne von FPÖ-Verkehrsminister Reichold und FPÖ-Wissenschaftssprecher
Graf, den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF)
durch Zusammenlegung mit anderen Institutionen der Forschungsförderung
wie dem derzeit für die "angewandte Forschung" zuständigen
Forschungsförderungsfonds der gewerblichen Wirtschaft (FFF) im üblichen
Eiltempo - Präsentation am 16. September, kurze Begutachtung,
Inkrafttreten im Jänner – ohne vorhergehender Evaluierung und ohne
Einbindung der für den FWF Verantwortlichen aufzulösen. FWF und
Wirtschaftskammer haben sich bereits vorsorglich dagegen ausgesprochen
(derStandard-online 24.08.02). Nach Ablehnung durch das
Wissenschaftsministerium ist die umstrittene Fusionierung des FWF mit
dem FFF vom Tisch. Der FWF soll vorderhand eigenständig bleiben
(derStandard-online 04.09.02) (5).
Hinzuweisen ist hier aber auch Maßnahmen im Zuge der Budgetsanierung wie
die Einschränkung der Zivildienststellen und die Streichung der
begünstigten Posttarife, die geeignet sind, autonome Assoziationen,
Initiativen und karitative Organisationen der so genannten
"Zivilgesellschaft" in ihrer Existenz zu gefährden. Andererseits wird
laut Liste für das Jahr 2001 nun der deutsch-nationale "Pennälerring"
unter dem Titel "Jugendförderung" von Sozialminister Haupt finanziell
unterstützt; auch die Renovierung von Vereinslokalen und Sanitäranlagen
deutschnationaler Verbindungen wird - unter dem Titel der
"Projektförderung" – neuerdings aus Mitteln der Jugendförderung vom
Sozialministerium gefördert (derStandard-online 27.6.02).
- Aus grundrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht höchst bedenklich
sind weiters die wiederholten und auch im so genannten "Weisenbericht"
(Ahtisaari u.a. 2000) kritisch kommentierten Vorstöße führender
FPÖ-Politiker, die auf eine Einschränkung der Meinungs- und
Versammlungsfreiheit hinauslaufen:
In diesen Bereich fallen die von der Kanzlei Böhmdorfer eingebrachten
"Einschüchterungsklagen" gegen OppositionspolitikerInnen, Medien bzw.
JournalistInnen (profil, Standard, Falter, News bzw. Rauscher, Worm,
Thurnher u.a.) kritische WissenschaftlerInnen (Pelinka, Neugebauer),
KünstlerInnen (Heller) und Intellektuelle (6) und die von den
Betroffenen als massiv empfundene Versuche der Interventionen in die
Berichterstattung des ORF. Mittlerweilen sind ja bekanntlich bereits –
mit der in der ORF-Reform 2001 erfolgten Installierung blau-schwarzer
Intendanzen mit verstärkten Durchgriffsrechten - die personellen und
strukturellen Voraussetzungen für eine Instrumentalisierung des ORF für
die FPÖVP-Wendepolitik geschaffen (derStandard-online 13.03.01,
05.07.01).Wie entsprechende Analysen von Mediawatch zeigen, hat sich
allerdings solchen Befürchtungen zum Trotz die relative Medienpräsenz
von Regierung und Opposition weder im Übergang von der SPÖ-ÖVP- zur
ÖVP-FPÖ-Koalition noch durch den von der FPÖVP herbeigeführten
Führungswechsel im ORF erheblich verändert: Nach wie vor entfallen ca.
drei Viertel der Redezeit auf VertreterInnen der Regierungsparteien
(vgl. derStandard-online 30.10.01, 05.08.02).
Weiters zählt dazu die von Haider anlässlich der innenpolitischen
Auseinandersetzungen um die sogenannten "EU-Sanktionen" geborene und von
Justizminister Böhmdorfer sowie Vizekanzlerin Riess-Passer für
"überlegenswert" befundene Idee, regierungskritische
Oppositionspolitiker gleichsam wegen "Hochverrats" vor Gericht zu
bringen. Mittlerweilen gibt es sogar Gesetzesentwürfe des
Justizministers (neue STPO) und der Außenministerin
("Informationssicherheitsgesetz"), in denen die Bestrafung von
Enthüllungsjournalismus vorgesehen ist (derStandard-online 30.04.01 bzw.
20.10.00);
Auf Kritik des Presserates wegen der damit verbundenen Einschränkung der
"Freiheit in Berichterstattung und Kommentar" stößt aber auch das
Informationsverhalten des Justizministers, der – so die Klage eines
"Falter"-Journalisten, Recherchen durch "Maulkorberlässe" für
potentielle Auskunftspersonen unterbindet (derStandard-online 28.06.02).
Auf Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zielt auch die
von FPÖ und ÖVP-PolitikerInnen wiederholt erhobene Forderung ab, die
wöchentlichen Donnerstagsdemonstrationen gegen "Blau-Schwarz" zu
unterbinden.
Ein weiteres Beispiel für den Angriff auf das Demonstrationsrecht war die
vorverurteilende Denunziation der "Volkstanztheater-Karawane" als
angebliche Angehörige des "Schwarzen Blocks" beim italienischen
Polizeiapparat anlässlich des G8-Gipfels in Genua im Sommer 2001
(derStandard-online 27.07.01).
Bemerkenswert sind auch die Umstände der Anzeige gegen den grünen
Abgeordneten Öllinger wegen angeblichen "Widerstands gegen die
Staatsgewalt" im Zusammenhang mit der Demonstration gegen die Kundgebung
rechtsextremer Gegner der Wehrmachtsausstellung ausgerechnet am Wiener
Heldenplatz: Während Öllinger angibt, sich auf Ersuchen der Polizei
zwecks Vermittlung bei Ausschreitungen am Ort der Demonstration befunden
zu haben und dort seinerseits von Polizisten attackiert worden zu sein,
als er sich nach der Dienstnummer eines Beamten erkundigen wollte,
erheben Khol und Westenthaler den öffentliche den Vorwurf einer
Beteiligung Öllingers an "linksextremer Gewalt" und bestätigt die
Staatsanwaltschaft erst danach das Vorliegen einer entsprechenden
Anzeige, die ihrerseits allerdings erst nach der Mitteilung der
Staatsanwaltschaft dort eingelangt sein soll (derstandard-online
17.04.02). Ein gefallener Abgeordneter oder eine Falle der Polizei und
eine "Anzeige auf Zuruf" (Pilz) der Regierungsparteien? Die Anzeige
wurde jedenfalls nach drei Monaten zurückgelegt (derStandard-online
23.07.02).
Die erwähnten Ausschreitungen waren für die Regierungskoalition auch der
willkommene Anlass, ein generelles Vermummungsverbot für politische
Kundgebungen zu beschließen - ungeachtet der damit verbundenen
Einschränkung der Demonstrationsfreiheit: DemonstrantInnen gegen
totalitäre Regime können es sich wegen möglicher Repressionen gegen sie
selbst und gegen Mitglieder ihrer Familien nicht riskieren, an
Kundgebungen teilzunehmen, ohne ihre Identität zu verhüllen!
(derStandard-online 03.07.02, 09.07.02)
Politisch zumindest dubios auch die Tatsache, dass am 8. Mai 2002
(Jahrestag der Kapitulation des NS-Regimes) der Heldenplatz und
Josefsplatz für Demonstrationen linker Nazi-Gegner gesperrt wird,
während es rechten und rechtsextremen Burschenschaften gestattet wurde,
am "Tag der Niederlage" in der Krypta des Heldentores ein Totengedenken
für gefallene Wehrmachtssoldaten und am Josefsplatz eine Kundgebung mit
rechter Weltkriegsnostalgie von NR Jung (FPÖ) und Polemik gegen "linke
Intoleranz" von Volksanwalt Stadler (FPÖ) abzuhalten (derStandard-online
08.05.02).
Ebenso bedenklich, dass nun die Veranstalter der Anti-Nazi-Demonstrationen
am 13. April und 8. Mai nach einer Anzeige der Bundespolizeidirektion
Wien Geldstrafen für die Ausschreitungen zahlen sollen, die es bei
diesen Demonstrationen gab. Diesen Versuch, die Anmelder einer
Demonstration unabhängig von deren Motivation und Verhalten pauschal für
Ausschreitungen in deren Verlauf verantwortlich zu machen, haben die
Veranstalter der Anti-Nazi-Demonstration als eine "eklatante Aushebelung
des Demonstrationsrechtes" kritisiert (derStandard-online 23.08.02).
In diesem Zusammenhang ist der Umstand bemerkenswert, dass heute Medien
öffentlich gefördert werden, die man vor dem Februar 2002 als ausserhalb
des legitimen Pluralismus liegend angesehen hätte: so finden sich seit
dem schwarz-blauen Regierungsantritt rechtsextreme Zeitschriften wie
"Zur Zeit" auf der Liste der Printmedien, die öffentliche Förderung
beziehen (Euro 62 499 oder öS. 860.000.- im Jahr 2001, vgl.
derStandard-online 22.01.02, und Euro 75.550 oder über 1 Mio öS. Im Jahr
2002, vgl. derStandard-online 14.08.2002).
- Zweifellos hat jedes Land das Recht, den Zuzug Fremder zu regeln und
nach Maßgabe der Möglichkeiten des Arbeits- und Wohnungsmarkts zu
begrenzen. Aus grundrechtlicher Sicht bedenklich ist jedoch, wenn diese
Regulierung und Begrenzung aus rassistischen Motiven und unter
Missachtung der Menschenrechtskonvention erfolgt und dabei auch das
Asylrecht ausgehöhlt wird:
So haben selbst starke ökonomische Motive, wie der Mangel an IT-Kräften,
die FPÖ nicht zur Erhöhung der Zuwanderungsquoten für 2001 motivieren
können, denn "wir sind den Wählern im Wort"; der Mehrbedarf solle – so
Westenthaler mit der im Widerspruch zur Menschenrechtskonvention
getroffenen Feststellung "Das Recht der Inländer auf Heimat ist stärker
als das Recht der Ausländer auf Familienleben" (futurelinks 2000) - auf
Kosten der Teilquote für Familienzusammenführung gedeckt werden.
Im Gegenteil: Nach den fremdenfeindlichen Vorstellungen Haiders soll es in
den nächsten Jahren "nicht nur einen Einwanderungsstop geben, sondern
auch eine klare Sichtung jener, die hier anwesend sind. Viel zu viele
Illegale, Straftaten, Drogenhändler – alle haben hier in Österreich
nichts verloren. Das muss unser Interesse sein, hier eine konsequente
Beseitigung herbeizuführen" (Der Standard-Online 21.102001).
Zu den (allerdings bereits von der SPÖ-ÖVP-Koalition geerbten)
grundrechtlichen Defiziten zählen insbesondere die Säumigkeit (hoher
Rückstau) und Restriktivität (Quotierung der Familienzusammenführung;
Ausschluss von Jugendlichen über 14) bei der Familienzusammenführung,
die Schubhaft für unter-14-Jährige und die faktische Aushöhlung des
Asylrechts mangels eines Rechts der Asylwerber/innen auf
Bundesbetreuung. Neu hinzugekommen ist hier die Blockade einer EU-weiten
liberaleren Regelung der Familienzusammenführung durch Justizminister
Böhmdorfer im Mai 2001 (derStandard-online 28.05.01).
Der – als "Fortschritt, der sich am holländischen Modell orientiert"
verkaufte – Anfang Juli 2002 im Parlament beschlossene neue
Integrationsvertrag, der nicht nur NeuzuzüglerInnen, sondern auch
Arbeitslose erfasst und in Wahrheit keine neuen Rechte, aber neue Hürden
(Gesundheitszeugnis) und neue Pflichten (z.B. verpflichtende, z.T.
kostenpflichtige Deutschkurse) und bei Nicht-Erfüllung dieser Pflichten
sogar den Entzug von Rechten (Erhöhung der Kursbeiträge, Geldstrafen bis
hin zur Ausweisung) vorsieht, ist der bisherige Höhepunkt dieser Politik
auf Regierungsebene; Dafür wurde gleichzeitig das so genannte
"Saisonier-Modell" ausgeweitet und damit der Weg zurück zum überholten
"Gastarbeitermodell" geebnet (vgl. derStandard-online 04.03.02,
10.07.02). Gleichzeitig macht nun die Bundes-ÖVP (!), ganz auf der Linie
ihres xenophoben Koalitionspartners, gegen das im SPÖ-Programm für die
Wiener Wahlen 2001 als Teil einer integrationspolitischen Offensive
vorgesehene Vorhaben der Wiener Stadtregierung mobil, das passive
Wahlrecht für AusländerInnen einzuführen. Klubobmann Khol hat jedenfalls
diesbezüglich einen Einspruch der Bundesregierung und – falls dieser
unbeachtet bleiben sollte – eine Klage beim VGH angekündigt
(derStandard-online 02.08.02).
Eine derart restriktive Zuwanderungspolitik ist aus humanitärer Sicht
bedenklich, aber hat letztlich auch ökonomisch negative Konsequenzen,
wie im Sommer 2002 von einer WIFO-Studie dokumentiert wurde:
Hochqualifizierte Arbeitskräfte kommen vorwiegend aus EU-Ländern, zum
Teil auch aus Mittel- und Osteuropa nach Österreich, siedeln sich hier
aber auf Grund der vergleichsweise ungünstigen Niederlassungsbedingungen
nicht an, sondern verlassen das Land wieder, um sich in traditionellen
Einwanderungsländern wie USA, Kanada und Australien endgültig
niederzulassen. In Österreich (und in anderen ländern mit einer ähnlich
restriktiven Zuwanderungspolitik) bleiben dagegen Flüchtlinge sowie
Arbeitskräfte aus Südosteuropa und der Türkei, die jedoch
minderqualifiziert sind und hauptsächlich in Niedriglohnbranchen
arbeiten (derStandard-online 22.08.02).
Aber auch im Asylrecht schlägt sich die fremdenfeindliche Haltung der FPÖ
und der von dieser vor sich her getriebenen Regierung wieder:
Exemplarisch dafür die Forderung Haiders nach einer weiteren Restriktionen
im Bereich des (wie oben dargelegt nach dem WTC-Terrorakt in Österreich
ohnehin bereits im europäischen Gleichschritt verschärften) Asylrechts
anfang August 2002: Ganz im Geiste seines Treffens mit Spitzen des
Europäischen Rechtsextremismus im Juli in Kärnten (s. weiter oben)
fordert er: "Künftig soll es Asyl nur noch für politisch Verfolge
geben". Dies klingt zwar harmlos, ist es aber insofern nicht, als er
damit irreführenderweise unterstellt, dass dies gegenwärtig nicht der
Fall sei. Weiters fordert Haider neuerlich eine beschleunigte Abwicklung
des Verfahrens sowie eine Neuregelung bei der Zustellung eines negativen
Bescheides: "Dieser muss zuerst der zuständigen Fremdenpolizei
ausgefolgt werden, die dann den Bescheid dem Asylwerber zustellt und
gleichzeitig abschieben kann". Weitere Forderungen Haiders betreffen die
Daueraufenthaltsbewilligung ("Frühestens nach sieben Jahren", die
Einschränkung des Familienzuzuges ("Das geht zu Lasten von
österreichischen Staatsbürgern") und eine strengere Fassung in der Frage
der Eheschließungen ("Sie sind zu 99,9 Prozent Missbrauch und sollen
künftig frühestens ab dem 24. Lebensjahr ermöglicht werden"). Seine
Verachtung rechtsstaatlicher Grundsätze kommt in der Forderung zum
Ausdruck, der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) müsse als Instanz
ausgeschaltet werden. Dessen Spruchpraxis sei "verantwortungslos", weil
"Schwerverbrechern im Asylverfahren eine aufschiebende Wirkung zuerkannt
wird"; es gebe ohnehin den Unabhängigen Bundesasylsenat, er solle
künftig letzte Instanz sein (derStandard-online 06.08.02).
Während solche Ideen öffentlich ventiliert werden, wird im
Innenministerium auf kritische Meinungsäußerungen von Seiten von
Hilfsorganisationen wie "Asyl in Not" äußerst empfindlich reagiert:
nachdem man im Ministerium im Sommer im Archiv einer e-mail-Zeitung
einen Rundbrief des Geschäftsführers von "Asyl in Not" Michael Genner
entdeckt hatte, in dem dieser einen Ministerialbeamten als
"Schreibtischtäter" bezeichnet, erfolgte – unter Federführung von SC
Szymanski - nicht nur eine Anzeige gegen den Geschäftsführer von Asyl in
Not und eine Aktion scharf gegen das Wiener "Integrationshaus", sondern
auch die Blockade einer Förderung aus dem Europäischen Flüchtlingsfond.
Die Causa ist gerichtsanhängig (derStandard-online 23.09.02).
Letztes praktisches Beispiel restriktiver Asylpolitik vor den vorverlegten
Neuwahlen war eine Richtlinie des Innenministeriums, nach dem 1. Oktober
2002 alle AsylwerberInnen, die nicht aus Afghanistan oder dem Irak
kommen - also auch solche aus Indien, Bangla Desh, Pakistan, Nepal,
Mongolei, Sri Lanka und Nigeria, mangels Aussicht auf Asylgewährung
nicht mehr in Bundesbetreuung zu belassen – und diesen damit vor
Abschluss eines Asylverfahrens von Amts wegen pauschal Asylmissbrauch zu
unterstellen. Den kurz vor dem Winter in die Obdachlosigkeit Entlassenen
können mangels Adresse nicht einmal Bescheide zugestellt werden. Dieser
Erlass ist auf heftige Kritik von Seiten der Menschenrechts- und
Hilfsorganisationen, des UNHCR und der Opposition gestoßen
(derStandard-online 20.09.02, 27.09.02). Nach Ansicht von Amnesty
International ist er völkerrechts- und menschenrechtswidrig: Um das in
der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehene Recht auf Asyl jedoch auch
materiell in Anspruch nehmen zu können, sei es "zwingend, mittellosen
Flüchtlingen ohne Wenn und Aber das Überleben zu sichern". Weiters sei
es aus juristischer Sicht "diskriminierend, wenn nicht sogar
rassistisch", einzelne Ländergruppen aus der Flüchtlingsbetreuung
auszuschließen. Weiters verwies AI darauf, dass die Richtlinie mit einer
neuen EU-Richtlinie kollidiert, die Mindeststandards für die
Flüchtlingsbetreuung bringe. Diese sei trete zwar erst 2004 in Kraft,
doch sei es laut EU-Recht nicht erlaubt, vor dem Inkrafttreten einer
neuen Richtlinie "zielwidrige Veränderungen" vorzunehmen. Schließlich
sei der Erlass auch nach österreichischem Recht fragwürdig. dass
AsylwerberInnen bereits auf Grund eines polizeilichen Verdachts auf eine
strafbare Handlung aus der Bundesbetreuung entlassen werden können,
verstoße gegen die Unschuldsvermutung (derStandard-online 12.10.02).
Während dies vom BMI bestritten wurde (derstandard-online 14.10.02),
will Das Netzwerk Asylanwalt, ein gemeinsames Projekt von UNHCR,
Caritas, Rotem Kreuz, Amnesty, Diakonie, Volkshilfe, 12 Rechtsanwälten
und weiteren Partnern, deshalb eine Verfassungsklage gegen Minister
Strasser einbringen (APA OTS 18.10.02). Auch für den scheidenden
Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs sind einzelne Punkte der neuen
Richtlinie "nicht unproblematisch"(derStandadr-online 28.10.02).
Mitte Oktober 2002 hat dann übrigens auch die Landeshauptleutekonferenz
als Vorleistung für ihre Kooperation eine Beschleunigung des
Asylverfahrens – u.a. durch Einschränkungen der Berufungsmöglichkeiten –
gefordert. Kärnten ist allerdings mit der Forderung, dass Asylwerber
sofort nach einem negativen Bescheid abgeschoben werden können und dass
der Bund ein restriktiveres Vorgehen bei humanitären
Aufenthaltserlaubnissen einschlägt, abgebiltzt. "Verfassungsrechtlich
und inhaltlich nicht möglich", so der Vorsitzende, Salzburgs
VP-Landeshauptmann Franz Schausberger. Auch beim Innenministertreffen in
Luxemburg hat man sich europaweit über beschleunigte Verfahren und – auf
Grund eines Vorschlags von Strasser vorgeschlagene - über gemeinsame
Listen "sicherer Drittstaaten" verständigt (derStandard-online 15.10.02,
16.10.02).
Mittlerweilen hat freilich ein unabhängiges Gerichte bereits die
Entlassung eines Asylwerbers aus der Bundesbetreuung auf Grund dieser
Richtlinie als rechtswidrig aufgehoben. Aufgrund eines erst verspätet
eingelangten Rekurses des Innenministeriums ist dieses Urteil bereits
rechtskräftig (derStandard-online 20.11.02)
- Ein Gradmesser für die Bedeutung von Grund- und Menschenrechten ist auch
die Minderheitenpolitik: In diesen Zusammenhang bedenklich ist in erster
Linie die – von der FPÖ, aber von der Regionalfilialen von SPÖ und ÖVP
mitgetragene und vom Koalitionspartner nur zaghaft kritisierte -
Weigerung Haiders als Kärntner Landeshauptmann um die Jahreswende
2001/2002, der Aufforderung des Verfassungsgerichtshofs nachzukommen,
entsprechend der aus dem Staatsvertrag stammenden und dem Grundsatz des
Minderheitenschutzes entsprechenden Verpflichtung mehr zweisprachige
Ortstafeln in Kärtner Gebieten mit slowenischer Bevölkerung
aufzustellen, und dessen Drohung gegenüber der Volksgruppe, ihr
Zugeständnisse zu entziehen, sollte sie sich auf den Rechtsstandpunkt
stellen (derStandard-online 14.12.01, 27.06.02).
Die Regierung hat mittlerweile zur Erarbeitung einer Lösung dieser Frage
eine von Parteien- und Minderheiten-VertreterInnen und Heimatverbänden
beschickte "Konsenskonferenz" eingesetzt. Dies ist freilich insofern
problematisch, als mit der Schaffung einer so bezeichneten Einrichtung
ganz im Sinne Haiders und gegen den Geist der Verfassung zum Ausdruck
gebracht wird, dass die Gewährung von Minderheitenrechte von der
Zustimmung der Mehrheit abhängig gemacht werden soll. Es wundert daher
nicht, dass diese Einrichtung bisher unfähig war, angesichts der
Unvereinbarkeit der – auf das VGH-Urteil gestützten – Forderung der
MinderheitenvertreterInnen nach zusätzlichen zweisprachigen Ortstafeln
und der kategorischen Weigerung Haiders und der Kärtner FPÖ, auch nur
eine Ortstafel mehr zu akzeptieren, eine einvernehmliche Lösung zu
finden (derStandard-online 11.07.02). Nach einer weiteren ergebnislosen
Sitzung am 11.September 2002 wurde die Lösung der Thematik der nächsten
Legislaturperiode nach den Neuwahlen im Spätherbst überlassen
(derStandard-online 11.09.02). Am Tag der der vorzeitigen Auflösung des
Nationalrats am 20.09.2002 schob Haider das Nicht-Zustandekommen eines
Konsens einseitig den Slowenen zu: es sei "ein historischer Fehler
seitens der Slowenenvertreter" gewesen, die Paketlösung nicht angenommen
zu haben. Das gemeinsam geschnürte Angebot (mit der Verdoppelung von
Ortstafeln sowie Kultur- und Medienförderungen) hätte der Volksgruppe
einen enormen qualitativen und quantitativen Fortschritt gebracht. Nun
werde es kein neues Angebot und auch keine Bereitschaft zu Verhandlungen
geben (derStandard-online 20.09.02).
Nachdem die Kärnter FPÖ im November 2002 tatsächlich die Subvention eines
slowenischen Radiosenders mit dem Hinweis auf das mangelnde
Wohlverhalten der Minderheitenvertretung in der "Konsenskonferenz"
verweigert hatte, hat eine Gruppe rund um den slowenisch-kärntner
Rechtsanwalt Rudi Vouk Ende 2002 – kurz vor Ende der vom VGH gesetzten
Frist - erklärt, die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln in
Südkärnten erzwingen und notfalls "jeden Ort einzeln durchfechten" zu
wollen (derStandard-online 08.12.02).
Hierher gehört aber auch die beharrliche Weigerung der Regierungspartei
ÖVP, die mit dem § 209 STGB gegebene Diskriminierung homosexueller
Beziehungen aufzuheben, während gleichzeitig in Schweden, Holland oder
Deutschland die Homosexuellenehe eingeführt wird (derStandard-online
06.06.01, 22.11.01). Erst die Aufhebung dieses dem Gleichheitsgrundsatz
widersprechenden Paragraphen durch den VGH als verfassungswidrig am
21.Juni 2002 hat hier eine neue Situation geschaffen (derStandard-online
24.06.02), und eine – von der Opposition allerdings als überflüssiger
Schnellschuss kritisierte - Neuregelung mit der Zielsetzung des Schutzes
von bis zu 16-jährigen Jugendlichen beiderlei Geschlechts vor sexuellen
Missbrauch soll noch vor dem Sommer beschlossen werden
(derStandard-online 04.07.02). Freilich scheint das Justizministerium
die damit eröffneten Amnestiemöglichkeiten sehr restriktiv – nämlich nur
bezogen auf die Fälle der vorübergehenden, sogenannten "wechselnden
Strafbarkeit" Jugendlicher bzw. junger Erwachsener mit nur geringem
Altersunterschied – wahrnehmen zu wollen (derStandard-online 25.06.02,
26.06.02).
- In konsequenter Orientierung an ihrem völkisch-nationalistischen
Programm, das nur ein ethnopluralistisches "Europa der Völker" zulässt,
betreibt die FPÖ trotz des von ihr im Regierungsprogramm unterzeichneten
Bekenntnisses zur EU eine Europapolitik, die sich gegen Erweiterung,
Vertiefung und Institutionenreform richtet:
Die EU-Erweiterung betreffend reicht das Arsenal nationalistisch
motivierter Behinderungsmaßnahmen von populistischen Aktionen wie der
Einleitung einer Volksbefragung (FPÖ Burgenland) oder der Forderung nach
einer Volksabstimmung (FPÖ-Niederösterreich), über die revanchistische
Forderung nach einer Aufhebung der Avnoj-Beschlüsse bzw. der
Benes-Dekrete als Bedingung für die Aufnahme Sloweniens bzw. Tschechiens
(Haider, Westenthaler) bis hin zur Forderung, die Beitrittsverhandlungen
überhaupt auszusetzen (Haider). Auch die ÖVP ist mit der Forderung nach
Aufhebung der Benes-Dekrete (Schüssel) und nach "Restitution" (Khol) als
Bedingungen eines Beitritts Tschechiens zur EU auf diese Linie
eingeschwenkt, hat jedoch im Gegensatz zur FPÖ in diesem Zusammenhang
keine Veto-Drohung in den Raum gestellt (derstandard-online 14.04.02,
15.04.02). Nach dem Gutachten von J. Frowein für das Europäische
Parlament, dass die Kompatibilität der Benes-Dekrete mit dem EU-recht
attestiert, hat die FPÖ ihre Veto-Position für den Fall einer
Nicht-Aufhebung der Dekrete erneuert, die ÖVP hingegen hofft auf eine
Konfliktlösung durch eine politisch-moralische Geste Tschechiens
(derStandard-online 01.10.02).
Im Jänner 2002 erreicht die Hintertreibung der EU-Erweiterung mit dem von
der FPÖ initierten und von der Kronenzeitung unterstützten Volksbegehren
gegen Temelin, dass für den Fall der Inbetriebnahme Temelins ein Veto
Österreichs zum EU-Beitritt Tschechiens vorsieht, einen neuen Höhepunkt
(derStandard-online 26.11.01, 13.12.01, 22.01.02).
Anfang Juli 2002 erklärt Westenthaler dann, man müsse die "bisher so fixe
Größe" der siebenjährigen Übergangsfrist für die Freizügigkeit am
Arbeitsmarkt "in Frage stellen" , und läßt mit der – in Kollision mit
dem Gleichheitsgrundsatz stehenden – Forderung aufhorchen, die
Sozialleistungen für Zuwanderer aus den neuen osteuropäischen
Mitgliedländern "auf das Niveau der jeweiligen Herkunftsländer zu
reduzieren" (derStandard-online 01.07.02).
Anfang September 2002 hat sich auch der "liberale" FPÖ-Finanzminister
Grasser als Erweiterungsbehinderer profiliert: "Die Erweiterung muss
weniger kosten als jetzt veranschlagt ist, und wir müssen die Risken für
die Zeit nach 2006 jetzt bereinigen", forderte Grasser. Während die
Vorschläge der EU-Kommission im Zeitraum 2004 bis 2006 eine
Mehrbelastung von 616 Millionen Euro bedeuten würden, wolle Österreich
nur 473 Millionen Euro zahlen. Für die Bauern in den neuen
EU-Mitgliedsstaaten sollte es im Agrarbereich bis zum Jahr 2006 "keine
Direktzahlungen" geben. Weiters forderte Grasser noch vor der
Erweiterung die bisherige Obergrenze für das EU-Budget von 1,27 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts "bestenfalls auf ein Prozent,
schlechtestenfalls auf 1,1 Prozent" zu senken. Auch zu den
FPÖ-Reizthemen Benes-Dekrete und Temelin gab sich Grasser linientreu:
Zwar müsse man mit "Veto-Drohungen vorsichtig sein", bei den
Benes-Dekreten dürfe es aber "kein Augenzwinkern geben". In der Frage
Temelin hingegen "sagt bereits die Leiterin der tschechischen
Atombehörde, dass es so nicht weiter gehen kann" (derStandard-online
02.09.02).
Kanzler Schüssel und Außenministerin Ferrero-Waldner nutzten dann freilich
doch das sich durch den Bruch der Wendekoalition und die Neuwahlen
ergebende "window of opportunity", um beim EU-Gipfel in Brüssel Ende
Oktober 2002 der Feststellung der EU-Reife der 10 Kandidaten-Länder
beizutreten und dem Plan für die Finanzierung deren Beitritts
zuzustimmen und damit die letzten Hindernisse für den Abschluss der
Erweiterungsrunde beim Dezember-Gipfel in Kopenhagen aus dem Weg zu
räumen (derStandard-online 25.10.02). Der Gipfel von Kopenhagen brachte
dann auch tatsächlich ungeachtet der Benes-Dekrete und Temelins die
positive Entscheidung über die Ost-Erweiterung. Wegen der ungelösten
Transit-Frage hat sich allerdings nun Bundeskanzler Schüssel die
Vetooption für die am 16. April 2003 in Athen vorgesehene Unterzeichnung
des Erweiterungsvertrags vorbehalten (derStandard-online 13.12.02,
15.12.02)
Französische Pläne einer Vertiefung und Weiterentwicklung der EU im Sinne
eines Bundesstaates, die der ethnopluralistischen Version eines "Europa
der Völker" zuwider laufen, wurden mittels eines geschickten Umdeutung
nationalistisch aufgeladen und zur Bedrohung stilisiert: Diese seien
Ausdruck der Bestrebungen Frankreichs, als Avantgarde und "besseres
Volk" die EU anführen zu wollen und als solche "der Beginn einer
Fehlentwicklung, wie wir sie bereits aus dem deutschen und italienischen
Faschismus kennen" (Haider).
Was die Institutionenreform betrifft so wehrte sich die Koalition beim
EU-Gipfel in Nizza einhellig gegen ein Zurückdrängen des Einflusses und
der Vetomacht der nationalen Einzelstaaten, indem sie auf dem
Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat "in sensiblen nationalen Fragen"
und auf dem Recht besteht, einen eigenen EU-Kommissar zu stellen. Viele
andere Regierungen der EU-Staaten haben sich ähnlich verhalten, aber die
dahinter stehenden Motive und Europakonzeptionen waren zumeist andere:
die einen argumentieren mit Föderalismus und Subsidiaridätsprinzip, der
blauen Regierungsfraktion aber geht es dabei als Ausfluss ihres
ethno-nationalistisch motivierten Programms um ein nach ethnischen
Gesichtspunkten segmentiertes Europa ethnisch reiner Völker.
Dazu kamen, auch aus der FP-Regierungsriege, fortgesetzte
nationalchauvenistisch-europafeindlich motivierte Angriffe gegen
EU-Politiker, beispielsweise die wiederholt von VK Riess-Passer
vorgetragene Dolchstosslegende, Fischler habe in "unpatriotischer" Weise
die österreichischen Bauern "verraten" (derStandard-online 08.04.02) und
die Attacke Westenthalers gegen Erweiterungskommissar Verheugen: dieser
werde auf EU-Ebene nur noch "Mohrhuhn-Verheugen" genannt, "weil er so
feige ist" (derStandard-online 14.04.02).
- Ohne Zweifel war die Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen und
-"Arisierungs"-Opfern eine verdienstvolle Handlung der Bundesregierung.
Auch dieses Projekt lief jedoch nicht ohne revanchistische und
antisemitische Begleitmusik aus FPÖ-Kreisen ab (vgl. auch dazu Der
Standard-Online 02-2000 bis 02-2001):
Für FPÖ-Bundesrat Gudenus zahlt Österreich mit den
Zwangsarbeiterentschädigungen "Schutzgeld, um die Handelsbeziehungen –
insbesondere mit den USA - nicht zu stören". Der freiheitliche
Vizebürgermeister der Salzburger Gemeinde Seekirchen wiederum wehrt sich
gegen einen Gemeindebeitrag für den NS-Zwangsarbeiterfonds. Es sei
"historisch erwiesen, dass die Gemeinde keinerlei Zwangsarbeiter
eingesetzt hat". Dafür seien viele Seekirchner nach Kriegsende in
Russland und anderen Siegerstaaten zur Zwangsarbeit eingesetzt worden,
die ihrerseits eine "Gefallenen- und Vermisstenentschädigung"
verdienten.
Zu Beginn der Verhandlungen über die Restitution für enteignetes jüdisches
Vermögen wurde der US-Opferanwalt Ed Fagan von BR Gudenus in klassisch
antisemitischer Manier als "Geschäftsmann" bezeichnet, der "nicht dazu
beiträgt, Sympathien für seinesgleichen (gemeint sind die Juden, M.P.)
zu erwecken". Haider warnte nach Abschluss der Verhandlungen
hintergründig, es sei eine trügerische Hoffnung des Bundeskanzlers, dass
er "ungeteilten Applaus an der Ostküste erhalten werde".
Die steirischen Abgeordneten Schöggl und Tremml wiederum wollen die
Restitution nur als Teil eines "Gesamtpakets" akzeptieren, zu dem die
Entschädigung aller ehemaligen österreichischen Kriegsgefangenen und
Kriegerwitwen ebenso gehörten wie die "Bemühungen um Aufhebung der
AVNOJ- und Benes-Dekrete". Bundesrat Gudenus und NR-Abgeordneter Graf
fordern gar Entschädigungszahlungen für Sudetendeutsche.
In Zusammenhang mit der Frage der Restitution sind übrigens auch die
hetzerischen offen antisemitischen "Scherze" Haiders über Muzikant ("Ich
verstehe nicht, wie einer, der Ariel heißt, soviel Dreck am Stecken
haben kann") im Frühjahr 2001 gefallen (derStandard-online 01.03.01).
- Nach den langjährigen Bemühungen um eine selbstkritische Aufarbeitung
der österreichischen NS-Vergangenheit, die seit den 1970-er-Jahren von
einer neuen Generation von ZeithistorikerInnen in Angriff genommen
worden waren, im "Bedankjahr" 1988 und auf Grund des konkreten
Anlassfalls Waldheim Breitenwirkung und mit dem Eingeständnis der
österreichischen Mitschuld durch Kanzler Vranitzkys im israelischen
Parlament Ende der 1990er-Jahre einen staatsoffiziellen Charakter
erhalten hatten, scheint die schwarz-blaue Wendekoalition nun in
"revisionistischer" Weise neuerlich eine Umdeutung der österreichischen
NS-Vergangenheit anzustreben:
In diesem Zusammenhang sei zunächst an die Äußerung von Bundeskanzler
Schüssel zur Mittäterschaft Österreichs im Nationalsozialismus erinnert,
der in einem Interview für die israelische Zeitung "Jerusalem Post"
demonstrativ von der nach der "Waldheim-Affäre" von früheren Regierungen
eingeschlagenen Linie eines klaren Bekenntnisses zur Mitschuld an den
NS-Verbrechen abgewichen ist - und damit zu dem Opfermythos
zurückgekehrt ist, welcher der jahrelangen "Absperrung der
NS-Vergangenheit"aus den Gedächtnissen der Österreicher/innen (vgl.
Ziegler/ Kannonier-Finster 1993) zugrunde liegt. Schüssel räumte zwar
ein, dass die Österreicher eine "moralische Verantwortung" für die
Vergangenheit trügen, er behauptete aber auch: "Die Nazis nahmen
Österreich mit Gewalt, die Österreicher waren das erste Opfer" (Der
Standard-Online am 9.11.2000). Diese Behauptung mag im engen
staatsrechtlichen Sinne stimmen; was "Österreich" im Sinne der
politischen Einstellung und des sozialen Verhaltens eines Großteils der
Österreicher/innen betrifft (Ausschreitungen in der
"Reichskristallnacht", begeisterter Empfang Hitlers auf seinem Marsch
von Braunau über Linz nach Wien; prominente Mittäterschaft von
"Ostmärklern" bei der Vernichtung von Juden ...), ist diese pauschale
Aussage jedoch schlicht falsch und als Leugnung des historischen Faktums
der österreichischen Mittäterschaft zu betrachten.
In der Folge ist es dann zu weiteren als revisionistisch bzw. als Ignoranz
von NS-Verbrechen einzustufenden Akivitäten seitens der Regierung und
Angehörigen der Regierungsparteien gekommen:
So wurden die Mauthausen-Gedenkfeier im Mai 2001 von Regierungsteam und
Führungsriege der FPÖ quasi in einer akkordierten revisionistischen
Aktion (vielleicht aber auch aus Pietät gegenüber den Opfern)
demonstrativ boykottiert (derStandard-online 03.05.01).
Auch bei der Feier zum Gedenken des Massakers der NS-Besatzungstruppen im
tschechischen Lidice am 27.5.1942, bei der unter anderem
RepräsentantInnen der USA, Russlands, Großbritanniens, Frankreichs und
Deutschlands den Opfern des Terrrors mit ihrer Anwesenheit die Ehre
erweisen, zeichnet sich das offizielle Österreich durch ignorante
Abwesenheit aus (derStandard-online 15.06.02).
Selbstentlarvend auch die Zusammensetzung der Projektgruppe für die
Gestaltung der Staatsvertragsausstellung im neuen "Haus der Geschichte".
Nominiert wurden, unter Protest der österreichischen Zeitgeschichtler,
zwei liberal-konservative (Rauchensteiner, Karner), ein
sozialdemokratischer (Scholz) – und, um der revisionistischen
Ausgewogenheit Willen - ein freiheitlicher Historiker (Brauneder)
(derStandard-online 19.03.02).
Offen revisionistisch war auch das "Totengedenken" der schlagenden
Buschenschaften am Wiener Josefsplatz am 8. Mai, dem von den dort
Versammelten als Trauertag empfundenen "Tag der Niederlage" des NS
Regimes. Die "Totenrede" hielt FPÖ-Nationalrat Wolfgang Jung. Zu den
Rednern zählte neben dem Südafrikanischen Rechtsextermisten Nordbruch
auch FPÖ-Volksanwalt Ewald Stadler, der dort unter Polizeischutz in
trutziger Entschlossenheit erklärt: "Wir Korporierte, wir werden es
nicht zulassen, dass der linksextreme Mob in diesem Land mit
grünmarxistischer und sozialistischer Unterstützung entscheidet, wer,
wann, wo und für wen ein Blumengebinde niedergelegt werden darf", und
der auch nicht davor zurückschreckt, nach dem Vorbild des vom
RAF-Sympathisanten zum militanten Rechtsextremisten konvertierten
deutschen Horst Mahler einen "enttabuisierten Umgang mit der Geschichte"
zu verlangen, der dafür freilich "auch entsprechend verfolgt" werde (DÖW
20.05.02). Was damit genau gemeint ist, lässt einen guten Monat später
FP-Gemeinderat Bodo Blind im Wiener Rathaus wissen: "Im 45-Jahr, da sind
die Besatzungsmächte gekommen, nur Geschichtsfälscher glauben, da sind
die Befreier gekommen" (derStandard-online 25.06.02).
Auch Stadler redet bei einer Sonnwendfeier unter Gleichgesinnten Klartext:
Dort wendet er sich in seiner "Feuerrede" entschlossen gegen die
"Befreiungsideologie, die uns übergestülpt wird". Im Schein des "Feuers
(der) Kelten und Germanen" erklärt Stadler: "Es war nicht immer eine
Befreiung, wie es uns die gnadenlosen Gutmenschen und Tugendterroristen,
die heute Wehrmachtsveranstaltungen und Wehrmachtsausstellungen
gestalten, einreden wollen, die unser Volk im vergangenen jahrhundert
erfahren hat"; so sei Österreich "1945 - und das ist zur Staatsideologie
geworden - angeblich vom Faschismus und der Tyrannei befreit worden".
Damit wollte er natürlich nicht selbstkritisch darauf aufmerksam machen,
dass Leute seines Schlages heute wieder politische Ämter bekleiden. Er
wollte sagen, dass der Sieg der Alliierten über das NS-Regime keine
Befreiung war. Im Schein des "Feuers (der) Kelten und Germanen" hat er
beklagt, dass wir dadurch "… in die nächste Tyrannei geraten (sind),
insbesondere hier auf diesem Boden, auf dem wir uns heute befinden".
Aber auch nach dem Abzug der alliierten "Tyrannen" habe das deutsche
Volk weiter leiden müssen: "Wir haben alles niedergetrampelt an Werten,
was unseren Vorvätern heilig war. Unser Volk, unsere Familien, ja selbst
unsere Religion wurde in den vergangenen Jahrzehnten niedergetrampelt
und es wurde alles was gut und wert und teuer war, wertlos gemacht".
Eindringlich beschwört er die Anwesenden: "Es muss an uns liegen, die
Werte, die unserem Volk das Überleben und die kulturellen
Höchstleistungen über tausend Jahre gesichert haben, auch für die
Zukunft zu sichern". Dies erfordere es, "… dass wir unseren Volkserhalt
durch gesunde, starke und kinderreiche Familien selbst organisieren und
nicht durch Zuwanderungsexperimente, es anderen Völkern überlassen,
unser Volk zu erhalten"; dies erfordere es aber auch "… klarzulegen,
dass wir gewillt sind, für diese Werte einzutreten, für einen Wert der
Wehrbereitschaft, für einen Wert des Familienerhalts, für einen Wert des
Kulturerhalts und letztlich auch für die Werte des Volkserhalts. Daran
wollen wir denken, wenn wir heute in die Flammen blicken und zuschauen,
wie diese Flammen die letzten Reste des Holzes im Sonnwendfeuer
verbrennen" (derStandard-online 03.07.02, 04.07.02). Diese
"Verharmlosung des Nationalsozialismus" (Minister Molterer) hat in der
FPÖ zu offener Unterstützung (Westenthaler, Haider) aber auch Kritik
(Sichrovsky, Gorbach, Grasser), zu entschiedenen Verurteilungen seitens
ÖVP-PolitikerInnen (Molterer, Khol, Rauch-Kallat, Schüssel) sowie des
Bundespräsidenten und zu entrüsteten Rücktrittsaufforderungen seitens
Opposition geführt. Kanzler Schüssel betonte zwar, dass der 8. Mai 1945
ein Tag der Befreiung war, machte Stadler jedoch insofern die Mauer, als
er eine ausdrückliche Distanzierung von Stadler vermied und seinerseits
kryptisch eine "ganzheitliche Geschichtsbetrachtung" einmahnte.
Angesichts der Loyalität der - letztlich doch deutsch-völkisch
orientierten - FPÖ mit ihrem Volksanwalt und der Loyalität der – um des
Machterhalts Willen untrennbar an die FPÖ geketteten – ÖVP_mit ihrem
Koalitionspartner war es letztlich nicht möglich, im Parlament die
Voraussetzungen für die Absetzung Stadlers zu schaffen. Sogar
staatsanwaltlichen Vorerhebungen wegen Verdachts des Verstoßes gegen das
Wiederbetätigungsgesetz wurden eingeleitet, jedoch nach zwei Wochen
wegen "fehlender Anhaltspunkte (!)" wieder eingestellt.
(derStandard-online 11.07.02, 26.07.02).
Als Konzession an den Revisionismus á la Stadler kann auch die Tatsache
gewertet werden, dass im nach dem Ende der Wendekoalition Mitte
September 2002 beschlossenen Konjunkturpaket u.a. 218.000 Euro für ein
Forschungsprogramm "Rote Armee zwischen 1945 und 1955" und vier Mill.
Euro für den Verband volksdeutscher Landsmannschaften vorgesehen sind
(derStandard-online 18.09.02).
Fazit: Programm und Praxis der blau-schwarzen Koalition sind überwiegend
"rechts-konservativ" orientiert, einzelne Ankündigungen, Maßnahmen und
Vorgehensweisen der blau-schwarzen Wenderegierung und zahlreiche
Vorschläge, Diskussionsbeiträge und Aktionen der Regierungspartei FPÖ
tragen jedoch rechtsextreme Züge. Einige, vor allem solche, die von der
gesamten Regierung getragen werden, mögen mehrdeutig sein, sozusagen
ideologisch doppelt codiert – rechtsextrem und zugleich
kulturkonservativ und/ oder neoliberal: So bietet etwa das Zurückdrängen
der Pragmatisierung die Chance, die Effizienz und Flexibilität der
öffentlichen Verwaltung zu steigern – sie kann aber auch die
Unabhängigkeit der Exekutive und damit die Gewaltenteilung gefährden.
Die Reorganisation der Trägerschaft der Sozialversicherungen mag zu
einem höheren Grad der Wirtschaftlichkeit und Absicherung der
Gesundheitsversorgung beitragen – sie kann aber auch auf einen Eingriff
des Staates in die gesellschaftliche Autonomie hinauslaufen. Diese
Doppelcodierung mag die Duldung und das teilweise Mitspielen der ÖVP
erklären und diese Partei subjektiv entlasten, sie ändert aber nichts
daran, dass sich solche zumindest zweideutigen Ankündigungen, Maßnahmen
und Vorgehensweisen Stück um Stück zu einem Muster zusammenfügen, das
insgesamt letztendlich doch zum Bruch mit Menschenrechten und liberaler
Demokratie in Österreich führen könnte und damit deutlich im Widerspruch
zu den Prinzipien steht, zu denen sich Kanzler und Vizekanlerin in der
eingangs zu diesem Abschnitt zitierten Präambel zum
Regierungsübereinkommen mit ihrer Unterschrift bekannt haben. Insofern
muss auch die Besorgnis der in- und ausländischen Kritik als berechtigt
anerkannt werden. Fortsetzung: TEIL 3
Anmerkungen:
(5)
Nach einem - von den
Chefs der Firmen Siemens-Österreich und Böhler-Uddeholm Hochleitner und
Raidl (beide Wirtschafts- und nicht Wissenschaftsexperten!)
ausgearbeiteten – Reformplan sollen FWF und FFF nun doch erhalten
bleiben, aber durch eine beim Bundeskanzleramt angesiedelte
Dachorganisation koordiniert werden. Dieses an der Autonomie der
Forschung rührende Vorhaben soll in der neuen Legislaturperiode
umgesetzt, davor aber noch „analog zur Unireform mit den Betroffenen
breit diskutiert werden“ (Gehrer), was nach den Erfahrungen mit der
Uni-Reform eher wie eine Bedrohung denn wie eine Beruhigung klingt …
(derStandard-online 30.01.03).
(6) Manche Klagen haben sich dabei freilich als Bumerang erwiesen. So darf
Haider diesbezüglichen Gerichtsentscheiden zu Gunsten der Beklagten Pilz
bzw. Pelinka zufolge zu Recht "Ziehvater des Rechtsextremismus" und
"Verharmloser der NS-Vergangenheit" genannt werden.
hagalil.com
17-11-03 |