Rechtsextrem oder postmodern?
Max Preglau's Regierungs- und Wahlkampf-Watch
Teil 4 Nachdem zuletzt auch die FPÖ die Frage
des Parteivorsitzes und der SpitzenkandidatInnen auf ihrem Parteitag am
21.09. in Oberwart geklärt hatte, kam der eigentliche Wahlkampf in
Schwung. Nachstehend ein "Wahlkampf-Tagebuch" mit den signifikantesten
Ereignissen: - Ganz im Sinne der zur Zeit
der "Sanktionen" der EU-Staaten entwickelten irreführenden
Gepflogenheit, die blau-schwarze Regierung mit Österreich zu
identifizieren, hat die ÖVP am 14. 9. in allen größeren Tageszeitungen
Österreichs ein Inserat mit rot-weiß-roter Umrandung mit einer
"Information" des Bundeskanzler über die Neuwahlen geschalten, in der
Schüssel versucht, seiner partikularen Leseart der Dinge unter
missbräuchlicher Verwendung der Insignien der Republik einen offiziellen
Anschein zu verleihen: Tenor der Parteipropaganda: die Regierung und
natürlich v.a. die ÖVP-MinisterInnen haben Tolles geleistet, nun wollten
aber Einige in der FPÖ "lieber wieder neue Schulden machen" und "die
Wiedervereinigung Europas in Frage stellen". Die WählerInnen sollen nun
entscheiden, "ob der Weg einer klugen und zukunftsorientierten Politik
fortgesetzt werden kann" (derStandard-online 14.09.02).
- in zeitgleicher Parallelaktion mit der staatstragend-moderat
inszenierten Wahlkampfauftaktpressekonferenz der Bundes-FPÖ präsentierte
die Kärntner Landespartei am 23.9. gleichsam die rechts-populistische
Version der freiheitlichen Wahlkampfthemen: Im Beisein von Jörg Haider
betonte Strutz u.a., dass die Benes-Dekrete und die Avnoj-Beschlüsse
außer Kraft gesetzt werden müssten, bevor man einem EU-Beitritt
Tschechiens oder Sloweniens zustimmen werde – und erneuerte damit die
Vetodrohung. Weiters kündigte er an, die Ausländerfrage wieder zum
Kernthema machen: "Für uns gilt, Österreich zuerst, wir denken erst in
zweiter Linie an die Ausländer". Und Haider selbst versicherte, dass die
FPÖ die einzige "österreich-bewusste" Partei bleibe, die nicht nach
internationalem Lob heische. "Wir legen uns auch mit der EU und den
Mächtigen an, um die Interessen Österreichs zu schützen"
(derStandard-online 23.09.02).
Mittlerweilen ist freilich auch Reichhold auf die Veto-Linie der hardliner
eingeschwenkt: "Die Benes-Dekrete sind in der EU undenkbar, und die
Frage des AKW Temelin ist für Österreich eine Lebensfrage"
(derStandard-online 27.09.02). - Am 24.9. legte
die Kärntner FPÖ mit einer weiteren Provokation die Schwäche der
Parteispitze bloß: Sie gab via Medien bekannt, es sei ihr Wunsch, dass
Haider einer alten Tradition der Landespartei entsprechend am letzten
Platz der freiheitlichen Landesliste kandidiere. Der erst bei einer
Pressekonferenz von den Medien damit konfrontierte Reichhold beeilte
sich zu beteuern, "… dass es nur einen Chef in der FPÖ gibt. Und das bin
ich". Er sei gegen die Kandidatur, denn diese würde als Signal dafür
aufgefasst, dass Haider wieder in die Bundespolitik zurückkehren wolle,
und er werde Haider bitten, auf die Kandidatur zu verzichten. Haider
seinerseits erklärte blauäugig, er habe nicht vor, für Unruhe zu sorgen,
und müsse "auf überhaupt keiner Liste stehen". In der Folge teilten
Reichholds Stellvertreter Bleckmann und Walch mit, keinen Einwand gegen
die Kandidatur zu haben. Nach stundenlangen Beratungen in der Kärntner
FPÖ am 29.9. wurde schließlich bekannt gegeben, dass die Kärntner FPÖ
Haiders Verzicht auf die Kandidatur akzeptiere. Nachträglicher Kommentar
des erleichterten Reichhold: er hätte auch eine Kandidatur Haiders
akzeptiert, fände es aber "großartig, was der Jörg da gemacht hat"
(derStandard-online 24.09.02, 29.09.09).
- In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten am
28.9. legte Kanzlerkandidat Schüssel seinen politischen Kompass offen:
Er ortet die ÖVP "in der Mitte", als eine Partei, der "jeglicher
Populismus fremd" ist. Sie stehe zwischen den Freiheitlichen ("deutlich
rechts"), bei der "der rechte Populismus manchmal seine Blüten treibt",
auf der einen und der SPÖ ("deutlich links"), die "einen starken linken
Populismus entwickelt" habe, sowie den Grünen ("ziemlich links") auf der
anderen Seite (derStandard-online 28.09.02). Für ihn sind also SPÖ und
Grüne – fraglos zwei Parteien des Verfassungsbogens - gleichweit oder
sogar weiter vom Zentrum entfernt als die FPÖ mit ihren rechtsextremen
Elementen außerhalb des Verfassungsbogens. Schüssels Begriff der "Mitte"
orientiert sich also offenkundig nicht am Mittelpunkt des
Verfassungsbogens …
- Im Rahmen der verzerrten Koordinaten der politischen
Geometrie seines Meisters nahm VP- Klubobmann Khol Anfang Oktober eine
Standortbestimmung der Grünen vor. Nach dem Vorbild der extremen
Rechten, alles, was nicht rechts ist, als "linksradikal" zu etikettieren
, bezeichnete er diese als "radikalmarxistisch" und daher nicht
koalitionsfähig, treten diese doch mit "extremistischen Forderungen" wie
"Abschaffung der Witwenpension", "Steuererhöhung durch Ökosteuer" oder
"Rauschgift an den Trafiken" und "ein arbeitsloses Einkommen für
arbeitsunwillige Arbeitsfähige" auf (derStandard-online 03.10.02,
06.10.02).
Auch Rauch-Kallat ortete bei den Grünen "radikale Tendenzen". Als Beispiel
führte die Generalsekretärin jener Partei, deren Obmann im Interesse des
Koalitionsfriedens "… zu den antisemitischen Ausfällen Haiders gegen
Muzikant und zu den unsäglichen Vergleichen Stadlers geschwiegen hat"
(Van der Bellen), den Vorschlag der außenpolitischen Sprecherin der
Grünen Lunacek an, die EU solle angesichts der Politik der Regierung
Sharon ihr Handelsabkommen mit Israel aufkündigen, und Waren aus den
besetzten Gebiete von der Steuerbegünstigung ausnehmen.
In Wirklichkeit richtet sich dieser Vorschlag freilich gar nicht gegen
Juden als Volk oder gegen den Staat Israel, sondern gegen eine
spezifische Politik der derzeitigen israelischen Regierung. Insofern ist
er nicht antisemitisch, sondern bewegt sich durchaus im Rahmen des
ethisch-politisch Vertretbaren (APA OTS 04.10.02, derStandard-online
08.10.02). - Als Ende September/ Anfang Oktober
bekannt wurde, dass in dem einschlägigen Gutachten von J. Frowein u.a.
für das Europäische Parlament die Benes-Dekrete zwar als "abstoßend aus
der Sicht der Menschenrechte", aber mit geltendem EU-Recht "nicht
inkompatibel" bezeichnet wurden, war die deutschnational-revanchistische
Rechte in der FPÖ empört. Reichhold versuchte das Gutachten mit dem
Hinweis vom Tisch zu wischen, das hätten "nicht Historiker, sondern
Politiker zu entscheiden". Die FPÖ beharre jedenfalls auf der Aufhebung
der "menschenrechtswidrigen" Benes-Dekrete. Abgeordneter und
Burschenschafter Graf sekundierte zwei Tage später: "die FPÖ wird es
nicht zulassen, dass die Täter zu Opfern und die Opfer zu Tätern gemacht
werden". Auch Klubchef Schweitzer sprach sich für ein Veto gegen den
Beitritt Tschechiens und der Slowakei aus, falls die Benes-Dekrete nicht
aufgehoben und keine Entschädigungszahlungen geleistet werden, und
forderte, Tschechien und die Slowakei aus dem Beitrittspaket
herauszulösen und einzeln über sie abzustimmen. Denn die anderen
Beitrittswerber könnten ja nichts dafür, wenn zwei Staaten nicht bereit
sein, die erforderlichen Standards zu erfüllen (derStandard-online
30.09.02, 02.10.02, APA-OTS 02.10.02).
Der stellvertretende Vorsitzende der Wiener FPÖ Strache ortete in dem
Gutachten gar ".jenen Zynismus, der auch versucht die legalisierten
Menschenrechtsverletzungen der Nachkriegs-Tschechoslowakei zu
relativieren bzw. gegen andere Verbrechen aufzurechnen". Er stellte
damit indirekt die Singularität der NAZI-Greueltaten in Abrede, die den
Hintergrund und Anlass für die Vertreibung der Sudentendeutschen und die
Zusammenhang damit begangenen Verbrechen bildeten und die Gutachter auf
eine Stufe mit den Ausschwitz-Revisionisten (APA OTS 08.10.02)
Einen eher hinterlistigen Vorschlag zur Verhinderung der Osterweiterung
steuerte FP-Bundesrat Gudenus bei: Die FPÖ sollte in irischen
Tageszeitungen Inserate schalten, in denen die Bevölkerung ermuntert
wird, bei der bevorstehenden Volksabstimmung bei ihrem Nein zu den
Verträgen von Nizza zu bleiben. "Das wäre ein Hebel, die unleidigen
Fragen Benes und Temelin vom Tisch zu bekommen" (derStandard-online
05.10.02).
- In der Diskussion um die Entlassung von "nicht
aussichtsreichen" AsylwerberInnen aus der Bundesbetreuung in die
Obdachlosigkeit mit dem Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes ab 1.
Oktober mischte sich in die zahlreichen empörten Stimmen aus
Hilfsorganisationen, Kirchen, Opposition, UNHCR und Amnestie
International auch die schrille Stimme der FP-Abgeordneten Partik-Pablé:
Strasser habe schon viel zu lange zugesehen und eine Beschleunigung des
Asylverfahrens blockiert. Die derzeitigen Asylwerber seien fast zu
neunzig Prozent Einwanderer, die das Asylverfahren zur Umgehung der
Einwanderungsbestimmungen missbrauchen würden. Es müsse daher das
wichtigste Anliegen Österreichs sein, eine Änderung der Genfer
Konvention zu erreichen, um zwischen legalen und illegalen Flüchtlingen
unterscheiden zu können. Die Genfer Konvention lasse eine derartige
Unterscheidung derzeit nicht zu, weshalb alle Aufnahmeanträge dem
aufwendigen Asylverfahren unterzogen werden müssten (APA OTS 01.10.02).
Tags darauf erneuerte Haider in Kärnten seine in der Vergangenheit
wiederholt erhobene Forderung nach "Eindämmung des Asylmissbrauchs"
(umgehende Abschiebung nach Negativbescheid, Abschaffung der
Berufungsmöglichkeiten beim VWGH) und teilte Bundeskanzler Wolfgang
Schüssel mit, dass Kärnten nicht für die Untätigkeit des Bundes
aufkommen und seine "Asylzahlungen" einstellen wolle. Im Ton moderater,
aber in der Sache auf derselben Linie die Wortspende von Reichhold:
"Österreich muss seine Asylpolitik auf neue Beine stellen. Es muss
gewährleistet sein, dass das unumstritten wichtige Recht auf Asyl nicht
für Einwanderungszwecke missbraucht werden kann" (APA OTS 02.10.02).
Nachdem sich dann NGO-VertreterInnen mit hochrangigen BeamtenInnen des
Innenministeriums bereits aus humanitären Gründen auf die Einrichtung
von Notquartieren für die obdachlosen AsylwerberInnen geeinigt hatten,
verweigerte Strasser dem Modell seine Zustimmung - mit dem Argument,
dies würde bei den AsylwerberInnen "falsche Hoffnungen wecken". Ihm
schweben vielmehr eine ausgebaute Rückkehrberatung sowie intensive
Gespräche mit den östlichen Nachbarländern vor (DerStandard-online
01.10.02). Strasser nahm sogar indirekte Schuldzuweisungen an die
Caritas vor: die Flüchtlinge würden von ihr "nicht optimal" beraten und
sollten "mehr in Richtung Rückkehr selbst" und "weniger in Richtung
Notlager" orientiert werden (derStandard-online 07.10.02).
Wohl kaum im Sinne christlich-sozial-liberaler ÖVP-WählerInnen, aber
sicher zur Zufriedenheit National-Konservativer, die nach der Implosion
der FPÖ zur ÖVP tendieren, hat sich dann auch Strasser das
rechtsstaatlich bedenkliche freiheitliche Modell zu Eigen gemacht und
sich für verkürzte Asylverfahren ausgesprochen, in denen binnen eines
Tages ein negativer Bescheid ausgestellt wird, wenn "offensichtlich"
keine Asylgründe vorliegen. Eine Möglichkeit der Berufung mit
aufschiebender Wirkung soll es nicht mehr geben (derStandard-online
02.10.02). Laut EU-Kommission bewegen sich Strassers Pläne freilich "…
im Rahmen dessen, was in der EU-Asylpolitik vorgesehen ist"
(derStandard-online 03.10.02.).
Die in Folge von Strasser gestartete Rückführungsaktion auf "freiwilliger
Basis" reichte für die FP freilich nicht, und Klubobmann Schweitzer
griff zur üblichen freiheitlichen Methode der Gleichsetzung von
AsylwerberInnen, illegalen Einwanderern und Kriminellen: Es gäbe in
Österreich 400.000 bis 500.000 illegale Grenzgänger. Zudem nutze "… ein
nicht unbeträchtlicher Teil der Asylwerber … seinen Status, um
kriminellen Machenschaften nachzugehen". Überdies seien von den bei den
jüngsten Drogenrazzien 83 verhafteten Drogenbossen 60 Asylwerber gewesen
… Strassers Aktion sei "reinsten Populismus" in Wahlkampfzeiten. Da zu
befürchten sei, "dass nach den Wahlen die lauwarme Linie des Zögerns
fortgesetzt wird", wolle die FPÖ im Innenressort die Verantwortung
übernehmen und "Politik im Interesse der Österreicher" machen
(derStandard-online 04.10.02).
Darüber, was mit den wenig aussichtsreichen, aus der Bundesbetreuung
entlassenen und interimistisch in Notquartieren untergebrachten
AsylwerberInnen geschehen soll, konnten sich Hilfsorganisationen und
Innenministerium in drei Gipfelgesprächen vorerst nicht einigen. Das
Ministerium bzw. der Bund weigert sich, eine Notunterbringung über die
Dauer einer Rückkehrberatung bzw. über eine Woche hinaus zu
unterstützen. Heimkehr oder Obdachlosigkeit bleibt die ministeriell
verordnete Alternative. Minister Strasser selbst hat übrigens eine
Teilnahme an den Gipfelgesprächen ebenso abgelehnt wie die Teilnahem an
der ORF-Diskussionssendung "Offen gesagt" am 13.Oktober – mangels
Diskussionsbedarf, so scheint er es selbst zu sehen, aus Angst vor der
Auseinandersetzung mit den NGOs einerseits und mit der politischen
Konkurrenz andererseits, so vermutet die Opposition (derStandard-online
10.10.02, 13.10.02).
Nachdem keine Einigung mit den Hilfsorganisationen zu Stande gekommen war,
will Innenminister Ernst Strasser (V) nun die Rückkehrberatung für
Flüchtlinge mit dem privaten Dienstleistungsunternehmen "European
Homecare" organisieren, um sie damit – wie er es sieht – zu
"professionalisieren" oder doch nur, um sie – wie die Opposition
befüchtet – von "lästigen menschenrechtlichen Fragen" zu entlasten
(derStandard-online 16.10.02). Tatsächlich bietet "European Homecare"
keine Rechtsberatung an. Die Hilfsorganisationen haben zudem darauf
hingewiesen, dass mit der Beauftragung von "European Homecare" mit der
Rückkehrberatung das Problem der Obdachlosigkeit in keiner Weise gelöst
wird (APA OTS 17.10.02).
Natürlich kam keine der sich gegenseitig an Härte ständig überbietenden
FPÖVP-AkteurInnen auf die Idee zu fragen, ob der "Asylmissbrauch" nicht
mit den restriktiven Fremdengesetzen in Österreich zusammenhängt und
nicht viel effizienter durch ein liberales Einwanderungsgesetz bekämpft
werden könnte… - Anfang Oktober hatte der
Ökonomen des WIFO Markus Marterbauer in einem Zeitungsinterview
festgestellt, der Konjuktureinbruch und die Arbeitsmarktproblem in
Österreich seien primär der restriktiven Fiskalpolitik der
Bundesregierung zu verdanken (derStandard-online 05.10.02). In der
ORF-Pressestunde am 6.10. forderte daraufhin VP-Klubobmann Khol den
Leiter des WIFO Helmut Kramer auf, seinen Mitarbeiter in die Schranken
zu weisen. H. Kramer darauf nicht nur Marterbauer öffentlich
widersprochen, sondern auch über ihn offenbar einen "Maulkorberlass"
verhängt. Am 8. Oktober bedankte sich VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat
jedenfalls bei ihm mit den Worten: "Die ÖVP begrüßt die Entscheidung von
WIFO-Chef Helmut Kramer, dass der WIFO-Experte und
SPÖ-Nationalratskandidat Markus Marterbauer keine weiteren fachlichen
Expertisen mehr im Namen des WIFO erstellen darf" (APA OTS 08.10.02).
Sicherlich kann man über das Ausmass der des Inlands- und
Auslandsanteils an der Wirtschaftsflaute streiten, aber eine
Inlandskomponente wurde auch von Kramer nicht geleugnet. Also schwarze
Tage für die Freiheit der wissenschaftlichen Meinung …
- In einem Zeitungsinterview unternahm VP-Außenministerin
Benita Ferrero-Waldner den Versuch, die für viele ÖstereicherInnen
unangenehmen Erinnerungen an die Zeit der Massnahmen der EU-Staaten
gegen Österreich wachzurufen und den Wiener SP-Spitzenkandidaten und
Spitzendiplomaten Wolfgang Petritsch in die chauvenistische Kategorie
der sogenannten "Österreich-Vernaderer" einzureihen: er sei in Sachen
EU-Sanktionen "erstaunlich ruhig" gewesen und habe eine diesbezügliche
Weisung des Außenamtes nicht befolgt habe. Petritsch konterte damit,
dass er eine Weisung von Ferrero-Waldner gar nicht annehmen hätte
können, weil er damals nicht als österreichischer Beamter sondern als
Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in
Bosnien-Herzegowina im Einsatz gewesen sei. Im Übrigen hätte er sehr
wohl für die österreichische Seite Partei ergriffen. Allerdings: "Im
Unterschied zur Frau Außenministerin habe ich differenziert, indem ich
Herrn Haider nicht verteidigt habe, der sich selbst und die FPÖ aus
jeder europäischen Option herausgenommen hat" (derStandard-online
09.10.02). Tags darauf setze VP-Generalsekretärin nach: Im Jahr 2000 sei
es für alle überzeugten Österreicher selbstverständlich gewesen, "dass
sie unser Land gegen ungerechtfertigte Angriffe verteidigen. Sich hinter
einer Funktion zu verstecken und darauf hinzuweisen, dass es für
Wolfgang Petritsch keine Weisung gegeben habe, ist wohl eine matte
Ausrede!". Anscheinend – fügte Sie im Rückgriff auf das alte
nationalistische Klischee von den "Sozis als vaterlandslosen Gesellen"
hinzu - fehle vielen Sozialisten generell eine entsprechende Einstellung
zu ihrem Land, und war sich auch nicht zu schade, in einer Anleihe an
die Kampfrhetorik Peter Westenthalers auf die Geschichte "mit dem
französischen Premierminister Lionel Jospin champagnisierenden" Alfred
Gusenbauer aufzuwärmen (APA OTS 10.10.02).
- In bemerkenswertem Gleichklang mit Rauch-Kallat und Khol
ortete in der ersten Oktoberhälfte auch Karl Schweitzer, Klubobmann der
selbst keineswegs über jeden Extremismusverdacht erhabenen FPÖ,
Extremismus bei den Grünen. So verlangte er nach der Forderung der
aussenpolitischen Sprecherin der Grünen Ulrike Lunacek, das
Handelsabkommen der EU mit Israel zu revidieren, deren Rücktritt
Lunaceks mit der Begündung, dass "für Extremisten egal welcher Couleur
kein Platz im österreichischen Parlament" sei. Sein Resume über die
Grünen insgesamt: "Unter dem großväterlichen Bart des Professors
verbirgt sich das Antlitz des Extremismus", beinhalte das Wahlprogramm
der Grünen doch "… Antisemitismus mit linken Vorzeichen, Drogenfreigabe,
Unterstützung gewalttätiger Demonstrationen, schrankenlose Zuwanderung,
EU-Erweiterung ohne Rücksicht auf Verluste und nun der Versuch, wieder
auf internationale Diffamierung zu setzen (gemeint war Voggenhubers
neuerlich Kritik an der Beteiligung der "rechtsextremen" FPÖ an der
Regierung, M.P.). Wem jetzt noch nicht klar ist, was Österreich im Falle
einer rotgrünen Regierung blüht, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen."
(APO OTS 09.10.02, 10.10.02). - Wahlkampfauftakt
der Kärntner FPÖ in Villach am 10.Oktober: Anwesend u.a. Haupt,
Prinzhorn und Bleckman (alle dem Haider-Lager zuzurechnen), Haider,
Schweitzer und Reichhold. Lange Reden von Haupt ("Wir wollen 20 %", "Die
Sozialkompetenz liegt bei den Freiheitlichen", "Wir werden stark genug
sein um Rot-Grün zu verhindern") und Haider ("Schüssel ist der
Koalitionsbrecher und soll sehen, dass er ohne die Freiheitlichen nicht
Kanzler bleiben kann"), Reichhold kommt – als adäquater Ausdruck dafür,
wer in der FPÖ das Sagen hat - nicht zu Wort (derStandard-online
10.10.02).
- Zum Wahlkampfstart der Kärntner SPÖ meldete sich der
Obmann der Landeshauptmann-Haider-Partei Strutz mit markigen Sprüchen zu
Wort, die an national-chauvenistischem, rassistischen Gehalt und
Rechtsstaatsverachtung kaum zu überbieten sind: mit Trunk, Muttonen und
dem Slowenen Petritsch stünden "… Nationalratskandidaten zur Wahl, die
Kärnten nicht gerade wohl gesonnen sind. Muttonen, die die vierte
Strophe des Kärntner Landesliedes abschaffen möchte, der Slowene
Petritsch, für den zusätzliche zweisprachige Ortstafeln in Kärnten kein
Problem darstellen und die für ihre extrem linke Kulturpolitik bekannte
Melitta Trunk haben eines gemeinsam, dass sie nämlich durch ihre extrem
Kärnten-feindliche Haltung für jeden Kärntner und jede Kärntnerin, denen
unser Bundesland am Herz liegt, unwählbar sind" (APA OTS 12.10.02).
- Aufsehen bei der im ORF life übertragenen
Nestroy-Preis-Verleihung am 12. Oktober: In seiner Laudatio für Claus
Peymann hat André Heller im Sinne einer "postmodernen" ironischen
Grenzüberschreitung in Form einer Märchenerzählung auf die politische
Lage in Österreich angespielt und anderem gesagt:
"Nehmen wir an, lieber Claus Peymann, es gäbe einen Parteiobmann, der vor
den Wahlen verkündet, man solle ihn wählen, um eine rechtsextreme
Dilettantentruppe zu verhindern, aber wenn er bei den Wahlen Dritter
würde, verspräche er, sich nicht an der Regierung zu beteiligen, und
nehmen wir an, derjenige würde dann Dritter und bräche sein
Wahlkampfdoppelversprechen und würde sich durch und mit Figuren zum
Kanzler erheben, die Hitlers Beschäftigungspolitik als erstklassig
fänden und die österreichische Nation eine Missgeburt und die alten
SS-Kameraden als die wahren Anständigen im Lande preisen und Churchill
mit Stalin gleichsetzen, und die, in der Öffentlichkeit, mit Wohlwollen
des Justizministers forderten, man solle die Opposition für allzu
kritische Äußerungen einsperren dürfen, bespitzelt habe man sie ohnehin
schon, und Privilegienabbau müsse man mit Lichtgestalten, wie Reinhart
Gaugg betreiben und geistige Aufforstung mit Schmissvisagen wie Mölzer
und Stadler. …
Und dieser Kanzler, der Österreich die größte Beschädigung im
internationalen Ansehen in der Geschichte der Zweiten Republik beschert
hätte, würde also, in unserem Märchen, mit seiner Idee vom Regieren,
Konkurs - oder schlimmer noch: fahrlässige Krida machen, und nun
verhielte er sich in die Kameras lächelnd, als hätte dieses Debakel
nicht er zu verantworten, sondern er wäre gewissermaßen die einzige
Rettung vor sich selbst. Aus seinem Unsinn der Vergangenheit und
Gegenwart käme der einzig achtbare Sinn für die Zukunft, und er wolle
dementsprechend seinen zynischen Egotrip fortsetzen und plakatiert
folgerichtig im Wahlkampf: "Schüssel - wer, wenn nicht er". Lieber Claus
Peymann, liebe Zuhörer: welch ein Stoff. Sie müssten ihn inszenieren,
und Franz Morak müsste den Kanzler spielen. Er hatte ja genügend Zeit,
das Original unter der Lupe zu beobachten ...".
Gala-Moderatorin Andrea Eckert hatte anschließend darum gebeten, dass die
bevorstehende Wahl " nicht wieder in einer Schmierenkomödie endet". Wer
Kunst nicht ins politische Niemandsland verbannen und in wer
Schwarz-Blau nicht für eine "normale" Regierung hält, wird diese Aktion
nicht als bloß parteipolitisch motiviert ansehen und Verständnis für sie
aufbringen.
Andern Tags, auf Grund eines antiquierten Verständnisses von Kunst als
etwas dem Alltag Enthobenen und aus politisch-ideologischen Gründen,
Empörung bei der ÖVP: Elisabeth Gehrer protestiert heftig: "Wir
verwahren uns gegen diesen Missbrauch eines Kulturpreises und des
öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu parteipolitischen Zwecken", und
schlägt mit einer subtilen Version des wehleidig-chauvenistischen
Vorwurfs der "Österreich-Vernaderungs" zurück: Was Andrè Heller und
Andrea Eckert gesagt hätten, "erinnert fatal an die Zeit der Sanktionen.
Es sind dieselben Personen, es sind dieselben Handlungsmuster, es ist
die gleiche menschenverachtende Sprache und es ist das Aufreißen von
Gräben".
Auch der ORF "… distanziert sich von den kritisierten Äußerungen und
bedauert, dass eine Kulturveranstaltung zur Bühne politischer Agitation
wurde". Er werde in Hinkunft "… nach Mitteln und Wegen suchen,
Derartiges hintan zu halten, insbesondere darauf achten, dass die
Moderation nicht die durch das Objektivitäts- und Pluralitätsgebot
gesetzten Grenzen überschreitet". Stellt sich die Frage, wie dies
geschehen soll: will der ORF in Zukunft die KünstlerInnen und
Moderatoren einem Gesinnungstest unterwerfen oder sich deren Texte zur
Genehmigung vorlegen zu lassen … ?
Letzter Akt in dieser Tragikkomödie: Peymann legte den Nestroy-Preis
zurück. Er wolle "unter dem Eindruck des unwürdigen Schauspiels und
provinziellen Gezeters, das um die Preisverleihung an mich ausgebrochen
ist", fürderhin "in dieser Stadt und in diesem Land nichts mehr
entgegennehmen und von niemandem geehrt werden" (APA OTS 14.10.02,
derStandard-online 15.10.02). - Zum von ÖVP und
FPÖ erhobenen Vorwurf eines angeblichen "Extremismus" und
"Antisemitismus" bei den Grünen hat am 15. Oktober die Israelitische
Kultusgemeinde Stellung bezogen und klargestellt, dass man
"Fehlleistungen einzelner grüner Politiker nicht überbewerten" sollte.
Die Kultusgemeinde verwies gleichzeitig auf inakzeptable Aussagen von
SPÖ-Politikern wie Karl Blecha, Johann Hatzl oder Hannes Swoboda, "denen
nur zaghaft und ohne weitere Konsequenzen widersprochen" worden sei. Die
ÖVP und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hätten "zu den meisten"
Auseinandersetzungen geschwiegen. Und die FPÖ unterstütze Saddam Hussein
und Muammar al Gaddafi, die "nach wie vor öffentlich die Vernichtung
Israels propagieren". Die IKG erinnert auch daran, dass der
"Knittelfelder Kreis in der FPÖ" im wesentlichen von Politikern gebildet
wurde, die "rechtsextremes Gedankengut propagieren". Und wenn
Bundeskanzler Schüssel und ÖVP-Klubobmann Andreas "Khol öffentlich
erklärten, mit dieser Partei eine Koalition eingehen zu wollen, ist dies
eben eine Koalition mit einer amorphen Masse von mehr oder weniger
unzufriedenen Rechtsextremen, deren rechtsextremes Gedankengut nicht
verschwiegen werden kann" (derStandard-online 15.10.02).
- Wie erinnerlich hat die FPÖ alles daran gesetzt, sich im
laufenden Wahlkampf regierungsfähig und handzahm zu geben und den
Anschein zu erwecken, Haider und seine Knittelfelder Rebellen seien für
die Politik der Bundespartei nicht mehr maßgeblich. Und genau darauf hat
auch die ÖVP ihre Strategie, die schwarz-blaue Wendekoalition zu
erneuern, aufgebaut. Ein Blick auf die mittlerweilen vorliegenden Listen
der FP-NationalratskandidatInnen zeigt jedoch, dass in Wirklichkeit "…
eine Unterschrift unter das Knittelfelder Manifest … fast eine Garantie
auf einen sicheren Listenplatz (ist). Aus der Steiermark drängen die
Rebellen Magda Bleckmann und Mares Rossmann nach Wien, aus
Niederösterreich Barbara Rosenkranz, in Wien rangieren fünf Putschisten
auf den vorderen acht Listenplätzen, Thomas Prinzhorn als neuer
Parteivize nicht zu vergessen" (E. Linsinger in derStandard-online
15.10.02). - Andreas Khol, ÖVP, am 15.Oktober im
ORF-Magazin Report als Reaktion (als Antwort kann man das mangels
inhaltlichem Bezug nicht bezeichnen!) auf den Vorwurf Glawischnigs, die
ÖVP habe inhaltlich einen "Rechtskurs" gefahren, und Schüssel habe zu
den Angriffen der FPÖ auf die Institutionen des Rechtsstaats
geschwiegen: die Grünen seien in Wahrheit eine "Melonen-Partei - außen
grün und innen rot". Wem das bekannt vorkommt, der oder die hat recht:
eine Leihphrase aus dem Kampfrhetorik-Arsenal Jörg Haiders (vgl. S. 8
dieses Texts). - Gewissermaßen indirekte
öffentliche "Sondierungsgespräche" zwischen Schwarz und Blau über die
Neuauflage der Wendekoalition am 17. /18. Oktober:
Wirtschaftskammerpräsident Leitl verlangt in einem Interview eine
"Garantieerklärung" von der neuen FPÖ-Führung, dass sich Vorkommnisse
wie jene in Knittelfeld nicht wiederholen: "Die FPÖ muss uns eine
Garantie abgeben, dass die Putschisten von Knittelfeld nicht an die
Macht kommen. Wie eine solche Garantie ausschauen kann, werden wir
klären müssen, aber da muss sich vor allem die FPÖ etwas überlegen …"
(derStandard-online 17.10.02).
Postwendend die Antwort des Kärntner FPÖ-Vorsitzenden Martin Strutz: Die
Freiheitlichen müssen überhaupt nichts garantieren, im Gegenteil, müsse
die ÖVP klar machen, dass sie ein verlässlicher Partner für die
Fortsetzung von Reformen, einer Steuersenkung und restriktive
Ausländerpolitik sei. "Die Freiheitlichen werden nicht einen
willfährigen Koalitionspartner abgeben, sondern stehen sowohl personell
als auch inhaltlich für Reformen, einem EU-kritischen Kurs, der
bedeutet, dass wir nicht wie die ÖVP ohne Wenn und Aber der
EU-Osterweiterung zustimmen, und eine restriktive Vorgangsweise in der
Ausländerfrage …" (APA OTS 18.10.02). Diese entschlossene Bekräftigung
der Europa- und Fremdenfeindlichkeit der FPÖ wird Leitl wohl kaum
beruhigt haben.
Wenn ihm die ideologischen Hintergründe dieser Haltung nicht schon aus dem
völkisch orientierten Parteiprogramm der FPÖ (s. oben S. 11ff.) bekannt
sind, könnte sich Leitl darüber bei der von den Linzer Freiheitlichen
geplanten Veranstaltung "EU-Osterweiterung auch mit Vertreiberstaaten.
Welche Partei vertritt die Forderungen der sudetendeutschen
Genozid-Opfer" mit einem prominenten rechtsextremen deutschen Referenten
informieren. Und er könnte die Einladung des "Kärntner
Abwehrkämpferbundes" (KAB) zur "10. Oktober-Feier 2002" zu Rate ziehen,
in der in rassistischer Weise die "Zuwanderung artfremder fremdrassiger
Menschen" beklagt wird, deren "erbmäßig festgelegtes Anderssein" es
bedinge, dass sie "nie und nimmer in das Wirtsvolk passen". Das DÖW hat
diesbezüglich bereits eine Anzeige wegen Wiederbetätigung eingebracht.
(derStandard-online 18.10.02).
- Am 21. Oktober – einen Tag nachdem in Irland in einem
Referendum 62,9 % den EU-Vertrag von Nizza zugestimmt und damit das
letzte formale Hindernis für die EU-Erweiterung beseitigt wurden, und
einen Tag vor der Hauptausschusssitzung des Parlaments vor dem
bevorstehenden EU-Erweiterungsgipfel – haben Reichhold und Schweitzer
(FPÖ) abermals eine kompakte Probe ihrer Europafeindlichkeit
abgeliefert. Mit den Benes-Dekreten und ohne Nullvariante für Temelin
sei der EU-Beitritt Tschechiens "in Frage gestellt", die im
"Fortschrittsbericht" der EU-Kommission festgestellt Mängel der
Beitrittsländer müssten "noch vor einem Beitritt beseitigt" werden, der
Transitvertrag müsse verlängert werden, der Stabilitätspakt dürfe nicht
gelockert werden, und die Nettozahlungen Österreich an die EU müssten
auf dem derzeitigen Niveau von 1,1 % des BIP stabilisiert werden – auf
diese ultimativen Forderungskatalog sollen Außenministerin und Kanzler
per Parlamentsbeschluss festgelegt werden.
Vehemente Ablehnung bei Grünen und SPÖ, die ÖVP beeilte sich indessen, ihr
"Österreichbewusstsein" zu unterstreichen: Generalsekretärin Maria
Rauch-Kallat betonte, "die ÖVP ist die Partei, die die Interessen
Österreichs in Europa konsequent und erfolgreich vertritt". Die
Vertretung der Interessen Österreichs zeige sich etwa bei der
Überwindung der EU-Sanktionen, der Aushandlung einer der Übergangsfrist
für den Arbeitsmarkt und der "Durchsetzung von völkerrechtlich
verbindlichen Sicherheitsauflagen bei Temelin". Dass der Stabilitätspakt
eingehalten werden müsse, habe Schüssel "gerade erst unmissverständlich
klargestellt". Die ÖVP sei auch nie "ohne Wenn und Aber" für die
EU-Erweiterung eingetreten, so Rauch-Kallat weiter. Es gebe Risiken und
Probleme, und die ÖVP sei die einzige Partei, die dafür konkrete
Lösungen erarbeiten und durchsetzen kann (derStandard-online 21.10.02).
Bei der Sitzung des Hauptausschusses am 22. Oktober verwies Klubobmann
Khol dann bezüglich der Transitproblematik und der Sicherheit von
Kernkraftwerken auf diesbezügliche laufende Verhandlungen mit der EU
bzw. Tschechien. In der "bilateralen Frage" der Benes Dekrete gab sich
Khol dann – offenbar um Annäherung an den designierten koalitionspartner
FPÖ bemüht - in der Sache relativ hart: "Wir erwarten uns, dass die
Benes-Dekrete zu totem Unrecht erklärt werden, die Amnestiegesetze als
menschenrechtswidrig qualifiziert werden und analog zu der
Zwangsarbeiterentschädigung in Österreich eine Möglichkeit zur
Wiedergutmachung gefunden wird". Die von der FPÖ geforderte verbindliche
Stellungnahme hat jedoch auch von der ÖVP keine Zustimmung erhalten (APA
OTS 22.10.02, derStandard-online 22.10.02)
- Präsentation der MigrantInnen-KandidatInnen und des
Integrations-Programms der SPÖ am 22. Oktober: Der dort vorgebrachte
Kritik an der repressiven Fremdenpolitik der Regierung und den dort
entwickelten Perspektiven einer aktiven Integrationspolitik ("geregelte,
sozial abgesicherte Zuwanderung …, umfassende, über den reinen
Spracherwerb der deutschen Sprache hinausreichende Integrationsangebote
…, kommunales Wahlrecht für Migranten …, Mitbestimmung am Arbeitplatz,
in der Arbeiterkammer und im Bereich der Österreichischen
Hochschülerschaft") begegnet VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat mittels
Orwell’scher "New Speak", die die Wirklichkeit ins Gegenteil verkehrt:
Sie antwortet nicht etwas mit dem durchaus berechtigten Hinweis auf die
Versäumnisse früherer sozialdemokratischer Integrationspolitik, sondern
mit den bemerkenswerten Sätzen: "Die SPÖ tut so, als würde sie Politik
für MigrantInnen machen, aber in der Praxis macht sie genau das
Gegenteil: Wer die laufenden Sprachkurse infrage stellt, handelt gegen
die Interessen von Zuwanderern, die diese Maßnahme der Bundesregierung
großteils begrüßen". Sie unterstellt damit einfach die Güte des von der
Wendekoalition einseitig dekretierten Integrationsvertrags sowie die
Zustimmung der ihm unterworfenen Migrantinnen, und unterschlägt dabei,
dass dieser in Wirklichkeit höchst umstritten war und von
MigrantInnenorganisationen abgelehnt wurde. Auf Basis dieser Fiktion
deutet sie dann berechtigte Kritik am Integrationsvertrag in Schädigung
von MigrantInneninteresse um.
Für FP-Sicherheitssprecherin Partik-Pable werden mit der
Integrationsoffensive der SPÖ "Willkommenspakete" geschnürt; allein die
Ankündigung, bei der Familienzusammenführung offener zu werden,
garantiere "eine sofortige Mehreinwanderung von 15.000 bis 20.000
Ausländern" (APA OTS 22.10.02). - Asyldebatte
österreichischer EuropaparlamentarierInnen für den inländischen
Wahlkampfgebrauch vor dem Hintergrund des heimischen Asylstreits:
Pirker, ÖVP, mokiert sich über die in einer auf Antrag von
SozialdemokratInnen, Grünen und Liberalen im Europaparlament
angenommenen Asyl-Empfehlung enthaltenen "utopischen Forderungen": "Der
Flüchtlingsbegriff wird … unzulässigerweise ausgedehnt. Nicht nur bei
tatsächlicher Verfolgung, sondern schon bei bloßer Befürchtung soll der
Flüchtlingsbegriff greifen. Darüber hinaus soll er auch bei
nichtstaatlicher Verfolgung, wirtschaftlicher Not oder auch bei
sexueller Orientierung gelten. … Die Familienzusammenführung soll weit
über die Kernfamilie hinausgehen und auch nahezu alle weiteren
Familienmitglieder umfassen. Kriegsflüchtlinge sollen … das temporäre
Aufenthaltsrecht im Aufnahmeland für mindestens fünf Jahre erhalten.
Außerdem soll der Aufenthalt danach automatisch verlängert werden und
sogar für alle Familienangehörigen gelten". Damit provoziere und fördere
Rot-Grün "die Möglichkeit von Asylmissbrauch und Asylshopping".
Berger, SPÖ, kritisierte dagegen ihrerseits die Haltung der Konservativen:
Flüchtlinge, wie etwa jene, die aus Anlass des Krieges aus Bosnien
geflohen sind, sollten "überhaupt nicht von der Richtlinie erfasst
werden". Weiters sollten "ethnische Abstammung, Geschlecht und sexuelle
Orientierung … keine Asylgründe darstellen", und Familienangehörige
"äußerst eng definiert und nur geschützt werden, wenn sie eigene
Asylanträge stellen". Ferner sollte "die Verweigerung der Teilnahme an
Militäraktionen, die von der internationalen Gemeinschaft verurteilt
wurden, … nicht als Asylgrund gelten", und schließlich sollte selbst
anerkannten Asylwerbern der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht unverzüglich
gewährt werden (APA-OTS 22.10.02).
Ein Dissens also über eine restriktive vs. eine extensive Interpretation
des Asylrechts. Wer hätte vor zweieinhalb Jahren geahnt, dass die
angebliche "christlich soziale Partei der Mitte" sich so stark für die
restriktive Leseart engagiert? - Die Erinnerung
an die Maßnahmen der EU-Staaten bei Regierungsantritt der
FPÖVP-Koalition wird von der ÖVP nicht nur negativ – zur Diffamierung
von SPÖ und Grünen als "Vernaderer" und "Champagnisierer im
Feindesland"- instrumentalisiert, sondern auch positiv – zur
Heroisierung der Politikerin, die die ersten Monate ihrer Tätigkeit
vornehmlich damit zubringen musste, gegen diese Maßnahmen anzukämpfen,
zur Beschwörung der homogenen österreichischen "Volksgemeinschaft" und
zur Verkehrung des dramatischen Reputationsverlusts Österreichs in sein
Gegenteil. Schüssel am 23. Oktober über die VP-Außenministerin: "Der
wirkliche Test kommt in der Krise. Und Benita Ferrero-Waldner hat sich
als krisenfest erwiesen". Sie habe sich in dieser schwierigen Zeit nicht
für eine Partei, sondern für das ganze Land und alle Österreicherinnen
und Österreicher eingesetzt: "Mit unglaublicher Geschicklichkeit und
einer Mischung aus Charme und Härte hat sie Österreich eine Reputation
und einen Respekt erobert, die wir früher nicht gehabt haben" (APA OTS
23.10.02). - Die Lernfähigkeit der ÖVP in Sachen
der von der FPÖ in die Politik eingeführten Kampfrhetorik ist überhaupt
ein auffälliges Moment des gegenwärtigen Wahlkampfs. Zwei weitere
Beispiele: Als Van der Bellen beim Grazer Wahlkampfauftakt am 21 Oktober
in Anspielung auf die Vergesslichkeit Schüssels bezüglich seiner Aussage
im Wahlkampf 1999, als Dritter der Wahl in Opposition zu gehen, meinte,
Schüssel habe "Alois Alzheimer zum Schutzpatron der österreichischen
Innenpolitik erklären" wollen, reagierten dieser und die ÖVP in
bewusster Ignoranz der eigentlichen Botschaft dieser Aussage mit
gespielter Empörung über die angebliche Beleidigung der zahlreichen
Alzheimer-Kranken: Schüssel erklärte, er habe sich über die Formulierung
zu einem Patron "Alois Alzheimer" "sehr gekränkt". "Das ist eine
ausgesprochene Kränkung von hunderttausenden Menschen, die unter dieser
schrecklichen Krankheit leiden", und Rauch-Kallat fügte hinzu: "Es ist
unglaublich, dass gerade Alexander van der Bellen, der von anderen immer
besondere Sensibilität einfordert, nicht davor zurückschreckt, schwer
kranke Menschen für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen" (APA OTS 22.10.02).
Und als Gusenbauer am 22. Oktober ankündigte, im Falle dass die SPÖ bei
den bevorstehenden Wahlen nur Zweite würde, seinerseits in Opposition zu
gehen, reagierte Schüssel mit dem – früher von ihm selbst als
"menschenverachtend" bezeichneten - rhetorischen Trick des Vergleichs
mit Tieren: "Es ist nicht mein Stil, wie King Kong mit der einen Hand am
Empire State Building sich anzuhalten, mit der anderen Faust sich auf
die Brust zu trommeln und zu kreischen, bitte, ich will erster werden"
(derStandard-online 23.10.02). -
Wahlkampfauftakt der FPÖ in Wien am 23. Oktober: Ein verunsicherter
FPÖ-Chef mit häufigen Versprechern und ein eher gedrücktes Publikum,
inhaltlich jedoch die üblichen Botschaften. Einerseits warnte Reichhold
vor den "Cocktails aus der rot-grünen Giftküche": drastische
Pensionskürzungen, "Haschisch in der Trafik", eine Einheitsschule von
sechs bis 18 ohne Noten, noch teureres Benzin, das "das Autofahren zum
Luxus" macht – und Gusenbauer, der "in der Stunde der Not das Land
verlassen" hat, als Bundeskanzler. Andererseits pries er die Leistungen
der schwarz-blauen Regierung wie Kindergeld oder Integrationsvertrag und
erneuerte die Wahlversprechen der FPÖ: 1.000-Euro-Mindestlohn,
Ausweitung des Kindergelds auf Mehrlingsgeburten und Anhebung der
Zuverdienstgrenzen, sowie die harte Haltung bei der EU-Erweiterung
(derStandard-online 23.10.02).
Bei der Präsentation des Wahlprogramms in Kärnten freilich wieder die
gewohnten aggressiven Töne: der Kärntner-FPÖ-Obmann Strutz entschuldigte
zunächst den trotz Ankündigung nicht erschienenen, an Grippe erkrankten
BPO Reichhold, und nannte dann zehn Gründe für die Wahl der FPÖ, v.a.
die bekannte harte Linie in der Frage der EU-Osterweiterung sowie die
Zuwanderungsproblematik als zwei Kernpunkte. Als elfter Grund, der aber
der wichtigste sei, sagte Strutz, dass nur eine starke FPÖ ein
rot/grünes Chaos in der Bundesregierung verhindern könne, ebenso wie den
Rückfall in eine rot/schwarze Proporzregierung, die nichts als Schulden,
Postenschacher und Privilegien mit sich gebracht hätte (APA OTS
25.10.02).
- Die Psychotechnik der Aktivierung und Ausbeutung von
Ängsten und Ressentiments gehört zum klassischen Repertoire der
politischen Propaganda. Der Wahlparteitag der SPÖ auf der einen und der
Auftritt des Grünen Spitzenkandidaten Van der Bellen in der
ORF-Pressestunde auf der anderen Seite am 27.10.02 boten den
Regierungsparteien erneut die Gelegenheit, dieses Instrument zum Einsatz
zu bringen: So zeichnete etwa VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat die
Möglichkeit einer rot-grünen Regierung als Horrorszenario, das "das
Finanzministerium zu einem Steuererhöhungsministerium, das Innen- und
Sicherheitsministerium zu einem Verein zur Förderung des Drogenhandels
und das Verteidigungsministerium zum neuen heeresgeschichtlichen Museum
degradiert". Und Reichhold warnte in einer Presseaussendung in der Pose
des Entlarvers vor dem grünen Wolf in Schafspelz: Mit seinem Kuschelkurs
versuche Van der Bellen, zu vertuschen, was nach dem 24. November im
Falle einer rotgrünen Regierung "in diesem Land wirklich los sein werde:
nämlich Steuererhöhungen ohne Ende, eine Abwirtschaftung des Landes nach
dem Muster Deutschlands, 30 % weniger Pension für alle, schrankenlose
Zuwanderung, Drogenfreigabe, Schröpfung von Pendlern etc."
(derStandard-online 27.10.02). - Wenn man dem
entsprechenden Bericht im Profil vom 27.Oktober Glauben schenkt, dann
ist VP-Staatssekretät Finz im Trubel des Wahlkampfs ein sexistischer
faux pas unterlaufen: "Staatssekretär Finz steuert auf einen
Würstelstand zu. Er streckt der Verkäuferin seine Werbekarte ‚Dr. Alfred
Finz – ganz privat’ hin … Er dreht sich um und sagt zu Morak, irgendwie
entschuldigend: ‚Jede Stimme ist wichtig, auch wenn’s die einer Frau
ist.’ Finz lacht, Morak schweigt. Später wird Finz sagen: ‚Gehen S’ das
war ja nur ein Schmäh.’ " (Profil 44/2002). Umgehendes Dementi der ÖVP:
Finz habe gesagt: "Jede Stimme zählt, insbesondere auch die der Frauen".
Dies bestätige auch der Büroleiter von Finz, Michael Wiesinger (APA OTS
27.10.02). Inzwischen hat profil unter Androhung einer Klage den
Widerruf dieses Dementis gefordert (APA OTS 30.10.02).
- Kampfrhetorisches Sperrfeuer gegen die am 29. Oktober vorgestellte
Überraschungskandidatin der SPÖ, Superintendentin Gertraud Knoll, die
gleichsam als "Mutter Courage" (Gusenbauer) für das Amt einer
Staatssekretärin im Sozialministerium vorgesehen ist. Knoll, die
Schüssel 1995 noch für eine Kandidatur für die ÖVP gewinnen wollte,
wurde nun von Rauch-Kallat im Rahmen des mittlerweilen deutlich nach
Rechts verrückten politischen Koordinatensystems der ÖVP folgendermaßen
geortet: "Mit jedem Kandidaten, den die SPÖ präsentiert, rückt sie
weiter nach links. Und wird damit zum Sammelbecken der EU-Sanktionierer.
Knoll war ja das Sprachrohr aus der Sanktionszeit"; und für FP-Schöggl,
der Knoll bereits 1998 mit Hilfe der "Plattform evangelischer Christen"
bekämpft hatte, vertritt Knoll gar "extrem linkes Gedankengut"
(derStandard-online 29.10.02). - Aber auch die
bereits im "Weisenbericht" an die EU (Ahtisaari u.a. 2000) gerügte
Praxis der "Einschüchterungsklagen" gegen politische Gegner erlebte im
Wahlkampf eine Rennaisance: Wie der Nationalratswahl-Spitzenkandidat der
Wiener FPÖ Bundesminister Herbert Scheibner und die Wiener
FP-Nationalratsabgeordnete Dr. Helene Partik-Pable in einem
Pressegespräch bekannt gaben, werde die FPÖ eine Strafanzeige gegen den
Grünen Klub im Wiener Rathaus wegen Verharmlosung von Drogen und
Anleitung zum Drogenkonsum einbringen. Klagsgegenstand ist eine
Drogen-Aufklärungsbroschüre der Wiener Grünen, in der die Legalisierung
von Cannabis gefordert wird, aber auch "eine Anleitung zum Rollen eines
Joints enthalten" sei (APA OTS 29.10.02).
- TV-Konfrontaton zwischen Van der Bellen und Schüssel vor
699.000 Zuseherinnen am 29. Oktober: Schüssel – mit professionellen
rhetorischen Mitteln konsequent am Ziel ausgerichtet, christlich soziale
WählerInnen bei der Stange zu halten und heimatlos gewordenen
FPÖ-Wählerinnen zu gewinnen - verteidigt Strassers Asylpolitik, greift
seinerseits die Grünen wegen Ihrer Unterstützung der "gewaltbereiten"
DonnerstagsdemonstrantInnen an, bekennt sich zum "historischen Projekt"
Europa und warnt vor Benzinpreiserhöhungen, Drogen in Trafiken und der
Eintopf-Ganztagsschule von Rot-Grün. Van der Bellen seinerseits – im
Stile eines "ehrlichen Maklers" darum bemüht, dem Bündnis ÖVP-FPÖ
skeptisch gegenüberstehende christlich-sozial-liberale WählerInnen
anzusprechen – beginnt mit einer Kritik der neuen Asylrichtlinie, und
verteidigt dann die grüne Unterstützung der Donnerstagsdemonstrationen
und die Rot-Grünen Regierungskonzepte mit inhaltlich durchaus plausiblen
Argumenten, gerät dabei jedoch Dank seines im Unterschied zu seinem
Widerpart nicht strategisch auf den Erfolg der Durchsetzung der eigenen
Linie ausgerichteten, sondern auf den Kontrahenten eingehenden,
verständigungsorientierten Kommunikationsstils optisch in die Defensive.
Dabei versäumte es Van der Bellen, die Themen ins Spiel zu bringen, die
von Grünen in der abgelaufenen Legislaturperiode permanent besetzt waren
und an Hand derer er seinem Zielpublikum hätte zeigen können, dass es
sich bei der schwarz-blauen Wendekoalition eben um keine "normale"
Regierungskonstellation handelt: Missachtung des Verfassungsgerichts,
Schwächung von Einrichtungen der gesellschaftlichen Selbstverwaltung,
restaurative Frauenpolitik, restriktive Fremdenpolitik, Ausbau des
Überwachungsstaates, Einschüchterung von KritikerInnen, Einschränkung
des Demonstrationsrechts, "revisionistische" Umdeutung der Vergangenheit
usw. So konnte - um Van der Bellen zu paraphrasieren - Alois Alzheimer
auch nach dieser Konfrontation Schutzpatron der Innenpolitik bleiben.
- In einer Pressekonferenz am 30. Oktober warnte der
grüne Abgeordnete Pilz vor möglichen Versuchen der Vertuschung von
Beziehungen der FPÖ zum Rechtsextremismus im Reich des VP-Innenminister
Strasser. Der Rohbericht für 2002 enthalte "Hinweise auf die
Verbindungen zwischen FPÖ und dem Rechtsextremismus" – z.B. über die
"rechtsextreme Burschenschaft Olympia", über "Naziveranstaltungen" in
Kärnten oder über die Zeitschrift "Zur Zeit". Ähnliche Vorwürfe hätte es
bereits in einem Rohentwurf des Verfassungsschutzberichtes 2000 gegeben.
Dort habe es geheißen, dass "Zur Zeit" die "Existenz von Gaskammern im
Dritten Reich geleugnet sowie die sechs Millionen NS-Opfer in Frage
gestellt" habe. Im tatsächlich veröffentlichten Bericht seien diese
Passagen aber herausgestrichen worden. Diese Darstellung wird durch
einen Bericht des Nachrichtenmagazins Profil (38/2002) durch Zitate aus
einem "für den internen Dienstgebrauch" bestimmten Exemplar des
Rechtsextremismus-Berichts bestätigt. Pilz forderte die Regierung auf,
die "Säuberung von Berichten" einzustellen. Er kritisierte aber auch,
dass "Zur Zeit" in den letzten Jahren die Presseförderung bekam, und
verlangte, den diesbezüglichen Ministerratsbeschluss rückgängig zu
machen (derStandard-online 30.10.02).
Prompt folgte die wütende VP-Generalsekretärin: Der Vorwurf von Peter
Pilz, die Regierung unterdrücke Berichte zum Extremismus in Österreich,
sei ungeheuerlich. "Der Verfassungsschutz-Bericht, der alle Aspekte des
Extremismus abdeckt, ist bereits seit Wochen auf der Homepage des
Innenministeriums nachlesbar." Das Pamphlet, das Peter Pilz heute
präsentiert habe, "muss dagegen in einer links-grünen Schmutzküche
entstanden sein". Beschwörender Nachsatz: "Ein links-linker
Innenminister Peter Pilz, der im marxistischen Stil agiert, muss
Österreich erspart bleiben".
Olympia-Burschenschafter und FP-Abgeordneter Graf ortete bei Pilz den
Versuch, integre unbescholtene Bürger ohne Fakten und Beweismittel mit
Gemeinheiten, Unterstellungen und Diffamierungen anzuschütten "Aber
mittlerweile weiß ohnehin ganz Österreich, dass jegliche Ideologie
rechts von der Gruppe revolutionärer Marxisten (GRM) von Pilz bereits
als rechtsextrem eingestuft und bezeichnet wird" (APA OTS 30.10.02).
- Zunehmende Nervosität bei der FPÖ, die in den Umfragen
seit ihrer Krise Ende des Sommers 2002 auf niedrigem Niveau stagniert.
Guter Rat ist da teuer. Geht es nach der Knittelfeld-Rebellin und
stellvertretenden Vorsitzenden Magda Bleckmann, dann soll nach der
Wiederbelebung von Ressentiments gegen AsylwerberInnen, EU und
slawischen Beitrittskandidatenländern nun doch auch der selbsternannte
"Sisyphus" wieder in die Schlacht geworfen werden: "Jede Hilfe ist
erwünscht. Und wenn Jörg Haider uns im Wahlkampf unterstützt, würde das
ja auch nicht gleich bedeuten, dass er sich wieder in die Bundespolitik
einmischt" (news networld 22.10.02). Seit der Erkrankung Reichholds ab
25.Oktober häufen sich angeblich die Versuche, Haider dazu zu drängen
seine Partei durch ein Engagement im Wahlkampf der Bundes-FPÖ vor der
"drohenden Katastrophe" zu bewahren. Nachdem Reichhold dann am 31. 10.
endgültig als Obmann und Spitzenkandidat der FPÖ zurückgetreten und
Herbert Haupt zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, hat auch der Sekretär
der niederösterreichischen FPÖ Franz Machart erklärt: "Ich würde mir
wünschen, das Jörg Haider an die Spitze der Partei zurückkehrt. Er soll
im Wahlkampf eine große Rolle spielen" (derStandard-online 31.10.02).
Haider scheint freilich lieber das Scheitern seiner Partei als Zuseher
abwarten zu wollen und erst dann seine Sisyphus-Mission aufnehmen zu
wollen (derStandard-online 28.10.02). Gescheitert – so legte Haider in
einem Format-Interview die Latte - sei die FPÖ bei einem Ergebnis
unterhalb von 15 Prozent. Dann sollte die FPÖ in Opposition gehen. Das
Ende der FPÖ bedeute das aber nicht. Haider: "Ich lasse mir die FPÖ
nicht von Schwächlingen kaputt machen." Sollte die FPÖ am 24. scheitern,
so Haider, dann werde es eine "nicht unbedeutende Gruppe innerhalb der
FPÖ geben, die einen Neubeginn zustande bringt" - und da werde er an
führender Stelle mit dabei sein (news networld 30.10.02).
- Ende Oktober wird bekannt, dass die FPÖ Christina "Mausi" Lugner als
Quereinsteigerin gewonnen hat. Ganz auf Parteilinie will sie nach
eigener Aussage bei der Zuwanderung "restriktiv durchgreifen": "Wir
haben de facto wesentlich mehr Ausländer als Inländer. Und wenn Sie die
Illegalen dazunehmen, kommen Sie auf einen Prozentsatz, der
haarsträubend ist. Da helfen nur restriktive Auflagen". Strasser habe
aber bisher, so "Mausi" etwas abseits vom Kurs der FPÖ, in der
Ausländerpolitik "sehr gute Arbeit geleistet". Was die EU-Osterweiterung
betrifft, gibt sie sich freilich wieder strikt linientreu: sie sei
grundsätzlich dafür, "aber noch nicht so schnell. Solange es in Österarm
soviel arme Menschen gibt, sollten wir keine Gelder bereitwillig ins
Ausland abgeben". In der Frage der Privilegien schließlich bewegt sie
sich im Spannungsfeld zwischen FP-Theorie und –Praxis: "Ich sage nein
zum Postenschacher" (news networld 31.10.02). -
Laut Mitteilung der Grünen Menschenrechtssprecherin T. Stoisits am 31.
Oktober hat das Bezirksgericht Wien - Innere Stadt in einer
"richtungsweisenden Entscheidung" in einem Asylverfahren "die Entlassung
aus der Bundesbetreuung - erstinstanzlich - im konkreten Fall bis Ende
des Asylverfahrens sistiert". BM Strasser müsse nun, so Stoisits, "die
Richtlinie unverzüglich zurücknehmen und Bundesbetreuung für mittellose
Flüchtlinge gewährleisten. Für die Betroffenen wäre es eine Zumutung, in
jedem einzelnen Fall erneut zu Gericht zu gehen und die gleiche
einstweilige Verfügung zu beantragen, um zu ihrem Recht zu kommen".
Ähnlich hat sich Tags darauf auch SPÖ-Geschäftsführerin Kuntzl geäußert.
Während Strasser also offenbar nach Auffassung eines unabhängigen Gerichts
in der Asylpolitik zu weit gegangen ist, hat FPÖ-Sicherheitssprecherin
H. Partik-Pable am selben Tag unter dem Titel "FPÖ ist Garant für eine
konsequente Asylpolitik" angekündigt, in einer neuen schwarz-blauen
Koalition werde die FPÖ das Innenressort übernehmen. Nur so könne
gewährleistet werden, "dass die ÖVP-Politik der halbherzigen Lösungen
und Kompromisse ein Ende findet"… (APA OTS 31.10.02, 01.11.02).
Im Innenministerium hält man die einstweilige Verfügung des Gerichts
freilich für "rechtlich verfehlt". Man werde daher innerhalb von 14
Tagen Rekurs erheben, so der zuständige Sektionschef Wolf Szymanski. An
eine Änderung der Richtlinie zur Bundesbetreuung sei nicht gedacht
(derStandard-online 01.11.02). -
TV-Konfrontation zwischen Alfred Gusenbauer und Herbert Haupt vor
970.000 ZuseherInnen am 31. Oktober: Es geht um Schwarz-Blau,
Gesundheit, Pensionen und Beschäftigung, Staatshaushalt und EU - um
Regierungschaos, Ambulanzgebühren, Unfallrentenbesteuerung und
Rekordarbeitslosigkeit, Abfangjäger und Übergangsfristen. Gusenbauer
agiert als Angreifer relativ entspannt und im Stil fast
vornehm-zurückhaltend, Haupt entzieht sich der Rolle des Prügelknaben
immer wieder durch Gegenoffensiven. So sind für Haupt nicht die
"Knittelfelder Rebellen" die Sprenger der Koalition, sondern die
Vorarlberger ÖVP und Wolfgang Schüssel. Die Knittelfelder hätten auf dem
Boden freiheitlicher Wahlversprechen nur das für den "kleinen Mann"
eingefordert, was die SPÖ nun im Wahlkampf verspreche. Die Knittelfelder
Beschlüsse sind also ab sofort auch wieder offiziell Parteilinie der
FPÖ! Haupt weiter: Beim nächsten Mal werde man vorher jedenfalls einen
"guten Ehevertrag" mit dem Partner (in Frage kommt nur die ÖVP)
abschließen, "damit so etwas nicht noch einmal passiert". FPÖ und ÖVP
würden sich also in ihrer nächsten Koalition auf Gedeih und Verderb zur
unauflöslichen Verbindung für die gesamte Legislaturperiode
verpflichten!
Bereits zu Beginn der Diskussion hatte Doch-wieder-Obmann und
–Spitzenkandidat Haupt bekannt gegeben, dass Jörg "Sisyphus" Haider
bereits "wieder da" ist - freilich vorerst nur als Kandidat auf der
Bundesliste, der Haupt nicht nur in Kärnten sondern "in der gesamten
Wahlbewegung unterstützen" werde.
Übrigens: Grundfragen des Rechtsstaats, der Demokratie und der
Menschenrechte waren auch bei dieser Diskussion kein Thema …
- Bereits einen Tag später startete Sisyphus Haider sein
mythisches Rollkommando. Ganz im Geiste der Knittelfelder Rebellion
versucht er in einem profil-Interview, an den alten
rechts-populistischen Kampf gegen die Privilegien der politischen Klasse
anzuschließen und die Regierungsfraktion als Verräter zu isolieren:
Riess-Passer, Grasser und Westenthaler hätten sich "die Taschen mit
Geldern aus Ämtern vollzustopfen", die sie nur durch die Partei erreicht
hätten. Er wolle sie daher "nie mehr in einer FPÖ sehen".
Entgegen früheren anderer Aussagen werde er aber auch nach der Wahl nicht
FPÖ-Parteiobmann werden. Neben Haupt kämen für dieses Amt auch Magda
Bleckmann und Heinz-Christian Strache in Frage. Auch an allfälligen
Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP werde er sich nicht beteiligen. Er
wolle "mit Leuten wie Schüssel nicht mehr an einem Tisch sitzen". Er
werde der FPÖ aber keine neuerliche schwarz-blaue Koalition untersagen.
Auch außenpolitisch wieder eine starke Ansage: Die Kriegsdrohungen gegen
den Irak seien "ein Versuch der USA, von inneren Problemen abzulenken
und die Kriegsindustrie anzukurbeln", meint Haider; die USA betrieben
"einen brutalen Imperialismus und Kolonialismus". Sprachs und jettete
wieder einmal in den Irak … (APA OTS 02.11.02, der Standard-online
2.11.02). Kritik an dieser Reise selbst aus den eigenen Reihen (Grasser)
sollte er später wieder einmal in antisemitischer Manier als "Buhlen um
das Wohlwollen der Ostküste" abqualifizieren (News-Networld 05.11.02)
Das Signal an die WählerInnen ist klar: wir sind wieder die alten, mit der
Belastungspolitik der Regierung für den "kleinen Mann" haben wir nichts
mehr zu tun, aber auch: wir wollen wieder schwarz-blau, lassen uns aber
nicht mehr vom Koalitionspartner über den Tisch ziehen – und ich –
Haider, der "Übervater", der nicht einmal vor den USA in die Knie geht –
bin der Garant dafür. Und was die ÖVP betrifft: getrennt marschieren,
aber vereint schlagen!
- Wolfgang. Schüssel am 3. November zu Gast in der ORF-Pressestunde. Über
die Zielgruppe, die er für sich gewinnen will, lässt Schüssel keinen
Zweifel: enttäuschet FPÖ-WählerInnen, SPÖ-WählerInnen, die Rot-Grün oder
einfach Gusenbauer nicht wollen, und Liberale, die Sorge haben, dass
ihre Partei nicht ins Parlament kommt. Thematisch geht es um
Beschäftigung, Pensionen und Budget, Studien- und Ambulanzgebühren und
Unfallrentenbesteuerung - und es geht um J. Haider, dessen Irak-Reise
und die FPÖ sowie, im Zusammenhang mit der Pensionsthematik, um
Frauenpolitik.
Was Haider und die FPÖ betrifft, so verurteilt Schüssel Haiders Irak-Reise
als das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt, und er nimmt die
"erfolgreichen Politiker" Riess-Passer, Grasser, Reichhold und
Westenthaler gegenüber den Angriffen Haiders in Schutz. Dass auch er –
von Haider und den anderen Parteien – attackiert und als
Koalitionspartner in Frage gestellt wird, nimmt Schüssel gelassen: nach
den Wahlen habe noch jeder Politiker die "Telefonnummer des
Parteivorsitzenden gewusst". Eine Koalition mit der FPÖ schließt er also
weiterhin nicht aus. Dass die Beschlüsse der "Knittelfelder Rebellen",
mit denen nach Schüssels und Rauch-Kallats eigenen Worten kein
Regierungsbündnis möglich ist, seit der Ablöse Reichholds durch Haupt
nun auch offiziell wieder Parteilinie sind; dass damit die auch
international geächteten "rechtsextremen Elemente" in der FPÖ wieder
offen an der Macht sind und eine Fortsetzung von Schwarz-Blau nur eine
Fortsetzung des Chaos der letzten Regierungstage bedeuten kann; und dass
dies alles keineswegs den Werten und Interessen christlich-sozialer und
bürgerlich-liberaler WählerInnen entsprechen kann, wird vom Kanzler
beharrlich ignoriert. Schüssel will und kann auch nicht mehr zurück – er
ist zum Gefangenen seiner Strategie geworden, seine politische Laufbahn
auf Gedeih und Verderb mit der Haider-FPÖ zu verbinden.
Was die Frauenpolitik betrifft, fällt auf, dass Schüssel die Anrechnung
von Kindererziehungszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
ausschließlich als Frauenangelegenheit behandelt und sich zugleich gegen
ein Pensionssplitting ausspricht – der (männliche) die Beiträge zahlende
"bred-winner" soll Pensionsbesitzer bleiben. Diese Asymmetrien macht
einmal mehr deutlich, dass Schüssel der Aufrechterhaltung einer
sexistischen und patriarchalen Geschlechterordnung das Wort redet.
Auffällig abermals der Kommunikationsstil Schüssels: Wer, wie
ORF-Redakteur Fuchs, kritische Zwischenfragen stellt, wird schroff
zurecht gewiesen – der Kanzler als Ab-Kanzler… -
Freiheitliche Deutsch-Kärntner Minderheitenpolitik unter den Vorzeichen
des Wahlkampfs – ganz im Sinne der Ankündigung von Haider, den Slowenen
weitere Förderungen vorzuenthalten, weil diese nicht auf das Ihnen vom
Verfassungsgerichtshof attestierte Recht auf zusätzliche Ortstafeln
verzichtet haben:
"Die FPÖ Kärnten lehnt entschieden eine Finanzierung eines slowenischen
Radios in Kärnten durch den Steuerzahler ab", erklärte FPÖ-
Landesparteiobmann Dr. Martin Strutz am 4. November. "Wir haben mit der
Volksgruppe im guten Glauben versucht, einen Konsens über all die
offenen Fragen von zweisprachigen Ortstafeln bis hin zu finanzieller
Unterstützung im Bereich der Medien herbeizuführen. Nachdem die
Slowenenvertreter im Rahmen der Konsenskonferenz nicht bereit gewesen
sind, ein überaus großzügiges Angebot aller drei Parteien und der
Heimatverbände anzunehmen, ist der Zug abgefahren", sagte Strutz. "Wenn
die ausgestreckte Hand zu einem konstruktiven Dialog ausgeschlagen
wurde, kann man nicht drei Wochen später wieder kommen und sagen,
füttert uns wieder" (APA OTS 04.11.02)
- Weil Jörg Haider wieder da ist, ist Christine "Mausi"
Lugner wieder weg! Grund für Lugners Rückzug aus der FPÖ: der
"Kurswechsel" der Partei, wie er durch die Ablöse Reichholds durch Haupt
und die jüngsten Aussagen Haiders zu Riess-Passer, Grasser und
Westenthaler zum Ausdruck käme (derStandard-online 04.11.02).
- Geburtstag von Bundespräsident Klestil am 4. November.
Van der Bellen (Grüne), Gusenbauer (SPÖ) und Verzetnitsch (ÖGB)
gratulieren öffentlich per Presseaussendung (APA OTS 04.11.02), Wiens
Bürgermeister Häupl (SPÖ) verleiht Klestil das "Große Goldene
Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien mit dem Stern", hingegen
keine Wortmeldung von Schüssel (ÖVP) und Haupt (FPÖ) – gleichsam
"Sanktionen gegen Österreich", diesmal im Inland und aus den Lagern der
Regierung, die dem Präsidenten nicht vergessen können, dass er sie
seinerzeit nicht angeloben wollte. - Am 5.
November berichtet der Kurier über eine internen Mitteilung des
Innenministeriums an die private Rückkehrberatung für Asylwerber,
European Homecare mit folgender Textpassage: "Es würde nicht schaden,
wenn bei den Beratenen der Eindruck eines zügig abgewickelten
Asylverfahrens entstünde, an dessen (baldigem) Ende (erwartungsgemäß
rechtskräftige Antragsabweisung) die entsprechenden fremdenrechtlichen
Verfügungen bzw. Zwangsmaßnahmen stehen" (derStandard-online 05.11.02).
Am selben Tag äußert sich VP-Generalsekretärin Rauch-Kallat in einer
Aussendung voll des Lobes über die "ehrliche Asylpolitik von
Innenminister Strasser". Dank seiner "vernünftigen Maßnahmen" – gemeint
ist offenbar die Asylrichtlinie, die AsylwerberInnen aus bestimmten
Ländern de facto das Recht auf ein Einzelfall-bezogenes ordentliches
Asylverfahren nimmt - sei "die Zahl der Asylanträge im Oktober im
Vergleich zum Vormonat um beinahe ein Drittel zurückgegangen".
"Vernünftig" ist es für sie offenbar auch, "jene Menschen, die unter
falschen Hoffnungen nach Österreich gelockt wurden, entsprechend (das
heißt in der Praxis: unter der Androhung ‚fremdenrechtlicher Verfügungen
und Zwangsmaßnahmen’, M.P.) zu beraten und bei der Rückkehr zu
unterstützen" (APA OTS 05.11.02). Rechte nehmen, mit Abschiebung drohen
– das ist heute also für die ÖVP ehrliche und vernünftige Asylpolitik.
- Wie die ÖVP vertritt auch die FPÖ eine Frauenpolitik
beruhend auf einem sexistischen traditionellen Frauenbild: So haben die
Wiener Landesssprecherin der Initiative Freiheitlicher Frauen (IFF)
Stadträtin Landauer gemeinsam mit Sicherheitssprecherin NAbg.
Partik-Pable und NAbg. Paphazy in einer Pressekonferenz am 6. November
folgende Forderungen an eine zukünftige Bundesregierung gestellt: 1000
Euro Mindestlohn, die Ausweitung des Kindergeldes bis zum 6. Lebensjahr,
die Aufhebung der Zuverdienstgrenze, was besonders den
Alleinerzieherinnen zugute kommt, das Recht auf Teilzeitarbeit bis zum
Ende der Volksschulzeit des Kindes, flächendeckend flexible
Öffnungszeiten der Kindergärten, der gratis Kindergartenplatz bis zum
Schuleintritt, sowie die verpflichtende Beistellung eines Anwalts bei
Scheidungsfällen um den Rechtsschutz zu gewährleisten" (APA OTS
05.11.02). Offenbar setzt dieses Paket von Forderungen unausgesprochen
voraus, dass (1) der natürliche Platz der Frau zu Hause beim Kind ist,
dass (2) Erwerbsarbeit für die Frau eine bloße Nebentätigkeit darstellt
und dass (3) die Frau daher immer wirtschaftlich vom Mann abhängig und
im Scheidungsfall besonders schutzbedürftig sein wird.
Um nicht missverstanden zu werden: solche Massnahmen sind in der
gegenwärtigen Situation der Diskriminierung und "Hausfrauisierung" (v.
Werlhof) von Frauen durchaus angebracht. Bei der FPÖ geht es hier aber
nicht um die Beseitigung eines vorübergehenden Zustands, sondern um
dessen Absicherung als dauerzustand!
- Kontroverse um die Renovierung der seit über 50 Jahren verfallenden
Synagoge der Kurstadt Baden. Die FPÖ-Spitzenkandidatin für den Wahlkreis
NÖ Südost (Region Baden), Christine Witty verlangt "eine Volksbefragung
der Badener Bürger" in Zusammenhang mit der vor zwei Wochen zwischen
Land, Stadt und Kultusgemeinde vereinbarten Synagogensanierung. Im
Badener Budget 2003 seien dafür 363.400 Euro vorgesehen, mehr dürfe
unter keinen Umständen gezahlt werden – und darüber solle abgestimmt
werden (derStandard-online 05.11.02). Offenbar versucht die Dame, mit
antisemitischen Ressentiments im Wahlkampf zu punkten…
- Nachklang der Neo-Nazi-Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung
am 13. April, nach deren offiziellem Ende Neonazis in der Wiener
Innenstadt Parolen wie "Sieg-Heil", "Deutschland den Deutschen", "Hier
regiert der nationale Widerstand" und "Ausländer raus" skandiert hatten,
im laufenden Wahlkampf:
Am 21. Oktober hatte die SJ-Floridsdorf in einer Presseaussendung einen
öffentlichen Hilferuf wegen regelmäßiger gewaltsamer Übergriffe von
Skinhead-Schlägertruppen gestartet (APA OTS 21.10.02). Dass diese
Schlägertruppe politisch motiviert ist, geht u.a. daraus hervor, dass
einige dieser Schläger auch an der Demonstration gegen die
Wehrmachtsausstellung teilgenommen haben sollen (derStandard-online
23.10.02).
Zwei Wochen später, am 5. November, berichtete der FALTER, dass die
Staatsanwaltschaft alle 36 anhängigen Verfahren wegen des Verdachts auf
Wiederbetätigung im Zuge der Ereignisse um die
Anti-Wehrmachtsdemonstration abgebrochen hat. Obwohl ein Video vorliege,
das die Verdachtsmomente bestätige, habe sowohl der Innenminister als
auch die Staatsanwaltschaft von fehlenden Beweisen gesprochen. Die
inkriminierten Sprüche könnten den Verdächtigen nicht eindeutig
zugeordnet werden; auch könne nicht ausgeschlossen werden, das nicht
"Sieg-Heil", sondern "Skinheads" gerufen worden sei. Überdies habe das
Auftauschen eines zweiten, manipulierten Videos die Ermittlungen
zusätzlich erschwert (derStandard-online 05.11.02).
Die Grünen warfen daraufhin dem Innenminister vor, "auf dem rechten Auge
blind zu sein" (Öllinger); dies sei eine "Gefahr für die Republik"
(Petrovic), und Jarolim (SP) richtete an Strasser die Frage warum er
seiner Verantwortung nicht nachkomme und den Schutz der Menschen und der
Demokratie hinter gefährliche Zugeständnisse an den Koalitionspartner
stelle. Rauch-Kallat (VP) wies das als "unerhörte Unterstellungen"
zurück – "Wir lassen die hervorragenden Arbeit unserer Exekutive nicht
von wild gewordenen Grün-Fundamentalisten in den Schmutz ziehen",
FP-Sicherheitssprecherin Partik-Pable hingegen konterte mit einem
unangemessenen Aufrechnungsversuch: "Anstelle zu behaupten, die
Exekutive habe Demonstrationen von Rechtsradikalen laufen lassen, und
damit eine Gefahr für diese Republik herbeigeführt, sollten sich die
Grünen besser von der Gewalt linksextremer Demonstranten, wie sie bei
den Donnerstagsdemos üblich waren, distanzieren" (APA-OTS 05.11.02,
06.11.02)
- TV-Konfrontation zwischen Schüssel (VP) und Haupt (FP)
vor 935.000 ZuseherInnen am 5. November. Die umworbene Zielgruppe sind
wiederum die enttäuschten FP-WählerInnen. Bei den Scheidungsgegnern ist
Beziehungsklärung angesagt Es beginnt mit der Koalitionsfrage. Haupt
verteidigt wieder die Knittelfelder Rebellen und stellt sie gleichsam
als "Hüter des Regierungsprogramms" dar, und er beharrt darauf, dass die
Entscheidung über die Aufkündigung von Schüssel getroffen worden sei.
Schüssel ortet die Schuld an dem Bruch eindeutig beim Putsch der
"Knittelfelder Rebellen" gegen das "erfolgreiche Regierungsteam" – "ganz
Österreich war Zeuge". Von der "culpa in eligendo", die Schüssel mit der
Wahl seines Koalitionspartners auf sich genommen hatte, war in dieser
Runde naturgemäß nicht die Rede …
Auf entsprechende Nachfrage bekräftigt Haupt dann - auch hier ganz auf der
Linie der Haider-Fraktion - die Aufforderung an Riess-Passer, Grasser,
und Westenthaler, die Partei zu verlassen, da sie nicht zur Demutsgeste
bereit gewesen wären, die FPÖ im Wahlkampf zu unterstützen. Als Haupt
dann mit Verve dafür plädiert, die Kooperation "professionell" unter
Zurückstellung persönlicher Beleidigtheiten im Interesse des Abschlusses
des "erfolgreich" begonnenen Wendeprojekt fortzusetzen, stimmt Schüssel
ihm aber zu.
Ein weiteres Thema: die Irak-Reise Haiders: Für Schüssel ein schädlicher
Akt, für Haupt eine Initiative für Frieden, Demokratie und Wirtschaft…
Dann zu Europa. Als sich Haupt hier nach einigem Lavieren für den
gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der Fragen der Benes-Dekrete und Temelin
doch auf ein "nein zur Osterweiterung" festlegt, bedankt sich Schüssel
für die "Klarheit" – und fügt hinzu: "damit nehmen Sie sich aus dem
Spiel". Als Haupt dann fast beschwörend erklärt, man müsse eben die Zeit
bis zur Ratifizierung für Verhandlungen nutzen, ist Schüssel aber wieder
– "das klingt jetzt schon anders" - zufrieden.
Fazit: weder die innerparteiliche Machtergreifung durch die Knittelfelder
Haiderfraktion noch die nach wie vor in Haupts Hemdsärmel verbliebene
Vetodrohung bezüglich des Beitritts Tschechiens zur EU sind für Schüssel
letztlich ein Hindernis für eine Erneuerung der Schwarz-Blauen
Koalition!
- Feuer am Dach der FPÖ: Während innerparteilich mit
Rücktrittsaufforderungen und Korruptionsvorwürfen an Riess-Passer,
Grasser und Westenthaler auf der einen Seite und mit Klagsvorbereitungen
gegen Haider wegen Rufschädigung auf der anderen Seite gearbeitet wird –
und damit dieselben Methoden der Diffamierung, Ausgrenzung und
Einschüchterung zum Einsatz gebracht werden, die früher gegen andere
Parteien und deren RepräsentantInnen angewendet wurden, brechen die
Umfragewerte weiter ein. Jetzt will Jörg Haider – der Brandstifter –
helfen und ab sofort in den Bundeswahlkampf einsteigen! "Was immer Haupt
für erforderlich hält, werde ich machen", so Haider in einem
NEWS-Interview. Die schlechten Umfragewerte der FPÖ führt Haider darauf
zurück, "dass die FPÖ-Wähler bisher noch nicht mobilisiert" worden
wären. Das soll nun mit einem "Last-Minute-Wahlkampf" (News) nach
folgendem Konzept nachgeholt werden:
• 9. November: Im Desing-Center Linz soll der Wahlkampfauftakt der FPÖ
über die Bühne gehen. Hauptredner: Herbert Haupt und Jörg Haider (Nach
Haider wäre dieser Event für Riess-Passer, Grasser und Westenthaler eine
Gelegenheit zur Rehabilitation gewesen: "Wenn sie Herbert Haupt
unterstützen wollen, erwarte ich, dass sie am Samstag in Linz sind",
eine Chance, die sie allerdings nicht wahrgenommen haben vgl. der
Standard-online 07.11.02, 09.11.02).
• 11. November: Zum dritten Mal muss die FPÖ österreichweit neue Plakate
affichieren. Jetzt im Bild: Haupt, Haider und die FP-Vizechefs.
• 12. bis 21. November: Haider auf Österreich-Rundfahrt. Mehrere
Veranstaltungen in jedem Bundesland, Großevents in den
Landeshauptstädten.
• 22. November: Traditionelle Schlusskundgebung am Freitag vor der Wahl
auf dem Wiener Stephansplatz. Redner: Hilmar Kabas, Haupt, Haider.
Sollte die FPÖ dabei einen Stimmenanteil von "15 bis 20 Prozent"
erreichen, werde "Haupt jedenfalls FPÖ-Obmann bleiben".
Schüssel wird von Haider zwar abermals heftig attackiert - dieser sei
"ohne die Schalthebeln der Macht ein menschliches Nichts". Eine
Fortsetzung der schwarz-blauen Koalition schließt er aber nach wie vor
nicht dezidiert aus.
Sollte die FPÖ unter 15 Prozent fallen, werde es einen Neuanfang und eine
"unkonventionelle Neugründung der FPÖ" geben (wohl kaum, um diese
unzweideutig auf Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte zu
verpflichten, sondern eher um sie von ideologisch nicht linientreuen
nicht Haider-loyalen Mitgliedern zu säubern, M.P.). Eine Rückkehr an die
Spitze einer solchen neuen FPÖ hält Haider für mehr als denkbar: "Wenn
man so viele Jahre hart gearbeitet hat, kann man nicht einfach nur
zuschauen. Dann hilft man natürlich." (News-Networld 06.11.02,
07.11.02).
- TV-Konfrontation zwischen Gusenbauer und Van der Bellen
vor 715.000 ZuseherInnen am 7.November. Weitestgehende Übereinstimmung
bei dieser "Verlobungsverhandlung" (Modorator E. Oberhauser) in allen
inhaltlichen Fragen – von der Abschaffung der Ambulanz und
Studiengebühren sowie der Unfallrentenbesteuerung über die
Nachjustierung der Universitätsreform (Wiedereinführung der
Mitbestimmung und eines durchgehenden Laufbahnmodells für den
wissenschaftlichen Nachwuchs), Frauen- und Gleichstellungspolitik,
Atompolitik, Wachstums- und Beschäftigungspolitik unter Beachtung des
Stabilitätspakts bis zur Verwaltungsreform und Objektivierung der
Postenvergabe. Ein fast schon zu harmonisches Konzert - inszeniert, um
WählerInnen zu beruhigen, die Angst vor Rot-Grün haben.
Differenz freilich in der Koalitionsfrage: Van der Bellen wirbt offen für
Rot-Grün und verweist auf die inhaltlichen Gegensätze zwischen SP und
VP, der umworbene Gusenbauer ziert sich und hält sich die rot-schwarze
Option offen, und er erneuert auch die Ansage, als Zweiter in Opposition
zu gehen – auch wenn sich Rot-Grün ausginge. -
Seit Knittelfeld offizielles Wahlprogramm der FPÖ ist, machen sich die
Hardliner immer deutlicher öffentlich bemerkbar: Der rechte
Burschenschafter und Weltkriegsnostalgiker NR Jung beispielsweise kennt
in der "Gretchen-Frage" der schwarz-blauen Koalition, der Frage der
Benes-Dekrete, keine Kompromissbereitschaft mehr: an drei
aufeinanderfolgenden Tagen schwingt er die Vetokeule: am 6. November
geißelt er in einer umfangreichen Dokumentation "das scheinheilige Spiel
der ÖVP", am 7. November argumentiert er mit spitzfindigen juristischen
Argumenten unter dem Motto: "Benes-Dekrete ohne Wenn und Aber
abschaffen", und am 8. November fordert er ultimativ: "Kein EU-Beitritt
Tschechiens und der Slowakei mit Benes-Dekreten" (APA OTS 06.11.02,
07.11.02, 08.11.02). Nicht viel Spielraum für Verhandlungen, auf die
Haupt in seiner TV-Konfrontation mit Schüssel zu dessen Beruhigung
hingewiesen hat …
Obmannstellvertreter Prinzhorn ließ am selben Tag mit einem Interview im
"Wirtschaftsblatt aufhorchen, in dem der infame Satz gefallen ist: "
Wenn man an der March schaut, was alles über die Grenze kommt, dann
kommen auf 3 Hirschen 50 Tschetschenen und auf 2 Wildschweine kommen
noch einmal 100 Kasachen".
Zugleich wird FPÖ-intern gegen Abweichler vom stramm rechten und
bedingungslos Haider-loyalen Kurs scharf durchgegriffen – erstes Opfer:
der Obmann-Stellvertreter der FPÖ-Kufstein, der es gewagt hatte, Haiders
Irak-Reise zu kritisieren und Haiders parteiausschluß wegen Schädigung
der Partei und Österreichs gefordert hatte. Er wurde auf Antrag der
Bezirksparteileitung "ab sofort wegen parteischädigenden Verhaltens aus
der FPÖ ausgeschlossen" (derStandard-online 08.11.02).
- Was sich bereits zuvor abgezeichnet hatte, wurde am 8. November
Realität: Schüssel unterbreitete Noch-FP-Finanzminister Grasser das
Angebot, ihn als parteiunabhängigen Fachminister in ein von ihm
geführtes "Kompetenzteam" aufzunehmen; er könne dabei auch FPÖ-Mitglied
bleiben. Die nach der inhaltlichen Annäherung (Asylpolitik, Diffamierung
von Oppositionellen als "Vaterlansvernaderer" und "Linksradikale") nun
auch in personeller Hinsicht die Fusion ÖVP – FPÖ als okkasionelles
Angebot des Kanzlers an enttäuschte FPÖ-WählerInnen.
Wütende Reaktionen bei der FPÖ – Haupt: "Wenn Grasser Charakter hat, tut
er das nicht"; andernfalls werde damit klar, dass er eben ein
charakterloser Verräter sei: "Die Nebel lichten sich", und Strutz
diagnostizierte, Schüssel habe vor, "eine in ihren Grundsätzen
gefestigte, EU-kritische und zu ihrem erfolgreichsten Parteimitglied
loyale FPÖ zu zerstören und Teile herauszuspalten, die als willfährige
Mehrheitsbeschaffer dienen sollen". Auch Schweitzer sprach konsterniert
von einem "Spaltungsversuch" (derStandard-online 08.11.02).
- Neuauftakt des FPÖ-Wahlkampfs mit einem
"Motivations-Frühschoppen" am 9. November in Linz: Erstredner Haider
beschäftigt sich vor allem mit der ÖVP: Schüssel habe seinen
Koalitionspartner "hundsmiserabel behandelt" und wolle die FPÖ
"zerstören". Das werde man dem Kanzler "heimzahlen". Was Schüssels
Ministeramts-Angebot an Grasser betrifft glaube er aber, dass Grasser
"den Verlockungen widerstehen" werde. Anderenfalls hätte er sich "sehr
getäuscht".
Schüssel sei auch für das Scheitern der Regierung verantwortlich. Die
Steuerreform sei nicht wegen des Hochwassers sondern auf Drängen von
VP-Landeshauptleuten verschoben worden. Außerdem habe Schüssel "Angst
gehabt", die im Regierungsprogramm festgeschriebenen Bedingungen zur
EU-Erweiterung einhalten zu müssen. Die ÖVP sei eben für eine
"Erweiterung ohne Wenn und Aber". Wer auch nur einen "Funken an
Patriotismus" in sich habe, müsse aber zuerst auf Österreich schauen.
Haider versäumte es auch nicht, vor einem "Rückfall in Rot-Schwarze
Unsitten" zu warnen - "Die planen das" (derStandard-online 09.11.02).
- FP-Spitzenkandidat Herbert Haupt am 10. November zu Gast in der
ORF-Pressestunde. Zielgruppe seines massiver Einsatz: die von Schüssel
mit seinem Angebot an Grasser neuerlich heftig umworbenen
FPÖ-WählerInnen. Haupt wirbt immer noch für schwarz blau. Inhaltlich
stehen Sozialpolitik und EU-Osterweiterung im Mittelpunkt, es geht aber
auch und vor allem um Koalitionsfragen und den von Schüssel umworbenen
K.-H. Grasser. Angesichts der Ungewissheit darüber, wie Grasser selbst
sich entscheiden würde, versucht es Haupt doppelbödig – mit
Vereinnahmung an der Oberfläche und gleichzeitigen unterschwelligen
Schuldzuweisungen: Einerseits: Grasser ist einer von uns, der wird so
etwas nicht machen, andererseits: Grasser ist an den Ambulanzgebühren
ebenso schuld wie an der Unfallrentenbesteuerung, und überdies kann auch
Grasser nicht ohne parlamentarische Mehrheit amtieren. Einerseits; die
Knittelfeld war keine Rebellion, die dort gefassten Beschlüsse standen
auf dem Boden des freiheitlichen Wahlprogramms und des
FPÖVP-Regierungsprogramms und sind unter Mitwirkung von Riess-Passer
zustande gekommen, andererseits: zwei der Forderungen Riess-Passers an
die Delegiertenversammlung seien "maoistisch" und daher zu streichen
gewesen. Die Botschaft ist eindeutig: Die Fortsetzung der Wende ist nur
mit blauer Unterstützung möglich, und wer eine Politik für den "kleinen
Mann" will, darf sich nicht auf Schüssel und Grasser verlassen.
- Ebenfalls am 10. November hat sich auch Alfred
Gusenbauer mit seinen QuereinsteigerInnen Broukal, Knoll und Petritsch
auf Fischzug nach enttäuschten FPÖ-WählerInnen nach Knittelfeld begeben.
Dort – am Schauplatz des Aufstande der Haider-treuen FP-Basis gegen die
damalige Spitze – haben sie einen "Offenen Brief an alle, die ÖVP und
FPÖ vertraut haben", signiert, der am folgenden Tag in allen großen
Tageszeitungen als Inserat geschalten wurde. Die Botschaft des Briefs:
Die FPÖ hat alle Wahlversprechen an den "kleinen Mann" gebrochen, zur
ÖVP überzulaufen nützt nichts, denn die ist immer schon eine Partei der
Eliten gewesen. Wir SozialdemokratInnen haben uns gewandelt – wir sparen
am richtigen Ort und verwenden die vorhandenen Mittel für die Sorgen des
"kleinen Mannes" (APA-OTS 10.11.02). - Auch
inhaltlich fischt die ÖVP ungeniert weiter in freiheitlichen Gewässern:
ÖVP-Sicherheitssprecher Kiss versucht’s mit dem Schüren von
Ressentiments gegen Fremde, wenn er am 11. November zur Forderung der
Grünen Abgeordneten Stoisits nach Einführung des "Jus solis" im
Staatsbürgerschaftsrecht feststellt: "Die Grünen wollen mit ihrer
Forderung nach der Einführung des Bodenprinzips Österreich offenbar zu
einem Einwanderungsland machen".
Der außenpolitische Sprecher der ÖVP Spindelegger probiert’s hingegen mit
der Mobilisierung von Austrochauvenismus: auf die Feststellung des
SPÖ-Außenministerkandidaten Wolfgang Petritsch, es gebe international
einen großen "Vertrauensverlust" gegenüber Österreich, und man müsse
schwer darum kämpfen, "dass der Ruf Österreichs wieder hergestellt
wird", reagiert er mit dem üblichen Vorwurf der "Österreich-Vernaderei":
"Das zeigt, dass die Sozialisten schon wieder ein Zerrbild von unserem
Land und seiner Rolle in Europa zeichnen, wie sie das bei den Sanktionen
getan haben". Wolfgang Petritsch habe sich damit als Kandidat für einen
österreichischen Außenminister "ganz klar disqualifiziert hat" (AP OTS
11.11.02). - 12. November: Grasser gibt seine
mit professionell über 5 Tage hingezogener Dauerspannung erwartete
Entscheidung bekannt, für das "Kompetenzteam" von VP-Kanzlerkandidat W.
Schüssel zur Verfügung zu stehen. Er wolle einerseits keine halbfertigen
Projekte hinterlassen, andererseits eine Koalition von Rot-Grün
verhindern. Diese sei "schlecht für Österreich", wofür ein Blick auf
Deutschland genüge. Die Reaktionen auf Schüssels "Angebot der Öffnung"
(nach rechts, M. P.):
Haupt: "Ich glaube, dass er (Schüssel, M.P.) hier auf den falschen Dampfer
setzt, auf einen Wähleraustausch zwischen Schwarz und Blau, und es
peinlichst vermeidet, die tatsächlichen Gegner, Rot-Grün, in aller
Schärfe anzugreifen. Das könnte Schüssel letztendlich die Mehrheit und
das Kanzleramt kosten". Bemerkenswert frei von Drohungen und
nüchtern-analytisch – eine weitere Vorleistung für die Fortsetzung der
schwarz-blauen Koalition. Weniger zurückhaltend der Kärntner FP-Obmann
Strutz: "Jetzt wissen wir, warum Grasser die Steuerreform blockiert und
andere Entscheidungen zum Nachteil der FPÖ getroffen hat".
Landeshauptmann Jörg Haider, der seit einem Jahr auf die Strategie der
ÖVP, die FPÖ spalten zu wollen, hingewiesen habe, sei damit voll
rehabilitiert. "Leider haben bei dieser Strategie einige aus unserer
Partei mitgespielt", bedauerte Strutz. Von Grasser habe er "nichts
anderes erwartet". Dieser habe die FPÖ "schon ein Mal verlassen".
Strutz: "Der Charakter eines Menschen zeigt sich in harten Zeiten und
nicht bei Schönwetter".
Van der Bellen: "Ein durchsichtiger Versuch weitere FPÖ-Wähler an die ÖVP
zu binden. nur weiter so: die ÖVP rückt nach rechts, Grasser steht für
die höchste Steuerquote der Geschichte. wenn das Neu-Regieren heißt...".
Eine deutlich ablehnende Positionierung …
Gusenbauer: Einerseits: Grasser sei als Minister einer großen Koalition
"undenkbar. Grasser steht für die Belastungspolitik der letzten Jahre,
er steht für die 32 Steuererhöhungen, die FPÖ und ÖVP unter
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel durchgesetzt haben und er plant schon
die nächste Steuererhöhung. Damit muss endlich Schluss sein, das ist der
falsche Weg"; andererseits: "Jeder, der den Kurs der
Wirtschaftsankurbelung und der Steuersenkung mitträgt, kann
Finanzminister werden" – also auch ein vom Saulus zum Paulus mutierender
Grasser. Mit dieser vorsichtigen Reaktion versucht Gusenbauer offenbar,
die Gefahr zu vermeiden, mit der direkten Ablehnung des beliebtesten
Politikers der Wenderegierung GefühlswählerInnen vor den Kopf zu stoßen,
und gleichzeitig an seiner Strategie festzuhalten, durch inhaltlicher
Abgrenzung von der Spar- und Belastungspolitik der Wendekoalition
enttäuschte FPÖ-WählerInnen anzusprechen. Direkter in seiner Ablehnung
Wiens SP-Bürgermeister Häupl: Es sei eine "G'spassigkeit", angesichts
eines Finanzministers Grasser an eine Koalition von SPÖ und ÖVP zu
denken (derStandard-online 12.11.02, News Networld 12.11.02).
- Andere Probleme beschäftigen indessen den Obmann der
Wiener FPÖ Hilmar Kabas: die von der Wiener SPÖ geplante (und
bekanntlich auch von der ÖVP abgelehnte) Einführung des kommunalen
Wahlrechts für AusländerInnen: Für den bekannt xenophoben Kabas ein Fall
für eine Volksabstimmung, denn immerhin werde dadurch – so Kabas in
hetzerischer Weise die Tatsachen verdrehend - "ein elementares
Staatsbürgerschaftsrecht … massiv in Frage gestellt (und) …der Wille zur
Integration weiter gebremst wird". Darüber hinaus würden "über die
Kandidatur von ethnischen Listen Konflikte geschürt und auch in die
Bezirkspolitik getragen". Kabas geriert sich auch als Hüter der
Verfassung, deren Begriffe "Staatsvolk" und "Homogenität" er freilich im
Sinne der völkischen FPÖ-Ideologie interpretiert: mit dem Wahlrecht für
AusländerInnen werde "das Homogenitätsgebot, in dem der Gedanke der
Einheit der verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze zum Ausdruck kommt,
das demokratische Prinzip und der Art 3 Staatsgrundgesetz (StGG), wonach
ein öffentliches Amt nur von Staatsbürgern ausgeübt werden kann, massiv
verletzt" (APA OTS 12.11.02). - "Kleines Finale"
der TV-Konfrontationen Haupt (FPÖ) vs. Van der Bellen (Grüne) vor
981.000 ZuseherInnen am 12.November: da es kaum Gemeinsamkeiten der
beiden Parteien gibt, geht es auch nicht um eine gemeinsame Zielgruppe.
Die Themen: der Wechsel Grassers ins Team Schüssels, die Optionen
Rot-Grün bzw. Schwarz-Blau, Belastungs- und Atompolitik, Drogen und
Antisemitismus, Sicherheit und Transitverkehr. Haupt baut nach wie vor
auf Schwarz-Blau, um Grasser tue es ihm "leid", er mache aber Schüssel
nicht die Freude zu "schäumen", und Grassers Teamtransfer sei auch "kein
Hindernis" für eine Fortsetzung der FPÖVP-Koalition. Unter Verweis auf
Deutschland droht er mit der unvermeidlichen "rot-grünen Katze". Im
übrigen versucht er in einem Kraftakt der Abspaltung die
Belastungspolitik der Wende Grasser und dem Koalitionspartner
(Bartenstein) zu zuzuschreiben, sozialpolitische "Wohltaten" hingegen
für sich selbst zu reklamieren. Der ungewohnt angriffige Van der Bellen
kritisiert die nun auch auf personeller Ebene erfolgte "Verbläuung" der
ÖVP und kritisiert erwartungsgemäß den Regierungskurs von Grasser und
Schwarz-Blau. Und er konfrontiert Haupt mit den jüngsten antisemitischen
Anspielungen Haiders auf die ominösen "Kreise an der Ostküste". Dieser
reagiert mit der massiven Nervosität eines auf frischer Tat Ertappten,
bestreitet aber in einer umständlicher und gewundener Ausdrucksweise,
die verrät, dass er sich hier auf einem für ihn verfänglichen Terrain
bewegt, den antisemitischen Gehalt. Das ganze sei – so die bereits aus
früheren freiheitlichen Vertuschungsversuchen bekannte Ausrede - ein
rein semantisches Problem: "Ostküste" sei nichts weiter als eine in
Amerika gebräuchliche geographische Bezeichnung - "unsere jüdischen
Mitbürger" mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen…
- Während ÖVP und FPÖ trotz der (durch die
Radikalisierung der FPÖ und durch den "Fischzug" Schüssels in
freiheitlichen Gewässern mit einem akzentuiert rechten Politikangebot
und dem freiheitlichen Überläufers Grasser als Köder bedingten)
Spannungen an der Option der Erneuerung ihrer immer deutlicher zur
Fassade verkommenden Ehe festhalten und die ÖVP sich gleichzeitig die
Variante einer großen Koalition mit der SPÖ offen hält und am 14.
November auch noch die Möglichkeit einer Minderheitenregierung mit dem
"unabhängigen Finanzminister" Grasser ins Spiel bringt, versucht die SPÖ
verstärkt, den Eindruck einer bereits bestehenden "Verlobung" mit den
Grünen zu vermeiden, die Option einer Koalition mit der ÖVP ungeachtet
des "Teamtransfers" Grassers weiterzuverfolgen und – mit "unmoralischen"
Ansagen wie "Kontrolle der Zuwanderung", "keine Legalisierung von
Drogen" und "kein Stopp des Autobahnbaus" – im Endkampf um Platz 1 mit
der ÖVP gezielt enttäuschte FPÖ-WählerInnen mit Angst vor "Überfremdung"
ebenso auf ihre Seite zu ziehen wie potentielle SP-WählerInnen mit Angst
vor Rot-Grün (derStandard-online 13.11.02).
Das sind taktische Spiele, die nicht nur möglicherweise – sofern sie von
den WählerInnen durchschaut werden - gar nicht im Sinne ihrer Erfinder
funktionieren. Sie sind auch dazu geeignet, inhaltliche Verbindungen und
Gegensätze zwischen den Parteien zu verwischen oder gar abzuschleifen
und in der Folge politische Konstellationen zu schaffen die die
notwendige Aufarbeitung der menschenrechtlich, rechtsstaatlich und
demokratiepolitisch bedenklichen Elemente der blau-schwarzen Wende nicht
mehr zulassen! - "Großes Finale" der
TV-Konfrontationen am 14. November: Schüssel vs. Gusenbauer: Vor 1,75
Mio. ZuseherInnen geht es um die – laut Meinungsforschung immer noch bei
einer Million liegenden – Unentschlossenen, insbesondere aus der
"Konkursmasse" der FPÖ. Thematisch stehen vor allem Beschäftigung und
Sozialpolitik (Belastungen, Pensionsreform) und Frauenpolitik, am Rande
auch Rot-Grün, Schwarz-Blau (mit Grasser ohne oder mit FPÖ) und die
"Zeit der Sanktionen" im Mittelpunkt. Gusenbauer vermeidet abermals,
eine Regierung mit einem Finanzminister Grasser ausdrücklich
auszuschließen, grenzt sich aber scharf vom Schüssel-Grasser-Kurs ab.
Schüssel, der den Gegner unterschätzt zu haben scheint, versucht
wiederum mit ausgesuchten statistischen Erfolgsbilanzen und mit scharfen
Angriffen auf den Gegner (Gusenbauer macht Österreich schlecht, trinkt
mit den Feinden Österreichs Champagner, geht einen Zick-Zack-Kurs) und
mit dem Schreckgespenst Rot-Grün in die Offensive zu geraten. Gusenbauer
zeigt sich überraschend ungerührt ("schauen sie mir jetzt in die Augen,
das ist Ihrer nicht würdig"), pariert die Angriffe geschickt (er brauche
sich in Sachen Patriotismus nicht belehren lassen, ins Ausland sei er
Anfang des Jahres 2000 auf Wunsch von Schüssel gefahren, weil man diesen
dort nicht empfangen wollte, und Schüssel argumentiere mit seinen
abstrakten Zahlen am Schicksal der Menschen vorbei), kämpft mit seinen
Themen - Beschäftigung und Sozialpolitik (Belastungen, Pensionsreform)
und Frauenpolitik, gegen "soziale Kälte"– ambitioniert gegen sein Image
als "Kühlschrank" an und drängt Schüssel damit zunehmend in die
Defensive ("für Sie sind Arbeitslose ein Schönheitsfehler", "sie sind
für ‚soziale Kälte’ bekannt").
Am Schluss dann ein für den Ausgang des Duells höchst symptomatischer
Augenblick: als Moderator Oberhauser bekannt gibt, dass Sturm Graz im
UEFA-Cup aufgestiegen sei, beginnt Gusenbauer mit dem Applaus und
Schüssel fällt ein.
- Die an die Peripherie gerückte FPÖ setzt in der
Endphase ihres Wahlkampfes verstärkt auf fremdenfeindliche
Ressentiments. So erinnert der Kärntner FPÖ-Obmann Strutz am 15.
November in einer Aussendung, dass SPÖ und Grüne das Ausländerwahlrecht
sogar gegen die Bedenken des Verfassungsdienstes durchboxen wollen
(Presse, 15.11.02, Seite 33). "Es ist bezeichnend, dass die SPÖ bereits
Wahlbroschüren in türkischer Sprache aufgelegt hat. Während SPÖ und
Grüne hauptsächlich die Interessen der Ausländer in Österreich
vertreten, ist die FPÖ die einzige politische Gruppierung, die das
Ausländerwahlrecht ganz entschieden ablehnt. Wir vertreten
ausschließlich die Interessen der Österreicherinnen und Österreicher"
(APA-OTS 15.11.02).
Auch die Methode der Diskreditierung von Personen wird reaktiviert. So
bekommt etwa der "Slowene Petritsch" (Strutz),
SPÖ-Außenministerkandidat, nochmals sein Fett ab. Mit Zitaten aus
kolportierten Kommentaren gegnerischer PolitikerInnen und Leserbriefen
und Kommentaren aus konservativen Zeitungen hat Schweitzer am 16.
November nochmals versucht, dessen Expertenimage zu beschädigen:
"Schwere Ausschreitungen - unnahbar - Unglück über Bosnien-Herzegowina
gebracht - dilettantisch - Insgesamt zeichnet sich also ein Bild
Petritschs, das der Propaganda der SPÖ nicht wirklich entspricht"
(APA-OTS 16.11.02). - Angesichts des
Punktesiegs, den Gusenbauer nach Meinung der Mehrheit nationaler und
internationaler KommentatorInnen in der TV-Konfrontation mit Schüssel
erzielt hat, ist sich ein nervös gewordener Andreas Khol nicht zu
schade, die "rote Katze" aus der Mottenkiste der österreichischen
Politpropaganda auszupacken: Ihn habe der Auftritt in der
Fernseh-Konfrontation an die radikale Zeit von Alfred Gusenbauer
erinnert, "als dieser im kommunistischen Moskau den Boden geküsst hat
und als sogar die eigene Parteispitze besorgt über Gusenbauers Nähe zu
Kommunisten war". Auch habe sich Gusenbauer "nie von seiner links-linken
Vergangenheit distanziert".
Kohl erinnert auch an Aussagen des damaligen Vorsitzenden der
Sozialistischen Jugend gegenüber dem Staat Israel, den Gusenbauer als
eine "Apartheid-Demokratie" bezeichnet habe – und bezichtigt damit
Gusenbauer unterschwellig des Antisemitismus.
Gusenbauer und sein "polternd-agressives Diskussionsverhalten" erwecken
aber bei Khol noch weiter zurückreichende Erinnerungen: "Die Art, wie
Alfred Gusenbauer sich selbst als 'Arbeiterkind' und die SPÖ als die
Partei der Armen darstellen wollte sowie die zur Schau gestellte
Mittelstandsfeindlichkeit, erinnern an die Diktion der revolutionären
Sozialisten in der Zwischenkriegszeit" (APA-OTS 16.11.02).
- ORF-Pressestunde mit Alfred Gusenbauer am 17. November.
Die Jounalisten versuchen Gusenbauer zu entlocken, wie er die
Versprechungen seines Wahlprogramms – Wirtschaft ankurbeln, Pensionen
garantieren, Zwei-Klassen-Medizin verhindern usw. - finanzieren wolle.
Eine Gelegenheit, der Propaganda des politischen Gegners ("Gusenbauer –
der aggressive Polterer und Ideologe ohne ausreichende Sachkenntnis")
entgegenzuwirken und Dialogfähigkeit und Wirtschaftskompetenz zu zeigen.
Ein "übermotivierter" Gusenbauer lässt sich diese Gelegenheit entgehen:
er beantwortet die Sachfragen nicht, unterbricht die Fragesteller und
spult seinerseits ungerührt von allen Interventionsversuchen der
Journalisten plakative Wahlkampfparolen und sentimentale Stories aus
seinen angeblichen Begegnungen mit Betroffener ab. Ob aus psychischer
Überforderung oder aus Übermut. Gusenbauer nähert sich jenem "polternd
aggressive Diskussionsverhalten" an, das ihm Kohl Tags zuvor bezüglich
seiner TV-Konfrontation mit Schüssel zu Unrecht vorgeworfen hatte.
- 17. November, Kirchberg am Wagram: Haider wieder auf
Tour. Er beschwört vor allem die Gefahr einer Neuauflage der großen
Koalition - damit würde das Land "wieder in Geiselhaft genommen" – und
davor, der ÖVP die Stimme zu geben: "Die ÖVP ist wie der Mond", so
Haider: Dieser leuchte zwar schön durch die ihn bestrahlende Sonne, sei
aber eigentlich nur eine "schiache dunkle Kugel". Die Sonne in den
vergangenen zweieinhalb Jahren sei die FPÖ gewesen. Und er versucht sein
Publikum auf die FPÖ einzuschwören, indem er diese Partei, die durch
Ausgrenzung und Diskreditierung des politischen Gegners groß geworden
ist, in Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse als politisch Verfolgte
dargestellte FPÖ: man habe in den vergangenen Jahre versucht, die FPÖ zu
ruinieren und in "Gute" und "Böse" auseinander zu dividieren - von
seiner Abwahl als Landeshauptmann 1991 beginnend über das "Lichtermeer",
inszeniert als "Hetze" gegen die angesichts der drohenden
"Ausländerflut" für schärfere Zuwanderungsgesetze eintretenden FPÖ, bis
zur Briefbombenserie, die in den Medien ebenfalls FPÖ-Kreisen angelastet
worden sei. Aber: "Diese FPÖ kann man nicht kaputt machen!"
(derStandard-online 17.11.02). Ähnliches war dann in den folgenden Tagen
auch in Innsbruck oder Wels zu hören.
- Weiter xenophobe Rundumschläge als letztes
Wahlkampfaufgebot der FPÖ – diesmal per Adresse ihres Hauptfeindes der
letzten Wahlkampftage, der ÖVP. Der Kärntner Landesparteiobmann Strutz
zitiert bei einer Pressekonferenz in Klagenfurt am 18. November einen
Wahlprospekt der ÖVP, in dem es unter einem Bild von Bundeskanzler
Schüssel gemeinsam mit einer Türkin heiße: "Die Vorhaben der ÖVP:
Rechtsanspruch auf einen unbezahlten Urlaubstag am wichtigsten
muslimischen Feiertag, dem Opferfest" Aber Strutz enthüllt noch weitere
"unglaubliche Forderungen der ÖVP": Öffnung von Gemeindewohnungen für
nichtösterreichische Staatsbürger und Drogenberatung für
Zuwandererkinder in ihrer Muttersprache.
Durch die verzerrende Optik seiner deutsch-völkischen Brille kann Strutz
in soviel integrationspolitischer Vernunft naturgemäß nur einen Verrat
der ÖVP an den Österreichern und am Christentum erblicken, hinter dem
er, durch rechtsextreme Verschwörungstheorie irregeleitet, eine
schwarz-grünes Komplott vermutet: Damit komme, so Strutz, "das wahre
Gesicht der ÖVP und des Bundeskanzlers zum Vorschein: …Er opfert sogar
die Ideologie und Grundsätze seiner Partei. Was werden der Herr Bischof
und die Vertreter der Wirtschaftskammer zu dieser ÖVP-Forderung wohl
sagen? Die Annäherung an die Grünen und das Angebot zu einer Koalition
passt da voll ins Bild. Schüssel und der ÖVP ist alles egal, um nur an
der Macht zu bleiben" (APA OTS 18.11.02).
- Aber im Wettbewerb mit ihrem Regierungspartner FPÖ
fischt aber auch die ÖVP im Gewässer der Xenophoben. Nach einer Meldung
der Kleinen Zeitung soll Außenministerin Ferrero-Waldner erklärt haben,
ihr SP-Herauforderer Petritsch stehe für eine "Balkanisierung der
Außenpolitik". Diese Aussage kann wohl nur als Anspielung auf FP-Strutz’
infame Rede vom "Slowenen Petritsch" und auf historische Vorurteile, die
hierzulande gegen die Balkanregion gehegt werden, verstanden werden.
Daran kann auch die nachträgliche beschwichtigende Erklärung des
außenpolitischen Sprechers der ÖVP Spindelegger, "dass die
Außenministerin sich gegen jede einseitige, verkürzende oder
herabwürdigende Annäherung in diesem Zusammenhang stellt", nichts ändern
(APA OTS 18.11.02).
- Peinliche Panne bei der SPÖ im Endkampf um die
Wählerinnen aus der freiheitlichen Konkursmasse, die geeignet ist, die
Partei in ihrer Kernkompetenz "Soziales" ebenso zu beschädigen wie die
Glaubwürdigkeit ihrer Forderung nach "kontrollierter Zuwanderung",. Am
19.November wird bekannt, dass dass ein Subunternehmen eines von der SPÖ
im Wahlkampf beauftragten Unternehmens ein Arbeitnehmer ohne
Aufenthaltsgenehmigung und ohne Anmeldung bei der Sozialversicherung
beschäftigt hat. Ein Fehler, der von ÖVP und FPÖ naturgemäß genussvoll
ausgeweidet wurde (derStandard-online 19.11.02).
- Indessen sendet die FPÖ weiterhin auch auf lokaler Ebene
antisemitische Signale aus: Die FP-Ortsgruppe in Kaumberg (NÖ) wirbt für
die Wahlen mit einem antisemitischen Pamphlet. Einer Postwurfsendung,
die übrigens auch vor "Überfremdung" warnt, ist die Broschüre
"Krisengebiet Nahost" von Richard Melisch beigelegt, der den Konflikt
als Kampf zwischen dem "global organisierten, ... territorial nicht
fassbaren Zionismus" mit Verbindungen zur (jüdischen) New Yorker
Hochfinanz und den arabischen Völkern beschreibt, die "immer unsere
Freunde" waren (derStandard-online 19.11.02). -
Auch in der Minderheitenfrage setzt die FPÖ im Wahlkampffinale
unmissverständliche Zeichen: Als Kompensation für eine um Verständnis
für slowenenische Partisanen werbende und gegenüber Deutsch-Nationalen
kritische Dokumentation, die von von Haider und der FPÖ seinerzeit
heftig kritisiert und – ohne Erfolg - mit einer Beschwerde beim
Publikumsrat des ORF beeinsprucht worden war, hat Haider am 19. November
vom ORF gefordert, die neue Partisanen-Dokumentation von Carl Gustaf
Ströhm und Andreas Mölzer (Herausgeber des Forums für Rechtsextremisten
"Zur Zeit" und Chefideologe der Vereinigung der europäischen Rechten)
anzunehmen und damit eine "Wiedergutmachung" zu leisten. Diese
Dokumentation über die Massenmorde der Titopartisanen "In der glühenden
Lava des Hasses" sei als Gegenprogramm zu dem vom ORF ausgestrahlten
Partisanen-Beitrag, der "nichts mit der historischen Wahrheitsfindung
gemein hatte", gedacht.
Weiters teilte Haider mit, dass mit dem Landesschulrat und der
Unterstützung durch das Landesarchiv eine Wanderausstellung für Kärntens
Schulen gemacht werde, die die historischen Ereignisse von damals den
jungen Menschen vermitteln soll. Mit der Präsentation der neuen
Dokumentation solle auch der Startschuss erfolgen, dass wir über die
Geschichte, wie sie wirklich war, reden dürfen. Wäre dies nicht möglich,
dann würden wir in keiner Demokratie leben. Denn freie Meinungsäußerung
und historische Wahrheit gehören untrennbar zusammen (APA OTS 19.11.02).
Die Autorenschaft lässt freilich vielmehr vermuten, dass LH Haider hier
unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit Revisionismus als Pflichtübung
in den Schulen verordnet.
- Dagegen nochmals Signale gegen Rechts von Seiten der
Oppositionsparteien am 20. November: Als "unerträgliche Provokation für
alle Demokraten" bezeichnete der Vorsitzende der SPÖ-Bundesratsfraktion,
Albrecht K. Konecny, die Nutzung des von der ÖVP-FPÖ-Regierung hoch
subventionierten "Hauses der Heimat" als Plattform für den berüchtigten
deutschen Rechtsradikalen Schönhuber.
Andererseits haben SPÖ und Grüne das Rechtskräftig-Werden der Aufhebung
eines Bescheides über die Entlassung eines Asylwerbers aus der
Bundesbetreuung durch ein Wiener Gericht, der auf Grund der neuen
Asylrichtlinie erlassen worden war, sowie ein vom
UN-Flüchtlingshochkommissariat, Roten Kreuz und der Caritas in Auftrag
gegebenes Rechtsgutachten, das die Richtlinie als verfassungswidrig
ansieht, zum Anlass genommen, Innenminister Strasser aufzufordern, die
Richtlinie "unverzüglich zurückzunehmen" (Stoisits) und "faire und
rechtsstaatlich einwandfreie Asylverfahren sicherzustellen (Kuntzl) (APA
OTS 20.11.02). - Auch in der letzten Woche vor
der Wahl halten sich sowohl Schüssel (ÖVP) als auch Haider (FPÖ)
ungeachtet aller gegenseitigen Angriffe die Option einer Fortsetzung von
Schwarz-Blau offen: Schüssel im ORF-Radio am 19. November: dies hänge
davon ab, "wie sich abends die FPÖ präsentiert. Wer das Sagen hat, womit
man antritt, was die wichtigsten Themen sind. Das kann man nicht
vorhersehen"; und Haider erklärt bei einer Pressekonferenz am 20.
November, erhalte die ÖVP in einer Koalition mit der FPÖ für "politisch
resozialisierbar" (derStandard-online 19.11.02, 20.11.02). Immer noch
gilt offenbar: getrennt marschieren, vereint schlagen.
- Ein "herzliches Dankeschön im Namen der Republik" an Otto von
Habsburg, dem "Kaisersohn, Thronfolger im Exil, Kämpfer gegen Hitler und
Stalin, Migranten, Ratgeber, Präsidenten der internationalen
Paneuropa-Bewegung, Europaparlamentarier, Journalisten und
Schriftsteller" anlässlich dessen 90. Geburtstag am 20.November.in der
Wiener Hofburg aus dem Munde von Bundeskanzler Schüssel. Schüssel hebt
in seiner Rede besonders hervor, dass OvH "die Würde und die
Souveränität Österreichs zuletzt angesichts der Sanktionen unserer 14
EU-Partner zu Beginn des Jahres 2000 wortgewaltig verteidigt" hat (APA
OTS 20.11.02). Auf das aufsehenerregende Interview, dass OvH FP-Mölzers
"Zur Zeit" gewährt hat und in dem er u.a. in unverblümt antisemitischer
Weise erklärt hat, die Spitzenpositionen des
US-verteidigungsministeriums seien "mit Juden besetzt – das Pentagon ist
heute eine jüdische Institution" (derStandard-online 19.11.02), geht
Schüssel freilich nicht ein.
OvH hat freilich später im ORF-Report beteuert, dies "überhaupt nie gesagt
(zu haben), ich weiß nicht, wovon sie reden". Im übrigen sei "in so
einem schönen Augenblick" nicht der Moment, über solche "Kleinigkeiten"
zu reden … (der Standard-online 21.11.02). -
"Elefantenrunde" Gusenbauer – Haupt - Schüssel – Van der Bellen vor
knapp 2 Mio. ZuseherInnen im ORF am 21. November: Es geht um
Koalitionsfragen und Grasser als Minister, Wirtschaft und Budget,
pensionen, Europa (Osterweiterung, Transit, Euratom), Sicherheitspolitik
und Sport. Inhaltlich nichts Neues, allerdings einige interessante
Nuancen am Koalitionsmarkt: So Hält sich Schüssel immer noch die
Koalition einer ÖVP-FPÖ-Koalition offen, und auch Haupt hofft ebenfalls
fest darauf und ist durch vorsichtige Formulierungen in der Frage der
Benes-dekrete bemüht, sich nicht abermals durch eine allzu unverblümte
Veto-Drohung "aus dem Spiel zu nehmen". Grasser ist nun als
Finanzminister für Schüssel durchaus verhandelbar, Haupt sieht freilich
Grasser bereits als "Kevin allein zu Hause". Gusenbauer ist weiter für
Koalitionen mit ÖVP und Grünen offen und will als zweiter nicht mehr
ausdrücklich in Opposition, in diesem Fall sei aber eben "ein anderer am
Ball". Die – zuletzt in Medien kolportierte - Variante einer von der FP
unterstützten Minderheitsregierung der SP wird sowohl von Gusenbauer als
auch von Haupt ausgeschlossen. Die Option Rot-Grün spielt in der
Diskussion nur noch negativ – als "Schreckgespenst" eine Rolle; nicht
einmal Van der Bellen vertritt sie noch offensiv und wirbt nun um
Stimmen für eine starke Opposition gegen eine rot-schwarze
Zwei-Drittel-Mehrheit.
Weitere Auffälligkeiten auf der "Beziehungsebene": Haupt und Schüssel
harmonieren, Schüssel versucht, die seit seinem verlorenen Duell gegen
Gusenbauer offene Rechnung zu begleichen und Gusenbauer als ungehobelten
Phrasendrescher darzustellen ("Sie können nicht zuhören", "Sie keppeln
ständig", "nur heiße Luft"), dafür geht er Gusenbauer nochmals in die
"Herzlosigkeitsfalle" (Gusenbauer wischt mit einem rührseligen
Rentnerbrief Schüssels Pensionsstatistik vom Tisch).
Alle auf Kurs, eine "stinknormale" Debatte ohne Kanten und grundsätzliche
Auseinandersetzungen, nur nichts mehr verspielen und niemanden mehr vor
den Kopf stoßen. Eigentlich eine gespenstische Szene – als ob die FPÖ
eine normale Partei und Blau-Schwarz eine normale
Regierungskonstellation wären, die nie Besorgniserregendes angerichtet
haben; als ob es dazu nie Massenprotest und eine erbitterte Debatte im
In- und Ausland gegeben hätte und keine grundsätzliche
gesellschaftspolitische Alternative gäbe…
- Wahlkampffinale der FPÖ : Die üblichen Töne gegen
Ausländer und EU-Osterweiterung, Schüssel und Grasser und "Gruselbauer"
von Spitzenkandidat, Haupt, Scheibner, Kabas und Haider am Wiener
Viktor-Adler-Markt am 22. Novemer (derStandard-online 22.11.02), und ein
frauenpolitisches Signal aus Kärnten am 23. November: die Verleihung des
"Eva-Preises", einer Art "Prämie" für unbezahlte Pflegeleistungen, die
in Kärnten damit bereits zum fünften Mal erfolgt ist und seit Haupts
Frauenministerschaft auch bundesweit an die Stelle der Vergabe des zum
Gedenken an die Pionierin der Frauenforschung und Frauenbewegung Käthe
Leichter geschaffenen Preises treten soll (APA OTS 23.11.02).
Fortsetzung: Teil 5
hagalil.com
17-11-03 |