Rechtsextrem oder postmodern?
Max Preglau's Regierungs- und Wahlkampf-Watch
Teil 5 Eine nicht unbedeutende Rolle für den
Ausgang der Wahlen kommt in der "Mediendemokratie" der relativen Präsenz
der konkurrierenden Parteien im – selbst von der Wende erfassten – ORF
zu. In der für die öffentliche Interpretation des Grundes der Neuwahlen
und der zur Wahl stehenden Alternativen höchst wichtigen Startphase des
Wahlkampfs scheint sich jedenfalls die "Umfärbung" für die
Regierungsparteien bereits bezahlt gemacht zu haben: Laut Zählung der
"Jungen Generation" in der SPÖ haben "ZiB 1", "ZiB 2" und Sonder-"ZiB"
des 9. September ÖVP und FPÖ wesentlich mehr Sendezeit gewidmet als der
SPÖ und den Grünen.
Die Chefin des ORF Lindner begründete dies damit, dass
die Initiative für die Neuwahlen von FPÖ und ÖVP ausgegangen und diese
deshalb eben auch länger im Bild gewesen seien … (derStandard-online
16.09.02). Auch in der gesamten Periode von 1 – 27. September war nach
einer Auszählung des SPÖ-Pressedienstes Schüssel in der ZIB-Sendungen
des ORF viermal so lang präsent wie Gusenbauer, obwohl "im Wahlkampf die
sonst vielleicht argumentierbare Einschätzung, dass Aussagen von
Reihungsmitgliedern einen höheren Nachrichtenwert darstellen, nicht
gelten kann" (APA OTS 27.09.02). Die Analysen der Forschungsgesellschaft
"Media-Watch" für den Monat September 2002 bestätigen die Angaben des
SPÖ-Pressedienstes (derStandard-online 30.09.02).
Im Oktober, als der Wahlkampf langsam auf Touren kam, waren die
Regierungsparteien dann in ZIB1 und ZIB 2 nur mehr mit einem Anteil von
ca. 60% vertreten, die Oppositionsparteien dagegen mit einem Anteil von
26 % und 17 % (SPÖ) bzw. 16 % und 18 % (Grüne). In der ZIB3 kamen die
Regierungsparteien gar nur noch auf einen Anteil von knapp über 50 %,
die SPÖ immerhin auf 34 % und die Grünen auf knapp 15 %
(derStandard-online 27.10.02). Die letzte Oktoberwoche und die erste
Novemberwoche war dann wiederum – auf Grund ihrer neuerlichen
innerparteilichen Turbulenzen (Obmannwechsel von Reichhold zu Haupt, 3.
Irakreise und Einstig in den Bundeswahlkampf von Haider) - die FPÖ mit
einem Anteil von 30% bzw. 60 % überproportional in den ZIBs präsent.
(derStandard-online 03.11.02, 10.11.03). Die vorletzten Woche des
Wahlkamps dominierten dann das Ministerangebot von Schüssel an Grasser
und damit wiederum die FPÖ sowie die ÖVP mit 65 – 70 % die ZIB-Sendungen
(derStandard-online 17.11.02).
Im Wahlkampf insgesamt hatte die höchste inhaltliche
Präsenz in den ZIB die FPÖ (35 – 43 %, allerdings großteils "bad news"),
gefolgt von der ÖVP (25 – 28 %) der SPÖ (16 – 21 %) und den Grünen (11 –
17 %) (derStandard-online 22.11.02) – unterm Strich ergibt sich also mit
einem Präsenzverhältnis Regierung : Opposition von 2 : 1 doch ein
deutlicher Regierungsbonus.
Wie sahen die Reaktionen der WählerInnen auf die Wahlkampfführung der
Parteien und deren Medienresonanz aus?
Die Reaktionen der WählerInnen im Lichte der "Sonntagsfrage"
(Stimmenanteile der Parteien in %, hochgerechnet) (1)
Partei
Datum Quelle |
ÖVP
Gallup Market |
FPÖ
Gallup Market |
SPÖ
Gallup Market |
Grüne
Gallup Market |
37. Woche
38. Woche
39. Woche
40. Woche
41. Woche
42. Woche
43.Woche
44. Woche
45. Woche
46. Woche
47. Woche |
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36
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40
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11
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10
9 |
Quellen: News
Networld (Gallup), derStandard-online (market)
Die Reaktionen der WählerInnen im
Lichte der "Sonntagsfrage"
(Stimmenanteile der Parteien in %, hochgerechnet)
Partei
Datum Quelle |
ÖVP
OGM
ISMA |
FPÖ
OGM
ISMA |
SPÖ
OGM
ISMA |
Grüne
OGM
ISMA |
37. Woche
38. Woche
39. Woche
40. Woche
41. Woche
42. Woche
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46. Woche
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- |
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11
11
10*
- |
Quellen:
Format (OGM), Profil (ISMA)
* = von OGM nicht autorisiert
Wie den Übersichten zu entnehmen ist, hat in den ersten
zwei Wochen nach Ankündigung der Neuwahlen die ÖVP auf Kosten der FPÖ
beständig zugelegt und ist an die SPÖ herangerückt, wobei die ÖVP einen
fast 10 % höheren und die FPÖ einen 15 % geringeren Stimmenanteil als
bei den Wahlen 1999 erreichen konnte. Seitdem stagniert die ÖVP, und die
FPÖ hat sich etwas erholt. Beide zusammen sind dabei fast immer unter
der kritischen Marge von 50 % geblieben. SPÖ und Grüne bewegen stabil
auf relativ hohem Niveau, die SPÖ + 4% und die Grünen 5 - 7% über dem
Stimmenanteil von 1999, und beide zusammen – erstmals seit 1990
(derStandard-online 27.09.02) - über der 50%-Schwelle. Auch die
Ergebnisse der Gemeinderats und BürgermeisterInnenwahlen am 6. Oktober
haben diesen Trend bestätigt: Die stimmenstärkste Partei SPÖ gewinnt
fast 4 %, Gewinne auch für die Grünen, die die Zahl ihrer Gemeinderäte
von 3 auf 13 erhöhen, Verluste der FPÖ um über 4 %, und die ÖVP legt um
1,5 % zu (derStandard-online 06.10.02).
Ab der 39. Woche wird allerdings in einigen Umfragen für die SPÖ eine
leicht fallende Tendenz und für Rot-Grün ein Absinken unter 50%
ausgewiesen. Zugleich zeichnet sich gegen Ende des Wahlkampfs innerhalb
der beiden großen Blöcke eine Tendenz zum jeweiligen "Seniorpartner" ab.
Nach Haiders neuerlicher Attacke auf das FP-Regierungsteam und seiner
neuerlichen Irakreise und nach dem Wechselangebot Schüssels an Grasser
hat sich dieser Trend vor allem auf Seiten des ÖVP-FPÖ-Blocks verstärkt
– mit dem Effekt, dass eine relative Mehrheit für die ÖVP, jedoch nicht
unbedingt eine absolute Mehrheit für Schwarz-Blau, wahrscheinlicher
geworden ist. Abschließend ein Rückblick und eine Analyse
des Wahlkampfverlaufs: Die ÖVP und Bundeskanzler
Schüssel haben sich als wirtschaftspolitisch neo-liberale (schlanker
Staat, ausgabenseitige Budgetsanierung, Markt-Europa) und
gesellschaftspolitisch rechts-konservative Partei, die auch den rechten
Rand nicht "ausgrenzt", positioniert Sie hat dabei das Kunststück
geschafft,
- auf Grund der Bewältigung eines Problems, das sie selbst
erzeugt hatte - die "Sanktionen" der EU-Staaten - das Image der
besonderen Krisenfestigkeit und Nervenstarke zu erwerben
- die Verantwortung für den letztlich auf Schüssels "culpa eligendi" bei
der Wahl des Koalitionspartners zurückzuführenden und von ihm selbst
ohne Deckung durch den Buchstaben des Koalitionsabkommens vorgenommenen
Abbruch der Regierungsperiode dem Koalitionspartner zuzuschieben;
- die Fortsetzung eines Kurses als wünschenswertes Programm
darzustellen, der in seinen Prestigeprojekten (0-defizit, Steuer- und
Lohnnebenkostensenkung) gescheitert und von Anfang an vom dissonanten
"basso continuo" der Haiderianischen "Knittelfeld-Fraktion" begleitet
worden war (Haiders extremistische Eskapaden, Duldung und Förderung
rechtsextremer Aktivitäten, Missachtung des VGH, Einschränkung der
gesellschaftlichen Selbstverwaltung im Sozialversicherungswesen und bei
den Universitäten, Angriffe auf die Meinungsfreiheit und das
Demonstrationsrecht); - einen Teil der
WählerInnen der Konkursmasse der FPÖ durch eine rechte Wahlkampagne bis
zur Angleichung an diese in Stil und Inhalt (Wettern gegen "Vernaderer",
"Linksradikale" und "Drogen in Trafiken", persönliche Diffamierung –
"Kühlschrank", "Apparatschik", Bedienung fremdenfeindlicher
Ressentiments – neue Asylrichtlinie, "Petritsch steht für Balkanisierung
der Aussenpolitik) sowie durch den Transfer des trotz seiner Rolle des
"Terminators" der Belastungspolitik populärsten Regierungspolitikers
Grasser ins VP-"Kompetenzteam" an sich zu binden;
- gleichzeitig das Stammklientel aus Wirtschaft und
bürgerlich-konservativen Milieu durch entsprechende Signale ("Herzstück
Europa", Warnung vor rot-grünen Proleten, Chaoten und Schuldenmachern,
Hofieren für Otto von Habsburg) bei der Stange zu halten;
- mögliche Angriffsziele oder Wahlschlager des politischen Gegners durch
entsprechende Rückzieher und Nachjustierungen zu beseitigen bzw. zu
neutralisieren (Abfangjäger, Mindestlohn, Recht auf Teilzeit,
bundesweiter Tierschutz, Euratom).
Ungeachtet des von ihnen zu verantwortenden Schadens für die politische
Kultur und das internationale Ansehens Österreichs könnten Schüssel und
seine ÖVP mit bis zu 40 % der Stimmen erstmals nach 33 Jahren
möglicherweise als stimmenstärkste Partei aus dieser Wahl hervorzugehen.
Die SPÖ und ihr Spitzenkandidat Gusenbauer haben sich als
sozialstaatsorientierte, linksliberale Partei pro Europa positioniert,
die sich von der FPÖ als Inbegriff von "Instabilität und Chaos" klar
abgrenzt und mit ihrer dunklen Vergangenheit (Schuldenpolitik,
Entfernung vom kleinen Mann, Parteienproporz, EU-Skepsis) gebrochen hat.
- Dank der Wählerbewegungen von der FPÖ zur SPÖ auf Grund
der Sparpolitik der Regierung bereits lange vor dem Koalitionsbruch hat
sie bereits auf hohem Ausgangsniveau der WählerInnenzustimmung
gestartet, der Wahlkampfstart war jedoch relativ schwach, da die Partei
nicht Akteurin in der Regierungskrise und daher anfangs kaum in den
Medien präsent war.
- Die Mittelperiode mit der Präsentation von
QuereinsteigerInnen Petritsch, Knoll und Broukal war dagegen sehr
erfolgreich – allerdings nahm die SPÖ damit im Kampf mit der ÖVP um die
Spitze in Kauf, in grünen Gewässern zu fischen –
und damit die Basis für eine rot-grüne Alternative nicht zu stärken;
- nach einer durch Schüssels Grasser-Coup bedingten
neuerlichen Stagnation gab es zum Schluss wieder Auftrieb nach einer
überraschend starken Performance Gusenbauers beim TV-Duell mit Schüssel
("schauen Sie mir in die Augen!"), der dann allerdings eine (in der
Öffentlichkeit nicht so stark wahrgenommene) sehr schwache bei der
Pressestunde gefolgt ist;
- Die Erfolge von Rot-Grün in Schweden und Deutschland
brachten zunächst Rückenwind, der rot-grüne "Offenbarungseid" in
Deutschland nach den Wahlen jedoch zweifellos Gegenwind für die
Wahlbewegung des SPÖ. Neben der Skepsis und Uneinigkeit bezüglich
Rot-Grün im eigenen Lager war dies auch der Grund dafür, dass es zu
Gusenbauers Nicht-Festlegung auf Rot-Grün und seiner überraschende
Oppositionsansage für den Fall gekommen ist, dass die SP nicht gewinnt.
Im Zuge des Wahlkampfs ist es der SPÖ erfolgreich gelungen, sich als
sozialkompetent zu profilieren, und Gusenbauers Image als "Kühlschrank"
und Apparatschik in Richtung Wärme, Durchschlagskraft und Tauglichkeit
zum Staatsmann zu korrigieren. Auch für sie sind gegen 40 % der Stimmen
und Wahlsieg "drinnen";
Der Preis für die Umwerbung enttäuschter freiheitlicher WählerInnen war
freilich der Verzicht auf eine grundsätzlich und konsequent
gesellschaftspolitisch argumentierte Gegnerschaft zu Schwarz-Blau und
auf eine eindeutige programmatische Festlegung auf eine
gesellschaftspolitische Alternative dazu mit den Grünen oder mit einer
gesellschaftspolitisch und personell gründlich geläuterten ÖVP. Der
symptomatische "Sündenfall" in dieser Frage war Abgrenzung von den
Grünen durch Versprechen der "strengen Kontrolle der Einwanderung" im
Kampf um FPÖ-WählerInnen gegen Ende des Wahlkampfs.
Die FPÖ bzw. deren letztendlicher Spitzenkandidat Haupt haben sich nach
der "Knittelfelder Rebellion" und der Ablöse Reichholds wieder offen als
völkisch-nationalistische und fremdenfeindliche, sozialpopulistische und
euroskeptische Partei positioniert, die sich scharf deutliche von der
roten und grünen Linken abgrenzt. - Der Start in
den Wahlkampf erfolgte bekanntlich mit einer spektakuläre
Selbstdemontage und Wählerinnenvertreibungsaktion, ausgelöst durch die
Knittelfelder Rebellion und die durch sie bedingten
Rücktrittserklärungen Riess-Passers, Grassers und Westenthalers, und
nochmals verstärkt durch den Rückzug Reichholds, der die nach außen
kaschierte fraktionelle Spaltung der Partei nicht ausgehalten hat;
- inhaltlich wirbt die FPÖ auf Basis der Knittelfelder
Beschlüssen und die letzten zwei Wochen mit dem als
"Wahlkampflokomotive" in die Bundespolitik zurückgekehrten Jörg Haider
mit einer betont rechten, fremdenfeindliche und sozialpopulistische
Linie (Aufhebung der Benes-Dekrete, "gegen Linksextremismus", gegen
Fremde und und Asylanten, gegen den "Slowenen Petritsch" als
Außenminister), die sich vor allem an ihr Klientel aus dem
Arbeitermilieu und gegen ihren diesbezüglichen Hauptkonkurrenten SPÖ
gerichtet; - gegenüber der ÖVP praktiziert die
FPÖ eine Doppelstrategie: heftige Angriffe von Rechts außen ("der faule
Strasser wird am Abend fleissig", "noch schärfere Asylpolitik",
"Enthüllung" dass sich Schüssel mit einer Türkin abbilden lässt und für
muslimischen Feiertag eintritt), gegen Schüssel (der Falschspieler, der
über Leichen geht) auf der einen Seite, zugleich Eintreten für
Fortsetzung der Wende unter neuen Vertragsbedingungen auf der anderen
Seite.
Nach den letzten Umfragen liegt die FPÖ bei einem Level bei 9 - 11 %, eine
Erholung bisher nicht in Sicht, stärkerer Aufschwung zum Schluss
unwahrscheinlich.
Die Grünen und ihr Spitzenkandidat Van der Bellen haben sich als
öko-sozial Partei präsentiert, die für Frauenrechte, für Menschen- und
Minderheitenrechte und für ein demokratisch verfasstes Europa eintritt,
und die ihre entschiedene Gegnerschaft zu ganz Rechts offen bekundet.
- Die Grünen haben einen eher sachlichen Wahlkampf geführt
und versucht mit Warnung vor rechts ("Strassers unchristliche und
rechtswidrige Asylpolitik", "zurückgehaltener Rechtsextremismusbericht",
eingestellte Verfahren gegen wilde Neonazis-Demo in der Kärntnerstrasse)
sozial-liberale und ökologische Themen zu platzieren. Allerdings haben
auch die Grünen aus Angst vor Verlusten von Kredit bei "bürgerlicheren"
WählerInnen die Grundsatzkritik an Schwarz-Blau deutlich zurückgenommen
und Kandidaten wie den "Bürgerschreck" Peter Pilz weitgehend aus dem
öffentlichen Verkehr gezogen; - mit diesem
Politikangebot haben sie versucht, bei jungen, urbanen, gebildeten und
überproportional weiblichen WählerInnen sowie im
Christlich-sozialliberalen Milieu zu punkten; -
was die Regierungsbildung betrifft, haben sie offen eine Rot-grüne
Koalition propagiert, und eine Koalition mit der derzeitigen ÖVP
ausgeschlossen, ihr designierter Koalitionspartner SPÖ hat diese
Einladung auf eine grundsätzlich alternatives gesellschaftspolitisches
Projekt jedoch nicht angenommen.
Die Grünen kämpfen mit der FPÖ um Platz 3. Nachdem sie den meisten
Umfragen zufolge diese bereits knapp überholt hatten, lagen sie dort
zuletzt mit 9 - 10 % mit den Freiheitlichen gleichauf. Dass sie von
diesen doch wieder überholt werden, liegt im bereich des Möglichen. Wie
die FPÖ kämpfen auch die Grünen zuletzt aber auch gegen eine durch die
Sogwirkungen des Kampfes zwischen SP und VP um Platz 1 bedingte
"Schwindsucht".
Für KPÖ, LIF, und Fussis "Demokraten" ist der Wahlkampf eindeutig zu früh
gekommen: ungenügend vorbereitet und erfahren und/oder mangels
Wählerinnenvotum und mangels Vertretung im Parlament und ohne Basis in
sozialen Bewegungen waren sie in der Mediendemokratie chancenlos.
Abschließender Befund:
1) Auch der Wahlkampf war – von Seiten der FPÖ, aber
z.T. auch von Seiten der ÖVP – von völkischen und nationalistischen,
fremden- und minderheitenfeindlichen und antisemitischen Tönen sowie von
Revisionismus und Revanchismus und insofern von "rechtsextremen
Elementen" geprägt.
2) Er hätte als eine Auseinandersetzung mit den "anormalen",
demokratiepolitisch, rechtsstaatlich und menschenrechtlich bedenklichen,
"rechtsextremen" Zügen der FPÖ und der FPÖVP-Koalition und als
Werbefeldzug für eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Alternative
dazu geführt werden können, wurde aber tatsächlich auch von Seiten der
Oppositionsparteien und insbesondere von der SPÖ als bloss
parteipolitischer Wettbewerb um das Kanzleramt und die Regierungsmacht
und insofern als ganz "normaler" Wahlkampf geführt.
3) Dadurch besteht die Gefahr, dass auch dann eine gründliche politische
und moralische Aufarbeitung der vergangenen Regierungsperiode sowie des
Aufstiegs und Falls der FPÖ unterbleibt, wenn es nicht zu einer
Fortsetzung der FPÖVP-Koalition kommt und die Opposition an der neuen
Regierung beteiligt ist.
Kurz: Ein "schmutziger" Wahlkampf und ein Wahlkampf der versäumten
Gelegenheiten! Das Ergebnis war dann doch anders
als von Umfragen prognostiziert und doch wieder nicht überraschend: Die
FPÖ hat – in Übereinstimmung mit den Prognosen - fast Zwei-Drittel ihrer
Stimmen verloren, die Grünen haben die Freiheitlichen zwar nicht
überholt, sind aber immerhin bis auf ein Prozent an sie herangekommen.
Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ÖVP und SPÖ ist letztlich doch
eindeutig zu Gunsten der ÖVP ausgegangen: Ihr ist es entgegen den
Prognosen gelungen, jede zweite verlorene FPÖ Stimme zu gewinnen und
damit fast 5 x soviel ehemalige FPÖ-WählerInen an sich zu ziehen wie die
SPÖ und mit über 42% erstmals seit 1966 wieder stimmenstärkste Partei zu
werden. Insgesamt hat das bisherige Regierungslager zwar ca. 2 % der
Stimmen und 6 Parlamentssitze an die bisherige Opposition verloren,
insgesamt jedoch mit über 52 % der Stimmen die absolute Mehrheit
behauptet.
Bemerkenswert auch die von 80,42% auf 84, 27% angestiegene Wahlbeteiligung
– ein Ausdruck des durch die Polarisierung der letzten Jahre bedingten
Wiederanstiegs des Interesses an Politik. Ein weiteres bemerkenswertes
Ergebnis der Wahl ist es, dass der seit 15 Jahren andauernde Prozess der
"Dekonzentration des Parteiensystems" radikal umgekehrt wurde: während
ÖVP und SPÖ bis in die 1980er-Jahre gemeinsam über mehr als 90% der
Stimmen verfügt hatten und 1999 nur noch 60% der WählerInnen auf sich
vereinigen konnten, haben sie sich nunmehr mit zusammen fast 80 %
Stimmenanteil erneut als Duopol etabliert.
Übersicht: Endergebnisse der NRW vom 24.11.2002 (incl. Wahlkarten)
Ergebnis
2002 |
ÖVP |
FPÖ |
SPÖ |
Grüne |
Sonst. |
Stimmenanteile in % (1999) |
42,30
(26,91) |
10,01
(26,93) |
36,51
(33,15) |
9,47
(7,40) |
1,71
(5,61) |
Differenz
zu 1999 (%) |
+ 15,39 |
- 16,92 |
+3,36 |
+ 2,07 |
- 3,90 |
Mandate
(1999) |
79 (52) |
18 (52) |
69 (65) |
17 (14) |
- |
Differenz
zu 1999 (+-) |
+ 27 |
- 34 |
+ 4 |
+ 3 |
- |
Quelle: Innenministerium Wie
erinnerlich hat sich der Wahlkampf – um den Preis des Verzichts auf eine
grundsätzliche gesellschafts- und demokratiepolitische
Auseinandersetzungen – vorwiegend um die "Konkursmasse" der ehemaligen
freiheitlichen WählerInnen gedreht. Dabei war die Partei am
erfolgreichsten, die diesen WählerInnen im Positiven wie im Negativen am
besten die aus der FPÖ-Propaganda vertraute Tonlage und Melodie
(Asylpolitik, persönliche Angriffe, Schleier über den Rechtsextremismus
und Ablenkung davon durch aggressive Attacken gegen den
"Linksextremismus", Warnung vor "rot-grünem Chaos" usw.) vorspielen
konnte – und das war die ÖVP. Ihr ist im Wahlkampf gelungen, durch eine
partielle Assimilation an den Rechtsextremismus einen großen Teil des
Wählerinnenpotentials der Freiheitlichen an sich zu ziehen – und hat
damit auch die Ernte dessen eingebracht, was sie bereits während der
Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ mit dem "unisono" von Khol und
Westenthaler und dem Mittragen rechter politischer Akzente
(Fremdenpolitik!) vorbereitet hatte. Gleichzeitig hat die ÖVP ihre
Stammwählerinen bei der Stange zu halten. Zum Wahlergebnis hat aber
sicherlich auch der Umstand mitgespielt, dass die SPÖ in nur drei
Oppositionsjahren kaum Gelegenheit hatte, den in den später 1980er- und
in den 1990er-Jahren durch "Arroganz der Macht" und Versäumnisse im
Bereich der Sozial- und Integrationspolitik verspielten Kredit zurück zu
gewinnen.
Die ÖVP hat sich freilich als Preis für ihren Sieg den
inneren Spannungszustand einer sozialstrukturell und
politisch-ideologisch höchst heterogenen Wählerschaft eingehandelt, der
nur sehr schwer ruhig zu halten sein wird, der die Partei vor die
beständigen Dilemmata stellt, sich auf die Seite der Gewinner oder der
Verlierer der Modernisierung zu stellen und sich entweder
konservativ-liberal oder weit rechts zu orientieren, und der
dementsprechend der Opposition eine verwundbare Angriffsfläche bietet.
Nach der verlorenen Wahl erneut schwere Turbulenzen in der FPÖ: Zuerst
hatte Haider wieder einmal erklärt, von der Politik genug zu haben, und
seinen Rücktritt als Landeshauptmann von Kärnten angekündigt, um sich
dann eine Nacht lang mit Erfolg wiederum zum Rücktritt vom Rücktritt
"unter bestimmten Rahmenbedingungen" bitten zu lassen. Zu diesen
Bedingungen zählte offenbar u.a. eine Säuberung der Partei von
Nicht-Knittelfeldern, die am 26. November in Angriff genommen wurde und
mit der sich die FPÖ ein weiteres Mal als autoritäre Führerpartei
präsentiert hat: Grasser und Westenthaler und NR-Abgeordnete Haigermoser
wurden per Brief aus der FPÖ ausgeschlossen, und gegen die
oberösterreichischen Bezirksobmänner Pumberger und Kreßl wurde ein
Ausschlußverfahren eingeleitet, weitere "Blaue Briefe" wurden in
Niederösterreich versendet.
Am 27. November dann wieder eine Kehrtwendung: die
Ausschlüsse wären, so Haider, noch gar nicht endgültig, sondern als
"Wink mit dem Zaunpfahl"; einen reuiger Grasser wäre für ihn sogar
wieder als FPÖ-Finanzminister denkbar. Haupt ist dann am Nachmittag noch
weiter gegangen und hat alle Ausschlussverfahren "mit sofortiger Wirkung
für ungültig" erklärt, und am Abend dann die Erklärung Haiders, sich in
Hinkunft aus der Bundespolitik herauszuhalten. Riess-Passer war übrigens
von vorn herein nicht von der Säuberung betroffen, sondern "zur weiteren
Zusammenarbeit in der Partei willkommen".
Diese Kehrtwendung scheinen nun aber wieder die "Fundis"
der Partei nicht mit vollziehen zu wollen. Auf der anderen Seite
zirkuliert bereits ein "Anti-Knittelfeld-Manifest" zur Unterzeichnung in
der Partei, und Norbert Gugerbauer, bis 1992 Klubobmann der FPÖ und dann
von Jörg Haider von dieser Stelle verdrängt, soll angeblich bereits die
Chancen einer Gegenkandidatur zu Herbert Haupt beim für den 8. Dezember
vorgesehenen Sonderparteitag sondieren (derStandard-online 25.11.02 –
28.11.02).
Am 1. Dezember hat sich dann der erweiterte
Bundesparteivorstand bei einer kurzfristig einberufenen Sitzung in
Klagenfurt wiederum einhellig gegen das "Anti-Knittelfeld-Manifest" und
hinter Haupt als Spitzenkandidaten gestellt. Haiders Position als
Landeshauptmann sei "kein Thema" gewesen. Dieser erklärte seinerseits
übrigens neuerlich, in Zukunft in bundespolitischen Fragen keine
Stellung mehr beziehen zu wollen, ohne eine Rückkehr an die Parteispitze
auszuschließen. Am Rande der Sitzung wurde von Haupt auch erwähnt, dass
die von den Landesparteien eingeleiteten Parteiausschlussverfahren
(eines in Salzburg, vier in Niederösterreich) von der von ihm am
Mittwoch verkündeten Rücknahme nicht betroffen seien.
(derStandard-online 01.12.02).
Der Koordinator der Anti-Knittelfelder in der FPÖ
Norbert Gugerbauer hat mittlerweilen in einem Interview in Mölzer’s "Zur
Zeit" das Scheitern einer Bemühungen um eine Alternative zu Haupt und
dem Knittelfelder Kurs eingestanden "Ich glaube, dass die FPÖ zum
jetzigen Zeitpunkt noch nicht so weit ist, dass sie sich wirklich von
der Person des Kärntner Landeshauptmanns inhaltlich, auch personell
emanzipiert" (derStandard-online 03.12.02) – der Parteitag am 8.
Dezember wird daher wohl mit einer Bestätigung von Haupt und dem
Knittelfelder Kurs enden.
Eine bemerkenswerte Einschätzung des innerparteilichen
Konflikts hat übrigens der 1986 von Haider als FP-Obmann gestürzte
Norbert Steger abgegeben: Es handle sich um keinen Streit zwischen
Liberalen und Deutschnationalen, sondern "die, die da streiten, sind
alle stramme Rechte" (derStandard-online 29.11.02).
Im Vorfeld des Sonderparteitag wird der Entwurf einer weitgehenden
Generalvollmacht des Parteiobmanns zirkuliert. Wortlaut des Entwurfs:
"Der Bundesparteiobmann verfügt über eine Generalvollmacht bezüglich
personeller Fragen der Führungsstruktur der Bundespartei und der
inhaltlichen Umsetzung der Freiheitlichen Regierungsarbeit". Eine solche
Generalvollmacht hatte bereits Riess-Passer vom Knittelfelder
Delegiertentreffen als Voraussetzung für die Fortsetzung ihrer
Regierungsarbeit gefordert, was ihr aber damals von den "Knittelfelder
Rebellen" verweigert worden war. Nun ist Haupt der Proponent dieser
Forderung – wohl auch, um ein "Signal der Stabilität und
Berechenbarkeit" an den designierten Koalitionspartner ÖVP auszusenden.
Auch diesmal regt sich freilich parteiinterner Widerstand gegen eine
solche statutarische Verankerung eines "inakzeptablen Führerprinzips"
(derStandard-online 06.12.02). Der Parteitag am
8. Dezember in Salzburg ging dann tatsächlich ohne Gegenkandidaten über
die Bühne und brachte 87,8 % Zustimmung für Herbert Haupt. Die
wichtigsten Botschaften der Rede Haupts: 1. Jörg Haider hat sich aus der
Bundespolitik zurückgezogen, 2. Die Partei muss nach außen als Einheit
auftreten, über ihre weitere Entwicklung soll bis zu einer Klausurtagung
im Jänner in einem "Zukunftsgremium", das von Böhmdorfer, Strutz,
Steinkellner (Obmann der oberösterreichischen Landespartei) und
Bleckmann koordiniert wird, intern beraten werden, 3. die FPÖ soll
wieder als Regierung "staatspolitische Verantwortung übernehmen". Dazu
gehört für Haupt offenbar auch ein Arrangement mit Europa, für das nach
seinen Vorstellungen künftig Daniela Raschhofer in der FPÖ zuständig
sein soll. Der designierte Koalitionspartner ÖVP wird es wohl vernommen
haben. Andererseits war am Parteitag aber auch zu hören: "Wir machen uns
unsere Personalpolitik selbst, wir fragen nicht bei der ÖVP nach. Gerade
unter Haupt wird die FPÖ die Partei Jörg Haiders bleiben" (E. Stadler);
zudem ist der innerparteiliche Konflikt nicht gelöst, sondern lediglich
bis Jänner vertagt; und schließlich wurden prominente Stimmen laut, in
der Frage der Benes-Dekrete die revanchistische harte Linie fortzusetzen
(H. Achatz). Von Stabilisierung, innerer Einheit und Normalisierung der
FPÖ kann also erwartungsgemäß nicht die Rede sein; die FPÖ steht immer
noch unter dem inneren Spannungszustand, der zum Rücktritt von
Riess-Passer, Grasser und Westenthaler, zum Kollaps der Wendekoalition
und zur Massenvertreibung freiheitlicher WählerInnen geführt hat
(derStandard-online 08.12.02). b)
Koalitionsverhandlungen oder: wer übernimmt den "Schwarzer Peter" der
Rolle des "Juniorpartners" der ÖVP?
Die Ausgangslage für die Regierungsbildung ist nun einerseits durch die
beiderseitige Bereitschaft von FPÖ und ÖVP, die Wendekoalition
fortzusetzen, und anderseits durch die Oppositionsansagen von SPÖ und
Grüne gekennzeichnet. Dabei sind freilich einige Fragen offen:
- Es ist allerdings unklar, wie sich die FPÖ und deren Führerfigur Jörg
Haider in der neuen Situation verhalten werden. Über die weitere
politische Linie der FPÖ und die mögliche Regierungsbeteiligung soll
offiziell auf dem Sonderparteitag am 8. Dezember entschieden werden
(derStandard-online 25.11.02).
- Zudem gibt es auch in ÖVP und SPÖ gewichtige Kräfte (Wirtschaft, ÖGB)
für eine große Koalition, die übrigens (ebenso wie zuvor die Propaganda
von FPÖ und ÖVP gegen Rot-Grün) auch von der einflussreichen
Kronenzeitung unterstützt wird. Bis hin zur (sehr unwahrscheinlichen)
Option eines weiteren Wahlgangs ist also vorerst nichts ausgeschlossen.
Bereits am 26. November wurde Schüssel von
Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung. beauftragt. Innenpolitisch
haben für Klestil "die Budgetsanierung durch Strukturreformen, die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Sicherung der Pensionen und die
Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich - einschließlich von
Wissenschaft und Forschung", und außenpolitisch die Erweiterung der
Europäischen Union und die Einbindung Österreichs in die europäische
Sicherheitspolitik" Priorität. Dafür ist für Klestil "eine Regierung mit
möglichst breiter parlamentarischer Zustimmung", also eine große
Koalition, am besten geeignet (APA OTS 26.11.02).
Am selben Tag haben sich die Grünen auf die Oppositionsrolle festgelegt
und daher gar kein Verhandlungsteam nominiert. Seitdem häufen sich aber
auch die Aufforderungen von politischen KommentatorInnen (Thurnher,
Liessmann), von Seiten der ÖVP (Pühringer, Hirschmann, Riegler) aber
auch aus den eigenen Reihen (Chorher, Pilz, Petrovic), eine
schwarz-grüne Koalition anzudenken. Für die Grünen wäre dafür freilich
Bedingung, dass die ÖVP die Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ beendet
und mit ihren eigenen "braunen Tüpfchen" beschäftigt. Die Grünen haben
nun immerhin ebenfalls ein Team für Sondierungsgespräche mit der ÖVP
nominiert, die am 6. Dezember eröffnet wurden (derStandard-online
04.12.02). Das vier-stündige Gespräch wurde dann von beiden Seiten doch
überraschend positiv bewertet: für Van der Bellen war es "lang, intensiv
und interessant", und Schüssel sprach von einer "befruchtenden
Diskussion". Ein weiterer Gesprächstermin wurde nach Mitte Dezember ins
Auge gefasst (derStandard-online 06.12.02)
Auch die SPÖ hat sich nun – unter dem Druck der
BefürworterInnen innerhalb und außerhalb der Partei – nach einer
erweiterten Parteivorstandssitzung doch offen für Gespräche erklärt und
ihrerseits ein Verhandlungsteam für "Sondierungsgespräche" nominiert.
Wenn ein "Kassasturz" vorgelegt würde und es gelänge, wichtige
Wahlversprechen der SPÖ wie Verzicht auf Abfangjäger, Streichung der
Ambulanz- und Studiengebühren und die Rücknahme der
Unfallrentenbesteuerung in eine Koalitionsvereinbarung aufzunehmen, sei
eine Regierungsbeteiligung denkbar (derStandard-online 26.11.02 -
29.11.02). Das erste Treffen Schüssel -
Gusenbauer fand am 29. November statt, die "Sondierungsgespräche" ÖVP –
SPÖ wurden am 3. November aufgenommen. Da von der ÖVP kein für die SPÖ
befriedigender Kassasturz vorgelegt wurde, wurden die Gespräche bis zum
Vorliegen der neuesten Wirtschaftsprognosen von WIFO und IHS Mitte
Dezember vertagt (derStandard-online 03.12.02).
Sehr rasch hatten hingegen ÖVP und FPÖ ihr Verhandlungsteam
bekannt gegeben, erste Gespräche haben am 5. Dezember stattgefunden und
sind offenbar positiv verlaufen: nach Haupt ist man auf einem "positiven
Weg", und Schüssel sprach von einer "substanziellen Diskussion"
(derStandard-online 05.12.02).
Nach der ersten Verhandlungsrunde weisen die Zeichen also in Richtung
einer Neuauflage der schwarz-blauen Wendekoalition, was angesichts deren
vorzeitigen Kollaps zwar widersinnig erscheint, aber durchaus dem Votum
der WählerInnen entspricht. Haupts konkurrenzlose Kür zum Obmann der
FPÖ, mit der die ÖVP Anlass zur Hoffnung gab, "dass sich die
Freiheitliche Partei … stabilisiert und im Interesse Österreichs zu
einer konstruktiven Arbeit zurückfindet" (derStandard-online 08.12.02),
dürfte diese Entwicklung zusätzlich verstärken.
Vor der zweiten Verhandlungsrunde haben sich SPÖ und die Grünen darauf
festgelegt, keine Parallelverhandlungen führen zu wollen: für die SPÖ
(Gusenbauer) gilt das generell: die ÖVP solle sich noch vor Weihnachten
entweder für eine kleine Koalition mit FPÖ oder Grünen, oder für eine
"Reformkoalition" mit der SPÖ entscheiden. Für die Grünen (Petrovic)
gilt dies nur bezüglich der FPÖ: solange die ÖVP die blaue Option nicht
aufgebe, könne es keine Sachgespräche mit der ÖVP geben. SPÖ und Grüne
wollen der ÖVP damit die Chance nehmen, die verschiedenen
Verhandlungspartner gegeneinander auszuspielen.
Um den Vorwurf zu begegnen, bloße Scheinverhandlungen
mit der SPÖ zu führen, hat die ÖVP (Gehrer) ihrerseits angekündigt, der
SPÖ-Forderung nach einem "Kassasturz" substanziell zu entsprechen und
ihr nun doch ein 200-Seiten-Budgetpapier zu übermitteln.
Ungeachtet von den Forderungen und Ultimaten von SPÖ und
Grünen setzen FPÖ und ÖVP ab 12. Dezember ihre Vorgespräche zur
Regierungsbildung in vier themenspezifischen Untergruppen –
Europa/Sicherheit/Justiz, Wirtschaft/Budget/Steuern,
Soziales/Gesundheit/Bildung und Infrastruktur/Forschung/Landwirtschaft –
fort (derStandard-online 10.12.02).
Dabei wurde beiderseits das hohe Maß der inhaltlichen
Übereinstimmung hervorgehoben und zugleich die Relevanz für eine
definite Koalitionsentscheidung heruntergespielt. ÖVP und Grüne trafen
sich am 17. Dezember zu einem kurzen Gespräch – laut Van der Bellen das
letzte parallel zu den Verhandlungen zwischen VP und FP. Schüssels
Kommentar dazu: "Gesprächsverweigerung" und "Ausgrenzung".
Am selben Tag fand auch das zweite Sondierungsgespräch zwischen SPÖ und
ÖVP statt. Im Vorfeld des Gesprächs wiederholte Gusenbauer seine
Forderung an die ÖVP sich zu entscheiden, mit wem sie koalieren wolle.
Den von der SPÖ verlangten ausführlichen "Kassasturz" hatte
Finanzminister Grasser erst kurz vorher in einer Pressekonferenz
präsentiert - zu spät, um noch im Detail Gegenstand des
Sondierungsgesprächs werden zu können. Ergebnis des Gesprächs: in einem
Gipfelgespräch Schüssel - Gusenbauer noch vor Weihnachten soll geklärt
werden, ob eine Grundlage für eine Regierungszusammenarbeit bestehe.
Gusenbauer teilte mit, er erwarte von der ÖVP bis zum 6. Jänner eine
Entscheidung darüber, mit wem sie Regierungsverhandlungen führen wolle.
Erst danach soll es allenfalls wieder eine "große" Sondierungsrunde
geben. Schüssel hingegen erklärte davon unbeeindruckt,
"selbstverständlich" auch weiterhin mit allen Parteien Gespräche führen
zu wollen, die dies wünschen; ausserdem gab er der SPÖ den "gut
gemeinten Rat", der Bildung von Untergruppen zuzustimmen. – Damit
spielte er die Verantwortung für einen eventuellen Verhandlungsabbruch
ungerührt an die SPÖ zurück (derStandard-online 17.12.02). Zusätzlich
belastet wurde die Beziehung ÖVP-SPÖ durch spektakuläre
personalpolitische Entscheidungen im Innenministerium: Minister Strasser
hat am 21. Dezember 56 Neubesetzungen von Spitzenpositionen im Bereich
der Exekutive bekannt gegeben, die teilweise auch gegen die Vorschläge
der Bewertungskommissionen getroffen worden sind, darunter auch die
Ablöse des Wiener Generalinspektors Schnabl (SPÖ) – wobei ein
Zusammenhang mit Schnabls "soft-Strategie" gegenüber den bei der
Koalitionsparteien verhassten Donnerstagsdemonstrationen vermutet werden
kann. Für Khol lediglich "eine Personalentscheidung auf der sechsten
Ebene", die "staatspolitische Notwendigkeiten nicht verdrängen kann",
für Gusenbauer hingegen "eine bewusste Provokation der ÖVP, die die
Frage aufwirft, wie ernsthaft es der ÖVP ist, mit der SPÖ zu reden", und
die er auch beim Gipfelgespräch mit Schüssel zur Sprache bringen werde.
Gusenbauer trotzdem nach dem Gipfel: "Es war ein gutes Gespräch in eine
konstruktive Richtung" (derStandard-online 22.12.03, 23.12.03)
Eine zweite Plenarrunde der Sondierungsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP ging
am 19. Dezember über die Bühne. Dabei war die Athmosphäre "sachlich und
freundlich" und "der Gleichklang der Bewertung unübersehbar" (Haupt). Es
wurde vereinbart, die Untergruppengespräche über weihnachten
fortzusetzen und in der Woche nach dem 6. Jänner neuerlich im Plenum
zusammentreffen (derStandard-online 19.12.02).
Somit hat die zweite Runde der Sondierungen zwar das (vorläufige)
Ausscheiden eines players, aber angesichts der nach wie vor ungeklärten
Situation in der FPÖ und des Spielens der ÖVP auf Zeitgewinn trotz des
diesbezüglichen Drängens der SPÖ immer noch keine Vorentscheidung
bezüglich der zukünftigen Regierung gebracht.
In der weihnachtlichen Verhandlungspause lässt VP-Innenminister Strasser
dann mit einer politisch höchst aufschlussreichen Koalitionsbedingung
aufhorchen: Nötig sei die Bereitschaft, an einer "engen Zusammenarbeit
von Gendarmerie und Polizei" und der "dringend notwendigen überfälligen
Neuordnung" des Asylwesens mitzuwirken. Erfreute Reaktionen bei der FPÖ
– Strasser habe damit "freiheitliche Inhalte zu Koalitionsbedingungen"
gemacht (Schweitzer), für die SPÖ hingegen "eine klare Vorleistung für
die weitere Zusammenarbeit mit der FPÖ" (Kuntzl) derStandard-online
29.12.02). Indessen wiederholte der Bundespräsident in seiner
Neujahrsansprache unverdrossen seine Forderung nach einer Regierung, die
sich "auf eine breite, stabile und verlässliche Mehrheit im Parlament
stützen kann" und seine Mahnung, dass "Macht und parteipolitisches
Taktieren hinter die Notwendigkeit einer raschen Regierungsbildung
zurückzustellen" seien (derStandard-online 01.02.03).
Nachdem die SPÖ nach einer Klausurtagung des
Parteipräsidiums in St. Ägyd am 4. Jänner ihre Koalitionsbedingungen -
Reformen im Pensions-, Gesundheits- und Bildungssystem, keine
Abfangjäger, Unfallrentenbesteuerung, Studien- und Ambulanzgebühren -
präsentiert hatte (derStandard-online 04.01.03), legte am 6 Jänner W.
Schüssel die Bedingungen der ÖVP für die bevorstehende entscheidende
Phase der Regierungsverhandlungen vor: Abschaffung der Frühpension, die
Vereinheitlichung von Selbstbehalten in der Krankenversicherung, eine
Zusammenlegung von Gendarmerie und Polizei sowie weitere Veräußerungen
im Bereich der ÖIAG, etwa von VA-Stahl, VA-Tech und Böhler-Uddeholm.
Weiters besteht die ÖVP im Gegensatz zur SPÖ auf der Beibehaltung der
Studiengebühren sowie auf einer Nachbeschaffung von Abfangjägern. Eine
Steuerentlastung soll es, entgegen den Vorstellungen von FPÖ und SPÖ,
erst in den Jahren 2004 bzw. 2005 geben, und die Abgabenquote soll bis
2006 auf 43 Prozent und bis 2010 auf 40 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden (derStandard-online 06.01.02) – ein
Programm, dass in vielen Punkten traditionellen Positionen der FPÖ
entspricht und eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP noch
unwahrscheinlicher erscheinen lässt.
Dementsprechend zeigte sich die FPÖ sehr zuversichtlich für allfällige
Regierungsverhandlungen, während die diesbezügliche Skepsis der SPÖ
durch das ÖVP-Paket noch verstärkt wurde - Gusenbauer: ein "Brief ans
Christkind", SP-Haider: eine "indiskutable Auflistung"
(derStandard-online 07.01.03)).
Die dritte Runde der Sondierungsgespräche in der 2. Jännerwoche
stattgefunden. Am 8. Jänner trafen sich SPÖ (Gusenbauer) und ÖVP
(Schüssel). Dieses Gespräch scheint allen widrigen Vorzeichen zum Trotz
überraschend positiv verlaufen zu sein. Gusenbauer zufolge habe man
festgestellt, dass es möglich sei, zu den geplanten großen Reformen zu
kommen: "Es hat von beiden Seiten den Versuch gegeben, in wichtigen
Sachfragen Brücken zu bauen oder Brückenpfeiler einzuschlagen". Ähnlich
wie schon zuletzt beim Thema Budget und Finanzen solle nun in den
Bereichen Generationenvertrag, Zukunft der Gesundheit,
Beschäftigungspolitik, Bildung und Forschung, Staatsreform und
Infrastruktur in informellen Gesprächen abgeklärt werden, ob ein großes
Reformprojekt möglich sei. Ob es zu echten Regierungsverhandlungen
kommt, werde das Parteipräsidium dann in ca. 14 Tagen – wieder 10 Tage
später als ursprünglich vorgesehen - entscheiden. Auch Schüssel zeigte
sich mit dem Gesprächsverlauf zufrieden, eine Festlegung auf einen
Koalitionspartner vermied er jedoch erneut (derStandard-online
08.01.03). Am 9. Jänner war dann die FPÖ zum dritten Mal bei der ÖVP an
der Reihe. Auch in diesem Fall "ein sehr gutes Gespräch", in dem sich
ein "hohes Maß an Übereinstimmung" gezeigt hätte und die in den
Untergruppengesprächen offenen "Knackpunkte" zur Finalisierung gesammelt
worden seien (Haupt). Eine neuerliche große Gesprächsrunde nach weiteren
zwei Wochen wurde vereinbart (derStandard-online 09.01.03).
Damit dürften die Chancen auf eine rot-schwarze Koalition wieder
angestiegen sein, und auch die entscheidenden Akteure schienen ernsten
Willens, wenn auch noch nicht festen Entschlusses: Gusenbauer gab seiner
Hoffnung Ausdruck, dass "vor uns eine vierjährige Reformperiode liegen"
möge, auch Schüssel ließ vernehmen, ein Regierungsprojekt ÖVP – SPÖ sei
"des Versuchs wirklich wert", und auch WK-Präsident Leitl hat in der
ORF-Pressestunde am 12.Jänner seine klare Präferenz für schwarz – rot
betont. Bei der FPÖ hingegen Anzeichen der Irritation und Warnungen vor
"Stillstand" und "faulen Kompromissen" (derStandard-online 10.01.03,
12.01 03).
Die Untergruppenverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ in der Woche zwischen
13. und 17. Jänner scheinen Annäherungen in den zentralen Reformfeldern
der Bundesstaats- und der Vereinheitlichung des Pensionssystems gebracht
zu haben, offen waren hingegen nach wie vor konfliktträchtige Fragen wie
die Wahlkampf-Kernthemen Abfangjäger, Studiengebühren oder die
Beschäftigungspolitik und die Zukunft der Frühpensionen -
dementsprechend groß waren nach wie vor die Vorbehalte gegen eine
schwarz-rote Koalition in der SPÖ. Auf der anderen Seite sind die
Chancen auf eine Neuauflage einer VP-FP-Koalition mit der Gründung eines
"Vereins der Freunde Jörg Haiders" in der FPÖ durch Stadler und Fischl
weiter gesunken; diese Option sei nun, wie aus ÖVP-Kreisen zu vernehmen
war, "so gut wie tot". Dafür haben sich die Grünen durch ihren
Vorsitzenden als Alternative zu Schwarz-Rot zuletzt wieder ins Spiel
gebracht.
Nach Abschluss der Untergruppengespräche hat dann das SPÖ-Präsidium am
21.Jänner mit nur einer Gegenstimme beschlossen, in
Regierungsverhandlungen mit der ÖVP einzutreten. Inhaltliche
"Verhandlungsziele" (sic!; Gusenbauer): eine aktive
Beschäftigungspolitik, grundlegende Reformen des Pensions- und
Gesundheitssystems sowie des Bundesstaates, eine Steuerreform und eine
fortschrittliche Frauenpolitik. Auch die Wahlkampfforderungen nach einem
Verzicht auf Abfangjäger und der Rücknahme der Ambulanz- und
Studiengebühren bleiben aufrecht. Aufrecht bleibt auch die Bedingung,
dass es keine Parallelverhandlungen mit der FPÖ geben darf. Tags darauf
haben dann auch der Parteivorstand der SPÖ sowie die FCG mit großer
Mehrheit bzw. einstimmig für Regierungsverhandlungen votiert. Die
Entscheidung über eine allfällige Regierungsbeteiligung der SPÖ soll
dann auf einem Sonderparteitag am 14. Februar fallen (derStandard-online
22.01.03).
Am 22. Jänner dann noch - als Eröffnung der vierten und letzten
Sondierungsrunde – ein Gipfelgespräch Gusenbauer – Schüssel und ein
Plenumsgespräch zwischen ÖVP und SPÖ. Dabei hat die ÖVP die Absicht
bekundet, weitere Sondierungen mit der FPÖ und den Grünen durchzuführen,
und Gusenbauer äußerte seinerseits die Erwartung, dass sich die ÖVP bis
Ende der letzten Jännerwoche exklusiv für einen
Regierungsverhandlungspartner entscheidet. Allzu optimistische
Erwartungen bezüglich einer bevorstehenden Einigung zwischen ÖVP und SPÖ
wurden allerdings von Schüssel brüsk enttäuscht: Ungeachtet der
Tatsache, dass Gusenbauer mit Rücksicht auf den Verhandlungspartner
ausdrücklich nur von "Zielen" gesprochen hatte, erklärte er erbost: wer
mit der ÖVP verhandeln wolle, dürfe "keine Bedingungen stellen";
zugleich nannte er selbst "Eckpunkte", die aus der Sicht seiner Partei
"außer Streit stehen" müssten: u. a. keine Steuerentlastung in diesem
Jahr, die Gewährleistung der Sicherheit "zu Lande und zu Luft" und die
"Umsetzung der Universitätsreform" – inhaltlich also nach wie vor
gegensätzliche Positionen und kein Anzeichen der Bereitschaft der ÖVP,
die SPÖ als gleichberechtigten Verhandlungspartner zu akzeptieren, der
das Recht hätte eigene Verhandlungspositionen einnehmen und
Verhandlungspositionen der anderen Seite in Frage zu stellen! Gusenbauer
hat darufhin zunächst unverdrossen versucht, diese Dissonanzen zu
relativieren: es hätten eben erst Sondierungen der jeweiligen Positionen
und noch keine auf Konsens zielenden Verhandlungen stattgefunden;
gleichzeitig wies er auf die Verantwortung Schüssels für die weitere
Verzögerung der Regierungsbildung hin (derStandard-online 22.01.03). Am
nächsten Tag ließ SP-Bundesgeschäftsführerin Bures dann allerdings
ausrichten: "Wer sich einen domestiziert-devoten Koalitionspartner
wünscht, der seine Identität am Kabinettstisch aufgibt, der muss sich
anderweitig umsehen". Schüssel ist offenbar nicht wirklich an einer
Regierung mit einer "breiten Mehrheit" interessiert, die im Stande wäre,
notwendige Reformschritte unter Einbeziehung eines weiteren Spektrums
gesellschaftlicher Gruppen und mit der Chance einer breiten
Konsensbildung in Angriff zu nehmen, sondern setzt nach wie vor auf
ungetrübte Fortsetzung des "Wendeprojekts" und uneingeschränkte
Kanzlermacht – mit einer schwachen und willfährigen FPÖ oder mit einer
ÖVP-Minderheitsregierung (Anfragen der ÖVP an die anderen Parteien
bezüglich einer parlamentarischen Unterstützung eines gesetzlichen
Budgetprovisoriums hat es jedenfalls bereits gegeben)
(derStandard-online 23.01.03). Zugleich versuchen Schüssel und die ÖVP
ihren absoluten Machtanspruch und die Tatsache, dass sie dabei einseitig
die Fortsetzung des ökonomisch neoliberalen und gesellschaftlich
rechts-konservativen Wendeprojekts oktroyieren wollen, dadurch zu
verschleiern, dass sie ihre parteiliche politische Programmatik als das
objektiv "Notwendige für Österreich" (Molterer), als der Parteipolitik
enthobenen "rot-weiß-roten Kurs" (Schüssel) ausgeben (derStandard-online
25.01.03).
Am 27. Jänner dann das vierte Sondierungsgespräch FPÖ - ÖVP. Prinzhorn
davor: "Die Reihen (der FPÖ) sind geschlossener denn je" (der Text eines
SA-Lieds klingt nach …), und Haupt danach: die Übereinstimmung hätte ein
Ausmaß der Übereinstimmung erreicht, dass weitere Vorgespräche "keinen
Sinn mehr machen" und man in "vertiefende Expertengespräche" einsteigen
werde; noch deutlicher FP-Klubobmann Karl Schweitzer: "Ich zitiere den
Kanzler, wir sind mitten in Verhandlungen". Trotzdem auch diesmal im
Hinblick auf noch offene Gespräche mit den Grünen noch keine offizielle
Entscheidung der ÖVP.
Am 28. Jänner ein weiterer signifikanter Schritt der FPÖ. Gegen ihren
ursprünglichen Aussagen hat sie im Ministerrat einem gesetzlichen
Budgetprovisorium zugestimmt (derStandard-online 28.01.03) – und damit
eine weitere Vorleistung für eine neuerliche Schwarz-blaue Koalition
erbracht und zudem der ÖVP die Option auf eine Minderheitsregierung
eröffnet!
Am 29. Jänner dann mahnt ein mit dem bisherigen Verlauf der
Regierungsverhandlungen unzufriedener Bundespräsident Ergebnisse ein:
"Es ist an der Zeit, dass der Chef der stimmenstärksten Partei erklärt,
mit welcher der drei anderen Parteien er eine Koalition bilden will; die
österreichische Bevölkerung - und auch der Bundespräsident selbst -
erwarten dies bereits mit wachsender Ungeduld". In einem Interview
äußerte er sich dazu auch inhaltlich und bekräftigte seine Ablehnung
einer Minderheitsregierung und seine Präferenz für eine große Koalition
angesichts der Größenordnung der zu lösenden Probleme. Tags darauf
äußerte er sich nochmals im gleichen Sinne nach einer Rede vor dem
Europarat gegenüber der internationalen Presse in Strassburg (News
Networld 29.01.03, derStandard-online 29.01.03, 30.01.01). Damit hat er
zwar gambler Schüssel und die ÖVP wenig beeindruckt, aber Erzürnung und
die üblichen Reflexe bei der FPÖ hervorgerufen: Klubobmann Schweitzer
witterte einmal mehr Österreich-Vernaderei: Ein Vergleich zum Verhalten
Klestils während der "ungerechtfertigten österreichfeindlichen
EU-Sanktionen" dränge sich auf. Klestils Plan laufe darauf hinaus,
Österreich mit Hilfe des Auslands seine politische
Lieblingskonstellation, nämlich eine große Koalition, zu oktroyieren.
Schon Gusenbauer, auf dessen Spuren Klestil wandle, sei im Jahre 2000
trotz allem Champagnisieren" mit einer solchen Vorgangsweise kläglich
gescheitert. Klestil biete mittlerweile das bedauerliche Bild eines
Politikers, über den der Zug der Geschichte hinweggebraust sei (APA OTS
31.01.03).
Am 31. Jänner hat auch die SPÖ wieder die Bühne betreten und ein aus zwölf
Punkten bestehendes Zukunftsprogramm zu Wirtschaft und Beschäftigung,
Budget und Steuern, Pensionen und Gesundheit, Staatsreform, Sicherheit,
Außen- und Europapolitik, Frauen, Bildung und Forschung, Kultur und
Medien und Demokratiereform vorgelegt, das wichtige Punkte des
Wahlprogramms beinhaltet und zugleich auf die von der ÖVP aufgeworfenen
Themen und Fragen Bezug nimmt. U.a. bleiben die Forderungen nach
Verzicht auf Abfangjäger, Abschaffung von Ambulanz- und Studiengebühren,
nach Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen und nach Ausweitung der
kollegialen Mitbestimmung an den Universitäten und nach einer zeitlichen
Abstimmung der Abschaffung der Frühpension mit der
Arbeitsmarktentwicklung aufrecht, dafür wird nicht mehr auf eine
sofortige Steuerentlastung bestanden. Schüssel hat freilich abgewunken:
nichts Neues, z.T. sogar ein Rückfall gegenüber den
Sondierungsgesprächen; ähnlich Khol: "eine Oppositions, keine
Regierungsansage" – Klestils Wünsche bleiben weiter unerfüllt
(derStandard-online 31.01.03, 01.02.03)
Die Grünen, die den Schwarzen Peter an die SPÖ losgeworden und von
Schüssel ebenfalls wieder ins Spiel geholt worden waren, sind ebenfalls
am 31. Jänner für neuerliche Sondierungsgespräche mit der ÖVP
zusammengetroffen. Laut Obmann Van der Bellen wollten Sie "zentrale
Fragen der Umweltpolitik, der Frauenpolitik, der Integrationspolitik
sowie der Sozial- und Bildungspolitik" einbringen – angesichts der
bisher geringen Verhandlungsbereitschaft der ÖVP ein wenig
aussichtsreiches Unterfangen. Trotzdem der Vorsatz, so "intensiv" zu
verhandeln, dass die ÖVP "übermenschliche Kräfte" brauche, um überhaupt
mit einer anderen Partei noch Parallelverhandlungen führen zu können
(derStandard-online 27.01.03, 31.01.03). Auch nach Abschluss der
vertiefenden Gespräche war für die Beteiligten noch "alles möglich". Am
5. Februar erklärte sich der erweiterte Bundesvorstand der Grünen nach
einem Sitzungsmarathon von 11 Stunden gegen den Widerstand der Grünen
GewerkschafterInnen und der Wiener Grünen mit 21 : 8 Stimmen zum
Eintritt in Regierungsverhandlungen bereit – ungeachtet der nach wie vor
bestehenden erheblichen inhaltlichen Differenzen ohne ausdrückliche
Vorbedingungen, aber auch ohne davon auszugehen, "dass die Verhandlungen
zu einem erfolgreichen Ende führen müssen" (derStandard-online
05.02.03). Nach der abschließenden Plenumsrunde erklärte dann auch
Bundeskanzler Schüssel, mit den Grünen in den nächsten 14 Tagen
Regierungsverhandlungen führen zu wollen. Dies wäre freilich noch keine
endgültige Koalitionsentscheidung, und man werde daher auch den
Gesprächsfaden zu den anderen Parteien nicht abreißen lassen
(derStandard-online 06.02.03).
Die Reaktionen der anderen Spieler: blankes Entsetzen, Sorge um
(Deutsch-)Kärnten und Angst vor einer Flut von zweisprachigen Ortstafeln
bei der Kärntner FPÖ, bei FP-Obmann Haupt zunächst demonstrative
Gelassenheit; später meinte freilich auch er: "Ich prognostiziere vor
allem in der Wirtschafts-, Sicherheits-, Asyl-, Innen- und
Ortstafelpolitik ein Desaster für Österreich". Beschwörende Mahnungen
zur Verantwortung an Kanzler Schüssel und Warnung davor, als
"Mehrheitsbeschaffer" missbraucht zu werden, an die Grünen kamen von der
SPÖ, Angst um den Wirtschaftsstandort Österreich äußerte die Industrie
(derStandard-online 06.02.03, 08.02.03).
Nach Abschluss der Sondierungsgespräche haben sich also zunächst
überraschenderweise nicht Schwarz-Blau und auch nicht Schwarz-Rot,
sondern Schwarz-Grün als Partner für Regierungsverhandlungen gefunden.
Schwarz-Blau wäre zwar nach wie vor inhaltlich die naheliegendste
Variante, die formelle Führung der Bundes-FPÖ will es auch und ist als
Preis für die Regierungsbeteiligung auch zu jeder Unterwerfungsgeste
bereit (s. Zustimmung zum Budget-Provisorium), die nach wie vor nicht
entschärfte "Zeitbombe" der Knittelfelder Rebellion in der FPÖ macht
diese Regierungsvariante für Schüssel jedoch zu unberechenbar.
Schwarz-Rot hätte zwar eine ausreichende parlamentarische Breite, um
notwendige und teils die Verfassung berührende Reformprojekte über die
Bühne zu bringen, und die SPÖ wäre auch zu einer Regierungsbeteiligung
bereit. Die ÖVP will jedoch nicht den dafür erforderlichen Preis der
Machtteilung und substantieller inhaltlicher Zugeständnisse bezahlen.
Die Grünen sind an Mandaten ähnlich schwach wie die FPÖ und daher wie
diese in ihrem Forderungspotential begrenzt, und Schüssel kann mit
seiner Entscheidung für die grüne Option im In- und Ausland politische
Flexibilität, ja sogar Umkehr signalisieren. Inhaltlich sind jedoch die
Gegensätze zwischen ÖVP und Grünen in Fragen der Sozial-, Bildungs-,
Sicherheits- und Integrationspolitik eher noch schärfer als die zwischen
SPÖ und ÖVP. Zudem stellt der Flirt mit den Grünen eine riskante
Provokation der zur ÖVP übergelaufenen früheren FP-WählerInnen da. Es
ist daher höchst wahrscheinlich, dass die Entscheidung der ÖVP für
Regierungsverhandlungen mit den Grünen nicht wirklich zu einer
Koalitionsvereinbarung führen wird und bloß ein weiteres taktisches
Manöver darstellt, um den Schwarzen Peter für das Scheitern der
Verhandlungen anderen zuzuspielen.
Am 10. Februar 2003 wurde – mit den Gesprächen ÖVP- Grüne – die Phase der
offiziellen Regierungsverhandlungen eröffnet. Trotz des vereinbarten
Stillschweigens über den Verlauf sickerten die Reibungspunkte durch: von
den Abfangjägern, Studiengebühren und Universitätsreform, über
Selbstbehalte im Gesundheitswesen, Pensionsreform (Frühpensionen;
Grundsicherung) und Fremdenpolitik bis hin zu Reform der
Strafprozessordnung und Nulldefizit und Steuerreform (derStandard-online
11.02.03 - 14.02.03).
Am Sonntag den 16. Februar früh dann das Ende: Trotz – im Nachhinein
freilich bedeutungslosen und möglicherweise rein taktischen -
Annäherungen in vielen Punkten und gegenseitige Zusicherung der
Hochachtung, aber kein Konsens. Während die ÖVP sehr schnell die
verantwortung für das Scheitern den Grünen zuschob (sie hätten"die
historische Chance nicht genützt", Khol), übten sich die Grünen und
insbesondere Van der Bellen diesbezüglich in vornehmer Zurückhaltung.
Die Tatsache, dass der Dissens gerade die sogenannten "Eckpunkte" der
ÖVP betreffen, die nach Schüssel "außer Streit" zu stehen haben, macht
jedoch deutlich, dass die Verhandlungen wiederum an der nicht wirklich
vorhandenen Verhandlungsbereitschaft der ÖVP gescheitert sind.
Es wundert daher nicht, dass sich mittlerweile auch in der Öffentlichkeit
die Zweifel an der Fähigkeit und dem Willen Schüssels gemehrt haben,
eine Regierung jenseits der Konstellation zu bilden, die seit ihren
Anfängen als "Schande Europas" (Profil 6/2000) empfunden und vor einem
halben Jahr von ihrem unberechenbaren rechtsextremen Partner in die Luft
gesprengt worden war, der seitdem offenbar unheilbar auf Selbstmord
programmiert ist (vgl. die Ergebnisse einer diesbezüglichen Umfrage in
News-Networld 18.02.03). Schüssel hat sich daher veranlasst gesehen, in
der ZIB1 höchstpersönlich in salbungsvollen Tönen den Grünen - verpackt
in einen Strauss Blumen des Lobes - den Schwarzen Peter für das
Scheitern zuzuspielen, die von ihm einseitig festgelegten
neoliberal-konservativen "Eckpunkte" neuerlich als "Pflichtprogramm"
auszugeben, dem sich angeblich im objektiven, weltanschaulich neutralen
Interesse Österreichs niemand entziehen könne. Ein halbes Jahr nachdem
sein schwarz-blaues Regierungsabenteuer Schiffbruch erlitten hat und
nach mehr als 80 Tagen vernachlässigtem Regierungsbildungsauftrag,
versicherte er treuherzig, dass "das Sondieren nun vorbei" sei und nun
"möglichst rasch ein Regierung gebildet" werde, und dass er Gusenbauer
und Haupt bereits zu diesbezüglichen Gesprächen eingeladen habe
(derStandard-online 16.02.03). Während auch Bundespräsident Klestil die
Parteiobmänner abermals zum Rapport gebeten und eine "rascheste
Entscheidung" gefordert hat, scheint aber immer noch kein Land in Sicht:
die Option schwarz-rot ist inzwischen nach wechselseitigen Polemiken
eher noch unwahrscheinlicher geworden; andererseits wird die (offenbar
von Schüssel präferierte) Option schwarz-blau von Teilen der ÖVP heftig
abgelehnt: der niederösterreichische Landeshauptmann Pröll hat sogar ein
Veto dagegen angekündigt. Und die Bereitschaft der zurückgewiesenen
Koalitionspartner, eine ÖVP-Minderheitsregierung zu tolerieren, dürfte
sich auch in Grenzen halten. Schüssel, der Meistertaktiker, im Schach …
Am 17. Februar fährt Schüssel ein kurzes Gespräch mit Haupt. Dieser
bezifferte die Chancen auf eine ÖVP-FPÖ-Koalition nach wie vor mit 30 %
- es sei ja nicht klar, ob die VP die Latte der Freiheitlichen
überspringen könne, die ja höher sei als die der Grünen, und schließlich
hätte die ÖVP in Gestalt ihrer FP-skeptischen Landesfürsten ja auch ihr
"Knittelfeld".
Tags darauf ein langes Gespräch Schüssel - Gusenbauer - mit dem Ergebnis,
dass bis 20. Februar, dem Tag an dem die ÖVP die definite Entscheidung
über ihren künftigen Koalitionspartner treffen soll, weitere intensive
Gespräche zwischen ÖVP und SPÖ stattfinden werden. Gusenbauer war
freilich klar, dass diese nur funktionieren könnten, wenn beide Partner
"aufeinander zugingen" (News networld 18.02.03, derStandard-online
18.02.03).
Nach letzten öffentlichkeitswirksam auf Stunden in die Länge gezogenen und
durch die Benutzung von Hintereingängen sowie des Prädikats "höchste
Vertraulichkeit" als entscheidend inszenierten Verhandlungsrunden
abwechselnd mit Gusenbauer und Haupt zeitgerecht für die ZIB 2 die – mit
zwei Gegenstimmen (Pröll, Pühringer) und zwei Stimmenthaltungen (Leitl,
Van Staa) getroffene – ungeduldig erwartete Koalitionsentscheidung des
ÖVP-Bundesvorstands: verhandelt wird mit der FPÖ. Damit steht Schüssels
Herzensprojekt der schwarz-blauen Wendekoalition, dessen spektakuläres
Scheitern im ersten Versuch zu den vorgezogenen Neuwahlen geführt hatte,
nun vor der Neuauflage – ungeachtet der Tatsache, dass es angesichts der
ernsthaften Verhandlungsbereitschaft aller Parlamentsparteien reale
Alternativen der Koalitionsbildung gab, dass sich in der FPÖ seit dem
"Knittelfelder Aufstand" weder die instabilen Machverhältnisse noch die
europafeindlichen Positionen verändert haben, und dass nach aktuellen
Umfragen die Koalition ÖVP- FPÖ mittlerweile auch seitens der
WählerInnen die am wenigsten bevorzugte von allen möglichen
Koalitionsvarianten ist (der Standard-online 20.02.03, News Networld
20.02.03).
Im Nachhinein drängt sich der Eindruck auf, dass alles Verhandeln von
Anfang an bloßes "Simulacrum" (Baudrillard) war, dass nur den Sinn
hatte, SPÖ und Grünen die Schuld für das von vorn herein geplante
Scheitern in die Schuhe zu schieben: Dafür sprechen die wiederholten
gezielten Provokationen der Verhandlungspartner: Zuerst die gehässige
Diffamierung der Grünen im Wahlkampf, dann die "Umfärbungen" im Bereich
des Innenressorts just vor der Aufnahme der Sondierungsgespräche mit den
SozialdemokratInnen, und schließlich die Entsendung von Angehörigen
rechtsextremer Burschenschaften in die Universitätsräte just vor den
letzten Gipfelgesprächen Schüssel-Gusenbauer. Dafür spricht auch die v.
a. gegenüber den Grünen eingeschlagene Taktik, zuerst medienwirksam
"Verhandlungdurchbrüche" in Untergruppengesprächen im Bereich Kernthemen
des Partners (z.B. Ökosteuer) zu inszenieren und damit eigene
Flexibilität zu prätendieren, um dann später den endgültigen Abschluss
im Plenum zum Scheitern zu bringen und den Partner dafür verantwortlich
zu machen.
So weit und vielfältig wie der objektive strategische Spielraum Schüssels
für die Wahl des Koalitionspartners, so eng und einfältig war offenbar
sein eigener Auswahlhorizont. Schüssel ist offenbar nicht nur im
Wahlkampf aus taktischen Gründen – um abtrünnige FPÖ-WählerInnen für
sich zu gewinnen – nach rechts gerückt, er hat sich rechte Positionen so
weit zu eigen gemacht, dass es ihm, dem Repräsentanten einer angeblich
"öko-sozialen" Partei, gar nicht mehr möglich war, mit Grünen und mit
SozialdemokratInnen einen gemeinsamen Nenner zu finden. Und sosehr die
Inangriffnahme der anstehenden innenpolitischen (Umbau des Sozialstaats
Österreich), europapolitischen (Osterweiterung, europäische Verfassung)
und weltpolitischen (Irakkrise) einer Einbeziehung möglichst aller
sozialer Gruppen und Interessen und einer Bündelung der politischen
Kräfte erforderte, so selbstverständlich ist es für Schüssel in seinem
grenzenlosen "Willen zur Macht" geworden, sich die Mühe der
Kompromissbildung und der Teilung der Macht zu sparen und statt dessen
mit der FPÖ sein geschwächtes und gesellschaftspolitisch von ihm kaum
noch unterscheidbares "alter Ego" zum Partner zu küren. So nimmt denn
die Fortsetzung der "Schande Europas" (Profil Nr. 6/2000) ihren Lauf...
Nach Abschluss der VP-FP-Regierungsverhandlungen sollte es
trotzdem noch einmal spannend werden: Haider und zwei Zentralfiguren des
Knittelfelder Delegiertentreffens und Mitbegründer eines
"Haider-Fan-Clubs" in der FPÖ, Fischl und Wimleitner meldeten sich am
27. Februar mit einer herben Kritik am Verhandlungsergebnis zu Wort.
Haider erteilte einer "Steuerreform im Abtausch gegen neue Belastungen",
Pensionskürzungen und neue Selbstbehalte im Gesundheitswesen eine Absage
und kündigte den Widerstand der Kärntner Landesorganisation dagegen in
der Bundesparteileitung an. Fischl & Co forderten sogar,
Regierungsprogramm und Ministerliste einer Abstimmung auf einem
Parteitag zu unterziehen. Sollte Haupt keinen solchen Parteitag
einberufen, würden das eben die Delegierten tun (NEWS Networld
27.02.03). Haider setzt also zur Revanche an Schüssel an, und die für
drei Monate latent gehaltene innere Zerrissenheit der FPÖ wird wieder
manifest.
Angesichts der akuten Gefahr, dass Schüssel mit seinem
Regierungsbildungsauftrag und seiner Festlegung auf die Fortsetzung des
Wendeprojekts doch noch spektakulär scheitern könnte, zeigte die ÖVP
plötzlich erstaunliche Beweglichkeit: Sie erwies sich in einem ihrer
angeblich notwendigen und unverrückbaren Eckpunkten (Selbstbehalte im
Gesundheitswesen) flexibel und gab sich diesbezüglich mit allgemeinen
Formulierungen zufrieden, die sie bei SPÖ und Grünen niemals akzeptiert
und als Beweis deren "Reformunwilligkeit" ausgelegt hätte. Auch die
Mineralölsteuererhöhung war plötzlich nicht mehr dringend. Im
Hintergrund sorgte Innenminister Strasser mit symbolträchtigen
Entscheidungen im Asylbereich - Ausbootung von kritischen NGOs mit
Feindbildcharakter für die FPÖ wie Caritas, Diakonie, Volkshilfe bei der
Betreuung von AsylwerberInnen und Schubhäftlingen (derStandard-online
27.02.03, 28.02.03) - für positive Stimmung bei "Knittelfeldern". Mit
der Bestellung Ursula Haubners, der Schwester Jörg Haiders, zur
Staatssekretärin versuchte Haupt, Haider, die Ikone der Knittelfelder,
zu neutralisieren. Wenn man wirklich will, geht eben alles, und so waren
sich die FPÖVP-VerhandlerInnen am Vormittag des 28. Februar dann doch
rasch handelseins. Die Zustimmung der Parteigremien - der
Parteivorstände beider Parteien und der (nur zur Hälfte versammelten!)
Bundesparteileitung der FPÖ – war nur mehr eine Formsache.
Um Anti-RegierungsdemonstantInnen und
KoalitionsgegenerInnen in der FPÖ möglichst wenig Zeit zur Organisation
von Protest und Widerstand zu lassen, erfolgte noch am 28. Februar – 96
Tage nach den Wahlen – die Angelobung beim Bundespräsidenten, danach
Konstituierung des Ministerrats im BKA. Auf dass sich die Vorkommnisse
beim der Regierungsantritt von Schwarz-Blau im Februar 2000 – damals
hatten wütende DemonstrantInnen den Kanzler und sein Team gezwungen, den
Weg von der Präsidentschaftskanzlei ins Kanzleramt durchs unterirdische
Tunnel zu nehmen - nicht wiederholen, startete Schwarz-Blau II übrigens
gleich mit einer Einschränkung des Demonstrationsrechts: die Polizei
hatte vorsorglich ein "Platzverbot" am Ballhausplatz verhängt. Die
Regierungserklärung im Parlament ist für 6. März vorgesehen. (NEWS
Networld 28.02.03, derStandard-online 28.02.03.).
Fortsetzung: TEIL 6
Anmerkungen:
(1) Diesen
Umfragen gegenüber ist freilich aus mehreren Gründen höchste Vorsicht
geboten: Zum einen gelten für sie natürlich die üblichen Risken einer
Zufallsstichprobe dieser Größenordnung: Die Chance, dass die Stichprobe
nicht die wirklichen Verhältnisse widerspiegelt, beträgt 1:20, die
mögliche Abweichung der ausgewiesenen Werte von den wahren Werten
beträgt bis zu +/- 5 %! Dazu kommt, dass Mitte September bis zu 25 % der
WählerInnen ihre Wahl noch nicht getroffen haben und "Hochrechnungen"
daher nur auf Grund relativ willkürlichen Annahmen über deren späteres
Wahlverhalten erstellt werden können. Das erklärt auch die Abweichungen
der Ergebnisse von Gallup und Market, OGM und ISMA.
hagalil.com
17-11-03 |