antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 

Rechtsextrem oder postmodern?
Max Preglau's Regierungs- und Wahlkampf-Watch

Teil 4

Nachdem zuletzt auch die FPÖ die Frage des Parteivorsitzes und der SpitzenkandidatInnen auf ihrem Parteitag am 21.09. in Oberwart geklärt hatte, kam der eigentliche Wahlkampf in Schwung. Nachstehend ein "Wahlkampf-Tagebuch" mit den signifikantesten Ereignissen:

- Ganz im Sinne der zur Zeit der "Sanktionen" der EU-Staaten entwickelten irreführenden Gepflogenheit, die blau-schwarze Regierung mit Österreich zu identifizieren, hat die ÖVP am 14. 9. in allen größeren Tageszeitungen Österreichs ein Inserat mit rot-weiß-roter Umrandung mit einer "Information" des Bundeskanzler über die Neuwahlen geschalten, in der Schüssel versucht, seiner partikularen Leseart der Dinge unter missbräuchlicher Verwendung der Insignien der Republik einen offiziellen Anschein zu verleihen: Tenor der Parteipropaganda: die Regierung und natürlich v.a. die ÖVP-MinisterInnen haben Tolles geleistet, nun wollten aber Einige in der FPÖ "lieber wieder neue Schulden machen" und "die Wiedervereinigung Europas in Frage stellen". Die WählerInnen sollen nun entscheiden, "ob der Weg einer klugen und zukunftsorientierten Politik fortgesetzt werden kann" (derStandard-online 14.09.02).

- in zeitgleicher Parallelaktion mit der staatstragend-moderat inszenierten Wahlkampfauftaktpressekonferenz der Bundes-FPÖ präsentierte die Kärntner Landespartei am 23.9. gleichsam die rechts-populistische Version der freiheitlichen Wahlkampfthemen: Im Beisein von Jörg Haider betonte Strutz u.a., dass die Benes-Dekrete und die Avnoj-Beschlüsse außer Kraft gesetzt werden müssten, bevor man einem EU-Beitritt Tschechiens oder Sloweniens zustimmen werde – und erneuerte damit die Vetodrohung. Weiters kündigte er an, die Ausländerfrage wieder zum Kernthema machen: "Für uns gilt, Österreich zuerst, wir denken erst in zweiter Linie an die Ausländer". Und Haider selbst versicherte, dass die FPÖ die einzige "österreich-bewusste" Partei bleibe, die nicht nach internationalem Lob heische. "Wir legen uns auch mit der EU und den Mächtigen an, um die Interessen Österreichs zu schützen" (derStandard-online 23.09.02).
Mittlerweilen ist freilich auch Reichhold auf die Veto-Linie der hardliner eingeschwenkt: "Die Benes-Dekrete sind in der EU undenkbar, und die Frage des AKW Temelin ist für Österreich eine Lebensfrage" (derStandard-online 27.09.02).

- Am 24.9. legte die Kärntner FPÖ mit einer weiteren Provokation die Schwäche der Parteispitze bloß: Sie gab via Medien bekannt, es sei ihr Wunsch, dass Haider einer alten Tradition der Landespartei entsprechend am letzten Platz der freiheitlichen Landesliste kandidiere. Der erst bei einer Pressekonferenz von den Medien damit konfrontierte Reichhold beeilte sich zu beteuern, "… dass es nur einen Chef in der FPÖ gibt. Und das bin ich". Er sei gegen die Kandidatur, denn diese würde als Signal dafür aufgefasst, dass Haider wieder in die Bundespolitik zurückkehren wolle, und er werde Haider bitten, auf die Kandidatur zu verzichten. Haider seinerseits erklärte blauäugig, er habe nicht vor, für Unruhe zu sorgen, und müsse "auf überhaupt keiner Liste stehen". In der Folge teilten Reichholds Stellvertreter Bleckmann und Walch mit, keinen Einwand gegen die Kandidatur zu haben. Nach stundenlangen Beratungen in der Kärntner FPÖ am 29.9. wurde schließlich bekannt gegeben, dass die Kärntner FPÖ Haiders Verzicht auf die Kandidatur akzeptiere. Nachträglicher Kommentar des erleichterten Reichhold: er hätte auch eine Kandidatur Haiders akzeptiert, fände es aber "großartig, was der Jörg da gemacht hat" (derStandard-online 24.09.02, 29.09.09).

- In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten am 28.9. legte Kanzlerkandidat Schüssel seinen politischen Kompass offen: Er ortet die ÖVP "in der Mitte", als eine Partei, der "jeglicher Populismus fremd" ist. Sie stehe zwischen den Freiheitlichen ("deutlich rechts"), bei der "der rechte Populismus manchmal seine Blüten treibt", auf der einen und der SPÖ ("deutlich links"), die "einen starken linken Populismus entwickelt" habe, sowie den Grünen ("ziemlich links") auf der anderen Seite (derStandard-online 28.09.02). Für ihn sind also SPÖ und Grüne – fraglos zwei Parteien des Verfassungsbogens - gleichweit oder sogar weiter vom Zentrum entfernt als die FPÖ mit ihren rechtsextremen Elementen außerhalb des Verfassungsbogens. Schüssels Begriff der "Mitte" orientiert sich also offenkundig nicht am Mittelpunkt des Verfassungsbogens …

- Im Rahmen der verzerrten Koordinaten der politischen Geometrie seines Meisters nahm VP- Klubobmann Khol Anfang Oktober eine Standortbestimmung der Grünen vor. Nach dem Vorbild der extremen Rechten, alles, was nicht rechts ist, als "linksradikal" zu etikettieren , bezeichnete er diese als "radikalmarxistisch" und daher nicht koalitionsfähig, treten diese doch mit "extremistischen Forderungen" wie "Abschaffung der Witwenpension", "Steuererhöhung durch Ökosteuer" oder "Rauschgift an den Trafiken" und "ein arbeitsloses Einkommen für arbeitsunwillige Arbeitsfähige" auf (derStandard-online 03.10.02, 06.10.02).
Auch Rauch-Kallat ortete bei den Grünen "radikale Tendenzen". Als Beispiel führte die Generalsekretärin jener Partei, deren Obmann im Interesse des Koalitionsfriedens "… zu den antisemitischen Ausfällen Haiders gegen Muzikant und zu den unsäglichen Vergleichen Stadlers geschwiegen hat" (Van der Bellen), den Vorschlag der außenpolitischen Sprecherin der Grünen Lunacek an, die EU solle angesichts der Politik der Regierung Sharon ihr Handelsabkommen mit Israel aufkündigen, und Waren aus den besetzten Gebiete von der Steuerbegünstigung ausnehmen.
In Wirklichkeit richtet sich dieser Vorschlag freilich gar nicht gegen Juden als Volk oder gegen den Staat Israel, sondern gegen eine spezifische Politik der derzeitigen israelischen Regierung. Insofern ist er nicht antisemitisch, sondern bewegt sich durchaus im Rahmen des ethisch-politisch Vertretbaren (APA OTS 04.10.02, derStandard-online 08.10.02).

- Als Ende September/ Anfang Oktober bekannt wurde, dass in dem einschlägigen Gutachten von J. Frowein u.a. für das Europäische Parlament die Benes-Dekrete zwar als "abstoßend aus der Sicht der Menschenrechte", aber mit geltendem EU-Recht "nicht inkompatibel" bezeichnet wurden, war die deutschnational-revanchistische Rechte in der FPÖ empört. Reichhold versuchte das Gutachten mit dem Hinweis vom Tisch zu wischen, das hätten "nicht Historiker, sondern Politiker zu entscheiden". Die FPÖ beharre jedenfalls auf der Aufhebung der "menschenrechtswidrigen" Benes-Dekrete. Abgeordneter und Burschenschafter Graf sekundierte zwei Tage später: "die FPÖ wird es nicht zulassen, dass die Täter zu Opfern und die Opfer zu Tätern gemacht werden". Auch Klubchef Schweitzer sprach sich für ein Veto gegen den Beitritt Tschechiens und der Slowakei aus, falls die Benes-Dekrete nicht aufgehoben und keine Entschädigungszahlungen geleistet werden, und forderte, Tschechien und die Slowakei aus dem Beitrittspaket herauszulösen und einzeln über sie abzustimmen. Denn die anderen Beitrittswerber könnten ja nichts dafür, wenn zwei Staaten nicht bereit sein, die erforderlichen Standards zu erfüllen (derStandard-online 30.09.02, 02.10.02, APA-OTS 02.10.02).
Der stellvertretende Vorsitzende der Wiener FPÖ Strache ortete in dem Gutachten gar ".jenen Zynismus, der auch versucht die legalisierten Menschenrechtsverletzungen der Nachkriegs-Tschechoslowakei zu relativieren bzw. gegen andere Verbrechen aufzurechnen". Er stellte damit indirekt die Singularität der NAZI-Greueltaten in Abrede, die den Hintergrund und Anlass für die Vertreibung der Sudentendeutschen und die Zusammenhang damit begangenen Verbrechen bildeten und die Gutachter auf eine Stufe mit den Ausschwitz-Revisionisten (APA OTS 08.10.02)
Einen eher hinterlistigen Vorschlag zur Verhinderung der Osterweiterung steuerte FP-Bundesrat Gudenus bei: Die FPÖ sollte in irischen Tageszeitungen Inserate schalten, in denen die Bevölkerung ermuntert wird, bei der bevorstehenden Volksabstimmung bei ihrem Nein zu den Verträgen von Nizza zu bleiben. "Das wäre ein Hebel, die unleidigen Fragen Benes und Temelin vom Tisch zu bekommen" (derStandard-online 05.10.02).

- In der Diskussion um die Entlassung von "nicht aussichtsreichen" AsylwerberInnen aus der Bundesbetreuung in die Obdachlosigkeit mit dem Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes ab 1. Oktober mischte sich in die zahlreichen empörten Stimmen aus Hilfsorganisationen, Kirchen, Opposition, UNHCR und Amnestie International auch die schrille Stimme der FP-Abgeordneten Partik-Pablé: Strasser habe schon viel zu lange zugesehen und eine Beschleunigung des Asylverfahrens blockiert. Die derzeitigen Asylwerber seien fast zu neunzig Prozent Einwanderer, die das Asylverfahren zur Umgehung der Einwanderungsbestimmungen missbrauchen würden. Es müsse daher das wichtigste Anliegen Österreichs sein, eine Änderung der Genfer Konvention zu erreichen, um zwischen legalen und illegalen Flüchtlingen unterscheiden zu können. Die Genfer Konvention lasse eine derartige Unterscheidung derzeit nicht zu, weshalb alle Aufnahmeanträge dem aufwendigen Asylverfahren unterzogen werden müssten (APA OTS 01.10.02). Tags darauf erneuerte Haider in Kärnten seine in der Vergangenheit wiederholt erhobene Forderung nach "Eindämmung des Asylmissbrauchs" (umgehende Abschiebung nach Negativbescheid, Abschaffung der Berufungsmöglichkeiten beim VWGH) und teilte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit, dass Kärnten nicht für die Untätigkeit des Bundes aufkommen und seine "Asylzahlungen" einstellen wolle. Im Ton moderater, aber in der Sache auf derselben Linie die Wortspende von Reichhold: "Österreich muss seine Asylpolitik auf neue Beine stellen. Es muss gewährleistet sein, dass das unumstritten wichtige Recht auf Asyl nicht für Einwanderungszwecke missbraucht werden kann" (APA OTS 02.10.02).
Nachdem sich dann NGO-VertreterInnen mit hochrangigen BeamtenInnen des Innenministeriums bereits aus humanitären Gründen auf die Einrichtung von Notquartieren für die obdachlosen AsylwerberInnen geeinigt hatten, verweigerte Strasser dem Modell seine Zustimmung - mit dem Argument, dies würde bei den AsylwerberInnen "falsche Hoffnungen wecken". Ihm schweben vielmehr eine ausgebaute Rückkehrberatung sowie intensive Gespräche mit den östlichen Nachbarländern vor (DerStandard-online 01.10.02). Strasser nahm sogar indirekte Schuldzuweisungen an die Caritas vor: die Flüchtlinge würden von ihr "nicht optimal" beraten und sollten "mehr in Richtung Rückkehr selbst" und "weniger in Richtung Notlager" orientiert werden (derStandard-online 07.10.02).
Wohl kaum im Sinne christlich-sozial-liberaler ÖVP-WählerInnen, aber sicher zur Zufriedenheit National-Konservativer, die nach der Implosion der FPÖ zur ÖVP tendieren, hat sich dann auch Strasser das rechtsstaatlich bedenkliche freiheitliche Modell zu Eigen gemacht und sich für verkürzte Asylverfahren ausgesprochen, in denen binnen eines Tages ein negativer Bescheid ausgestellt wird, wenn "offensichtlich" keine Asylgründe vorliegen. Eine Möglichkeit der Berufung mit aufschiebender Wirkung soll es nicht mehr geben (derStandard-online 02.10.02). Laut EU-Kommission bewegen sich Strassers Pläne freilich "… im Rahmen dessen, was in der EU-Asylpolitik vorgesehen ist" (derStandard-online 03.10.02.).
Die in Folge von Strasser gestartete Rückführungsaktion auf "freiwilliger Basis" reichte für die FP freilich nicht, und Klubobmann Schweitzer griff zur üblichen freiheitlichen Methode der Gleichsetzung von AsylwerberInnen, illegalen Einwanderern und Kriminellen: Es gäbe in Österreich 400.000 bis 500.000 illegale Grenzgänger. Zudem nutze "… ein nicht unbeträchtlicher Teil der Asylwerber … seinen Status, um kriminellen Machenschaften nachzugehen". Überdies seien von den bei den jüngsten Drogenrazzien 83 verhafteten Drogenbossen 60 Asylwerber gewesen … Strassers Aktion sei "reinsten Populismus" in Wahlkampfzeiten. Da zu befürchten sei, "dass nach den Wahlen die lauwarme Linie des Zögerns fortgesetzt wird", wolle die FPÖ im Innenressort die Verantwortung übernehmen und "Politik im Interesse der Österreicher" machen (derStandard-online 04.10.02).
Darüber, was mit den wenig aussichtsreichen, aus der Bundesbetreuung entlassenen und interimistisch in Notquartieren untergebrachten AsylwerberInnen geschehen soll, konnten sich Hilfsorganisationen und Innenministerium in drei Gipfelgesprächen vorerst nicht einigen. Das Ministerium bzw. der Bund weigert sich, eine Notunterbringung über die Dauer einer Rückkehrberatung bzw. über eine Woche hinaus zu unterstützen. Heimkehr oder Obdachlosigkeit bleibt die ministeriell verordnete Alternative. Minister Strasser selbst hat übrigens eine Teilnahme an den Gipfelgesprächen ebenso abgelehnt wie die Teilnahem an der ORF-Diskussionssendung "Offen gesagt" am 13.Oktober – mangels Diskussionsbedarf, so scheint er es selbst zu sehen, aus Angst vor der Auseinandersetzung mit den NGOs einerseits und mit der politischen Konkurrenz andererseits, so vermutet die Opposition (derStandard-online 10.10.02, 13.10.02).
Nachdem keine Einigung mit den Hilfsorganisationen zu Stande gekommen war, will Innenminister Ernst Strasser (V) nun die Rückkehrberatung für Flüchtlinge mit dem privaten Dienstleistungsunternehmen "European Homecare" organisieren, um sie damit – wie er es sieht – zu "professionalisieren" oder doch nur, um sie – wie die Opposition befüchtet – von "lästigen menschenrechtlichen Fragen" zu entlasten (derStandard-online 16.10.02). Tatsächlich bietet "European Homecare" keine Rechtsberatung an. Die Hilfsorganisationen haben zudem darauf hingewiesen, dass mit der Beauftragung von "European Homecare" mit der Rückkehrberatung das Problem der Obdachlosigkeit in keiner Weise gelöst wird (APA OTS 17.10.02).
Natürlich kam keine der sich gegenseitig an Härte ständig überbietenden FPÖVP-AkteurInnen auf die Idee zu fragen, ob der "Asylmissbrauch" nicht mit den restriktiven Fremdengesetzen in Österreich zusammenhängt und nicht viel effizienter durch ein liberales Einwanderungsgesetz bekämpft werden könnte…

- Anfang Oktober hatte der Ökonomen des WIFO Markus Marterbauer in einem Zeitungsinterview festgestellt, der Konjuktureinbruch und die Arbeitsmarktproblem in Österreich seien primär der restriktiven Fiskalpolitik der Bundesregierung zu verdanken (derStandard-online 05.10.02). In der ORF-Pressestunde am 6.10. forderte daraufhin VP-Klubobmann Khol den Leiter des WIFO Helmut Kramer auf, seinen Mitarbeiter in die Schranken zu weisen. H. Kramer darauf nicht nur Marterbauer öffentlich widersprochen, sondern auch über ihn offenbar einen "Maulkorberlass" verhängt. Am 8. Oktober bedankte sich VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat jedenfalls bei ihm mit den Worten: "Die ÖVP begrüßt die Entscheidung von WIFO-Chef Helmut Kramer, dass der WIFO-Experte und SPÖ-Nationalratskandidat Markus Marterbauer keine weiteren fachlichen Expertisen mehr im Namen des WIFO erstellen darf" (APA OTS 08.10.02). Sicherlich kann man über das Ausmass der des Inlands- und Auslandsanteils an der Wirtschaftsflaute streiten, aber eine Inlandskomponente wurde auch von Kramer nicht geleugnet. Also schwarze Tage für die Freiheit der wissenschaftlichen Meinung …

- In einem Zeitungsinterview unternahm VP-Außenministerin Benita Ferrero-Waldner den Versuch, die für viele ÖstereicherInnen unangenehmen Erinnerungen an die Zeit der Massnahmen der EU-Staaten gegen Österreich wachzurufen und den Wiener SP-Spitzenkandidaten und Spitzendiplomaten Wolfgang Petritsch in die chauvenistische Kategorie der sogenannten "Österreich-Vernaderer" einzureihen: er sei in Sachen EU-Sanktionen "erstaunlich ruhig" gewesen und habe eine diesbezügliche Weisung des Außenamtes nicht befolgt habe. Petritsch konterte damit, dass er eine Weisung von Ferrero-Waldner gar nicht annehmen hätte können, weil er damals nicht als österreichischer Beamter sondern als Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina im Einsatz gewesen sei. Im Übrigen hätte er sehr wohl für die österreichische Seite Partei ergriffen. Allerdings: "Im Unterschied zur Frau Außenministerin habe ich differenziert, indem ich Herrn Haider nicht verteidigt habe, der sich selbst und die FPÖ aus jeder europäischen Option herausgenommen hat" (derStandard-online 09.10.02). Tags darauf setze VP-Generalsekretärin nach: Im Jahr 2000 sei es für alle überzeugten Österreicher selbstverständlich gewesen, "dass sie unser Land gegen ungerechtfertigte Angriffe verteidigen. Sich hinter einer Funktion zu verstecken und darauf hinzuweisen, dass es für Wolfgang Petritsch keine Weisung gegeben habe, ist wohl eine matte Ausrede!". Anscheinend – fügte Sie im Rückgriff auf das alte nationalistische Klischee von den "Sozis als vaterlandslosen Gesellen" hinzu - fehle vielen Sozialisten generell eine entsprechende Einstellung zu ihrem Land, und war sich auch nicht zu schade, in einer Anleihe an die Kampfrhetorik Peter Westenthalers auf die Geschichte "mit dem französischen Premierminister Lionel Jospin champagnisierenden" Alfred Gusenbauer aufzuwärmen (APA OTS 10.10.02).

- In bemerkenswertem Gleichklang mit Rauch-Kallat und Khol ortete in der ersten Oktoberhälfte auch Karl Schweitzer, Klubobmann der selbst keineswegs über jeden Extremismusverdacht erhabenen FPÖ, Extremismus bei den Grünen. So verlangte er nach der Forderung der aussenpolitischen Sprecherin der Grünen Ulrike Lunacek, das Handelsabkommen der EU mit Israel zu revidieren, deren Rücktritt Lunaceks mit der Begündung, dass "für Extremisten egal welcher Couleur kein Platz im österreichischen Parlament" sei. Sein Resume über die Grünen insgesamt: "Unter dem großväterlichen Bart des Professors verbirgt sich das Antlitz des Extremismus", beinhalte das Wahlprogramm der Grünen doch "… Antisemitismus mit linken Vorzeichen, Drogenfreigabe, Unterstützung gewalttätiger Demonstrationen, schrankenlose Zuwanderung, EU-Erweiterung ohne Rücksicht auf Verluste und nun der Versuch, wieder auf internationale Diffamierung zu setzen (gemeint war Voggenhubers neuerlich Kritik an der Beteiligung der "rechtsextremen" FPÖ an der Regierung, M.P.). Wem jetzt noch nicht klar ist, was Österreich im Falle einer rotgrünen Regierung blüht, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen." (APO OTS 09.10.02, 10.10.02).

- Wahlkampfauftakt der Kärntner FPÖ in Villach am 10.Oktober: Anwesend u.a. Haupt, Prinzhorn und Bleckman (alle dem Haider-Lager zuzurechnen), Haider, Schweitzer und Reichhold. Lange Reden von Haupt ("Wir wollen 20 %", "Die Sozialkompetenz liegt bei den Freiheitlichen", "Wir werden stark genug sein um Rot-Grün zu verhindern") und Haider ("Schüssel ist der Koalitionsbrecher und soll sehen, dass er ohne die Freiheitlichen nicht Kanzler bleiben kann"), Reichhold kommt – als adäquater Ausdruck dafür, wer in der FPÖ das Sagen hat - nicht zu Wort (derStandard-online 10.10.02).

- Zum Wahlkampfstart der Kärntner SPÖ meldete sich der Obmann der Landeshauptmann-Haider-Partei Strutz mit markigen Sprüchen zu Wort, die an national-chauvenistischem, rassistischen Gehalt und Rechtsstaatsverachtung kaum zu überbieten sind: mit Trunk, Muttonen und dem Slowenen Petritsch stünden "… Nationalratskandidaten zur Wahl, die Kärnten nicht gerade wohl gesonnen sind. Muttonen, die die vierte Strophe des Kärntner Landesliedes abschaffen möchte, der Slowene Petritsch, für den zusätzliche zweisprachige Ortstafeln in Kärnten kein Problem darstellen und die für ihre extrem linke Kulturpolitik bekannte Melitta Trunk haben eines gemeinsam, dass sie nämlich durch ihre extrem Kärnten-feindliche Haltung für jeden Kärntner und jede Kärntnerin, denen unser Bundesland am Herz liegt, unwählbar sind" (APA OTS 12.10.02).

- Aufsehen bei der im ORF life übertragenen Nestroy-Preis-Verleihung am 12. Oktober: In seiner Laudatio für Claus Peymann hat André Heller im Sinne einer "postmodernen" ironischen Grenzüberschreitung in Form einer Märchenerzählung auf die politische Lage in Österreich angespielt und anderem gesagt:
"Nehmen wir an, lieber Claus Peymann, es gäbe einen Parteiobmann, der vor den Wahlen verkündet, man solle ihn wählen, um eine rechtsextreme Dilettantentruppe zu verhindern, aber wenn er bei den Wahlen Dritter würde, verspräche er, sich nicht an der Regierung zu beteiligen, und nehmen wir an, derjenige würde dann Dritter und bräche sein Wahlkampfdoppelversprechen und würde sich durch und mit Figuren zum Kanzler erheben, die Hitlers Beschäftigungspolitik als erstklassig fänden und die österreichische Nation eine Missgeburt und die alten SS-Kameraden als die wahren Anständigen im Lande preisen und Churchill mit Stalin gleichsetzen, und die, in der Öffentlichkeit, mit Wohlwollen des Justizministers forderten, man solle die Opposition für allzu kritische Äußerungen einsperren dürfen, bespitzelt habe man sie ohnehin schon, und Privilegienabbau müsse man mit Lichtgestalten, wie Reinhart Gaugg betreiben und geistige Aufforstung mit Schmissvisagen wie Mölzer und Stadler. …
Und dieser Kanzler, der Österreich die größte Beschädigung im internationalen Ansehen in der Geschichte der Zweiten Republik beschert hätte, würde also, in unserem Märchen, mit seiner Idee vom Regieren, Konkurs - oder schlimmer noch: fahrlässige Krida machen, und nun verhielte er sich in die Kameras lächelnd, als hätte dieses Debakel nicht er zu verantworten, sondern er wäre gewissermaßen die einzige Rettung vor sich selbst. Aus seinem Unsinn der Vergangenheit und Gegenwart käme der einzig achtbare Sinn für die Zukunft, und er wolle dementsprechend seinen zynischen Egotrip fortsetzen und plakatiert folgerichtig im Wahlkampf: "Schüssel - wer, wenn nicht er". Lieber Claus Peymann, liebe Zuhörer: welch ein Stoff. Sie müssten ihn inszenieren, und Franz Morak müsste den Kanzler spielen. Er hatte ja genügend Zeit, das Original unter der Lupe zu beobachten ...".
Gala-Moderatorin Andrea Eckert hatte anschließend darum gebeten, dass die bevorstehende Wahl " nicht wieder in einer Schmierenkomödie endet". Wer Kunst nicht ins politische Niemandsland verbannen und in wer Schwarz-Blau nicht für eine "normale" Regierung hält, wird diese Aktion nicht als bloß parteipolitisch motiviert ansehen und Verständnis für sie aufbringen.
Andern Tags, auf Grund eines antiquierten Verständnisses von Kunst als etwas dem Alltag Enthobenen und aus politisch-ideologischen Gründen, Empörung bei der ÖVP: Elisabeth Gehrer protestiert heftig: "Wir verwahren uns gegen diesen Missbrauch eines Kulturpreises und des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu parteipolitischen Zwecken", und schlägt mit einer subtilen Version des wehleidig-chauvenistischen Vorwurfs der "Österreich-Vernaderungs" zurück: Was Andrè Heller und Andrea Eckert gesagt hätten, "erinnert fatal an die Zeit der Sanktionen. Es sind dieselben Personen, es sind dieselben Handlungsmuster, es ist die gleiche menschenverachtende Sprache und es ist das Aufreißen von Gräben".
Auch der ORF "… distanziert sich von den kritisierten Äußerungen und bedauert, dass eine Kulturveranstaltung zur Bühne politischer Agitation wurde". Er werde in Hinkunft "… nach Mitteln und Wegen suchen, Derartiges hintan zu halten, insbesondere darauf achten, dass die Moderation nicht die durch das Objektivitäts- und Pluralitätsgebot gesetzten Grenzen überschreitet". Stellt sich die Frage, wie dies geschehen soll: will der ORF in Zukunft die KünstlerInnen und Moderatoren einem Gesinnungstest unterwerfen oder sich deren Texte zur Genehmigung vorlegen zu lassen … ?
Letzter Akt in dieser Tragikkomödie: Peymann legte den Nestroy-Preis zurück. Er wolle "unter dem Eindruck des unwürdigen Schauspiels und provinziellen Gezeters, das um die Preisverleihung an mich ausgebrochen ist", fürderhin "in dieser Stadt und in diesem Land nichts mehr entgegennehmen und von niemandem geehrt werden" (APA OTS 14.10.02, derStandard-online 15.10.02).

- Zum von ÖVP und FPÖ erhobenen Vorwurf eines angeblichen "Extremismus" und "Antisemitismus" bei den Grünen hat am 15. Oktober die Israelitische Kultusgemeinde Stellung bezogen und klargestellt, dass man "Fehlleistungen einzelner grüner Politiker nicht überbewerten" sollte. Die Kultusgemeinde verwies gleichzeitig auf inakzeptable Aussagen von SPÖ-Politikern wie Karl Blecha, Johann Hatzl oder Hannes Swoboda, "denen nur zaghaft und ohne weitere Konsequenzen widersprochen" worden sei. Die ÖVP und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hätten "zu den meisten" Auseinandersetzungen geschwiegen. Und die FPÖ unterstütze Saddam Hussein und Muammar al Gaddafi, die "nach wie vor öffentlich die Vernichtung Israels propagieren". Die IKG erinnert auch daran, dass der "Knittelfelder Kreis in der FPÖ" im wesentlichen von Politikern gebildet wurde, die "rechtsextremes Gedankengut propagieren". Und wenn Bundeskanzler Schüssel und ÖVP-Klubobmann Andreas "Khol öffentlich erklärten, mit dieser Partei eine Koalition eingehen zu wollen, ist dies eben eine Koalition mit einer amorphen Masse von mehr oder weniger unzufriedenen Rechtsextremen, deren rechtsextremes Gedankengut nicht verschwiegen werden kann" (derStandard-online 15.10.02).

- Wie erinnerlich hat die FPÖ alles daran gesetzt, sich im laufenden Wahlkampf regierungsfähig und handzahm zu geben und den Anschein zu erwecken, Haider und seine Knittelfelder Rebellen seien für die Politik der Bundespartei nicht mehr maßgeblich. Und genau darauf hat auch die ÖVP ihre Strategie, die schwarz-blaue Wendekoalition zu erneuern, aufgebaut. Ein Blick auf die mittlerweilen vorliegenden Listen der FP-NationalratskandidatInnen zeigt jedoch, dass in Wirklichkeit "… eine Unterschrift unter das Knittelfelder Manifest … fast eine Garantie auf einen sicheren Listenplatz (ist). Aus der Steiermark drängen die Rebellen Magda Bleckmann und Mares Rossmann nach Wien, aus Niederösterreich Barbara Rosenkranz, in Wien rangieren fünf Putschisten auf den vorderen acht Listenplätzen, Thomas Prinzhorn als neuer Parteivize nicht zu vergessen" (E. Linsinger in derStandard-online 15.10.02).

- Andreas Khol, ÖVP, am 15.Oktober im ORF-Magazin Report als Reaktion (als Antwort kann man das mangels inhaltlichem Bezug nicht bezeichnen!) auf den Vorwurf Glawischnigs, die ÖVP habe inhaltlich einen "Rechtskurs" gefahren, und Schüssel habe zu den Angriffen der FPÖ auf die Institutionen des Rechtsstaats geschwiegen: die Grünen seien in Wahrheit eine "Melonen-Partei - außen grün und innen rot". Wem das bekannt vorkommt, der oder die hat recht: eine Leihphrase aus dem Kampfrhetorik-Arsenal Jörg Haiders (vgl. S. 8 dieses Texts).

- Gewissermaßen indirekte öffentliche "Sondierungsgespräche" zwischen Schwarz und Blau über die Neuauflage der Wendekoalition am 17. /18. Oktober: Wirtschaftskammerpräsident Leitl verlangt in einem Interview eine "Garantieerklärung" von der neuen FPÖ-Führung, dass sich Vorkommnisse wie jene in Knittelfeld nicht wiederholen: "Die FPÖ muss uns eine Garantie abgeben, dass die Putschisten von Knittelfeld nicht an die Macht kommen. Wie eine solche Garantie ausschauen kann, werden wir klären müssen, aber da muss sich vor allem die FPÖ etwas überlegen …" (derStandard-online 17.10.02).
Postwendend die Antwort des Kärntner FPÖ-Vorsitzenden Martin Strutz: Die Freiheitlichen müssen überhaupt nichts garantieren, im Gegenteil, müsse die ÖVP klar machen, dass sie ein verlässlicher Partner für die Fortsetzung von Reformen, einer Steuersenkung und restriktive Ausländerpolitik sei. "Die Freiheitlichen werden nicht einen willfährigen Koalitionspartner abgeben, sondern stehen sowohl personell als auch inhaltlich für Reformen, einem EU-kritischen Kurs, der bedeutet, dass wir nicht wie die ÖVP ohne Wenn und Aber der EU-Osterweiterung zustimmen, und eine restriktive Vorgangsweise in der Ausländerfrage …" (APA OTS 18.10.02). Diese entschlossene Bekräftigung der Europa- und Fremdenfeindlichkeit der FPÖ wird Leitl wohl kaum beruhigt haben.
Wenn ihm die ideologischen Hintergründe dieser Haltung nicht schon aus dem völkisch orientierten Parteiprogramm der FPÖ (s. oben S. 11ff.) bekannt sind, könnte sich Leitl darüber bei der von den Linzer Freiheitlichen geplanten Veranstaltung "EU-Osterweiterung auch mit Vertreiberstaaten. Welche Partei vertritt die Forderungen der sudetendeutschen Genozid-Opfer" mit einem prominenten rechtsextremen deutschen Referenten informieren. Und er könnte die Einladung des "Kärntner Abwehrkämpferbundes" (KAB) zur "10. Oktober-Feier 2002" zu Rate ziehen, in der in rassistischer Weise die "Zuwanderung artfremder fremdrassiger Menschen" beklagt wird, deren "erbmäßig festgelegtes Anderssein" es bedinge, dass sie "nie und nimmer in das Wirtsvolk passen". Das DÖW hat diesbezüglich bereits eine Anzeige wegen Wiederbetätigung eingebracht. (derStandard-online 18.10.02).

- Am 21. Oktober – einen Tag nachdem in Irland in einem Referendum 62,9 % den EU-Vertrag von Nizza zugestimmt und damit das letzte formale Hindernis für die EU-Erweiterung beseitigt wurden, und einen Tag vor der Hauptausschusssitzung des Parlaments vor dem bevorstehenden EU-Erweiterungsgipfel – haben Reichhold und Schweitzer (FPÖ) abermals eine kompakte Probe ihrer Europafeindlichkeit abgeliefert. Mit den Benes-Dekreten und ohne Nullvariante für Temelin sei der EU-Beitritt Tschechiens "in Frage gestellt", die im "Fortschrittsbericht" der EU-Kommission festgestellt Mängel der Beitrittsländer müssten "noch vor einem Beitritt beseitigt" werden, der Transitvertrag müsse verlängert werden, der Stabilitätspakt dürfe nicht gelockert werden, und die Nettozahlungen Österreich an die EU müssten auf dem derzeitigen Niveau von 1,1 % des BIP stabilisiert werden – auf diese ultimativen Forderungskatalog sollen Außenministerin und Kanzler per Parlamentsbeschluss festgelegt werden.
Vehemente Ablehnung bei Grünen und SPÖ, die ÖVP beeilte sich indessen, ihr "Österreichbewusstsein" zu unterstreichen: Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat betonte, "die ÖVP ist die Partei, die die Interessen Österreichs in Europa konsequent und erfolgreich vertritt". Die Vertretung der Interessen Österreichs zeige sich etwa bei der Überwindung der EU-Sanktionen, der Aushandlung einer der Übergangsfrist für den Arbeitsmarkt und der "Durchsetzung von völkerrechtlich verbindlichen Sicherheitsauflagen bei Temelin". Dass der Stabilitätspakt eingehalten werden müsse, habe Schüssel "gerade erst unmissverständlich klargestellt". Die ÖVP sei auch nie "ohne Wenn und Aber" für die EU-Erweiterung eingetreten, so Rauch-Kallat weiter. Es gebe Risiken und Probleme, und die ÖVP sei die einzige Partei, die dafür konkrete Lösungen erarbeiten und durchsetzen kann (derStandard-online 21.10.02). Bei der Sitzung des Hauptausschusses am 22. Oktober verwies Klubobmann Khol dann bezüglich der Transitproblematik und der Sicherheit von Kernkraftwerken auf diesbezügliche laufende Verhandlungen mit der EU bzw. Tschechien. In der "bilateralen Frage" der Benes Dekrete gab sich Khol dann – offenbar um Annäherung an den designierten koalitionspartner FPÖ bemüht - in der Sache relativ hart: "Wir erwarten uns, dass die Benes-Dekrete zu totem Unrecht erklärt werden, die Amnestiegesetze als menschenrechtswidrig qualifiziert werden und analog zu der Zwangsarbeiterentschädigung in Österreich eine Möglichkeit zur Wiedergutmachung gefunden wird". Die von der FPÖ geforderte verbindliche Stellungnahme hat jedoch auch von der ÖVP keine Zustimmung erhalten (APA OTS 22.10.02, derStandard-online 22.10.02)

- Präsentation der MigrantInnen-KandidatInnen und des Integrations-Programms der SPÖ am 22. Oktober: Der dort vorgebrachte Kritik an der repressiven Fremdenpolitik der Regierung und den dort entwickelten Perspektiven einer aktiven Integrationspolitik ("geregelte, sozial abgesicherte Zuwanderung …, umfassende, über den reinen Spracherwerb der deutschen Sprache hinausreichende Integrationsangebote …, kommunales Wahlrecht für Migranten …, Mitbestimmung am Arbeitplatz, in der Arbeiterkammer und im Bereich der Österreichischen Hochschülerschaft") begegnet VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat mittels Orwell’scher "New Speak", die die Wirklichkeit ins Gegenteil verkehrt: Sie antwortet nicht etwas mit dem durchaus berechtigten Hinweis auf die Versäumnisse früherer sozialdemokratischer Integrationspolitik, sondern mit den bemerkenswerten Sätzen: "Die SPÖ tut so, als würde sie Politik für MigrantInnen machen, aber in der Praxis macht sie genau das Gegenteil: Wer die laufenden Sprachkurse infrage stellt, handelt gegen die Interessen von Zuwanderern, die diese Maßnahme der Bundesregierung großteils begrüßen". Sie unterstellt damit einfach die Güte des von der Wendekoalition einseitig dekretierten Integrationsvertrags sowie die Zustimmung der ihm unterworfenen Migrantinnen, und unterschlägt dabei, dass dieser in Wirklichkeit höchst umstritten war und von MigrantInnenorganisationen abgelehnt wurde. Auf Basis dieser Fiktion deutet sie dann berechtigte Kritik am Integrationsvertrag in Schädigung von MigrantInneninteresse um.
Für FP-Sicherheitssprecherin Partik-Pable werden mit der Integrationsoffensive der SPÖ "Willkommenspakete" geschnürt; allein die Ankündigung, bei der Familienzusammenführung offener zu werden, garantiere "eine sofortige Mehreinwanderung von 15.000 bis 20.000 Ausländern" (APA OTS 22.10.02).

- Asyldebatte österreichischer EuropaparlamentarierInnen für den inländischen Wahlkampfgebrauch vor dem Hintergrund des heimischen Asylstreits: Pirker, ÖVP, mokiert sich über die in einer auf Antrag von SozialdemokratInnen, Grünen und Liberalen im Europaparlament angenommenen Asyl-Empfehlung enthaltenen "utopischen Forderungen": "Der Flüchtlingsbegriff wird … unzulässigerweise ausgedehnt. Nicht nur bei tatsächlicher Verfolgung, sondern schon bei bloßer Befürchtung soll der Flüchtlingsbegriff greifen. Darüber hinaus soll er auch bei nichtstaatlicher Verfolgung, wirtschaftlicher Not oder auch bei sexueller Orientierung gelten. … Die Familienzusammenführung soll weit über die Kernfamilie hinausgehen und auch nahezu alle weiteren Familienmitglieder umfassen. Kriegsflüchtlinge sollen … das temporäre Aufenthaltsrecht im Aufnahmeland für mindestens fünf Jahre erhalten. Außerdem soll der Aufenthalt danach automatisch verlängert werden und sogar für alle Familienangehörigen gelten". Damit provoziere und fördere Rot-Grün "die Möglichkeit von Asylmissbrauch und Asylshopping".
Berger, SPÖ, kritisierte dagegen ihrerseits die Haltung der Konservativen: Flüchtlinge, wie etwa jene, die aus Anlass des Krieges aus Bosnien geflohen sind, sollten "überhaupt nicht von der Richtlinie erfasst werden". Weiters sollten "ethnische Abstammung, Geschlecht und sexuelle Orientierung … keine Asylgründe darstellen", und Familienangehörige "äußerst eng definiert und nur geschützt werden, wenn sie eigene Asylanträge stellen". Ferner sollte "die Verweigerung der Teilnahme an Militäraktionen, die von der internationalen Gemeinschaft verurteilt wurden, … nicht als Asylgrund gelten", und schließlich sollte selbst anerkannten Asylwerbern der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht unverzüglich gewährt werden (APA-OTS 22.10.02).
Ein Dissens also über eine restriktive vs. eine extensive Interpretation des Asylrechts. Wer hätte vor zweieinhalb Jahren geahnt, dass die angebliche "christlich soziale Partei der Mitte" sich so stark für die restriktive Leseart engagiert?

- Die Erinnerung an die Maßnahmen der EU-Staaten bei Regierungsantritt der FPÖVP-Koalition wird von der ÖVP nicht nur negativ – zur Diffamierung von SPÖ und Grünen als "Vernaderer" und "Champagnisierer im Feindesland"- instrumentalisiert, sondern auch positiv – zur Heroisierung der Politikerin, die die ersten Monate ihrer Tätigkeit vornehmlich damit zubringen musste, gegen diese Maßnahmen anzukämpfen, zur Beschwörung der homogenen österreichischen "Volksgemeinschaft" und zur Verkehrung des dramatischen Reputationsverlusts Österreichs in sein Gegenteil. Schüssel am 23. Oktober über die VP-Außenministerin: "Der wirkliche Test kommt in der Krise. Und Benita Ferrero-Waldner hat sich als krisenfest erwiesen". Sie habe sich in dieser schwierigen Zeit nicht für eine Partei, sondern für das ganze Land und alle Österreicherinnen und Österreicher eingesetzt: "Mit unglaublicher Geschicklichkeit und einer Mischung aus Charme und Härte hat sie Österreich eine Reputation und einen Respekt erobert, die wir früher nicht gehabt haben" (APA OTS 23.10.02).

- Die Lernfähigkeit der ÖVP in Sachen der von der FPÖ in die Politik eingeführten Kampfrhetorik ist überhaupt ein auffälliges Moment des gegenwärtigen Wahlkampfs. Zwei weitere Beispiele: Als Van der Bellen beim Grazer Wahlkampfauftakt am 21 Oktober in Anspielung auf die Vergesslichkeit Schüssels bezüglich seiner Aussage im Wahlkampf 1999, als Dritter der Wahl in Opposition zu gehen, meinte, Schüssel habe "Alois Alzheimer zum Schutzpatron der österreichischen Innenpolitik erklären" wollen, reagierten dieser und die ÖVP in bewusster Ignoranz der eigentlichen Botschaft dieser Aussage mit gespielter Empörung über die angebliche Beleidigung der zahlreichen Alzheimer-Kranken: Schüssel erklärte, er habe sich über die Formulierung zu einem Patron "Alois Alzheimer" "sehr gekränkt". "Das ist eine ausgesprochene Kränkung von hunderttausenden Menschen, die unter dieser schrecklichen Krankheit leiden", und Rauch-Kallat fügte hinzu: "Es ist unglaublich, dass gerade Alexander van der Bellen, der von anderen immer besondere Sensibilität einfordert, nicht davor zurückschreckt, schwer kranke Menschen für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen" (APA OTS 22.10.02).
Und als Gusenbauer am 22. Oktober ankündigte, im Falle dass die SPÖ bei den bevorstehenden Wahlen nur Zweite würde, seinerseits in Opposition zu gehen, reagierte Schüssel mit dem – früher von ihm selbst als "menschenverachtend" bezeichneten - rhetorischen Trick des Vergleichs mit Tieren: "Es ist nicht mein Stil, wie King Kong mit der einen Hand am Empire State Building sich anzuhalten, mit der anderen Faust sich auf die Brust zu trommeln und zu kreischen, bitte, ich will erster werden" (derStandard-online 23.10.02).

- Wahlkampfauftakt der FPÖ in Wien am 23. Oktober: Ein verunsicherter FPÖ-Chef mit häufigen Versprechern und ein eher gedrücktes Publikum, inhaltlich jedoch die üblichen Botschaften. Einerseits warnte Reichhold vor den "Cocktails aus der rot-grünen Giftküche": drastische Pensionskürzungen, "Haschisch in der Trafik", eine Einheitsschule von sechs bis 18 ohne Noten, noch teureres Benzin, das "das Autofahren zum Luxus" macht – und Gusenbauer, der "in der Stunde der Not das Land verlassen" hat, als Bundeskanzler. Andererseits pries er die Leistungen der schwarz-blauen Regierung wie Kindergeld oder Integrationsvertrag und erneuerte die Wahlversprechen der FPÖ: 1.000-Euro-Mindestlohn, Ausweitung des Kindergelds auf Mehrlingsgeburten und Anhebung der Zuverdienstgrenzen, sowie die harte Haltung bei der EU-Erweiterung (derStandard-online 23.10.02).
Bei der Präsentation des Wahlprogramms in Kärnten freilich wieder die gewohnten aggressiven Töne: der Kärntner-FPÖ-Obmann Strutz entschuldigte zunächst den trotz Ankündigung nicht erschienenen, an Grippe erkrankten BPO Reichhold, und nannte dann zehn Gründe für die Wahl der FPÖ, v.a. die bekannte harte Linie in der Frage der EU-Osterweiterung sowie die Zuwanderungsproblematik als zwei Kernpunkte. Als elfter Grund, der aber der wichtigste sei, sagte Strutz, dass nur eine starke FPÖ ein rot/grünes Chaos in der Bundesregierung verhindern könne, ebenso wie den Rückfall in eine rot/schwarze Proporzregierung, die nichts als Schulden, Postenschacher und Privilegien mit sich gebracht hätte (APA OTS 25.10.02).

- Die Psychotechnik der Aktivierung und Ausbeutung von Ängsten und Ressentiments gehört zum klassischen Repertoire der politischen Propaganda. Der Wahlparteitag der SPÖ auf der einen und der Auftritt des Grünen Spitzenkandidaten Van der Bellen in der ORF-Pressestunde auf der anderen Seite am 27.10.02 boten den Regierungsparteien erneut die Gelegenheit, dieses Instrument zum Einsatz zu bringen: So zeichnete etwa VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat die Möglichkeit einer rot-grünen Regierung als Horrorszenario, das "das Finanzministerium zu einem Steuererhöhungsministerium, das Innen- und Sicherheitsministerium zu einem Verein zur Förderung des Drogenhandels und das Verteidigungsministerium zum neuen heeresgeschichtlichen Museum degradiert". Und Reichhold warnte in einer Presseaussendung in der Pose des Entlarvers vor dem grünen Wolf in Schafspelz: Mit seinem Kuschelkurs versuche Van der Bellen, zu vertuschen, was nach dem 24. November im Falle einer rotgrünen Regierung "in diesem Land wirklich los sein werde: nämlich Steuererhöhungen ohne Ende, eine Abwirtschaftung des Landes nach dem Muster Deutschlands, 30 % weniger Pension für alle, schrankenlose Zuwanderung, Drogenfreigabe, Schröpfung von Pendlern etc." (derStandard-online 27.10.02).

- Wenn man dem entsprechenden Bericht im Profil vom 27.Oktober Glauben schenkt, dann ist VP-Staatssekretät Finz im Trubel des Wahlkampfs ein sexistischer faux pas unterlaufen: "Staatssekretär Finz steuert auf einen Würstelstand zu. Er streckt der Verkäuferin seine Werbekarte ‚Dr. Alfred Finz – ganz privat’ hin … Er dreht sich um und sagt zu Morak, irgendwie entschuldigend: ‚Jede Stimme ist wichtig, auch wenn’s die einer Frau ist.’ Finz lacht, Morak schweigt. Später wird Finz sagen: ‚Gehen S’ das war ja nur ein Schmäh.’ " (Profil 44/2002). Umgehendes Dementi der ÖVP: Finz habe gesagt: "Jede Stimme zählt, insbesondere auch die der Frauen". Dies bestätige auch der Büroleiter von Finz, Michael Wiesinger (APA OTS 27.10.02). Inzwischen hat profil unter Androhung einer Klage den Widerruf dieses Dementis gefordert (APA OTS 30.10.02).

- Kampfrhetorisches Sperrfeuer gegen die am 29. Oktober vorgestellte Überraschungskandidatin der SPÖ, Superintendentin Gertraud Knoll, die gleichsam als "Mutter Courage" (Gusenbauer) für das Amt einer Staatssekretärin im Sozialministerium vorgesehen ist. Knoll, die Schüssel 1995 noch für eine Kandidatur für die ÖVP gewinnen wollte, wurde nun von Rauch-Kallat im Rahmen des mittlerweilen deutlich nach Rechts verrückten politischen Koordinatensystems der ÖVP folgendermaßen geortet: "Mit jedem Kandidaten, den die SPÖ präsentiert, rückt sie weiter nach links. Und wird damit zum Sammelbecken der EU-Sanktionierer. Knoll war ja das Sprachrohr aus der Sanktionszeit"; und für FP-Schöggl, der Knoll bereits 1998 mit Hilfe der "Plattform evangelischer Christen" bekämpft hatte, vertritt Knoll gar "extrem linkes Gedankengut" (derStandard-online 29.10.02).

- Aber auch die bereits im "Weisenbericht" an die EU (Ahtisaari u.a. 2000) gerügte Praxis der "Einschüchterungsklagen" gegen politische Gegner erlebte im Wahlkampf eine Rennaisance: Wie der Nationalratswahl-Spitzenkandidat der Wiener FPÖ Bundesminister Herbert Scheibner und die Wiener FP-Nationalratsabgeordnete Dr. Helene Partik-Pable in einem Pressegespräch bekannt gaben, werde die FPÖ eine Strafanzeige gegen den Grünen Klub im Wiener Rathaus wegen Verharmlosung von Drogen und Anleitung zum Drogenkonsum einbringen. Klagsgegenstand ist eine Drogen-Aufklärungsbroschüre der Wiener Grünen, in der die Legalisierung von Cannabis gefordert wird, aber auch "eine Anleitung zum Rollen eines Joints enthalten" sei (APA OTS 29.10.02).

- TV-Konfrontaton zwischen Van der Bellen und Schüssel vor 699.000 Zuseherinnen am 29. Oktober: Schüssel – mit professionellen rhetorischen Mitteln konsequent am Ziel ausgerichtet, christlich soziale WählerInnen bei der Stange zu halten und heimatlos gewordenen FPÖ-Wählerinnen zu gewinnen - verteidigt Strassers Asylpolitik, greift seinerseits die Grünen wegen Ihrer Unterstützung der "gewaltbereiten" DonnerstagsdemonstrantInnen an, bekennt sich zum "historischen Projekt" Europa und warnt vor Benzinpreiserhöhungen, Drogen in Trafiken und der Eintopf-Ganztagsschule von Rot-Grün. Van der Bellen seinerseits – im Stile eines "ehrlichen Maklers" darum bemüht, dem Bündnis ÖVP-FPÖ skeptisch gegenüberstehende christlich-sozial-liberale WählerInnen anzusprechen – beginnt mit einer Kritik der neuen Asylrichtlinie, und verteidigt dann die grüne Unterstützung der Donnerstagsdemonstrationen und die Rot-Grünen Regierungskonzepte mit inhaltlich durchaus plausiblen Argumenten, gerät dabei jedoch Dank seines im Unterschied zu seinem Widerpart nicht strategisch auf den Erfolg der Durchsetzung der eigenen Linie ausgerichteten, sondern auf den Kontrahenten eingehenden, verständigungsorientierten Kommunikationsstils optisch in die Defensive.
Dabei versäumte es Van der Bellen, die Themen ins Spiel zu bringen, die von Grünen in der abgelaufenen Legislaturperiode permanent besetzt waren und an Hand derer er seinem Zielpublikum hätte zeigen können, dass es sich bei der schwarz-blauen Wendekoalition eben um keine "normale" Regierungskonstellation handelt: Missachtung des Verfassungsgerichts, Schwächung von Einrichtungen der gesellschaftlichen Selbstverwaltung, restaurative Frauenpolitik, restriktive Fremdenpolitik, Ausbau des Überwachungsstaates, Einschüchterung von KritikerInnen, Einschränkung des Demonstrationsrechts, "revisionistische" Umdeutung der Vergangenheit usw. So konnte - um Van der Bellen zu paraphrasieren - Alois Alzheimer auch nach dieser Konfrontation Schutzpatron der Innenpolitik bleiben.

- In einer Pressekonferenz am 30. Oktober warnte der grüne Abgeordnete Pilz vor möglichen Versuchen der Vertuschung von Beziehungen der FPÖ zum Rechtsextremismus im Reich des VP-Innenminister Strasser. Der Rohbericht für 2002 enthalte "Hinweise auf die Verbindungen zwischen FPÖ und dem Rechtsextremismus" – z.B. über die "rechtsextreme Burschenschaft Olympia", über "Naziveranstaltungen" in Kärnten oder über die Zeitschrift "Zur Zeit". Ähnliche Vorwürfe hätte es bereits in einem Rohentwurf des Verfassungsschutzberichtes 2000 gegeben. Dort habe es geheißen, dass "Zur Zeit" die "Existenz von Gaskammern im Dritten Reich geleugnet sowie die sechs Millionen NS-Opfer in Frage gestellt" habe. Im tatsächlich veröffentlichten Bericht seien diese Passagen aber herausgestrichen worden. Diese Darstellung wird durch einen Bericht des Nachrichtenmagazins Profil (38/2002) durch Zitate aus einem "für den internen Dienstgebrauch" bestimmten Exemplar des Rechtsextremismus-Berichts bestätigt. Pilz forderte die Regierung auf, die "Säuberung von Berichten" einzustellen. Er kritisierte aber auch, dass "Zur Zeit" in den letzten Jahren die Presseförderung bekam, und verlangte, den diesbezüglichen Ministerratsbeschluss rückgängig zu machen (derStandard-online 30.10.02).
Prompt folgte die wütende VP-Generalsekretärin: Der Vorwurf von Peter Pilz, die Regierung unterdrücke Berichte zum Extremismus in Österreich, sei ungeheuerlich. "Der Verfassungsschutz-Bericht, der alle Aspekte des Extremismus abdeckt, ist bereits seit Wochen auf der Homepage des Innenministeriums nachlesbar." Das Pamphlet, das Peter Pilz heute präsentiert habe, "muss dagegen in einer links-grünen Schmutzküche entstanden sein". Beschwörender Nachsatz: "Ein links-linker Innenminister Peter Pilz, der im marxistischen Stil agiert, muss Österreich erspart bleiben".
Olympia-Burschenschafter und FP-Abgeordneter Graf ortete bei Pilz den Versuch, integre unbescholtene Bürger ohne Fakten und Beweismittel mit Gemeinheiten, Unterstellungen und Diffamierungen anzuschütten "Aber mittlerweile weiß ohnehin ganz Österreich, dass jegliche Ideologie rechts von der Gruppe revolutionärer Marxisten (GRM) von Pilz bereits als rechtsextrem eingestuft und bezeichnet wird" (APA OTS 30.10.02).

- Zunehmende Nervosität bei der FPÖ, die in den Umfragen seit ihrer Krise Ende des Sommers 2002 auf niedrigem Niveau stagniert. Guter Rat ist da teuer. Geht es nach der Knittelfeld-Rebellin und stellvertretenden Vorsitzenden Magda Bleckmann, dann soll nach der Wiederbelebung von Ressentiments gegen AsylwerberInnen, EU und slawischen Beitrittskandidatenländern nun doch auch der selbsternannte "Sisyphus" wieder in die Schlacht geworfen werden: "Jede Hilfe ist erwünscht. Und wenn Jörg Haider uns im Wahlkampf unterstützt, würde das ja auch nicht gleich bedeuten, dass er sich wieder in die Bundespolitik einmischt" (news networld 22.10.02). Seit der Erkrankung Reichholds ab 25.Oktober häufen sich angeblich die Versuche, Haider dazu zu drängen seine Partei durch ein Engagement im Wahlkampf der Bundes-FPÖ vor der "drohenden Katastrophe" zu bewahren. Nachdem Reichhold dann am 31. 10. endgültig als Obmann und Spitzenkandidat der FPÖ zurückgetreten und Herbert Haupt zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, hat auch der Sekretär der niederösterreichischen FPÖ Franz Machart erklärt: "Ich würde mir wünschen, das Jörg Haider an die Spitze der Partei zurückkehrt. Er soll im Wahlkampf eine große Rolle spielen" (derStandard-online 31.10.02).
Haider scheint freilich lieber das Scheitern seiner Partei als Zuseher abwarten zu wollen und erst dann seine Sisyphus-Mission aufnehmen zu wollen (derStandard-online 28.10.02). Gescheitert – so legte Haider in einem Format-Interview die Latte - sei die FPÖ bei einem Ergebnis unterhalb von 15 Prozent. Dann sollte die FPÖ in Opposition gehen. Das Ende der FPÖ bedeute das aber nicht. Haider: "Ich lasse mir die FPÖ nicht von Schwächlingen kaputt machen." Sollte die FPÖ am 24. scheitern, so Haider, dann werde es eine "nicht unbedeutende Gruppe innerhalb der FPÖ geben, die einen Neubeginn zustande bringt" - und da werde er an führender Stelle mit dabei sein (news networld 30.10.02).

- Ende Oktober wird bekannt, dass die FPÖ Christina "Mausi" Lugner als Quereinsteigerin gewonnen hat. Ganz auf Parteilinie will sie nach eigener Aussage bei der Zuwanderung "restriktiv durchgreifen": "Wir haben de facto wesentlich mehr Ausländer als Inländer. Und wenn Sie die Illegalen dazunehmen, kommen Sie auf einen Prozentsatz, der haarsträubend ist. Da helfen nur restriktive Auflagen". Strasser habe aber bisher, so "Mausi" etwas abseits vom Kurs der FPÖ, in der Ausländerpolitik "sehr gute Arbeit geleistet". Was die EU-Osterweiterung betrifft, gibt sie sich freilich wieder strikt linientreu: sie sei grundsätzlich dafür, "aber noch nicht so schnell. Solange es in Österarm soviel arme Menschen gibt, sollten wir keine Gelder bereitwillig ins Ausland abgeben". In der Frage der Privilegien schließlich bewegt sie sich im Spannungsfeld zwischen FP-Theorie und –Praxis: "Ich sage nein zum Postenschacher" (news networld 31.10.02).

- Laut Mitteilung der Grünen Menschenrechtssprecherin T. Stoisits am 31. Oktober hat das Bezirksgericht Wien - Innere Stadt in einer "richtungsweisenden Entscheidung" in einem Asylverfahren "die Entlassung aus der Bundesbetreuung - erstinstanzlich - im konkreten Fall bis Ende des Asylverfahrens sistiert". BM Strasser müsse nun, so Stoisits, "die Richtlinie unverzüglich zurücknehmen und Bundesbetreuung für mittellose Flüchtlinge gewährleisten. Für die Betroffenen wäre es eine Zumutung, in jedem einzelnen Fall erneut zu Gericht zu gehen und die gleiche einstweilige Verfügung zu beantragen, um zu ihrem Recht zu kommen". Ähnlich hat sich Tags darauf auch SPÖ-Geschäftsführerin Kuntzl geäußert.
Während Strasser also offenbar nach Auffassung eines unabhängigen Gerichts in der Asylpolitik zu weit gegangen ist, hat FPÖ-Sicherheitssprecherin H. Partik-Pable am selben Tag unter dem Titel "FPÖ ist Garant für eine konsequente Asylpolitik" angekündigt, in einer neuen schwarz-blauen Koalition werde die FPÖ das Innenressort übernehmen. Nur so könne gewährleistet werden, "dass die ÖVP-Politik der halbherzigen Lösungen und Kompromisse ein Ende findet"… (APA OTS 31.10.02, 01.11.02).
Im Innenministerium hält man die einstweilige Verfügung des Gerichts freilich für "rechtlich verfehlt". Man werde daher innerhalb von 14 Tagen Rekurs erheben, so der zuständige Sektionschef Wolf Szymanski. An eine Änderung der Richtlinie zur Bundesbetreuung sei nicht gedacht (derStandard-online 01.11.02).

- TV-Konfrontation zwischen Alfred Gusenbauer und Herbert Haupt vor 970.000 ZuseherInnen am 31. Oktober: Es geht um Schwarz-Blau, Gesundheit, Pensionen und Beschäftigung, Staatshaushalt und EU - um Regierungschaos, Ambulanzgebühren, Unfallrentenbesteuerung und Rekordarbeitslosigkeit, Abfangjäger und Übergangsfristen. Gusenbauer agiert als Angreifer relativ entspannt und im Stil fast vornehm-zurückhaltend, Haupt entzieht sich der Rolle des Prügelknaben immer wieder durch Gegenoffensiven. So sind für Haupt nicht die "Knittelfelder Rebellen" die Sprenger der Koalition, sondern die Vorarlberger ÖVP und Wolfgang Schüssel. Die Knittelfelder hätten auf dem Boden freiheitlicher Wahlversprechen nur das für den "kleinen Mann" eingefordert, was die SPÖ nun im Wahlkampf verspreche. Die Knittelfelder Beschlüsse sind also ab sofort auch wieder offiziell Parteilinie der FPÖ! Haupt weiter: Beim nächsten Mal werde man vorher jedenfalls einen "guten Ehevertrag" mit dem Partner (in Frage kommt nur die ÖVP) abschließen, "damit so etwas nicht noch einmal passiert". FPÖ und ÖVP würden sich also in ihrer nächsten Koalition auf Gedeih und Verderb zur unauflöslichen Verbindung für die gesamte Legislaturperiode verpflichten!
Bereits zu Beginn der Diskussion hatte Doch-wieder-Obmann und –Spitzenkandidat Haupt bekannt gegeben, dass Jörg "Sisyphus" Haider bereits "wieder da" ist - freilich vorerst nur als Kandidat auf der Bundesliste, der Haupt nicht nur in Kärnten sondern "in der gesamten Wahlbewegung unterstützen" werde.
Übrigens: Grundfragen des Rechtsstaats, der Demokratie und der Menschenrechte waren auch bei dieser Diskussion kein Thema …

- Bereits einen Tag später startete Sisyphus Haider sein mythisches Rollkommando. Ganz im Geiste der Knittelfelder Rebellion versucht er in einem profil-Interview, an den alten rechts-populistischen Kampf gegen die Privilegien der politischen Klasse anzuschließen und die Regierungsfraktion als Verräter zu isolieren: Riess-Passer, Grasser und Westenthaler hätten sich "die Taschen mit Geldern aus Ämtern vollzustopfen", die sie nur durch die Partei erreicht hätten. Er wolle sie daher "nie mehr in einer FPÖ sehen".
Entgegen früheren anderer Aussagen werde er aber auch nach der Wahl nicht FPÖ-Parteiobmann werden. Neben Haupt kämen für dieses Amt auch Magda Bleckmann und Heinz-Christian Strache in Frage. Auch an allfälligen Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP werde er sich nicht beteiligen. Er wolle "mit Leuten wie Schüssel nicht mehr an einem Tisch sitzen". Er werde der FPÖ aber keine neuerliche schwarz-blaue Koalition untersagen.
Auch außenpolitisch wieder eine starke Ansage: Die Kriegsdrohungen gegen den Irak seien "ein Versuch der USA, von inneren Problemen abzulenken und die Kriegsindustrie anzukurbeln", meint Haider; die USA betrieben "einen brutalen Imperialismus und Kolonialismus". Sprachs und jettete wieder einmal in den Irak … (APA OTS 02.11.02, der Standard-online 2.11.02). Kritik an dieser Reise selbst aus den eigenen Reihen (Grasser) sollte er später wieder einmal in antisemitischer Manier als "Buhlen um das Wohlwollen der Ostküste" abqualifizieren (News-Networld 05.11.02)
Das Signal an die WählerInnen ist klar: wir sind wieder die alten, mit der Belastungspolitik der Regierung für den "kleinen Mann" haben wir nichts mehr zu tun, aber auch: wir wollen wieder schwarz-blau, lassen uns aber nicht mehr vom Koalitionspartner über den Tisch ziehen – und ich – Haider, der "Übervater", der nicht einmal vor den USA in die Knie geht – bin der Garant dafür. Und was die ÖVP betrifft: getrennt marschieren, aber vereint schlagen!
- Wolfgang. Schüssel am 3. November zu Gast in der ORF-Pressestunde. Über die Zielgruppe, die er für sich gewinnen will, lässt Schüssel keinen Zweifel: enttäuschet FPÖ-WählerInnen, SPÖ-WählerInnen, die Rot-Grün oder einfach Gusenbauer nicht wollen, und Liberale, die Sorge haben, dass ihre Partei nicht ins Parlament kommt. Thematisch geht es um Beschäftigung, Pensionen und Budget, Studien- und Ambulanzgebühren und Unfallrentenbesteuerung - und es geht um J. Haider, dessen Irak-Reise und die FPÖ sowie, im Zusammenhang mit der Pensionsthematik, um Frauenpolitik.
Was Haider und die FPÖ betrifft, so verurteilt Schüssel Haiders Irak-Reise als das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt, und er nimmt die "erfolgreichen Politiker" Riess-Passer, Grasser, Reichhold und Westenthaler gegenüber den Angriffen Haiders in Schutz. Dass auch er – von Haider und den anderen Parteien – attackiert und als Koalitionspartner in Frage gestellt wird, nimmt Schüssel gelassen: nach den Wahlen habe noch jeder Politiker die "Telefonnummer des Parteivorsitzenden gewusst". Eine Koalition mit der FPÖ schließt er also weiterhin nicht aus. Dass die Beschlüsse der "Knittelfelder Rebellen", mit denen nach Schüssels und Rauch-Kallats eigenen Worten kein Regierungsbündnis möglich ist, seit der Ablöse Reichholds durch Haupt nun auch offiziell wieder Parteilinie sind; dass damit die auch international geächteten "rechtsextremen Elemente" in der FPÖ wieder offen an der Macht sind und eine Fortsetzung von Schwarz-Blau nur eine Fortsetzung des Chaos der letzten Regierungstage bedeuten kann; und dass dies alles keineswegs den Werten und Interessen christlich-sozialer und bürgerlich-liberaler WählerInnen entsprechen kann, wird vom Kanzler beharrlich ignoriert. Schüssel will und kann auch nicht mehr zurück – er ist zum Gefangenen seiner Strategie geworden, seine politische Laufbahn auf Gedeih und Verderb mit der Haider-FPÖ zu verbinden.
Was die Frauenpolitik betrifft, fällt auf, dass Schüssel die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausschließlich als Frauenangelegenheit behandelt und sich zugleich gegen ein Pensionssplitting ausspricht – der (männliche) die Beiträge zahlende "bred-winner" soll Pensionsbesitzer bleiben. Diese Asymmetrien macht einmal mehr deutlich, dass Schüssel der Aufrechterhaltung einer sexistischen und patriarchalen Geschlechterordnung das Wort redet.
Auffällig abermals der Kommunikationsstil Schüssels: Wer, wie ORF-Redakteur Fuchs, kritische Zwischenfragen stellt, wird schroff zurecht gewiesen – der Kanzler als Ab-Kanzler…

- Freiheitliche Deutsch-Kärntner Minderheitenpolitik unter den Vorzeichen des Wahlkampfs – ganz im Sinne der Ankündigung von Haider, den Slowenen weitere Förderungen vorzuenthalten, weil diese nicht auf das Ihnen vom Verfassungsgerichtshof attestierte Recht auf zusätzliche Ortstafeln verzichtet haben:
"Die FPÖ Kärnten lehnt entschieden eine Finanzierung eines slowenischen Radios in Kärnten durch den Steuerzahler ab", erklärte FPÖ- Landesparteiobmann Dr. Martin Strutz am 4. November. "Wir haben mit der Volksgruppe im guten Glauben versucht, einen Konsens über all die offenen Fragen von zweisprachigen Ortstafeln bis hin zu finanzieller Unterstützung im Bereich der Medien herbeizuführen. Nachdem die Slowenenvertreter im Rahmen der Konsenskonferenz nicht bereit gewesen sind, ein überaus großzügiges Angebot aller drei Parteien und der Heimatverbände anzunehmen, ist der Zug abgefahren", sagte Strutz. "Wenn die ausgestreckte Hand zu einem konstruktiven Dialog ausgeschlagen wurde, kann man nicht drei Wochen später wieder kommen und sagen, füttert uns wieder" (APA OTS 04.11.02)

- Weil Jörg Haider wieder da ist, ist Christine "Mausi" Lugner wieder weg! Grund für Lugners Rückzug aus der FPÖ: der "Kurswechsel" der Partei, wie er durch die Ablöse Reichholds durch Haupt und die jüngsten Aussagen Haiders zu Riess-Passer, Grasser und Westenthaler zum Ausdruck käme (derStandard-online 04.11.02).

- Geburtstag von Bundespräsident Klestil am 4. November. Van der Bellen (Grüne), Gusenbauer (SPÖ) und Verzetnitsch (ÖGB) gratulieren öffentlich per Presseaussendung (APA OTS 04.11.02), Wiens Bürgermeister Häupl (SPÖ) verleiht Klestil das "Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien mit dem Stern", hingegen keine Wortmeldung von Schüssel (ÖVP) und Haupt (FPÖ) – gleichsam "Sanktionen gegen Österreich", diesmal im Inland und aus den Lagern der Regierung, die dem Präsidenten nicht vergessen können, dass er sie seinerzeit nicht angeloben wollte.

- Am 5. November berichtet der Kurier über eine internen Mitteilung des Innenministeriums an die private Rückkehrberatung für Asylwerber, European Homecare mit folgender Textpassage: "Es würde nicht schaden, wenn bei den Beratenen der Eindruck eines zügig abgewickelten Asylverfahrens entstünde, an dessen (baldigem) Ende (erwartungsgemäß rechtskräftige Antragsabweisung) die entsprechenden fremdenrechtlichen Verfügungen bzw. Zwangsmaßnahmen stehen" (derStandard-online 05.11.02).
Am selben Tag äußert sich VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat in einer Aussendung voll des Lobes über die "ehrliche Asylpolitik von Innenminister Strasser". Dank seiner "vernünftigen Maßnahmen" – gemeint ist offenbar die Asylrichtlinie, die AsylwerberInnen aus bestimmten Ländern de facto das Recht auf ein Einzelfall-bezogenes ordentliches Asylverfahren nimmt - sei "die Zahl der Asylanträge im Oktober im Vergleich zum Vormonat um beinahe ein Drittel zurückgegangen". "Vernünftig" ist es für sie offenbar auch, "jene Menschen, die unter falschen Hoffnungen nach Österreich gelockt wurden, entsprechend (das heißt in der Praxis: unter der Androhung ‚fremdenrechtlicher Verfügungen und Zwangsmaßnahmen’, M.P.) zu beraten und bei der Rückkehr zu unterstützen" (APA OTS 05.11.02). Rechte nehmen, mit Abschiebung drohen – das ist heute also für die ÖVP ehrliche und vernünftige Asylpolitik.

- Wie die ÖVP vertritt auch die FPÖ eine Frauenpolitik beruhend auf einem sexistischen traditionellen Frauenbild: So haben die Wiener Landesssprecherin der Initiative Freiheitlicher Frauen (IFF) Stadträtin Landauer gemeinsam mit Sicherheitssprecherin NAbg. Partik-Pable und NAbg. Paphazy in einer Pressekonferenz am 6. November folgende Forderungen an eine zukünftige Bundesregierung gestellt: 1000 Euro Mindestlohn, die Ausweitung des Kindergeldes bis zum 6. Lebensjahr, die Aufhebung der Zuverdienstgrenze, was besonders den Alleinerzieherinnen zugute kommt, das Recht auf Teilzeitarbeit bis zum Ende der Volksschulzeit des Kindes, flächendeckend flexible Öffnungszeiten der Kindergärten, der gratis Kindergartenplatz bis zum Schuleintritt, sowie die verpflichtende Beistellung eines Anwalts bei Scheidungsfällen um den Rechtsschutz zu gewährleisten" (APA OTS 05.11.02). Offenbar setzt dieses Paket von Forderungen unausgesprochen voraus, dass (1) der natürliche Platz der Frau zu Hause beim Kind ist, dass (2) Erwerbsarbeit für die Frau eine bloße Nebentätigkeit darstellt und dass (3) die Frau daher immer wirtschaftlich vom Mann abhängig und im Scheidungsfall besonders schutzbedürftig sein wird.
Um nicht missverstanden zu werden: solche Massnahmen sind in der gegenwärtigen Situation der Diskriminierung und "Hausfrauisierung" (v. Werlhof) von Frauen durchaus angebracht. Bei der FPÖ geht es hier aber nicht um die Beseitigung eines vorübergehenden Zustands, sondern um dessen Absicherung als dauerzustand!
- Kontroverse um die Renovierung der seit über 50 Jahren verfallenden Synagoge der Kurstadt Baden. Die FPÖ-Spitzenkandidatin für den Wahlkreis NÖ Südost (Region Baden), Christine Witty verlangt "eine Volksbefragung der Badener Bürger" in Zusammenhang mit der vor zwei Wochen zwischen Land, Stadt und Kultusgemeinde vereinbarten Synagogensanierung. Im Badener Budget 2003 seien dafür 363.400 Euro vorgesehen, mehr dürfe unter keinen Umständen gezahlt werden – und darüber solle abgestimmt werden (derStandard-online 05.11.02). Offenbar versucht die Dame, mit antisemitischen Ressentiments im Wahlkampf zu punkten…

- Nachklang der Neo-Nazi-Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 13. April, nach deren offiziellem Ende Neonazis in der Wiener Innenstadt Parolen wie "Sieg-Heil", "Deutschland den Deutschen", "Hier regiert der nationale Widerstand" und "Ausländer raus" skandiert hatten, im laufenden Wahlkampf:
Am 21. Oktober hatte die SJ-Floridsdorf in einer Presseaussendung einen öffentlichen Hilferuf wegen regelmäßiger gewaltsamer Übergriffe von Skinhead-Schlägertruppen gestartet (APA OTS 21.10.02). Dass diese Schlägertruppe politisch motiviert ist, geht u.a. daraus hervor, dass einige dieser Schläger auch an der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung teilgenommen haben sollen (derStandard-online 23.10.02).
Zwei Wochen später, am 5. November, berichtete der FALTER, dass die Staatsanwaltschaft alle 36 anhängigen Verfahren wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung im Zuge der Ereignisse um die Anti-Wehrmachtsdemonstration abgebrochen hat. Obwohl ein Video vorliege, das die Verdachtsmomente bestätige, habe sowohl der Innenminister als auch die Staatsanwaltschaft von fehlenden Beweisen gesprochen. Die inkriminierten Sprüche könnten den Verdächtigen nicht eindeutig zugeordnet werden; auch könne nicht ausgeschlossen werden, das nicht "Sieg-Heil", sondern "Skinheads" gerufen worden sei. Überdies habe das Auftauschen eines zweiten, manipulierten Videos die Ermittlungen zusätzlich erschwert (derStandard-online 05.11.02).
Die Grünen warfen daraufhin dem Innenminister vor, "auf dem rechten Auge blind zu sein" (Öllinger); dies sei eine "Gefahr für die Republik" (Petrovic), und Jarolim (SP) richtete an Strasser die Frage warum er seiner Verantwortung nicht nachkomme und den Schutz der Menschen und der Demokratie hinter gefährliche Zugeständnisse an den Koalitionspartner stelle. Rauch-Kallat (VP) wies das als "unerhörte Unterstellungen" zurück – "Wir lassen die hervorragenden Arbeit unserer Exekutive nicht von wild gewordenen Grün-Fundamentalisten in den Schmutz ziehen", FP-Sicherheitssprecherin Partik-Pable hingegen konterte mit einem unangemessenen Aufrechnungsversuch: "Anstelle zu behaupten, die Exekutive habe Demonstrationen von Rechtsradikalen laufen lassen, und damit eine Gefahr für diese Republik herbeigeführt, sollten sich die Grünen besser von der Gewalt linksextremer Demonstranten, wie sie bei den Donnerstagsdemos üblich waren, distanzieren" (APA-OTS 05.11.02, 06.11.02)

- TV-Konfrontation zwischen Schüssel (VP) und Haupt (FP) vor 935.000 ZuseherInnen am 5. November. Die umworbene Zielgruppe sind wiederum die enttäuschten FP-WählerInnen. Bei den Scheidungsgegnern ist Beziehungsklärung angesagt Es beginnt mit der Koalitionsfrage. Haupt verteidigt wieder die Knittelfelder Rebellen und stellt sie gleichsam als "Hüter des Regierungsprogramms" dar, und er beharrt darauf, dass die Entscheidung über die Aufkündigung von Schüssel getroffen worden sei. Schüssel ortet die Schuld an dem Bruch eindeutig beim Putsch der "Knittelfelder Rebellen" gegen das "erfolgreiche Regierungsteam" – "ganz Österreich war Zeuge". Von der "culpa in eligendo", die Schüssel mit der Wahl seines Koalitionspartners auf sich genommen hatte, war in dieser Runde naturgemäß nicht die Rede …
Auf entsprechende Nachfrage bekräftigt Haupt dann - auch hier ganz auf der Linie der Haider-Fraktion - die Aufforderung an Riess-Passer, Grasser, und Westenthaler, die Partei zu verlassen, da sie nicht zur Demutsgeste bereit gewesen wären, die FPÖ im Wahlkampf zu unterstützen. Als Haupt dann mit Verve dafür plädiert, die Kooperation "professionell" unter Zurückstellung persönlicher Beleidigtheiten im Interesse des Abschlusses des "erfolgreich" begonnenen Wendeprojekt fortzusetzen, stimmt Schüssel ihm aber zu.
Ein weiteres Thema: die Irak-Reise Haiders: Für Schüssel ein schädlicher Akt, für Haupt eine Initiative für Frieden, Demokratie und Wirtschaft…
Dann zu Europa. Als sich Haupt hier nach einigem Lavieren für den gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der Fragen der Benes-Dekrete und Temelin doch auf ein "nein zur Osterweiterung" festlegt, bedankt sich Schüssel für die "Klarheit" – und fügt hinzu: "damit nehmen Sie sich aus dem Spiel". Als Haupt dann fast beschwörend erklärt, man müsse eben die Zeit bis zur Ratifizierung für Verhandlungen nutzen, ist Schüssel aber wieder – "das klingt jetzt schon anders" - zufrieden.
Fazit: weder die innerparteiliche Machtergreifung durch die Knittelfelder Haiderfraktion noch die nach wie vor in Haupts Hemdsärmel verbliebene Vetodrohung bezüglich des Beitritts Tschechiens zur EU sind für Schüssel letztlich ein Hindernis für eine Erneuerung der Schwarz-Blauen Koalition!

- Feuer am Dach der FPÖ: Während innerparteilich mit Rücktrittsaufforderungen und Korruptionsvorwürfen an Riess-Passer, Grasser und Westenthaler auf der einen Seite und mit Klagsvorbereitungen gegen Haider wegen Rufschädigung auf der anderen Seite gearbeitet wird – und damit dieselben Methoden der Diffamierung, Ausgrenzung und Einschüchterung zum Einsatz gebracht werden, die früher gegen andere Parteien und deren RepräsentantInnen angewendet wurden, brechen die Umfragewerte weiter ein. Jetzt will Jörg Haider – der Brandstifter – helfen und ab sofort in den Bundeswahlkampf einsteigen! "Was immer Haupt für erforderlich hält, werde ich machen", so Haider in einem NEWS-Interview. Die schlechten Umfragewerte der FPÖ führt Haider darauf zurück, "dass die FPÖ-Wähler bisher noch nicht mobilisiert" worden wären. Das soll nun mit einem "Last-Minute-Wahlkampf" (News) nach folgendem Konzept nachgeholt werden:
• 9. November: Im Desing-Center Linz soll der Wahlkampfauftakt der FPÖ über die Bühne gehen. Hauptredner: Herbert Haupt und Jörg Haider (Nach Haider wäre dieser Event für Riess-Passer, Grasser und Westenthaler eine Gelegenheit zur Rehabilitation gewesen: "Wenn sie Herbert Haupt unterstützen wollen, erwarte ich, dass sie am Samstag in Linz sind", eine Chance, die sie allerdings nicht wahrgenommen haben vgl. der Standard-online 07.11.02, 09.11.02).
• 11. November: Zum dritten Mal muss die FPÖ österreichweit neue Plakate affichieren. Jetzt im Bild: Haupt, Haider und die FP-Vizechefs.
• 12. bis 21. November: Haider auf Österreich-Rundfahrt. Mehrere Veranstaltungen in jedem Bundesland, Großevents in den Landeshauptstädten.
• 22. November: Traditionelle Schlusskundgebung am Freitag vor der Wahl auf dem Wiener Stephansplatz. Redner: Hilmar Kabas, Haupt, Haider.
Sollte die FPÖ dabei einen Stimmenanteil von "15 bis 20 Prozent" erreichen, werde "Haupt jedenfalls FPÖ-Obmann bleiben".
Schüssel wird von Haider zwar abermals heftig attackiert - dieser sei "ohne die Schalthebeln der Macht ein menschliches Nichts". Eine Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition schließt er aber nach wie vor nicht dezidiert aus.
Sollte die FPÖ unter 15 Prozent fallen, werde es einen Neuanfang und eine "unkonventionelle Neugründung der FPÖ" geben (wohl kaum, um diese unzweideutig auf Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte zu verpflichten, sondern eher um sie von ideologisch nicht linientreuen nicht Haider-loyalen Mitgliedern zu säubern, M.P.). Eine Rückkehr an die Spitze einer solchen neuen FPÖ hält Haider für mehr als denkbar: "Wenn man so viele Jahre hart gearbeitet hat, kann man nicht einfach nur zuschauen. Dann hilft man natürlich." (News-Networld 06.11.02, 07.11.02).

- TV-Konfrontation zwischen Gusenbauer und Van der Bellen vor 715.000 ZuseherInnen am 7.November. Weitestgehende Übereinstimmung bei dieser "Verlobungsverhandlung" (Modorator E. Oberhauser) in allen inhaltlichen Fragen – von der Abschaffung der Ambulanz und Studiengebühren sowie der Unfallrentenbesteuerung über die Nachjustierung der Universitätsreform (Wiedereinführung der Mitbestimmung und eines durchgehenden Laufbahnmodells für den wissenschaftlichen Nachwuchs), Frauen- und Gleichstellungspolitik, Atompolitik, Wachstums- und Beschäftigungspolitik unter Beachtung des Stabilitätspakts bis zur Verwaltungsreform und Objektivierung der Postenvergabe. Ein fast schon zu harmonisches Konzert - inszeniert, um WählerInnen zu beruhigen, die Angst vor Rot-Grün haben.
Differenz freilich in der Koalitionsfrage: Van der Bellen wirbt offen für Rot-Grün und verweist auf die inhaltlichen Gegensätze zwischen SP und VP, der umworbene Gusenbauer ziert sich und hält sich die rot-schwarze Option offen, und er erneuert auch die Ansage, als Zweiter in Opposition zu gehen – auch wenn sich Rot-Grün ausginge.

- Seit Knittelfeld offizielles Wahlprogramm der FPÖ ist, machen sich die Hardliner immer deutlicher öffentlich bemerkbar: Der rechte Burschenschafter und Weltkriegsnostalgiker NR Jung beispielsweise kennt in der "Gretchen-Frage" der schwarz-blauen Koalition, der Frage der Benes-Dekrete, keine Kompromissbereitschaft mehr: an drei aufeinanderfolgenden Tagen schwingt er die Vetokeule: am 6. November geißelt er in einer umfangreichen Dokumentation "das scheinheilige Spiel der ÖVP", am 7. November argumentiert er mit spitzfindigen juristischen Argumenten unter dem Motto: "Benes-Dekrete ohne Wenn und Aber abschaffen", und am 8. November fordert er ultimativ: "Kein EU-Beitritt Tschechiens und der Slowakei mit Benes-Dekreten" (APA OTS 06.11.02, 07.11.02, 08.11.02). Nicht viel Spielraum für Verhandlungen, auf die Haupt in seiner TV-Konfrontation mit Schüssel zu dessen Beruhigung hingewiesen hat …
Obmannstellvertreter Prinzhorn ließ am selben Tag mit einem Interview im "Wirtschaftsblatt aufhorchen, in dem der infame Satz gefallen ist: " Wenn man an der March schaut, was alles über die Grenze kommt, dann kommen auf 3 Hirschen 50 Tschetschenen und auf 2 Wildschweine kommen noch einmal 100 Kasachen".
Zugleich wird FPÖ-intern gegen Abweichler vom stramm rechten und bedingungslos Haider-loyalen Kurs scharf durchgegriffen – erstes Opfer: der Obmann-Stellvertreter der FPÖ-Kufstein, der es gewagt hatte, Haiders Irak-Reise zu kritisieren und Haiders parteiausschluß wegen Schädigung der Partei und Österreichs gefordert hatte. Er wurde auf Antrag der Bezirksparteileitung "ab sofort wegen parteischädigenden Verhaltens aus der FPÖ ausgeschlossen" (derStandard-online 08.11.02).
- Was sich bereits zuvor abgezeichnet hatte, wurde am 8. November Realität: Schüssel unterbreitete Noch-FP-Finanzminister Grasser das Angebot, ihn als parteiunabhängigen Fachminister in ein von ihm geführtes "Kompetenzteam" aufzunehmen; er könne dabei auch FPÖ-Mitglied bleiben. Die nach der inhaltlichen Annäherung (Asylpolitik, Diffamierung von Oppositionellen als "Vaterlansvernaderer" und "Linksradikale") nun auch in personeller Hinsicht die Fusion ÖVP – FPÖ als okkasionelles Angebot des Kanzlers an enttäuschte FPÖ-WählerInnen.
Wütende Reaktionen bei der FPÖ – Haupt: "Wenn Grasser Charakter hat, tut er das nicht"; andernfalls werde damit klar, dass er eben ein charakterloser Verräter sei: "Die Nebel lichten sich", und Strutz diagnostizierte, Schüssel habe vor, "eine in ihren Grundsätzen gefestigte, EU-kritische und zu ihrem erfolgreichsten Parteimitglied loyale FPÖ zu zerstören und Teile herauszuspalten, die als willfährige Mehrheitsbeschaffer dienen sollen". Auch Schweitzer sprach konsterniert von einem "Spaltungsversuch" (derStandard-online 08.11.02).

- Neuauftakt des FPÖ-Wahlkampfs mit einem "Motivations-Frühschoppen" am 9. November in Linz: Erstredner Haider beschäftigt sich vor allem mit der ÖVP: Schüssel habe seinen Koalitionspartner "hundsmiserabel behandelt" und wolle die FPÖ "zerstören". Das werde man dem Kanzler "heimzahlen". Was Schüssels Ministeramts-Angebot an Grasser betrifft glaube er aber, dass Grasser "den Verlockungen widerstehen" werde. Anderenfalls hätte er sich "sehr getäuscht".
Schüssel sei auch für das Scheitern der Regierung verantwortlich. Die Steuerreform sei nicht wegen des Hochwassers sondern auf Drängen von VP-Landeshauptleuten verschoben worden. Außerdem habe Schüssel "Angst gehabt", die im Regierungsprogramm festgeschriebenen Bedingungen zur EU-Erweiterung einhalten zu müssen. Die ÖVP sei eben für eine "Erweiterung ohne Wenn und Aber". Wer auch nur einen "Funken an Patriotismus" in sich habe, müsse aber zuerst auf Österreich schauen. Haider versäumte es auch nicht, vor einem "Rückfall in Rot-Schwarze Unsitten" zu warnen - "Die planen das" (derStandard-online 09.11.02).

- FP-Spitzenkandidat Herbert Haupt am 10. November zu Gast in der ORF-Pressestunde. Zielgruppe seines massiver Einsatz: die von Schüssel mit seinem Angebot an Grasser neuerlich heftig umworbenen FPÖ-WählerInnen. Haupt wirbt immer noch für schwarz blau. Inhaltlich stehen Sozialpolitik und EU-Osterweiterung im Mittelpunkt, es geht aber auch und vor allem um Koalitionsfragen und den von Schüssel umworbenen K.-H. Grasser. Angesichts der Ungewissheit darüber, wie Grasser selbst sich entscheiden würde, versucht es Haupt doppelbödig – mit Vereinnahmung an der Oberfläche und gleichzeitigen unterschwelligen Schuldzuweisungen: Einerseits: Grasser ist einer von uns, der wird so etwas nicht machen, andererseits: Grasser ist an den Ambulanzgebühren ebenso schuld wie an der Unfallrentenbesteuerung, und überdies kann auch Grasser nicht ohne parlamentarische Mehrheit amtieren. Einerseits; die Knittelfeld war keine Rebellion, die dort gefassten Beschlüsse standen auf dem Boden des freiheitlichen Wahlprogramms und des FPÖVP-Regierungsprogramms und sind unter Mitwirkung von Riess-Passer zustande gekommen, andererseits: zwei der Forderungen Riess-Passers an die Delegiertenversammlung seien "maoistisch" und daher zu streichen gewesen. Die Botschaft ist eindeutig: Die Fortsetzung der Wende ist nur mit blauer Unterstützung möglich, und wer eine Politik für den "kleinen Mann" will, darf sich nicht auf Schüssel und Grasser verlassen.

- Ebenfalls am 10. November hat sich auch Alfred Gusenbauer mit seinen QuereinsteigerInnen Broukal, Knoll und Petritsch auf Fischzug nach enttäuschten FPÖ-WählerInnen nach Knittelfeld begeben. Dort – am Schauplatz des Aufstande der Haider-treuen FP-Basis gegen die damalige Spitze – haben sie einen "Offenen Brief an alle, die ÖVP und FPÖ vertraut haben", signiert, der am folgenden Tag in allen großen Tageszeitungen als Inserat geschalten wurde. Die Botschaft des Briefs: Die FPÖ hat alle Wahlversprechen an den "kleinen Mann" gebrochen, zur ÖVP überzulaufen nützt nichts, denn die ist immer schon eine Partei der Eliten gewesen. Wir SozialdemokratInnen haben uns gewandelt – wir sparen am richtigen Ort und verwenden die vorhandenen Mittel für die Sorgen des "kleinen Mannes" (APA-OTS 10.11.02).

- Auch inhaltlich fischt die ÖVP ungeniert weiter in freiheitlichen Gewässern: ÖVP-Sicherheitssprecher Kiss versucht’s mit dem Schüren von Ressentiments gegen Fremde, wenn er am 11. November zur Forderung der Grünen Abgeordneten Stoisits nach Einführung des "Jus solis" im Staatsbürgerschaftsrecht feststellt: "Die Grünen wollen mit ihrer Forderung nach der Einführung des Bodenprinzips Österreich offenbar zu einem Einwanderungsland machen".
Der außenpolitische Sprecher der ÖVP Spindelegger probiert’s hingegen mit der Mobilisierung von Austrochauvenismus: auf die Feststellung des SPÖ-Außenministerkandidaten Wolfgang Petritsch, es gebe international einen großen "Vertrauensverlust" gegenüber Österreich, und man müsse schwer darum kämpfen, "dass der Ruf Österreichs wieder hergestellt wird", reagiert er mit dem üblichen Vorwurf der "Österreich-Vernaderei": "Das zeigt, dass die Sozialisten schon wieder ein Zerrbild von unserem Land und seiner Rolle in Europa zeichnen, wie sie das bei den Sanktionen getan haben". Wolfgang Petritsch habe sich damit als Kandidat für einen österreichischen Außenminister "ganz klar disqualifiziert hat" (AP OTS 11.11.02).

- 12. November: Grasser gibt seine mit professionell über 5 Tage hingezogener Dauerspannung erwartete Entscheidung bekannt, für das "Kompetenzteam" von VP-Kanzlerkandidat W. Schüssel zur Verfügung zu stehen. Er wolle einerseits keine halbfertigen Projekte hinterlassen, andererseits eine Koalition von Rot-Grün verhindern. Diese sei "schlecht für Österreich", wofür ein Blick auf Deutschland genüge. Die Reaktionen auf Schüssels "Angebot der Öffnung" (nach rechts, M. P.):
Haupt: "Ich glaube, dass er (Schüssel, M.P.) hier auf den falschen Dampfer setzt, auf einen Wähleraustausch zwischen Schwarz und Blau, und es peinlichst vermeidet, die tatsächlichen Gegner, Rot-Grün, in aller Schärfe anzugreifen. Das könnte Schüssel letztendlich die Mehrheit und das Kanzleramt kosten". Bemerkenswert frei von Drohungen und nüchtern-analytisch – eine weitere Vorleistung für die Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition. Weniger zurückhaltend der Kärntner FP-Obmann Strutz: "Jetzt wissen wir, warum Grasser die Steuerreform blockiert und andere Entscheidungen zum Nachteil der FPÖ getroffen hat". Landeshauptmann Jörg Haider, der seit einem Jahr auf die Strategie der ÖVP, die FPÖ spalten zu wollen, hingewiesen habe, sei damit voll rehabilitiert. "Leider haben bei dieser Strategie einige aus unserer Partei mitgespielt", bedauerte Strutz. Von Grasser habe er "nichts anderes erwartet". Dieser habe die FPÖ "schon ein Mal verlassen". Strutz: "Der Charakter eines Menschen zeigt sich in harten Zeiten und nicht bei Schönwetter".
Van der Bellen: "Ein durchsichtiger Versuch weitere FPÖ-Wähler an die ÖVP zu binden. nur weiter so: die ÖVP rückt nach rechts, Grasser steht für die höchste Steuerquote der Geschichte. wenn das Neu-Regieren heißt...". Eine deutlich ablehnende Positionierung …
Gusenbauer: Einerseits: Grasser sei als Minister einer großen Koalition "undenkbar. Grasser steht für die Belastungspolitik der letzten Jahre, er steht für die 32 Steuererhöhungen, die FPÖ und ÖVP unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel durchgesetzt haben und er plant schon die nächste Steuererhöhung. Damit muss endlich Schluss sein, das ist der falsche Weg"; andererseits: "Jeder, der den Kurs der Wirtschaftsankurbelung und der Steuersenkung mitträgt, kann Finanzminister werden" – also auch ein vom Saulus zum Paulus mutierender Grasser. Mit dieser vorsichtigen Reaktion versucht Gusenbauer offenbar, die Gefahr zu vermeiden, mit der direkten Ablehnung des beliebtesten Politikers der Wenderegierung GefühlswählerInnen vor den Kopf zu stoßen, und gleichzeitig an seiner Strategie festzuhalten, durch inhaltlicher Abgrenzung von der Spar- und Belastungspolitik der Wendekoalition enttäuschte FPÖ-WählerInnen anzusprechen. Direkter in seiner Ablehnung Wiens SP-Bürgermeister Häupl: Es sei eine "G'spassigkeit", angesichts eines Finanzministers Grasser an eine Koalition von SPÖ und ÖVP zu denken (derStandard-online 12.11.02, News Networld 12.11.02).

- Andere Probleme beschäftigen indessen den Obmann der Wiener FPÖ Hilmar Kabas: die von der Wiener SPÖ geplante (und bekanntlich auch von der ÖVP abgelehnte) Einführung des kommunalen Wahlrechts für AusländerInnen: Für den bekannt xenophoben Kabas ein Fall für eine Volksabstimmung, denn immerhin werde dadurch – so Kabas in hetzerischer Weise die Tatsachen verdrehend - "ein elementares Staatsbürgerschaftsrecht … massiv in Frage gestellt (und) …der Wille zur Integration weiter gebremst wird". Darüber hinaus würden "über die Kandidatur von ethnischen Listen Konflikte geschürt und auch in die Bezirkspolitik getragen". Kabas geriert sich auch als Hüter der Verfassung, deren Begriffe "Staatsvolk" und "Homogenität" er freilich im Sinne der völkischen FPÖ-Ideologie interpretiert: mit dem Wahlrecht für AusländerInnen werde "das Homogenitätsgebot, in dem der Gedanke der Einheit der verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze zum Ausdruck kommt, das demokratische Prinzip und der Art 3 Staatsgrundgesetz (StGG), wonach ein öffentliches Amt nur von Staatsbürgern ausgeübt werden kann, massiv verletzt" (APA OTS 12.11.02).

- "Kleines Finale" der TV-Konfrontationen Haupt (FPÖ) vs. Van der Bellen (Grüne) vor 981.000 ZuseherInnen am 12.November: da es kaum Gemeinsamkeiten der beiden Parteien gibt, geht es auch nicht um eine gemeinsame Zielgruppe. Die Themen: der Wechsel Grassers ins Team Schüssels, die Optionen Rot-Grün bzw. Schwarz-Blau, Belastungs- und Atompolitik, Drogen und Antisemitismus, Sicherheit und Transitverkehr. Haupt baut nach wie vor auf Schwarz-Blau, um Grasser tue es ihm "leid", er mache aber Schüssel nicht die Freude zu "schäumen", und Grassers Teamtransfer sei auch "kein Hindernis" für eine Fortsetzung der FPÖVP-Koalition. Unter Verweis auf Deutschland droht er mit der unvermeidlichen "rot-grünen Katze". Im übrigen versucht er in einem Kraftakt der Abspaltung die Belastungspolitik der Wende Grasser und dem Koalitionspartner (Bartenstein) zu zuzuschreiben, sozialpolitische "Wohltaten" hingegen für sich selbst zu reklamieren. Der ungewohnt angriffige Van der Bellen kritisiert die nun auch auf personeller Ebene erfolgte "Verbläuung" der ÖVP und kritisiert erwartungsgemäß den Regierungskurs von Grasser und Schwarz-Blau. Und er konfrontiert Haupt mit den jüngsten antisemitischen Anspielungen Haiders auf die ominösen "Kreise an der Ostküste". Dieser reagiert mit der massiven Nervosität eines auf frischer Tat Ertappten, bestreitet aber in einer umständlicher und gewundener Ausdrucksweise, die verrät, dass er sich hier auf einem für ihn verfänglichen Terrain bewegt, den antisemitischen Gehalt. Das ganze sei – so die bereits aus früheren freiheitlichen Vertuschungsversuchen bekannte Ausrede - ein rein semantisches Problem: "Ostküste" sei nichts weiter als eine in Amerika gebräuchliche geographische Bezeichnung - "unsere jüdischen Mitbürger" mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen…

- Während ÖVP und FPÖ trotz der (durch die Radikalisierung der FPÖ und durch den "Fischzug" Schüssels in freiheitlichen Gewässern mit einem akzentuiert rechten Politikangebot und dem freiheitlichen Überläufers Grasser als Köder bedingten) Spannungen an der Option der Erneuerung ihrer immer deutlicher zur Fassade verkommenden Ehe festhalten und die ÖVP sich gleichzeitig die Variante einer großen Koalition mit der SPÖ offen hält und am 14. November auch noch die Möglichkeit einer Minderheitenregierung mit dem "unabhängigen Finanzminister" Grasser ins Spiel bringt, versucht die SPÖ verstärkt, den Eindruck einer bereits bestehenden "Verlobung" mit den Grünen zu vermeiden, die Option einer Koalition mit der ÖVP ungeachtet des "Teamtransfers" Grassers weiterzuverfolgen und – mit "unmoralischen" Ansagen wie "Kontrolle der Zuwanderung", "keine Legalisierung von Drogen" und "kein Stopp des Autobahnbaus" – im Endkampf um Platz 1 mit der ÖVP gezielt enttäuschte FPÖ-WählerInnen mit Angst vor "Überfremdung" ebenso auf ihre Seite zu ziehen wie potentielle SP-WählerInnen mit Angst vor Rot-Grün (derStandard-online 13.11.02).
Das sind taktische Spiele, die nicht nur möglicherweise – sofern sie von den WählerInnen durchschaut werden - gar nicht im Sinne ihrer Erfinder funktionieren. Sie sind auch dazu geeignet, inhaltliche Verbindungen und Gegensätze zwischen den Parteien zu verwischen oder gar abzuschleifen und in der Folge politische Konstellationen zu schaffen die die notwendige Aufarbeitung der menschenrechtlich, rechtsstaatlich und demokratiepolitisch bedenklichen Elemente der blau-schwarzen Wende nicht mehr zulassen!

- "Großes Finale" der TV-Konfrontationen am 14. November: Schüssel vs. Gusenbauer: Vor 1,75 Mio. ZuseherInnen geht es um die – laut Meinungsforschung immer noch bei einer Million liegenden – Unentschlossenen, insbesondere aus der "Konkursmasse" der FPÖ. Thematisch stehen vor allem Beschäftigung und Sozialpolitik (Belastungen, Pensionsreform) und Frauenpolitik, am Rande auch Rot-Grün, Schwarz-Blau (mit Grasser ohne oder mit FPÖ) und die "Zeit der Sanktionen" im Mittelpunkt. Gusenbauer vermeidet abermals, eine Regierung mit einem Finanzminister Grasser ausdrücklich auszuschließen, grenzt sich aber scharf vom Schüssel-Grasser-Kurs ab. Schüssel, der den Gegner unterschätzt zu haben scheint, versucht wiederum mit ausgesuchten statistischen Erfolgsbilanzen und mit scharfen Angriffen auf den Gegner (Gusenbauer macht Österreich schlecht, trinkt mit den Feinden Österreichs Champagner, geht einen Zick-Zack-Kurs) und mit dem Schreckgespenst Rot-Grün in die Offensive zu geraten. Gusenbauer zeigt sich überraschend ungerührt ("schauen sie mir jetzt in die Augen, das ist Ihrer nicht würdig"), pariert die Angriffe geschickt (er brauche sich in Sachen Patriotismus nicht belehren lassen, ins Ausland sei er Anfang des Jahres 2000 auf Wunsch von Schüssel gefahren, weil man diesen dort nicht empfangen wollte, und Schüssel argumentiere mit seinen abstrakten Zahlen am Schicksal der Menschen vorbei), kämpft mit seinen Themen - Beschäftigung und Sozialpolitik (Belastungen, Pensionsreform) und Frauenpolitik, gegen "soziale Kälte"– ambitioniert gegen sein Image als "Kühlschrank" an und drängt Schüssel damit zunehmend in die Defensive ("für Sie sind Arbeitslose ein Schönheitsfehler", "sie sind für ‚soziale Kälte’ bekannt").
Am Schluss dann ein für den Ausgang des Duells höchst symptomatischer Augenblick: als Moderator Oberhauser bekannt gibt, dass Sturm Graz im UEFA-Cup aufgestiegen sei, beginnt Gusenbauer mit dem Applaus und Schüssel fällt ein.

- Die an die Peripherie gerückte FPÖ setzt in der Endphase ihres Wahlkampfes verstärkt auf fremdenfeindliche Ressentiments. So erinnert der Kärntner FPÖ-Obmann Strutz am 15. November in einer Aussendung, dass SPÖ und Grüne das Ausländerwahlrecht sogar gegen die Bedenken des Verfassungsdienstes durchboxen wollen (Presse, 15.11.02, Seite 33). "Es ist bezeichnend, dass die SPÖ bereits Wahlbroschüren in türkischer Sprache aufgelegt hat. Während SPÖ und Grüne hauptsächlich die Interessen der Ausländer in Österreich vertreten, ist die FPÖ die einzige politische Gruppierung, die das Ausländerwahlrecht ganz entschieden ablehnt. Wir vertreten ausschließlich die Interessen der Österreicherinnen und Österreicher" (APA-OTS 15.11.02).
Auch die Methode der Diskreditierung von Personen wird reaktiviert. So bekommt etwa der "Slowene Petritsch" (Strutz), SPÖ-Außenministerkandidat, nochmals sein Fett ab. Mit Zitaten aus kolportierten Kommentaren gegnerischer PolitikerInnen und Leserbriefen und Kommentaren aus konservativen Zeitungen hat Schweitzer am 16. November nochmals versucht, dessen Expertenimage zu beschädigen: "Schwere Ausschreitungen - unnahbar - Unglück über Bosnien-Herzegowina gebracht - dilettantisch - Insgesamt zeichnet sich also ein Bild Petritschs, das der Propaganda der SPÖ nicht wirklich entspricht" (APA-OTS 16.11.02).

- Angesichts des Punktesiegs, den Gusenbauer nach Meinung der Mehrheit nationaler und internationaler KommentatorInnen in der TV-Konfrontation mit Schüssel erzielt hat, ist sich ein nervös gewordener Andreas Khol nicht zu schade, die "rote Katze" aus der Mottenkiste der österreichischen Politpropaganda auszupacken: Ihn habe der Auftritt in der Fernseh-Konfrontation an die radikale Zeit von Alfred Gusenbauer erinnert, "als dieser im kommunistischen Moskau den Boden geküsst hat und als sogar die eigene Parteispitze besorgt über Gusenbauers Nähe zu Kommunisten war". Auch habe sich Gusenbauer "nie von seiner links-linken Vergangenheit distanziert".
Kohl erinnert auch an Aussagen des damaligen Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend gegenüber dem Staat Israel, den Gusenbauer als eine "Apartheid-Demokratie" bezeichnet habe – und bezichtigt damit Gusenbauer unterschwellig des Antisemitismus.
Gusenbauer und sein "polternd-agressives Diskussionsverhalten" erwecken aber bei Khol noch weiter zurückreichende Erinnerungen: "Die Art, wie Alfred Gusenbauer sich selbst als 'Arbeiterkind' und die SPÖ als die Partei der Armen darstellen wollte sowie die zur Schau gestellte Mittelstandsfeindlichkeit, erinnern an die Diktion der revolutionären Sozialisten in der Zwischenkriegszeit" (APA-OTS 16.11.02).

- ORF-Pressestunde mit Alfred Gusenbauer am 17. November. Die Jounalisten versuchen Gusenbauer zu entlocken, wie er die Versprechungen seines Wahlprogramms – Wirtschaft ankurbeln, Pensionen garantieren, Zwei-Klassen-Medizin verhindern usw. - finanzieren wolle. Eine Gelegenheit, der Propaganda des politischen Gegners ("Gusenbauer – der aggressive Polterer und Ideologe ohne ausreichende Sachkenntnis") entgegenzuwirken und Dialogfähigkeit und Wirtschaftskompetenz zu zeigen. Ein "übermotivierter" Gusenbauer lässt sich diese Gelegenheit entgehen: er beantwortet die Sachfragen nicht, unterbricht die Fragesteller und spult seinerseits ungerührt von allen Interventionsversuchen der Journalisten plakative Wahlkampfparolen und sentimentale Stories aus seinen angeblichen Begegnungen mit Betroffener ab. Ob aus psychischer Überforderung oder aus Übermut. Gusenbauer nähert sich jenem "polternd aggressive Diskussionsverhalten" an, das ihm Kohl Tags zuvor bezüglich seiner TV-Konfrontation mit Schüssel zu Unrecht vorgeworfen hatte.

- 17. November, Kirchberg am Wagram: Haider wieder auf Tour. Er beschwört vor allem die Gefahr einer Neuauflage der großen Koalition - damit würde das Land "wieder in Geiselhaft genommen" – und davor, der ÖVP die Stimme zu geben: "Die ÖVP ist wie der Mond", so Haider: Dieser leuchte zwar schön durch die ihn bestrahlende Sonne, sei aber eigentlich nur eine "schiache dunkle Kugel". Die Sonne in den vergangenen zweieinhalb Jahren sei die FPÖ gewesen. Und er versucht sein Publikum auf die FPÖ einzuschwören, indem er diese Partei, die durch Ausgrenzung und Diskreditierung des politischen Gegners groß geworden ist, in Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse als politisch Verfolgte dargestellte FPÖ: man habe in den vergangenen Jahre versucht, die FPÖ zu ruinieren und in "Gute" und "Böse" auseinander zu dividieren - von seiner Abwahl als Landeshauptmann 1991 beginnend über das "Lichtermeer", inszeniert als "Hetze" gegen die angesichts der drohenden "Ausländerflut" für schärfere Zuwanderungsgesetze eintretenden FPÖ, bis zur Briefbombenserie, die in den Medien ebenfalls FPÖ-Kreisen angelastet worden sei. Aber: "Diese FPÖ kann man nicht kaputt machen!" (derStandard-online 17.11.02). Ähnliches war dann in den folgenden Tagen auch in Innsbruck oder Wels zu hören.

- Weiter xenophobe Rundumschläge als letztes Wahlkampfaufgebot der FPÖ – diesmal per Adresse ihres Hauptfeindes der letzten Wahlkampftage, der ÖVP. Der Kärntner Landesparteiobmann Strutz zitiert bei einer Pressekonferenz in Klagenfurt am 18. November einen Wahlprospekt der ÖVP, in dem es unter einem Bild von Bundeskanzler Schüssel gemeinsam mit einer Türkin heiße: "Die Vorhaben der ÖVP: Rechtsanspruch auf einen unbezahlten Urlaubstag am wichtigsten muslimischen Feiertag, dem Opferfest" Aber Strutz enthüllt noch weitere "unglaubliche Forderungen der ÖVP": Öffnung von Gemeindewohnungen für nichtösterreichische Staatsbürger und Drogenberatung für Zuwandererkinder in ihrer Muttersprache.
Durch die verzerrende Optik seiner deutsch-völkischen Brille kann Strutz in soviel integrationspolitischer Vernunft naturgemäß nur einen Verrat der ÖVP an den Österreichern und am Christentum erblicken, hinter dem er, durch rechtsextreme Verschwörungstheorie irregeleitet, eine schwarz-grünes Komplott vermutet: Damit komme, so Strutz, "das wahre Gesicht der ÖVP und des Bundeskanzlers zum Vorschein: …Er opfert sogar die Ideologie und Grundsätze seiner Partei. Was werden der Herr Bischof und die Vertreter der Wirtschaftskammer zu dieser ÖVP-Forderung wohl sagen? Die Annäherung an die Grünen und das Angebot zu einer Koalition passt da voll ins Bild. Schüssel und der ÖVP ist alles egal, um nur an der Macht zu bleiben" (APA OTS 18.11.02).

- Aber im Wettbewerb mit ihrem Regierungspartner FPÖ fischt aber auch die ÖVP im Gewässer der Xenophoben. Nach einer Meldung der Kleinen Zeitung soll Außenministerin Ferrero-Waldner erklärt haben, ihr SP-Herauforderer Petritsch stehe für eine "Balkanisierung der Außenpolitik". Diese Aussage kann wohl nur als Anspielung auf FP-Strutz’ infame Rede vom "Slowenen Petritsch" und auf historische Vorurteile, die hierzulande gegen die Balkanregion gehegt werden, verstanden werden. Daran kann auch die nachträgliche beschwichtigende Erklärung des außenpolitischen Sprechers der ÖVP Spindelegger, "dass die Außenministerin sich gegen jede einseitige, verkürzende oder herabwürdigende Annäherung in diesem Zusammenhang stellt", nichts ändern (APA OTS 18.11.02).

- Peinliche Panne bei der SPÖ im Endkampf um die Wählerinnen aus der freiheitlichen Konkursmasse, die geeignet ist, die Partei in ihrer Kernkompetenz "Soziales" ebenso zu beschädigen wie die Glaubwürdigkeit ihrer Forderung nach "kontrollierter Zuwanderung",. Am 19.November wird bekannt, dass dass ein Subunternehmen eines von der SPÖ im Wahlkampf beauftragten Unternehmens ein Arbeitnehmer ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne Anmeldung bei der Sozialversicherung beschäftigt hat. Ein Fehler, der von ÖVP und FPÖ naturgemäß genussvoll ausgeweidet wurde (derStandard-online 19.11.02).

- Indessen sendet die FPÖ weiterhin auch auf lokaler Ebene antisemitische Signale aus: Die FP-Ortsgruppe in Kaumberg (NÖ) wirbt für die Wahlen mit einem antisemitischen Pamphlet. Einer Postwurfsendung, die übrigens auch vor "Überfremdung" warnt, ist die Broschüre "Krisengebiet Nahost" von Richard Melisch beigelegt, der den Konflikt als Kampf zwischen dem "global organisierten, ... territorial nicht fassbaren Zionismus" mit Verbindungen zur (jüdischen) New Yorker Hochfinanz und den arabischen Völkern beschreibt, die "immer unsere Freunde" waren (derStandard-online 19.11.02).

- Auch in der Minderheitenfrage setzt die FPÖ im Wahlkampffinale unmissverständliche Zeichen: Als Kompensation für eine um Verständnis für slowenenische Partisanen werbende und gegenüber Deutsch-Nationalen kritische Dokumentation, die von von Haider und der FPÖ seinerzeit heftig kritisiert und – ohne Erfolg - mit einer Beschwerde beim Publikumsrat des ORF beeinsprucht worden war, hat Haider am 19. November vom ORF gefordert, die neue Partisanen-Dokumentation von Carl Gustaf Ströhm und Andreas Mölzer (Herausgeber des Forums für Rechtsextremisten "Zur Zeit" und Chefideologe der Vereinigung der europäischen Rechten) anzunehmen und damit eine "Wiedergutmachung" zu leisten. Diese Dokumentation über die Massenmorde der Titopartisanen "In der glühenden Lava des Hasses" sei als Gegenprogramm zu dem vom ORF ausgestrahlten Partisanen-Beitrag, der "nichts mit der historischen Wahrheitsfindung gemein hatte", gedacht.
Weiters teilte Haider mit, dass mit dem Landesschulrat und der Unterstützung durch das Landesarchiv eine Wanderausstellung für Kärntens Schulen gemacht werde, die die historischen Ereignisse von damals den jungen Menschen vermitteln soll. Mit der Präsentation der neuen Dokumentation solle auch der Startschuss erfolgen, dass wir über die Geschichte, wie sie wirklich war, reden dürfen. Wäre dies nicht möglich, dann würden wir in keiner Demokratie leben. Denn freie Meinungsäußerung und historische Wahrheit gehören untrennbar zusammen (APA OTS 19.11.02). Die Autorenschaft lässt freilich vielmehr vermuten, dass LH Haider hier unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit Revisionismus als Pflichtübung in den Schulen verordnet.

- Dagegen nochmals Signale gegen Rechts von Seiten der Oppositionsparteien am 20. November: Als "unerträgliche Provokation für alle Demokraten" bezeichnete der Vorsitzende der SPÖ-Bundesratsfraktion, Albrecht K. Konecny, die Nutzung des von der ÖVP-FPÖ-Regierung hoch subventionierten "Hauses der Heimat" als Plattform für den berüchtigten deutschen Rechtsradikalen Schönhuber.
Andererseits haben SPÖ und Grüne das Rechtskräftig-Werden der Aufhebung eines Bescheides über die Entlassung eines Asylwerbers aus der Bundesbetreuung durch ein Wiener Gericht, der auf Grund der neuen Asylrichtlinie erlassen worden war, sowie ein vom UN-Flüchtlingshochkommissariat, Roten Kreuz und der Caritas in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, das die Richtlinie als verfassungswidrig ansieht, zum Anlass genommen, Innenminister Strasser aufzufordern, die Richtlinie "unverzüglich zurückzunehmen" (Stoisits) und "faire und rechtsstaatlich einwandfreie Asylverfahren sicherzustellen (Kuntzl) (APA OTS 20.11.02).

- Auch in der letzten Woche vor der Wahl halten sich sowohl Schüssel (ÖVP) als auch Haider (FPÖ) ungeachtet aller gegenseitigen Angriffe die Option einer Fortsetzung von Schwarz-Blau offen: Schüssel im ORF-Radio am 19. November: dies hänge davon ab, "wie sich abends die FPÖ präsentiert. Wer das Sagen hat, womit man antritt, was die wichtigsten Themen sind. Das kann man nicht vorhersehen"; und Haider erklärt bei einer Pressekonferenz am 20. November, erhalte die ÖVP in einer Koalition mit der FPÖ für "politisch resozialisierbar" (derStandard-online 19.11.02, 20.11.02). Immer noch gilt offenbar: getrennt marschieren, vereint schlagen.

- Ein "herzliches Dankeschön im Namen der Republik" an Otto von Habsburg, dem "Kaisersohn, Thronfolger im Exil, Kämpfer gegen Hitler und Stalin, Migranten, Ratgeber, Präsidenten der internationalen Paneuropa-Bewegung, Europaparlamentarier, Journalisten und Schriftsteller" anlässlich dessen 90. Geburtstag am 20.November.in der Wiener Hofburg aus dem Munde von Bundeskanzler Schüssel. Schüssel hebt in seiner Rede besonders hervor, dass OvH "die Würde und die Souveränität Österreichs zuletzt angesichts der Sanktionen unserer 14 EU-Partner zu Beginn des Jahres 2000 wortgewaltig verteidigt" hat (APA OTS 20.11.02). Auf das aufsehenerregende Interview, dass OvH FP-Mölzers "Zur Zeit" gewährt hat und in dem er u.a. in unverblümt antisemitischer Weise erklärt hat, die Spitzenpositionen des US-verteidigungsministeriums seien "mit Juden besetzt – das Pentagon ist heute eine jüdische Institution" (derStandard-online 19.11.02), geht Schüssel freilich nicht ein.
OvH hat freilich später im ORF-Report beteuert, dies "überhaupt nie gesagt (zu haben), ich weiß nicht, wovon sie reden". Im übrigen sei "in so einem schönen Augenblick" nicht der Moment, über solche "Kleinigkeiten" zu reden … (der Standard-online 21.11.02).

- "Elefantenrunde" Gusenbauer – Haupt - Schüssel – Van der Bellen vor knapp 2 Mio. ZuseherInnen im ORF am 21. November: Es geht um Koalitionsfragen und Grasser als Minister, Wirtschaft und Budget, pensionen, Europa (Osterweiterung, Transit, Euratom), Sicherheitspolitik und Sport. Inhaltlich nichts Neues, allerdings einige interessante Nuancen am Koalitionsmarkt: So Hält sich Schüssel immer noch die Koalition einer ÖVP-FPÖ-Koalition offen, und auch Haupt hofft ebenfalls fest darauf und ist durch vorsichtige Formulierungen in der Frage der Benes-dekrete bemüht, sich nicht abermals durch eine allzu unverblümte Veto-Drohung "aus dem Spiel zu nehmen". Grasser ist nun als Finanzminister für Schüssel durchaus verhandelbar, Haupt sieht freilich Grasser bereits als "Kevin allein zu Hause". Gusenbauer ist weiter für Koalitionen mit ÖVP und Grünen offen und will als zweiter nicht mehr ausdrücklich in Opposition, in diesem Fall sei aber eben "ein anderer am Ball". Die – zuletzt in Medien kolportierte - Variante einer von der FP unterstützten Minderheitsregierung der SP wird sowohl von Gusenbauer als auch von Haupt ausgeschlossen. Die Option Rot-Grün spielt in der Diskussion nur noch negativ – als "Schreckgespenst" eine Rolle; nicht einmal Van der Bellen vertritt sie noch offensiv und wirbt nun um Stimmen für eine starke Opposition gegen eine rot-schwarze Zwei-Drittel-Mehrheit.
Weitere Auffälligkeiten auf der "Beziehungsebene": Haupt und Schüssel harmonieren, Schüssel versucht, die seit seinem verlorenen Duell gegen Gusenbauer offene Rechnung zu begleichen und Gusenbauer als ungehobelten Phrasendrescher darzustellen ("Sie können nicht zuhören", "Sie keppeln ständig", "nur heiße Luft"), dafür geht er Gusenbauer nochmals in die "Herzlosigkeitsfalle" (Gusenbauer wischt mit einem rührseligen Rentnerbrief Schüssels Pensionsstatistik vom Tisch).
Alle auf Kurs, eine "stinknormale" Debatte ohne Kanten und grundsätzliche Auseinandersetzungen, nur nichts mehr verspielen und niemanden mehr vor den Kopf stoßen. Eigentlich eine gespenstische Szene – als ob die FPÖ eine normale Partei und Blau-Schwarz eine normale Regierungskonstellation wären, die nie Besorgniserregendes angerichtet haben; als ob es dazu nie Massenprotest und eine erbitterte Debatte im In- und Ausland gegeben hätte und keine grundsätzliche gesellschaftspolitische Alternative gäbe…

- Wahlkampffinale der FPÖ : Die üblichen Töne gegen Ausländer und EU-Osterweiterung, Schüssel und Grasser und "Gruselbauer" von Spitzenkandidat, Haupt, Scheibner, Kabas und Haider am Wiener Viktor-Adler-Markt am 22. Novemer (derStandard-online 22.11.02), und ein frauenpolitisches Signal aus Kärnten am 23. November: die Verleihung des "Eva-Preises", einer Art "Prämie" für unbezahlte Pflegeleistungen, die in Kärnten damit bereits zum fünften Mal erfolgt ist und seit Haupts Frauenministerschaft auch bundesweit an die Stelle der Vergabe des zum Gedenken an die Pionierin der Frauenforschung und Frauenbewegung Käthe Leichter geschaffenen Preises treten soll (APA OTS 23.11.02).

Fortsetzung: Teil 5

hagalil.com 17-11-03

 


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved