Rechtsextrem oder postmodern?
Max Preglau's Regierungs- und Wahlkampf-Watch
Teil 3 6. Die öffentliche Meinung zur Wendekoalition im
Spiegel der "Sonntagsfrage" Wie haben sich die
WählerInnen auf die neues Situation eingestellt? Bezüglich der ÖVP lässt
sich feststellen, dass Sie sich nach einem Absturz nach der
Regierungsbildung in der Zeit der "Sanktionen" erholt hat und seither
relativ stabil bei einem Stimmenanteil von 27 - 30 % über dem
Wahlergebnis von 1999 liegt. Die FPÖ hatte
Ihren Höhepunkt mit 33 % kurz vor der Regierungsbildung, als sie
angesichts der festsitzenden Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und
SPÖ sogar zur stimmenstärksten Kraft aufgestiegen war. Nach der
Regierungsbeteiligung unter dem Eindruck der bestürzten internationalen
ein Rückgang und eine Schwankung zwischen 19/20 und 24 % - mit stärkeren
Phasen in Perioden mit aktuellem Sicherheitsthema (z.B. nach dem
Anschlag auf das New Yorker WTC am 11.9.2001) und Einbrüchen in Zeiten
extremer Haider-Eskapaden und innerparteilicher Konflikte (z.B.
Irak-Reise Haiders; Machtkampf Haider – Riess-Passer im Sommer 2002).
Die SPÖ klettert nach einer Schwächeperiode in der neuen ungewohnten
Rolle als Oppositionspartei und als Opfer der in der Zeit der
EU-"Sanktionen" genährten Dolchstoßlegende, in der sie mit 30 % unter
dem Wahlergebnis von 1999 lag, dank einer konsequenten und angesichts
der eisernen Sparpolitik der Regierung populären sozialpolitischen
oppositionellen Linie und beflügelt durch Erfolge bei Landtags- und
Arbeiterkammerwahlen beständig auf einen Wert von 36 – 37 %.
Die Grünen fluktuieren seit Beginn der Regierungsperiode - dank einer
konsequenten und glaubwürdigen Oppositionspolitik in Fragen
Menschenrechte und Demokratie und gestärkt durch den Zustrom ehemaliger
LIF-WählerInnen - mit Werten zwischen 10 und 14 % deutlich über ihrem
Ergebnis bei den Nationalratswahlen 1999.
Parteien im Spiegel der Umfrage von
2000-01 – 2002-09
Stand |
ÖVP
(1) (2) |
FPÖ
(1) (2) |
SPÖ
(1) (2) |
Grüne
(1) (2) |
Sonstige
(1) (2) |
NR-Wahlen 99 |
27 |
27 |
33 |
7 |
6 |
2000 – 01 |
23 - |
33 |
30 |
10 |
4 |
02 |
-
21 |
- 34 |
-
31 |
-
11 |
-
3 |
03 |
22 - |
26 - |
32 - |
15 - |
5 - |
05 |
31 - |
24 - |
30 - |
12 - |
3 - |
07 |
33 - |
23 - |
30 - |
11 - |
3 - |
09 |
32 - |
24 - |
28 - |
13 - |
3 - |
11 |
34 - |
21 - |
30 - |
11 - |
4 - |
12 |
33 - |
19 - |
32 - |
13 - |
3 - |
2001 – 01 |
32 30 |
21 22 |
32 32 |
12 14 |
3 2 |
03 |
- 29 |
- 23 |
-
33 |
-
12 |
- 3 |
04 |
29 - |
19 - |
34 - |
15 - |
3 - |
06 |
28 29 |
22 22 |
35 33 |
13 13 |
2 3 |
08 |
28 - |
23 - |
34 - |
13 - |
2 - |
09 |
- 26 |
- 25 |
- 34 |
- 12 |
- 3 |
10 |
29 - |
23 - |
36 - |
10 - |
2 - |
12 |
28 24 |
24 26 |
35 36 |
11 12 |
2 2 |
2002 – 01 |
26 26 |
26 23 |
35 37 |
12 11 |
2 3 |
02 |
27 - |
25 - |
35 - |
12 - |
1 - |
05 |
- 29 |
- 22 |
-
37 |
-
10 |
- 2 |
08 |
28 27 |
19 21 |
36 37 |
14 12 |
3 3 |
09 |
28 29 |
20 20 |
35
36 |
14
12 |
3 3 |
00-01/02 – 01-01 |
+9 +9 |
-12
-12 |
+2 +1 |
+2 +3 |
- - |
01-01 – 02-01 |
-6 -4 |
+4 +1 |
+3 +5 |
+-0
-3 |
- - |
02-01 – 02-09 |
+2 +3 |
-5 -3 |
+-0 -1 |
+2 +1 |
- - |
00-01 – 02-09 |
+5 +8 |
-13
-14 |
+5 +5 |
+4 +1 |
- - |
Legende: (1) = OGM, (2) = market; Stichproben: N = 400 -
500, +- 4,5 % Schwankungsbreite, Irrtumswahrscheinlichkeit = 1 : 20
Quelle: derStandard-online
Die meiste Zeit hindurch hatte schwarz-blau eine
deutliche Mehrheit. Anders war es nur im Frühjahr 2001 - kurz nach der
für die SPÖ höchst erfolgreichen Wiener Wahl, und im August und
September 2002 – während des offenen Machtkampfs in der FPÖ. Darin
spiegelt sich die "Seele" der österreichischen WählerInnen: Sparsam,
eher austro-chauvenistisch und xeno-phob und sehr harmoniebedürftig und
sicherheits- und ordnungsorientiert. Daher die Popularität der Kampfs
gegen die "ungerechten Sanktionen", der Sparpolitik und der
Fremdenpolitik der Wendekoalition und die Unempfindlichkeit der Mehrheit
gegenüber Verletzungen der Werte von Humanität, Demokratie und
Solidarität; daher aber auch der öffentliche Unmut und die Abnahme der
Stimmen für die Wendekoalition im Falle "ordnungswidrigen" Verhaltens
von Haider oder eskalierender Konflikte in der FPÖ. 7. Wende
am Ende? FPÖ und Wendekoalition in der Krise des Sommers 2002
Seit dem Sommer 2002 hat sich eine Wende innerhalb der FPÖ und in der
Folge in der schwarzblauen Wendekoalition abgezeichnet. Bis dahin hatte
sich seit dem formellen Wechsel der Parteiführung von Haider zu
Riess-Passer in der FPÖ ein Muster der Arbeitsteilung und der
Interaktion zwischen Haider- und Regierungsfraktion eingespielt: Die
Regierungsfraktion inszeniert sich staatstragend und pragmatisch, die
Haiderfraktion mahnt gewissermaßen in Opposition zu ihrem Gegenpart in
populistischer Weise ihre z. T. ideologisch extrem rechten Grundsätze
ein. Wenn dabei die Kluft zu groß zu wird, droht Haider mit seinem
Rückzug und oder der Mobilisierung der Parteibasis – und die ihm
ergebene offizielle Parteispitze kriecht zu Kreuze, der
Koalitionspartner gibt seinerseits nach, um die Regierungsmacht zu
erhalten, und ein weiteres Stück recht(sextrem)e Programmatik wird zur
Regierungspolitik. Diese Muster wurde nunmehr
durchbrochen: Haider, der nach eigener Karriereplanung längst Kanzler
sein sollte, hatte trotz dieser für ihn strategisch durchaus
vorteilhaften Position immer größere Schwierigkeiten damit,
Parteiführung und Regierungseinfluss nur informell auszuüben. Vor dem
FP-Bundesparteitag im Juni 2002 hatte er daher Riess-Passer angetragen,
wieder den Parteivorsitz zu übernehmen. Auf deren Ablehnung reagierte er
neuerdings mit deftiger Kritik an der Regierungsarbeit, die den Kampf
gegen Privilegien vernachlässigt habe, und mit der Drohung, die FPÖ im
nächsten NR-Wahlkampf nicht zu unterstützen: "Ich bin nicht der Klempner
der FPÖ" (News Nr. 31/2002) – um nächsten Tages bei einer
Pressekonferenz teilzunehmen, bei der die "Parteichefin" eilfertig
versichert, den Kampf gegen Privilegien zu verstärken und das "einfache
Parteimitglied" ihr im Gegenzug aus der sich selbst in blasphemischer
Weise angemaßten Position eines "Oberhirten" gönnerhaft attestiert,
stets ein "unbeflecktes Lamm" gewesen zu sein (derStandard-online
01.08.2002). 10 Tage später ließ er dann in
einem Kurier-Interview abermals ausrichten, dass es von ihm "einen
Wahlkampf außerhalb Kärntens … nicht geben wird"; auch mit der
"bisherige(n) Arbeitsteilung …, dass die Regierung das vornehme Oberhaus
spielt und die Kanalräumerbrigade die Schmutzarbeit macht", sei es
vorbei. Das Ziel der FPÖ bei den Nationalratswahlen gab Haider mit "25
Prozent plus" vor. Gelingen müsse eine Mehrheit von FPÖ und ÖVP. "Wenn
es ganz schlecht ausgeht und die FPÖ aus der Regierung fliegt, erwarte
ich, dass sich die Verantwortlichen vertschüssen, weil sie gescheitert
wären", so der Altparteiobmann. Dann wäre eine völlige Neukonstruktion
der FPÖ erforderlich. Wenn er dann Obmann werden wollte, würde er nicht
fragen, sondern einfach kandidieren. Der Wahlausgang wäre keine Frage:
"Eine Mehrheit wäre mir sicher" (derStandard-online 11.08.02). Haider
drohte also damit, bei den nächsten Wahlen die formale Parteispitze, die
Regierungsfraktion um Riess-Passer, im Regen stehen zu lassen, um sie
dann nach dem zu erwartenden Misserfolg wiederum selbst einzunehmen und
die Partei im Sinne einer extrem-populistischen Rechtsorientierung zu
erneuern! Als die Regierungsfraktion anlässlich
der Hochwasserkatastrophe im August 2002 einen Parteivorstandsbeschluss
herbeiführte, einer Verschiebung der (öffentlich versprochenen und vom
Parteitag im Juni 2002 beschlossenen) Steuerreform zuzustimmen, drohte
Haider abermals damit, die Parteibasis gegen die Parteispitze zu
mobilisieren: "Der Bundesparteitag ist das höhere Gremium, der hat die
Steuerreform beschlossen" (derStandard-online 18.08.02). Damit erreichte
er immerhin einen gemeinsamen Entschließungsantrag von FPÖ und ÖVP mit
der Bitte an die Bundesregierung, "an einer ihrer besonderen
Prioritäten, nämlich die Abgabenquote bis 2010 auf 40 Prozent
abzusenken, festzuhalten und daher direkte und steuerliche Entlastungen
wie z.B. jüngst für Hochwasseropfer mit bisher 1,5 Milliarden Euro von
Bund und Ländern - wenn notwendig auch darüber hinaus - konsequent und
schrittweise durchzuführen". Er – Haider - selbst habe diese
"Letztentscheidung mit dem Bundeskanzler herbeigeführt"
(derStandard-online 20.08.02). Tags darauf genügte ihm dies doch wieder
nicht, und er stellte seiner Partei ein Ultimatum: Sie müsse sich wieder
als Reformbewegung etablieren, die bereit sei, "das starre Geflecht der
rot-schwarzen Beziehungen und des Proporzes aufzubrechen", und den
Privilegien des "geschützten Sektor" den Kampf anzusagen – "Der Hackler
in der Privatwirtschaft muss genau die gleichen Rechte haben wie alle
anderen". Er erwarte sich nun eine Klärung des Kurses der FPÖ bis
spätestens Oktober (derStandard- online 21.08.02).
Die FPÖ schien damit immer mehr auf die Zerreißprobe und
ein Show-Down zwischen Parteivorstand und Rebellenfraktion zuzusteuern.
Haider wollte seine Forderung nach einer Steuerreform mit Hilfe der
Basis auf einem Sonderparteitag durchsetzen, Riess-Passer war strikt
gegen einen solchen Sonderparteitag und drohte, sie würde "… in diesem
Fall überhaupt nicht mehr zur Verfügung stehen" (derStandard-online
24.08.02), Haider erklärte seinerseits: "Wenn diese undemokratische
Gesinnung aufrechterhalten wird, … dann gibt es meinen totalen Rückzug.
Dann sind all jene zu 100 Prozent in der Verantwortung, die diesen Weg
gehen wollen. Und dann werden wir sehen, was 2003 von der FPÖ noch
überbleibt" (derStandard-online 25.08.02).
Als sich die Parteispitze und Landesorganisationen in
einem Anlauf zur Emanzipation vom großen Bruder in Koalitionstreue
trotzdem mehrheitlich hinter Riess-Passer und den Aufschub der
Steuerreform stellten und damit der Weg zu einem Sonderparteitag
blockierten, entschloss sich Haider, seine freiheitliche Partei und die
von ihm mit auf den Weg gebrachte blau-schwarze Wendekoalition nun durch
demagogische Massenmobilisierung von außen unter Druck zu setzen: Er
wolle sich mit einem Volksbegehren "… an die Spitze einer Bürgerbewegung
quer durch Österreich stellen" und gleichzeitig auch "einen
Finanzierungsplan für eine Steuerreform 2003 präsentieren". Mit diesem
Finanzierungsplan – Einsparungen durch Verkleinerung von Parlament und
Landtagen, die Kürzung der Parteienfinanzierung, die Abschaffung der
Selbstverwaltung bei den Sozialversicherungen, keine zusätzlichen
Nettozahlungen im Zuge der EU-Osterweiterung - legte Haider neuerdings
sein autoritäres und europafeindliches Politikprogramm offen. Wenn
dieses Volksbegehrens eine Beteiligung von 15 Prozent erreiche, solle es
"… in eine Volksabstimmung münden, wie es die Bundesregierung sich für
erfolgreiche Volksbegehren vorstellen kann" (derStandard-online
26.08.02).
Darauf konterte Riess-Passer nun ihrerseits mit der - auch für den
Koalitionspartner überraschenden - Ankündigung einer Volksbefragung über
die Steuerreform. Bestärkt durch Umfragen, die bei der Bevölkerung ein
mehrheitliches Verständnis für den Aufschub der Steuerreform
signalisierten, wollte sie den zornigen Meisterdemagogen mit den eigenen
Waffen schlagen und das Wahlvolk mobilisieren und als Richter im
FPÖ-Richtungsstreit einsetzen (derStandard-online 26.08.02). Damit hatte
Riess-Passer die Auseinandersetzung von der Parteiebene auf die Ebene
der Regierungskoalition verlagert und damit den Koalitionspartner in die
Auseinandersetzung hineingezogen. Sie hoffte, damit Haider in die
Schranken zu weisen und zugleich die im nächsten Jahr fällige
Wahlentscheidung durch eine Entlastung von der Frage der Steuerreform im
Vorfeld positiv zu beeinflussen, sie hatte sich damit jedoch auch von
der Zustimmung der ÖVP abhängig gemacht. Diese zögerte zunächst, und es
wäre durchaus wahrscheinlich gewesen, dass Kanzler Schüssel im Interesse
des politischen Überlebens des Koalitionspartners und damit der von ihm
geführten Koalition diese Zustimmung in seiner Partei erwirkt hätte.
Tags darauf folgte jedoch wieder eine Kehrtwendung
Haiders: Wohl wissend, dass ihn Riess-Passer diesmal überboten hatte und
im Bemühen, aus dieser Niederlage einen moralischen Sieg zu machen,
sagte er sein Projekt Volksbegehren "vorerst" ab - unter der Bedingung
dass die FPÖ-Spitze noch einmal mit ihm über mögliche
Steuererleichterungen diskutiert. Es handle sich dabei um ein "sehr
großes Entgegenkommen" seinerseits, mit dem die Parteiführung "nicht
leichtfertig umgehen" sollte. Wenn es "nicht möglich ist, und die Partei
nicht bereit ist, einen Schritt in dieser Frage auf uns zuzugehen,
zwingt sie mich, mich aus der Politik zurückzuziehen", drohte Haider
neuerlich mit Rücktritt, um seiner Forderung innerparteilich Nachdruck
zu verleihen (derStandard-online 27.08.02). Später schob er dann noch
die Forderung nach einer Neuverhandlung des Koalitionsübereinkommens
nach. Riess-Passer, nach ihrer Selbsteinschätzung ohne ihr Zutun "von
der willenlosen Marionette zu seiner großen Gegenspielerin" geworden,
bekräftigte jedoch ihre Haltung und kündigte an, in der
Parteivorstandssitzung am 3.9.2002 die Vertrauensfrage zu stellen, um
damit die "Richtungsentscheidung" herbeizuführen (News-Networld
28.08.02). In dieser Konfrontation stellten sich
prominente VertreterInnen des Koalitionspartners (Rauch-Kallat,
Bartenstein, Gehrer, Khol), und die Mehrheit der WählerInnen, aber auch
die Mehrheit des Parteivorstandes und der FPÖ-Anhängerinnen hinter
Riess-Passer.
Am Abend des 29. 8. Abends gab es dann ein
"Geheimtreffen" zwischen Haider auf der einen und dem Riess-Passer und
ihrem Regierungsteam auf der anderen Seite. Riess-Passer blieb
inhaltlich bei ihrer Position, machte Haider aber das Angebot, mit ihr
in die Bundesregierung zu gehen. Haider lehnte ab, wartete die
Parteivorstandssitzung vom 3.9. gar nicht mehr ab und teilte bereits am
30.8. mit, sich "völlig und endgültig" aus der Bundespolitik
zurückzuziehen - mit der Begründung, die Partei in der Regierung eine
andere Linie, als sie nach der Nationalratswahl 1999 noch mit seiner
Mitwirkung konzipiert worden sei, und er wolle nun "nicht mehr stören"
und der Parteiführung die Chance geben, "ihre Arbeit zu tätigen mit der
Möglichkeit, dass (sie) auch ... die volle Verantwortung dafür trägt"
(derStandard-online 30.08.02). Bereits am nächsten Tag machte er sich
daran, seine Niederlage mit einer Dolchstoßlegende zu umranken und sich
selbst in die Phalanx antiker Helden einzureihen: Mit der nun
eingeschlagenen Linie habe sich "... meine Partei ... mit unseren
Gegnern verbündet ..., um mich so zu sagen zur Strecke zu bringen". Er
aber sei, wie Phönix aus der Asche, zur Auferstehung und für eine neue
Mission bereit: nach einer etwaigen Wahlniederlage im kommenden Jahr
werde er wieder als Parteiobmann zur Verfügung stehen: "Wenn Sie so
wollen bin ich sicherlich ein Sisyphus der FPÖ, der bereit ist, den
Stein wieder nach oben zu bringen" (derStandard-online 31.08.02) - die
triumphale Rückkehr nach dem bloß taktisch motivierten Rückzug war also
von ihm bereits eingeplant.
Riess-Passer - offenbar bemüht, sich nicht von Haider in die Rolle der
Verräterin drängen zu lassen - beeilte sich zu versichern, dass sie sich
"... immer den Zielsetzungen Jörg Haiders verpflichtet gefühlt (habe)".
Sie stehe nach wie vor auf dem Boden des von Haider mitverhandelten
Regierungsprogramms, 90 % dieses Programms seien bereits umgesetzt und
auch die Steuerreform sei nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Man
werde sich auch nach seinem Rückzug anstrengen, "sein Vertrauen zu
rechtfertigen" (derStandard-online 31.08.02).
Aber die Wiederkehr Haiders sollte schon viel früher
erfolgen als angekündigt. In den Bundesländern wurden – ausgehend von
Kärnten, Niederösterreich und Oberösterreich - Unterschriften von
Funktionären gesammelt, um einen außerordentlichen Parteitag
einzuleiten, die Landesorganisationen Niederösterreichs und
Oberösterreichs forderten offiziell einen Sonderparteitag, und auch der
2. NR-Präsident Prinzhorn sprach sich in der Folge gegen den Aufschub
der Steuerreform und für den Sonderparteitag aus. Bis Dienstag
Nachmittag sind dann 350 Delegierten-Unterschriften für den
Sonderparteitag und für "Steuerreform für Abfangjäger" bei der
Bundesgeschäftsstelle abgegeben worden - weit mehr als für die
Beantragung erforderlich. Das Kräftemessen bei der Vorstandssitzung am
Dienstag dauerte dann die Marathondistanz von 12 nächtliche Stunden,
ohne dass ein Kompromiss gefunden werden konnte. Nach der Sitzung war
man so weit wie vorher: der Vorstand bekannte sich zur
Regierungsbeteiligung, im Streitpunkt Steuerreform gab es keine
Entscheidung, und Riess-Passer und ihre Stellvertreter Westenthaler,
Scheibner und Gorbach erklärten, ihre Ämter zur Disposition zu stellen,
sollten nicht genügend Stimmen (mindestens 131) für den – vorläufig mit
13. Oktober terminisierten - Sonderparteitag wieder zurückgezogen werden
und dieser tatsächlich stattfinden. NR-Präsident Prinzhorn machte
demonstrativ mit dem Stimmenrückzug gleich den Anfang
(derStandard-online 01.09.08 - 04.09.02).
Durch das Basisvotum gestärkt meldete sich nach 5 Tagen
höchst wirkungsvollen beredter Schweigen auch Jörg Haider wieder zu
Wort: ein Sonderparteitag zum Thema "Steuerreform statt Abfangjägern"
wäre – so der nun wieder ganz biedermännliche Brandstifter - nur der
"letzte Ausweg. … Wir sollten jetzt gemeinsam eine Lösung finden", und,
an die Adresse seiner RivalInnen, es wäre auch der falsche Weg, "mit
Drohungen zu agieren". Es läge ja ein Vorschlag auf dem Tisch, der von
ihm am Montag mit Kanzler Schüssel und BM Bartenstein ausgehandelt
worden sei (Was Schüssel allerdings postwendend dementiert hat; es habe
sich lediglich um ein Informationsgespräch gehandelt). Bei diesem
Vorschlag gehe es nicht allein um eine Steuerreform. "Es geht auch um
die Ankurbelung von Wirtschaft und Beschäftigung, es geht um die
Pensionsanpassung und auch um die Abfangjäger". Diesen Vorschlag, der
u.a. auch eine umfassende Steuerreform mit ersten Auswirkungen im Jahr
2003 beinhalte und zu dessen Finanzierung auch Rücklagen und Reserven
der Nationalbank (ein Lieblingsobjekt der Begierde J. Haiders) ins Auge
gefasst werden sollen, würde auch der Koalitionspartner ÖVP mittragen.
Die Koalitionspartner sollten eine gemeinsame Kommission einsetzen, dann
"… sollte es nicht schwer sein, innerhalb der FPÖ eine Lösung zu
finden". Er – gab er sich plötzlich flexibel - bestehe auch nicht auf
den Termin 2003 für die Steuerreform; wenn man sage, man könne eine
große Reform erst 2004/2005 umsetzen, dann sei das ein Programm, mit dem
man auch in die Wahl gehen könne. Er werde für Samstag den 7.9. alle
Delegierten nach Knittelfeld einladen, um Sie dort von diesem neuen Plan
und von der Hinfälligkeit eines Sonderparteitags für den Fall, dass auch
die Parteispitze diesen Plan akzeptiert, zu überzeugen
(derStandard-online 04.09.02, 05.09.02).
Die derart von ihrem Parteirivalen und angeblich auch
von ihrem Koalitionspartner Hintergangene gab an, "überhaupt nichts" von
einem Alternativ-Plan zur Steuerreform zu wissen. Auch sie plante ihren
nächsten Zug in der innerparteiliche Auseinandersetzung: Am Wochenende
sollte ein Treffen der blauen Regierungsmannschaft mit den neun
Landesobleuten stattfinden. Riess-Passer wollte dort - neben der Absage
des umstrittenen Sonderparteitages – weitere Bedingungen für den
Weiterverbleib an der Parteispitze stellen: So sollte öffentliche Kritik
an Partei oder Parteifreunden bei Sanktionen verboten werden. Weiters
hat sie ein erneutes klares Bekenntnis zu Regierungsbeteiligung und
Koalitionsvereinbarung einschließlich der EU-Osterweiterung gefordert -
diese dürfe nicht durch ein Veto blockiert werden. Zusätzlich sollten
die Landesparteien versprechen, allfälligen SPÖ-Anträgen für eine
Steuerreform 2003 in den diversen Landtagen nicht zuzustimmen. Letzter
Punkt des Riess-Forderungspakets war die eindeutige Abkehr von allen
kommunizierten Abspaltungsplänen blauer Landesparteien - gemeint ist
primär Kärnten (derStandard-0nline 05.09.02, News Networld 05.09.02).
In einer "Schlammschlacht hinter den Kulissen" wurden auf
beiden Seiten Killergerüchte über die jeweilige Gegenseite lanciert:
Haider habe seit seinem Rückzug als FPÖ-Parteiobmann als "einfaches
Parteimitglied" insgesamt mehr als 20 Millionen Schilling (über 1,5
Millionen Euro) an Spesen kassiert, und Riess-Passer wolle sich ein
Penthouse in Wien-Döbling um über 10 Mio Schilling (750.000.- Euro)
kaufen … (New-Networld 06.09.02). Nach
versöhnlichen Kreidetönen und beschwichtigenden Scheinverhandlungen mit
Riess-Passer im Vorfeld des Delegiertentreffens schaltete Haider dann in
Knittelfeld wieder auf Konfrontation: in seinem Beisein wurde das mit
der Vizekanzlerin ausgehandelte Papier von einem Funktionär coram
publico zerrissen und dem Regierungsteam von der "Basis" ultimativ eine
neue Agenda vorgegeben. Grundlage dafür war ein von Herbert Scheibner,
Mitglied des Regierungsteams und Stellvertreter Riess-Passers,
formulierter und von Haider als "zielführender" und "substanzieller" als
das Verhandlungsergebnis mit der Vizekanzlerin bezeichneter
"Kompromiss-Vorschlags" folgenden Inhalts (derStandard-online 07.09.02):
1. Eine Kommission soll die Möglichkeiten einer noch im Jahr 2003 in Kraft
tretenden Steuerreform prüfen und bis Ende dieses Jahres berichten. Über
die weitere Vorgangsweise hätte dann zu Beginn des nächsten Jahres ein
Parteitag zu befinden.
2. Dem Abfangjägerkauf wird unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die
Zahlungen erst nach Wirksamwerden der Steuerreform begonnen werden.
3. Eine FPÖ-interne Kommission soll die Frage der Benes-Dekrete und
Temelins und einer allfälligen Vetopolitik in dieser Frage behandeln.
4. Heider kehrt in den Koalitionsausschuss zurück.
5. Der Antrag auf den Sonderparteitag wird erst zurückgezogen, nachdem
Riess-Passer und das Regierungsteam diesem Vorschlag zugestimmt haben.
Die 400 Delegiertenstimmen dafür werden inzwischen von E. Stadler,
Volksanwalt, berüchtigter Feuerredner und Redelsführer der
Parteirebellion, als Faustpfand treuhändisch verwaltet.
Dieser "Kompromiss" steht in Widerspruch zu praktisch allen Forderungen,
die Riess-Passer für die Fortsetzung ihrer Regierungstätigkeit gestellt
hatte. Aufgestachelt vom informellen Leitwolf Jörg Haider und aufgehetzt
von Ewald "Dobermann" Stadler und unter mit Mitwirkung von Herbert
"Brutus" Scheibner hat die Delegiertenversammlung ihrer formellen
Führung den Kampf angesagt und dieses unter ihr Kuratel gestellt.
Noch am Abend dann Kapitulation und die Rücktritte aus allen Regierungs-
und Parteifunktionen von Riess-Passer, Grasser und Westenthaler, die
sich freilich noch im Moment ihres Sturzes in ungebrochener
ideologischer Verblendung zur "freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft"
bekannt haben. In den folgenden Tagen folgten noch Rücktritte weiterer
Spitzenpolitiker der FPÖ (Reichholds, Gorbach, Sichrovsky). Herbert
Scheibner führt interimistisch die Parteigeschäfte, noch im September
soll dann auf einem Parteitag die neue Führung gewählt werden
(derStandard-online 08.09.02). Eine Parteivorstandssitzung am 11.9. hat
Jörg Haider als Obmannkandidaten und Herbert Haupt als Spitzenkandidaten
für die Nationalratswahl nominiert. Haupt sollte also die nach
Riess-Passers Sturz vakante Rolle des freiheitlichen Politkommissars in
der Regierung antreten und –nach seinen eigenen Worten - "Übersetzter
und Erklärer der Haiderschen Ideen" sein (derStandard-online 11.09.02).
Haider selbst hat im nachhinein versucht, den Schein aufrechtzuerhalten,
dass die Versammlung in Knittelfeld eine Friedensversammlung zum Zweck
des Erhalts der Einheit der Partei und der Rettung der Koalition
gewesen, der Rücktritt der formellen Führungsspitze der FPÖ nicht als
inhaltlich begründet, sondern als bloße Folge persönlicher Eitelkeiten
anzusehen, und er selbst der eigentliche Verlierer sei, dem es nicht
gelungen ist, im Streit zu vermitteln (derStandard-online 09.09.02).
Doch die – laut Meinungsumfragen auf einen Stimmenanteil
von nur mehr 14 % halbierte – FPÖ kann nicht zur Ruhe: Die ganze Woche
nach dem Rücktritt der Parteispitze gab es Nachbeben in der Partei:
Selbstauflösung einzelner Ortsgruppen, Rücktritte von FunktionärInnen
und MandatarInnen, Parteiaustritte, Rücktrittsforderungen an die
Organisatoren der Rebellion Achaz und Stadler; ja es wurde sogar Kritik
an der Vorgehensweise von Jörg Haider laut, selbst in der Kärntner FPÖ.
Das wiederum wollte sich der Kandidat für das Amt des Parteiobmanns und
selbsternannte Sisyphus nicht bieten lassen und zog zu allgemeinen
Überraschung kurzerhand seine Kandidatur wieder zurück, nicht ohne
neuerdings kryptische Anschuldigungen gegen das FP-Regierungsteam zu
erheben und ihm indirekt Korruption und Verrat an die ÖVP zu
unterstellen: "Die bisherigen Regierungsmitglieder und die sie
umgebenden Lobbys und Interessensgruppen haben nun die Möglichkeit, ihre
Linie in der Gesamt-FPÖ durchzusetzen und einen für die ÖVP
maßgeschneiderten Koalitionspartner darzustellen" (derStandard-online
14.09.02). Er selbst erklärte am folgenden Tag seinen Rücktritt damit,
dass er und seine Familie wegen seiner Ablehnung des Abfangjäger-Kaufs
bedroht worden seien: "Ich muss der Gewalt weichen", so Haider in
Anspielung auf die Formulierung, die Schussnigg 1938 zur Erklärung
seines Rücktritts nach dem Anschluss Österreichs an NS-Deutschland
gebraucht hatte, "Auch in Österreich wird unwahrscheinlicher Druck
gemacht, um dieses Geschäft zu machen". Auch der Mord an Pim Fortuyn,
dem niederländischen Populisten, sei ja erfolgt, nachdem er sich gegen
ein Waffengeschäft ausgesprochen hätte (derStandard-online 16.09.02).
Diese Erklärung stieß freilich seitens der Behörden auf Verwunderung,
denn einerseits hat Haider selbst keine Anzeige erstattet, andererseits
passten seine Angaben nicht mit seinem Verhalten zusammen: Haider hat ja
gesagt, er sei am Freitagabend wegen seiner Haltung in der
Abfangjäger-Beschaffung in einem Lokal bedroht worden. Doch noch am
Samstag machte Haider aber in einer Aussendung deutlich, dass gewisse
Umstände hinter dem Abfangjäger-Deal aufklärungsbedürftig seien, um dann
am Montag zu behaupten, die Drohung vom Freitag sei der Grund für seine
Kapitulation gewesen (ORF-online 17.09.02).
Ob nun aus narzistischer Kränkung oder Terrorangst, aus Spekulation auf
einen Märtyrer-Effekt für sich oder um seinen Vorwurf des Lobbyismus an
die Regierungsfraktion Nachdruck zu verleihen, auch "Er" war nun doch
wieder weg, und die nunmehr ihrerseits führerlosen Rebellen und ihre
Partei vollends orientierungslos. Tatsächlich
forderte Böhmdorfer Tags darauf in der ORF-Pressestunde die
rücktrittsbereiten FP-Regierungsmitglieder und insbesondere Riess-Passer
auf, ihre Ämter und Funktionen in Partei und Regierung wieder
aufzunehmen. Riess-Passer hat allerdings umgehend abgewunken
(derStandard-onlined 15.09.02), und nachdem am 17.9 auch noch der
oberösterreichische Landesparteivorsitzende Achatz zurückgetreten war,
um "die Partei vor einer Zerreißprobe zu bewahren" und "der Rückkehr
Riess-Passers nicht im Wege zu stehen", wurde dann, ganz im Sinne des
Vermächtnisses Haiders, mit Verkehrsminister Helmut Reichhold doch
wiederum ein Mitglied der Regierungsfraktion vom Parteipräsidium zum
Obmannkandidaten gekürt – und damit fraktionspolitisch der status quo
ante, vor dem Machtkampf, wieder hergestellt (derStandard-online
17.09.02). Reichhold, der vor Annahme der Kür sowohl mit Riess-Passer
als auch mit der Kärntner Landespartei und Haider Rücksprache gehalten
hatte, setzt künftig auf Geschlossenheit in der Partei, wird sich ein
Vetorecht vorbehalten und kündigt "weitere Konsequenzen" an. So ist er
strikt dagegen, dass der niederösterreichische Funktionär Ewald Stadler
für den Nationalrat kandidiert (was dieser nach eigenen Angaben
allerdings auch nicht vor hatte; an seiner Stelle wird nun Barbara
Rosenkranz, verheiratet mit einem Rechtsextremen, Gastgeberin Stadlers
zu Sonnwend 2002 und Mutter von 10 Kindern, als Zweite der
niederösterreichischen FP-Liste in den Nationalrat einziehen!). Weitere
"starke" Ansagen des Obmannkandidaten: ohne "überzeugendes Votum" (80%)
am Parteitag am 21.9. würde er die Wahl nicht annehmen, und die
Forderungen der "Parteirebellen" würden nicht umgesetzt
(derStandard-online 18.09.02). Vor den Delegierten am Parteitag gab sich
Reichhold dann schon wieder demütiger, stellte fest: "Es gibt bei uns
keine Putschisten" und empfahl sich dann mit den Worten zur Wahl: "Ich
stehe hier, weil Jörg Haider entschieden hat, nicht zum Parteiobmann zu
kandidieren … Dieser Mann hat mich ausgewählt". Prompt wurde er mit über
92,2 % zum Obmann und Haupt (96,1%), Bleckmann (83,1%), Prinzhorn
(72,1%) und Walch (70,3%) zu seinen Stellvertretern gewählt. Nachfolger
Westenthalers als Klubobmann wurde übrigens Karl Schweitzer
(derStandard-online 21.09.02).
Damit scheinen die Weichen für ein Come-Back der
Regierungsfraktion in der FPÖ gestellt. Deren Erfolgsaussichten auf dem
Wählermarkt erscheinen allerdings begrenzt: Traditionelle WählerInnen
der FPÖ hat sie ja durch von ihr mitbeschlossenen unpopuläre Maßnahmen
(Sparpolitik, verschobene Steuerreform, Zustimmung zum Abfangjägerkauf)
"verraten", neuen WählerInnenschichten hat sie mangels einer echten
persönlichen und programmatischen Emanzipation von Haider wenig zu
bieten: Ihre bisherige Sprecherin Riess-Passer hat jedenfalls bisher
nahezu alle rechtsextreme Initiativen und Eskapaden des "einfachen
Parteimitglieds" – von der Fremden- und Asylpolitik bis zu den Angriffen
auf den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs – gedeckt und sich bis
zuletzt vorgenommen, das zu bleiben, was sie seit März 2000 war:
Statthalterin und willige Vollstreckerin Jörg Haiders, und noch nach
ihrem Sturz hat sie ihre "freiheitliche Gesinnung" betont. Bei ihrem
Nachfolger Reichhold scheint es sich nicht anders zu verhalten. Überdies
schwebt bis auf weiteres ständig das Damoklesschwert einer Intervention
Haiders sowie die Gefahr, dass dieser in der Waffenaffaire doch noch
"auspackt", über der Partei. Nach einem solchen Wechsel an der Spitze
wäre die FPÖ daher vermutlich so geschwächt, dass eine schwarz-blaue
Mehrheit nicht nochmals zustande käme. Nur eine wirklich veränderte,
programmatisch und personell "normalisierte" , liberalisierte Partei
hätte neue Chancen am Wählermarkt und käme auch für andere Parteien des
"Verfassungsbogens" prinzipiell als Koalitionspartner in Frage. Eine
"Wendekoalition" mit der ÖVP hätte aber wohl auch in diesem Falle keine
Mehrheit mehr.
So endete der Machtkampf in der FPÖ also vorerst mit
einem Unentschieden. Im Richtungsstreit zwischen den neoliberalen, den
rechtspopulistischen und den "(rechts-) radikalen Elementen" mit
"(rechts-) extremistischer Ausdrucksweise" (EU-Weisenbericht) haben
damit die letzteren die Oberhand behalten – die Knittelfelder
Delegierten-Beschlüsse sind ja nicht vom Tisch. Im Kampf um die Führung
hat sich die Regierungsfraktion behauptet: Sie hat die Spitze gehalten,
ein Redelsführer der Rebellion wurde bestraft (Achatz musste gehen), sie
ist jedoch durch den Lobbyismus-Vorwurf Haiders als korrupt und/oder
erpressbar gezeichnet, hat obendrein ihre wichtigsten
SpitzenexponentInnen verloren und wird nun von Personen repräsentiert,
die der Landesorganisation von Haiders Provinzkaiserreich Kärnten
(Reichhold, Haupt) angehören und/oder als vertraute Haiders gelten und
am "Rebellenaufstand" beteiligt waren (Bleckmann, Prinzhorn). Ungeachtet
seines neuerlichen Rückzugs hat Haider einmal mehr eindrucksvoll
bewiesen, dass er unabhängig von allen statutarischen Regelungen und von
allen formellen Führungsstrukturen in der Partei nach wie vor de facto
die Führungsposition und die maßgebliche "Richtlinienkompetenz" (A.
Mölzer) in der FPÖ besitzt, und die FPÖ hat nicht nur wieder inhaltlich
ihre wahre "Natur" zur Schau gestellt, sondern auch zu erkennen gegeben,
dass sie allen formal-demokratischen innerparteilichen Mechanismen zum
Trotz de facto eine autoritäre Führerpartei ist, mit der "kein Staat zu
machen" (E. Busek) ist. Es ist wieder ganz offenkundig geworden, wo sie
sich nach wie vor befindet: außerhalb des Verfassungsbogens.
Am 9.9.02, dem Tag nach dem Rücktritt des Kerns des
freiheitlichen Regierungsteams, folgte die Rückwirkung auf die
Wendekoalition. Kanzler Schüssel und die ÖVP zogen aus der unhaltbaren
Situation des Abgangs der loyalsten freiheitlichen Regierungsmitglieder
und der Infragestellung der Regierungsbeschlüsse zur Steuerreform und
der drohenden Blockade der Osterweiterung als des "Herzstücks" der
Koalitionsvereinbarung die Konsequenzen: Mangels "Vorhersehbarkeit und
Durchsetzbarkeit von Entscheidungen in der FPÖ" bleibe nur die Auflösung
der Koalition, die Auflösung des Nationalrats am 20. September und
Neuwahlen zum ehest möglichen Zeitpunkt, also am 24. November oder am 1.
Dezember (derStandard-online 09.09.02). Ein Versuch des freiheitlichen
Obmann-Kandidaten Reichhold, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dazu zu
bewegen, die vorgezogenen Neuwahlen wieder abzublasen, bleib ergebnislos
(derStandard-online 18.09.02). Das blau-schwarze Wendeprojekt war damit
gescheitert - nicht am Widerstand Europas, nicht an den 130
wöchentlichen "Donnerstagsdemonstrationen" und auch nicht an der
Opposition, sondern an seinen eigenen inneren Widersprüchen – an der
Arroganz der Macht und der Korruption der angeblichen
"Antiprivilegienpartei", an der Belastungspolitik der angeblichen
"Partei der kleinen Leute", an den unvereinbaren Standpunkten der
Koalitionspartner zur Frage der europäischen Integration – und an den
Reflexen dieser Widersprüche innerhalb der FPÖ in Gestalt des von Haider
in Regie genommenen Aufstands der Parteibasis gegen das Regierungsteam.
Im Hinblick auf die Zukunft bemerkenswert ist freilich
die nachträgliche Interpretation der Ereignisse sowie die
Zukunftsperspektiven der Hauptakteure: Westenthaler und Riess-Passer
etwa, eigenen Aussagen zufolge nach wie vor vom Herzen Freiheitliche,
sind offenbar weit entfernt von der Einsicht, dass das, was Ihnen
widerfahren ist, innere Konsequenz des Rechtsextremismus der
"Gesinnungsgemeinschaft" ist, zu der sie sich nach wie vor bekennen. Die
Unterwerfung Riess-Passers geht sogar so weit, dass sie bereit ist, in
Tirol als Wahlhelferin aufzutreten. Ebensowenig scheint Kanzler Schüssel
die reale Situation zur Kenntnis nehmen zu wollen: Er weigert sich, das
Scheitern der Projekte "Zähmung der FPÖ" einzugestehen. Er bildet sich
ein, dass für das Ende der Koalition nicht letztlich die
Europaunfähigkeit seines Partners, sondern lediglich formale Gründe –
dessen mangelnde Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit – verantwortlich
sind. Er blendet in seiner Erfolgsbilanz der Koalition die - wesentlich
auf freiheitliches Betreiben zurückgehende - nachhaltige
Beeinträchtigung der politischen Kultur (Verfall des Respekts und der
Toleranz für den Anderen und das Fremde, neue Salonfähigkeit des
Geschichtsrevisionismus), der Menschenrechte (restriktive
Fremdengesetze, Einschränkung des Asylrechts, Verweigerung von
Minderheitenrechten, Ausbau des Überwachungsstaats), des Rechtsstaats
(Attacken auf den Verfassungsgerichtshof, Schwächung der richterlichen
Gewalt im Strafprozess) sowie der gesellschaftlichen Selbstverwaltung
(Übergriffe auf Arbeitnehmervertretungen und Sozialpartnerschaft,
Abschaffung der kollegialen Selbstverwaltung der Universitäten) und der
Demokratie (Eingriffe in das Demonstrationsrecht) völlig aus. Ja
Schüssel kann sich sogar eine Neuauflage der Wendekoalition mit den
"Reformkräften" und "Patrioten, denen man vertrauen kann" in der FPÖ
vorstellen (derStandard-online 09.09.02).
Schüssel ist also mangels Tateinsicht ein potentieller Wiederholungstäter,
so zu sagen ein zweiter Sisyphus, gefangen im Wiederholungszwang, das
Unmögliche zu versuchen und daran zu scheitern. Er wird – mit tätiger
Unterstützung des bereits gewendeten ORF – alles unternehmen, um seine
selektive Interpretation der Lage in der Öffentlichkeit durchzusetzen.
Obwohl mächtige Landeshauptleute der FPÖ (Pröll, Pühringer) erklärt
haben, sich auf eine FPÖ unter Jörg Haider nicht mehr einzulassen
(derStandard-online 13.09.02), ist die Gefahr einer Wiederaufnahme des
blau-schwarzen Wendeprojekts trotz seines Scheiterns also nach wie vor
keineswegs gebannt!
8. Abschließender Befund und Ausblick
Die Analyse von Rhetorik und Kommunikationskultur, Parteiprogramm,
Interaktionsformen und Führungsstil, Mitgliederstruktur und
Außenbeziehungen der FPÖ sowie von Regierungsprogramm und –praxis von
FPÖ und blau-schwarzer Wenderegierung haben ergeben, dass
- die FPÖ eine ihrer äußeren Erscheinungsform und in ihrem Stil nach
scheinbar postmodern-beliebig-populistische, nach ihren ideologischen
Grundlagen und ihrer gesellschaftspolitischen Stoßrichtung sowie ihrem
Verhaltensstil jedoch nach wie vor ihrer Regierungsbeteiligung eine
tendenziell rechtsextreme Partei ist;
- sich auch in Regierungsprogramm und –praxis der blau-schwarzen Koalition
Momente des Ethno-Nationalismus und Rassismus, der Geringschätzung von
gesellschaftlicher und staatlicher Gewaltenteilung, des staatlichen
Übergriffs auf die Persönlichkeitssphäre, des Volksgemeinschaftsdenkens,
von verschwörungstheoretischen Feindbildern und Sündenbockprojektion
sowie des Revisionismus, also rechtsextreme Elemente (im Sinne der
Definition von Holzer 1994) finden, die längerfristig zu einer
schleichenden Aushöhlung von Menschenrechten und liberaler Demokratie in
Österreich führen könnten;
- die Gefahr besteht, dass eine zunehmend als "normal" akzeptierte
Regierungsbeteiligung der FPÖ auch auf europäischer Ebene problematische
Wirkung entfaltet: Die Aufhebung der "Sanktionen" wurde von der
Regierung und der FPÖ in höchst selektiver Wahrnehmung und aktiver
Uminterpretation als Persilschein ausgelegt, der es ihnen nun
ermöglicht, mit dem Siegel der "demokratischen Unbedenklichkeit" nicht
nur Österreich im Geiste der "Dritten Republik" zu verändern, sondern
auch die Entwicklung eines stärker integrierten europäischen
Bundesstaates von innen zu verhindern. Zudem ist nun der "cordon
sanitaire" gegen rechtsextreme Parteien auch in anderen Ländern Europas
nicht mehr so ohne weiteres aufrecht zu erhalten. Tatsächlich scheint
bereits eine rechtsextreme und rechtspopulistische Welle über Europa zu
rollen: Sieg von Forza Italia, Alleanza Nationale und Lega Nord bei den
Parlamentswahlen in Italien, Lokale Wahlerfolge des Vlaams Block in
Belgien, Sieg der Konservativen und Rechtsextremen bzw. -populisten bei
den Parlamentwahlen in Dänemark und Holland (Pim Fortuyn – ermordet vor
den Parlamentswahlen im Mai 2002), Lokale Erfolge von Rechtspopulisten
in Deutschland (Schill), Einzug Le Pens in die Stichwahl zur
französischen Präsidentschaft – Europa scheint nationalistisch zu
entgleisen.
Die unmittelbare Folgen dieser Entwicklung: zwischen der
sozialdemokratischen Regierung Schwedens und der rechts-konservativen
Regierung Dänemarks ist ein Streit um die Ausländerpolitik geplant. Die
dänische Rechtspopulistin Kjärsgaard droht im haideristischen Stile
damit, "… die Öresund-Brücke hochzuklappen, wenn die Schweden ihre
Städte zu Schmelztiegeln mit Clankriegen, Fememorden und
Massenvergewaltigungen in Beirut machen wollen", und die "Festung
Europa" ist im Begriff, noch dichter zu machen: Beim EU-Gipfel Ende Juni
2002 in Sevilla wurde auf Betreiben des spanischen Konservativen Aznar
und des britischen Neu-Sozialdemokraten Blair ein Paket gegen illegale
Einwanderung geschnürt, dass von einer Vereinheitlichung der Asylpolitik
über den Aufbau einer Datenbank mit den Fingerabdrücken aller
AsylwerberInnen ("Eurodac"), ein schärferes Vorgehen gegen "mafiose
Schlepperbanden", die Kooperation und Vernetzung der nationalen
Grenzschutzkräfte bis zur Androhung von Maßnahmen gegen Herkunfts- und
Transitländer, die bei der Verhinderung und Rückführung illegaler
GrenzgängerInnen "kooperationsunwillig" sind, reicht (derStandard-online
19.06.02, 22.6.02).
Soweit der unerfreuliche Befund. Die ProtagonistInnen der Wende sind
offenbar entschlossen, ihr Projekt trotz des Scheiterns und ungeachtet
der in diesem Beitrag dokumentierten problematischen politischen und
gesellschaftlichen Folgen des ersten Anlaufs fortzusetzen. Spätestens
seit den Wiener Wahlen im März 2001 kann man freilich hoffen, dass
fremdenfeindliche Hetze von den WählerInnen nicht mehr honoriert wird.
Die Fähigkeit des demokratischen Systems zur Selbstkontrolle scheint
also nach wie vor intakt. Nach dem (vorläufigen?) Scheitern der Wende in
Österreich im September 2002 scheinen der Rechtsextremismus und
Rechtspopulismus in Europa zudem auch international in eine Krise zu
geraten: die Liste Pim Fortuyn in Holland ebenso wie Alleanza Nazionale
und Lega Nord in Italien, die Partido Popular in Portugal oder die
rechtsextreme Partei Megrets in Frankreich (derStandard-online
03.10.02), und auch die holländische Mitte-Rechts-Regierung. ist nach
nur drei Monaten zusammengebrochen (derStandard-online 16.10.02).
Wahlkampf im Herbst 2002 und Koalitionsverhandlungen im Winter
2002/03
a) Die Vorbereitung auf den "Zahltag" – Der Wahlkampf von 9. September
bis 24. November 2003
Die Ausgangslage der
Wahlauseinandersetzung
Partei * |
ÖVP |
FPÖ |
SPÖ |
Grüne |
Ergebnis der
NRW 1999 |
27 |
27 |
33 |
7 |
Wahlziel |
SPÖ überholen (30 %
+), Wende mit Reformkräften der FP fortsetzen |
15 % + ,
Behaup-tung als Faktor der Regierungs-bildung |
40 %, schwarz-blau
verhindern |
15 % - FPÖ
einholen, schwarz-blau verhindern |
SpitzenkandidatIn |
Schüssel |
Reichhold;
ab 31.10.: Haupt |
Gusenbauer |
Van der Bellen |
Themen |
Fortsetzung des Wendeprojekts mit Kanzler Schüssel:
EU-Erweiterung,
Finanzpolitik ohne Schulden, effiziente Sicherheit, behutsame
Integration |
Sozialpolitik
(„1000 Euro Mindestlohn“), Steuerreform,
keine
Osterweiterung mit Benes-Dekreten und Temelin,
Zuwanderung |
Faire Chancen für
alle: Arbeit und Wirtschaft, Gesundheit
und Pensionen, Bildung; keine Abgangjäger |
Osterweiterung, Arbeit und Soziales,
Frauenpolitik, Umwelt, geistige Öffnung |
Koalitionspräferenz |
Schwarz-blau |
Schwarz-blau |
Rot-grün
(Rot-schwarz ) |
Rot-grün |
* neben den in dieser Übersicht berücksichtigten im
Parlament vertretenen Parteien werden noch folgende bundesweit antreten:
Liberales Forum (Neugegründete liberale Nachfolgepartei des 1999 aus dem
Nationalrat ausgeschiedenen LIF) und die KPÖ. Die Demokraten
(Neugegründete liberal-populistische Partei des Initiators des
Volksbegehrens gegen Abfangjäger vom August 2002) werden nur in Wien und
Vorarlberg antreten
Quelle: derStandard-online
In diesem Abschnitt wird der Wahlkampf nach dem (vorläufigen?) Ende des
Wendeprojekts dokumentiert, mit dem Schwerpunkt auf der Frage, ob und
wie das rechtsextreme Element der FPÖ, das ja mit der Rebellion von
Knittelfeld ein kräftiges Lebenszeichen gegeben hat, hier in Erscheinung
tritt. Die Berichterstattung stützt sich hier im wesentlichen auf
Berichte in APA OTS, derStandard-online und news-networld; nicht
Gegenstand dieser Beobachtung sind Printmedien, Rundfunkberichte,
private Fernsehberichterstattung und Wahlkampfveranstaltungen der
Parteien (sofern sich diese nicht in den oben genannten berücksichtigten
Quellen widerspiegeln), schon aus diesem Grund ist dieses Tagebuch
selektiv. Zudem spiegelt sich in der Auswahl der Ereignisse sowie in der
- zur Steigerung des Unterhaltungswerts gewählten – teils
sarkastisch-polemischen Ausdrucksweise die Subjektität des Verfassers.
Dieser Teil hat also einen eher impressionistischen als streng
wissenschaftlich-objektiven Charakter
Die Ausgangslage - Stimmenstärken, SpitzenkandidatInnen, Wahlziele,
Schwerpunktthemen und Koalitionspräferenzen der wahlwerbenden Gruppen –
ist obiger Übersicht zu entnehmen:
Nachstehend der Versuch, Verlauf und Ausgang der Wahlauseinandersetzung
abzuschätzen:
Koalitionsparteien: Hier ist zu erwarten, dass der Höhenflug der ÖVP
gestoppt und auch das Regierungslager insgesamt nicht weiter zulegen
wird. Die bürgerlich konservativen Teile der FPÖ sind bereits im Lauf
des September zur ÖVP abgewandert, sie wird daher von der FPÖ nicht
weiter gewinnen. Die FPÖ ihrerseits steht vor der Alternative,
Regierungsfähigkeit zu demonstrieren und auf niedrigem Niveau zu
stagnieren, oder durch rechts-populistische Mobilisierung Stimmen zu
gewinnen, damit aber in Kauf zu nehmen, als nicht regierungsfähig zu
erscheinen. Diesem strategischen Dilemma korrespondiert der unaufgelöste
Konflikt zwischen Rebellen- und Regierungsfraktion. Im Spannungsfeld
dieses Konflikts wird es ihr kaum gelingen, innere Konsolidierung und
Berechenbarkeit auszustrahlen. Damit wird aber auch Schüssels Strategie
für die ÖVP durchkreuzt, die ja auf die Fortsetzung der blau-schwarzen
Koalition mit einer "seriösen" FPÖ setzt: je heftiger die Turbulenzen in
der FPÖ und je mehr die Knittelfelder Rebellen die Oberhand gewinnen,
desto mehr läuft sie Gefahr, "liberale" WählerInnen an die ÖVP zu
verlieren. Davon kann die ÖVP profitieren, sie läuft aber zugleich –
solange sie auf schwarz-blau fixiert ist - Gefahr, bürgerliche und
christlich soziale WählerInnen wieder zu verlieren.
Auf der Seite der Oppositionsparteien hängt bei der SPÖ alles davon ab, ob
es der Partei und Gusenbauer gelingt, die Arenen des Wahlkampfs dazu zu
nutzen, um sich von den von den Regierungsparteien und den Medien
verbreiteten negativen Images - "Fundamentalopposition" bzw.
"Vernaderer", "Kühlschrank" und "Apparatschik" - zu befreien, sich als
personell und politisch geläuterte und erneuerte, konstruktive und
vertrauenswürdige Alternative zu profilieren – und damit die laut
Umfragen günstige Ausgangsposition zumindest zu halten. Die Grünen gehen
bereits mit einem relativ populären Spitzenkandidaten und relativ hoher
Zustimmung in den Wahlkampf und haben gute Chancen, diese Position zu
verteidigen. Unterm Strich: es besteht die realistische Chance, dass die
Wahlen das endgültige "Ende der Wende" bedeuten!
Die Heftigkeit der politischen Polarisierung und Auseinandersetzung
zwischen Regierung und Opposition in den letzten Jahren sowie die den
Neuwahlen vorangegangenen Konflikte zwischen den Koalitionsparteien
lassen einen besonders harten Wahlkampf erwarten. Zudem lässt die
Tatsache, das die "Ostererweiterung" im Allgemeinen und die
"Benes-Dekrete" im Besonderen - Themen, die ja im
deutsch-völkisch-nationalen Milieu eine rassistische und
revisionistische Ladung besitzen - ein zentrales Wahlkampfthema
darstellen, eine Eskalation des Wahlkampfs insbesondere von Seiten des
deutschnationalen Flügels der FPÖ befürchten. Diese Partei ist zwar
angesichts ihrer existenzbedrohlichen Krise im Augenblick hauptsächlich
mit sich selbst beschäftigt, gerade diese innere Krise könnte sie
freilich zur Flucht nach vorne in eine besonders aggressive
Wahlkampfführung treiben. Der Bundespräsident hat jedenfalls bereits
vorsorglich davor gewarnt, wichtige Sachthemen und v.a. die
EU-Erweiterung für Wahlkampfzwecke zu "missbrauchen". Österreich
brauche, so Klestil im Rückgriff auf die Formulierung, die er bereits im
Jahre 2000 gebraucht hatte, um vor der Bildung einer schwarz-blauen
Koalition zu warnen, "… so rasch wie möglich eine handlungsfähige,
berechenbare und stabile Regierung. Eine Regierung, die Ansehen im
Inland und Ausland genießt und die die großen Probleme seriös und
glaubhaft zu lösen imstande ist, die wir in Österreich und Europa zu
bewältigen haben". Und er fügte, wohl vornehmlich an die Adressen
Haiders und Schüssels gewendet, hinzu: "Politische Taktik ist gut und
schön und wahrscheinlich auch notwendig, aber sie ist kein Ersatz für
Anständigkeit, Geradlinigkeit, Berechenbarkeit und menschliche Würde"
(derStandard-online 16.09.02).
Nun aber zum eigentlichen Wahlkampfverlauf: Bereits die parlamentarischen
Bilanzen der Parteien über die vergangene Regierungspriode ließen die
Marschrichtungen der Parteien im bevorstehenden Wahlkampf erkennen:
Schüssel lobte alle einzelnen Regierungsmitglieder, die Festigkeit der
Wendekoalition gegenüber den "gegen Österreich gerichteten
EU-Sanktionen" und die Kernprojekte der Wende (v.a. Budgetsanierung,
Familienpolitik, Abfertigung neu, Universitätsreform und
Forschungspolitik), außenpolitische Initiativen wie die für einheitliche
europäische AKW-Sicherheitsstandards sowie Hochwasserhilfe und
Konjunkturpaket. Gusenbauer verwies auf Eckdaten aus Wirtschaft,
Beschäftigung und Budget, die sich seit Antritt der FPÖVP-Koalition
verschlechtert hätten und prangerte v.a. die die wachsende soziale
Ungleichheit, die Belastungspolitik der Regierung an. Reichhold
versuchte seine Partei als nach wie vor regierungsfähige Reformkraft
darzustellen. Bereits zuvor hatte er sich in einer Pressekonferenz -
sichtlich bemüht, Stabilisierung und staatstragende Verantwortung
auszustrahlen und so den weiteren Exodus der WählerInnen zur ÖVP zu
verhindern - zur Verschiebung der Steuerreform zu Gunsten der
Hochwasserhilfe, zur Beschaffung von Abfangjägern und zur Osterweiterung
"unter bestimmten Bedingungen" , aber auch zur Weiterverfolgung des
Ausländerthemas bekannt. Van der Bellen kritisierte die zögerliche
Europapolitik, die restriktive Fremdenpolitik, die Regierungsaktionen
zur politischen Umfärbung der Republik und die Duldung der Attacken
Haiders auf den OGH und der Stadlerschen Gleichsetzung der alliierten
Besatzung mit der NS-Herrschaft durch die ÖVP (derStandard-online
18.09.02, 19.09.02). Also keine Einsicht in die rechtsextremen Elemente
der Regierungspolitik und alle Anzeichen für eine ungebrochene
Fortsetzung des Wendeprojekts auf der einen Seite, und deutliche Kritik
daran und klare Hinweise auf die Absicht, neue Akzente in den Bereichen
soziale Gleichheit, Menschenrechte und Geschichtsbewusstsein zu setzen,
auf der anderen Seite!
Ebenfalls bereits zum Vorwahlkampf zu zählen (vgl. derStandard-online
19.09.02, 20.12.02):
- die Anträge von SPÖ und Grünen auf Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses zum Abfangjägerkauf und dessen Ablehnung mit
der Mehrheit der FPÖVP. "Korruption" und "Verschwendung" die Signale der
einen Seite und "über jeden Verdacht erhaben" und "Staatssicherheit" der
anderen;
- die Verabschiedung des Konjunkturbelebungspaket: "professionelles und
großzügiges Krisenmanagement" aus der Sicht der Regierung, "zu wenig"
und "zu spät" und obendrein ein "Mogelpaket" mit "Geschenken für das
Klientel von FPÖVP" (Unternehmer und rechte Recken), aus der Sicht der
Opposition;
- der Beschluss der vorzeitigen Auflösung des Nationalrats als
Voraussetzung für die Neuwahlen: Die Debatte darüber erlaubte den
Parteien – neben bekannten sachlichen Positionierungen – den Auftakt zur
persönlichen und politische Polemik:
Gusenbauer: "Machtpfründe" im Mittelpunkt, das Land steht schlechter da,
"soziale Kälte" wird von Schüssel in "machtpolitischer Arroganz"
verleugnet;
Schweitzer: Gusenbauer ist ein Vernaderer, Kühlschrank, Konzeptlos, und
die Grünen wollen Österreich zur Spielwiese von Drogensüchtigen und
illegalen Ausländern machen
Khol über Gusenbauer: Miesmacher mit Realitätsverlust und ohne
Zukunftsperspektiven; über van der Bellen: steht für Drogen, Abschaffung
von Witwenpensionen und Innenminister Pilz;
Glawischnig: Wende rückwärts zu autoritärem Staat,
Nulldefizitfetischismus, Entsolidarisierung, in der Minderheiten-,
Fremden- und Frauenpolitik hat unter den Augen des Schweigekanzlers
stattgefunden. Fortsetzung: TEIL 4
hagalil.com
17-11-03 |