antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 

9. "More of the same" : Die zweite Amtsperiode der Schwarz-blauen Wendekoalition

9.1. Das Regierungsprogramm der zweiten Wendekoalition

Nachstehende Übersicht gibt einen Überblick über Vorhaben der Regierung in menschenrechts-, demokratie- und gesellschaftspolitisch sensiblen Bereichen. Wie daraus hervorgeht, plant Schwarz-Blau weitere bedenkliche Maßnahmen:

Im Bereich Fremdenrechts gibt es selbst in menschrechtlich bedenklichen Bereichen wie der Abwicklung der Familienzusammenführung innerhalb der Zuwanderungsquote keine Änderung, im Asylrecht sind – etwa mit der Orientierung der "Erstabklärung" an der Liste sicherer Drittstaaten – sogar aus rechtstaatlicher Sicht bedenkliche Verschärfungen geplant. Das Kärntner Ortstafelproblem soll im Sinne der schon vorliegenden Ergebnisse der Konsenskonferenz des Bundeskanzleramtes – also über die Köpfe der dem Mehrheitskonsensus nicht beigetretenen slowenischen Minderheitenvertretung hinweg - geregelt werden. Im Bereich der Rechtssprechung droht die Einschränkung individueller Rechte - etwa im Zuge der Reduktion der Gerichtsebenen und der Beschleunigung des UVP-Verfahrens, der Reform des Versammlungsrechts oder der Reform des Verfassungsschutzes und der Terrorbekämpfung oder bei der (Zwangs-)Behandlung "uneinsichtiger" psychisch Kranker oder Behinderter. Die mit der Reform des Hauptverbandes der SV-Träger eingeleitete Tendenz zur "Ver-Staatlichung" gesellschaftlicher Selbstorganisation findet ebenfalls ihre Fortsetzung - im Sozialversicherungswesen, bei der Arbeitsmarktverwaltung, beim Konsumentenschutz.

Was die  Frauenpolitik anlangt, gibt es zwar nun wieder ein eigenes Frauenministerium und Bekenntnisse zum EU-Projekt "Gender-Mainstreaming", an der die "sexistische" Arbeitsteilung der Geschlechter stabilisierenden Frauen-zurück-an-den-Herd-Politik wird jedoch festgehalten: keine Harmonisierung von Karenzfrist und Kindergeldbezugszeit, Abschiebung der Verantwortung für den Ausbau öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen zu den Ländern und Gemeinden. In der Familienpolitik keine Schritte zur weiteren Gleichstellung neuer Partnerschaftsformen, dafür die Verankerung der Familie in der Verfassung

Der Geschichtsrevisionismus soll im Projekt "Haus der Geschichte" auch weiterhin sein Betätigungsfeld finden, und der ethnische Nationalismus darf sich weiterhin im Zusammenhang mit den Benes-Dekreten und den altösterreichisch-deutschsprachigen Minderheiten gegenüber Osteuropa austoben.

Übersicht: FPÖVP-Regierungsprogramm 2003:

Asyl- und Fremdenrecht

"Integration vor Neuzug", Saisoniersregelung bleiben aufrecht

Familienzusammenführung bleibt quotiert

Einschränkung der Familienzusammenführung auf die Kernfamilie

Einschränkung der Möglichkeit der vorzeitigen Einbürge­rung

Beschleunigung des Asylverfahrens: Erstabklärung in 72 Stunden

Orientierung der Asylentscheidung an Liste "sicherer Drittstaaten"

Verpflichtung der AsylwerberInnen zur ständigen Ver­fügbarkeit

Abschiebung bei "offenkundig unbegründetem" Asylan­trag

Harmonisierung von Aufenthalts­recht und Arbeitsbewilligung

Arbeitsmarkt- und Sozial-verwaltung

"Verstaatlichung" der AMS-Regionaldirektorien

Umlegung des Hauptverbands-Organisationsmodells auf die GGK

Landes-Clearing im Bereich der KV unter Leitung der Länder

 

Justiz

Auflösung der selbständigen Jugendgerichtsbarkeit

Strafbarkeit von Sozialbetrug

Keine Drogenfreigabe

Studie zur ("flacheren") Neuorganisation der Gerichts­barkeit

Schaffung der Möglichkeit der Behandlung von nicht einsichtigen psychisch Kranken und Behinderten

Studie zur Neuorganisation des Konsumentenschutzes

Prüfung der Verfahrensbeschleunigung im UVP-Recht

 

Sicherheit

Beschaffung von Abfangjägern

Ausbau und Stärkung des Bundesamts für Verfassungs­schutz und Terrorbekämpfung

Reform des Versammlungsgesetzes

 

Familie

Einwirkung auf Länder f. Ausbau der Kinderbetreuung

Verankerung der Familie in der Verfassung

Recht auf Teilzeit für Eltern

Vermehrte Anrechnung von Er­ziehungszeiten (24 statt 18 Monate)

Frauen

Alterssicherung durch Anerkennung von mehr Erzie­hungszeiten

(Keine Harmonisierung von Karenzurlaub und Kinder­geldbezugszeit)

Gender-Mainstreaming im Bil­dungsbereich und im öffent­lichen Bereich

Frauenförderung in der Technik

Quoten in Kommissionen und Beiräten

Kultur

Projekt "Haus der Geschichte"

 

Europa

Förderung der Interessen und Anliegen altösterreichi­scher Minderheiten

Eintreten für Pflege und Verbreitung der deutschen Spra­che in Mittel-, Ost- und Südosteuropa

Lösung der Frage der Benes-Dekrete i.S. der Menschen­rechte, der gemeinsamen europäischen Werte und ei­ner verantwortlichen Auseinandersetzung mit dem "Unrecht der Vergangenheit"

Bekenntnis zur Erweiterung

Für Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen

Quelle: ÖVP/ FPÖ 2003

Angesichts von soviel rechter Programmatik ließ auch das Lob von ganz rechts nicht lange auf sich warten: Das Regierungsprogramm – so das rechtsextreme Blatt "Der Völkerfreund" – enthalte "eine Reihe von Vorhaben, die deutschbewusste Österreicher nur begrüßen können." Allerdings bleibe " … angesichts des Gutmenschenterrors offen, was davon umgesetzt werden kann." (Der Völkerfreund 2/2003, S. 7, zitiert nach DÖW 24.06.03)

Viel hat der Stimmenverlust der FPÖ zur ÖVP hier also nicht bewirkt – ein weiteres Indiz für den Rechtsruck der ehemals christlich-sozialen und liberal-konservativen Volkspartei.

5.2. Die Regierungspolitik von Schwarz-Blau II/ Schwarz-Orange Blau in der Praxis

Missachtung von Rechtsstaat und Gewaltenteilung, mangelnde weltanschauliche Neutralität:

Ungeachtet der Kritik und der zahlreichen anhängigen Gerichtsverfahren in dieser Frage hat die Regierung ihre diesbezüglich bedenkliche Praxis ungebrochen fortgesetzt.

Die vom Verfassungsgerichtshof für die Reparatur der bestehenden Ortstafelregelung in Kärnten gesetzte einjährige Frist ist, nach dem Scheitern der von Kanzler Schüssel eingesetzten so genannten "Konsenskonferenz", im Dezember 2002 ergebnislos verstrichen[1].

Anfang Jänner 2005 hat dann VFGH-Präsident Korinek das "Gedankenjahr 2005" zum Anlass genommen, die diesbezüglich "staatspolitische Verantwortung" einzumahnen – und sich dafür prompt die Apostrophierung als des "Tugend-Terrorist" und "Tugendwächter der politisch korrekten Gesellschaft" durch Haider eingehandelt (derStandard-online 16.01.05).

Im neuen Ministeriengesetz wurde der Sitz des "unabhängige Asylsenats", des weisungsfreien gerichtsförmigen Gremiums zur Überprüfung von Asylbescheiden des Bundesasylamts, das 1998 zur Entlastung des VWGH geschaffen und damals im Bundeskanzleramt angesiedelt worden war, ins Innenministerium verlegt. Diese Entscheidung wurde aufgrund der damit verbundenen zumindest symbolischen Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Asylsenats von dessen Mitgliedern, von Seiten der NGO’s und von der Opposition heftig kritisiert (derStandard-online 09.03. 03, 11.03.03).

Im Zuge der Reform der STPO hat Justizminister Böhmdorfer geplant, die seiner Ansicht nach "exzessiv eingerichteten Rechtsmittel- und Beschwerdemöglichkeiten" im Vorverfahren auf ein Ausmaß zu reduzieren, das ihm "vernünftig, rechtsstaatlich notwendig und ökonomisch vertretbar", der Richtervereinigung hingegen als "Beschneidung rechtsstaatlicher Möglichkeiten" erscheint. Auch für die Rechtsanwaltschaft wäre damit "das Grundrecht eines jeden Bürgers auf ein faires Verfahren nicht mehr gewährleistet" (derStandard-online 18.04.03, 22.04.02). Mit der Mitte Februar zwischen FPÖ und ÖVP akkordierten Reformkonzeption wird mit diesem Vorhaben ernst gemacht: Zwar werden in dem Entwurf erstmals in Österreich Rechte der Beschuldigten im Vorverfahren definiert, die Leitung der Ermittlung geht aber von den Gerichten auf die Staatsanwaltschaft über, gleichzeitig soll das Weisungsrecht des Ministers aufrecht bleiben. Verdächtige sollen zwar grundsätzlich das Recht erhalten, bereits bei der Ersteinvernahme einen Anwalt beizuziehen. Das Recht auf Anwalt soll aber ausgeschlossen werden können, wenn die Exekutive dadurch die Ermittlungen gefährdet sieht. Vor dem Hintergrund der laufenden Polizeireform, die u.a. die Verselbständigung des Wachkörpers Polizei durch dessen Ausgliederung aus der vorgesetzten rechtskundigen Behörde vorsieht (Profil 8/2004, S. 40f.) erscheint diese Befugnis der Polizei aus rechtsstaatlicher Sicht besonders bedenklich (derStandard-online 13.02.04). Ungeachtet dessen wurde der Entwurf mit den Stimmen der Koalitionsparteien am 20. Februar 2004 vom Justizausschuss und am 26. Februar vom Plenum des Nationalrats verabschiedet (derStandard-online 20.02.04, 26.02.04).

Mitte Mai haben sich dann allerdings Justizministerin Gastinger, Richtervereinigung und Staatsanwälte übereinstimmend dafür ausgesprochen, die Staatsanwaltschaft mit Wirksamwerden ihrer leitenden Rolle im Ermittlungsverfahren im Jahre 2008 weisungsfrei zu stellen (ORF 20.05.06).

Unter dem Titel "Verwaltungsvereinfachung" hat das Finanzministerium Mitte Mai 2003 – wohl im Hinblick auf die umstrittene Beschaffung von Abfangjägern - den Entwurf einer Veränderung des Haushaltsgesetzes in den Budgetausschuss eingebracht, die auf eine Beschneidung der Rechte des Parlaments gegenüber der Verwaltung hinausläuft: In Zukunft soll es nämlich möglich sein, im Falle von Großanschaffungen des Bundes im Einvernehmen der beteiligten Fachministerien Zahlungen zu tätigen, ohne dass es eines entsprechenden Parlamentsbeschluss über eine Vorbelastung des Budgets, in dem diese Zahlungen fällig werden, bedürfte. Für zusätzliche Aufregung hat die Tatsache gesorgt, dass dies Änderung zuvor im Begutachtungsentwurf nicht enthalten und damit am Rechnungshof vorbei manövriert worden war (derStandard-online 19.05.03). Nach heftigen Protesten wurde der Vorschlag jedoch wieder zurückgezogen.

Laut Rechnungshofbericht über die Postenvergabe in ÖIAG-Unternehmungen hat sich der Aufsichtsrat der ÖIAG in den Jahren 2001 und 2002 mit Duldung des Finanzministeriums über die Bestimmungen der so genannten "Schablonenverordnung" hinweggesetzt und den neu bestellten regierungsgenehmen Managern zum Schaden der Republik großzügige Sondervergünstigungen zugeschanzt. Die ÖIAG hat allerdings mittlerweile ihre Absicht bekundet, diese Vorgehensweise, die übrigens auch von VFGH-Präsident Korinek als "rechtsstaatlich gefährlich" bezeichnet worden war, zu sanieren. Kanzler Schüssel hat seinerseits eine Novellierung der Schablonenverordnung angekündigt. RH-Präsident Fiedler hat in diesem Zusammenhang vorsorglich deponiert, dass diese Novelle jedoch nicht "als Rechtfertigung für in der Vergangenheit begangene Verstöße gegen die Schablonenverordnung … dienen" dürfe (derStandard-online 15.08.03, 31.08.03).

Laut Mitteilung von VertreterInnen der Gewerkschaft und der Richtervereinigung soll Minister Böhmdorfer in einem Gespräch im Juli 2003 im Justizministerium angekündigt haben, RichterInnen in Zukunft nicht mehr, wie derzeit verfassungsrechtlich vorgeschrieben, auf Lebenszeit, sondern nur noch für eine fünfjährige Amtsperiode ernennen zu wollen. Aus der Sicht der Berufsvertretung "einer der bisher schwersten Angriffe auf die richterliche Unabhängigkeit". Böhmdorfer hingegen hat von einer "Unterstellung" gesprochen und zunächst derlei Absichten bestritten, später jedoch eingeräumt, diese Idee im Interesse der Verfahrensbeschleunigung als Maßnahme zur Motivation "fauler" RichterInnen ventiliert zu haben  (derStandard-online 23.09.03).

Am 26. September 2003 wird bekannt, dass das Justizministerium die Oberstaatsanwaltschaft Graz angewiesen hat, vom Vorhaben einer Anklageerhebung gegen den Protokollchef des Kärntner LH Haider wegen falscher Zeugenaussage in Untersuchungsausschuss des Kärntner Landtags zu Haiders Irak-Reisen Abstand zu nehmen. Begründung des Ministeriums und des Justizministers Böhmdorfer: der Verdächtige sei nicht ausreichend über seine Aussagenotstands-Rechte belehrt worden. Verdacht von Kärntner SPÖ, ÖVP und Grünen: Böhmdorfer agiert hier in der Rolle des Anwalts Jörg Haider und seiner Freunde (derStandard-online 26.09.03, 29.09.03, 08.10.03).

Anfang Oktober 2003 präsentierte die Regierung ihr Konzept für die ÖBB-Reform. Teil dieser Reform ist u.a. die Lockerung der Pragmatisierung, die Abschaffung der Biennalsprünge und Zwangsversetzungen in eine Personalgesellschaft unter Androhung einer Kündigung. Rechtsstaatlich zumindest problematisch dabei ist, dass diese Reformen per gesetzlichen Eingriff in Einzelverträge und unter Umgehung der Mitspracherechte der Belegschaftsvertretung durchgesetzt werden soll. Aus der Sicht der Gewerkschaft und der Opposition ein klarer "Bruch in der österreichischen Rechtskultur" mit möglicher Präzedenzwirkung für andere Bereiche. Eine diesbezügliche Klage beim VFGH steht im Raum (derStandard-online 01.10.03). Nach dem unerwarteten entschlossenen und in drei Streiktagen eindrucksvoll ins Werk gesetzten Widerstand der Eisenbahnergewerkschaft ist die Regierung dann aber doch auf eine Kompromisslinie eingeschwenkt: Demnach soll es doch keinen Eingriff in bestehende Dienstverträge per Gesetz und dafür Verhandlungen der Personalreform durch die Sozialpartner geben (derStandard-online 10.11.03 - 14.11.03).

Um der ÖBB einen Personalabbau ohne – zwar legale, aber öffentlich verpönte - Frühpensionierungen zu ermöglichen, hat dann Staatssekretär Kukacka (ÖVP) im Jänner 2005 doch wiederum einen Anlauf zur Beschneidung der Autonomie der Sozialpartner und zur Aufweichung des Kündigungsschutzes unternommen: wer im Unternehmen nicht einsetzbar ist und einer externen Verleasung nicht zustimmt, soll gekündigt oder entlassen werden können. Ein entsprechender Gesetzesentwurf war bereits in Vorbereitung. Die Gewerkschaft hat ihrerseits neuerlich Kampfmaßnahmen bis zum Streik dagegen angekündigt (derStandard-online 27.01.05, 08.02.05). Ungeachtet dessen wurde der Vorschlag mit den "Eckpunkten" Wiederausweitung der Arbeitszeitbestimmungen, Pflicht zur Umschulung und Möglichkeit der Versetzung und der Überlassung an externe Firmen auch ohne Zustimmung der Betroffenen weiter ausgearbeitet. Der Vorstand sollte sagen, "ob er die Probleme mit einem neuen Kollektivvertrag im Konzern lösen kann oder ob eine entsprechende Reform mittels Gesetz stattfinden soll" (Kukacka). Möglicher Termin der Beschlussfassung des neuen Dienstrechts: Herbst 2005 (derStandard-online 12.06.05). Tatsächlich hat Verkehrsminister Gorbach Anfang November 2005 des Jahres 2005 – laut Kukacka auf Verlangen des Vorstands - eine entsprechende Gesetzesinitiative ergriffen, die bis Mitte 2006 umgesetzt werden soll (derStandard-online 01.11.05).

In der Dimension bescheidener, aber in der nachlässigen Handhabung durch Schlüsselakteure ebenfalls durchaus problematisch, war der Mitte Oktober 2003 ans Licht gekommene Verstoß gleich mehrerer Regierungsmitglieder (nach Angaben der SPÖ neben Grasser auch Rauch-Kallat, Bartenstein, Waneck und Schweitzer) gegen die verfassungsmäßig verankerte Meldepflicht ihres Aktienbesitzes beim Unvereinbarkeitsausschuss: der der ÖVP angehörige Ausschuss-Vorsitzende Schultes verneinte zunächst das Vorliegen eines Gesetzesbruchs, um ihn dann später in einem Atemzug einzuräumen und als Bagatelle abzutun und den MinisterInnen für die einlaufenden Nachmeldungen seinen dank auszusprechen. Auch der Ausschuss selbst nahm das Versäumnis und die Nachmeldungen mit der Mehrheit der Regierungsparteien konsequenzenlos zur Kenntnis, und NR-Präsident Fischer, oberster Hüter der Legislative und ehemaliger Wächter des "Verfassungsbogens", meinte gar in einem ORF-Interview, der Rechtsbruch der Regierungsmitglieder spiele angesichts deren tadelloser Performance überhaupt keine Rolle … (derStandard-online 08.10. – 18.10.03).

Verfassungsrechtlich bedenklich war nach Meinung des Verfassungsjuristen Theo Öhlinger aber auch die im Februar 2004 angesichts heftiger Betroffenenproteste von den Regierungsfraktionen beschlossene Finanzierung des Ausgleichs der nach der Aussetzung des Wertausgleichs für das Jahr 2004 und der Erhöhung von Kranken- und Freizeitversicherungsbeiträge eingetretenen Nettopensionsverlusten über Härtefonds. Da es für Leistungen aus solchen Härtefonds keinen Rechtsanspruch gibt, würden die rechtsstaatlichen Strukturen "unterlaufen". Die bereits zuvor erfolgte Auszahlung des Ausgleichs durch die wahlkämpfenden Landeshauptleute von Kärnten und Salzburg, Jörg Haider (F) und Franz Schausberger (V) bezeichnete Öhlinger als "die Rückkehr vom Rechtsstaat in den Absolutismus, wo ein gnädiger Monarch an seine Untertanen Geschenke verteilt" (derStandard-online 12.02.04).

Am 22. Juli 2004 wird dann bekannt, dass im Finanzministerium unter der politischen Verantwortung Grassers BeamtInnen vor einer evtl. Beförderung oder Auszeichnung ohne Zustimmung der Personalvertretung und ohne konkrete Verdachtsmomente und daher widerrechtlich einer Art elektronischen Rasterfahndung unterzogen werden. Überprüft wird, ob sie dienstlich nicht begründete Finanzdatenbank-Abfragen getätigt haben. Beabsichtigt ist sogar die Ausweitung der Überprüfung der BeamtInnen auf deren Bonität. Da sich der Kreditschutzverband von 1870 aus Datenschutzgründen geweigert hat, die entsprechenden Daten zur Verfügung zu stellen, wurde die Finanzprokuratur mit einer diesbezüglichen Gutachten beauftragt. Laut Finanzministerium geschieht das alles im Interesse der Objektivität der Verwaltung (derStandard-online 22.07.04, Profil 25.07.04). Im Oktober 2004 hat dann die Finanzgewerkschaft auch im Hinblick auf die "unwiederbringlichen Kollateralschäden" für das Image der FinanzbeamtInnen der Staatsanwaltschaft eine diesbezüglich Sachverhaltsdarstellung übermittelt (derStandard-online 23.10.04).

Im April 2005 wurde durch das Wochenmagazin Format ein Papier bekannt, in dem die damalige Staatssekretärin im Sozialministerium und geschäftsführende FPÖ-Obfrau Ursula Haubner im Jahr 2003 die "rascheste" Ausbezahlung von Fördermittel an den RFJ zusagt hat. Im Gegenzug hat sich der RFJ in dem Papier dazu verpflichtet, aus diesen Fördermitteln eine Rückzahlung von Schulden an die FPÖ zu leisten. Nach einem Sprecher von Haubner kein Problem: der RFJ habe Anspruch auf eine Förderung, diese Förderung sei von der Partei vorgeschossen worden, und Haubner hätte nur die Refundierung verlangt; nach Ansicht der Opposition jedoch eine klassische Unvereinbarkeit am Rande des Amtsmissbrauchs (News Networld 14.04.05, derStandard-online 15.04.05).

Mitte November 2005 wurde durch eine Mitteilung der Wiener Rechtsanwaltskammer bekannt, dass Inhaftierten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, mit sinnwidrig übersetzten Informationsblättern  - "I hereby walve the right to a person of confidence (or a legal counsel) informed of my arrest" für: "Ich kenne mein Recht, eine Vertrauensperson oder einen Rechtsbeistand verständigen zu dürfen" - nahe gelegt wird, auf ihr Grundrecht auf einen Rechtsbeistand zu verzichten (derStandard-online 17.11.05).

Zumindest an der Schwelle zum Amtsmissbrauch bewegte sich Finanzminister Grasser im Sommer 2006 im Zusammenhang mit Vorwürfen betreffend die Einladungen seiner Person auf Yachten von Banker, die durch das Finanzministerium bzw. die im Auftrag von Grasser agierende Finanzmarktaufsicht zu überwachen sind. Im Mittelpunkt stand dabei eine Segelpartie in der Adria im Herbst 2005 auf Einladung des Bankiers Meinl. Mit an Bord u.a. Flöttl Junior, ein Hauptakteur der geplatzten dubiosen Spekulationsgeschäfte der BAWAG. Im TV (ZIB2 vom 18.07.06) mit den Unvereinbarkeits-Vorwürfen gegen seine Person konfrontiert, zückte Grasser in einem Entlastungsangriff einen geheimen Prüfbericht der ÖNB, um, mit dem Bericht winkend, als ob das so drinnen stünde, Gusenbauer und die SPÖ ins Zwielicht des Verdachts der Veruntreuung zu rücken – ein klarer Missbrauch von Informationen, die ihm von Amtswegen zugänglich sind, für den privaten Zweck der persönlichen Verteidigung. Es erübrigt sich fast hinzuzufügen, dass der Inhalt des Berichts bereits am nächsten Tag via Medien öffentlich bekannt wurde, und dass sich herausstellte, dass darin von einer Involvierung Gusenbauers oder der SP keine Rede war (NEWS, derStandard-online 19.07.06).

Doch das Agieren am Rande der Rechtsstaatlichkeit hat seinen Preis: Wie schon in der ersten Wende-Regierungsperiode – in Jahre 2002 waren z.B. immerhin 19 von 62 Gesetzen (darunter Ambulanzgebühr und Unfallrentenbesteuerung, vgl. derStandard-online 05.10.03) beanstandet worden – hielten wichtige Gesetze einer Prüfung durch den VFGH nicht stand:

So wurde vom VFGH etwa im Juli 2003 die von der Regierung zur politischen Ruhigstellung betroffener Bediensteter beschlossene Sistierung der Personalvertretungswahlen bei Neuschaffung von Dienststellen aufgehoben (VFGH 14.07.03)

Anfang Oktober 2003 wurde vom VFGH die Handhabung der Familienzusammenführung als dem Rechtsstaatsprinzip widersprechend aufgehoben. Grund dafür war die fehlende Transparenz der Verteilung der Quotenplätze und die Nicht-Absehbarkeit der Wartefristen (VFGH 08.10.03).

Am 10. Oktober 2003 hat der VFGH dann die in der ersten schwarz-blauen Regierungsperiode gegen heftigen Widerstand durchgezogene Reform des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger fast zur Gänze als verfassungswidrig aufgehoben. Insbesondere die Konstruktion der Spitzengremien (Leitung durch ein Privatmanagement) sowie der (von KritikerInnen als "Lex Sallmutter" bezeichnete) Ausschluss von Spitzenfunktionären der Verbände vom Verwaltungsrat wurden als unzulässig erkannt (VFGH 10.10.03). Damit hat ein - insbesondere von der FPÖ betriebenes - Schlüsselprojekt der Abschaffung gesellschaftlicher Autonomie gegenüber dem Staat Schiffbruch erlitten, und auch die für die Legislaturperiode geplante Übertragung des "Hauptverbandprinzips" auf die Länderebene ist nun nicht mehr möglich!

Ende Jänner 2004 wurde dann das in der letzten Legislaturperiode beschlossene Militärbefugnisgesetz zum Teil aufgehoben: U.a. wurde die Möglichkeit der vorsorglichen Ermittlung und die Möglichkeit der Festnahme "Unverdächtiger", beanstandet wurde aber auch die mangelhafte Unabhängigkeit des Rechtsschutzbeauftragten (VFGH 23.01.04). Die SPÖ hat angekündigt, weitere von ihr monierte Bestimmungen, die vom VFGH zwar auch als problematisch angesehen, aber aus formalen Gründen nicht behandelt wurden, nochmals prüfen zu lassen (derStandard-online 28.02.04).

Anfang März 2004 hob der VFGH dann das Modell für die Sanierung der Krankenkassen auf – u. a., weil die darin vorgesehene Einbeziehung aller Kassen unabhängig ihrer Heterogenität den Gleichheitsgrundsatz widerspreche, die vorgeschriebenen Zielvereinbarungen zwischen Hauptverband und Landesträgern zu unbestimmt und einseitig seien, und die Verdoppelung der Zahlungen in den Ausgleichsfond und die Zwangsdarlehen sachlich nicht gerechtfertigt seinen (VFGH 13.03.04).

Am 22. Juli 2004 gab der VFGH bekannt, dass er eine von der Schwarz-Blauen Regierungsmehrheit anlässlich der Reorganisation der Sicherheitswache beschlossene Novelle des Beamtendienstrechtsgesetzes, die die Möglichkeit der Zwangspensionierungen von BeamtInnen auch bei Nicht-Vorliegen wichtiger dienstlicher Gründe vorgesehen hat, als verfassungswidrig aufgehoben  hat. Sie eröffne der Behörde einen Dispositionsspielraum, der nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sei (VFGH 22.07.04, derStandard-online 22.07.04).

Am 15. Oktober 2004 hat der VFGH dann das im Jahr 2003 beschlossene und von den Ländern Wien und Oberösterreich sowie vom Bundesasylsenat beeinspruchte Asylgesetz aufgehoben. Nicht menschenrechts- und damit nicht verfassungskonform sind u.a. das Neuerungsverbot sowie die Möglichkeit einer Abschiebung nach einem negativen Bescheid in erster Instanz. Nicht als verfassungswidrig angesehen wurde dagegen die Liste sicherer Dritt- und Herkunftsländer (derStandard-online 15.10.04, VFGH).

Ebenefalls am 15. Oktober hat der VFGH das Anfang März 2004 zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Zivildienstgesetz bzw. der Verordnung zur Übertragung von Aufgaben der Zivildienstverwaltung an das rote Kreuz eingeleitete Verfahren abgeschlossen. Ergebnis: Die Ermächtigung des Innenministers durch das Zivildienstgesetz, ein geeignetes Unternehmen ohne Einschränkungen mit der Durchführung von Aufgaben der Zivildienstverwaltung zu betrauen, berührt eine Kernaufgabe des Staates und ist daher verfassungswidrig (VFGH 20.10.04). Das Urteil zeigte beim im laufenden Monat bereits zum zweiten Mal betroffenen Innenminister Wirkung. Im rechtsstaatlich bedenklichen Stile von Jörg Haider erklärte er trotzig, dass das Urteil zwar zu respektieren sei, dass er aber gar nicht an eine Wiedereingliederung der Zivildienstverwaltung ins Ressort denke, denn "was Recht ist, muss nicht unbedingt gut sein" (derStandard-online 22.10.04)

Angesichts der Säumigkeit der Politik bei der Umsetzung des VFGH-Beschlusses in der Ortstafelfrage aus dem Jahr 2001 hat der Verfassungsgerichtshof anlässlich einer diesbezüglichen Beschwerde am 18. Juni 2005 erneut ein Verordnungsprüfungsverfahren betreffend zweisprachige Ortstafeln in Kärnten eingeleitet. Der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig davon aus, dass für die Ortschaften Bleiburg und Ebersdorf Ortstafeln in slowenischer Sprache sowie in Deutsch aufzustellen sind (VFGH 08.07.05).

Auch in Sachen Diskriminierung Homosexueller ist der VFGH am 23. Juni 2005 von Amts wegen aktiv geworden: Bei den Beratungen über eine Beschwerde sind Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung entstanden, die homosexuelle Partner von der Mitversicherung in der Krankenversicherung ausschließt. Diese Regelung dürfte diskriminierend sein und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Ein entsprechendes Prüfverfahren wurde eingeleitet (VFGH 08.07.05). Am 10. November 2005 gab Präsident Korinek dann in einer Pressekonferenz bekannt, dass der VFGH die entsprechende Bestimmung des Sozialversicherungsrechts tatsächlich für diskriminierend und daher verfassungswidrig erkannt hat (VFGH 10.11.05).

Am 15. November hat der VGH dann auf Grund einer entsprechenden Klage seitens einiger Zivildiener das ihnen bescheidmäßig zuerkannte Verpflegungsgeld von 6 Euro als "deutlich zu wenig" beurteilt und mehr als das Doppelte, nämlich 13,60.- Euro (der Betrag der im Falle von Soldaten, die den Garnisonsort verlassen, zur Anwendung kommt) als angemessen bezeichnet (VFGH 15.11.05).

Am 28. Dezember hat der VGH neuerlich in einem – vom Slowenischen Politiker und Rechtsanwalt Vouk durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung provozierten - Verordnungsprüfverfahren  betreffend die Ortstafeln in Bleiburg und Bleiburg-Ebersdorf (Kärnten) entschieden, dass (1) auf Grund des slowenischen Bevölkerungsanteils von > 10 % auch slowenische Ortsbezeichnungen festzulegen und zweisprachige Ortstafeln aufzustellen sind, und (2) die Bezirkshauptmannschaft für die Festlegung der jeweiligen  Ortsbezeichnung zuständig ist (VFGH 28.12.05).

Nicht teilen konnte der VFGH hingegen die Bedenken der SPÖ gegen das UG 2002 wegen Verletzung des Prinzips der Selbstverwaltung (VFGH 23.01.04) sowie gegen den Sammelcharakter des Budgetbegleitgesetzes 2003 wegen Verletzung des Demokratieprinzips (VFGH 13.03.04)[2].

Auch in einem anderen Punkt gab der VFGH der Regierung gegenüber der Opposition bzw. der Rot-Grünen Mehrheit im Wiener Gemeinderat recht: Im Juni 2004 hat er das Wiener Wahlrecht für Drittstaatsangehörige als verfassungswidrig gekippt. Der Volksbegriff im Demokratieprinzip knüpfe an die Staatsbürgerschaft an, im Sinne des Homogenitätsprinzips müsse dies auch für die Bezirksebene gelten (VFGH 30.06.04). Zufriedenheit bei FPÖ und ÖVP, Enttäuschung bei SPÖ und Grünen. Letztere haben nun einen Antrag auf eine entsprechende Änderung der Verfassung angekündigt (APA OTS 30.06.04)[3].

Im Juni 2005 hat der VFGH den Antrag der Wiener Landesregierung, Bestimmungen der Pensionsreform 2003 wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bei Frauen- und Alters(Invaliditäts-)-Pensionen als verfassungswidrig aufzuheben, aus formalen Gründen zurückgewiesen. Das im Antrag gestellte Aufhebungsbegehren sei gemessen an den geltend gemachten Bedenken zu eng gefasst (VFGH 22.06.05).

Auch die im Zuge der - seinerzeit von der Opposition als "politische Umfärbungsaktion" bezeichnete - Reorganisation des Innenressorts hielt einer unabhängigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit nicht statt: Der von den Betroffenen angerufene unabhängige Senat beim Bundeskanzleramt hat jedenfalls in 40 von 75 Fällen festgestellt, dass nicht rechtens vorgegangen sei – u.a. mit der Folge, dass diesen weiterhin ihr ursprüngliches Gehalt ausbezahlt werden muss und somit zusätzlich Kosten der Umstrukturierung entstehen (News Networld 31.10.03). Ungeachtet dessen wurde eine Woche nach diesem Urteil der Gendarmeriegeneral Strohmeyer, SPÖ Mitglied und vehementer Kritiker der Reorganisation des Sicherheitsapparats, unfreiwillig pensioniert – laut Innenministerium lediglich aus gesundheitlichen Gründen … (derStandard-online 28.09.04).

Im Dezember 2004 hat der Verwaltungsgerichtshof die Minderheitenpolitik der Bundesregierung ins Visier genommen und die Zusammensetzung des Volksgruppenbeirats als rechtswidrig aufgehoben. Betroffen sind die drei von der - wegen ihrer FPÖ-Nähe innerhalb der slowenischen Volksgruppe heftig umstrittenen - so genannten "Gemeinschaft der Kärntner Slowenen" nominierten Mitglieder des Beirats. Laut VWGH hat die Bundesregierung nicht nachweisen können, dass es sich bei der Gemeinschaft der Kärntner Slowenen um eine repräsentative Volksgruppenorganisation handelt (VWGH 15.12.04, derStandard-online 07.02.05).

Im März 2006 schlugen dann die Präsidenten des VWGH und des VFGH, Jabloner und Korinek, Alarm: es gäbe Reformpläne seitens der Regierung, u.a. die einerseits mehr Zeit für beklagte Behörden zur Vorbereitung einer Stellungnahme, andererseits die Möglichkeit, die Höchstgerichte durch Fristsetzung zeitlich unter Druck zu setzen, vorsieht. Weiters soll der VWGH nicht mehr wie bisher zu einem Drittel mit ordentlichen Richtern besetzt werden. Ein entsprechender Verfahrensgesetzesentwurf war vom Verfassungsdienst des BKA mit einer nur zweiwöchigen Begutachtungsfrist ausgesandt worden. Diese "massiven Eingriffe" in Kompetenzen und Abläufe sind obendrein entgegen den bisherigen Gepflogenheiten nicht im Vorhinein mit den Höchstgerichten abgesprochen worden. Ein Rachefeldzug der Regierung gegen die kritische Höchstgerichtsbarkeit? Kanzler Schüssel beeilte sich abzuwiegeln: es handle sich lediglich um eine "autonomen Vorschlag" des Verfassungsdienstes, der auf politischer Ebene noch gar nicht besprochen worden sei. Er selbst sei jedenfalls "mit den Höchstgerichten sehr zufrieden" (derStandard-online 15.03.06, 16.03.06). Ungeachtet dessen hat auch die Richtervereinigung heftig gegen Form und Inhalt des Vorstoßes protestiert (derStandard-online 17.03.06).

Am 2. Juni 2005 wurde ein bemerkenswertes Urteil des EUGH bekannt: Die österreichische Praxis der Ausweisung straffällig gewordener AusländerInnen sei wegen unzureichenden Rechtsschutzes EU-widrig: in Österreich könnten zwar Beschwerden beim Verwaltungsgerichtshof und beim Verfassungsgerichtshof eingelegt werden, diese könnten aber nicht über die Zweckmäßigkeit der Ausweisungen entscheiden. Nach einer entsprechenden EU-Richtlinie, die verfahrensrechtliche Mindestgarantien bei der Ausweisung von Ausländern vorsieht, müsse zudem zuvor die diesbezügliche Stellungnahme einer unabhängigen Stelle eingeholt werden. Diese Stelle sei aber in Österreich nicht eingerichtet worden (derStandard-online 02.06.05).

Ende Mai – Anfang Juni 2005 fällte dann der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in zwei Fällen bemerkenswerte Urteile wegen Diskriminierung Homosexueller gegen Österreich: Österreich habe es nach der Aufhebung des diskriminierenden Homosexuellen-Paragraphen im StGB und der auf dessen Grundlage ergangenen Urteil durch den VFGH im Juni 2002 verabsäumt, Schadenersatz zu leisten und die Gerichtskosten zu refundieren und wurde daher zu entsprechenden Entschädigungszahlungen verpflichtet (derStandard-online 03.06.05).

Im Juli 2005 wurde die bereits seit etwa einem Jahrzehnt praktizierte österreichische Regelung des Hochschulzugangs wegen ihres diskriminierenden Charakters vom EUGH als "gemeinschaftsrechtswidrig" gekippt (derStandard-online 07.07.05). Die Regelung sollte den Zustrom ausländischer Studierender dadurch in Grenzen halten, dass die Zugangsregel des Landes, in dem die Studienberechtigung erworben  wurde, zur Anwendung gebracht wurde. Die von Elisabeth Gehrer Anfang September 2005 als Ersatzlösung ins Spiel gebrachte Quotenregelung wurde vom zuständigen EU-Kommissar ebenfalls als diskriminierend abgelehnt (ORF On 02.09.05).

Unter dem Aspekt der Gewaltenteilung bzw. der Autonomie der Exekutive nicht unproblematisch ist auch die geplante Abschaffung der Beamten. Staatssekretär Finz hat für Jänner 2006 ein "Bundesmitarbeitergesetz" angekündigt, das die Pragmatisierung abschaffen und eine einheitliche Gruppe öffentlicher Angestellter schaffen soll und nur noch einen nach Funktionen abgestuften Kündigungsschutz vorsieht (derStandard-online 09.12.05).

Anfang Juli 2006 hat Staatssekratär Finz dann einen entsprechenden Dienstrechtsentwurf vorgelegt, der das Privatangestelltenrecht für alle Bundesbediensteten mit Ausnahme der RichterInnen und der Mitglieder des Bundesasylsenats (UBAS) vorsieht. Für Sämtliche Sektionsschefs, Gruppen und Abteilungsleiter in den Ministerien, in den nachgeordneten Behörden und in der mittelbaren Bundesverwaltung auf Landes- und Bezirksebene, sowie für StaatsanwältInnen soll es den erhöhtne Kündigungsschutz geben. Die Vorlage wurde jedoch von der GÖD rundweg als "Nicht-Entwurf" abgelehnt wurde. Finz sei gar nicht zuständig, über das Papier  sei nicht verhandelt worden, und es berücksichtige die Bedingungen der Gewerkschaft – Besoldungsreform und Angleichung an das Dienstrecht der Länder und Gemeinden – nicht (ORF On 03.07.06). Finz hat darufhin den Entwurf zur bloßen "Diskussionsgrundlage" heruntergespielt (derStandard-online 05.07.06).

Aber auch die bereits in der ersten Regierungsperiode geübte Praxis, die Prinzipien der Selbstverwaltung und Gewaltenteilung durch die Berufung regierungsnaher Akteure in Leitungspositionen zu unterlaufen, wird weiterhin praktiziert:

Signifikantes Beispiel die Bestellung des früher leitend im Büro des Kärntner LH Haider sowie im Parlamentsklub der FPÖ tätigen Josef Moser zum Rechnungshofpräsidenten, die entgegen früherer Ankündigungen der ÖVP, einen parteiübergreifend konsensfähigen, parteifernen Kandidaten finden zu wollen, erfolgt ist und von den Koalitionsparteien ohne öffentliches Hearing durchgezogen wurde. Aus der Sicht der Opposition ein Geschenk an den desolaten Koalitionspartner auf Kosten der Unabhängigkeit einer wichtigen Kontrolleinrichtung (derStandard-online 23.06.04).

Ein weiteres Beispiel: die geplante Berufung des berüchtigten Medienrichters Ernest Maurer zum Präsidenten des Wiener Landesgerichtes. Maurer hat sich für diese Funktion offenbar durch seine Urteilsfindung als Medienrichter empfohlen, die sich stets "durch besonderes Verständnis für die Sorgen und Nöte der FPÖ und besonders Jörg Haiders und besonders in Fragen der NS-Terminologie" (Hans Rauscher) ausgezeichnet hat (derStandard-online 16.11.04).

Demokratiepolitisch bedenklich, wenn auch kein Formalverstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip, war auch die Beauftragung von Verteidigungsminister Platter mit der Führung des Innenministeriums durch BK Schüssel, nach dem überraschenden Rücktritt von Innenminister Strasser am 10. Dezember 2004. Auch wenn dies nur "vorübergehend" vorgesehen ist, die Konzentration der Sicherheitskräfte unter einem Kommando ist ein autoritäres Element, das Haiders Konzept einer "Dritten Republik" entnommen sein könnte (derStandard-online 10.10.04).

Bemerkenswert auch das – einseitige kulturpolitische Österreichbild, das vom Außenministerium gezeichnet wurde:

"Benita Ferrero-Waldner, Österreichs Außenministerin, betont es ohne Unterlass: Die Kultur ist ein wichtiges Instrumentarium der Außenpolitik. Auf der Homepage ihres Ministeriums (www.bmaa.gv.at) wird daher auch der Kultur Platz eingeräumt. Doch das vermittelte Österreichbild ist ein gar seltsames. Denn unter den sechs gelisteten ‚grandiosen Baudenkmälern’ findet man auch das Hundertwasser-Haus. Als ‚internationale Literaturgrößen im 20. Jahrhundert’ werden u. a. Schnitzler, Zweig, Roth und Musil erwähnt, nicht aber Elfriede Jelinek. Als die ‚großen modernen Maler gelten u. a. Lehmden, Fuchs und Hundertwasser, nicht aber Maria Lassnig. Und der allerletzte Satz, scheinbar lapidar, hat Strahlkraft: ‚Arnold Schwarzenegger machte in Hollywood Karriere.’ Dass unter anderem auch Billy Wilder, Josef von Sternberg, Peter Lorre und Maximilian Schell in Hollywood Karriere machten: egal. Einzig Arnold. Und daher gibt es im Kapitel ‚Film’ auch nur einen einzigen Link. Zur Homepage von unserem Arnie" (derStandard-online 07.10.03).

Im Hinblick auf möglichen Amtsmissbrauch sowie NS-Wiederbetätigung für Rechtsstaat und Demokratie höchst relevant könnte auch der im Juli 2006 von NEWS veröffentlichte Inhalt jener Festplatte sein, die zu der Zeit der FPÖ-Klubobmannschaft des heutigen Volksanwalts Ewald Stadler als Speichermedium genutzt wurde.

Auf dem Datenträger befindet sich u.a. Material, mit dem etwa die sogenannte "Spitzelaffaire" neu aufgerollt werden könnte: Aktenvermerke und Memos, wonach es illegale Abfragen im Computer des Innenministeriums durch FP-Politiker und FP-Polizisten gegeben hat. Auch in der Briefbomben-Causa und im Fall Oberwart scheinen der FPÖ Informationen aus Polizei, ORF, Heeresabwehramt und dem Wiener Magistrat zugespielt worden zu sein.        
Andere Datenbestände auf der Festplatte nähren den Verdacht auf Wiederbetätigung: Brisantes Material über bekannte Nazi-Größen und berüchtigte Holocaust-Leugner wie das revisionistische "Rudolf-Gutachten", in dem die Vergasungen von Auschwitz geleugnet werden, findet sich dort ebenso wie Schriftverkehr des deutschen Rechtsextremisten Horst Mahler.   
Aufschlussreich erscheinen zahlreiche Notizen über Parteiinterna. Dabei geht es beispielsweise um FP-Politiker, die der Freimaurerei verdächtigt werden oder um deren Mitgliedschaft in als rechtsextrem eingestuften Vereinen wie der Kameradschaft IV, die von Veteranen der ehemaligen Waffen-SS gegründet wurde NEWS Networld 05.07.06).

Schwächung der gesellschaftlichen Selbstorganisation

Mit der der Schaffung einer neuen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), der in Zukunft neben den wirtschaftsnahen Förderungseinrichtungen FFF, TIG (Technologie Impulse Gesellschaft) und ASA (Austrian Space Agency) und der Beratungseinrichtung BIT auch der für die wissenschaftliche Grundlagenforschung zuständige FWF eingegliedert werden soll, hat die Regierung einen neuerlichen Vorstoß unternommen, die Unabhängigkeit der Wissenschaft zu schwächen und unter ihrer Einfluss zu bringen. Der  Aufsichtsrat der - als Kapitalgesellschaft organisierten – FFG wird mehrheitlich mit VertreterInnen von Infrastruktur-, Wissenschafts-, Wirtschafts- und Finanzministerium beschickt. Proteste der Wirtschaft dagegen wurden durch deren Einbindung in die Bestellung der Geschäftsführung und der Aufsichtsräte Rechnung getragen, Proteste der Opposition gegen diese Unterstellung der Wissenschaft unter das Kuratel von Staat und Wirtschaft blieben unerhört. Ab sofort wird auch dem FWF ein Aufsichtsrat mit drei Wissenschafts- und drei RegierungsvertreterInnen + einer von diesen gemeinsam bestimmten VertreterIn beigestellt (derStandard-online 15.04.04). Am 26. Mai 2004 hat das entsprechende Gesetz den Ministerrat passiert (derStandard-online 26.05.04), und am 17. Juni 2004 wurde der Entwurf mit geringfügigen Änderungen – der Aufsichtsrat des Forschungsförderungsgesellschaft wurde noch um einen Arbeitnehmervertreter ergänzt  – mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der Grünen vom Nationalrat beschlossen (derStandard-online 17.06.04).

Nach der Aufhebung des Systems der Ausgleichszahlungen zwischen den Krankenkassen durch den VFGH hat Finanzminister Grasser jegliche Unterstützung seitens des Bundes ausgeschlossen und indirekt das Prinzip der Selbstverwaltung in Frage gestellt: Er sei nicht bereit, "für irgendetwas in die Bresche zu springen, was nicht Bundessache ist", und wenn die Selbstverwaltung nun nach der Hilfe des Staates rufe, dann sei "eine Grundsatzdebatte über die Auflösung der Selbstverwaltung nötig" (ORF ON 10.05.04).

Im Laufe des ersten Halbjahrs 2004 wurden dann die Regierungspläne zur Reorganisation des Gesundheitswesens bekannt. Österreich soll in 32 Versorgungsregionen unterteilt werden und die Versorgungsleistungen zwecks Optimierung des Mitteleinsatzes nicht mehr auf der Ebene der einzelnen Krankenhäuser bzw. Leistungseinheiten, sondern auf regionaler Ebene geplant werden. Als organisatorischer Nukleus mit Zuständigkeit für Planung, Steuerung und Finanzierung sind dabei auf Bundes- und Landesebene sogenannte Gesundheitsagenturen vorgesehen, die neben Sozialversicherungen auch von Bund, Ländern und Gemeinden beschickt werden sollen. Opposition, Sozialversicherungsträger und Ärztevertretung machen gegenüber dieser Konstruktion gesellschaftspolitische und verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Sie befürchten eine Verstaatlichung der Medizin, die mit dem Prinzip der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen nicht in Einklang zu bringen sei (derStandard-online 10.05.04, 24.07.04, 30.07.04).

Rauch-Kallat hat daraufhin zwar die Idee der Gesundheitsagenturen zurückgezogen, aber unter dem neuen Etikett "Gesundheitsplattformen" ein unter dem Gesichtspunkt der politischen Einflussnahme ganz ähnlich konstruiertes regionales Steuerungsmodell vorgeschlagen: von den 18 Sitzen sollen vier auf den Bund, sieben auf das jeweilige Bundesland und sieben auf die Sozialversicherungsträger entfallen. Von den sieben Sozialversicherungs-Sitzen soll jedoch nur einer auf die – 80% der Versicherten vertretende - Gebietskrankenkasse und die sechs anderen auf die vergleichsweise kleinen Versicherungsanstalten der Beamten, der Bauern, der Unternehmer und der Eisenbahner sowie auf die Unfallversicherung und die Pensionsversicherung entfallen (derStandard-online 05.11.04). Damit hätte die Politik gegenüber den Sozialversicherungsträgern immer die Mehrheit, und in den mehrheitlich von ihr regierten Ländern hätte die ÖVP auch dann das Sagen, wenn sie nicht in der Bundesregierung vertreten ist!

Am 6. November 2004 wurde diesbezüglich mit den Ländern doch noch ein Kompromiss gefunden: Es soll nun die  Möglichkeit einer flexiblen, länderspezifischen Regelung der Gesundheitsplattformen bestehen, entsprechend ihrem jeweiligen finanziellen Beitrag zur Finanzierung haben die Sozialversicherungen im niedergelassenen Bereich die relative Mehrheit. Damit wird auch aus der Sicht der SPÖ dem Prinzip der sozialpartnerschaftlichen Selbstverwaltung hinreichend Rechnung getragen (derStandard-online 06.11.04). Die parlamentarische Beschlussfassung darüber ist dann am 9. Dezember 2004 erfolgt (derStandard-online 09.12.04).

Kaum mit der Idee der demokratischen Selbstverwaltung in Einklang zu bringen ist auch der zweite Anlauf der Wendekoalition zur Reform des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, nachdem, wie erinnerlich, der VFGH die erste Reform gekippt hatte. Diesmal hat Sozialminister Haupt eine Konstruktion ersonnen, bei der die Leitungsgremien ("Vorstand" und "Trägerkonferenz") paritätisch aus dem Kreis der Versicherungsträger rekrutiert werden – und die Mehrheit dennoch den ÖVP- und AG-VertreterInnen sicher ist.

Im 12-köpfigen Vorstand wird dies dadurch ermöglicht, dass die im Verhältnis 4:1 SP-dominierte AN-Seite um eineN zusätzlichen schwarzen BeamtInnenvertreterIn und die im Verhältnis 4:1 VP-dominierte AG-Seite um eineN schwarzen LandwirtschaftsvertreterIn aufgestockt wird. Das ergibt eine absolute Mehrheit von 7:5 für die ÖVP.

Die 37-köpfige Trägerkonferenz wiederum soll sich in Zukunft aus Obmann und erster Stellvertreter der Versicherungsanstalten sowie je eineR schwarzen, roten und blauen SeniorInnenvertreterIn zusammensetzen. Da in Selbständigenkassen Obfrauen bzw. -männer und deren StellvertreterInnen fast durchwegs schwarz, in Unselbständigenkassen die Obfrauen bzw. -männer zwar mehrheitlich rot, deren StellvertreterInnen aber durchwegs schwarz sind, ist ungeachtet des Minderheitenstatus der Selbständigen gegenüber den Unselbständigen und ungeachtet der SP-Dominanz im Bereich der ArbeitnehmerInnen die absolute schwarze Mehrheit auch hier garantiert… (derStandard-online 25.09.04, 27.09.04).

Der Vorschlag hat – von der Kritik aus Verbände- und Oppositionskreisen unbeeindruckt – am 16. November 2004 den Ministerrat  und am 10. Dezember 2004 den Nationalrat passiert. Die SPÖ hat sich im Gegenzug eine neuerliche Beeinspruchung beim VFGH vorbehalten (derStandard-online 16./17.11.04, 10.12.04).

Im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform hat J. Haider wieder einmal seine bereits in der ersten Periode der Wendekoalition ventilierte Idee der Senkung der AK-Umlage um 40 % von 0,5 % auf 0,3 % ins Spiel gebracht. FPÖ und ÖVP haben sich dann tatsächlich auf ein unbefristetes Einfrieren der AK-Beiträge auf dem Stand von 2004, also auf eine Kürzung des AK-Budgets um die jährliche Inflationsrate und damit auf eine schleichende Schwächung der AK, verständigt (derStandard-online 08.11.04). Entsprechend empört hat sich die AK an den Bundespräsidenten gewandt, der diese Vorgehensweise umgehend als "problematisch kritisiert hat. Nach Widerständen in der eigenen Partei wollte Kanzler Schüssel zwar Tags darauf von einem solchen Beschluss nichts mehr wissen, die FPÖ beharrte jedoch auf der Idee, und verwies darauf, dass Schüssel diese selbst eingebracht habe. Letztendlich wurde das Gesundheitspaket dann doch ohne diese Komponente verabschiedet (derStandard-online 10.11.04, 11.11.04).

Damit war die Debatte um die Kammerumlage aber keineswegs abgeschlossen. Nicht nur die FPÖ-Spitze (Haubner, Gorbach) ließ wissen, eine Sonderkommission der Regierung werde sich noch mit dem Thema beschäftigen, auch die ÖVP begann sich auf die AK und deren finanzielle Basis einzuschießen: NR-Präsident Khol sprach sich in einem Presse-Interview dafür aus, die Mittel der AK für Information per Gesetz zu kürzen, Wirtschaftsminister Bartenstein ließ der AK via Kurier ausrichten, dass er von ihr bis Weihnachten eigene Vorschläge zur Beitragssenkung erwarte, und VP-Generalsekratär Lopatka schlug vor, dass Experten die Inserate und Plakate der AK auf ihren parteipolitischen Propagandagehalt analysieren; dann hätte man ein "objektives Ergebnis". (APA OTS 13.11.04, ORF ON 14.11.04, derStandard-online 15.11.04).

Anfang 2006 lösten die Bundesregierung und insbesondere Bildungsministerin Gehrer und Kanzler Schüssel mit ihrer Selbstherrlichkeit der Standortentscheidung und dem Vorschlag für die Namensgebung für das Projekt einer österreichischen Elite-Universität in Wissenschaftskreisen Empörung aus. Entgegen der Reihung durch eine ExpertInnenkommission wurde – vermutlich aus parteipolitischen Gründen - nicht einer der auf Grund seiner Anbindung an Wissenschaft und industrielle Technik besser geeignete Standort in Wien (Aspern oder St. Marx), sondern das niederösterreichische Gugging bei Klosterneuburg ausgewählt. In der Folge zogen sich die prominenten wissenschaftlichen Promotoren des Projekts Anton Zeillinger, Arnold Schmidt und Peter Schuster ebenso vom Projekt zurück wie der administrative Leiter SC Sigurd Höllinger. Auch 39 im Ausland tätige WissenschafterInnen aus dem Kreis derer, die durch das Projekt zu einer Rückkehr nach Österreich hätten motiviert werden sollen, kritisierten den Beschluss (derStandard-online 02.02.06, 05.02.06, ORF On 05.02.06, 14.02.06). Die Regierung hielt von all dem ungerührt an ihrem Projekt fest. Am 2. März 2006 wurde die entsprechende §15-Vereinbarung mit dem Land Niederösterreich über die Errichtung und den Betrieb der Einrichtung geschlossen. Nachdem die geplante Namensgebung – "Ludwig Wittgenstein-Institut" – am Widerspruch der Wittgenstein-Nachfahren gescheitert war, entschied man sich im Entwurf des Gugging-Gesetzes für den Namen "Institute of Science and Technology – Austria".     
 Die Nicht-Achtung der Autonomie der Wissenschaft findet im Gesetzesentwurf aber vor allem in der Konstruktion des obersten Leistungsgremiums, das u.a. über die strategische Ausrichtung, die Organisation und das Budget entscheidet, aber auch den Verwaltungsdirektor sowie den "wissenschaftlichen Rat" beruft, seine Fortsetzung: Das siebenköpfige "Kuratorium" soll aus vier vom Bund und drei vom Land Niederösterreich nominierten Mitgliedern bestehen. Ausschlussklauseln für PolitikerInnen sind nicht vorgesehen … (derStandard-online 03.03.06).

Am 13. März gelang es der Industriellenvereinigung dann zwar, drei prominente internationale Wissenschafter für das Projekt zu gewinnen, diese erklärten es jedoch ihrerseits zur Voraussetzung ihrer Mitwirkung am Projekt, dass mindestens die Hälfte der Kuratoriumsmitglieder Wissenschaftler sind. Auch Anton Zeillinger erklärte sich bereit, unter derart veränderten organisatorischen Voraussetzungen wiederum am Projekt mitzuwirken (derStandard-online 13.03.06, 14.03.06).

Die SPÖ andererseits hat für den Fall, dass das Regierungsvorhaben unverändert durch den Nationalrat zieht, eine "eingehende Prüfung" im Bundesrat angekündigt (ORF On.15.03.06). Sie wäre jedoch bereit, dem Gesetz "mit Zähneknirschen" zuzustimmen, sollte die Regierung die Position der Wissenschaft im Kuratorium stärken und gleichzeitig dem Fond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung zusätzliches frisches Geld zuführen (derStandard-online 17.03.06). Bei der Tagung des Wissenschaftsausschusses am 21. März waren die Regierungsfraktionen jedoch (noch?) nicht bereit, diesem Ansinnen zu entsprechen (der Standard-online 21.03.06). In der folgenden Woche haben die Regierungsfraktionen jedoch beide Forderungen der SPÖ erfüllt, damit war auch für die SPÖ der Weg zur Zustimmung zur Elite-Universität frei (derStandard-online 23.03.06, 24.03.06) und konnte am 29. März mit den Stimmen der Regierungsparteien und der SPÖ auch im Nationalrat beschlossen werden (ORF On 30.03.06).

Im April 2006 wurde durch eine Aussendung des Landes Salzburg bekannt, dass die Bundesregierung beabsichtigt, das "Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen ÖBIG", bisher die zentrale Planungs- und Forschungseinrichtung des Bundes im Gesundheitsbereich und durch die Rechtskonstruktion eines Fonds unabhängig, ungeachtet der negativen Stellungnahmen von Ländern, Sozialpartnern, Ärzteschaft und Patientenanwaltschaft im Begutachtungsverfahren abschafft und durch eine Zwangsfusion mit dem Fonds Gesundes Österreich eine neue - vom Gesundheitsministerium abhängige - "Gesundheit Österreich GmbH" umgewandelt werden soll (APA OTS 25.04.06).

Im Gefolge des so genannten BAWAG-Spekulationsskandals konnte die Regierung dann im Verlauf des Frühjahres 2006 gleichsam zusehen, wie der ÖGB unter der Last seiner moralischen Verantwortung und seiner wirtschaftlichen Haftung für Schulden der BAWAG implodierte. Auch wenn der ÖGB nicht, wie im ursprünglichen Gesetzesentwurf zur BAWAG-Sanierung vorgesehen, "uneingeschränkt", d.h. bis hin zum Konkurs für die Schulden seiner Bank einstehen muss, sondern nur bis an die Grenze seiner Bilanzfähigkeit, ist der ÖGB als Sozialpartner und Gegenspieler der Wirtschaft nunmehr nachhaltig geschwächt. Hinzu kommt, dass auch die AK, deren Präsident Tumpel Aufsichtsratsvorsitzender der BAWAG war, in den Spekulationsskandal verwickelt und daher strategisch-politisch geschwächt dasteht – ein weiterer Schlag für die ArbeitnehmerInnenseite der Sozialpartnerschaft (derStandard-online, ORF On 26.03.06ff.).

Law and Order um jeden Preis:

Die – von Böhmdorfer ungeachtet der entschiedenen Kritik von  ExpertInnen bereits in der ersten Amtsperiode der Wendekoalition beabsichtigte und durch entsprechende Präjudizien (Umsiedlung des Jugendgerichts) in die Wege geleitete – Abschaffung der selbständigen Jugendgerichtsbarkeit hat am 18. März den Ministerrat (derStandard-online 18.03.03) und am 8.April den Justizausschuss passiert (derStandard-online 08.04.04) und ist am 29.April endgültig im Parlament beschlossen worden (derStandard-online 29.04.03). Damit wird es in Österreich eine bewährte Form der Sondergerichtsbarkeit, die auf die spezifische psychosoziale Situation jugendlicher TäterInnen Rücksicht nimmt und eine problemorientierte Vernetzung von Sozialarbeit, Therapie und Urteilsvollzug ermöglicht, nicht mehr geben.

Am 24. Oktober wurde in der Kronen Zeitung der Plan Böhmdorfers kolportiert, in den überfüllten Haftanstalten Container zwecks Behebung des Platzmangels aufzustellen. Dem Kommentar von SPÖ-Justizsprecher Jarolim, der diese Pläne als rechtsstaatlich bedenklich bezeichnet und vom "Abschied von einem humanen Strafvollzug" gesprochen hat, ist nichts hinzu zu fügen (derStandard-online 24.10.03, APA OTS 24.10.03).

Mitte Oktober 2004 hat Justizministerin Miklautsch im ORF-Report vorgeschlagen, im Rahmen eines "Assistenzeinsatzes" Soldaten als Fahrer oder als Wachpersonal in den überfüllten Gefängnissen einzusetzen. Das Verteidigungsministerium hat dieses Ansinnen, zur Beseitigung eines Personalnotstands in Gefängnissen Ausnahmezustands-ähnliche Verhältnisse zu schaffen, postwendend als rechtswidrig zurückgewiesen, die Opposition hält diesen Vorschlag für "völlig jenseitig" (Stoisits, Grüne) und fühlt sich dadurch an "Militärdiktaturen" erinnert (Jarolim, SPÖ) (ORF ON 20.10.04), die freiheitliche Parteivorsitzende Haubner sprach sich hingegen ebenso dafür aus wie Innenminister Strasser (ORF ON 23.10.04, derStandard-online, 24.10.04). Im Dezember 2004 ist es dann immerhin zu vorübergehenden Zuteilungen von Bundesheersoldaten zum Strafvollzugsdienst gekommen (derStandard-online 17.12.04)

Am 9. Dezember 2004 wurde dann vom Nationalrat mit den Stimmen der Koalitionsparteien das neue Sicherheitspolizeigesetz, das neben der Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie (und der damit verbundenen Entsorgung roter SpitzenbeamtInnen) u.a. die Video-Überwachung öffentlicher Plätze und die – auch von der SPÖ befürwortete - Errichtung von Schutzzonen um gefährdete Ort (z.B. Schulen) vorsieht, beschlossen (derStandard-online 09.12.04). Nachdem sich die ersten installierten Videoanlagen in der Vösendorfer Shopping City, am Schwedenplatz und am Karlsplatz in Wien sowie am Flughafen Schwechat "bewährt" haben, und weitere Anlagen im Innsbrucker Rapoldipark, in Graz und in Bruck an der Mur in Betrieb genommen wurden, plant das Innenministerium weitere Anlagen an den Vorarlberger Grenzübergängen zur Schweiz und am Wiener Westbahnhof, am Linzer Hauptplatz und am Salzburger Bahnhof an  (der Standard-online 18.12.05).

Am 20. Jänner 2005 forderte FP-Generalsekretär Scheuch anlässlich eines Aufsehen erregenden Mordfalls und dessen Aufklärung aufgrund einer DNA-Probe des Täters verpflichtende DNA-Tests bei allen StraftäterInnen und straffällig gewordenen AsylwerberInnen - unanhängig von der Straftat und ohne richterliche Verfügung, und in weitere Folge die Ausdehnung auf alle Asylwerberinnen und ImmigrantInnen. Dieser Vorschlag ist nicht nur kriminaltechnisch unsinnige, sondern auch rechtsstaatlich bedenklich und läuft vor allem auf eine pauschale Stigmatisierung von Nicht-ÖsterreicherInnen als potentielle Kriminelle hinaus, und ist daher auf einhellige Ablehnung und ironische Kommentare von SicherheitsexpertInnen, JuristInnen und VertreterInnen aller anderen Parteien gestoßen (derStandard-online 20.01.04).

Ende Jänner 2005 teilte dann Justizministerin Miklautsch (FPÖ) in einer Aussendung mit, dass sie ein Projekt, in Wien ein Wohnhaus für 60 psychisch kranke RechtsbrecherInnen, darunter keine Sexual- oder GewaltstraftäterInnen, zu errichten, gestoppt habe; gegen den Willen der Anrainer sei diese Resozialisierungsprojekt nicht möglich. Der Hintergrund: Anrainerproteste gegen das "Mörderhaus", auf die von der Wiener FPÖ geschürt und instrumentalisiert wurden. Prompt hat die Wiener FPÖ den Stopp als "Paradebeispiel klassischer freiheitlicher Politik, die sich ohne Wenn und Aber an den Bedürfnissen und Wünschen der Bürger orientiere" und als Erfolg für sich reklamiert (derStandard-online 27.01.05, APA OTS 27.01.05).Erstmals in einem Jubiläumsjahr der 2. Republik gab es – weil es BZÖ und FPÖ so wollten und die ÖVP zwecks Aufrechterhaltung der Wendekoalition zu dieser Konzession an ihre Partner bereit war - im Jahr 2005 keine generelle Amnestie: FP-Justizsprecherin Partik-Pable dazu gnadenlos: "Wenn die Kriminalität so hoch ist und die Verbrecher immer dreister werden, soll ich ihnen als Dankeschön auch noch die Strafe nachlassen?" (derStandard-online 03.05.05). In diesem Sinne auch Maria Fekter (ÖVP): So ein Gesetz widerspreche dem "Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung" (ORF On 28.11.05). Der diesbezügliche Antrag von SPÖ und Grünen wurde am 29. November 2005 im Justizausschuss endgültig abgelehnt (ORF On 29.11.05).

Ab Sommer 2006 werden dann in Österreich – in Umsetzung einer diesbezüglichen Vereinbarung der EU mit den USA im Kontext des "Kriegs gegen den Terror" - Hochsicherheitspässe mit einem Chip eingeführt, auf dem ein digitales Bild und ab 2009 noch ein weiteres biometrisches Merkmal (vermutlich der Fingerabdruck) der InhaberInnen gespeichert ist (derStandard-online 02.09.05). Ab diesem Zeitpunkt stehen alle BürgerInnen amtlich gewissermaßen unter Generalverdacht. Am 29.11. hat der Ministerrat dieser Novelle zugestimmt (ORF On 29.11.05), der entsprechende Nationalratsbeschluss ist im Mai 2006 erfolgt (derStandard-online 24.05.06).

Im Herbst 2005 erregte dann eine geplante Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes die Gemüter von Grüner Opposition und DatenschützerInnen: Im Vorfeld der EU-Präsidentschaft Österreichs im ersten Halbjahr 2006 und die Fußballeuropameisterschaft 2008 soll zwecks "Terrorbekämpfung" die Möglichkeit geschaffen werden, verdeckte Ermittlungen und Video- und Tonaufzeichnungen auch ohne Vorliegen eines konkreten Verdachts oder eines aufzuklärenden Verbrechens zur Anwendung zu bringen. Auch der Zugriff der Exekutive auf private Bilddokumente ist vorgesehen (derStandard-online 04.10.05). Im November 2005 haben auch Präsidentschaftskanzlei und Richtervereinigung Bedenken aus menschen- und verfassungsrechtlicher Sicht angemeldet (ORF On 14.11.2005). Das Innenministerium hat versucht, mit der Installierung eines unabhängigen und weisungsfreien Rechtsschutzbeauftragten die Bedenken zu zerstreuen und die Zustimmung der SPÖ zu gewinnen. Am 15. November hat der Entwurf den Ministerrat passiert (derStandard-online 15.11.05), am 29. November hat auch der Innenausschuss mit den Stimmen der SPÖ der Novelle zugestimmt (ORF On 29.11.05), am 6. Dezember 2006 hat die Novelle mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der SPÖ auch den Nationalrat passiert (derStandard-online 06.12.05).

Am 18. Jänner 2006 forderte der Obmann des freiheitlichen Parlamentsklubs H. Scheibner (BZÖ) vor dem Hintergrund deutlich zunehmender Diebstähle durch (von Erwachsenen organisierte) Jugendbanden die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 13 Jahre. Es gäbe Jugendliche dieses Alters, die "körperlich weiter entwickelt sind und die kriminelle Energie von Älteren haben". Man hätte dann die Möglichkeit von Haftstrafen und Zwangsunterbringung (derStandard-online 18.01.06). Psychiatrische und juristische ExpertInnen haben sich entschieden gegen dieses Ansinnen ausgesprochen (ORF On 07.02.06).

Als Justizministerin Gastinger im April 2006 ihre Absicht bekräftigte, Häftlingen im Interesse der Aufrechterhaltung familialer und ehelicher Beziehungen in Zukunft den – gesetzlich bereits seit  1993 vorgesehenen, aber bisher nicht realisierten – unbeaufsichtigten Langzeitbesuch von Familienangehörigen zu ermöglichen, hagelte es Proteste aus den eigenen freiheitlichen Reihen: Justizsprecherin Partik-Pablé empörte sich darüber, dass "Häftlinge jetzt Sex haben dürfen", und VP-Justizsprecherin Fekter scheute sogar nicht davor zurück, von "gewerbsmäßigen sexuellen Kontakten" zu sprechen und damit EhepartnerInnen von Häftlingen in verächtlich machender Weise mit Prostituierten gleichzusetzen (ORF On 23.04.06).

"Sexistische" Frauenpolitik:

Auch am "sexistischen" konservativen (Wieder-)Hausfrauisierungsprogramm wird festgehalten:

Das Kindergeld wurde sogar um 50 % (218.- Euro) für jeden Mehrling erhöht (derStandard-online 11.07.03). Auch die Pensionsreform 2003/04, die lediglich Vollerwerbstätigen mit durchgängige Berufskarrieren eine Lebensstandard-sichernde Pension garantiert und die Steuerreform 2003/04, die mit Absetzbeträgen die "Versorgungsehe" subventioniert, stabilisieren im Effekt die Abhängigkeit der Frauen von den Männern.

Staatssekretärin Haubner (FPÖ bzw. BZÖ) hat zwar eine Aufhebung oder zumindest eine Anhebung der Zuverdienstgrenze und damit die Absenkung einer Barriere gegen die Beschäftigung bzw. den Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt von Eltern bzw. Müttern angedacht (derStandard-online 12.08.03), Frauenministerin Rauch-Kallat (ÖVP) hält aber nach wie vor weder eine Aufhebung noch eine Flexibilisierung der Zuverdienstgrenze für wünschenswert, eine Änderung ist daher nicht in Sicht (ORF On 18.11.05).
Zudem hat der Ministerrat am 7. Oktober 2003 die Einführung eines Rechts auf Teilzeit für ArbeitnehmerInnen bis zum siebenten Lebensjahr des Kindes, verbunden mit einem Kündigungsschutz und einem Rückkehrrecht zur Vollzeitarbeit, beschlossen – eine Maßnahme, die auf bessere Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf abzielt. Allerdings soll dies nur für AN aus Betrieben ab 21 Beschäftigten (= ca. 50 % aller Beschäftigten) und für AN mit mindestens dreijähriger Betriebszugehörigkeit gelten, wodurch nochmals die Hälfte der Männer und zwei Drittel der Frauen leer ausgehen (derStandard-online 07.10.03). Am 18. Mai 2004 hat die entsprechende Gesetzesvorlage den Familienausschuss (derStandard-online 18.05.04) und am 26. Mai den Nationalrat passiert (derStandard-online 26.05.04).

Statt das Problem der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen anzugehen, verlegt sich die Regierung auf Zahlenkosmetik mittels amtlicher Statistik: Anfang Oktober 2004 präsentierten die Ministerinnen Gehrer und Rauch- Kallat und Staatssekretärin Haubner eine Studie der Statistik Austria, derzufolge nur 18.000 Plätze in Österreich fehlten. Gut die Hälfte davon sei bereits durch von der Bildungsministerin versprochene zusätzliche Nachmittagsbetreuungsplätze in Schulen abgedeckt. Die AK hat in einer Stellungnahme die Problematik dieser Rechnung aufgezeigt: es wurde nicht von absoluten Mindestversorgungsstandards ausgegangen, sondern der Fehlbedarf wurde auf der Ebene von Regionen errechnet, wobei der jeweilige regionale Durchschnitt als Sollwert angenommen wurde. Das führt dazu, dass auch ein schlechtes Angebot als ausreichend gilt, wenn es nur dem regionalen Durchschnitt entspricht. Eine entsprechende  Mikrozensuserhebung im Jahr 2002 hatte – auf einer anderen methodischen Basis – den Fehlbedarf 4 – 5 mal so hoch beziffert (derStandard-online 04.10.04, APA OTS 04.10.04)[4].

Einer Studie des Synthesis Instituts zufolge versuchen entsprechend auch nur drei von vier Frauen den Wiedereinstieg, aber nur jede Zweite schafft ihn, und davon wiederum nur ein Drittel im Ausmaß einer geringfügigen Beschäftigung (derStandard-online 16.12.04).

Wie eine vom Frauenministerium in Auftrag gegebene und Ende Juni 2005 präsentierte Studie des IHS zeigt, sind die verlängerte Berufsunterbrechung und die geringere berufliche Stabilität der Frauen auch ein Hauptgrund für die überproportional ansteigende Frauenarbeitslosigkeit (derStandard-online 10.07.05).

Angesichts dieser Lage hat Frauenministerin Rauch-Kallat immerhin angekündigt, ein verpflichtendes Karrieregespräch zwischen Vorgesetzen und ArbeitnehmerInnen vor der Babypause sowie eine briefliche Verständigung vor Ablauf des Kündigungsschutzes durch die Sozialversicherung einzuführen (derStandard-online 31.08.05).

Nach dem Schock der – Ende 2004 veröffentlichten und für Österreich negativen – Pisa-Studie zur Qualität der Ausbildung in Europa, bahnt sich auch im Bereich der Nachmittagsbetreuung von SchülerInnen ein (zwar nicht gleichstellungspolitisch motivierter, jedoch) gleichstellungspolitisch folgenreicher Politikwechsel an: Bildungsministerin  Gehrer konnte sich zwar nach anfänglichem Schwanken doch nicht für die Einführung der Ganztagsschule entscheiden, hat aber immerhin grünes Licht für den Ausbau der Nachmittagsbetreuung gegeben. Anfangs war von 100.000 – 300.000 zusätzlichen Betreuungsplätzen die Rede. Zunächst wurde freilich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden um die Frage der Finanzierung gestritten (ORF 25.01.05, 26.01.05). Am 7. Juli 2005 wurde dann allerdings im Rahmen eines Schulpakets lediglich 10.000 zusätzliche Nachmittagsbetreuungsplätze – 10 % des geschätzten Mindestzusatzbedarfs - beschlossen (ORF On 08.07.05).

Informationspolitisch bemerkenswert auch die Tatsache, dass im aktuellen Handbuch "Die Frauenratgeberin 2005" der ÖGB aus dem Stichwortverzeichnis verschwunden ist – für ÖGB-Frauenvorsitzende Czörgits ein Beleg dafür, dass Frauen politisch nicht mehr als ArbeitnehmerInnen wahrgenommen werden und ihre Rechte als Arbeitsnehmerinnen daher nicht mehr zählen. Allerdings wird auch die katholische Frauenbewegung (KFB) im Stichwortverzeichnis nicht mehr angeführt (derStandard-online 04.03.05)

Im Juli 2005 wurde übrigens bekannt, dass die Tätigkeitsberichte der Gleichbehandlungsanwaltschaft seit dem Jahr 2002 nicht mehr im Parlament behandelt wurden (derStandard-online 25.07.05). laut Sprecherin von Frauenministerin Rauch-Kallat lediglich ein "Missgeschick", das im Herbst 2005 behoben werden soll (derStandard-online 29.08.05).

Aber auch bei der Umsetzung des Gleichbehandlungsgesetzes ist die Regierung säumig: nach einem halben Jahr Gültigkeit sind die darin im BM für Frauen und Gesundheit vorgesehenen zwei Gleichbehandlungssenate und zwei GleichbehandlungsanwältInnen noch immer nicht eingerichtet – und damit die rechtlich vorgesehenen Möglichkeiten der Beschwerde für Diskriminierungsopfer de facto blockiert (derStandard-online 26.01.05).

Zudem hat die Regierung nicht von der seitens der EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, Maßnahmen einer positiven Diskriminierung von Frauen im Gleichbehandlungsgesetz zu verankern. Eine "affirmative action" wie etwa die vorübergehende Bevorzugung von Frauen bis zur Erreichung einer bestimmten Quote wird damit unmöglich gemacht (derStandard-online 05.11.05).

Anfang September 2005 gab Frauenministerin Rauch Kallat bekannt, die bevorstehende EU-Präsidentschaft Österreichs für die Umsetzung eines Aktionsplans gegen "traditionsbedingte Gewalt gegen Frauen" zu nutzen. Gemeint sind damit nicht etwa alle Gewaltakte gegen Frauen in einer von patriarchalen Traditionen bestimmten Gesellschaft, sondern spezifische, v.a. in islamisch geprägten Kulturen verbreitete Gewaltformen wie Genitalverstümmelungen, Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde, die zunehmend "auch innerhalb der EU angewandt" würden (derStandard-online 05.09.09). Parallel dazu soll auch das heimische Strafrecht nachjustiert, sollen solche Formen der Gewalt von Privatanklage- zu von Staats wegen zu verfolgenden Offizialdelikten und sollen Öffentlichkeit und Betroffene dafür sensibilisiert werden (derStandard-online 28.09.05). Ohne die Bedeutung des Kampfs gegen solche Gewaltformen in Frage stellen zu wollen, fällt doch die Selektivität der Stoßrichtung auf, die Gewaltpraktiken der "autochtonen" christlich-abendländischen Kultur ausblendet und insofern nicht im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz und dem Gebot der Neutralität des Rechtsstaats steht. Dies lässt den Verdacht plausibel erscheinen, dass es hier gar nicht nur um Gewaltbekämpfung, sondern auch um Kulturkampf für den innenpolitischen Gebrauch geht.

Tatsächlich hat die EU-Kommission dann Ende Jänner 2006 unter österreichischer Präsidentschaft ein Netzwerk gegen traditionsbedingte Gewalt gegründet und Mittel aus dem EU-Topf für Menschenrechte und Demokratie dafür bereitgestellt. Dabei wurde betont, dass sich das Programm nicht gegen den Islam richte, sondern gegen eine Praktik, die auch im Christlichen Kreisen praktiziert werde und auch im Islam theologisch gar nicht gedeckt sei (derStandard-online 26.01.06).

Ende Februar 2006 hat dann der Ministerrat ein Opferschutzpaket für Österreich beschlossen, das u.a. die Veränderung der Verjährungsfrist für Genitalverstümmelung (Beginn der dreijährigen Frist erst mit dem 18. Lebensjahr) und die Verfolgung von Zwangsverheiratungen als Offizialdelikt vorsieht (ORF On 23.02.06). Da in Österreich derlei Praktiken de facto nur bei MigrantInnen aus dem islamischen Kulturkreis vorkommen, kann hierzulande das Argument, dass sich diese Bestimmung nicht speziell gegen den Islam richteten, allerdings nicht ins Treffen geführt werden. Dass Opferschutzpaket hat am 23. März 2006 den Justizausschuss passiert (derStandard-online 23.03.06).

Während substanzielle Frauen- bzw. Gleichstellungspolitik im Inland also quasi auf dem Eis liegt, entfaltet die Politik beflissene Aktivitäten im Sinne der Pflege traditioneller Frauen- und Geschlechterrollen:

So hat man im Sozialministerium ein "Hochzeitsbuch" herausgegeben – mit spärlicher Information über Rechte, dafür reich garniert mit Tips für die Hochzeitsgeschenkeliste, die Schönheit der Braut, die Konversation beim gemeinsamen Frühstück, sowie mit Tests über die Beziehungsfähigkeit und die Tauglichkeit der Brautleute zum Familienmenschen (derStandard-online 15.09.05).

In einer 1,3 Mio. Euro teuren multimedialen "Informationskampagne" wirbt das Sozialministerium mit der BZÖ-Farbe Orange als Leitfarbe und mit Theresia Zierler als Sprecherin für das Kindergeld und eine Zukunft mit höherer Geburtenrate und besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf (ORF On 07.10.05)

Dann versuchte man es zwischenzeitig auch einmal geschlechtersensibel: Frauenministerin Rauch-Kallat unternahm den Vorstoß,  die – von Oppositionsparteien wie den Grünen und dem LIF bereits lange kritisierte – androzentrische Textierung der Bundeshymne abzuändern: "Heimat bist Du großer Töchter, Söhne" statt "Heimat bist Du großer Söhne" und "Einig lass in freud’gen Chören, Heimatland Dir Treue schwören" statt "Einig lass in Bruderchören, Vaterland Dir Treue schwören" (derStandard-online 26.09.05). Das BZÖ hatte aber offenbar sogar mit bloß symbolischen Akt der Gleichstellung Probleme: Ursula Haubner wollte dazu das Volk befragen, und Jörg Haider versuchte sofort, die Debatte über den Hymnentext durch das Schüren von nationalistischen und fremdenfeindlichen Emotionen ad absurdum zu führen: da rund doppelt so viele Ausländer arbeitslos seien wie Inländer, wäre es angebrachter, künftig zu singen: "Heimat bist du fremder Söhne" (ORF On 27.09.05). Nach einem Aufschrei an Österreichs Stammtischen und über 80 % Ablehnung bei diesbezüglichen Umfragen am 30. September dann die offizielle Absage an Rauch-Kallat durch BZÖ-Vizekanzler Gorbach: man solle als Politiker nicht gegen das Volk agieren, das eindeutig eine Umtextung ablehne (ORF On 30.09.05).

Dann ging’s wieder weiter mit symbolischer Geschlechterpolitik für das traditionalistische und sexistische Stammklientel: So scheute sich das Innenministerium nicht, der militanten Abtreibungsgegnerinnen-Organisation "Pro Life" – diese ist bekanntlich in Österreich u.a. durch Psychoterror gegen Klientinnen der Abtreibungsklinik am Wiener Fleischmarkt aufgefallen ist und hat dort seit Herbst 2005 Demonstrationsverbot - auf Anfrage des Außenministeriums vom Innenministerium den "Festsaal der Republik" für eine Veranstaltung zur Verfügung zu stellen (derStandard-online 20.10.05). Ungefähr gleichzeitig wurde eine Studie der Männerabteilung des Sozialministeriums präsentiert, in der gegen die "Gleichmacherei der Geschlechterrollen" polemisiert wird. Es sei wieder höchste Zeit zur Kenntnis zu nehmen, dass "Väterlichkeit und Mütterlichkeit verschieden sind" (ORF On 21.10.05).

Zu Beginn des Jahres 2006 ein weiteres Zeichen in Richtung traditionelles Frauenbild: Das BZÖ plant, österreichweit eine "Mütterpension" für Frauen über 60 mit mindestens einem Kind, ohne Eigenpension und einem Mann, dessen Monatseinkommen unter 1.500 Euro liegt, einzuführen. Modell für diese Prämie auf die Existenz als Hausfrau und Mutter war eine Aktion Haiders in Kärnten Ende 2005, bei der er das Geld im Landhaus höchstpersönlich zur Auszahlung brachte (ORF On 10.01.06).

Immerhin wurde, rechtzeitig zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2005, eine schwerwiegende Diskriminierung von NichtösterreicherInnen beseitigt: MigrantInnen mit legalem Aufenthalt können nunmehr auch dann Kindergeld und Familienbeihilfe beziehen, wenn sie nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit einem österreichischen Staatsbürger leben (derStandard-online 24.11.05).

Zögerlich zeigte sich die Regierung auch beim Versuch, ein Anti-Stalking-Gesetz einzuführen. Zwar wurde vom Justizministerium im Jahr 2005 ein entsprechender Entwurf vorbereitet, dieser Scheiterte jedoch zunächst am Einspruch des Finanzministeriums – "Kosten zu hoch" – und dann am Einspruch des Innenministeriums – "zu unklar" (ORF On 17.01.06). Bis 25. Jänner 2006 haben sich dann Innen- und Justizministerium doch noch auf einen gemeinsamen Text geeinigt, der vor Einbringung ins Parlament noch mit der Opposition und einschlägig aktiven NGO beraten werden soll (derStandard-online 26.01.06). Um die gesellschaftliche Ächtung deutlich zu machen, soll "beharrliches Verfolgen" in Zukunft zum Offizialdelikt werden, auch ein Rechtsanspruch auf psychosoziale Begleitung der Opfer ist vorgesehen. Der Opposition war der Entwurf noch zu "zahnlos", die Vertretung der österreichischen Frauenhäuser äußerte sich jedoch zufrieden damit. Am 16. Februar wurde er jedenfalls im Ministerrat beschlossen (ORF On 16.02.06, derStandard-online 17.02.06). Am 23. März hat der Entwurf dann - mit Zustimmung der SPÖ – den Justizausschuss passiert, und am 29. März wurde er mit den Stimmen von Regierungsparteien und SPÖ im Nationalrat verabschiedet (derStandard-online 29.03.06).

Am 25. Jänner 2006 erhielt die Regierung als Preis für frauenpolitische Versäumnisse eine Rüge aus Brüssel: die EU-Kommission hat Österreich in ihrer Stellungnahme zum österreichischen Aktionsprogramm zur Umsetzung der Lissabon-Strategie die mangelhafte Beteiligung von Frauen am Arbeitsprozess und das Fehlen von Kinderbetreuungseinrichtungen vorgehalten (derStandard-online 25.01.06).

Im Vorfeld der nächsten Nationalratswahlen zeichnet sich allerdings ein bemerkenswerter gleichstellungspolitischer Fortschritt in der Budgetpolitik ab: Ende Februar 2002 soll – mit den Stimmen der SPÖ – ein neues Haushaltsrecht beschlossen werden, das neben einen Planungshorizont für eine gesamte Legislaturperiode, dem mittelfristigen Budgetziel "nachhaltig geordneter Finanzen", konkreteren Leistungsdefinitionen und flexibleren Globalbudgets auch das Ziel "tatsächliche Gleichstellung von Männern und Frauen" und den Einsatz der Methode des "gender budgeting" vorsieht (derStandard-online 17.02.06).

Für die Opposition bezeichnend auch die Tatsache, dass Rauch-Kallats’ Frauenministerium mit der Veröffentlichung des Frauenberichts bereits ein Jahr in Verzug ist (und auch eine solchen Bericht gar nicht mehr vor hat, weil sie das Frauenberichtswesen neu, und zwar themenspezifisch und kurzfristiger, organisiert hat), während Sozialministerin Haubner am am 2. März 2006 erstmals einen "Männerbericht" präsentiert hat (dieStandard-online 03.03.06).

Einwanderungs- und Asylpolitik

In der vom Ministerrat verabschiedeten Niederlassungsverordnung wurde die Zuwanderungsquote für 2003 neuerlich um 210 Personen auf 8.070 Personen abgesenkt. Familienzusammenführungen bleiben – zahlenmäßig unverändert – auch weiterhin Bestandteil der Quote und bei Kindern und Jugendlichen auf unter 15-Jährige beschränkt, obwohl eine (gegen den Widerstand Österreichs beschlossene) EU-Richtlinie eine maximale Wartefrist von 2 Jahren empfiehlt und für Jugendliche eine Altersgrenze von 18 Jahren vorsieht. Die Zahl der Saisoniers und ErntehelferInnen bleibt hingegen mit 8.000 bzw. 7.000 gleich. Die Rückkehr zum menschenunwürdigen "GastarbeiterInnen-Modell" wird also prolongiert (derStandard-online 01.04.03, 02.04.03).

Für das Jahr 2004 wurde die Zuwanderungsquote mit 8070 Personen in der Höhe des Vorjahres eingefroren (derStandard-online 25.11.03), dann aber für 2005 – vor allem auf Kosten der Teilquote für Schlüsselarbeitskräfte – weiter auf 7.500 Personen  gesenkt (derStandard-online 12.10.04). Geht es nach FP-Sicherheitssprecherin Partik-Pablé, soll sie im Jahr 2006 zu Lasten der Teilquote für Familienzusammenführung, also auf Kosten eines Menschenrechts, auf ca. 7000 Personen reduziert werden; zu diesem Zeitpunkt sei der diesbezügliche Rückstau ohnehin abgebaut … (derStandard-online 13.10.04).

Ironischerweise hat die Zuwanderungsquote dessen ungeachtet in den Zeiten der schwarz-blauen Koalition drastisch auf ca. 50.000 pro Jahr zugenommen. Der Grund: Die Zuwanderer der früher 90er-Jahre erreichen nun die 10-Jahre Aufenthalts-Frist, nach der auf Antrag die Einbürgerung erfolgt, und als ÖsterreicherInnen haben sie die Möglichkeit, EhepartnerInnen, Eltern und Kinder außerhalb der Zuwanderungsquote nach Österreich zu holen (Profil 46/04 vom 7.11.04). Auch wenn es die FPÖ nicht wahr haben will: Österreich ist also doch eine Einwanderungsland!

Ein weiterer xenophober Akt wurde mit der Festlegung der Zuwanderungsquote für 2006 gesetzt: die Quote wurde nicht nur um 500 Personen weiter auf 7000 Personen reduziert; es sollen erstmals auch die rund 2000 aus anderen EU-Staaten zugewanderte Drittstaatsangehörige eingerechnet werden, und zwar auf Kosten der Familienzusammenführung. Im Innenministerium rechnet man allerdings angesichts des weitgehenden Abbaus der Warteliste mit keinem Staueffekt (derStandard-online 04.10.05).Aber selbst Null-Zuwanderung ist der nach der Abspaltung des BZÖ um extrem rechte Profilierung bemühten FPÖ nicht genug. Wie dereinst J. Haider so stellte nun H.C. Strache die Forderung nach Minus-Zuwanderung in den Raum. Er will darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, Menschen im Land zu behalten, die kein deutsches Wort könnten und auch nicht bereit seien, die Sprache zu erlernen, ebenso wie straffällig gewordene Ausländer und auch Fremde, die dauerhaft von Sozialleistungen leben (derStandard-online 17.11.05).

Am 30. April 2003 ist der Ministerialentwurf für eine verschärfte Fassung des Asylrechts in Begutachtung gegangen.

Unter den – u. a. von Hilfsorganisationen, AI, UNHCR sowie der Opposition heftig kritisierten - restriktiven Neuerungen fallen insbesondere das "Neuerungsverbot" bei der Begründung von Asylanträgen im Instanzenzug, der generelle Ausschluss vom Asylrecht von Personen, die aus so genannten "sicheren Herkunftsstaaten" oder "sicheren Drittstaaten" einreisen, die Beschränkung der Möglichkeit von Botschaftsanträgen im Ausland auf Personen, die bereits Angehörige in Österreich besitzen, sowie die Aufhebung des Abschiebeschutzes im Falle "offensichtlich unbegründeter" Berufungen ins Gewicht. Immerhin sollen in Zukunft aber alle anerkannten Flüchtlinge eine Grundversorgung erhalten (derStandard-online 01.05.03). Am 8.April 2003 wurde dann bekannt, dass Minister Strasser (ÖVP) zudem plant, einen zehn km breiten so genannten "Grenzkontrollbereich" des Staatsgebietes gewissermaßen zum Niemandsland für Flüchtlinge zu erklären, in dem sie ohne weiteres in die umliegenden "sicheren Drittstaaten" zurückgewiesen werden können, aus denen sie gekommen sind. Im Mai 2003 haben dann auch der Verfassungsdienst des BKA sowie das Außenministerium Vorbehalte u.a. gegenüber der Drittstaatsklausel, der Liste der sicheren Drittstaaten und der Möglichkeit der Abschiebung bei "offensichtlich unbegründeten" Berufungen angemeldet (derStandard-online 04.06.03). Tags darauf fand sich allerdings nur mehr eine "gesäuberte" (Stoisits), um die kritischsten Passagen gekürzte Version der Stellungnahme des Außenministeriums auf der Homepage des Parlaments (derStandard-online 05.06.03). Am 10. Juni, dem Tag vor der geplanten Beschlussfassung im Ministerrat, hat schließlich auch der Menschenrechtsbeirat vor der "Aushöhlung des Rechtsschutzes" für AsylwerberInnen gewarnt (derStandard-online 10.06.03). Ungeachtet dessen hat die Novelle am 11. Juni 2003 in nur leicht entschärfter Form – gefallen ist der "Grenzkontrollbereich" und der generelle Ausschluss einer Einzelfallprüfung bei Herkunft aus einem "sicheren Drittstaat" – den Ministerrat passiert (derStandard-online 11.06.03). Als die Beschlussfassung im Nationalrat auf Grund des Widerstands der Opposition gegen den Willen der Regierung auf die Sitzungsperiode im Herbst verschoben werden musste, entschied das Innenministerium, auch die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die  Grundversorgung von Flüchtlingen nach hinten zu verschieben – nicht ohne die Verantwortung dafür in zynischer Weise der Opposition zuzuschieben (derStandard-online 26.06.03).    
Im September wurde der Entwurf dann in unveränderter Form – inklusive Neuerungsverbot, Liste "sicherer" Drittstaaten, Möglichkeit der Abschiebung auch im Falle einer Berufung - in den parlamentarischen Prozess eingebracht. Während AsylexpertInnen von Opposition, Menschenrechts- und Hilfsorganisationen ihre Kritik daran erneuerten, hat gleichzeitig das EU-Parlament den österreichischen Vorschlag für eine Liste sicherer Drittstaaten abgelehnt und Österreich aufgefordert, seine diesbezügliche Initiative auf EU-Ebene zurückzuziehen (derStandard-online 23.09.03).

Die im Oktober 2003 dem Innenausschuss zugeleitete Fassung enthielt dann neben scheinbaren Konzessionen an die Kritik (Reduktion der Liste sicherer Drittstaaten auf die Schweiz und Liechtenstein, Verlängerung der Berufungsfrist gegen Asylbescheide von 2 auf 7 Tage) eine zusätzliche "politische Bombe" (Caritas-Präsident Küberl): wer von Hilfsorganisationen in Notquartieren aufgenommen wird, soll seinen Anspruch auf Bundesbetreuung verlieren – nach Ansicht von KritikerInnen der Versuch, die mittlerweile vom OGH im Zusammenhang mit der Aufhebung der umstrittenen Asylrichtlinie des Jahres 2002 festgestellte Verpflichtung des Bundes zur Flüchtlingsbetreuung und zur Rückerstattung der Kosten, die bei den Hilfsorganisationen für die ersatzweise Betreuung der Flüchtlinge angefallen sind, zu unterlaufen (derStandard-online 14.10.03). Ungeachtet der heftigen Kritik seitens der Opposition, der NGO, des UNHCR sowie von VerfassungsjuristInnen und Sozialwissenschaftlerinnen wurde das neue Asylgesetz am "dunklen Tag" (Caritas-Präsident Küberl) des 23. Oktober 2003 in dieser Fassung vom Nationalrat beschlossen. Die SPÖ hat ihrerseits umgehend eine Verfassungsklage angekündigt (derStandard-online 23.10.03). Auch im Jahresbericht 2004 von "Amnesty International" wurde Österreich wegen des Gesetzes nochmals heftig kritisiert (derStandard-online 26.05.04).

Am 24. März 2004 wurde mit der "Bund-Länder-Vereinbarung zur Betreuung von Flüchtlingen eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung der Grundversorgung von Flüchtlingen, hilfs- und schutzbedürftigen Fremden und de facto nicht abschiebbare Migrantinnen einstimmig im Nationalrat beschlossen – und damit doch wieder einmal ein positiver Akzent in der Flüchtlingspolitik gesetzt (derStandard-online 14.03.04).

Bedenklich aber auch die Praxis der Asylbehörden: Seit November 2003 ist es laut Medienberichten (Falter 12.11.03) am Grenzposten Gmünd (NÖ) wiederholt zu unrechtmäßigen Drohungen und Zurückweisungen von AsylwerberInnen gekommen. Dies hat letztlich zur Einschaltung des Menschenrechtsbeirats geführt

Bereits im Jänner 2004 hat der Menschenrechtsbeirat nach entsprechenden Nachforschungen festgestellt, es habe sich "eher bestätigt", dass Personen "durch Drohungen und ähnliche Maßnahmen … daran gehindert werden, ihr recht auf Asyl … geltend zu machen". Anfang März 2004 hat der Menschenrechtsbeirat dann dem Innenministerium empfohlen, "… die BH Gmünd anzuweisen, alle Asylanträge anzunehmen und keinen wie immer gearteten Druck auszuüben, dass Asylanträge nicht gestellt bzw. zurückgezogen werden" (derStandard-online 04.03.04).

Auch Kapazitäten zur Unterbringung von Flüchtlingen wurden in nur unzureichendem Ausmaß bereitgestellt:

Die Situation nach der Beschlussfassung war dadurch gekennzeichnet, dass in Antizipation der künftigen restriktiven gesetzlichen Lage das Innenministerium jegliche Bemühungen um eine Erweiterung der Betreuungskapazität einstellte – u.a. mit der Folge, dass Flüchtlingen die Aufnahme im überfüllten Lager Traiskirchen verweigert wurde. Gleichzeitig entwickelte sich ein peinliches (und gleichwohl von Innenminister Strasser sichtlich mit Genugtuung registriertes) Spiel des Sich-Überbietens von Gemeinden bei der Verweigerung der Aufnahme von Flüchtlingen und des Feilschens zwischen Bund und Ländern um die Verteilung der Kosten der Flüchtlingsbetreuung (derStandard-online 06.11.03, 07.11.03). Das "Netzwerk Asylanwalt" ist daraufhin dazu übergegangen, die Bundesbetreuung der Flüchtlinge gestützt auf die oben erwähnten OGH-Entscheide mittels einstweiliger gerichtlicher Verfügungen zu erzwingen (derStandard-online 12.11.03).

Eine mittelfristige Entspannung des Versorgungsnotstands zeichnete sich dann Ende November 2003 mit der Einigung zwischen Bund und Ländern über die Flüchtlingsbetreuung ab, in der Fragen der Kostenverteilung geregelt und übrigens auch die Versorgung von AsylwerberInnen mit negativem Asylbescheid vorgesehen ist und die im mai 2004 in Kraft treten soll. Die akute Problematik der Unterbringung obdachloser Flüchtlinge über den Winter ist damit freilich nicht gelöst (derStandard-online 18.11.03, 01.12.03). Nach heftigem Alarm der Flüchtlingshilfsorganisationen in der Öffentlichkeit erklärte dann der Innenminister, er sei nach Rücksprache mit dem örtlichen Bürgermeister dazu bereit, im Lager Traiskirchen über den Winter bis zu 800 zusätzliche Betreuungsplätze bereit zu stellen. Dieser machte allerdings seine Zustimmung davon abhängig, dass keine weiteren Flüchtlinge mehr aus der Bundesbetreuung entlassen werden, was wiederum vom Ministerium abgelehnt wurde (derStandard-online 12.12.03, 15.03.02). So stieg die Zahl der obdachlosen Flüchtlinge weiterhin von Tag zu Tag an …

Kurz vor Weihnachten hat der Innenminister dann doch noch der Kritik nachgegeben und sich mit den Caritas, Volkshilfe und Diakonie darauf geeinigt, dass über Weihnacht und Neujahr keine Flüchtlinge entlassen werden, und dass das Innenministerium bis Mai 2004 60% der bei den NGO sowie bei den (zur Beteiligung an dieser Überbrückungsaktion aufgeforderten) Gemeinden und Ländern anfallenden Kosten der Flüchtlingsbetreuung übernimmt (derStandard-online 19.12.03, 8.01.04).

Als Anfang Februar 2004 die Kapazitäten des Lagers Traiskirchen endgültig erschöpft waren, zeigten  die Länder mit Ausnahme von Wien und Niederösterreich freilich mit dem Hinweis, sie hätten ihr Kontingent bereits erfüllt, wenig Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge (derStandard-online 10.02.04). Damit wurde auch der Versorgungsnotstand wieder akut. Anfang April 2004 waren seitens der öffentlichen Stellen immer noch keimen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten erschlossen worden und die Aufnahmekapazitäten der Caritas endgültig erschöpft. Als die Caritas daraufhin die obdachlosen Flüchtlinge in das seiner politischen Verantwortung logistisch und moralisch nicht gewachsene Innenministerium schickte, schreckte Innenminister Strasser nicht davor zurück, dies mit dem Vorwurf der "Menschenverachtung" zu quittieren (derStandard-online 05.04.04) und der Caritas ein "brutales Vorgehen" vorzuwerfen (derStandard-online 07.04.04). Unterstützung für die Flüchtlingsorganisationen gab es hingegen vom UNHCR: man sei "bestürzt" über die Regierungspraxis, die "ein ordentliches Verfahren untergrabe". Derartiges gäbe es "in keinem anderen Land Europas" (derStandard-online 10.04.04)

Als dann das neue Asylgesetz und die Bund-Ländervereinbarung am 1. Mai 2004 in Kraft traten, fehlten in den meisten Bundesländern (Ausnahmen: Wien und Niederösterreich) die nötigen Quartiere für die Unterbringung der Flüchtlinge (derStandard-online 29.04.04). Als Strasser dann die säumigen Bundesländer unter Druck zu setzen versuchte, malte LH Haider in nebulosre Weise gefahren für die "Sicherheit der Bürger" an die Wand und drohte mit der Aufkündigung der Bund-Ländervereinbarung (derStandard-online 16.06.04). Am 16. Juli 2004 forderte Haider dann tatsächlich die Einberufung einer außerordentlichen Landeshauptleutekonferenz. Die Vereinbarung werde nicht ordnungsgemäß vollzogen: die veranschlagte Zahl der zu betreuenden Flüchtlinge sei bereits nach kurzer Zeit überschritten, die Überprüfung der Anspruchsberechtigung werde in vereinbarungswidriger Weise vernachlässigt; Er hält aber auch die Übernahme von Fremden ohne Aufenthaltsrecht, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, in die Bundesbetreuung für "unzulässig" - Haider strebt also offenbar auch eine Revision der Vereinbarung an (derStandard-online 16.07.04).

Während in der Standortgemeinde des nach wie vor überfüllten Lagers Traiskirchen die Stimmung zunehmend flüchtlingsfeindlicher und die Forderung nach einer Ausgangssperre laut wurde, gab nun auch die – bisher vereinbarungstreue – Steiermark bekannt, die vereinbarte Quote angesichts der Säumigkeit der Mehrzahl der Bundesländer auszusetzen, in Oberösterreich forderte man Verhandlungen über Flüchtlingsobergrenzen, und Kärnten wie Tirol erklärten kurzerhand, keine weiteren Flüchtlinge mehr aufzunehmen - "Illegalen Ausländern mit Kärntner Steuergeld einen Gratis-Urlaub finanzieren, das spielt sich nicht" (Haider). Innenminister Strasser blieb daraufhin nichts anderes übrig, als das Scheitern des Planes, Traiskirchen zu entlasten, einzugestehen. Zugleich äußerte er Sympathien für den Vorschlag seines deutschen Amtskollegen Schily, Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika zu errichten (derStandard online 04.08.04, 06.08.04, 17 - 20.08.04).

Der mit dem gängigen Register von xenophoben Vorurteilen geführte, beschämende Streit um Flüchtlingsquoten veranlasste schließlich den UN-Flüchtlingshochkommissar Köfner zur Aufforderung, die in Europa einzigartigen Versorgungsverweigerung und die pauschale Diffamierung von Flüchtlingen einzustellen (derStandard-online 31.08.04).

Am 20. September 2004 kam es dann zu der von Haider geforderten außerordentlichen Landeshauptleutekonferenz zum Thema Asyl. Es wurde vereinbart, Kriterien zur Beurteilung von Hilfsbedürftigkeit zu erarbeiten und die genaue Zahl der Grundversorgungsberechtigten zu ermitteln und die Möglichkeit der Einrichtung eines Erstaufnahmezentrums West zu prüfen. In einem Monat sollte dann bei einer weiteren Konferenz ein Maßnahmepaket beschlossen werden (derStandard-online 20.09.04). Haider suchte inzwischen bereits nach einer Ausstiegsmöglichkeit: er ließ die Kärntner Landesverfassungsabteilung prüfen, ob die Bund-Länder-Vereinbarung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage – unerwartet hohe Flüchtlingszahlen - gekündigt werden kann (News Networld 21.09.04), und Tags darauf stieß der populismusanfällige Tiroler LH Van Staa prompt ins gleiche Horn (ORF ON 22.09.04).

Nachdem die FPÖ während der gesamten Periode des Streits um die Umsetzung der Bund-Länder-Vereinbarung zur Flüchtlingsbetreuung im Rahmen ihrer selbstverordneten Rückbesinnung auf ihre alten Grundsätze eine Verschärfung des Asylrechts gefordert hatte – zuletzt Jungrecke Gudenus mit der Forderung nach Einrichtung eines Auffanglagers für Flüchtlinge auf einer gepachteten Insel in der Adria (derStandard-online 29.09.04), meldete sich dann Bundeskanzler Schüssel Anfang Oktober 2004 bei der ÖVP-Klubklausur zur Asylpolitik zu Wort. Einerseits gab er bekannt, zwei Kasernen in Kufstein und Steyr zwei Jahre lang für die Flüchtlingsunterbringung öffnen zu wollen, um den Ländern und Gemeinden mehr Zeit für die Bereitstellung von Quartieren zu geben – eine Ankündigung, die von Bundes-Opposition und Caritas grundsätzlich positiv aufgenommen wurde, von der FPÖ dagegen vehement abgelehnt und vom Steyrer SP-Bürgermeister sogar postwendend mit der Androhung eines "Riesenaufstands" quittiert wurde. Daraufhin schloss sich auch die oberösterreichische Landes-SPÖ der Ablehnungsfront an, erklärte sich jedoch immerhin bereit, andere Quartiere zur Verfügung zu stellen. In Tirol stimmte man hingegen der vorübergehenden Aufnahme von Flüchtlingen in der Kufsteiner Kaserne zu.

Pläne des Innenministers, neben Traiskirchen und Schwechat (NÖ) und Thalham (OÖ) zwei weitere Aufnahmezentren – eines in Tirol und eines in der Steiermark - zu errichten, wurden hingegen vom Bürgermeister von Kufstein und vom Landeshauptmann Tirols entschieden zurückgewiesen. Auch die steirische Landeshauptfrau Klasnic empörte sich über die "nicht abgesprochene Vorgangsweise".

Andererseits teilte Schüssel bei der ÖVP-Klubklausur mit, das Asylrecht weiter verschärfen zu wollen: Aus sicheren Drittstaaten eingereiste und straffällig gewordene AsylwerberInnen sollen leichter abgeschoben werden können (derStandard-online 01.10.04, 04. – 06.10.04).

Um den Druck auf die Länder zu erhöhen, begann dann das Innenministerium am 13. Oktober 2004 in Berufung auf einen plötzlich erlassenen feuerpolizeilichen Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden mit der teilweisen Räumung des Lagers Traiskirchen: Täglich müssen 50 Flüchtlinge raus, bis die Belegung um 240 reduziert ist. Damit erreichte rücksichtslose Quotenstreit auf Kosten der Hilfsbedürftigen einen neuen Höhepunkt. Da das Land Steiermark am selben Tag erklärte, seiner Verpflichtungen aus der Bund-Länder-Vereinbarung nachzukommen und 200 Flüchtlinge aufzunehmen, hat sich die Situation allerdings doch wieder entschärft (derStandard-online 14.10.04, 15.10.04). Andere Bundesländer (Oberösterreich, Tirol, Burgenland und Wien) sind diesem Beispiel gefolgt. Am 17. Oktober hat dann auch Kanzler Schüssel in ausnahmsweiser Klarheit versucht, Länder und Gemeinden zur Pflicht zu rufen und das negative Meinungsklima positiv zu beeinflussen: Es täte ihm "weh", wenn wir nicht "in einem Acht-Millionen-Land 30.000 Flüchtlinge ohne größere Probleme integrieren, behausen, ernähren und betreuen" könnten (derStandard-online 17.10.04).

Bei der zweiten Landeshauptleutekonferenz am 4. November 2004 haben sich die Vertragspartner dann auf ein Zwölf-Punkte-Programm verständigt, das u.a. eine restriktive Definition von Hilfsbedürftigkeit (wer sich bereits drei Monate ohne Versorgung durchgeschlagen hat, gilt als nicht hilfsbedürftig), eine "effektive Abschiebepraxis", sowie die Bindung der Unterstützung an die "regelmäßige Anwesenheit an der bekannten Aufenthaltsadresse" vorsieht. Nicht genügend für Haider – der hat mitgeteilt, er werde die Vereinbarung nun kündigen und vom VFGH auf ihr rechtmäßiges Zustandekommen prüfen lassen. Er sei allerdings bereit die Klage zurückzuziehen, wenn man sich über strengere Kriterien für die Aufnahme von Flüchtlingen einigen könne (derStandard-online 04.11.04). Diese Einigung ist dann wegen Vorbehalten aus Kärnten und Tirol auch bei einer dritten Landeshauptleutekonferenz am 6.Dezember 2004 nicht zu Stande gekommen. Nun soll bis Weihnachten auf Beamtenebene eine diesbezüglichen Kompromiss gefunden werden (derStandard-online 06.12.04).

Am 20 Oktober 2004 hat der Menschenrechtsbeirat auf Grund eines konkreten Anlassfalls – Selbstmord eines inhaftierten Serben im Sommer 2004 – die Praxis des "geschlossenen Vollzugs" bei der Schubhaft kritisiert und die Unterbringung in offenen Zellen und die evtl. Entlassung selbstmordgefährdeter Häftlinge aus der Haft empfohlen (derStandard-online 20.10.04).

Im November 2005 drohte Haider dann wieder einmal damit, die Kärntner Flüchtlingsheime aufzulösen und die Flüchtlinge dem Bund zur "Verfügung zu stellen". Der Bund schulde dem Land 5 Mio. Euro, und Kärnten habe ja bereits ein Jahr zuvor die Bund-Ländervereinbarung gekündigt (derStandard-online 15.11.05). Nach einem Gespräch mit Innenministerin Prokop Ende November berichtete der ORF dann zwar von einer Einigung – Kärnten würde 45 weitere Flüchtlinge aufnehmen (ZIB1 26.05.05), diese Meldung wurde freilich Tags darauf vom BZÖ prompt dementiert wurde – man sei sich vielmehr darüber einig geworden, dass Kärnten bereits die Quote erfülle (APA OTS 27.11.05).         
Im Dezember 2005 hat Kärnten dann doch noch den Rückzug vom Rücktritt von der Bund-Ländervereinbarung angetreten, nachdem Innenministerin Prokop Haider bescheinigt hatte, dass Kärnten seine Quote bereits erfülle, und  sich Haider im Gegenzug  zur "freiwilligen"  Übernahme zusätzlicher 45 Flüchtlinge bereit erklärt hatte (derStandard-online 19.12.05)

Angesichts solcher Vollzugsdefizite erstaunt es wenig, dass am 14. Mai 2003 von Seiten des Menschenrechtsbeirats anlässlich der Präsentation des Jahresberichtes heftige Kritik am Innenministerium geäußert wurde, das zunehmend von einem Konsens- zu einem Konfliktkurs übergegangen sei und Empfehlungen des Beirats nicht oder nur mangelhaft umsetze – etwa diejenige, die Asylrichtlinie des vergangenen Herbstes, die AsylwerberInnen aus bestimmten Ländern generell von der Bundesbetreuung ausschließt, zurückzuziehen. Auch die geplante Novelle zum Asylgesetz war Gegenstand der Kritik (derStandard-online 14.05.03).

Bezeichnende Reaktion der Regierung: auf Vorschlag des Bundeskanzlers wurden nun vorsorglich zwei ÖVP-Angestellte in den Beirat entsendet (derStandard-online 19.05.03), und der Innenminister hat die Verlängerung des Mandats des kritischen Asylanwalts Georg Bürstmayr  wegen angeblichen Verdachts auf Schlepperei abgelehnt.

Der Hintergrund: das BKA hatte gegen Bürstmayr und eine weiter Asylanwältin, Nadja Lorenz, Ermittlungen und Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft wegen "Schlepperei" und "Aufruf zum Ungehorsam gegen Gesetze" betrieben, die inzwischen freilich im Sande verlaufen sind (Falter 26.10.2004). Das parlamentarische Nachspiel der Opposition zu diesem "politischen Einschüchterungsversuch" blieb erwartungsgemäß ergebnislos: Dringliche Anfrage der Grünen - von Strasser in wenigen Sätzen abgefertigt. Misstrauensantrag der SPÖ - mit Koalitionsmehrheit abgeschmettert (derStandard-online 10.11.04, ORF ON 11.11.04).

Der Menschenrechtsbeirat hat daraufhin seinerseits für den 16. November eine Sondersitzung in dieser Sache einberufen (derStandard-online 15.11.04), hat dort einhellig sein "Befremden über die Vorgehensweise des Ministeriums" festgestellt und mehrheitlich auf der Bestellung Bürstmayrs als "Bestqualifizierten" bestanden. Strasser hat erklärt, diese Entscheidung zu akzeptieren (derStandard-online 16.11.04).

Zwischenzeitig setzt die Regierung mit einem – in die Gesetzesvorlage zur Harmonisierung der Pensionen hinein geschmuggelten – unfreundlichen Akt gegen Flüchtlinge ein Zeichen: Offenbar auf Betreiben von Jörg Haider, der zwei Wochen vorher mit einer Presseaussendung unter dem irreführenden Titel "Asylmissbrauch" gegen eine entsprechende Nachzahlung polemisiert hatte (APA OTS 07.11.04), wird die Anspruchsberechtigung für Flüchtlinge auf Familienbeihilfe während des Asylverfahrens per 1.1.2005 abgeschafft (derStandard-online 18.11.04).

Nachdem am 15. Oktober 2004 zur Genugtuung von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wesentliche Teile des neuen Asylgesetzes vom VFGH aufgehoben worden waren, forderte die FPÖ postwendend, die Gelegenheit zu ergreifen und das eben erst als menschenrechtswidrig erkannte Gesetz noch restriktiver zu gestalten.

Als rhetorischer Scharfmacher tat sich dabei wieder einmal der Wiener FPÖ-Chef und stellvertretende BPO Strache hervor: "Es kann nicht sein" - so Strache – "dass wir jetzt zum Zielland Nummer eins für Asylbetrüger und von einer weiteren Welle des Drogenhandels und der Prostitution überschwemmt werden. Ein sehr strenges, restriktives und auch im Vollzug funktionierendes neues Asylgesetz muss jetzt sicherstellen, dass wir … Wirtschaftsflüchtlinge und Asylbetrüger entweder gar nicht in das Land lassen oder umgehend in ihre Heimatländer abschieben" (APA OTS 15.10.04).

Eine weitere Verschärfungsidee steuerte FP-Justizsprecher Böhmdorfer bei: in Zukunft solle "wissentliche Beihilfe zum Asylmissbrauch" unter Strafe gestellt werden – ein für sich genommen durchaus legitimer Vorschlag, der freilich im Kontext der gegenwärtigen asylpolitische Auseinandersetzung und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Innenministerium Ermittlungen und Anzeigen gegen widerspenstige AsylanwältInnen betreibt (s. oben), in einem ganz anderen Licht erscheint – nämlich als Versuch, die Rechtsberatung und -vertretung von Flüchtlingen in ein schiefes Licht zu rücken und deren MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen und im Asylverfahren tätige AnwältInnen einzuschüchtern. Jörg Haider applaudierte, Caritas-Chef Landauer hingegen warnte vor dem sich abzeichnenden "Wettbewerb der Grauslichkeiten" (ORF ON 23.10.04, derStandard-online 25.10.04).

Die ersten Vorschläge zur Verschärfung des Asylgesetzes legte Strasser dann am 18. November 2004 vor: Beschränkung der Bewegungsfreiheit von AsylwerberInnen ("Gebietsberechtigung"), "Sicherheitshaft" von AsylwerberInnen, die ihren Antrag nach einer Verurteilung in Haft einbringen; Verzicht auf den VWGH als dritter Instanz – ein Vorschlag, der freilich nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit, also mit den Stimmen der SPÖ, umsetzbar ist.

Der augenscheinliche Hintergrund solcher Vorschläge: ministerielle fremdenfeindliche "Informationspapiere für den Herrn Bundesminister" wie das folgende von der Wochenzeitschrift News veröffentlichte: Wörtlich heiße es schon in der Einleitung des Papiers: "Infolge der derzeitigen Agonie der österreichischen Fremdenpolizei kann man beruhigt die Behauptung aufstellen, dass sich Österreich im Würgegriff einer nicht unwesentlichen Anzahl von Fremden befindet, die unserem Land nicht unbedingt etwas Gutes wollen". Im Weiteren werde "der Fremde" als "Kleinkrimineller, Schwerstkrimineller, Glücksritter, Schwarzarbeiter, Wirtschaftsflüchtling oder tatsächlich Verfolgter" beschrieben, der die "außerordentliche Standortattraktivität" Österreichs "bis in die hintersten Ecken der Ausgangsländer" bekannt mache (NEWS Networld 24.11.04).

Entsetzte Reaktionen in der Caritas (Präsident Küberl: "Man kann nicht mit Missbrauchsverdacht, man kann nicht mit Abzwicken des Rechtsschutzes und man kann nicht mit Aufblähen von Bürokratie Asylpolitik betreiben"), bei Diakonie, SOS-Mitmensch, Volkshilfe und Grünen, SPÖ-Generalsekretär Darabos hat zwar grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft erklärt, jedoch die Zustimmung zur Beschneidung des Instanzenzugs ausgeschlossen. Begeisterte Zustimmung hingegen von FP-Vizekanzler Gorbach, FP-Generalsekretär Scheuch ("schwarzer Innenminister mit freiheitliche Forderungen") und FP-Sicherheitssprecherin Partik-Pablé der FPÖ (APA OTS, derStandard-online 19.11.04).Bald aber drängte die FPÖ auf die rechte Überholspur. J. Haider machte mit dem Vorschlag, doch den unabhängigen Bundesasylsenat abzuschaffen, den Anfang; diese "Schläfertruppe" produziere lediglich "Legionen von Scheinasylanten". Weiters wiederholte er die Forderung nach Bestrafung der Beihilfe zum Asylmissbrauch und nach sofortiger Abschiebung straffällig gewordener Asylanten (APA OTS 20.11.04). Drei Tage später stieß FP-Chefin und Sozial-Staatssekretärin Haubner in nur noch als zynisch und gehässig zu bezeichnender Weise nach: der "missbräuchlichen Verwendung" der Traumatisierungsbestimmung müsse die Grundlage entzogen und das – vom VFGH als rechtswidrig erklärte - Neuerungsverbot jedenfalls beibehalten werden, und an schwangere Flüchtlingsfrauen mit "Gefälligkeitsanstellungen" sollte kein Kindergeld mehr ausbezahlt werden (derStandard-online 23.11.02). Tags darauf verlangte Haider die Einberufung des Koalitionsausschusses zur Asylfrage und drohte mit einem von ihm selbst angeführten Volksbegehren für den Fall, dass das Asylrecht nicht seinen Vorstellungen entsprechend verschärft wird (derStandard-online 24.11.04). Bei einem Treffen der Bundesparteileitung am 30. November im Haiderland Kärnten und auf Ihrem Neujahrstreffen Mitte Jänner 2005 hat dann die FPÖ alle diese Verschärfungsforderungen einschließlich der bereits früher erhobenen Forderung nach Errichtung von Flüchtlingscamps in Krisenregionen bekräftigt (derStandard-online 01.12.04).Selbst für solche radikale Verschärfungen sind bereits konkrete Pläne in internen Papieren des Innenministeriums vorbereitet: die Aufhebung der UBAS, Ausweitung der Schubhaft und Sonderverfahren für Schubhäftlinge sind hier ebenso angedacht wie die Beschränkung des Schutzes vor Abschiebung auf Flüchtlinge mit "gesundheitsgefährdenden Traumen" – eine aus menschenrechtlicher Sicht bedenkliche "Verfremdenpolizeilichung des Asylverfahrens" (Stoisits). (derStandard-online 26.11.05).

Nachdem Opposition und NGO dazu aufgefordert hatten, Gründe für den pauschalen Missbrauchsverdacht vorzulegen, wurden seitens des Innenministeriums Daten aus der Kriminalstatistik öffentlich lanciert, denen zufolge Asylwerberinnen unter den Anzeigen im allgemeinen und den Anzeigen wegen Drogenhandel im besonderen stark überrepräsentiert seien (ORF ON 24.11.04). Dass es sich dabei Großteils um aus der Not geborene Bagatelldelikte handelt, und dass zwischen angezeigtem Tatverdacht und evtl. gerichtlicher Tatsfeststellung und Verurteilung noch der Filter rechtsstaatlicher Aufklärungs- und Beweisverfahren bei Staatsanwaltschaft und Gerichten liegen, wird dabei geflissentlich verschwiegen! NGO und Opposition haben daher zu Recht von "Manipulation" und "Stimmungsmache" gesprochen (derStandard-online 24.11.04).

Am 7. Dezember 2004 wurde dann von der Koalition im Ministerrat eine Punktation zur  Asylgesetzreform mit verschärften Schubhaftbestimmungen, einem vereinfachten UBAS-Verfahren und der Streichung der dritten Instanz beschlossen. Darüber hinaus soll das Justizministerium prüfen, ob auch die Bestimmungen zu illegaler Einreise, illegalem Aufenthalt sowie zur Beihilfe dazu verschärft werden können – alles in der Absicht zu verhindern, dass sich – O-Ton von FP-Obfrau Ursula Haubner - "Scheinasylwerber wie Maden im Speck im Sozialstaat Österreich einnisten" (derStandard-online 07.12.04).

Liese Prokop, die Nachfolgerin des überraschend zurückgetretenen Hermann Strasser im Innenministerium, hat sich im Jänner 2005 gegen die Abschaffung der dritten Instanz im Asylverfahren (derStandard-online 02.01.05) sowie für eine Personalaufstockung des Bundesasylsenats ausgesprochen (derStandard-online 29.01.01), aber dessen ungeachtet Anfang Jänner 2005 einen Gesetzesentwurf mit den übrigen von Strasser geplanten Verschärfungen – Beschränkung der Bewegungsfreiheit von AsylwerberInnen, strengere Schubhaftbestimmungen inklusive der Möglichkeit unbefristeter Schubhaft; Möglichkeit der Zurückweisung und Abschiebung von Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten- auch bei vorliegen einer Traumatisierung, die in unmittelbarer Nähe zur Staatsgrenze aufgegriffen worden sind; Einschränkung der Asylgründe (kein Asyl mehr für Flüchtlinge, die sich im Herkunftsland in sichere gebiete zurückziehen könnten), Herabsetzung der Altersgrenze für den Rechtsschutz unbegleiteter Minderjähriger von 18 auf 14 Jahre, Möglichkeit der Beugehaft im Falle mangelnder Bereitschaft zur Mitwirkung am Asylverfahren, Zwangsernährung von AsylwerberInnen im Hungerstreik – vorbereitet. Immerhin wurde das Neuerungsverbot abgemildert. Die NGOs "Asyl in Not" und "SOS Mitmensch" haben diesen Diskussionsentwurf  als "undiskutabel" bezeichnet (derStandard-online 12.01.05, ORF On 05.03.05).

Parallel dazu soll auch die Beihilfe zum Asylmissbrauch wie von der von der FP gefordert unter Strafe gestellt werden (derStandard-online 23.02.05). Weiters sollen Flug- und Buslinie unter Androhung einer Geldstrafe dazu verpflichtet werden, Daten über Ihre Passagiere zu speichern, auf die dann Asylbehörde und Fremdenpolizei für etwaige Recherchen zugriffsberechtigt wären. Scheinehen sollen unter Strafdrohung gestellt werden[5] (derStandard-online 05.03.05).

Ungeachtet dieser Kritik haben sich die Regierungsparteien auf einem "Sicherheitsgipfel" am 22. Februar 2005 darauf verständigt, diesen Entwurf Anfang März in die Begutachtung zu schicken. Während die SPÖ grundsätzlich Zustimmung signalisiert hat (derStandard-online 26.02.05), haben die Rechtsanwaltskammer, Grüne, das UNHCR und einige NGO (AI, Diakonie, ARGE Daten) schwere grundrechtliche Bedenken gegen den Entwurf angemeldet (derStandard-online 28.02.05, 04.03.05, 06.04.05, 08.04.05). Auch der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes und der Menschenrechtsbeirat meldeten Bedenken gegen den Entwurf an – der erstere gegen zu weit gehende Befugnisse der Fremdenpolizei im allgemeinen, der letztere gegen die dem Kinderschutz widersprechende Absenkung der Altersgrenze für fremdenpolizeiliche Behandlung von 16 auf 14 Jahre – an im besonderen (derStandard-online 22.04.05).

Nach Ablauf der Begutachtungsfrist bestanden Haider und Miklautsch im Namen des BZÖ freilich ungerührt auf den Verschärfungen bei der Schubhaft, dem Umgang mit Traumatisierungen und der Bescheidzustellung – es gelte zu verhindern, dass "die von Miklautsch hineinverhandelten Punkte dann in der legistischen Umsetzung nicht stattfinden" (derStandard-online 25.04.05). Von einigen Korrekturen abgesehen (z.B. längere, aber doch keine unbegrenzte Schubhaft für Flüchtlinge; Bescheidzustellung an die AsylwerberInnen, die Einspruchsfrist beginnt aber erst ab Information des Rechtsbeistands zu laufen; Zwangsernährung zwar nicht in der Schubhaft, aber nach Überstellung in eine Justizanstalt möglich) hielt die Koalition auch tatsächlich an ihren Entwurf fest (derStandard-online 29.04.05).

Vor dem Hintergrund der seit 2000 stark angestiegenen Einbürgerungszahlen soll aber auch das Fremdenrecht weiter verschärft werden: Die Regierung plant u.a die Einführung einer zusätzlichen dreijährigen Probefrist für StaatsbürgerschaftswerberInnen. In dieser Frist müssen Sprachfähigkeit und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis gestellt werden, und für die Beurteilung des "Gesamtverhaltens" sollen auch Verwaltungsübertretungen herangezogen werden (derStandard-online 24.02.05). Auch der Abschiebe-Schutz für in Österreich geborene MigrantInnen soll im Falle einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe von zwei und mehr Jahren fallen (derStandard-online 08.03.05). Laut FP-Justizministerin Miklautsch soll darüber hinaus auch die Wartefrist für die Einbürgerung auf den europäischen Spitzenwert von 12 Jahren verlängert werden (derStandard-online 28.03.05).

Auch der Integrationsvertrag soll verschärft werden: 300 Stunden (+ 75 Stunden Alphabetisierung) statt bisher 100 Stunden Deutschunterricht, und deutlich weniger Ausnahmen (bisher waren, wie sich im Herbst 2004 herausgestellt hatte, de facto 90 % ausgenommen!) ab dem Jahr 2006 (ORF ON 20.03.05). Gegen diese Verschärfung und das zu erreichend Sprachniveau gibt es Bedenken aus sprachwissenschaftlicher Sicht: die Latte liege zu hoch, der Zwangcharakter sei für das Lernen kontraproduktiv, die drohende Abschiebung im Falle der Nichterreichung des geforderten Sprachniveaus daher besonders bedenklich (derStandard-online 13.05.05).

Die Aufenthaltserlaubnis wird zukünftig im Scheckkartenformat ausgestellt, versehen mit Foto und Unterschrift, ab 2007 auch mit Fingerabdrücken (ORF On 08.05.05).

Immerhin sollen aber Arbeits- und Aufenthaltsberechtigung endlich harmonisiert werden: wer legal in Österreich lebt (ausgenommen AsylwerberInnen), soll in Zukunft auch hier arbeiten dürfen, und wer in Österreich fünf Jahre gelebt und den Integrationsvertrag erfüllt hat, soll im gesamten EU-Raum zur Erwerbsarbeit berechtigt sein (derStandard-online 23.03.05). Weiters erhalten nunmehr Personen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Österreich kommen, bereits nach 12 Monaten (und nicht erst nach 2 – 3 Jahren) denselben Arbeitstitel, wie ihre Verwandten.

Überdies kommen nun nicht nur Mitglieder der Kernfamilie, sondern auch Eltern und Schwiegereltern in den Genus des Rechts auf Familienzusammenführung (der Standard-online 07.07.05). Die Familienzusammenführung selbst bleibt aber quotenpflichtig.

Am 10. Mai wurden das neue verschärfte Asyl- und Fremdenrecht dann im Ministerrat beschlossen. Opposition und Menschenrechtsorganisationen rechnen freilich aus den bereits oben angeführten Gründen mit einer neuerlichen Aufhebung des Asylrechts durch den VFGH (ORF On 10.05.05). Während sich Innenminister Prokop um einer Einbindung der SPÖ Willen im besonders strittigen Punkt der Zwangsernährung weiter verhandlungsbereit zeigte, schloss das BZÖ dezidiert jegliche weiteren Kompromisse aus. (derStandard-online 10.05.05, 11.05.05).

Eine Woche nach dem Ministerratsbeschluss reihte sich dann auch noch der Präsident des VWGH, Jabloner, die Wiener Rechtsanwaltskammer und die Richtergewerkschaft in die Kritik ein: eine Überlastung des Gerichtshofs durch eine durch das Gesetz provozierte Beschwerdeflut drohe, und die bloß temporäre Aufstockung des UBAS durch befristet bestellte zusätzliche Mitglieder stehe im Konflikt mit dem Verfassungsgrundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter bzw. der Unabhängigkeit der Rechtssprechung (derStandard-online 17.05.05, 20.05.05). Am 28. Mai hat sich dann die Ärztekammer gegen die vorgesehene Zwangsernährung von AsylwerberInnen ausgesprochen kein Arzt dürfe "zu einer ihm nicht angemessen erscheinenden Therapie" gezwungen werden (derStandard-online 28.05.05).

Ín Verhandlungen mit der SPÖ ist es der Regierungskoalition allerdings bis Ende Juni 2005 gelungen, mit nur geringfügigen Änderungen – die Zahl der Richter im UBAS wird nun doch unbefristet erhöht - die Zustimmung der SPÖ zum verschärften Asylgesetz einschließlich der Möglichkeiten der Zwangsernährung von definitiv abgewiesenen AsylwerberInnen und der Abschiebung Traumatisierter in "sichere Drittstaaten" zu gewinnen. Dementsprechend hat das Fremdenpaket den Innenausschuss auch am 30. Juni mit SPÖ Zustimmung passiert (derStandard-online 30.06.05) – in der Konkurrenz mit FPÖ/BZÖ um den xenophoben "Mann von der Strasse" ist die SPÖ offenbar nicht nur in der Frage des Türkeibeitritts, sondern auch in der Menschenrechtsfrage des Asyls bereit, Grundsätze dem wahlstrategischen Kalkül zu opfern. So wurde das Fremdenpaket am 7. Juli 2005 im Nationalrat mit den Stimmen der SPÖ (lediglich die Abgeordneten Einem, Kuntzl, Posch und Trunk nahmen an der Abstimmung aus Protest nicht teil) beschlossen (derStandard-online 07.07.05).

Nachdem die Regierung im Nachhinein jedoch einseitig Erleichterungen für die Zulassung von Selbständigen in das Fremdenrechtspaket hineingenommen hatte, will die SPÖ das Fremdenpaket nun doch verhindern. Das soll einerseits auf mit der mittlerweile errungenen Oppositionsmehrheit im Bundesrat und andererseits mit Hilfe dissidenter FPÖ-Abgeordneter in Nationalrat geschehen (derStandard-online 05.11.05).

Im August 2005 hat die Justizministerin Gastinger (vor ihrer Verehelichung Miklautsch) Pläne für eine Novellierung des Staatsbürgerschaftsrechtes vorgelegt. Erklärter Zweck ist die Vereinheitlichung der bisher unterschiedlichen Praxis der Länder, tatsächlich geht es der BZÖ-Politikerin aber um Verzögerung (zwölf statt zehn Jahre Wartefrist) und Erschwerung (Nachweis von Sprachkenntnissen und einem eigenen Einkommens) der Einbürgerung. Mit im – von den Ländern in seiner Notwendigkeit angezweifelten – Paket sind jedenfalls Verschlechterungen wie die Verlängerung der Fristen für die Einbürgerung von EhepartnerInnen österreichischer Staatsbürgerinnen (von vier auf sieben Jahre) und Flüchtlingen (ORF On 21.08.05, derStandard-online 21.08.05).

Im Namen des BZÖ forderte Haider darüber hinaus, als Voraussetzung für die Einbürgerung auch ein Bekenntnis zur politischen Kultur Österreichs und neben Strafdelikten auch Verwaltungsdelikte als Versagensgründe heranzuziehen. Auch der Wiederentzug der Staatsbürgerschaft sollte ermöglicht werden – etwa für Hassprediger (derStandard-online 24.08.05). Strache forderte für die FPÖ sogar die Hinaufsetzung der Frist für die Einbürgerung auf 15 Jahre, die Grünen die Verkürzung auf fünf Jahre und einen Übergang zum "jus soli" (derStandard-online 25.08.05).

Innenministerin Prokop stellte für den Seniorpartner der Wendekoalition allerdings klar, dass es sowohl bei der 10-Jahresfrist als auch beim "jus sanguinis" bleiben werde (derStandard-online 25.08.05).

Anfang September forderte dann Kanzler Schüssel angesichts neuer Rekordarbeitslosigkeit in rechtspopulistischer Manier strengere Regelungen für Zuzug und Familienzusammenführung[6]. In diesem Zusammenhang begrüßte er auch die geplante Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts (ORF On 04.09.05).

Bei der Regierungsklausur am 13. September erfolgte dann der definitive Schulterschluss der Regierung in Sachen Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrecht: Wer österreichischer Staatsbürger werden will, muss in Zukunft tatsächlich länger warten, bessere Sprachkenntnisse und seinen eigenen Unterhalt nachweisen können und darf nicht straffällig geworden sein. Für Flüchtlinge soll die Frist nicht schon mit der Antragstellung, sondern mit dem Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginnen (derStandard-online 13.09.05). Einer Studie des ÖAW-Experten R. Bauböck zufolge hält Österreich damit den zweifelhaften Rekord, eines der strengsten Staatsbürgerschaftsgesetze der EU zu besitzen (ORF On 20.09.05). Eine (ungeplante?) besonders inhumane Konsequenz der Neuregelung: Auch SchülerInnen ohne positiven Schulabschluss wird nach der beschlossenen Regelung die Staatsbürgerschaft vorenthalten, es sei denn, sie bestehen statt dessen den für alle StaatsbürgerschaftswerberInnen vorgesehenen Deutsch- und Staatsbürgerschaftstest.

In den letzten Woche der Begutachtungsfrist kritisierten auch die Rechtsanwaltskammer und selbst Sozialministerium und der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes den Primat der Sicherheitspolitik im Gesetzesentwurf und/oder machten menschen- und verfassungsrechtliche Bedenken gegen ihn geltend (derStandard-online 07.11.05). Ungeachtet dessen hielt Innenministerin Prokop im Wesentlichen an dem Entwurf fest; immerhin soll das Regulativ für Kinder im Pflichtschulalter entschärft (Schulbesuch im Volksschulalter, positive Deutsch-Note in der 5. – 9. Schulstufe) und auch die Notstandshilfe als Lebensgrundlage akzeptiert werden, die Frist für Flüchtlinge nicht erst ab Anerkennung sondern bereits ab Zulassung zum Asylverfahren zu laufen beginnen, und geringfügige Verwaltungsübertretungen keinen Ausschließungsgrund von der Staatsbürgerschaft mehr darstellen (derStandard-online 11.11.05). In dieser Form wurde die Gesetzesvorlage auch am 15. November 2005 im Ministerrat beschlossen (derStandard-online 15.11.05), am 6. Dezember mit Regierungsmehrheit auch im Nationalrat (derStandard-online 06.12.05).

Im März 2006 wurden dann die Fragen des vom Innenministerium in Zusammenarbeit mit den Bundesländern entwickelten Landeskundetests bekannt, der neben einer Sprachprüfung von den StaatsbürgerschaftswerberInnen zu absolvieren ist. Unter den 18 Multiple Choice-Fragen, von denen mindestens 9 richtig beantwortet werden müssen, befinden sich nicht nur – als Voraussetzung für die künftige Teilnahme am politischen System durchaus sinnvolle - Fragen zur Staatsbürgerkunde (z.B. zu Frauenwahlrecht, EU- und UNO-Mitgliedschaft Österreichs oder NR-Wahlen), sondern auch für die Erfüllung von Bürgerpflichten belanglose heimatkundliche Fragen wie die nach dem Namen Österreichs in seiner ersten urkundlichen Erwähnung oder nach dem Komponisten der Bundeshymne (derStandard-online 20.03.06).

Am 3. April 2006 wurde bekannt, dass das Innenministerium im definitiven Verordnungstext die Bedingungen für den im neuen Staatsbürgerschaftsrecht vorgesehenen Test gegenüber dem Entwurf noch verschärft hat: es muss nicht mehr nur insgesamt die Hälfte der Fragen, sondern in jedem der drei Testgebiete mehr als die Hälfte und insgesamt zwei Drittel der Fragen richtig beantwortet werden (derStandard-online 03.04.06)!

Durch eine legistische Spitzfindigkeit wurde dann auch die "Durchführungsverordnung zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz" auf Exklusion von AusländerInnen angelegt. Auf Grund dieser VO, die noch bis Ende 2005 von Ministerin Prokop unterzeichnet werden soll, soll zahlreichen AusländerInnen statt des "Daueraufenthalts EG", mit dem u.a. der Zugang zu Gemeindewohnungen, Pflegegeld und Sozialhilfe verbunden wäre, nur die "Niederlassungsbewilligung unbeschränkt" ausgestellt werden, die die entsprechenden sozialen Rechte nicht einschließt (Information des Wiener Beratungszentrums für MigrantInnen, vgl. der Standard-online 10.12.05).

Im Dezember dann zur Abwechslung wieder einmal ein Schlag gegen eine flüchtlingsfreundliche NGO: der Tiroler ARGE Schubhaft wurde nach achtjähriger Betreuungstätigkeit mit einem multiprofessionellen und multiethnischen Team trotz Empfehlung durch die ministerielle Fachabteilung der Betreuungsauftrag zugunsten des als Ministeriums-nah geltenden Vereins "Menschenrechte Österreich" entzogen (derStandard-online 19.12.05).

Im Februar 2006 hat die Flüchtlingshilfs-Organisation Asylkoordination darauf hingewiesen, dass durch das neue Fremdenrecht eine hunderte von mit ÖsterreicherInnen verheiratete Personen Gefahr laufen, in die Falle der Illegalität zu tappen: AsylwerberInnen, die eine Niederlassungsbewilligung beantragen wollten, wurde von der Fremdenpolizei mitgeteilt, dass sie vorher ihren Asylantrag zurückzuziehen hätten. Sie wurden aber nicht darüber aufgeklärt, dass sie mit dem Status der AsylwerberIn auch die Legalität ihres Aufenthalts preisgeben, und dass Anträge auf Niederlassungsbewilligung seit Jänner 2006 im Herkunftsland gestellt werden müssen. Das sei eine gezielte Desinformation und widerspreche überdies dem Grundsatz der Gleichbehandlung mit EWR-BürgerInnen (derStandard-online 07.02.06). Einem Gutachten von Verfassungsexperten der Salzburger Universität zufolge ist diese Regelung sogar verfassungswidrig: ÖsterreicherInnen und deren ausländische PartnerInnen würden gegenüber BürgerInnen anderer EU-Staaten diskriminiert, denn diese und ihre ausländischen PartnerInnen haben nach EU-Recht automatisch Aufenthaltsrecht in der gesamten EU - und damit auch in Österreich. (derStandard-online 16.05.06). Ende Mai hat dann das Innenministerium wenigstens für AusländerInnen, die bereits vor 2006 geheiratet und auf dieserBasis einen Antrag auf Aufenthaltsberechtigung gestellt haben, per Erlass einen Abschiebeschutz gewährt (derStandard-online 23.06.06).

Hilfsorganisationen und die Grünen haben auf eine andere Konsequenz des neuen Asylgesetzes hingewiesen: seit In Kraft-Treten habe die Zahl der Schubhäftlinge zugenommen, auch Minderjährige, wären davon betroffen, die psychologische Betreuung funktioniere nicht, ganze Familien würden durch Inhaftierung des Mannes getrennt und zur Ausreise gezwungen. Nach dem Dubliner Abkommen würden auch solche Personen in das EU-Land abgeschoben, das sie zuerst betreten haben, die traumatisiert oder krank sind. Die Grünen haben eine diesbezügliche parlamentarische Anfrage angekündigt (ORF On 29.01.06, 16.03.06). Tatsächlich hat auch laut BMI die Zahl der Asylwerber um 20 % abgenommen, die Zahl der Schubhäftlinge hingegen im ersten Quartal 2006 gegenüber den Vorjahr um 25 % zugenommen (derStandard-online 06.04.06, 13.04.05).

Auch im Menschenrechts-Bericht des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte wird der Regierung attestiert, das "bisher restriktivste Migrations- und Flüchtlingsrecht" geschaffen zu haben. Im Mittelpunkt der Kritik: die "Verpolizeilichung des Asylrechts" und die bedenkliche Ausweitung der Schubhaft (derStandard-online 20.04.06). Auch der Menschenrechtsbeirat hat sich angesichts der bestehenden Schubhaftbedingungen, unter dem Eindruck der jüngsten Misshandlungsvorwürfe gegen Polizisten und auf Grund der Nicht-Reaktion des Ministeriums auf Kritik an die Öffentlichkeit gewandt und von einer "tickenden Zeitbombe" und "inakzeptablen Zuständen" gesprochen (ORF On 11.05.06).

Amnesty International sprach anlässlich der Präsentation ihres Jahresberichtes 2006 angesichts der Verschlechterungen im Asyl und Fremdenrechts und der rechtlichen Folgenlosigkeit von Menschenrechtsübertretungen etwa im Fall Cheibani W. von einer "Entwicklung Österreichs vom Rechtsstaat zum Machtstaat" (ORF On 23.05.06).

Bereits Mitte Dezember 2005 startete Haider den nächsten propagandistischen Vorstoß in Richtung weiterer Verschärfung der "Fremdengesetze": Die ausländischen "Billigarbeitskräfte" seine Schuld an der Arbeitslosigkeit, es sei daher ein "Reformdialog" mit dem Ziel zu führen, AusländerInnen abzuschieben, die längere Zeit ohne Beschäftigung sind, und AusländerInnen, die "die Kultur des Gastgeberlandes nicht respektieren" in ihre Heimat zurückzuführen (ORF On 11.12.05). Koalitionspartner ÖVP hat tatsächlich postwendend Bereitschaft zur Beteiligung an einem solchen "Reformdialog" signalisiert. Er soll noch im ersten Quartal 2006 über die Bühne gehen …

Bereits im Vorfeld des "Reformdialogs haben die Regierungsparteien ihre Position bezogen: Innenministerin Prokop und auch VP-Clubobmann Molterer zeigten sich angesichts der Gesetzeslage skeptisch gegenüber der Abschiebung ausländischer Arbeitsloser, während BZÖ-Vizekanzler Gorbach und Haider meinten, dies sei auf Grund des neuen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes im Falle von SozialhilfeempfängerInnen durchaus möglich. In Kärnten unternahm Haider auch gleich den ersten Anlauf, um AusländerInnen in diese Lage zu bringen: er forderte die Klagenfurter Stadtwerke in ultimativer Weise zur "sofortigen Einstellung heimischer Arbeitskräfte" an Stelle der dort über eine Leihfirma beschäftigten "vom Arbeitsmarktservice subventionierten ausländischen Billigarbeitskräfte" auf (derStandard-online 22.12.05).      

In einer Pressekonferenz Mitte März 2006 präsentierte Haider das Forderungspaket des BZÖ für den am 2. Mai vorgesehenen "Reformdialog": er bekräftigte die Forderung nach Abschiebung von Langzeitarbeitslosen, fügte dem aber noch die Forderung nach einem Green Card System statt der quotierten Zuwanderung, nach eine Sprachprüfung vor dem Schuleintritt, einer Obergrenze von 25 – 30% für ausländische SchülerInnen und nach einer möglichst engen Interpretation der Genfer Flüchtlingskonvention hinzu (derStandard-online 20.03.06).

Für den Fall, dass die ÖVP nicht auf die BZÖ-Forderungen eingeht, kann sich Haider auch "ein neues Ausländer-Volksbegehren mit ganz konkreten Zuwanderungsfragen" vorstellen – und damit wie einst in alten und besseren FPÖ-Zeiten die Regierung "vor sich her zu treiben" und Stimmung für die bevorstehenden Wahlen zu machen (derStandard-online 22.03.06).

Am 1. Juni 2006 wurde dann im Ministerrat fünf "Diskussionskreise" zur Vorbereitung des "Integrationsdialoges" eingesetzt, und zwar zu den Themen Sicherheit- und Justiz, Familie, Bildung und Jugend, Arbeitsmarkt sowie Wohnsituation und Religion. Es wurden jeweils konkrete Zuständige benannt, beispielsweise der Kärntner LH Jörg Haider und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein für den Arbeitsmarkt oder Schüssel und Gorbach für den Bereich Religion (derStandard-online 01.06.06).

Mitte Mai 2006 ließ dann Innenministerin Prokop, offenkundig um Rechtfertigung ihrer restriktiven Migrationspolitik und um Profilierung als Hardlinerin im Vorwahlkampf bemüht, in Berufung auf eine noch nicht veröffentlichte Studie im Auftrag des Innenministeriums mit der Feststellung aufhorchen, dass 45 Prozent der Muslime in Österreich aus religiösen oder kulturellen Gründen "kein Interesse an Integration" hätten. Hier ticke eine "Zeitbombe". Es müsse aber "klar sein: wer sich nicht integrieren will, hat bei uns nichts zu suchen". Die Vermutung drängt sich auf, dass in dieser Studie "Integration" mit "Assimilation" verwechselt und der Versuch unternommen wurde, die Verantwortung für Integrationsprobleme den einseitig den MigrantInnen in die Schuhe zu schieben. Muslimische Glaubensgemeinschaft, MigrationsexpertInnen und Opposition haben dementsprechend kritisch reagiert (ORF On, der Standard-online 13.05.06ff.).

Die Vermutung bestätigte sich mit Bekannt Werden der Studie am 19. Mai 2006: dort war keine Rede von "integrationsunwilligen Muslimen". Im Gegenteil; im Gegenteil: der Mainstream werde "durch integrationsfreundliche Grundhaltungen repräsentiert". Es gäbe allerdings ein eher "niedriges Niveau" an Integration – ein friedliches, aber distanziertes und kontaktarmes Verhältnis zwischen Mehrheitsbevölkerung und MigrantInnen, wobei bei ca. 45 % der Moslems die Distanz zur Mehrheitsgesellschaft und bei ca. 40 % der InländerInnen die Distanz zu den Moslems "relativ groß" sei. Unter ungünstigen  wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen bestünde freilich die Gefahr, dass dieses distanzierte Verhältnis tatsächlich in Gegnerschaft kippt.

Prokops Fehler: sie hatte unzulässigerweise pauschal die 45 % Moslems als integrationsunwillig bezeichnet, die in der Studie als "traditionell-konservativ" und "religiös-konservativ" typisiert worden waren(derStandard-online, ORF On 19.05.06).

Im übrigen wurde von Seiten der wissenschaftlichen Migrationsforschung auf gravierende methodische Mängel der Studie hingewiesen: Auswahlverfahren und Fragestellungen und Methodik der Typenbildung sind bisher nicht veröffentlicht, die Aussagen der Studie seien daher gar nicht zu beurteilen; überdies sei unklar wie auf Grund von in Wien erhobenen Daten auf "die Moslems in Österreich" geschlossen werden könne. Polemische Replik des Ministeriumssprechers: Neidreaktionen angeblich wissenschaftlich nicht profilierter Personen (derStandard-online, ORF On 21.05.06ff.).
Ungeachtet dieser Kritik und unbeeindruckt davon, dass eine Studie des Instituts für Soziologie der Universität Wien den MigrantInnen eine große Bereitschaft zur Integration attestiert hatte, hat Kanzler Schüssel am 29. Mai abermals vom "mangelnden Integrationswillen" der Muslime gesprochen (derStandard-online 29.05.05).

Durch die fragwürdige Migrationsstudie des Innenministeriums fühlten sich die Freiheitlichen ermutigt, ihre bekannten fremdenfeindlichen und menschenrechtswidrigen Forderungen zu bekräftigen.

FP-Obmann Strache: Leute, die sich nicht integrieren wollten, hätten hier nichts verloren. "Solche Personen seien sofort abzuschieben, die Aufenthaltsgenehmigung sei ihnen unverzüglich zu entziehen". Die Rückführung habe dabei "selbstverständlich ohne finanzielle Unterstützung" zu erfolgen. Strache verlangte weiters eine Rückführung von ausländischen Langzeitarbeitslosen. "Bevor man diesen Gastarbeitslosen über ein zweites Jahr hinaus finanzielle Unterstützung zukommen lasse, solle man dieses Geld besser für deren Rückführung verwenden". Der Regierung warf Strache schließlich vor, mit der Familienzusammenführung "einen schweren Fehler" begangen zu haben. Dies habe die Situation nämlich extrem verschärft und die Kosten enorm ansteigen lassen. Deshalb sei die Familienzusammenführung "unverzüglich einstellen".

Das BZÖ störte bezeichnenderweise an diesen Plänen nicht die Rechtswidrigkeit, sondern Straches Ideen zu Ihrer Finanzierung: Bündnissprecher Scheuch: "Anreize ja, wie etwa der Ersatz der Reisespesen, aber sicher keine Luxus-Rückführhilfe a la Strache mit dem Geld der österreichischen Steuerzahler. Ein ‚Golden Handshake’ ist hier sicher der falsche Weg" (APA OTS 27.05.06, 28.05.06). Ansonsten stieß Neo-Obmann Westenthaler aber ins gleiche Horn: Abschiebung arbeitsloser Ausländer, Green Card-Gastarbeit statt Zuwanderung, Erschwerung des Familiennachzugs (derStandard-online 30.05.06).

Aber auch die SPÖ beteiligte sich mit Rücksicht auf die fremdenfeindlichen Teile ihres Elektorats und unter dem Druck der rechts-konservativen Konkurrenz am AusländerInnen-Bushing.

Im Entwurf für ein Grundversorgungsgesetz des oberösterreichischen Soziallandesrats Ackerl wird gerade das Mindestmaß der Versorgung der einschlägigen EU-Richtlinie realisiert: Das Land behält sich auch gegenüber nichtstaatlichen Betreuungseinrichtungen ein Weisungsrecht vor. Asylwerberinnen, die bei der Feststellung ihrer Identität nicht kooperieren oder "der Mitwirkungspflicht im Asylverfahren oder im fremdenpolizeilichen Verfahren nicht nachkommen", werden nochmals mit dem Entzug der Grundversorgung bedroht, obwohl dies bereits im Asylgesetz entsprechend normiert ist. Auch besteht nur ein Anspruch auf "medizinische Notversorgung" (derStandard-online 25.05.06).

Am 6. Mai prangerte dann SP-Bundesgeschäftsführe Darabos die "verheerende Bilanz" der Asylpolitik der Bundesregierung an: Stein des Anstosses war allerdings nicht deren menschenrechtlich bedenkliches Profil, sondern deren Grosszügigkeit: Österreich habe gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Asylanträge und eine der höchsten Anerkennungsquoten. Außerdem befänden sich mehr Menschen in Grundversorgung als je zuvor (ORF On 06.06.06). Der eigene Menschrechtssprecher Posch warf daraufhin der SPÖ eine "Anbiederung an Prokop" und eine "offen rassistische" Ausländerdebatte vor (derStandard-online 10.06.06).

Im Vorfeld der Nationalratswahlen im Herbst 2006 überboten sich dann freiheitliche rechtsextreme und freiheitliche Rechtspopulisten geradezu in Sachen feindselige AusländerInnenpolitik: Politik-Wiedereinsteiger Westenthaler bekräftigte anlässlich seiner Kür zum BZÖ-Obmann seine Forderung, die Zahl der Ausländer in Österreich in den kommenden drei Jahren um 30 % zu reduzieren, und anlässlich Straches Kür zum Spitzenkandidaten am Parteitag der FPÖ stand u.a. ein Leitantrag mit dem perfiden Motto "Sozialstaat statt Einwanderung" zur Abstimmung (derStandard-online 24.06.06), der selbstverständlich angenommen und dann im August 2006 auch tatsächlich als Wahlkampf-Slogan plakatiert wurde (derStandard-online 09.08.06). Ein anderer Plakat-Slogan "Sichere Pensionen statt Asylmillionen" zielt ebenfalls darauf ab, soziale Ängste mit Xenophobie zu verknüpfen. Auch die Idee einer eigenen Sozialversicherung zweiter Klasse für AusländerInnen wurde ventiliert.

Im Juli legte dann wiederum Westenthaler mit der Idee nach, die Schulen durch Einführung einer Meldezettelpflicht zum Aufspüren der von ihm mit 300.000 bezifferten illegalen AusländerInnen zu verwenden (derStandard-online 10.07.06). Im August stieß er dann mit der Forderung nach, Sozialleistungen für MigrantInnen von deren "Integrationswilligkeit" abhängig zu machen (derStandard-online 07.08.06). Und im ORF-Sommergespräch am 22. August 2006 sprach er sich dafür aus, illegale MigrantInnen kompromisslos abzuschieben, die Kann-Bestimmung, dass langzeitarbeitslose AusländerInnen abgeschoben werden können, in eine Mussbestimmung umzuwandeln, und Sozialleistungen an die Staatsbürgerschaft zu binden.

Am 24. September 2006, eine Woche vor der Wahl, resumierte dann wiederum FP-Strache sein agressives, dem BZOE um in Sachen Unmenschlichkeit nichts nachstehendes auslaenderpolitisches Programm in komprimierter Form:
"Ausweislose und Illegale (seinen) in jenes Land zurückzuführen seien, von dem aus der Grenzübertritt vorgenommen worden sei. Biometrische Erkennungsmaßnahmen bei Asylwerbern müssten EU-weit flächendeckend eingeführt und die dazugehörige Infrastruktur optimiert werden. Asylwerber hätten in gesonderten, abgelegenen Einrichtungen untergebracht, dort bis zum rechtskräftigen Abschluß ihres Asylverfahrens angehalten und mit dem Notwendigsten versorgt zu werden. Asylwerbern solle kein Arbeitsplatz zugewiesen werden, straffällige Asylwerber müßten sofort und ohne Berufungsmöglichkeit ausgewiesen werden. Weiters verlangt Strache die Aufhebung des Asylgrunds der "Traumatisierung" und die Ablehnung von Asylanträgen aus sicheren Drittländern. Außerdem sei die Gewährung von Entwicklungshilfe von der Zusammenarbeit der Staaten im Asylbereich abhängig zu machen. Überdies seien mit allen Herkunftsstaaten von Asylsuchenden Rückübernahmeabkommen abzuschließen.
Weitere Forderungen Straches: ein Einwanderungsstopp, ein eigenes Staatssekretariat, das sich mit der Rückführung von Ausländern befasse und eine generelle Visumpflicht für Nicht-EU-Ausländer (Ausnahmen: Schweizer und Norweger)" (APA OTS 24.09.06).

Auch die ÖVP blieb im beginnenden Vorwahlkampf  weiterhin am Ball. So machte sich Bildungssprecherin Brinek Anfang Juli 2007 für eine Zusammenfassung von Kindern von MigrantInnen ohne genügende Deutschkenntnisse in eigenen AusländerInnenklassen und für eine MigrantInnenquote in Schulklassen stark. Aus Rücksichtnahme auf den "Kulturschock" sollten dabei männliche Einwanderer der zweiten und dritten Generation vorzugsweise als Lehrer eingesetzt werden (dsr Standard-online 09.07.06).

Am 6. September 2006 sprach sich Innenministerin Prokop vor dem Hintergrund der juengsten Polizeiuebergriffe gegen den Schubhaeftling Bakary J. fuer den Einsatz privater Sicherheitsdienste bei der Abschiebung aus. Menscherechtsorganisationen, Gruene und KPOE haben umgehend dagegen gegen diesen Versuch einer Aushoehlung des staatlichen Gewaltmonopols protestiert (derStandard-online 06.09.06, 07.09.06).

Rassismus, Fremden- und Minderheitenfeindlichkeit:

Anfang Juli 2003 wurde klar, dass Österreich zu den 10 von 15 EU-Staaten zählen wird, die bei der bis 19. Juli umzusetzenden EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung ethnischer Gruppen säumig sind. So wird es hierzulande auch weiterhin kein Antidiskriminierungsgesetz und keine öffentliche Anlaufstelle für Diskriminierungsopfer geben (derStandard-online 08.07.03). Am 15 Juli hat dann Minister Bartenstein statt dessen immerhin den – als Umsetzung der EU-Richtlinie gedachten – Entwurf  eine  neuen Gleichbehandlungsgesetzes vorgelegt, das vor Diskriminierungen in der Arbeitswelt auf Grund von Geschlecht, Rasse, ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung schützen soll. Opposition und Menschenrechtsorganisationen bemängeln daran die bloß minimalistische Umsetzung der EU-Vorgaben, insbesondere das Fehlen eines Verbandsklagerechts, eine ungenügende Beweislasterleichterung, die Nicht-Vertretung der NGOs in den vorgesehenen Senaten der Gleichbehandlungskommission und die Tatsache, dass für Antidiskriminierungsarbeit kein Budget vorgesehen sei (derStandard-online 15.07.03). Kritisiert wurde auch der Umstand, dass allgemeine Diskriminierung (außerhalb der Arbeit) lediglich im Falle des Rassismus einem gesetzlichen Verbot unterliegt. Im den Verhandlungen wurde dann noch die Möglichkeit aufgenommen, Diskriminierungsopfer bei "Klagsverband" zu unterstützen, ansonsten wurde das Gesetz aber am 26. Mai 2004 ungeachtet der Kritik im Wesentlichen unverändert mit Regierungsmehrheit vom Nationalrat verabschiedet (derStandard-online 26.05.04).

Wie die NGO ZARA im Jänner 2006 dokumentiert hat, macht sich das Fehlen eines eigenen Anti-Diskriminierungsgesetzes in ungebrochenem Alltagsrassismus bemerkbar: In einer Stichprobe aus Inseraten in 10 Medien hat ZARA innerhalb von nur 14 Tagen 100 Inserate mit Zusätzen wie "nur Inländer" oder "keine Ausländer" gefunden – laut ZARA eine in Europa einzigartige Situation. Die Opposition hat umgehend mit der Forderung nach angemessenen Aktivitäten des Gesetzgebers reagiert (derStandard-online 26.01.06).

Mitte Juli 2003 ist der Afrikaner Cheibani Wague im Wiener Afrika-Dorf unter aufklärungsbedürftigen Umständen außer sich geraten und danach von Wiener Rettung und Polizei überwältigt, durch eine Spritze stillgestellt, durch auf ihm kniende und stehende PolizistInnen am Boden fixiert und in der Folge zu Tode gekommen. Dazu existiert ein die Einsatzkräfte belastendes Video, und entsprechende polizeiinterne und staatsanwaltliche Ermittlungen laufen, Innenminister Strasser hat seinen Beamten jedoch dessen ungeachtet "schulmäßiges Verhalten" attestiert und keinen Grund für deren vorläufige Suspendierung gesehen (derStandard-online 23.07.03). Am 24. Juli meldete sich dann die – für ihre rassistischen Ausfälle gegenüber SchwarzafrikanerInnen bereits bekannte - NR-Abgeordnete Partik-Pablé (FPÖ) zum diesem Fall zu Wort. Ihre von der rassistischen und fremdenfeindlichen Gleichung Afrikaner = Randalierer = Drogendealer und der gleichzeitigen Verharmlosung von Polizeigewalt geprägte Verbalattacke auf KritikerInnen des Behördeneinsatzes im O-Ton:

"Es ist mittlerweile so selbstverständlich wie das Amen im Gebet: Ein Afrikaner randaliert, muss mit Gewalt von öffentlicher Hand gebändigt werden, und sofort tritt die vereinigte Linke aus SPÖ und Grünen an, um die Exekutive und – im gegenständlichen Fall - auch die Sanitäter zu beschimpfen, anzuklagen und als angebliche Rassisten zu brandmarken."

Jeder, der Sachverhalte nicht nach ideologischen Vorlieben, sondern nach dem faktischen Ablauf beurteile, müsse wissen, dass es anders als mit Brachialgewalt gar nicht möglich sei, einen rabiaten und höchst gefährlichen Mann zu bändigen, führte Partik-Pablé weiter aus. "Egal was passiert, SPÖ und Grüne verdächtigen die Exekutive prinzipiell als Prügelpolizei. Damit wollen sie offenbar erreichen, dass überhaupt nicht mehr gegen Schwarzafrikaner vorgegangen wird." Damit würden sie dem Drogenhandel, der laut dem Sicherheitsbericht des Innenministeriums in Wien vorwiegend in der Hand von Schwarzafrikanern liege, einen hervorragenden Dienst erweisen (APA OTS 24.07.03).

Nach eingehenden Untersuchungen des Vorfalls (die übrigens von Seiten der Polizei durch kollektive Aussageverweigerung boykottiert worden waren) hat ein unabhängiger Verwaltungssenat im Jänner 2004 Art und Länge der Fixierung, die Anbringung von Fußfesseln und die Misshandlung und Beschimpfung des Mannes als rechtswidrig eingestuft. Durch die Fixierung mit auf dem Rücken gefesselten Armen sei W. "akut und konkret" in seinem Leben gefährdet worden. Für deren unmittelbare Notwendigkeit habe es keinen Anhaltspunkt gegeben. Dass der Festgenommene misshandelt und beschimpft worden sei, sei durch Zeugenaussagen glaubhaft belegt (derStandard-online 29.01.04).

In ihrer Reaktion auf diesen Spruch demonstrierte die FPÖ einmal mehr, wie sehr sie von menschenverachtender Fremdenfeindlichkeit besessen ist, und wie wenig sie von unabhängiger Rechtssprechung hält: Es handle sich hier um "ein ideologisch motiviertes Urteil durch ein Polittribunal", so der Obmann der Wiener FPÖ Kabas. Kein Wunder, "wenn nun Polizisten ... angesichts derartiger Entwicklungen in ein riesiges Motivationsloch fallen" und wenn "Dealer in unserer Stadt immer unverschämter und aggressiver auftreten ... und dabei die Drogenkriminalität explodiert" (APA-OTS 30.01.04).

Als dann im Jänner 2005 nach eineinhalb Jahren ein Strafantrag der Staatsanwalt gestellt wurde, wurde dieser vom Justizministerium mit der Begründung, dass ein Teil der Verdächtigen im Vorverfahren nicht befragt worden sei, abgelehnt – und damit eine weitere Verzögerung in Kauf genommen (ORF ON 01.02.05). Im April 2005 hat die Staatsanwaltschaft Wien dann doch einen Strafantrag gegen zehn beteiligte Personen – sechs Polizisten, drei Sanitäter und den Notarzt - wegen fahrlässiger Tötung eingebracht und damit der gerichtlichen Klärung des Vorfalls den Weg geebnet (derStandard-online 12.04.05). Ab 19. Juli 2005 müssen sich die zehn Angeklagten nun doch beim Wiener Landesgericht wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen verantworten (derStandard-online 08.06.05). Der Prozess, der mit wechselseitigen Schuldzuweisungen zwischen Polizei und Notarzt begann, wurde nach nur drei Verhandlungstagen zwecks Einholung weiterer Gutachten auf unbestimmte Zeit vertagt (ORF On 22.07.05).

Die Gutachten wiesen darauf hin, dass der Tod Wagues eindeutig auf die  Fixierung durch die beteiligte "Eingreiftruppe" zurückzuführen ist, dementsprechend gab es auch einen Schuldspruch – freilich nur für den Notarzt und einen Polizisten, die anderen Polizisten und die Sanitäter gingen frei (derStandard-online 09.11.05). Eine fragwürdige Verantwortungszurechnung, die seitens der Verteidigung mit einer Nichtigkeitsbeschwerde und seitens der Staatsanwaltschaft mit einer Berufung quittiert wurde. So wird das Verfahren in der zweiten Instanz vor dem OGH seine Fortsetzung finden (ORF On 10.11.05).

Nach bedauerlichen Auseinandersetzungen im chronisch überfüllten und von "European Homecare" mit minimalen Personalaufwand zum Billigtarif betreuten Flüchtlingslage Traiskirchen – aus nichtigem Anlass war es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen moldawischen und tschetschenischen Asylwerbern gekommen, in deren Verlauf es zu einem Totschlag gekommen war – hat der für das Flüchtlingswesen politisch verantwortliche Innenminister Strasser in zynischer und rassistischer Weise die ethnische "Natur" und die rückständige Kultur für diese Vorfälle verantwortlich gemacht. Die tschetschenischen Flüchtlinge, so Strasser, hätten " eine neue Qualität von Aggression nach Europa gebracht". Auch für sie gelte, "dass in Österreich persönliche Konflikte nicht mit der Eisenstange ausgetragen werden" (derStandard-online 11.08.03, 12.08.03).

Naturgemäß ließ sich auch die FPÖ diese Gelegenheit zur fremdenfeindlichen Scharfmacherei nicht entgehen So sprach sich etwa die Nationalratsabgeordnete Rosenkranz, Gastgeberin der Sonnwendfeier 2002, bei der FP-Volksanwalt Stadler seine berüchtigte "Feuerrede" gehalten hatte, für "die Einrichtung von Auffanglagern bereits an der Grenze" sowie …schnellere Asylverfahren und eine Vorentscheidung bereits an der Grenze" aus. Weiters schlug sie vor, "… dass - genauso wie etwa beim Bundesheer - der Betrieb nicht vorwiegend durch externe Kräfte erfolge, sondern die Bewohner zur Mitarbeit ermuntert würden" – ein in euphemistischer Sprache verstecktes Plädoyer für die Umwandlung der Flüchtlingslager in Arbeitslager (APA OTS 14.08.03).

Als sich der Menschenrechtsbeirat im August um eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle bemühte, wurde seitens des Innenministeriums der Versuch unternommen, dies durch Verweigerung der Akteneinsicht zu behindern. Die zuständige Untersuchungsrichterin gewährte allerdings dessen ungeachtet dem Beiratsvorsitzenden die Einsicht in die Akten. (derStandard-online 27.08.03).

Als im Februar 2004 der Grazer ÖVP-Bürgermeister Nagl in einer Petition an die Bundesregierung die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-BürgerInnen anregte (im Gegensatz zur Wiener ÖVP, die  bekanntlich wegen desselben Vorhabens der SPÖ den Verfassungsgerichtshof angerufen hatte, erklangen postwendend die bekannten schrillen fremdenfeindlichen Töne aus dem Generalsekretariat der Bundes-FPÖ:

Nagl könne seine Petition an die Bundesregierung vergessen, denn mit den Freiheitlichen in der Regierung werde es sicherlich keine bundesrechtliche Änderung des kommunalen Wahlrechtes geben. Wahlrecht und Staatsbürgerschaft als "wichtige Güter unserer Gesellschaft" dürften nicht "an billiges Stimmvieh" aus dem Ausland "verschleudert werden" (APA OTS 10.02.04, derStandard-online 10.02.04). Eine Woche später legte Bleckmann noch mächtig nach: "Wehret den Anfängen", mahnte Sie, nach dem Wiener Modell und den Grazer Plänen könne "… ein afrikanischer Drogendealer, der nur fünf Jahre bei der Caritas gemeldet ist, … wählen und sich der Wahl stellen". Die Türken hätten ja schon "zweimal Wien belagert", aber nun "haben sie den Fuß in der Tür" (derStandard-online 16.02.04).

Am 16. Februar startete dann Johann Gudenus, der Vorsitzende des Ringes der freiheitlichen Jugend, eine aggressiven mit den üblichen fremdenfeindlichen Klischees und Vorurteilen gespickte Attacke gegen Caritas-Präsidenten Küberl und dessen Klientel der Asylwerberinnen:

In Anbetracht der tristen Situation am Arbeitsmarkt, der Rentenkürzungen, der durch Asylanten mitverursachten Massenkriminalität und der zunehmenden Armut in den unteren sozialen Schichten der österreichischen Bevölkerung, falle Küberl andauernd dadurch negativ auf, dass er es wage, diejenigen, die mit ihrem schwerverdienten Geld tausende von Scheinasylanten finanzieren, auch noch zu verunglimpfen. … Es frage sich, … wo eigentlich sein christliches Mitleid mit jenen bleibt, die etwa Opfer von Schwarzafrikanischen Drogenhändlern oder sonstigen Kriminellen werden. Man muss ganz offen sagen, die Geduld der Bevölkerung hat ein Ende, das Boot ist voll, und Flüchtlinge aus moslemischen Staaten könnten ja etwa in Saudi-Arabien Asyl beantragen. …Im alten Rom wurden diejenigen, die sich am Volkswohl versündigten, verbannt. Schade dass es diesen alten Brauch nicht mehr gibt … (APO OTS 16.02.04)

Bezeichnend auch der Grund, warum die Koalition lange Zeit über das bundesweite Tierschutzgesetz kein Einvernehmen erzielen konnte: Für die FPÖ verträgt sich nämlich das im Judentum und im Islam übliche Schächten nicht mit dem Tierschutz, den sie obendrein als Staatsziel in der Verfassung verankern möchte, während die ÖVP dafür hält, dass das Schächten im Hinblick auf die verfassungsmäßig verankerte Religionsfreiheit gar nicht verboten werden kann (News Networld 23.02.04). Es handelt sich hier offenbar um einen Stellvertreterkonflikt, hinter dem sich in Wahrheit eine Auseinandersetzung zwischen Xenophobie und Toleranz verbirgt. Eine Kompromissvariante, die Frage des Tierschutzes als Staatsziel dem Verfassungskonvent überlässt und die zwar das Töten von Tieren ohne Betäubung verbietet, es jedoch der GesundheitsministerIn überlässt, die Schlachtmethoden per Verordnung zu regeln und damit auch das Schächten zuzulassen, hat am 16. März 2004 dann doch den Ministerrat passiert. Indes beharrt die FPÖ auch um den Preis der Einschränkung des Grundrechts auf Religionsfreiheit auf dem Schächtverbot, während umgekehrt die betroffenen Religionsgemeinschaften den Vorrang der Religionsfreiheit vor dem Tierschutz fordern (derStandard-online 16.03.04, 17.03.04).

Im "ORF-Report" am 20 April, kurz vor dem Termin der Osterweiterung, hat sich der Obmann der Wiener FPÖ und Mitglied des FPÖ-Bundesparteivorstands Strache unter ParteifreundInnen mit fremdenfeindlichen Witzen für Stimmung gesorgt und folgendes gesagt: "Und ihr wisst, was die Maul- und Klauenseuche ist. Wenn osteuropäische Arbeiter im Westen arbeiten müssen, dann maulen sie und wenn sie nicht arbeiten können, dann klauen sie".Die bei der extremen Rechten beliebten Sonnwendfeiern bildeten dann im Juni 2004 die Kulisse für eine fremdenfeindliche Brandrede des frischgebackenen FPÖ-Ideologen und Europaabgeordneten Andreas Mölzer gegen einen EU Beitritt der Türkei: Die niederösterreichische FPÖ-Obfrau Barbara Rosenkranz hatte am 18. Juni wieder nach Seebarn eingeladen, und Mölzer hielt die "Feuerrede". Er agitierte gegen "ein islamisches Europa, in dem schrankenlose Zuwanderung aus einem Land wie die Türkei kommt, einem Land, in dem 60 Prozent der Menschen unter 20 Jahre alt sind". Aus einem EU-Mitgliedsland Türkei würden laut Mölzer "Hunderttausende, wenn nicht Millionen zwangsläufig zu uns" kommen. Dadurch würden "unsere Identität, unser gewachsenes Volkstum, unsere Heimat" gefährdet (DÖW 08.07.04).

Anfang Jänner 2005 hat die Beratungsstelle für Opfer und Zeugen von Rassismus ZARA bekannt gegeben, dass sie mangels Subventionen ihren Beratungs- und Dokumentationsbetrieb nicht aufrecht halten könne. Die von der Stadt Wien zur Verfügung stehenden Mittel reichen dafür nicht aus, und "von Seiten des Bundes erhält sie ZARA-Beratungsstelle seit der Gründung im Jahr 1999 nur Absagen" (Vereins-Obmann Schindlauer) (derStandard-online 24.01.05).

Den nächste fremdenfeindliche Verbalexzess aus der Riege der FPÖ leistete sich wieder der H.C. Strache anlässlich eines politischen Frühschoppens am Wiener Messegelände, in Form eines Beitrags zur aktuellen Asyldebatte. Um kriminell gewordene Asylwerberinnen leichter abschieben zu können, sollte man "… ein Herkules-Flugzeug des Bundesheeres umrüsten", wo es dann "… nichts ausmachen (würde), wenn einer sich anmacht oder brüllt" (derStandard-online 30.01.05).

Nächster fremdenfeindlicher Ausritt des profilierten "(rechts-)extremen Elements" der FPÖ H.-C. Strache: der Vorschlag, Kindern illegaler Ausländern in Wien den Schulbesuch zu verweigern ("Illegale haben in öffentlichen Schulen nichts verloren", vgl. APA OTS 24.02.05), ein Vorschlag der allerdings nicht nur von SP und Grünen, sondern auch von Innenministerin Prokop mit dem Hinweis auf die in Österreich bestehende allgemeine Schulpflicht zurückgewiesen (derStandard-online 03.03.05).

Am 28. Februar machte Strache dann Stimmung gegen eine bevorstehende Ausstellung über die Kulturinitiative türkischer MigrantInnen "KanakAttack" in der Kunsthalle Wien: Seine ganz dem Geist des neurechten so genannten "Ethnopluralismus" entsprechende und obendrein gegen die Freiheit der Kunst gerichtete Kampfparole dazu: "Wien darf nicht Istanbul werden … So wie Istanbul … seine kulturelle Identität behalten soll, soll auch Wien seine Identität behalten" (APA OTS 20.02.05).

Seit Dezember 2005 sammelte dann eine von der immer-noch-Regierungspartei FPÖ initiierte bundesweite Plattform Unterschriften "gegen Asyl- und Sozialmissbrauch". Mit zum Teil rechtswidrigen Forderungen wie: "Ausweisung aller Asylwerber, die aus einem sicheren Herkunftsland (z.B. Serbien, Russland, Türkei) kommen" oder: "keine Notstands- und Sozialhilfe für Ausländer" soll das Thema "von der Polemik weg auf eine sachliche Ebene geführt", eine Petition an den Nationalrat vorbereitet und im Rahmen einer "Bürgerstandl"-Kampagne im Mai/Juni 2006 Stimmung im Vorfeld der  Nationalratswahlen im folgenden Herbst gemacht werden (ORF On 02.12.05).Im März 2006 versicherte der Obmann des steirischen BZÖ, Gerald Grosz, in Reaktion auf demoskopischen Befunde, wonach die Partei "unter die statistische Wahrnehmungsgrenze gefallen" sei, in ebenso rassistischer wie fehlerhaftem Deutsch, das BZÖ lasse sich "durch scheinbar getürkte Umfragen nicht totschreiben" (APA OTS 18.03.06).Apropos Türkenfeindlichkeit: Als Jörg Haider (BZÖ) im März 2006 eine Verschärfung der Fremdengesetze forderte und – ganz der Alte - die Möglichkeiten eines neuen Anti-Ausländervolksbegehrens in den Raum stellte und in diesem Zusammenhang Strache (FPÖ) attackierte und behauptete, Strache könnte "dieses Thema überhaupt nicht besetzen" und würde "nur mit Anti-Ausländer-Parolen agieren", fand FPÖ-Generalsekretär Vilimsky als Erwiderung, auf die für RassistInnen unerhörte Tatsache anspielend, dass Haider noch vor einem Jahr für die Aufnahme der Türkei in die EU eingetreten war, die folgenden offenbar als Beleidigung gemeinten Worte: Der "Ehrentürke" Haider, der "selbst in Kärnten mittlerweile nur noch abschätzig und witzelnd als 'Türken-Jörg' bezeichnet wird, macht sich einmal mehr zur obersten Lachnummer Österreichs, wenn er mit seinem Orangenverein ein Volksbegehren zum Thema Ausländer/Zuwanderung ankündigt" (derStandard-online 22.03.06) – Szenen eines Familienwettstreits unter dem Motto "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der größte Rassist im Land".Es ist vor diesem Hintergrund wohl kein Zufall, dass am 11. September vor dem Buero der muslimischen Jugend Oesterreichs ein verdaechtiges Paket mit Gaskatuschen und Kabeln und versehen mit der auf einen rechtsextremen Hintergrund verweisenden Aufschrift "4. Juli 1926", der Tag des ersten Reichsparteitags der NSDAP, aufgefunden wurde (derStandard-online 11.09.06).Bisweilen gibt die Fremdenfeindlichkeit der Freiheitlichen in ihrer Verbortheit aber auch Anlass zur Erheiterung: Als eine Kuenstlergruppe Westenthaler gleichsam als Koeder einen fingierten Brief der SPOE an den Alpenverein zuspielte, demzufolge die Kreuze auf Oesterreichs Bergen "Herrschaftszeichen des Christentums seien", die durch Halbmonde ersetzt werden sollten, fiel  jener promt darauf rein und lief in seiner TV-Konfrontation mit Gusenbauer empoert dagegen Sturm (derStandard-online 08.09.06).

Im April 2006 kam es dann zu einem Fall eines Behördenübergriffs, der den Fall Cheibani Wague in gewisser Weise noch in den Schatten stellte:

Diesmal sollte Bakary J., ein mit einer Österreicherin verheirateter Asylwerber afrikanischer Herkunft, der während des Asylverfahrens straffällig geworden war und sich bereits in Schubhaft befunden hatte, abgeschoben werden. Der Abschiebeversuch scheiterte, und der Mann wurde daraufhin von den drei mit der Durchführung der Abschiebung beauftragten Beamten in eine als Trainingsraum der Polizeieinheit WEGA benutzte Lagerhalle verschleppt. Dort musste sich der Schubhäftling seinen eigenen Angaben bei der Staatsanwaltschaft zufolge "auf den Boden hocken und ist insofern bedroht worden, als man mit dem Auto auf ihn losgefahren ist. Er wurde auch niedergestoßen und ist geschlagen worden". Es scheint sich hier also nicht um einen fatalen Fehler bei einer Amtshandlung zu handeln, sondern um vorsätzliches Quälen.

Danach fuhren die Polizisten mit dem verletzten J. ins AKH und gaben dort an, die Verletzung sei bei einem Fluchtversuch entstanden. Die Ärztin vermerkte das als "Unfallhergang" und ließ J. eine Halskrause anlegen, überging aber die blutunterlaufene Augenverletzung. Am Weg zurück zur Polizei rissen die Beamten den Angaben J.s zufolge die Halskrause wieder herunter.

Die Ehefrau des Schubhäftlings erstattete daraufhin die Anzeige, immerhin wurden dann seitens der Behörde die Beamten umgehend vom Dienst suspendiert, Disziplinaranzeige erstattet und der Menschenrechtsbeirat informiert. Erste Ermittlungen haben den Misshandlungsverdacht bestätigt.

Obwohl er über anhaltende Sehstörungen klagt, ist bei J. auch in den folgenden vier Tagen keine Untersuchung des Auges erfolgt, und auch im amtsärztlichen medizinischen Gutachten scheint die Augenverletzung nicht auf. (ORF On 13.04.06, Profil 24.04.06).         

Bemerkenswert auch der Umstand, dass die Polizisten und ihr mutmaßliches Opfer ursprünglich von Anwälten derselben Kanzlei vertreten werden sollten. Nach Intervention der Rechtsanwaltskammer mussten sich jedoch beide Parteien neue Rechtsvertreter suchen (ORF On 24.04.05, derStandard-online 27.04.05).

Mittlerweilen läuft die gerichtliche Voruntersuchung. Von Seiten AI-Österreich wird kritisiert, dass Bakary währenddessen weiter sozusagen auf Abruf in Schubhaft gehalten wird (derStandard 24.05.06).

Am 1. Juni wurde dann ein von der Staatsanaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten bekannt, das Bakary schwere Verletzungen, und zwar eine umfangreiche Fraktur von Jochbein, Kiefer und Augenhöhle, attestierte (ORF On 01.06.06). Tatsächlich hat sich die Staatsanwaltschaft zur Anklage entschieden, und Mitte Juli wurde den vier verdächtigten Polizisten der Strafantrag zugestellt (ORF On 21.07.06). Ein weiteres Gutachten attestierte Bakary eine "posttraumatische  Belastungsstörung (ORF On 29.08.06).

Mittlerweilen hat der Verwaltungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Beschwerde der Verteidigung auch die Schubhaft Bakarys aufgehoben (derStandard-online 09.08.06).

Beim Prozess am 30. August 2006 bekannten sich die vier Polizisten überraschend schuldig. Sie hätten über den renitenten Schubhäftling einfach ihren  "Frust rauslassen" wollen (ORF On 30.08.06). Das Gericht kam daher zu einem Schuldspruch, das Urteil fiel dann allerdings mit acht Monaten bedingter Haft hoechst milde aus (derStandard-online 01.09.06).

Mitte Mai 2006 wurde bekannt, dass die FPÖ Bruck an der Mur in einem ihrer Schaukästen folgende rassistische "Umdichtung" einer Strophe der österreichischen Bundeshymne ausgehängt hat: "Land der Türken und Araber, Land der Slawen und auch Neger, Land der Moslems, fundamentalistenreich, Heimat hast Du wenig Kinder, brauchst daher auch noch die Inder, multikulturelles Österreich". Die sozialistische Jugend hat mittlerweile eine Strafanzeige dagegen eingebracht (derStandard-online 11.05.06).

Auch die Minderheiten bleiben das Objekt der Diskriminierung und feindseliger Attacken.

Dabei ist einerseits auf die weitere Säumigkeit des Haider-Landes Kärnten und der Bundespolitik bei der Umsetzung des VFGH-Urteils in der Frage der zweisprachigen Ortstafeln in Gemeinden mit slowenischer Minderheitsbevölkerung  (vgl. oben, S. 126) hinzuweisen.

Als NR-Präsident Khol in einem Interview mit der Slowenischen Zeitung Delo auf diese Säumigkeit angesprochen wurde, spielte er einerseits die Causa als "lediglich von symbolischer Bedeutung" herunter, und verweigerte andererseits in schroffer Weise offizielle Gespräche mit Slowenien auf Basis des Staatsvertrages – mit der problematischen Begründung, dass Slowenien, das nach seiner Unabhängigkeitserklärung sämtliche völkerrechtlichen Verträge Jugoslawiens anerkannt hat, nicht Rechtsnachfolger Jugoslawiens in dieser Causa sei (derStandard-online 10.02.05). 

Immerhin hat Kanzler Schüssel nunmehr für den 13. März 2005 zu einer weiteren "Konsenskonferenz" eingeladen (derStandard-online 04.03.05). LH Jörg Haider jedoch, an keiner Lösung im Sinne der VFGH-Urteils interessiert und entschlossen, seinem politischen Intimfeind Schüssel keine Chance für eine erfolgreiche Verhandlungslösung zu eröffnen, ließ diese Konferenz jedoch noch am selben Tag durch seine Verweigerung der Teilnahme platzen – unter dem Vorwand, die Slowenenorganisationen seinen wortbrüchig geworden: sie hätten sich in Klagenfurt zuerst zu Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit erklärt, aber dann Kanzler Schüssel trotzdem in einem offenen Brief Lösungsvorschläge unterbreitet (ORF-ON 04.03.05). Am 6. März hat dann die Kärntner FPÖ die Konsenskonferenz ausdrücklich für gescheitert erklärt; man sei jedoch zu "unverbindlichen Gesprächen" mit dem Kanzler bereit (APA OTS 06.03.05).

Dieses Gespräch hat dann – im übrigen doch mit J. Haider – tatsächlich stattgefunden und sogar einige Fortschritte gebracht: Die Ortstafel-Verordnung aus dem Jahr 1977, die mehr Orttafeln vorsah, als tatsächlich aufgestellt wurden, steht zwischen allen Beteiligten ebenso außer Streit, wie der Umsetzungsbedarf des nun schon mehr als drei Jahre alten VFGH-Spruchs. Ein runder Tisch soll unter Einbeziehung des VFGH-Präsidenten Korinek[7] die Umsetzung des VFGH-Urteils beraten. Für Ende April 2005 wurde eine weitere Konferenz in Wien vereinbart (derStandard-online 13.03.05).

Danach aber gleich wieder das Torpedo aus Kärnten: Die beiden Chefs der Kärntner Spargelkoalition erklärten, dass die Zeit keineswegs dränge: entscheidend sei "der Konsens und nicht der Termin" (Ambrozy), und überhaupt gäbe es "wichtigere Dinge als Ortstafeln" (Haider), und im übrigen sollte man die "Störenfriede" aus dem Rat der Kärntner Slowenen, die mit weiteren Selbstanzeigen den VFGH zur neuerlichen Beschäftigung mit der Nichterfüllung des Staatsvertrages zwingen wollten, "zur Verantwortung ziehen". Der Rat der Kärntner Slowenen wiederum wiederholte daraufhin seine Kritik am Konsensprinzip in der Minderheitenfrage, wies darauf hin, dass Haider seit Jahren Verfassungsbruch betreibe und daher reif für eine Amtsenthebung sei, und forderte Kanzler Schüssel zum Durchgreifen auf, widrigenfalls "geeignete Schritte aus europäischer und internationaler Ebene" eingeleitet würden (derStandard-online 15.03.05, 16.03.05).

Die nächste "Konsenskonferenz" am 29. April brachte dementsprechend wiederum keinen Durchbruch. Zwar wurde als "Zwischenergebnis" (Schüssel) die Aufstellung von 20 weiteren Ortstafeln beschlossen – damit aber gerade nur das Minimum erreicht, das bereits nach der vom VFGH im Jahr 2001 aufgehobenen Topographieverordnung 1977 zu erreichen gewesen wäre. Es gab zwar einen vom Historiker Stefan Karner im Auftrag des Bundeskanzlers erarbeiteter Stufenplan, demzufolge bis 2008 weitere 30 und in den Folgejahren weitere 36 zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden sollen, und die Slowenen am Ende des Prozesses im Gegenzug eine "Streitbeilegungserklärung" abgeben sollen. Dieser Stufenplan fand jedoch weder beim Kärntner Abwehrkämpferbund, noch beim Rat der Kärntner Slowenen Zustimmung, und ohne Konsens gibt es in einer Konsenskonferenz per definitionem keine Lösung (ORF On 29.04.05, 30.04.05). Am 2. Mai bezeichnete der - erst kürzlich von Kanzler Schüssel zum "konstruktiven Partner" erklärte - Kärntner LH Haider den Stufenplan Karners dann auch noch selbst als "nicht verfassungskonform" und forderte eine nochmalige Erhebung der Muttersprache im Rahmen einer "Volkszählung der besonderen Art" als Voraussetzung für die Aufstellung weiterer Ortstafeln (derStandard-online 02.05.04).

Am 2. Mai 2005 hat dann Bundespräsident Fischer bei einer Festveranstaltung zum Jubiläumsjahr in Kärnten den notwendigen Respekt vor der slowenischen Minderheit und die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag eingemahnt (derStandard-online 03.05.04). Ungeachtet dessen hat LH Haider dann am 5. Mai in dreister Weise – schließlich fungiert der Bundeskanzler und nicht er als Gastgeber – die Verschiebung der für den 6. Mai anberaumten nächsten Verhandlungsrunde der Konsenskonferenz auf den Herbst bekannt gegeben. Vor weiteren Verhandlungen müsse in Veranstaltungen, bei denen "von den Heimatorganisationen wie dem Kärntner Heimatdienst und dem Abwehrkämpferbund bis hin zu den Slowenenorganisationen, aber auch die RepräsentantInnen der drei politischen Regierungsparteien am Tisch sitzen werden", das Einvernehmen vor Ort hergestellt  werden (ORF On 05.05.05)

Damit war nicht nur klar, dass es die angestrebte rechtzeitige Lösung zum Republik- und Staatsvertragsjubiläum nicht geben wird; es zeichnet sich auch immer deutlicher ab, was KritikerInnen des Prinzips der Konsenskonferenz von Anfang an befürchtet hatten: es kann keinen verfassungskonformen Zustand und kein Recht für die slowenische Minderheit geben, solange man die diesbezügliche Gesetzgebung von der Zustimmung militanter Vertreter der Mehrheitsbevölkerung und deren deutsch-nationalem Sachwalter Haider abhängig macht.

Kärnten scheint freilich wirklich eigentümlich, und zwar deutsch-volkstümlich, zu sein: Der Festsakt anlässlich der Aufstellung der bereits seit 1977 fälligen Ortstafeln musste in der Gemeinde Neuhaus abgesagt werden: es gebe "zu viel aufgestaute Emotionen und ein "relativ großes Konfliktpotentials" (Sprecher des LH Haider) … (derStandard-online 11.05.05), und bereits am Tag nach der Aufstellung gab es beschädigte und mit Farbe übersprühte Tafeln (derStandard-online 13.05.05). Und nachdem der Kärntner Abwehrkämpferbund mit Störaktionen bei den geplanten Informationsveranstaltungen auf Gemeindeebene gedroht hatte, wurden auch diese im Juni kurzfristig abgesagt.

Damit war der konsensuelle Weg endgültig verbaut, und Haider forderte nun gemeinsam mit Ambrozy Gespräche mit Schüssel über ein Verfassungsgesetz in der Ortstafelfrage als Garantie dafür, dass die Neufassung des Volksgruppengesetzes nicht wieder von Einzelnen angefochten werden könne. Heimatverbände und Slowenenorganisationen sollen an diesem Gespräch nicht teilnehmen. Wenn es nach den Vorstellungen von Haider geht, soll der Gesetzgeber dabei die Entscheidung des VFGH-Entscheids von 2001 aushebeln und die – im Mai 2005 erreichte, von VFGH jedoch als zu gering erachtete – Zahl der Ortstafeln gemäß Topographieverordnung 1977 unwiderruflich festschreiben (derStandard-online 10.06.05, ORF On  11.06.05). Das Gespräch zwischen Ambrozy, Haider einerseits und Schüssel andererseits kam am 21. Juni tatsächlich zustande, blieb jedoch ergebnislos, da  erstere auf einer Verfassungsbestimmung und letzterer auf einer Lösung auf Landesebene beharrte (derStandard-online 21.06.05).

Anlässlich der Feierstunde des Kärntner Landtags zur Volksabstimmung von 1920 verbat sich LH Haider am 10 Oktober 2005 neuerlich eine Ortstafeldiskussion – "in der Demokratie gilt der Wille des Volkes", und Kanzler Schüssel stellte sich zum Dank dafür mit einer mit Lob – Kärnten sei europaweit ein "leuchtendes Beispiel" für die Lösung von Volksgruppenfragen – und einer Abstimmungsspende von 2 Mio. Euro ein (derStandard-online 10.10.05).

Mitte Oktober 2005 riss dann dem Rat der Kärntner Slowenen der Geduldsfaden: dem VFGH wurde eine Beschwerde wegen "Verweigerung der symbolischen Integration" zugeleitet, und gleichzeitig die Drohung in den Raum gestellt, den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit der Causa zu befassen (derStandard-online 18.10.05).

Anfang November 2005 erhob der grüne Abgeordnete Pilz die Forderung nach einem Verbot des Kärntner Abwehrkämpferbundes wegen dessen beharrlicher Blockade einer verfassungskonformen Lösung des Ortstafelstreits in der so genannten "Konsenskonferenz". Prompt darauf erfolgte unisono die empörte Reaktion der in BZÖ und FPÖ gespaltenen Freiheitlichen: Die Grünen seinen "Gesinnungsterroristen" (Klement, FPÖ) mit "mangelndem Demokratieverständnis" (Scheuch, BZÖ) (ORF On 08.11.05, derStandard-online 08.11.05).

Doch der Gegenschlag in Form eines "symbolischer Ortstafelsturms" durch LH Haider folgte auf dem Fuße: Als übergeordnete Behörde hob er die Verordnung der Bezirksbehörde im Gemeindegebiet von Eisenkappl zwei neue zweisprachige Ortstafeln aufzustellen, als "überflüssig" auf (ORF On 09.11.05).

In einer Pressestunde im November 2005 ließ dann VFGH-Präsident Korinek angesichts der verfassungswidrigen Blockadepolitik keinen Zweifel an der Pflicht des Landes zu handeln: "Zuständig für die Aufstellung der doppelsprachigen Ortstafeln und politisch verantwortlich ist die Landesregierung und nicht der Landeshauptmann". Korinek wies auch darauf hin, dass das Prinzip Konsens in dieser durch das VFG bereits entschiedenen Minderheitenrechtsfrage fehl am Platz ist. "Ich halte sehr viel von der Notwendigkeit, politische Konsense zu finden, aber dort wo es eine Rechtspflicht gibt, hat man diese auch zu erfüllen". Der Verfassungsgerichtshof habe entschieden, dass in Ortschaften mit zehn Prozent slowenischsprachiger Bevölkerung zweisprachige Tafeln aufzustellen sind. Und diese Klausel sei bindend (ORF On 20.11.05). Haiders Antworten: die schroffe Aufforderung an Präsident Korinek, er möge seine Aussagen "korrigieren", denn nicht das Land, sondern der Bund sei zuständig, und die abermalige Ankündigung, dem Bund "Lösungsvorschläge im Konsens" zu unterbreiten. Und Kanzler Schüssel sprang ihm zur Seite: es habe keinen Sinn "irgendetwas zu verordnen", wenn im Vorfeld kein Konsens bestehe (derStandard-online 21.11.05). In der Folge trieb Jörg Haider den beschämenden Streit um die Zuständigkeit in einer fast schon grotesken  Weise auf die Spitze. Als der ehemalige VFGH-Präsident und Berater des Bundespräsidenten die Meinung äußerte, Bund und Land wären hier in der Pflicht, behauptete Haider postwendend, der Bundespräsident sei am Zug (ORF On 23.11.05). Der HBP wiederum hat seinerseits einmal mehr Bund und Land zum Handeln gemahnt. Die Grünen haben angesichts dieser Groteske endgültig die Geduld verloren und einen Antrag auf Erhebung einer Ministeranklage gegen Jörg Haider mit Fristsetzung bis Ende des Jahres im Parlament eingebracht, der jedoch von den Parlamentariern aller allen anderen Parteien mit Ausnahme der Kärntner SP-Abgeordneten Melitta Trunk angelehnt wurde.

In der Folge beharrte Haider weiterhin auf dem fragwürdigen Konsensprinzip und lud zu weiteren Gesprächen auf Landesebene ein, an denen Vertreter aus zehn zweisprachigen Gemeinden, Vertreter der Regierungsparteien, der Kirchen und des Volksgruppenbüros des Landes teilnehmen sollen. Diesmal nicht eingeladen: der Kärntner Heimatdienst und der Abwehrkämpferbund, aber auch diejenigen, um deren Minderheiterecht es eigentlich geht: die Slowenenverbände sowie die Grünen. Nach den Vorstellungen Haiders soll es auf Bundesebene erst dann weitergehen, wenn es dort eine Einigung gibt (derStandard-online 29.11.05).

Als im Dezember 2005 bekannt wurde, dass die Kärntner Minderheitenpolitik im Rahmen einer Studie des 6. Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung über Bürgerkriegsregionen wie Nordirland, dem Baskenland, Korsika, Zypern oder dem Kosovo bereits auf EU-Ebene untersucht wird, brach in BZÖ-Kreisen helle Empörung aus. Haider witterte dahinter Machenschaften der "linken Jagdgesellschaft in Europa" und verlangte in völliger Verkennung der Autonomie der Wissenschaft von Außenministerin Plassnik, "bei der EU-Kommission gegen diese Vorgangsweise Protest einzulegen", und für Scheuch war das ganze nur eine "bodenlose Frechheit" (ORF On 07.12.05).

Anfang Dezember 2005 verlagerte sich das Drama in einer weiteren Episode einmal mehr auf die Medienbühne: Eine Dokumentation über die im Staatsvertrag festgelegten Minderheitenrechte und den Kärntner Ortstafelsturm mit dem Titel "Artikel 7 – Unser Recht" wurde am 4. Dezember vom ORF kurzfristig vom Programm abgesetzt – mit der Begründung, sie widerspreche in einigen Aspekten dem Objektivitätsgebot. Demgegenüber hat der Autor der Sendung darauf verwiesen, dass das Drehbuch wiederholt mit ORF-Verantwortlichen abgestimmt worden sei. Die Vermutung liegt daher nahe, dass hier politische Interventionen der Freiheitlichen auf der Hinterbühne maßgeblich waren (derStandard-online 10.12.05)

Am 13. Dezember 2005 fand dann die von Haider einberufene Konsenskonferenz statt. Man verständigte sich darauf, eine zwischen Haider und Schüssel im Oktober erörterte Lösungsperspektive – zweisprachige Ortstafeln in allen Gemeinden mit 10 % SlowenInnenanteil und 15 % Anteil an BürgerInnen mit slowenischer Umgangssprache, mit insgesamt 123 Ortstafeln um 32 mehr als bisher – ins Auge zu fassen. Nach einer Frist von 6 Monaten für Beratungen auf Gemeindeebene, soll der Bund die entsprechende Verordnung erlassen, die ihrerseits in weiteren fünf Jahren umzusetzen wäre. Diese Lösung soll nach den Vorstellungen Haiders Verfassungsrang erhalten und Bestandteil eines Pakets sein, dass auch die Gleichbehandlung deutschsprachiger Kultur und Sportvereine, die Nicht-Diskriminierung deutschsprachiger Kinder im Schulbereich und Regelungen für den Gebrauch der slowenischen Sprache im kirchlichen Bereich beinhaltet (derStandard-online 13.12.05). Haider hat damit nicht nur die Verantwortung für die Erfüllung einer Staatsvertragsverpflichtung der Republik auf die Gemeindeebene abgeschoben. Da es sich bei den in die Verantwortung genommenen Gemeinden ausschließlich um solche mit einem sozialdemokratischen Bürgermeister handelt, hat er damit auch geschickt ein Problem von ÖVP und BZÖ in ein Problem der SPÖ verwandelt (derStandard-online 15.12.05).

Nach Bekannt Werden der Entscheidung des VFGH vom Dezember 2005, derzufolge in der Gemeinde Bleiburg zweisprachige Ortstafeln aufzustellen sind, stellten Haider und das BZÖ ein weiteres Mal ihr gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat zur Schau: Haider unterstellte dem VFGH-Präsidenten Korinek, ein "politischen Spiel" zu betreiben, und stellte allen Ernstes eine Klage wegen "übler Nachrede" gegen ihn in den Raum (derStandard-online 28.12.05). Und als sich die Kärntner SPÖ-Vorsitzende Schaunig-Kandut angesichts des VFGH-Spruchs für die längst fällige Umsetzung des Verfassungsentscheids von 2002 einsetzte und sich gegen die von Haider immer wieder in erpresserischer Weise ins Spiel gebrachten Verquickung der Ortstafelfrage mit dem Minderheitenschulwesen und der Kulturförderung aussprach, schleuderte ihr der Kärntner BZÖ-Clubchef Scheuch entgegen, dass sie "an Arroganz, Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber der Kärntner Bevölkerung nicht zu überbieten" sei (ORF On 02.01.06). Tags darauf forderte LHStv. Strutz dann in altnationaler gegen den Geist des Minderheitenschutzes gerichteter Tradition sogar eine Volksbefragung in den betroffenen Gemeinden. Die Einbindung der Bevölkerung wäre "ein wichtiger Baustein, um einen Schritt weiter zu kommen", und über die Köpfe der betroffenen Bevölkerung hinweg sei eine Entscheidung in Sachen zusätzlicher zweisprachiger Ortstafeln "mit dem BZÖ nicht möglich". Man werde daher am 13. Jänner beim Runden Tisch mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) in Wien die Frage der Volksbefragung zur Diskussion stellen (derStandard-online 04.01.06). Haider ließ seine bedenkliche Befragung dann jedoch bereits am 5. Jänner in den betroffenen zehn Südkärntner Gemeinden starten (ORF On 05.01.06).

Nachdem sich auch slowenische Politiker kritisch zur Sache geäußert hatten, versuchte Parlamentspräsident Khol mit nicht unbedenklicher Gedankenakrobatik zu beschwichtigen: das VFGH-Urteil sei natürlich umzusetzen, und "man schießt nicht auf Höchstrichter", es sei aber nicht zielführend, "gewaltsame Lösung per Verordnung" zu suchen, und man möge Kanzler Schüssel vertrauen, der für die Suche nach einer Konsenslösung die "persönliche Verantwortung" übernommen habe. Und während HBP Fischer sich "Zurufe von außen" verbat, aber weiterhin auf eine Umsetzung des VFGH- Entscheids drängte und Schaunig-Kandut angesichts der hochgehenden Emotionen nunmehr für ein Moratorium bis nach den nächsten Nationalratswahlen eintrat, legte Haider noch einmal nach: der VFGH habe gar kein Recht, in der Ortstafelfrage Lösungen vorzuschlagen, das sei vielmehr "ausschließlich Sache des Volkes und damit des Parlaments" (ORF On 08.01.06).

Zugleich unternahm er rechtlich und politisch alles, um die Herstellung des verfassungskonformen Zustandes zu verhindern: Er verzögerte die Kundmachung des VFGH-Urteils; er warnte den Bleiburger Bezirkshauptmann, der erklärt hatte, er werde das Urteil exekutieren, ohne gesetzliche Grundlage zu agieren; er boykottierte den Versuch einer Kompromissfindung bei der Gesprächsrunde bei Bundeskanzler am 14. Jänner 2006 und drohte Bundeskanzler Schüssel, der zunächst für eine sofortige Umsetzung des Urteils eingetreten war, mit einem Veto der BZÖ-Regierungsmitglieder gegen eine entsprechende Verordnung im Ministerrat; Für den Fall, dass eine zukünftige Regierung ohne BZÖ-Beteiligung die Umsetzung des VFGH-Urteils vorhabe, kündigte er eine Volksbefragung in Kärnten an. Er warnte davor, dass nach einem eventuellen Regierungswechsel unter einem Bundeskanzler Gusenbauer "100 zusätzliche Ortstafeln drohten" und prophezeite, dass es in diesem Falle "einen riesigen Wirbel in Kärnten geben werde". Selbst FP-Chefideologe A. Mölzer musste daraufhin zugestehen, dass Haider "rechts nicht mehr zu überholen" sei. Daraufhin gab Kanzler Schüssel klein bei, hatte  plötzlich keine Eile mehr mit der Umsetzung, beschwor seinerseits den "Konsens" und fand sogar an Haiders Privatumfrage etwas Gutes (derStandard-online, ORF On 12. – 16.01.06). Was ist schon der verfassungsmäßige Zustand, wenn es um den Koalitionsbestand und die Wahrung der Chancen bei den bevorstehenden Wahlauseinandersetzungen geht …

Durch solche Unterstützung ermutigt setzte Haider den nächsten Akt der Missachtung des Verfassungsgerichts: um dessen Urteilsspruch zu umgehen, kündigte er an, die beeinspruchten einsprachigen Ortstafeln in Bleiburg entfernen und einen halben Meter wieder aufzustellen zu lassen (derStandard-online 17.01.06). Der Rat der Kärntner Slowenen reagierte darauf mit der Androhung einer Anzeige wegen Amtsmissbrauchs und einer Klage beim EUGH. Auch der EU-Kommissar für Minderheitenfragen und die OSZE sollen eingeschaltet werden (derStandard-online 26.01.06).

Nachdem dann auch noch mit BZÖ-Sozialstaatssekretär Dolinschek ein Organ des Bundes die Ortstafel-Urteile des VfGH zuvor als absurd bezeichnet und deren Nicht-Umsetzung begrüßt hatte, waren auch für VFGH-Präsidenten Korinek "die Grenzen des erträglichen erreicht", und er bat Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel um ein Gespräch (ORF On 18.01.06).

Während Haider auf seiner Position beharrte und obendrein den Staatsvertrag für "bedeutungslos erklärte", sprach sich auch Kanzler Schüssel gegen Haiders Ortstafelrücken aus und verwies auf seine eigene Arbeit an einer Verordnung, die das ganze Problem lösen solle. Auf den Fall angesprochen, dass sich die Regierung auf eine solche Verordnung verständigt, ließ Haider wissen, dass dann zwischen allen Regierungsmitgliedern und ihm "das Tischtuch zerschnitten" wäre (derStandard-online 19.01.06).

Am 19. Jänner 2006 fand dann das Gespräch zwischen Kanzler Schüssel und VFGH-Präsident Korinek statt. Dabei stellte der Kanzler fest, "dass in einem Rechtsstaat wie Österreich Erkenntnisse des VfGH selbstverständlich zu respektieren sind" und wies darauf hin, dass er am Freitag der Vorwoche mit den Kärntner Bürgermeistern und dem Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (B) ein Gespräch geführt habe, um innerhalb der vom VfGH vorgegebenen Frist bis 30. Juni konkrete Lösungen im Konsens vorzubereiten (APA OTS 19.01.06). Damit machte Schüssel freilich Haider insofern die Mauer, als er nicht klarstellte, dass es dabei nicht nur um den Buchstaben sondern auch um den Geist des Urteils zu gehen hat, und dass das Prinzips Konsens im Hinblick auf die Gewährleistung von Minderheitenrechten prinzipielle Grenzen hat. Sehr viel deutlicher nach seinem Gespräch mit dem VFGH-Präsidenten am 20. Jänner Bundespräsident Fischer: Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes müssten "respektiert und vollzogen" werden, und offenkundig auf Kanzler Schüssel Bezug nehmend: ein bloßes "respektieren" wäre zu wenig, "das muss auch einen Inhalt haben" (derStandard-online 20.01.09).

Daraufhin Haider wiederum Haider ungerührt auf seinem Standpunkt beharrend: Er habe daher veranlasst, dass eine neue Verordnung erlassen werde: "Die Ortstafel wird um sechs Meter versetzt und den korrekten Ortsnamen Bleiburg tragen". Bei künftigen Erkenntnissen des VfGH werde man in die Gemeinden gehen, und dort solle entschieden werden, welcher Name auf der Ortstafel stehen solle. "Das kann etwa in einer Gemeindebefragung erfolgen, und wenn dabei herauskommt, dass die Bezeichnung zweisprachig sein soll, ist uns das auch recht". Haider setzte also weiter auf formale Winkelzüge und das unangemessen Instrument des Mehrheitsplebiszits (APA OTS 20.01.06).

Beim BZÖ-Neujahrstreffen in Pörtschach am 22. Jänner machte er dann gar in blasphemischer Weise Anleihen bei biblischen Mythen, um die Slowenen ins Zwielicht des Verrats zu rücken und sich selbst zum Messias der Ortstafelfrage zu stilisieren: Verfassungsgerichtshofpräsident Karl Korinek würde - angestachelt von einem "slowenischen Pharisäer" - wie Pontius Pilatus vorgehen, danach seine Hände "in Unschuld waschen". Er aber, Haider, werde aberletztendlich triumphieren wie Jesus über den Tod: "Wahrlich, ich sage euch: Vor 2.000 Jahren ist einer auferstanden und hat den Grabstein verrückt. Heute findet sich ein Landeshauptmann, der die Ortstafeln verrückt" (derStandard-online 22.01.06). Spätestens seit dieser pseudoreligiösen Überhöhung müsste für alle erkennbar sein, dass Haider selbst in dieser Frage gar nicht kompromissbereit und verhandlungsfähig ist.

Angesichts der hoffnungslos verfahrenen Lage haben sich die Grünen dazu entschlossen, am 25. Jänner 2006 im Hinblick auf die Möglichkeit einer Ministeranklage Haiders erneut einen Fristsetzungsantrag für die Umsetzung des VFGH Urteils im Parlament einzubringen, der freilich neuerlich an von Regierungsfraktionen und SPÖ gescheitert ist (derStandard-online 25.01.06). Als die Grünen daraufhin ihren Antrag auf Ministeranklage im Verfassungsausschuss einbringen wollten, wurde dieser von der Koalitionsmehrheit angeblich mangels Dringlichkeit nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt (derStandard-online 31.01.06).

Haider verschärfte indes nochmals die Lage ins Ausweglose, indem er seine Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen davon abhängig machte, dass alle  Verfassungsklagen gegen ihn zurückgezogen werden (ORF On 25.01.06). Haider hat damit den Verzicht auf ein in einem Rechtsstaat selbstverständlich zulässiges und angesichts der Säumigkeit der verantwortlichen Akteure auch nötiges Rechtsmittel zur Bedingung für die weitere Verfolgung seiner dem Geist der Verfassung widersprechende "Konsenslösung" erhoben! Gleichzeitig machte eine Stellungnahme der so genannten "Kärntner Heimatverbände" nochmals die tatsächliche Aussichtslosigkeit eines Ortstafelkonsens deutlich: in einer "Kärnten-Erklärung" hieß es u.a., dass der Artikel 7 des Staatsvertrages erfüllt sei, der Verfassungsgerichtshof mit seinem Ortstafelerkenntnis im Irrtum sei und eine Minderheiten-Feststellung zu erfolgen habe; dass es keine zweisprachiger Ortstafeln geben dürfe, da "dadurch in Kärnten ein flächendeckendes slowenisches Territorium abgesteckt" werde, und dass durch den "Wiener Gewaltakt" (gemeint ist das VFGH-Urteil) werde die Kärntner Volksabstimmung von 1920 in ihr Gegenteil verkehrt werde (derStandard-online 27.01.06).

Mittlerweilen hat die minderheitenfeindliche Politik Haiders begonnen, faule Früchte zu tragen: In der SüdKärntner Gemeinde Ludendorf wurden zwischen mai und September 2005 von Jugendlichen mehrsprachige Ortstafeln beschmiert, demoliert und/oder abmontiert (derStandard-online 01.02.06), im burgenländischen Hornstein wurde ein zweisprachige Ortstafel übermalt und mit dem der Aufschrift "In Österreich wird Deutsch gesprochen" versehen (derStandard-online 24.01.06), und via Handy eines BZÖ Mitstreiters wurden SMS mit folgendem verhetzenden Text verschickt: "Mit dem Öffnen dieser SMS haben Sie gerade einen Kärntner Slowenen getötet. Senden Sie dieses SMS weiter um an der Aktion Sauberes Kärnten teilzunehmen" (derStandard-online 31.01.06).     
Trotz der zurückhaltenden Reaktion Sloweniens hat die Causa auch schon internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen: im Europaparlament sieht sich der österreichische Ratsvorsitz mit peinlichen Fragen zur Rechtsstaatlichkeit und zur Situation der Minderheiten in Österreich konfrontiert (derStandard-online 24.01.06).

Demgegenüber bemüht sich eine Plattform "Pro Kärnten/Za Korosko" – ein slowenischer Verleger und der evangelische Superintendent Manfred Sauer – um Deeskalation. Sie warnen vor einer "Aushöhlung des Rechtsstaates" und wollen zeigen, "dass es in Kärnten eine Mehrheit gibt, die zweisprachige Ortstafeln wünscht, auch als Ermutigung für die Politik." Mit Hilfe prominenter "Paten", u. a. Ex-ÖVP-Chef Erhard Busek, SP-Europasprecher Caspar Einem und Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, soll diese Botschaft weitergegeben werden (derStandard-online 26.01.06).

Haider ging indessen den Weg der Polarisierung weiter: am 31. Jänner teilte er mit, dass er die Landeswahlbehörde und Verfassungsabteilung mit der Vorbereitung einer nunmehr landesweiten Volksbefragung beauftragt hat. Sollte sich dafür im Landtag keine Mehrheit finden, werde die Befragung eben im Wege einer Petition auf den Weg gebracht (ORF On 31.01.06). Während die Kärntner SP-Vorsitzende Schaunig eine solche Volksbefragung über ein Minderheitenrecht als "kaum vorstellbar" bezeichnet hat, kann sich die ÖVP das durchaus vorstellen, allerdings nicht vor, sondern nach der Erzielung eines Konsens (derStandard-online 01.02.06).

Seit 9. Februar liegt der Textierungsvorschlag vor. Die KärntnerInnen können (a) für zweisprachige Ortstafeln bei mehr als 15 % oder (b) bei mehr als 20 % SlowenInnenanteil oder aber (c) gegen weitere zweisprachige Ortstafeln sein. Die Variante mit der vom VFGH vorgegebene 10 %-Grenze soll gar nicht erst abgefragt werden. Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Mayer ist dieses Unternehmen freilich überhaupt verfassungswidrig: das Land maße sich damit Bundeskompetenz an, und eine Abstimmung der Mehrheit über ein Minderheitenrecht verletze das Völkerrecht (derStandard-online 09.02.06).

Am 13. Februar wurde dann von der Landesregierung an einen präsumtiven harten Kern der Ortstafel-StürmerInnen - 15.000 Kärntnerinnen, die sich bereits 2001 für eine "Lösung" der Ortstafelfrage per Volksabstimmung ausgesprochen hatten - ein Informationsblatt verschickt. Das Blatt trägt den gegen die Dritte Gewalt der Verfassungsgerichtsbarkeit gerichteten Titel "Alles Recht geht vom Volke aus" und den "Los von Wien"-Reflexe schürenden Untertitel "Wir Kärntner wollen selbst entscheiden". Es spricht in anmaßender Weise von einem durch "unhaltbare Urteile" des VFGH geschaffenen "Unrecht", das "nicht Recht werden" dürfe. Auf der Rückseite des Schreibens befindet sich eine Blanko-Unterstützungserklärung (der Standard-online 12.02.06).

Als NR-Präsident Khol dann am 17. Februar in einem Zeitungsinterview entschiedene Bedenken bezüglich der Volksbefragung äußerte, ließ LH-Stellvertreter Strutz (BZÖ) aus Kärnten ausrichten, dass man  sich "das Einmischen in Kärntner Angelegenheiten" verbitte (derStandard-online 16.02.05). Ein Gutachten des Verfassungsjuristen Funk, der seinerseits schwerwiegende Bedenken gegen die Befragung vorgebracht hat: Minderheitenfragen sind nicht Landeskompetenz, über Minderheitenrechte könne man nicht abstimmen, und überdies seinen die Fragen unzulässig suggestiv, wurde von Haider postwendend als "verfassungsrechtlich wertlos" bezeichnet - Der Text der Befragung und die Entscheidungsmöglichkeiten basierten nämlich auf einem Gutachten des Verfassungsdienstes des Landes Kärnten und seien daher rechtlich korrekt (derStandard-online 27.02.06).

Am 3. Februar  hat dann der Kärntner BZÖ-Landesrat Derfler einen weiteren Winkelzug in der Ortstafelfrage  gemacht: das Ortsschild "Bleiburg-Ebreichsdorf"  werde entfernt. Begründung dafür: es dürfe laut Straßenverkehrsordnung auf einer Ortstafel nur ein Namenszug aufscheinen, weshalb übrigens auch das Erkenntnis des VGH gegenstandslos sei. Dafür sollen zwei neue Ortschilder – "Bleiburg" und "Ebreichsdorf" – aufgestellt werden, natürlich wiederum einsprachig (derStandard-online 03.02.06). Am 8. Februar war es dann so weit: Die Kärntner Ortstafelboykotteure schritten zur Tat und ließen es sich nicht nehmen, diese als Medienspektakel in Szene zu setzen: "Landeshauptmann Jörg Haider und Landesrat Gerhard Dörfler laden zur Verrückung und Neuaufstellung der einsprachigen Ortstafel in Bleiburg. Diese findet am Mittwoch, 8. Feber 2006, um 9.30 Uhr auf der B81, bei der Ortseinfahrt Ebersdorf, Gemeinde Bleiburg, statt" (ORF On 08.02.06). Die umgehende Reaktion des VFGH: der Präsident erwarte sich die Anfechtung der entsprechenden Verordnung der Landesregierung durch die Bundesregierung (derStandard-online 08.02.06) – ein Wunsch, der wegen der Vetomacht der BZÖ-Mitglieder freilich keine Aussicht auf Erfüllung seitens der Regierung hat.        
Mit der Versetzung der Ortstafeln hat Haider allerdings einen Schritt unternommen, der nach Ansicht des Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk strafrechtlich relevant ist und daher ein Fall für die Staatsanwalt ist: den Versuch, verbriefte Rechte der Volksgruppe zu behindern und verhindern (ORF On 09.02.06). Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt hat bereits erklärt, diesbezüglich Überlegungen anzustellen, die Grünen haben Haider, Dörfler und den Bezirkshauptmann Bleiburgs bereits wegen "Amtsmissbrauch" angezeigt (derStandard-online 09.02.06, 10.02.06).

Am 14. Februar kündigte der Bleiburger Bezirkshauptmann dann abermals an, zweisprachige Ortstafeln zu verordnen, da er als Beamter "gesetzeskonform handeln" müsse. Das Landesarchiv wurde von ihm bereits aufgefordert, die slowenischen Bezeichnungen bekannt zu geben (ORF On 13.02.06). Freilich dürfte dieser Vorstoß wohl am Veto des Verkehrsreferenten Dörfler scheitern, denn der ließ bereits in Rechtsstaats-verachtender Weise wissen: "Wir stellen nur einsprachige Ortstafeln auf, denn für uns sind nicht falsche Richterurteile, sondern der Wille der Bevölkerung entscheidend" (derStandard-online 15.02.06).     

Am 20. Februar hat dann AktivistInnen einer Gruppe namens "Resistance for Peace" in einer von einer Millionenshow-Gewinnerin finanzierten demonstrativen Aktion die einsprachigen Ortstafeln der Gemeinde St. Kanzian abgeschraubt und durch zweisprachige ersetzt. Haider hat diesen symbolischen Akt zivilen Ungehorsams umgehend als "Provokation gewaltbereiter slowenischer Funktionäre und deren Freunde" gebrandmarkt, aber auch Schaunig-Kandut hat diese unangemessene Situationsdefinition übernommen und in Verkennung des demonstrativen Charakters der Aktion von "Rechtsbruch" und "radikalen Schritten", die "zu verurteilen" seien, gesprochen (ORF On 20.02.06).

Ende Februar dann eine weitere Attacke Haiders in Richtung VFGH, diesmal gegen die Person des Richters Gerhard Holzinger: "In diesem Gerichtshof sitzt ein Herr Holzinger, dessen slowenisch-nationalistische Politik uns veranlasst, über die Reformbedürftigkeit des Höchstgerichtes zu debattieren. Herr Holzinger, dessen Vater eine Nazi-Vergangenheit hat, spricht nicht Recht, sondern hat das dringende Bedürfnis, Politik zu machen. Und das seit Jahren, um von der Nazi-Vergangenheit abzulenken". Wer derart "ein Spiel mit der Verfassung (versucht), … kriegt von uns eine auf die Finger" (NEWS in APA OTS 22.02.06).

Anfang März 2006, einen Tag vor seiner Pensionierung, hat der Bleiburger Bezirkshauptmann Muri dann seine Ankündigung wahr gemacht und tatsächlich zweisprachige Ortstafeln für Bleiburg-Ebersdorf verordnet, Landesrat Dörfler wird das allerdings blockieren, weil die VO seiner Meinung nach "auf einem falschen VFGH-Erkenntnis aufbaut". Während RechtsexpertInnen daraufhin den Verdacht des Amtsmissbrauchs durch Dörfler äußerten, hat Haider wieder einmal versucht, den Spieß umzudrehen und Muri des Amtsmissbrauchs bezichtigt. Die Kärntner Landesamtsdirektion hat auf Auftrag Haiders prompt diesbezügliche Ermittlungen gegen Muri eingeleitet (derStandard-online 08.03.06).

Muri ließ daraufhin wissen, dass er seine Vorgehensweise zuvor sowohl beim VfGH als auch beim Verfassungsdienst des Kanzleramtes abgesichert hatte. Das veranlasste Haider zu einer neuerlichen Verunglimpfung des VfGH. Er sprach von einem "abgekarteten Spiel … zwischen Korinek und Muri" und witterte einen "versuchten Komplott gegen Kärnten". Der "unzuständige Verfassungsgerichtshof" agiere "wie eine Partei der Ortstafelbefürworter" und sollte daher gleich in "VfGH – Verein für großslowenische Hasardeure" umbenannt werden (derStandard-online 11.03.06). Doch selbst diese Attacke auf den obersten Hüter des Rechtsstaates führte weder im Land Kärnten noch seitens der Bundesregierung zu entsprechenden politischen Konsequenzen.

Lediglich Bundespräsident Fischer hat Muri für seine Initiative demonstrativ gedankt und ausdrücklich klargestellt, dass die Art und Weise, wie seitens der freiheitlichen Kärntner Regierungsmitglieder mit dem Urteil des VFGH umgegangen wird, "mit unserer rechts- und Verfassungsordnung unvereinbar" ist. Haiders umgehende Reaktion: der HBP schlage sich damit "auf die Seite des Unrechts" und beteilige sich an der "psychologischen Kriegsführung gegen Kärnten" (derStandard-online 16.03.06). In einem länglichen "offenen Brief" an den HBP legte er dann nochmals nach: er selbst stehe an der Lichtseite des Rechts, Heinz Fischer hingegen wider besseres Wissen an der Nachseite des Unrechts (APA OTS 18.03.06).

Am 22. März hat dann der Heinz Mayer, Professor für Verfassungsrecht die Vorgehensweise Haiders und führender BZÖ-Politiker eindeutig qualifiziert: natürlich sei Kritik am VfGH gerechtfertigt, diese Kritik dürfe aber "nicht so weit gehen, dem Verfassungsgerichtshof vorzuwerfen, er habe Unrecht gesprochen". Das sei "keine vertretbare Rechtsauffassung, sondern der erste Schritt zum Staatsstreich" (ORF On 23.03.06). Für Haider war das freilich "nicht nur lächerlich, sondern auch dumm".

Am 29. März meldete sich wieder VfGH-Präsident Korinek in der Causa zu Wort: sollte das Urteil nicht bis Ende Juni fristgerecht umgesetzt sein, werde zu prüfen sein, ob ein Exekutionsantrag an den Bundespräsidenten möglich ist. Sollte diese Prüfung ergeben, dass dies nicht möglich sei, wäre dies eine "Lücke im Rechtsschutzsystem", die durch eine Verfassungsänderung geschlossen werden müsse. Die höhnische Reaktion Haiders darauf: Korinek fasse einen "zweisprachigen Einsatz des Bundesheeres in Kärnten" ins Auge, weil er "Angst vorm Volk" habe (ORF On 29.03.06).

Am 4. April 2006 wurden dann im Verfassungsausschuss des Nationalrats die Anträge der Grünen auf Ministeranklage Haiders sowie auf Anfechtung der Ortstafelverrückung Haiders beim VFGH mit den Stimmen der Regierungsmehrheit vertagt. Begründung: Die vom VFGH gesetzte Reparaturfrist sei noch nicht abgelaufen, und es liefen sowieso eine Vielzahl informeller Lösungsgespräche (ORF On 04.04.06).

Dafür sind Tags darauf die VolksanwältInnen Bauer (VP) und Kostelka (SP) in der Ortstafelfrage aktiv geworden. Gegen die Stimmen ihres Amtskollegen Stadler (FP) haben sie eine "Missstandsfeststellung" getroffen und beim VFGH den Antrag eingebracht, die der Haider’schen Ortstafel-Verrückung zugrunde liegende Verordnung wegen Staatsvertrags-Widrigkeit aufzuheben (derStandard-online 05.04.06). 

Am 11. April gab Haider bekannt, die für die Volksbefragung nötigen 15.000 Unterschriften beisammen zu haben. Wenn die ÖVP der Befragung doch zustimmt, soll diese noch vor dem Sommer stattfinden, andernfalls im – als Öl im Feuer des NR-Wahlkampfs des BZÖ – im Herbst. Die Juni-Frist für die Umsetzung des VFGH-Urteils in der Causa Bleiburg spiele dabei keine Rolle, den die ist ja für Haider nach der Ortstafel-Verrückungsaktion nicht mehr von Belang: "Man kann ein Loch nicht exekutieren". Wer die Befragung ablehnt, ist für Haider "gegen die direkte Demokratie" – und daher ein "Verfassungsfeind". Alle anderen Parteien Kärntens haben indes ihre Ablehnung der Haiderschen Befragungsaktion bekräftigt: für die ÖVP ist sie konterproduktiv, für die FPÖ "irrelevant" und für SPÖ und Grüne schlicht "rechtswidrig". Der Rat der Kärntner Slowenen hat sogar von einem "zweiten Schritt in Richtung Staatsstreich" gesprochen (ORF On 11.04.06).

Eine internationale Dimension erhielt die Causa dann wieder, als der slowenische Außenminister Rupel die Gefahr einer Internationalisierung des Konflikts in den Raum gestellt hatte. Haider konterte darauf, die Kärntner Volksgruppenpolitik sei "vorbildlich", aber Slowenien betreibe seinerseits eine Minderheitenpolitik wie eine "Bananenrepublik" und enthalte seiner deutschen Minderheit ihre Rechte vor. Daraufhin hat dann die oppositionelle Nationalpartei Sloweniens sogar EU-Sanktionen gegen Österreich gefordert (ORF On 19. - 22.04.09).

Auch der Rat der Kärntner Slowenen hat sich mittlerweile in Gesprächen mit den Europäischen Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen – Gespräche mit der EVP sind im Anbahnungsstadium – um eine Europäisierung der Causa bemüht (derStandard-online 26.04.06).

Als Kanzler Schüssel im Mai 2006 ankündigte, eine Verordnung auf Basis des "Karner-Kompromisspapiers" zu erlassen, gab es abermals heftiges Sperrfeuer von Haider aus Kärnten: die Landesregierung würde zu diesem Entwurf negativ Stellung beziehen, und die BZÖ-Regierungsmitglieder würden ihm im Ministerrat ihre Zustimmung verweigern.

Am 11. Mai ging der Verordnungsentwurf offiziell in die Begutachtung: Bis 2009 sollen insgesamt bis zu 158 zweisprachige Ortstafeln errichtet werden, also 91 zusätzliche. Der Entwurf orientiert sich am vom Historiker Karner erarbeiteten Kompromisspapier, dem die Parteien der Konsenskonferenz mit Ausnahme des KHD und Haiders einerseits und des Rats der Kärntner Slowenen andererseits im Frühjahr 2005 zugestimmt hatten. Der Haken an der Sache: die lange Frist bis 2009, die Klausel, dass die zweisprachigen Ortstafeln nur dann aufzustellen sind, wenn auch in der Kärntner Straßenverkehrsordnung Orttafeln im betreffenden Bereich vorgesehen sind, und das Fehlen der von den Vertretern der Kärntner Slowenen geforderte "Öffnungs-Klausel", die es der Bevölkerung ermöglichen soll, zusätzliche zweisprachige Ortstafeln in einzelnen Ortschaften zu beantragen(aus den Erläuterungen geht hervor, dass eine derartige Regelung erst später diskutiert werden soll). Die  Kärntner SPÖ und ÖVP haben den Entwurf begrüßt, die SlowenInnenorganisationen wünschen sich Nachbesserungen, Verfassungsjuristen reagierten  eher skeptisch (ORF On, derStandard-online 11.05.06). Auch der Kärntner Heimatdienst hat sich in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Slowenenorganisationen für den Kompromiss-Entwurf ausgesprochen (ORF On 16.05.06).

Für Haider war der Entwurf in einer ersten Reaktion immerhin eine "Diskussionsgrundlage", tags darauf ließ er jedoch wissen, der Entwurf sei "verfassungswidrig, rechtswidrig, gesetzeswidrig und unbrauchbar", weil er Orte umfasse, die es gar nicht mehr gäbe – "da lachen ja die Hühner". Die AutorIn des Entwurfs sei wohl "von einem kärntenfeindlichen Teufel geritten" worden. Haider bekräftigte, dass Kärnten eine negative Stellungnahme abgeben werde und dass auch "unsere Freunde in Wien" keine Zustimmung geben würden, solange "wir in Kärnten kein grünes Licht geben" (ORF On 12.05.06). Am  18. Mai hat sich Haider dann immerhin angeboten, den Verordnungsentwurf als eine Alternative in die von ihm geplante Volksbefragung aufzunehmen (ORF On 18.05.06).

In der zweiten Mai-Hälfte wurden dann auch seitens der europäischen Liberalen die ersten Akte einer Europäisierung des Ortstafelkonflikts gesetzt. Ein Finnischer Europaabgeordneter sprach von einer "Herausforderung der europäischen Minderheitenpolitik", und eine Delegation der Europäischen Liberalen begab sich auf "Fact Finding Mission" vor Ort (derStandard-online, ORF On 19.05.06ff.).

Am 29. Mai 2006 hat dann die Kärntner Wahlkommission, bestehend aus je vier BZÖ- und SPÖ-Mitgliedern, einem ÖVP-Mitglied, drei Berufsrichtern und - in Vertretung des Landeshauptmanns - dem Landesamtsdirektor als Vorsitzendem,  über die Frage der Zulässigkeit der Volksbefragung entschieden. Überraschendes Ergebnis: 7 : 5 Stimmen gegen Haiders Mehrheitsvotum über die Minderheit – mit der Begründung, dass das Land in dieser Frage keine Zuständigkeit besitzt. Die Kommission folgte damit mehrheitlich dem Gutachten des Verfassungsjuristen Funk. Haider zeigte sich äußerst erbost und plant nun eine postalische "Urabstimmung" in Kärnten zur Ortstafelfrage. Funk ließ ihm ausrichten, dass eine derartige Privatinitiative von ihm als Privatmann oder vom BZÖ zu organisieren und finanzieren wäre. (ORF On 29.0506, der Standard-online 30.05.06). Außerdem will sich Haider nun seinerseits beim VfGH über die Landeswahlbehörde wegen deren vermeintlicher Befugnisüberschreitung beschweren (ORF On 30.05.06).

Eines Sinnes mit Jörg Haider zeigte sich nur der nationalistische deutsch-kärntner "Abwehrkämpferbund". Auch er lehnte den Verordnungsentwurf des Bundeskanzleramtes ab, da durch diesen "von Lavamünd bis Hermagor ein geschlossenes slowenisches Siedlungsgebiet geschaffen (würde)", und er kündigte an, angeblich aus Sorge um den "sozialen Frieden" die Durchführung der Befragung in den betroffnen Gemeinden beantragen (derStandard-online 01.06.06).

Am 2. Juni 2006 gab dann Haider offiziell die negative Stellungnahme Kärntens zum Verordungsentwurf des BKA bekannt und forderte erneut einen "historischen Schlussstrich" in Form eines Verfassungsgesetzes. Am selben Tag langte auch die ebenfalls negative Stellungnahme des Rats der Kärntner Slowenen ein. Die Stellungnahme des Volksgruppenbeirats hingegen fiel positiv aus (der Standard-online 02.06.06, 07.06.06).

Ebenfalls am 2. Juni gab der VFGH bekannt, dass er im Juni über die "Missstandsfeststellung" der VolksanwältInnen Bauer und Kostelka und über Beschwerden zu weiteren 13 Gemeinden in der Ortstafelfrage befinden werde (derStandard-online 02.06.06). Im Vorfeld dieser Verhandlungen versuchte Haider neuerlich, die Überparteilichkeit des VFGH in Frage zu stellen und seinen Präsidenten Korinek als "Feind Kärntens" zu desavouieren. Korinek hatte in einem Interview Haiders Ortstafel-Verrückungsaktion als rechtsstaatlich nicht korrekt kritisiert und erklärt, die Ortstafeln seien historisch als Gegenleistung für den endgültigen Gebietsverzicht Sloweniens zu verstehen. Für Haider war das eine "Beleidigung aller Kärntner": Auf den emotionsgeladenen deutsch-kärntner Mythos von der "mit Blut geschrieben Grenze" anspielend warf er Korinek vor, damit den Kärntner Abwehrkampf zu ignorieren, bei dem mehr als 300 Kärntner "für die Freiheit ihrer Heimat gestorben" seien, und den völkerrechtlichen Akt der Kärntner Volksabstimmung "auf beispiellose Art und Weise in Frage zu stellen". Es stelle sich die Frage, ob so jemand "als Präsident eines Höchstgerichts noch tragbar" sei (ORF On 04.06.06).

Im Juni 2006 wurde dann auch die nächste Stufe der Europäisierung des Ortftafelkonflikts erreicht: Nach den Liberalen begab sich nun der  - auch aus Mitgliedern der großen europäischen Parteien bestehenden - Minderheitenausschuss des EU-Parlaments auf Fact-Finding-Mission nach Kärnten (ORF On 03.06.06). Besuchsresumee des  ungarischem Vorsitzenden: es bestehe ein "wirkliches europäisches Problem". LH-Stellvertreter Strutz tat dies in der üblichen das ganze Land für die unhaltbare Position des BZÖ vereinnahmenden Weise als "unqualifizierten Angriffen" gegen Kärnten ab (ORF On 10.06.06).

Am 8.Juni hat Kanzler Schüssel dann erklärt, dass er den Verordnungsentwurf ungeachtet aller rechtlichen und/oder politischen Bedenken noch im Juni in den Ministerrat einzubringen gedenke (derStandard-online 08.06.06). Gleichzeitig versuchte der Kanzler, in vertraulichen Geprächen mit den LH-Haider, der Kärntner SPÖ und ÖVP und SlowenInnenorganisationen, die KontahentInnen für einen Kompromiß zur gewinnen: Die SlowenInnen sollen die gewünschte Offnungsklausel, Haider die geforderte verfassungsfassungsrechtliche Absicherung für ihre jeweilige Zustimmung erhalten (derStandard-online 13.06.06).

Haider seinerseits hielt freilich seine Kritik am Verordnungsentwurf aufrecht, und am 19. Juni ließ er dann tatsächlich die Stimmkarten für die "Urabstimmung" über weitere Ortstafeln samt Rücksendekuvert und einem Brief von ihm mit Rücksendetermin bis 23. Juni in 18 Südkärntner Gemeinden verschicken (ORF On 18.06.06). Die "Urabstimmung" wurde vom BZÖ übrigens mit dem wegen seiner Anspielung auf Göbbels Frage "Wollt ihr den totalen Krieg" und Görings Rede von der "Endlösung der Judenfrage" frivolen Slogan "Wollen Sie eine endgültige Lösung der Ortstafelfrage" beworben (derStandard-online 21.06.06).
Entschieden für die Umsetzung des Verordnungsentwurf sprachen sich hingegen die Mitglieder der "Fact-Finding-Mission" des Minderheitenausschusses des EU-Parlaments aus. Das sei ein Schritt in die "richtige Richtung" (ORF On 23.06.06).

Am 26 Juni wurden dann die Ergebnisse der neuerlichen Beratungen des VfGH zur Ortstafelfrage bekannt: Ergebnis: die Ortstafelverrückung Haiders war rechtswidrig, die zweisprachigen Orttafeln sind in Bleiburg und Eberdorf ebenso zu errichten wie vermutlich (noch in einem Verordnungsprüfungsverfahren zu klären) in 10 weiteren Ortschaften: Loibach, Buchbrunn, Rückersdorf, Edling, Bad Eisenkappl, Mökriach, Grabelsdorf, Hundsdorf, Mühlbach und Dellach. Zur Freude Haiders sind hingegen aufgrund eines SlowenInnenanteils von unter 10 % laut VfGH in St. Kanzian sowie in Diex, Mittlern, Ferlach und Görtschach keine zweisprachigen Ortstafeln erforderlich (derStandard-online 26.06.06). Enttäuscht über die Entscheidung zeigte sich der Rat der Kärntner Slowenen. Diese stelle ein "Schubumkehr in der Minderheitenpolitik" dar, man überlege daher, die Ortstafelfrage nach Strassburg oder vor die OSZE zu tragen (derStandard-online 28.06.06). Haider kündigte indes an, das Erkenntnis des VfGH neuerlich unterlaufen, indem er nunmehr in Bleiburg und Ebreichsdorf keine Ortstafeln, sondern eine Geschwindigkeitsbegrenzung aufstellen lassen will – in den Augen von Verfassungsjuristen ein neuerlicher Rechtsbruch.

Am 28. Juni präsentierte Haider dann die Ergebnisse seiner "Urabstimmung" in 18 Südkärntner Gemeinden: nur 46 % haben sich beteiligt, die Mehrheit davon hat sich gegen weitere Ortstafeln ausgesprochen, ein gutes Drittel für weitere Verhandlungen, nur 9 % für den Schüssel-Entwurf. Der Ortstafelsturm hat also unter DeutschkärntnerInnen nach wie vor eine Basis (ORF On 27.06.06).

In neuerlichen Verhandlungen suchten daraufhin ÖVP und BZÖ nach einem neuerlichen Kompromissvorschlag. Verschiedene Varianten oberhalb der vom VfGH vorgegebenen Schwelle des Minderheitenanteils (10%), aber auch oberhalb der Schwellen des von der "Konsenskonferenz" mehrheitlich akzeptierten Karnerpapiers und oberhalb des VO-Entwurfs des Bundeskanzleramtes wurden durchgespielt – die allesamt unter dem Strich auf weniger zusätzliche Ortstafeln sowie auf den Abbau bereits bestehende zweisprachige Ortstafeln hinauslaufen. Kein Wunder, das nun auch die gemäßigtere SlowenInnenorganisationen (Zentralverband und Gemeinschaft der Kärntner Slowenen) den Konsens aufkündigten.

Tatsächlich einigte sich die Regierung mit den gemäßigten SlowenInnenorganisationen dann doch noch auf folgende Lösung: zweisprachige Ortstafeln für Gemeinden ab 15 % Minderheitenanteil, für Ortschaften solcher Gemeinden ab 10 % Minderheitenanteil sowie für Ortschaften mit mindestens 1/3 SlowenInnen in Gemeinden mit unter 15 % Minderheitenanteil. Das bedeutete insgesamt 141 zweisprachige Ortstafeln in Kärnten, auch in Bleiburg und Ebreichsdorf - und damit mehr als die bestehenden 77, aber weniger als die 158 zusätzlichen Ortstafeln gemäß Karnerpapier. Weiters enthält der Kompromiss die von den SlowenInnenorganisationen geforderte Öffnungsklausel, derzufolge (ab 2009) in allen Ortschaften von 10 % der Bevölkerung unabhängig vom Minderheitenanteil der entsprechenden Gemeinde zweisprachige Ortstafeln beantragt werden können, sowie die Zusage, dass keine Revision des Staatsvertrags erfolgt.     

Angesichts der Absorption der allgemeinen Aufmerksamkeit durch den "historischen Kompromiss" fast untergegangen ist dabei, dass die Regierung am 30. Juni in einer Verordnung festgehalten hat, dass derzeit in insgesamt 93 Gemeinden, also nicht nur in Bleiburg und Ebersdorf, sondern in 14 weiteren Gemeinden, zweisprachige Orts- (und übrigens auch Ämter-)Bezeichungen aufzustellen sind.

Auch der Bundespräsident und selbst die Regierung Sloweniens begrüßten den Kompromiss als "Schritt in die richtige Richtung". Ablehnend hingegen die Stellungnahmen des Rats der Kärntner Slowenen ("Verhöhnung des VfGH" und "Revision des Staatsvertrags") sowie der Grünen ("zu Lasten der Minderheitenrechte"), aber auch der slowenischen Opposition sowie von Teilen der slowenischen Regierungsfraktion auf der einen und der FPÖ ("Hochverrat an Kärnten") auf der anderen Seite (derStandard-online 28.06.06, 29.06.06, 01.07.06, ORF On 03.07.06)).

Damit geriet nun die SPÖ in ein Dilemma. Angesichts der zahlreichen zustimmenden Signale auch von Seiten des VfGH stieg einerseitsder Druck auf die Partei, ihre Zustimmung zu diesem Kompromiss und dessen verfassungsgesetzlicher Absicherung zu geben. Die Kritik seitens der radikaleren SlowenInnen, der Grünen die in ähnlicher Weise auch von prominenten Verfassungsjuristen (Funk, Mayer) vorgetragen wurde, legte andererseits eine Verweigerung der Zustimmung nahe.

Dann kam allerdings nochmals Bewegung in die Fronten: Das Land Kärnten hat sich mit den Stimmen von BZÖ und ÖVP in einer Resolution ein Vetorecht gegen weitere Ortstafeln ausbedungen – und damit die Öffnungsklausel, die ja entscheidend für die Zustimmung der gemäßigten Sloweninnenorganisationen war, de fakto außer Kraft gesetzt. Auch die gemäßigten Kärntner SlowenInnenorganisationen haben darauf ihre Zustimmung zum Kompromiß ebenso wieder zurückgezogen wie der slowenische Außenminister Rupel (derStandard-online 04.07.06 - 06.07.06). Damit hatte sich das Dilemma der SPÖ noch zusätzlich verschärft.

Die Regierung hat ihrerseits am 11. Juli einen neuen Vorschlag zur Öffnungsklausel vorgelegt: Demnach sollen weder die Proponenten, noch die Gemeinden oder die Landesregierung, sondern ausschließlich die Regierung auf Basis einer Empfehlung eines sogenannten "Konsensausschuss" über lokale Anträge auf Aufstellung weiterer Ortstafeln entscheiden. Die Aufstellung könnte damit freilich am Veto einer einzigen MinisterIn scheitern. SlowenInnen und Grüne sind daher weiterhin skeptisch geblieben (derStandard-online 11.07.06). Nachdem sowohl der Rat als auch der Zentralverband der Kärntner SlowenInnen den vorschlag abgelehnt hatten, verweigerte auch die SPÖ (trotz einer Aufforderung durch die Vorsitzende der Kärntner SPÖ Schaunig-Kandut, dem "Kompromiss" beizutreten) ihre Zustimmung. Um ihr den Schwarzen Peter der Verantwortung zuzuspielen, forderten VP und BZÖ die SPÖ noch ultimativ auf, ihre "Blockadepolitik" aufzugeben und so den Weg für den "historischen Kompromiss" freizumachen, jedoch ohne Erfolg. Ein Antrag der Grünen im Parlament auf Beschluss einer einfachgesetzlichen Regelung im Sinne des VfGH fand ebenso wenig eine Mehrheit wie ein Antrag der SPÖ, eine Variante des Kompromisses zu beschließen, die die Möglichkeit eröffnet hätte, via VFGH die Errichtung zweisprachiger Ortstafeln auch gegen den Willen der lokalen Behörden durchzusetzen. Damit war der Ortstafelkompromiss für die laufende Legislaturperiode endgültig gescheitert, und dem Urteil des VfGH nach beinahe fünf Jahren immer noch nicht entsprochen (derStandard-online 12.07.06, 13.07.06).

Zurück bleiben, neben dem Schaden für den Rechtsstaat, zerstrittene Parlamentsfraktionen, die mit gegenseitigen Schuldzuweisungen versuchen, der jeweiligen Gegenseite die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen zuzuschieben, eine gespaltene Volksgruppe – ein Rat der Kärntner Slowenen, der immer schon gegen eine Konsenslösung war und nunmehr den Weg der Europäisierung weiter beschreitet, der konsensbereite Zentralverband, für den noch nicht aller tage Abend ist und der noch auf die Zeit nach den Wahlen hofft, und die immer schon anpassungsorientierte Gemeinschaft, die nunmehr um die Felle der Volksgruppe davonschwimmen sieht. Zurück bleibt auch weiterer europäischer Imageverlust Österreichs: Justizkommissar Frattini hat eine Prüfung durch die Europäische Kommission angekündigt (derStandard-online 14.07.07).

Doch der Konflikt zwischen Haider und Verfassungshütern setzte sich fort: VfGH-Präsident Korinek hat am 19. Juli in einem Interview daran erinnert, dass unabhängig vom gescheiterten Kompromiss eine noch offene Verpflichtung der Politik zum Handeln besteht: "Jetzt müssten in 93 Ortschaften zweisprachige Tafeln stehen. Angeblich sind 77 aufgestellt. In 16 Kärntner Ortschaften fehlen also korrekte, deutsch-slowenische Bezeichnungen. Denn es gilt die Verordnung vom 30. Juni 2006, die von der Regierung einstimmig beschlossen wurde. Das ist geltendes Recht. Wenn Doktor Haider sagt, er stellt vielleicht Bleiburg und Ebersdorf auf und sonst nichts, ist das die Ankündigung, dass er die Regierungsverordnung nicht einhalten will" (derStandard-online 19.07.06).

Haider bezeichnete Korinek daraufhin postwendend als "politisierenden Präsidenten, dem das Recht gleich ist" und der "offenbar zündeln" will. Der Präsident sage die Unwahrheit, seine Unabhängigkeit sei zu untersuchen. Derzeit gäbe es lediglich eine Verordnung für die zwei Tafeln in Bleiburg und Ebersdorf. Diese würden so aufgestellt werden, "wie das Gesetz es vorsieht", und zwar möglicherweise wiederum "räumlich disloziert" und somit "wieder einsprachig". Und dann setzte Haider, wie es so seine Unart ist, noch einen persönlichen Angriff drauf: Korinek solle offenlegen, wer die Feier zu seinem Sechziger bezahlt hat.

Darauf konterte wiederum der VfGH via Pressesprecher, Haider verwechsle offenbar die Verordnungen vom 30. Juni und vom 17. Juli. Die vom 30. Juni, die 93 Ortstafeln vorschreibe, sei geltendes Recht: "Sie ist im Bundesgesetzblatt kund gemacht, was sich für jeden leicht nachprüfen lässt". Die Verordnung vom 17. Juli - auf die sich Haider offenbar beziehe - hätte die vom 30. Juni außer Kraft setzen sollen. Dies sei aber nicht geschehen, weil kein Verfassungsgesetz zu Stande gekommen ist. "Und deshalb gilt nach wie vor die Verordnung vom 30. Juni" (derStandard-online 20.07.06).

Am 25. August 2006, dem Tag, an dem Gültigkeit der einsprachigen Ortstafeln in Bleiburg und Ebreichsdorf verfallen ist, eröffnete Haider eine neue Runde im Ortstafelstreit und prolongierte damit die Verfassungskrise: gemeinsam mit seinem Verkehrslandesrat und Parteigänger Dörfler gab er bekannt, dass diese wie auch alle übrigen zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten wieder einsprachig werden sollen. Die durch das Volksgruppengesetz notwendige Zweisprachigkeit soll durch winzige slowenische Zusatztafeln sichergestellt werden. Haider begründete diese Vorgangsweise in zynischer Weise mit der Straßenverkehrsordnung (StVO). Darin sei nämlich festgehalten, dass auf Ortstafeln keine "verwirrenden oder überfüllten Bezeichnungen" angebracht werden dürften. Die Aktion wurde zwar von allen anderen Parteien, Slowenenorganisationen und VerfassungsexpertInnen einhellig als Wahlkampfgag und Schildbürgerstreich abgetan, realiter läuft das Vorhaben jedoch auf eine Fortsetzung des verfassungswidrigen Zustands und einen Rückschritt in der offiziellen Anerkennung der slowenischen Volksgruppe hinaus (APA OTS, derStandard-online 25.08.06, 26.08.06). Zur medialen verbreitung seiner Aktion liess Haiderin Kaertner Tageszeitungen dann zur Empoerung der Slowenen, der Opposition, aber auch des Koalitionspartners die national aufgeladene Parole "Kaernten ist einsprachig" schalten (ORF On, derStandard-online 05.09.06ff.).

Doch die Minderheitenfeindlichkeit der Freiheitlichen zeitigte auch anlässlich anderer Minderheitenthemen Wirkung:

Am selben Tag, an dem die Bundesversammlung im Parlament im Rahmen der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus die im Nationalsozialismus gewaltsam dezimierte, 1995 vom Briefbombenterror massiv betroffene  und erst vor 9 Jahren als Minderheit offiziell anerkannte Gruppe der Roma und Sinti in den Mittelpunkt rückte, malte Strache, Obmann der Wiener FPÖ und Mitglied des freiheitlichen Bundesvorstands, scheinheilig in die Forderung nach einer Lösung deren sozialer Problematik in Osteuropa verpackt, die Gefahr eines "Roma-Ansturms auf Wien" an die Wand (APO OTS 05.05.04).

Anfang Jänner kurz vor dem 10. Jahrestag des rassistisch motivierten Bombenattentats in Oberwart, dem vier Roma zum Opfer gefallen waren, wurde bekannt, dass das von Martin Bartenstein (ÖVP) geführte Wirtschaftsministerium seinen Beitrag zur Finanzierung des Roma-Beschäftigungsprojekts "Mri buti" nicht mehr zu leisten gedenkt. Die Caritas will zwar eine dreimonatige Überbrückungsphase tragen, und das Land Burgenland hat angekündigt, 250.000 Euro zur Verfügung zu stellen, ohne Bundesmittel droht dem Projekt jedoch das aus (ORF ON 22.01.05).

Andererseits sei hier auf die Tatsache verwiesen, dass die ÖVP weiterhin Bemühungen um eine Gleichstellung homosexueller Paare und Familien blockiert. Ein diesbezügliche Debatte sowie ein entsprechender Vorstoß der steirischen ÖVP im Sommer 2004 hat zwar zur Einrichtung einer ÖVP-Arbeitsgruppe zum Thema geführt, die Arbeitsgruppe konnte sich jedoch nur auf marginale Verbesserungen wie das Eintrittsrecht in den Mietvertrag nach dem Tod - die ohnedies fällige Umsetzung eines vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergangenen Urteils - oder die Öffnung der Pflegefreistellung (Urlaubsgesetz) und der Familienhospizkarenz für gleichgeschlechtliche PartnerInnen einigen. Dementsprechend wird es weder eine "eingetragene Partnerschaft" noch einen "Zivilpakt", aber auch keine ehelichen Vorrechte wie das Eintrittsrecht in einen Mietvertrag zu Lebzeiten, kein Besuchs- und Informationsrecht in Krankenhäusern, keine Verbesserung bei der Erb- und Schenkungssteuer, keine Aufenthaltsgenehmigung für PartnerInnen aus Nicht-EWR-Staaten und weder Stiefkind- noch Fremdkindadoption geben (derStandard-online 22.09.04).

Im September 2005 hat dann Justizministerin Gastinger (BZÖ) im Vorfeld der Regierungsklausur einen neuerlichen Vorstoß für die rechtliche Gleichstellung von hetero- wie homosexuellen "Patchworkfamilien" im Rahmen eines neuen Partnerschaftsmodells angekündigt. Ehe und Adoptionsrecht sollen Homosexuellen Paaren freilich auch nach diesem Modell verschlossen bleiben (derStandard-online 13.09.05).      

Nach dem Urteil des VfGH vom November 2005 (VFGH 10.11.05), das die Verweigerung der Mitversicherung von haushaltsführenden PartnerInnen homosexueller Paare als diskriminierend und daher verfassungswidrig erklärt hat, machte sich Gastinger neuerlich für ihr Modell der "eingetragenen Partnerschaft" stark, Justizsprecherin Fekter  (ÖVP) winkte jedoch abermals ab: eine solche "Ehe zweiter Klasse" könne sich ihre Partei "mit Sicherheit nicht vorstellen" (derStandard-online 11.11.05), und auch der freiheitliche Parlamentsklubobmann Scheibner erklärte, seine Fraktion werde Gastinger in dieser Frage die Gefolgschaft verweigern (derStandard-online  12.11.05).

Noch feindseliger naturgemäß die Strache-FPÖ. "Volksanwalt" Stadler im O-Ton auf einer Parteiveranstaltung in Kärnten: die FPÖ werde "homosexuelle und andere perverse Partnerschaften" nicht goutieren (derStandard-online 17.11.05). Gastinger hat mittlerweile die Forderung nach einer "eingetragenen Partnerschaft" aufgegeben. Sie plant nunmehr ein "Lebensgemeinschaften-Gesetz", das die generelle Gleichstellung von Lebensgemeinschaften unabhängig von der sexuellen Orientierung vorsieht (ORF On 24.01.06). Das entsprechende Familienreformpaket ohne eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle (und auch ohne Besserstellung von "Patchwork-Familien") ist Mitte Mai in Begutachtung gegangen (derStandard-online 18.05.06).

Anfang Juli 2007 hat die ÖVP dann selbst diesem Rumpf-Paket wegen der darin enthaltenen geschlechtsneutralen Definition von Lebensgemeinschaften eine Absage erteilt. Das Paket wurde dann zwar doch noch, ohne die strittige neutrale Definition von Lebensgemeinschaften, am 13. Juli im Ministerrat beschlossen, ein foemaler Parlamentsbeschluss noch in dieser Legislaturperiode ist jedoch kaum mehr möglich – mit der Konsequenz, dass nun vor den nächsten Wahlen nicht einmal mehr die ausgesprochenen Diskriminierungen bei Pflegeurlaub, Besuchsrechten im Krankenhaus, Mietrecht und Kindererziehung beseitigt werden (ORF On 09.07.06, derStandard-online 13.07.06).

Am 24 Mai 2006 hat der Nationalrat mit Regierungsmehrheit gleichsam im Vorübergehen qua Abänderungsantrag eine empfindliche Verschlechterung für Patchwork-Familien beschlossen: Die  - im November 2005 vom VGH wegen ihres diskriminierenden Charakters gegenüber Homosexuellen  aufgehobene und daher im Sommer auslaufende – Regelung für die begünstigte Mitversicherung von PartnerInnen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die Betreuungsaufgaben wahrnehmen wurde durch eine Regelung ersetzt, die dem VfGH Urteil insofern Rechnung trägt, als nunmehr gleichgeschlechtliche und gegengeschlechtliche nichteheliche Lebensgemeinschaften gleichermaßen von der begünstigten Mitversicherung ausgeschlossen sind. Damit wurde in völliger Ignoranz "postmoderner" Lebensrealitäten die vor 25 Jahren (!) eingeführte Gleichstellung von nichtehelichen mit ehelichen Lebensgemeinschaften rückgängig gemacht (derStandard-online 24.05.06).

In einem genannten "Transsexuellen-Erlass" hat das Innenministeriums einem Antragsteller nach einer Geschlechtsumwandlung die Korrektur des Geschlechts im Geburtenbuch mit dem Hinweis verwehrt, dass die daraus folgende gleichgeschlechtliche Ehe nicht erlaubt sei. In einem Prüfungsbeschluss hatten die Verfassungsrichterinnen und -richter das Bedenken, dass das Geschlecht einer Person nicht vom Bestand oder Nichtbestand einer Rechtsbeziehung abhängig sein kann. Dass diese Regelung tatsächlich gesetzwidrig ist, wurde in einem Verfahren des VFGH im Juni 2006 im Rahmen eines Verordnungsprüfungsverfahrens entschieden (VFGH 05.07.06).

Konsequenz dieser restriktiven und bisweilen feindseligen Haltung gegenüber Fremden und Minderheiten: Ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Österreich wegen Säumigkeit bei der – bis Ende 2003 vorgesehenen - Umsetzung des EU-Antidiskriminierungsrechts. Als dritter Schritt in diesem Verfahren wird Österreichs nun beim EUGH geklagt (derStandard-online 20.12.04).

Der restriktiven Fremden- und Asylpolitik und den rassistischen Ausfällen v.a. freiheitlicher PolitikerInnen entsprechend kritisch fiel auch der am 15. Februar 2005 veröffentlichte Bericht der europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz beim Europarat in Strassburg aus: gesetzliche Versäumnisse – von der mangelnden strafrechtliche Sanktionierung von Rassismus und Diskriminierung über die Beschränkungen der Familienzusammenführung und des Arbeitsmarktzugangs nachgezogener Familienangehöriger, die Einschränkungen des Zugangs von MigrantInnen zum öffentlichen und privaten Wohnbau und den Ausschluss von Drittstaatsangehörigen vom Kommunalen Wahlrecht bis zur Diskriminierung am Arbeitsmarkt (Gebot im Ausländerbeschäftigungsgesetz, AusländerInnen zuerst freizusetzen!) und zur unzureichenden Gewährleistung des Asylrechts – wurden hier ebenso angesprochen wie mangelnde Förderung des Erlernens der deutschen Sprache sowie der Ausbildung von MigrantInnen, die diskriminierende Behandlung durch Behörden im Allgemeinen und die Polizei im Besonderen, und nicht zuletzt die Instrumentalisierung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit durch politische Parteien (ECRI 2005).

Österreich musste sich aber von der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdefeindlichkeit eine Rüge dafür gefallen lassen, dass hierzulande nur Vorfälle mitrechtsextremistischen Hintergrund, nicht aber andere rassistische Übergriffe offiziell statistisch erfasst werden (derStandard-online 25.11.05).

Antisemitismus:

Im Zusammenhang mit der Finanzkrise der israelitischen Kultusgemeinde sind Kanzler Schüssel und Ministerin Gehrer ins Zwielicht des Antisemitismus geraten. Nach einer Mitteilung von Muzicant soll Schüssel in einem diesbezüglichen Vermittlungsgespräch mit Stuart Eizenstadt in Anspielung auf die hohen Sicherheitsausgeben der Kultusgemeinde erklärt haben, die Regierung würde "nicht bereit sein, abgetakelte Mossad-Agenten zu subventionieren" (APA OTS 13.05.03). Gehrer wiederum hat in Verhandlungen ihrerseits die Gewährung von Finanzhilfe verweigert und  den Bittsteller Muzicant auf den Entschädigungsfond verwiesen (derStandard-online 21.05.03). Mittlerweilen hat die Kultusgemeinde die Kündigung von 35 MitarbeiterInnen beim AMS angemeldet und – "zum ersten Mal seit 1938" (Muzicant) - eine entsprechende Einschränkung des religiösen, kulturellen und sozialen Gemeindelebens angekündigt (APA OTS 27.05.03).

Unter dem Druck der Proteste der Kultusgemeinde und der Oppositionsparteien hat sich die Regierung dann zwar bereit gefunden, Restitutionsansprüche der Kultusgemeinde durch zinsenlose Darlehen zu bevorschussen und eingereichte Projekte der Kultusgemeinde zu fördern, die geforderte zusätzliche Subvention hat sie jedoch nicht gewährt (derStandard-online 03.06.03).

Als sich dann Abgeordneter Pösch (SPÖ) im Budgetausschuss des Parlaments für die Gewährung von Förderungsmitteln einsetzte, hat sich Abgeordneter Scheuch (FPÖ; einer der "Knittelfelder") laut Parlamentsprotokoll dazu folgendermaßen geäußert: "Wir sollen den  Juden kein Geld geben, sondern es lieber den Bergbauern zur Verfügung stellen" (derStandard-online 12.06.03).

Ende Juni 2003 hat die Kultusgemeinde dann die Konsequenzen aus der Verweigerungshaltung der Bundesregierung gezogen und 30 MitarbeiterInnen die Kündigung ausgesprochen, die Anfang 2004 wirksam werden sollen (derStandard-online 25.06.03). Die Regierung ließ indessen die Öffentlichkeit per "Leserbrief" des Bundespressedienstes, wie großzügig sie die jüdische Gemeinde ohnehin fördere, wobei sie dabei – nach dem rassistischen Motto "Jud ist Jud" - auch Zuwendungen an Museen, die privaten Vereinen gehören, auflisten lässt (derStandard-online 09.07.03).

Mitte Juli ließ Gehrer dann die Öffentlichkeit wissen, die Liquiditätsprobleme der Kultusgemeinde würden nun durch einen Vorschuss der Länder auf fällige Entschädigungszahlungen "sofort" behoben. Ende Juli stellte sich dann heraus, dass diese Ankündigung mit einigen Ländern gar nicht abgesprochen war (derStandard-online 18.07.03, 29.07.03). So ist dann auch die von Gehrer zugesagte Akonto-Zahlung der Länder ein leeres Versprechen geblieben. Der Wunsch der Kultusgemeinde, der Bund möge diese Summe vorschießen, ist Mitte September 2003 von Gehrer abgelehnt worden. Der Bund ist auch nach wie vor weder dazu bereit, auf die nach Ansicht der IKG "unmoralische" Verquickung der Gewährung eines zinsenloses Darlehens mit der in den USA noch nicht ausjudizierten Problematik des allgemeinen Entschädigungsfonds für enteignetes jüdisches Vermögen zu verzichten, noch Willens, die Kosten für den erhöhten Sicherheitsbedarf der Kultusgemeinde zu übernehmen (derStandard-online 14.09.03, 16.09.03). Auch beim Innenministerium ist die Kultusgemeinde abgeblitzt – mit dem Argument, dass ohne bereits 32 % der Objektschutzmaßnahmen der Exekutive jüdische Einrichtungen beträfen (derStandard-online 13.11.03).

Eine Entspannung der finanziellen Lage der Kultusgemeinde trat erst Anfang Dezember 2003 ein, als die Länder damit begannen, ihre Zusagen bezüglich Vorschussleistungen auf Entschädigungszahlungen einzulösen, und als sich die Kultusgemeinde dazu entschließen konnte, die angebotenen zinsenlosen Darlehen des Bundes anzunehmen, nachdem dieser von der ursprünglichen Koppelung der Darlehensgewährung an den Verzicht der Kultusgemeinde auf allfällige Leistungen aus dem allgemeinen Entschädigungsfonds Abstand genommen hatte (derStandard-online 03.12.03).

Erst im Jubiläumsjahr 2005 konnte der Streit zwischen Republik und Kultusgemeinde endgültig beigelegt werden: Die Kultusgemeinde erhält 18,2 Mio. Euro aus dem allgemeinen Entschädigungsfond, im Gegenzug zieht die Kultusgemeinde weitere Anträge an den Fond sowie ihre Beteiligung an Sammelklagen in den USA zurück (derStandard-online 25.05.05).

Völkischer Nationalismus:

Im August 2003 profilierte sich Andreas Khol (ÖVP) in einem Feld, das bisher der FPÖ vorbehalten war: im Feld völkisch-nationalistischer Biopolitik: Im Zuge der von Bildungsministerin und stellvertretenden VP-Obfrau Gehrer eröffneten Sommerdiskussion über den vermeintlich ausufernden Hedonismus und die angeblich mangelhafte Gebär- und Kinderfreudigkeit in Österreich stellte er die "echten" ÖsterreicherInnen  vor folgende Alternative: "Entweder die Menschen entscheiden sich, mehr Kinder zu haben oder wir arbeiten alle viel viel länger oder es wird ein Sog nach Österreich entstehen, d.h. man wird sich für kinderreiche Familien aus dem Ausland entscheiden" und "bald über Zuwanderung diskutieren müssen". Angesichts der heftigen Proteste der FPÖ ließ Khol dabei keinen Zweifel an seiner Präferenz aufkommen: "Ich möchte, dass unsere eigene Kultur, das Österreichische, weitergeht und nicht dass wir immer weniger Österreicher und Österreicherinnen von Geburt an hier im Lande haben" (derStandard-online 30.08.03, 01.09.03).

In der Wahlauseinandersetzung um die Präsidentschaft zwischen B. Ferrero-Waldner (ÖVP) und H. Fischer (SPÖ) März /April 2004 hat "Benita", wenig überraschend, mehrfach (z.B. in der Konfrontation der KandidatInnen ORF am 17. April) versucht, die von Schwarz-Blau bereist mehrfach mit Erfolg ausgespielte Karte des Österreich-Patriotismus zu ziehen und sich als diejenige zu profilieren, die "wie eine Löwin" gegen die "ungerechtfertigten Sanktionen gegen Österreich" gekämpft hat, und ihrem Kontrahenten nach klassischem Muster Dolchstoßlegendenbildung als einen der Drahtzieher im Hintergrund zu denunzieren. Heinz Fischer ließ sich seinerseits dieses Spiel mit nationalen Emotionen aufzwingen, übernahm, indem er die bilateralen Maßnahmen ebenfalls als "ungerechtfertigte Sanktionen" bezeichnete, Terminologie und die Werte der ChauvinistInnen, und strich seinen Beitrag zur Beendigung der "Sanktionen" heraus.

Als Statistik Austria am 30. März 2004 die Einbürgerungszahlen des Vorjahres bekannt gab und dabei von einem "neuen Einbürgerungsrekord" sprach, forderte der Obmann des Rings Freiheitlicher Jugend Johann Gudenus in NS-Diktion in einer Presseaussendung, der "systematischen Umvolkung sofort ein Ende (zu) setzen" (APA OTS 30.03.04). Der wohlwollende Kommentar von Vizekanzler und FPÖ-Vorsitzenden Gorbach dazu: die Äußerung sei vielleicht "unbedarft" gewesen und es habe vielleicht die "Sensibilität" gefehlt. Es gehe nicht darum, über einzelne Worte zu reden. "Mir ist das Gedankengut wichtig, und das ist bei Gudenus sicherlich tadellos" (derStandard-online 14.04.04).

Als der grüne Europa-Abgeordnete Voggenhuber Anfang Dezember 2004 im Zusammenhang mit der Debatte um ein verschärftes Asylrecht die Möglichkeit einer Verurteilung Österreichs durch das EU-Parlament in den Raum stellte, spielte der – früher als besonders sachorientiert beleumundete – ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer anlässlich einer von der FPÖ angestrengten aktuellen Fragestunde im Parlament zum Thema "Auswirkungen von illegalem Aufenthalt und Kriminalitätstourismus auf die österreichische Strafjustiz" die Österreich-patriotische Karte gegen den verräterischen Drahtzieher von Sanktionen gegen das eigene Land (Parlament 09.12.04).

Auch der Jubiläums-Nationalfeiertag 50 Jahre Staatsvertrag/ 60 Jahre Republik wurde von der Regierung zum Anlass genommen Österreich mit martialischem Pomp als "grand nation" zu inszenieren: fast 100 Flugzeuge und fast 200 Panzer rollten im Rahmen einer großen Militärparade über die Ringstrasse. Und freilich wurde dieses überwältigende Szenario von Kanzler und Vizekanzler dazu benutzt, die eigene Politik als alternativenlos und besonders erfolgreich für Österreich herauszustreichen. Im Gegensatz zu diesem nationalen Pathos wies Bundespräsident Fischer auf Versäumnisse der Entwicklungs- und Sozialpolitik hin und mahnte zwischenmenschliche Solidarität ein. (APA OTS 26.10.05, derStandard-online 27.10.05).

Die Ereignisse um das mutmaßliche österreichische "Dopingskandal" bei der Winterolympiade in Turin im Februar 2006 waren dann für das BZÖ ein willkommener Anlass, wieder einmal ein patriotisches Lamento über ungerechtfertigte Sanktionen zu inszenieren. Das IOC hatte auf Grund der Anwesenheit eines wegen Dopings von den olympischen Spielen ausgeschlossenen österreichischen Trainers im Quartier des nordischen Olympiateams bei der italienischen Staatsanwaltschaft eine nächtliche Hausdurchsuchung erwirkt. Die Regierung hatte sich darauf hin mit Jubelinseraten über die zahlreichen Erfolge bei den Spielen nach ihrer Eigendefinition "schützend vor die Sportler gestellt". Als die Opposition dann die erheblichen Kosten der Inserate thematisierte, sah sich Bündnissprecher Scheuch an die "Sanktionszeit erinnert: Es werde bewusst gegen ein Land mobil gemacht, und die Opposition versuche daraus politisches Kleingeld zu schlagen (derStandard-online, ORF On 26.02.06 - 28.02.06).

Duldung, Aufwertung und Förderung rechtsextremer  Personen, Organisationen, Medien und Aktivitäten durch AmtsträgerInnen der Republik:

Der im Februar 2003 auf Vorschlag der FPÖ von BM Gehrer zum Universitätsrat der Linzer Kunstuniversität bestellte Leiter des rechtsextremes Schrifttum verbreitenden Karolinger-Verlags Peter Weiß hat nach einer Darstellung der ÖH der Universität Wien am Rande einer vom RFS veranstalteten "Kundgebung für Meinungsfreiheit" am 8. Mai (Jahrestag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht bzw. der Befreiung vom NS-Regime) auf GegendemonstrantInnen und den Pressesprecher der ÖH eingeschlagen (APA OTS 09.05.03). Weiß hat sich im März 2004 im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs bei seinem Opfer für sein "tätliches Verhalten" entschuldigt (derStandard-online 11.03.04) – und dieses somit selbst eingestanden. Trotz entsprechender Aufforderungen seitens der Opposition gab es dazu keine Reaktion von Seiten des Wissenschaftsministeriums…

Am 17. Juni 2003 war dann laut Angaben der ÖH der Universitätsrat Friedrich Stefan, Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Olympia, bei einer RFS-Veranstaltung an der Universität Wien in Handgreiflichkeiten verwickelt. Wiederum keine Reaktion seitens des Wissenschaftsministeriums (APA OTS 18.06.03).

Im Mai 2003 gratulierte Vizekanzler Haupt dem Organ der laut DÖW rechtsextremen "Österreichischen Landsmannschaften", dem "Eckartboten", in der u.a der Todestage Hitlers und Heydrichs gedacht wurde, zu 50 Jahren "heimatverbundenen Journalismus … im Dienste des deutschen Sprach-, Kunst- und Kulturlebens" (derStandard-online 16.05.03).

Laut Bricht des Trend (APA OTS 25.05.03) wurde der von FP-Kurzzeitminister Schmid zum Ministersekretär bestellte Gerhard Sailer, Gründungsmitglied der rechtextremen A(ktion)N(eue)R(echte), Autor rechter Zeitschriften wie "Fakten" und "Zur Zeit" und Verfasser des Satzes "Wozu ist die FPÖ an der Regierung, wenn Asylkriminelle und Heroinafrikaner mehr denn je ihr Unwesen treiben und der Bürger schlimmer als je zuvor für dubiose Entschädigungsansprüche ausgepresst wird" von der zuständigen Bewertungskommission an erster Stelle für die Besetzung der offenen Stelle eines "Abteilungsleiters für Nahverkehr" gereiht. Eine diesbezügliche Entscheidung des Ministers Gorbach (FPÖ) steht unmittelbar bevor.

Auch im Jahr 2003 ist bis Juni die bis 2001 übliche Veröffentlichung des Rechtsextremismus-Berichts durch das Innenministerium unterblieben – wie die Opposition vermutet, aus Rücksicht auf den Koalitionspartner, der an einer Darstellung seiner Verbindungen in die rechtsextreme Szene nicht interessiert ist (derStandard-online 15.06.03).

Am 20. Oktober 2003 veranstaltete die FPÖ im Budgetsaal des Parlaments eine "Gedenkstunde" unter dem Motto "Der Sudetendeutsche Beitrag zur Gründung der Republik". Das Programm sah u.a. eine "Vorstellung der böhmischen, mährischen und schlesischen Reichsratsabgeordneten" durch Horst J. Mück vor. Laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) war Mück wiederholt als Referent bei der rechtsextremen Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP) angekündigt, die in ihren Zeitschriften  immer wieder Beiträge mit neonazistischer und "revisionistischer" Tendenz veröffentlicht. (derStandard-online 20.10.03).

In den Monaten März und April 2004 wertete die von der ÖVP nominierte Präsidentschaftskandidatin Ferrero-Waldner die von DÖW als rechtsextrem eingestufte Zeitschrift "Aula" dadurch auf, dass sie ihr ein zweiteiliges Interview gewährte. Ihr von der SPÖ unterstützte Gegenkandidat Fischer hingegen hatte ein solches Interview abgelehnt, weil er – so sein Sprecher Aigner- "mit Inhalten, die dort manchmal publiziert werden, oder mit Personen, die dort manchmal aufscheinen, nicht in Verbindung gebracht werden will" (derStandard-online 25.03.04).

Am 24. Mai 2004 äußerte sich Wissenschaftsministerin Gehrer in einem Interview für den Standard zu den von der FPÖ nominierten und von ihr bestellten Universitätsräten Friedrich Stefan und Peter Weiss. Die beiden Mitglieder von Organisation, die vom DÖW der rechtsextremen Szene zugerechnet werden, und – bereits in Amt und Würden – durch aggressives Auftreten gegen demonstrierende StudentInnen in Erscheinung getreten sind, seien Ausdruck des gegenwärtigen "Zeitalters der Multikulturalität", gegenüber denen man "Toleranz üben" müsse (derStandard-online 24.05.04). Als sich OppositionspolitikerInnen Tags darauf über diese Zumutung "repressiver Toleranz" (H. Marcuse) empörten, setzte Wissenschaftssprecherin Brinek noch eins drauf, indem sie rechtsextreme Aktivitäten indirekt in verharmlosender Weise mit "zivilgesellschaftlichem Engagement" gleichsetzte: Die Ablehnung der beiden Räte zeige nur, "…  dass zivilgesellschaftliches Engagement für rot und grün offensichtlich ein Fremdwort ist" (APA OTS 25.05.04).Am April 2005 wurde durch die grüne Opposition bekannt, dass ein gewisser Andreas Zacharasiewicz zum zentralen EU-Koordinator für die Sektion Forschung und Technologie in Hubert Gorbachs Infrastrukturministerium bestellt wurde. Zacharasiewicz war früher Grundsatzreferent des Rings Freiheitlicher Jugend in Wien und hat in dieser Eigenschaft im Jahr 2004 einen Artikel zum Thema Europa veröffentlicht, in dem er Europa als "Wiege der Weißen", bezeichnet, die durch "Einwanderung aus dem Süden" und den "Import von Primitivkultur, speziell aus den USA" in ihrer Identität bedroht sei - offener Rassismus und Antiamerikanismus, der wohl kaum als Empfehlung für den Koordinations-Job angesehen werden kann … (derStandard-online 13.04.05).Im September 2005 wurde bekannt, dass Barbara-Wiebke Schöfnagl, Aktivistin der vom DÖW als rechtsextrem eingestuften "Schutzvereins der Österreichische Landsmannschaft", vom Sozialministerium als "Sozialattaché nach Rumänien entsandt wurde – mit dem Auftrag, sich "um die Altösterreicher deutscher Muttersprache im Land zu kümmern" ("der Eckart", Zeitschrift der Österreichischen Landsmannschaft). Der Job wurde übrigens freihändig vergeben – Schöfnagl wurde offenbar angesichts ihrer deutschnationalen Profilierung als konkurrenzlos erachtet. (Profil 19.09.05).Anfang März 2006 wurde bekannt, dass der – im Jahr 2000 von der Wendekoalition in den Kreis der geförderten Jugendorganisationen aufgenommene - Dachverband der deutschnationalen Jugendverbindungen, der "Österreichische Pennälerring",  der sich neben der "Pflege des deutschen Kulturguts" u.a. auch dem "Zweikampf mit dem Schwert" widmet, bis 2004 insgesamt 131.687.- Euro Fördergelder bekommen hat (derStandard-online 12.03.06).Mitte April 2006 kam dann die Nachricht, dass DI Hans Rinnhofer, Mitglied der vom DÖW als rechtsextreme Vereinigung eingestuften Burschenschaft Olympia, der in einer im Jahr 1985 erschienenen Schrift der Burschenschaft Österreich in typisch deutschnationaler Manier als "Kunstgebilde" apostrophiert hat, vom Nominierungskomitee als "geeignetster Kandidat" für die Geschäftsführung des Forschungszentrums Seibersdorf nominiert wurde (derStandard-online 11.04.06). Am 26. April 2006 ist seine Bestellung durch die Gesellschafterversammlung erfolgt, am 1. Oktober 2006 wird er sein Amt antreten (derStandard-online 27.04.06).Mitte Mai 2006 brachte die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Oberhaidinger eine Anfrage an Justizministerin und Innenministerin ein. Gastinger wurde gefragt, warum es trotz entsprechender Anzeigen wegen Wiederbetätigungs-verdächtige Publikationen und Aktivitäten der rechtsextremen Organisationen "Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik" und "Bund freier Jugend" noch keine Anklage gibt, und Prokop sollte erklären, warum der von diesen Organisationen veranstaltete ""Tag der volkstreuen Jugend" nicht, wie noch im Vorjahr, unterbunden wurde (ORRF On 11.05.06).

(Nicht-)Bewältigung der faschistischen Vergangenheit:

(a)  Austrofaschismus:

Am 2. 4. 2003 hat NR-Präsident Andreas Khol dem Buch "Österreich gegen Hitler – Europas erste Abwehrfront 1933 – 1938" von G.-K. Kindermann, in dem Dollfuß und die Vaterländische Front als antifaschistische Widerstandskämpfer und die Sozialdemokratie als Totengräber der Eigenständigkeit Österreichs dargestellt, also  Austro-Faschisten zu Freiheitskämpfern und SozialdemokratInnen in vaterlandslose GesellInnen umgedeutet werden,  durch seine Anwesenheit bei seiner Präsentation und durch seine Dankadresse im Namen der ÖVP und des Nationalrats (!) quasi offiziellen Status verliehen (derStandard-online 03.04.03).

Im Zusammenhang mit der 70. Wiederkehr des österreichischen Bürgerkriegsjahrs und der Ausschaltung des Parlaments 1934 kam es abermals zu ÖVP-Veranstaltungen zum ehrenden Gedenken an Engelbert Dollfuß. U.a. genehmigte Parlamentspräsident Andreas Khol eine - von der SPÖ als besondere Provokation empfundene - Führung von Dollfuß-Verehrern durch das Parlament durch ÖVP-Nationalrat und Sozialsprecher Tanscits (APA OTS 08.05.04).

Eine Fortsetzung fand die vor allem für die Oppositionsparteien provokante schwarze Dollfuss-Nostalgie dann mit der für den 26. Juli im Kanzleramt geplanten Gedenkmesse für den Ständestaatskanzler (derStandard-online 16.07.04). Tatsächlich fand der Gedenkgottesdienst dann in der Michaelerkirche, begleitet von einer Demo der SJ davor, ohne aktive Regierungsmitglieder, jedoch mit Ex-BPO A. Mock und NR W. Tancsits statt (ORF ON 26.07.04).

(b) Nationalsozialismus:

Am 6. Juli 2003 bezeichnete Jörg Haider, seit Mai wieder Mitglied des "Koalitionsausschusses", Juden, die in den Vorkriegsjahren 1938 und 1939 unter maßgeblicher Mitwirkung von Nationalsozialisten aus Kärnten vertrieben worden waren, in einer landesoffiziellen Aussendung in der für ihn bezeichnenden verfälschender und verharmlosender Weise als "im Zuge der Wirren des Zweiten Weltkrieges ausgewanderte Kärntnerinnen und Kärntner" (APA OTS 06.07.03, DÖW 08.07.03).

Vorstöße von Seiten der Grünen und der SPÖ, ein politisches Zeichen zu setzen und eine generelle Rehabilitierung von Deserteuren aus der NS-Wehrmacht vorzunehmen, blieben trotz der diesbezüglichen Empfehlung einer im Jahre 1999 noch von der Parlamentsmehrheit eingesetzten Historikerkommission unerhört - mit der Begründung, dies erübrige sich, denn im Justizministerium habe man herausgefunden, dass es bereits ein aus dem Jahr 1946 stammendes "Befreiungsamnestiegesetz" gebe. Das klingt zunächst plausibel; bedenkt man aber, dass dieses vergessene Gesetz bisher keine Wirkung entfaltet hat und beispielsweise Haftzeiten von Deserteuren im Gegensatz zu der gegenüber Angehörigen der Waffen-SS geübten Praxis bis zum heutigen Tag nicht als Pensionsersatzzeiten anerkannt wurden, merkt man, wie fadenscheinig diese Begründung ist (profil 38/15.09.2003, S.32f.).

Am 24. Oktober 2003 berichtet der Kärntner Landespressedienst über die Präsentation eines Dokumentarfilms über die Tito-Partisanen, der mit Unterstützung des Landes Kärnten vom FPÖ-Ideologen, Haider-Biographen und Herausgeber der Rechtspostille "Zur Zeit" Andreas Mölzer und dem Kärntner Heimatdienst produziert wurde. Titel der "objektiven" (Haider) Dokumentation: "Titos mörderische Macht. Verschleppt, ermordet und verscharrt – Partisanenterror gegen Kärnten". Die Dokumentation - eine rechte Antithese zur im April 2002 ausgestrahlten und seinerzeit von der FPÖ heftig kritisierten Partisanen-Dokumentation des ORF – soll offenbar zur deutschnational-patriotischen Indoktrination im Rahmen einer Wanderausstellung an Kärntner Schulen vorgeführt werden (APA OTS 24.10.03).

In einem Leserbrief an das Profil hat FP-Bundesrat Gudenus in verharmlosender Weise die Fristenlösung mit dem Holocaust und die Demokratie mit der NS-Diktatur verglichen: "Demokratische Regime", so hieß es dort, "unterscheiden sich vom Nationalsozialismus u.a. auch dadurch, dass die Schreibtischtäter à la Eichmann durch die Abstimm-Mörder auf den Parlamentsbänken ausgetauscht wurden, mit dem Erfolg, dass jetzt zehnmal mehr Unschuldige völlig legal umgebracht werden als Hitler legal ermorden ließ" (profil 40/2003 vom 29.10.03).

Am 8. Mai 2004 fanden sich wieder einmal ca. 300 Burschenschafter anlässlich des 59. Jahrestags der Kapitulation des NS-Regimes zur Ehrung ihrer Helden in der Krypta am Wiener Heldenplatz ein. Totenredner Strache, Landesparteiobmann von Wien und Mitglied des Bundesvorstands der FPÖ hielt die Totenrede und geißelte dabei die angebliche "Schieflage der derzeitigen Geschichtsauffassung" (derStandard-online 08.05.04).

Keine Bereitschaft zeigte hingegen Verteidigungsminister Platter (ÖVP), der Aufforderung nachzukommen, anlässlich des 60. Jahrestages des fehlgeschlagenen Attentats einer Gruppe von Offizieren auf Adolf Hitler am 20. Juli 2004 eine Kaserne oder wenigstens den Innenhof der Wiener Rossauer Kaserne nach dem aus Österreich stammenden Stauffenberg-Adjutanten Oberstleutnant Robert Bernardis zu benennen. Zur Empörung der Opposition entledigte sich Platter dieser Aufforderung mit dem Auftrag an die Denkmalkommission, einen geeigneten Text und einen geeigneten Ort für eine – vergleichsweise unscheinbare - Gedenktafel vorzuschlagen (APA OTS 20.07.04, 21.07.04).Anfang September 2004 wurde bekannt, dass im Kärntner Bleiberg mit Mittel der kroatischen Regierung ein Denkmal für im Jahre 1945 getötete Mitglieder der faschistischen Ustascha-Bewegung, die im zweiten Weltkrieg an der Seite NS-Deutschlands gekämpft hatte errichtet werden soll, fand Landeshauptmann Haider das ganz in Ordnung: es sei ganz gut, wenn an einem historischen Schauplatz eine Erinnerungsstätte geschaffen werde. Damit konfrontiert, dass es sich dabei um eine Denkmal für ein faschistisches Regime handelte, reagierte Haider mit der Bemerkung: "In Wien gibt es noch immer ein Denkmal für die Rote Armee" – um damit einmal mehr die Singularität des Hitler-Faschismus zu negieren und den Unterschied zwischen Okkupation und Befreiung zu verwischen. Kein Problem mit dem Faschisten-Denkmal hat auch der SPÖ-Bürgermeister von Bleiberg: die jährlichen Gedenktags-Treffen seine schließlich "positiv für die Bleiberger Gastronomie" (derStandard-online 04.09.04).Zu Beginn des von der Regierung als Forum zur Selbstinszenierung angelegten "Gedankenjahres 2005" (60 Jahre Kriegsende, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Mitgliedschaft, 5 Jahre schwarz-blaue Wende) hat sich NR-Präsident Khol (VP) in der ORF-Pressestunde am 9. Jänner 2005 auf die Suche nach österreichischen Helden begeben. Dabei sind ihm Hurdes, Figl und Raab auf der einen und Schärf, Kreisky und Pittermann auf der anderen Seite, aber auch der Verband der Unabhängigen, das Sammelbecken ehemaliger NationalsozialistInnen, und der ehemalige SS-Infanteriebrigardist und langjährige FP-Obmann Friedrich Peter eingefallen. Khol hat mit dieser öffentlich kaum wahrgenommenen ungerechtfertigten Gleichung ganz im Geiste des schwarz-blauen Schulterschlusses und ganz im Sinne der Verhaiderung der ÖVP, das nachvollzogen, womit Jörg Haider vor mehr als 10 Jahren im Kärntner Krumpendorf die Öffentlichkeit noch provozieren können: die Ehrenerklärung an die ehemalige NationalsozialistInnen, die seinerzeit die "Heimkehr ins deutsche Reich" aktiv betrieben hatten, und er hat damit die zweite Republik nicht mehr, wie es vor der Wende Grundkonsens war, im deutlichen Bruch, sondern in diffuser Kontinuität mit dem Nationalsozialismus definiert (H. Rauscher, derStandard-online 11.01.05).

Am 24. Jänner 2005 hat sich dann Staatssekretär Morak (ÖVP) vor der Vollversammlung der UNO zum Gedenken an den 60. Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz in bemerkenswerter Klarheit  zur moralischen Verantwortung Österreichs für den Holocaust bekannt:

"Zu lange hat sich Österreich nach dem Krieg allzu gerne auf jene Feststellung in der Moskauer Deklaration berufen, dass Österreich das erste freie Land gewesen ist, das der Hitler-Agression zum Opfer gefallen ist," so Morak. "Gleichzeitig haben wir vernachlässigt, dass in derselben Erklärung Österreich an seine Verantwortung für die Mittäterschaft an der Seite Hitlerdeutschlands erinnert wurde" (derStandard-online 24.01.05)

Auch Kanzler Schüssel bekannte Namens der Republik "eine moralische Mitverantwortung für das Leid, das Menschen durch den Nationalsozialismus zugefügt wurde" ein, ebenso Bundespräsident Fischer nach seiner Rückkehr von einer Gedenkveranstaltung in Auschwitz.

Ganz anders Andreas Mölzer, rechtsextremes Element und Europaparlamentarier der FPÖ: dieser hat einer Resolution des Europaparlaments gegen das Vergessen des Holocaust und "gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassenhass und gegen die Gleichgültigkeit, die sich in unserer Gesellschaft breit macht" (EU-Parlamentspräsident Borrell) und gegen den Zulauf zu extremistischen und fremdenfeindlichen Parteien und die zunehmende Akzeptanz deren Auffassungen in der Öffentlichkeit die Zustimmung verweigert. Ihm zufolge gibt es nämlich keine moralische Mitverantwortung Österreichs, und die Verurteilung von Fremdenfeindlichkeit und fremdenfeindlichen Parteien durch die Resolution sei nichts anderes als ein "tagespolitischer Missbrauch" (derStandard-online 27.01.05).

Vierzehn Tage später forderte Mölzer dann dafür eine Gedenkveranstaltung für die "Opfer des alliierten Bombenterrors" gegen "Frauen und Kinder, auf der Flucht vor der anrückenden Roten Armee". Es würde der EU gut tun, "gerade in diesem Jahr" ein eindeutiges Zeichen zu setzen. Das wäre "für die Weiterentwicklung der viel beschworenen europäischen Werte" wichtig (APA OTS 09.02.05).Auch Johann Gudenus, der Vorsitzende des Rings der freiheitlichen Jugend und Mitglied des Bundesvorstands der FPÖ, übte sich anlässlich seines Antritts des turnusmäßigen Vorsitzes der Österreichischen Bundesjugendvertretung in revisionistischer Täter-Opfer-Umkehr. Eines seiner Anliegen sei es, "die bisherige Einseitigkeit des Geschichtsbildes der BJV gerade im Gedenkjahr 2005" zurechtzurücken. "Ich möchte, dass diesmal in ausgeglichener Weise von der Bundesjugendvertretung wirklich aller Opfer der neueren Geschichte Österreichs gedacht wird,  etwa auch der vielen jugendlichen Opfer der Flächenbombardierungen und brutalster Gewaltakte im Zuge des Einmarsches der Besatzungsarmeen." (APA OTS 27.01.05).

Als das DÖW anlässlich des Gedenkjahrs 2005 daran ging, seine Dauerausstellung zur Vorgeschichte des Nationalsozialismus, dem Widerstand und der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Österreich zu überarbeiten, fand sich der Bund nicht dazu bereit, sich an der Finanzierung zu beteiligen (derStandard-online 10.02.05).

Am 17. März 2005 teilte Justizministerin Miklautsch der Öffentlichkeit mit, dass sich die Regierung nicht darauf verständigen konnte, anlässlich des Gedenkjahrs 2005 ein Amnestiegesetz zu verabschieden, von dem einerseits nach altem, vom VFGH aufgehobenen Recht vorurteilte Homosexuelle, andererseits NS-Deserteure betroffen hätte – für die FPÖ bestand kein Handlungsbedarf (derStandard-online 17.03.05). Dementsprechend gab es dann auch kein Rehabilitierungsgesetz für Deserteure. Immerhin soll aber das Opferfürsorgegesetz auf Homosexuelle, "Asoziale" und Zwangssterilisierte ausgeweitet werden und sozialrechtliche Nachteile für Deserteure geprüft werden (derStandard-online 12.05.05).

Dafür forderte FP-Obmann H.C. Strache rechtzeitig zum 8. Mai Gedanken eine Entschädigungszahlung für diejenigen, "die nicht davongelaufen sind", und Sozialministerin U. Haubner (BZÖ) kündigte zum Staatsvertragsjubiläum am 15. Mai an, dass sogenannte Trümmerfrauen "als Geste des Dankes für ihre Leistungen beim Wiederaufbau" 300 Euro erhalten ... (ORF On 14.05.05). Die Entschädigungszahlung für die ca. 50.000 "Trümmerfrauen", die vor 1931 geboren wurden, keine eigene oder nur eine geringe Pension haben und vor 1951 Kinder bekommen haben, wurde am 24. Juni 2005 im Familienausschuss des Parlaments beschlossen. Analog zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz sind zwar jene Personen von der Zuwendung ausgeschlossen, "deren Verhalten in Wort oder Tat mit den Gedanken und Zielen eines freien demokratischen Österreich unvereinbar war", aber nicht alle, die nach dem Verbotsgesetz als Nationalsozialistinnen registriert waren. Die Opposition sprach daher zu Recht von einer Vermengung von Tätern und Opfern (derStandard-online 24.06.05). Die Prämie wurde dann am 7. Juli vom NR beschlossen[8] (der Standard-online 07.07.05).

Im April  lieferte dann Bundesrat und Haiders "BZÖ"-Mitstreiter Siegfried Kampl die Erklärung dafür nach: Aus FPÖ/BZÖ-Sicht sind nämlich in revisionistischer Verkehrung der Tatsachen die Wehrmachtsdeserteure "Kameradenmörder" und die ehemaligen Nationalsozialisten die Verfolgten (ORF On 19.04.05)!

In der Folge machten sich, im Wettlauf um Profilierung am rechten WählerInnenrand, sowohl Haider (BZÖ) als auch Strache (FPÖ) für Kampl stark: Haider stilisierte Kampl beim Gründungskonvent des steirischen BZÖ zu einem Märtyrer, der sich traut, in einem seiner Meinung nach offenbar unangebrachten  Jubiläumsjahr die Wahrheit zusagen: "Da werden hypertrophische Feiern zu 60 Jahren und 50 Jahren Jubiläen veranstaltet. Das ist nur Rückblick, und wenn einer dann so redet, wie es nicht passt, dann wird er mit der Moralkeule niedergehauen", und Strache verwahrte sich beim Parteitag der Kärntner Rest-FPÖ gegen die "Menschenjagd" und "Anlassgesetzgebung", um Kampl als Bundesratsvorsitzenden zu verhindern. Auch inhaltlich gab er Kampl Rückendeckung: "Die Deserteure sind keine Helden gewesen. Sie haben ihre Kameraden, die oftmals keine Nationalsozialisten waren, damals im Schützengraben im Stich gelassen" (derStandard-online 05.06.05).

Wie unfähig und unwillig das "nationale Lager" ist, sich von nationalsozialistischen Befangenheiten zu lösen, demonstrierte der auf Vorschlag des BZÖ vom Kärntner Landtag als Ersatz für den Bundesratsvorsitz bestimmte Peter Mitter beim Empfang anlässlich seines Amtsantritts: er begrüßte Siegfried Kampl ausdrücklich "voller Ehrfurcht" - Kampl, der "eigentlich heute hier stehen sollte", zeige durch seine Anwesenheit beim Empfang im Parlament, "welche Größe er hat". Auf seine Haltung zur NS-Vergangenheit angesprochen, erklärte Mitterer, wohl um sicher zu gehen, sich an dieser Angelegenheit nicht die Finger zu verbrennen, er wolle diese weder "kommentieren noch werten" (derStandard-online 21.07.05).

Ende April 2005 verstieg sich Alt-FPÖ-Bundesrat Gudenus neuerlich (er hatte dies bereits 1995 einmal getan) in erzrevisionistischer Weise dazu, die Existenz von Gaskammern in Zweifel zu ziehen:

"Charles Popper hat gesagt, man soll nicht Tabus aufstellen, sondern man soll physikalisch und wissenschaftlich prüfen" (ORF On 26.04.05). Nachdem die Staatsanwaltschaft Wien im Juni diese Aussage nicht als (verbotene) Leugnung, sondern als (erlaubten) Zweifel gewertet und daher als "nicht verfolgenswert" eingestuft hatte (derStandard-online 06.06.05), legte Gudenus noch eins drauf und präzisierte seine "Zweifel": "Es gab Gaskammern, aber nicht im Dritten Reich. Sondern in Polen" – Anlass für die Wiener Grünen, erneut eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen Verstoß gegen das Verbotsgesetz einzubringen (derStandard-online 08.06.05). Diese hat bereits nach wenigen Tagen beim Wiener Landtag die Auslieferung von Gudenus wegen Verdacht des Verstoßes gegen das Verbotsgesetz beantragt. Auch das Verteidigungsministerium hat gegen Gudenus ein Disziplinarverfahren eröffnet (derStandard-online 13.06.05). Der Wiener Landtag hat dem Auslieferungsantrag am 29. Juli prompt stattgegeben (ORF On 29.06.05).

Am 4. Mai 2005 soll Gudenus dann bei einer Fotoausstellung im ehemaligen KZ Mauthausen die zynische Feststellung getroffen haben, die dort abgebildeten jugendlichen Häftlinge sähen "besser aus als er selbst". Die Folge: eine weitere Anzeige wegen Verstoß gegen das Verbotsgesetz, ein neuerliches Auslieferungsbegehren der Staatsanwaltschaft, und am 15. September wurde Gudenus vom Wiener Stadtparlament ein weiteres Mal die Anonymität aberkannt (derStandard-online 15.09.05).

Am 26. April 2006 wurde Gudenus dann tatsächlich von einem Geschworenengericht wegen Wiederbetätigung zu einem Jahr bedingt verurteilt (derStandard-online 26.04.06) - für den Anwalt von Gudenus ein "Fehlurteil", gegen das er Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde einbringen werde. Die Staatsanwaltschaft hat ihrerseits Berufung wegen des geringen Strafausmaßes eingelegt.

FP-Volksanwalt E. Stadler, selbst für rechtsextreme Äußerungen berüchtigt, sprach sogar von einem "politischen Urteil", das durch eine öffentliche Vorverurteilung zustande gekommen sei – und handelte sich damit eine weitere Rücktrittsaufforderung von SPÖ und Grünen ein (ORF On 09.05.06).

Im Herbst 2005 wurde dann bekannt, dass die Regierung beabsichtigt, übrig gebliebene Mittel aus dem Fond zur Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen als Stipendienstiftung für die Herkunftsländer ZwangsarbeiterInnen und für eine  so genannten "Zukunftsfond" umzuwidmen. Aufgabe dieses Zukunftsfonds soll die Förderung von Projekten sein, die dem Interesse und dem Gedenken der NS-Opfer, aber auch solcher Projekte, die der "Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme und Gewaltherrschaft" dienen. Unter diesem Titel fallen dann alle tatsächlichen und vermeintlichen Opfer der ehemaligen totalitären Systeme in Osteuropa, einschließlich ehemaliger NS-Kollaborateure. Damit das glatt geht, soll nach Vorstellung der Regierung das Fond-Kuratorium am Parlament vorbei nur von der Regierung beschickt werden. Die Opposition sah darin ein Einfallstor zur "Relativierung von NS-Verbrechen" und verweigerte daher ihre Zustimmung (derStandard-online 13.10.05).

Ende des Jahres 2005 hat die Regierung dann doch noch ein wichtiges Kapitel der Wiedergutmachung auf den Weg gebracht: nach Eintritt der Rechtssicherheit konnte am 13. Dezember im Ministerrat die Auszahlung aus dem Entschädigungsfonds an 132.000 NS-Opfer in Angriff genommen werden (derStandard-online 143.12.05).

In einem – bereits im Jaenner 2004 gefuehrten, jedoch erst im September 2006 in der "Zeit" oeffentlich gemachten – Interview hat Staatssekrataer der BZOE-freiheiliche Staatssekretaer Mainoni allerdings freimuetig die bloss instrumentelle Motivation der schwarz-blau/orangenen Restitutionspolitik eingestanden: die Wiedergutmachungs-Zahlungen seien dazu benutzt worden, um die internationale Isolation nach der schwarz-blauen Koalition zwischen Wolfgang Schüssel und Jörg Haider im Jahr 2000 zu durchbrechen. "Da haben wir uns eingekauft. … Damit haben wir auch den Rücken frei gehabt gegenüber den jüdischen Organisationen" (derStandard-online 20.09.06).

Anfang des Jahres 2006 offenbarte sich dann allerdings an Hand eines Falles der Rückgabe von infolge der NS-Vermögensentziehung in den Besitz der Republik gelangten Kunstgütern die Schattenseite der österreichischen Entschädigungspolitik. Erst unter massiven internationalen Druck und angesichts von Millionenklagen hat sich die Republik nach einer Geschichte halbherziger Lösungen und hinhaltenden Widerstandes erst Ende der 1990er-Jahre – in der Zeit der großen Koalition - zu einem Kunstrückgabegesetz entschlossen. Von Schuldeinsicht war das offizielle Österreich freilich weit entfernt, der Chef der Wendekoalition Schüssel legte anlässlich der Beschlussfassung über das Entschädigungspaket im Jahr 2001 Wert auf die Feststellung, dass "wir uns nicht entschuldigen", und die Regierung war peinlich darauf bedacht, die Restitutionsleistungen durch parallele Entschädigungszahlungen an "Heimatvertriebene" und "Trümmerfrauen" zu "kompensieren. Die mit der Abwicklung der Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen beauftragte Maria Schaumayer weigerte sich, auch die Causa der Entschädigung jüdischer NS-Opfer zu übernehmen – mit der latent antisemitischen Begründung, sie wolle nicht "die Menschenschicksale der Zwangsarbeiter … mit dem fünften Picasso der Erbengeneration vermischen".

Im konkreten Fall – es handelte sich um Klimt-Bilder der Vertriebenen Maria Altmann – war durch den Spruch eines Schiedsgerichts die Rechtmäßigkeit einer Restitution anerkannt worden. Was von österreichischer Seite in der Folge bedauert wurde, war aber nicht die Tatsache der Enteignung und der Verzögerung der Wiedergutmachung, sondern der drohende Verlust "unseres Klimt". Kein Wort der Entschuldigung, keine Erklärung der Notwendigkeit und Richtigkeit der Restitution seitens der zuständigen Ministerin Gehrer, kaum verhohlene öffentliche Empörung über die "Geldgier" der Entschädigten (Profil Heft 5 vom 30.01.06).

Bereits im September 2005 haben sich die haben sich die Parlamentsparteien angesichts der EU-Präsidentschaft darauf geeinigt, im Jahr 2006 auf die seit 1998 jährlich veranstaltete gemeinsame Sitzung von NR- und Bundesrat aus Anlass des "Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus" zu verzichten. NR und Bundesratwerden allerdings am 27. April bzw. 10. Mai getrennt im Rahmen regulärer Sitzungen der NS-Opfer gedenken, und für 2007 ist eine Gedenkveranstaltung im Besucherzentrum des KZ Gusen vorgesehen. Ungeachtet dessen ist diese Entscheidung seitens der "Österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen" und des "Mauthausenkomitee Österreich" auf heftige Kritik gestoßen (ORF On 17.03.06, 04.04.06).

Am 6. Mai 2006 ist es dann wieder zur alljährlichen Kranzniederlegung zum Jahrestag der Kapitulation des NS-Regimes am Wiener Heldenplatz gekommen. Die Gedenkrede vor 150-200 Burschenschaftern hielt diesmal A. Mölzer. Am Programm stand erwartungsgemäß rechtsextreme Pflichtverteidigung: man werde sich die Trauer über die eigene Tragödie und die gefallenen Väter und Großväter nicht nehmen lassen – das sei "unser gutes recht" und "unsere verdammte Pflicht", und man werde dem Zeitgeist, der "das Heldentum der Gefallenen in den Dreck zieht" entgegentreten. Bezogen auf die Gegenwart plädierte Mölzer für ein nach außen starkes, geeintes Europa; nur so könne man sich gegen den Islamismus und die mächtige USA zu Wehr setzen (derStandard-online 07.05.06).

Bezeichnend für die rechtsextreme "Natur" der FPÖ dann auch die Grußbotschaft von Walter Sucher vom "Ring volkstreuer Verbände" anlässlich des Parteitags der Wiener FPÖ am 7. Mai 2006. Nachdem er vor der Verleugnung des deutschen Volkstums und vor der Übersetzung des Deutschlandliedes ins Türkische gewarnt hatte, beendete er seine Wortmeldung " ... mit einem Gruß …, der wirklich unser alter Gruß ist, nicht das ‚Glück auf’ von heute, nein ich grüße euch alle mit einem kräftigen ‚Heil’ für die Zukunft!" (derStandard-online 08.05.06).

Europaskepsis:

Was die EU-Erweiterung betrifft, so hat Österreichs Regierung dieser zwar letztlich doch ungeachtet der noch bestehenden Differenzen in den Fragen Benes-Dekrete, AKW Temelin und Transitverkehr auch mit den Stimmen der Freiheitlichen zugestimmt (derStandard-online 08.04.03). Die FPÖ droht nun allerdings wegen des Konflikts um die Benes-Dekrete damit, der Ratifizierung eines bereits im Jahr 2001 unterzeichnetes Grenzgänger- und Praktikantenabkommen mit Tschechien die Zustimmung zu verweigern, obwohl sich die "Altmitglieder" der EU in den Beitrittsverträgen dazu verpflichtet haben, die eigenen Arbeitsmärkte bereits innerhalb der siebenjährigen Übergangsfrist graduell zu öffnen (derStandard-online 28.07.03). Ungeachtet dessen wurde der EU-Erweiterungsvertrag am 7. Oktober 2003 vom Ministerrat gebilligt (derStandard-online 07.10.03) und am 3. Dezember 2003 im Nationalrat ratifizierte (derStandard-online 03.12.03).

Freilich zählt Österreich, vertreten durch FPÖVP-Finanzminister Grasser, zu den "Nettozahler"-Ländern, die sich beharrlich weigern, die Erweiterung durch höhere Beiträge zum EU-Budget mitzufinanzieren. Zudem wurden in Österreich (mit Parlamentsbeschluss vom 24. März 2004) und Deutschland und in der Folge in den anderen EU-Staaten die Erweiterung und die Freizügigkeit der Arbeitskraft durch Übergangsfristen von zwei bis sieben Jahren und Einschränkungen des Zugangs zum Sozialsystem konterkariert. Das ist nicht nur politisch fragwürdig und steht möglicherweise im Widerspruch zu EU-Recht, sondern könnte zur Zunahme von Schwarzarbeit, zur Abwanderung von Investoren führen und nötigen Zustrom von Humankapital unterbinden - und insofern auch wirtschaftlich konterproduktiv wirken (der Standard-online 23.02.04, ORF ON 26.02.04, der Standard 24.03.04). Nachdem dann im Februar 2006 der "Bericht über das Funktionieren der in den Beitrittsverträgen fixierten Übergangsregelungen" der EU-Kommission veröffentlicht worden war, in dem u.a. festgestellt wurde, dass es "keinen direkten Zusammenhang zwischen den Mobilitätsströmen von den zehn neuen Mitgliedsstaaten und den … Übergangsfristen" gebe, und dass der Zuzug von Arbeitskräften aus Osteuropa in Länder ohne Übergangsfristen "vergleichbar, wenn nicht niedriger als in Staaten mit Übergangsfristen" sei, verzichteten Finnland aber auch Spanien, Portugal, Griechenland und Belgien auf eine Verlängerung. Österreich hingegen ist entschlossen, die Verlängerung zu beantragen (derStandard-online 03.02.06., 06.02.06).

Einen möglichen EU-Beitritt der Türkei haben im EU-Wahlkampf 2004 alle Österreichischen Parteien angesichts von Umfragen, die eine knappe 2/3-Mehrheit dagegen signalisieren, in seltener Einhelligkeit zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt abgelehnt: Die FPÖ aus Angst vor einer "Umvolkung" bzw., wie es im neurechter New Speak heißt, "Ethnomorphose" (Mölzer), die ÖVP vordergründig deshalb, weil Europa angesichts der aktuellen Erweiterungsrunde erst einmal eine "Verschnaufpause" (Schüssel) braucht, im Hintergrund spielen hier aber sicher auch Ängste vor dem "Untergang des christlichen Abendlandes" eine Rolle. SPÖ und Grüne können sich eine Türkei in der EU zwar vorstellen, aber nicht jetzt; erst müsse die Vertiefung der EU (Gusenbauer) sowie die Integration der Balkanstaaten (Voggenhuber) bewältigt werden (Profil 21/04).

Im Vorfeld der Entscheidung der EU über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hatte sich zunächst EU-Kommissar Fischler (ÖVP) überraschend deutlich aus ökonomischen und kulturellen Gründen gegen eine Mitgliedschaft der Türkei ausgesprochen. Im September 2004 hat sich dann die FPÖ (Parteivorsitzende Haubner; das "einfache Parteimitglied" Haider ist hier mit einer Beitrittsbefürwortung bemerkenswerterweise aus der Reihe getanzt!), aber auch die SPÖ (erst Clubobmann Cap, dann Gusenbauer und schließlich der gesamte Parteivorstand) – sozusagen im "Schulterschluss" gegen die Türkei - dieser Position angeschlossen. FPÖ und SPÖ wollen nun eines Sinnes Bundeskanzler Schüssel – dieser tritt nach wie vor wie die Grünen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit offenem Ausgang ein - via Parlament an die Ablehnung von Beitrittsverhandlungen im EU-Rat zu binden (derStandard-online10.09.04, 15.9.04, 16.09.04, 30.09.04, 01.10.04). Der dritte Sündenfall der SPÖ nach "Spargelkoalition" und Kärntner Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ…

Die Parteirechten in der FPÖ um Mölzer, Strache und Stadler gaben sich jedenfalls entschlossen, die Frage des Beitritts der Türkei zur EU zur Koalitionsfrage zu machen. Gestützt auf einem Vorstandsbeschluss der FPÖ, "… den Bundeskanzler mit allen politischen und parlamentarischen Mitteln zu einer ablehnenden Stellungnahme zu verhalten" wollen sie mit einer Sondersitzung des NR, mit einer dringlichen Anfrage oder gar mit einem Misstrauensantrag gegen diesen mobil machen (Profil 12.12.04). Zur offenen Konfrontation FPÖ + SPÖ vs. ÖVP + Grüne ist es aber nicht gekommen, da die FPÖ-Regierungsfraktion sich letztlich nicht dazu entschließen konnte, die Koalition zu riskieren und den Antrag der SPÖ auf eine Festlegung des Kanzlers auf eine Ablehnung des Beitritts zu unterstützen (ORF ON 15.12.04).

Bei der Vorbereitung des entscheidenden Gipfeltreffens der Regierungschefs hat Österreichs Außenministerin Plassnik dann offiziell (auch unter dem Eindruck einer 62%-mehrheitlichen Ablehnung des Beitritts in der Bevölkerung) gegen Deutschland, Großbritannien und Italien und gemeinsam mit Dänemark und Frankreich für ergebnisoffene Verhandlungen unter Einbeziehung von Alternativen zum Beitritt und für dauerhafte Beschränkung des Arbeitsmarktzugangs Position bezogen. (derStandard-online 10.12.04, 14.12.04).

Bei der Abstimmung im EU-Parlament am 15. Dezember 2004, bei der der Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zu einem EU- Beitritt mit einer Mehrheit von fast 60 % angenommen wurde, votierten alle österreichischen EU-Abgeordneten, einschließlich dem Grünen Voggenhuber, aber mit Ausnahme von Karas (ÖVP), Swoboda (SPÖ) und Resitarits (Liste HPM) gegen die Vollbeitrittsoption (ORF ON 15.12.04).Der EU-Rat hat dann am 16. Dezember 2004 der Türkei Beitrittsverhandlungen ab 3. Oktober 2005 mit offenem Ausgang und unter der Bedingung, dass die Türkei das EU-Mitglied Zypern anerkennt, angeboten. Die Türkei hat dies grundsätzlich akzeptiert. SPÖ und FPÖ haben Schüssel daraufhin prompt als "Umfaller" kritisiert, der wiederum hat, den Populismus seiner Kritiker übertrumpfend, die Abhaltung einer Volksabstimmung über das Verhandlungsergebnis angekündigt. Auch die Opposition solle sich dieser Forderung anschließen, ja sich über das Ende der Legislaturperiode in einem Parteienpakt (derStandard-online, ORF ON 17.12.04). Dieses "unmoralische Angebot" brachte zwar die – selbst dem Anti-Türkei-Populismus huldigende - SPÖ in erhebliche Bedrängnis, letztendlich entzog sich die SP aber doch der Aufforderung zum "Schulterschluss", und weder der gemeinsame Entschließungsantrag, noch der Parteienpakt kam zustande (derStandard-online 22.12.04). So haben dann Schüssel und Haubner am vorweihnachtlichen 23. Dezember den Pakt allein unterzeichnet (ORF ON 23.12.04)[9].Im August 2005 erklärte dann Kommissionspräsident Barroso, dass die Türkei nach einer Strafrechtsreform und einer Unterzeichnung des auch Zypern einschließenden Zollabkommens alle Voraussetzungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfülle. Angesichts der mittlerweile manifest gewordenen Verfassungskrise der Union, einer in Europa und insbesondere in Österreich zunehmenden Skepsis gegen die Erweiterung der EU und angesichts des Schwenks Haiders und des Haupt-Regierungspartners BZÖ von einer Befürwortung bzw. Akzeptanz auf strikte Ablehnung eins Türkei-Beitritts forderten Kanzler Schüssel und Außenministerin Plassnig abermals dezidiert, "alternative und zwischenzeitliche Lösungen" als Optionen in die Verhandlungen mit der Türkei einzubeziehen. Beim AußenministerInnenrat in Wales Anfang September stand Österreich mit dieser Position freilich ziemlich allein da (derStandard-online 31.08.05, 02.09.05). Angesichts der mittlerweile mehr als 40-jährigen Verzögerungstaktik der EU erklärte die Türkei ihrerseits, weder weitere Bedingungen (wie die von Zypern geforderte Anerkennung) für noch Alternativen zu Vollbeitrittsverhandlungen zu akzeptieren (derStandard-online 02.09.05).

Bis Ende September 2005 sprachen sich sowohl die Kommission als auch das Europaparlament für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen aus (derStandard-online 28.09.05), und es blieb nur noch die EU-Ratsentscheidung offen. Nachdem die Bedenken Zyperns gegen Beitrittsverhandlungen durch eine Erklärung, dass sie die Einhaltung Zollabkommens auch gegenüber Zypern sowie die Anerkennung Zyperns noch im Lauf der Verhandlungen als Voraussetzung für die Aufnahme bzw. den Abschluss der Verhandlungen betrachtet, blieb Österreich mit seine Vorbehalten gegen einen Verhandlungsbeginn völlig allein (ORF On 21.09.05).

Freilich sind auch im Beitrittsverhandlungsangebot der EU etliche für die Türkei kaum akzeptable Hürden eingebaut: Die Türkei muss nicht nur Zypern anerkennen, sondern darf auch in internationalen Institutionen kein Veto gegen ein EU-Mitglied einzulegen, und sie soll auch nach einem Beitritt zur EU nicht nur auf die Niederlassungsfreiheit, sondern auch auf die Reisefreiheit verzichten müssen (derStandard-online 26.09.05).

Auch den – angesichts der Akzeptanzkrise der EU eingeführten – ersten Europatag des Nationalrats verwendete die freiheitliche Regierungsfraktion für Polemik gegen den EU-Beitritt der Türkei: das BZÖ erklärte seine Unterstützung einer restriktiven Haltung, und die FPÖ forderte gar ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Molterer (ÖVP), aber auch Gusenbauer und Cap (SPÖ), machten sich neuerlich, im "Schulterschluss" zur Türkei-Abwehr mit der Regierung vereint, für die minderwertige so genannte "privilegierte Partnerschaft" als Verhandlungsalternative stark (derStandard-online 29.09.05).

Nachdem die Regierung ihre Position vor der entscheidenden Außenministerratssitzung sogar noch verschärft (der Beitritt der Türkei sollte als Verhandlungsziel gestrichen werden) und mit der Frage der Auftrittsverhandlungen mit dem – seinerseits durch ethnische Säuberungen im Zuge des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien belasteten und in der Auslieferung der Verantwortlichen an den Menschenrechtsgerichtshof säumigen - "wirklich europäischen Land" (Schüssel) Kroatien verknüpft hatte und dadurch das Treffen an den Rand des Scheiterns gebracht hatte, lenkte Österreich am 3. Oktober buchstäblich 5 nach 12 doch noch ein und begnügte sich damit, dass der Aufnahmefähigkeit der EU ausdrücklich als Beitrittsbedingung in den Verhandlungsrahmen aufgenommen wird und gleichzeitig mit der Türkei auch mit Kroatien die Beitrittsverhandlungen in Angriff genommen werden (ORF On 03.10.05). Die im Abwehrreflex gegen die Türkei vereinte "Spargelkoalition" reagierte skeptisch bis ablehnend: von "Achtungserfolg", aber "Verhandlungspouvoir nicht ausgeschöpft" (Gorbach bzw. Scheuch, BZÖ), über "besser als nichts" (Gusenbauer, SPÖ) bis "im Liegen umgefallen" (Strache, FPÖ). Lediglich bei den Grünen "Enttäuschung über die Haltung der Bundesregierung" und "Erleichterung über den Verhandlungsbeginn" (Lunacek)  (APA OTS 03.10.05, 04.10.05).

Als danach die "vierte Gewalt" der internationalen Medien die österreichische Verhandlungsführung und die Türkei-beitrittsfeindliche Position Österreichs sehr kritisch kommentierte und der "Guardian" dies gar in einen Zusammenhang mit der mangelnden Bewältigung der NS-Vergangenheit rückte, reagierte Schüssel gereizt, sprach in demokratiepolitisch bedenklicher Weise von "unausrottbaren Pressestimmen" und forderte "von allen politischen Kräften, dass man sich energisch davon distanziert" - also einmal mehr den "nationalen Schulterschluss" (ORF On 07.10.2005). 

Ende Februar 2006 wurde dann – unter österreichischer Präsidentschaft - von Seiten der Kommission und der Botschafter der EU-Staaten grünes Licht für die Eröffnung des ersten Kapitels der Verhandlungen mit der Türkei und Kroatien, Wissenschaft und Forschung, gegeben (derStandard-online 26.02.06). Tatsächlicher Verhandlungsbeginn war dann am 12. Juni 2006 beim Rat der EU-AußenministerInnen in Brüssel (ORF On 12.06.06).    
Verräterisch für mangelnde Verständigungsbereitschaft mit der islamischen Welt dann der Sprachgebrauch Schüssels anlässlich der Eröffnung des Europa-Forums Lech am 10 März 2006: den von dänischen rechtspopulistischen Medien provozierten "Karikaturenstreits" bezeichnete er als "unglaublich" und "im zeitlichen Abstand gezielt losgetreten" – und ortete damit die Schuld für diesen Kulturkonflikt ausschließlich auf islamischer Seite. Dem dänischen – wie er selbst im Bündnis mit einer rechtspopulistischen Partei regierenden - Ministerpräsidenten Rasmussen hingegen, der durch seine beharrliche Ignoranz zur Eskalation des Konflikts beigetragen hatte, attestierte Schüssel in martialischer Ausdrucksweise, in den letzten Wochen durch ein "Stahlbad" gegangen sei (ORF On 11.03.06).

Beim EU-Gipfeltreffen im Juni 2006 in Brüssel hat Ratsvorsitzender Schüssel versucht, die "Aufnahmefähigkeit" der Gemeinschaft als explizites Beitrittskriterium durchzusetzen, um damit eine weitere Hürde gegen den Beitritt der Türkei aufzubauen. Dieser Versuch ist jedoch an den anderen Mitgliedstaaten gescheitert (derStandard-online 16.06.06).

Am 26. April 2006 wurde der Beitrittsvertrag mit Rumänien und Bulgarien mit den Stimmen aller Parteien außer dem FP-Duo Rosenkranz und Bösch im Nationalrat ratifiziert. Die beiden Länder werden dann – je nach Fortschritt ihrer Beitrittsreife – ab 2007 oder 2008 EU-Mitglieder sein (derStandard-online 27.04.06). Da die Kommission Mitte Mai 2006 trotz erheblicher Mängel in einzelnen Politikbereichen keine Verschiebung des Beitritts empfohlen hat, ist von einer Mitgliedschaft ab 2007 auszugehen (ORF On 26.05.06).

Was die Reform der EU-Institutionen betrifft, so legte sich Österreich (gemeinsam mit anderen kleinen EU-Staaten) gegen einzelne Vorschläge des Verfassungsentwurfs - insbesondere gegen die Teilung der EU-Kommission in stimmberechtigte und beratende Mitglieder und gegen die Abkehr von der rotierenden EU-Präsidentschaft – quer. Sollten diese Vorschläge im Entwurf bleiben, droht Außenministerin Ferrero-Waldner mit einem Veto: Österreich werde dann "schlicht und einfach nicht zustimmen" (derStandard-online 22.07.03. 03.08.03). Bei der Konferenz der Regierungschefs und AußenministerInnen in Rom Anfang Oktober 2003 agierte Schüssel als Drahtzieher des "Aufstands der Kleinen" (Österreich, Finnland und Portugal) und zahlreicher neuer Mitgliedsstaaten gegen eine handlungsfähigere kleine Kommission  (derStandard-online 01.10.03, 05.10.03). Die Regierungskonferenz vom 12. und 13. Dezember 2003 in Brüssel, auf der der Verfassungsentwurf hätte verabschiedet werden sollen, scheiterte schließlich aber an Spanien und Polen, die sich nicht mit der Berücksichtigung der Bevölkerungszahl bei der Gewichtung der Stimmen im EU-Ministerrat abfinden wollten. Damit war die Vertiefung der EU vorerst am Widerstand der vereinigten Euroskeptiker gescheitert (der Standard-online 13.12.03, 14.12.03).

Die EU-Verfassung wurde dann doch – mit der "Charta der Grundrechte" als Bestandteil und zur Beruhigung der "kleinen Staaten" mit einer "doppelte-Mehrheits"-Regel und qualifizierten Mehrheitserfordernissen bei heiklen Abstimmungsthemen versehen sowie unter vorläufiger Wahrung des Prinzips "ein Kommissar pro Land in der Kommission" - Mitte Juni 2004 unter irischer Präsidentschaft vom Rat beschlossen (derStandard-online 18.06.04).

Die Ratifizierung durch das österreichische Parlament ist am 11. Mai 2005 mit nur einer Gegenstimme (FP-Abgeordnete Rosenkranz) erfolgt (ORF On 11.05.05). Der Bundesrat hat dem Regelwerk am 25. Mai mit zwei Gegenstimmen aus der FPÖ (Böhm, Gudenus) und einer aus dem BZÖ (Kampl) zugestimmt (derStandard-online 25.05.05), Mit der Unterschrift von Bundespräsident Fischer wurde der Ratifizierungsakt in Österreich am 14. Juni 2005 abgeschlossen (ORF on 14.06.05).

Europaweit zeichnet sich dennoch ein Scheitern des Verfassungsprozesses ab: Die EU Verfassung wurde nämlich in den nationalen Volksabstimmungen am 29. Mai 2005 in Frankreich (55 % negativ) und am 1. Juni 2005 in Holland (62% negativ) mehrheitlich abgelehnt (derStandard-online 30.05.05, 02.06.05). Hinter dieser Ablehnung stehen ebenso antieuropäische ethno-nationalistische wie proeuropäische sozialpolitisch Kräfte, die Vertiefung der EU ist durch dieser Ergebnis daher politisch in noch weitere Ferne gerückt. Beim EU-Gipfel in Brüssel in der zweiten Junihälfte 2005 soll eine Verlängerung der für die Ratifizierung vorgesehenen Frist bis ins Jahr 2007 hinein und ein Sondergipfel zur Verfassungskrise im Juni 2006, also unter österreichischer EU-Präsidentschaft, beschlossen werden. Am Projekt der Erweiterung und am dafür vorgesehenen Fahrplan soll jedoch offiziell nicht gerüttelt werden (derStandard-online 17.06.05).

Wie eine neue Eurobarometer-Studie (Europäische Kommission 19.07.05) zeigt, hat sich unter den Vorzeichen einer wenig EU-freundlichen österreichischen Europapolitik und im Schatten der jüngsten Krise der Union Österreich als Speerspitze der EU-Skepsis in Europa etabliert:

- nur 37 % der Österreicher (EU-Durchschnitt: 54 %, Luxemburg sogar 85 %) sehen in der Mitgliedschaft eine "gute Sache", nur mehr 41 % (EU-Durchschnitt: 55 %, Irland gar 87 %) nehmen "Vorteile aus der Mitgliedschaft" wahr, nur für 30 % (EU-Durchschnitt: 47 %, Irland 68 %) hat die EU ein positives Image.

- Während im europäischen Durchschnitt 61 % und in Ungarn sogar 78 % die Verfassung unterstützen und 58 % der EuropäerInnen und sogar 76 % der SlowenInnen eine Weiterentwicklung zu einer politischen Union befürworten, sind es in Österreich nur 47 % bzw. 40 %;

- während in Europa im Schnitt 50 % und in Slowenien sogar 79 % eine zusätzliche Erweiterung und immerhin 35 % der EuropäerInnen und sogar 53 5 der SlowenInnen die Aufnahme der Türkei unterstützen, können sich in Österreich nur mehr 31 % für die Fortsetzung der Erweiterung und gar nur 10 % für einen Türkeibeitritt erwärmen.

Im Windschatten der in Österreich und ganz Europa grassierenden Euroskepsis kündigte die Immer-noch-Regierungspartei FPÖ ein (Anti-)EU-Volksbegehren an. Die Forderungen des Volksbegehrens "Österreich bleibt frei" laut Obmann Strache: eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung, Bewahrung der Neutralität, aber auch "ein klares Bekenntnis, dass die Türkei nichts in der Europäischen Union verloren hat", die Türkei sei ein asiatisches Land. Am Ende würden Marokko und Algerien und auch Israel noch kommen (derStandard-online 03.06.05, 27.06.05). Das Volksbegehren soll während der turnusmäßigen EU-Präsidentschaft Österreichs und im Vorfeld der Nationalratswahlen 2006 über die Bühne gehen (ORF On 26.08.05). Anfang Dezember 2005 wurde das Begehren dann eingebracht (ORF On 01.12.05)

Im Juli 2005 zeigte dann auch die ÖVP populistisches Gespür: Finanzminister Grasser ließ prompt vernehmen, dass wir "weniger und nicht mehr Europa" brauchen (ORF On 17.07.05), und Außenministerin Plassnig (VP) wiederum trat im Rat der Außenminister plötzlich dafür ein, der Türkei "Alternativen zum Beitritt" anzubieten (ORF On 19.07.05). Auch das BZÖ machte sich für einen Erweiterungsstop stark (derStandard-online 21.07.05). Kanzler Schüssel wiederum nahm das EUGH-Urteil in der Frage der Zulassung von europäischen Studierenden an österreichischen Universitäten zum Anlass, um Stimmung gegen die EU zu machen und dazu aufzufordern, die Kompetenzen des EuGH zu hinterfragen. Bildung sei eine nationale Angelegenheit. Über den Zugang an die Unis die nationale Zuständigkeit "zu unterminieren", sei "absolut überprüfenswert" (derStandard-online 28.07.05).

Ende August 2005 forderte Haider dann von Kanzler Schüssel eine verbindliche Absprache dahingehend,  im Zuge der bevorstehenden österreichischen EU-Präsidentschaft den EU-Verfassungsvertrag für tot zu erklären: "Wir wollen keinen europäischen Gesamtstaat, und nur ein Staat braucht eine Verfassung" (derStandard-online 27.08.05).

Anfang März 2004 lag dann das Anti-EU-Volksbegehren der FPÖ zur Eintragung auf. Mit knapp 260.000 Stimmen erreichte es eine WählerInnenbeteiligung von 4,3 % und nur Platz 21 in der "Hitliste" der Volksbegehren – ein normaler Wert angesichts der bekanntermaßen geringen Deklarierungsbereitschaft der FPÖ-AdressatInnen (derStandard-online 13.03.06). Die wichtigsten Motive für die Unterzeichung des Begehrens waren nach einer Analyse des Fessel-Instituts die "Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei oder anderer osteuropäischer Länder" (74%) sowie die angeblich "zu vielen Ausländer" in Österreich (67 %). Bemerkenswert dabei die Tatsache, dass das Begehren vor allem von männlichen Arbeitern und Pensionisten unterzeichnet wurde. und dass ein Drittel der UnterstützerInnen SPÖ-SympathisantInnen waren – offenbar sind FPÖ- und SPÖ nach wie vor für das WählerInnensegment der ModernisierungsverliererInnen kommunizierende Gefäße (ORF On 14.03.06). Die SPÖ muss sich wohl fragen, ob sich nicht der von ihr selbst praktizierte Anti-Erweiterungs-Populismus und ihre "Spargelkoalitionsspiele" neuerlich zum Einfallstor der FPÖ in Kernschichten der SPÖ entwickeln.

Ende Mai 2006 fand dann unter österreichischer Präsidentschaft im traditionsbefrachteten Rahmen des katholischen Stifts Klosterneuburg ein Sondertreffen der AußenministerInnen zur Verfassungsfrage statt – mit dem Ergebnis, das das Projekt weiterverfolgt werden soll. Die deutsche Präsidentschaft soll bis Mitte 2007 einen Vorschlag über ein Regelwerk vorlegen, das aus Rücksicht auf die Vertiefungsskeptiker möglicherweise nicht die Bezeichnung "Verfassung" sondern "Vertrag" tragen soll und über das dann im Jahr 2009, nach den Wahlen in den Ablehnungsländern Frankreich und Holland, entschieden werden soll. Die Weichen sind damit auf Staatenbund und nicht auf Bundesstaat gestellt, also in Richtung niedriges Integrationsniveau gerichtet (ORF On 28.05.05). Ratspräsident Schüssel hat auch den Charakter der EU als "Christenklub" wieder ins Spiel gebracht: es gäbe keinen Grund, "den Beitrag der christlichen Wurzeln für die europäische Bildung und Erziehung, für die europäischen Werte zu leugnen",  und die Religionen dürften "sich nicht in die Sakristei zurückdrängen lassen" (derStandard-online 29.05.05).

Parallel zu seiner Politik der Behinderung von Erweiterung und Vertiefung der EU positioniert sich Österreich als Scharfmacher im Bereich der Asyl- und Sicherheitspolitik:  

So wurde etwa im Frühjahr 2003 eine Initiative Großbritanniens, für Asylsuchende außerhalb der EU – in der Ukraine oder in Albanien - Camps zu errichten, in denen das "beschleunigte Asylverfahren" abgewickelt werden soll, vom Innenminister mit Begeisterung aufgenommen und von der Außenministerin unterstützt wurde auch (derStandard-online 08.05.03). Auf Grund der Vorbehalte anderer EU-Staaten und der EU-Kommission wurde dieser Vorschlag jedoch am EU-Gipfel in Porto Carras bei Saloniki Mitte Juni 2003 von Großbritannien wieder zurückgezogen (derStandard-online 20.06.03). Großbritannien will nun gemeinsam mit Dänemark, Holland und Österreich das Projekt der "Anhaltelager" (O-Ton Ferrero-Waldner) für Asylsuchende vor den Toren Europas außerhalb der EU realisieren (derStandard-online 21.06.03). Im September 2004 wiederholte Strasser im Windschatten eines Vorschlags des deutschen Innenministers Schily (SPD), Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika zu errichten, den Vorstoß in Richtung eines Auffanglagers für Flüchtlinge in der Ukraine bei einem Treffen mit seinen Innenministerkollegen aus Estland, Lettland und Litauen (derStandard-online 15.09.04).

Am 29. April 2004, zwei Tage vor der EU-Osterweiterung, einigten sich die EU-Innenminister auf einheitliche Mindeststandards im Asylverfahren. Eine zentrale Rolle spielt dabei – von Menschenrechtsorganisationen wie UNHCR und AI heftig kritisiert, hingegen von Innenminister Strasser freudig begrüßt – das Konzept der "sicheren Drittstaaten": Flüchtlinge aus – von der EU noch zu benennenden - "super-sicheren Drittstaaten", die der Menschenrechtskonvention beigetreten sind und diese auch nachweislich erfüllen, und Flüchtlinge aus – von den Nationalstaaten zusätzlich bestimmten – "sicheren Drittstaaten" haben de facto keine Chance mehr auf ein faires Verfahren: Sie dürfen zwar einen Asylantrag stellen, können aber an der Grenze zurückgewiesen werden (derStandard-online 30.04.04).  

Beim Ratstreffen der EU-Innenminister im Februar 2004 unterbreitete dann Innenminister Strasser den Vorschlag, als europäisches Pendant zum US-amerikanischen CIA eine "European Intelligence Agency" (EIA), einen Geheimdienst zum Kampf gegen den Terrorismus, aufzuziehen. Dieser Vorschlag wurde allerdings mit dem Hinweis darauf, dass es mit der EUROPOL bereits eine solche Einrichtung gebe, ohne weitere Diskussion zurückgewiesen (derStandard-online 19.02.04).

Nach dem Terroranschlag in Madrid im März blitzte Strasser mit seinem "EIA"-Vorschlag neuerlich ab, er fand jedoch bei einigen Amtskollegen, v.a. denen aus Deutschland, Frankreich und Luxemburg, Gehör mit dem Vorschlag, mit einem verstärkten Datenaustausch enger zusammenarbeiten. Die vier Staaten wollen in einer "Koalition der Willigen" hier u.a. mit der Vernetzung von DNA- und Visadatenbanken und Fluggästelisten mit gutem (?) Beispiel vorangehen.  Die britische Menschenrechtsorganisation Statematch hat indessen vor solchen Initiativen gewarnt: "Es ist auch geplant, die Situation auszunutzen, um eine Reihe anderer Maßnahmen einzuführen, die wenig oder nichts mit dem Terrorismus zu tun haben, die Kriminalität generell, die Überwachung von Jedermann und zentrale, EU-weite Datenbanken betreffen" (derStandard-online 19.03.04).

Im Mai 2004 haben sich EU-Kommission, EU-Rat und USA - gegen den Willen des EU-Parlaments, das Bedenken wegen des Datenschutzes hatte - darauf geeinigt, dass europäische Fluglinien den US-Behörden zu jedem Passagier 34 Daten, darunter Name, Adresse, Zahlungsform und Telefonnummer übermitteln müssen (derStandard-online 26.03.04, 04.05.2004, 17.05.04). Am 30. Mai 2006 hat der EUGH auf Grund einer Klage des EU-Parlaments dann allerdings die entsprechenden Beschlüsse aus formalen Gründen mangels geeigneter Rechtsgrundlage für nichtig erklärt (derStandard-online 30.05.06). Die EU-Justiz- und Innenminister und EU-Kommission wollen jedoch die Daten weiterhin liefern und dafür eine bessere Rechtsgrundlage schaffen. Außenministerin Plassnig hat aber immerhin Ende Mai 2006 als Vorsitzende EU-Außenministerrats im europäischen Parlament die Auflösung des allen völker- undmenschenrechtlichen Grundsätzen widersprechenden amerikanischen Lagers für Terrorverdächtige in Guantanamo (Kuba) gefordert (ORF On 01.06.06).

Als der designierte EU-Kommissar für Inneres und Justiz Buttiglioni im August 2004 vorschlug, das Asylrecht auf wirtschaftliche Gründe sowie auf Naturkatastrophen und dauerhafte Dürre auszuweiten, wurde dies von VP-Strasser und der FPÖ von Haider und Haubner abwärts unisono zurückgewiesen (derStandard-online 29.08.04, 31.08.04).

Im Mai 2005 wurde zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Luxemburg, Holland und Österreich der sogenannte "Prümer Vertrag" geschlossene, der u.a. grundrechtlich sensible Angelegenheiten wie die Speicherung und den Austausch der DNA-Dateien, den Abruf von Daten aus den Fahrzeugregistern, die Übermittlung von Informationen zur Verhinderung terroristischer Straftaten, aber auch Maßnahmen wie den Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern, die wechselseitige Unterstützung von Rückführungen sowie die Hilfeleistung bei Großereignissen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen etc. vorsieht. Die Ratifizierung durch das österreichische Parlament erfolgte fast ein Jahr später am 29. März 2006 (derStandard-online 29.03.06).

Nach den Londoner Terroranschlägen im Juli 2005 zählte Österreich gemeinsam mit Großbritannien zu den entschiedenen Befürwortern einer Ausweitung der – aus der Sicht des Datenschutzes höchst problematischen - präventiven Speicherung von Internet- und Telefondaten und eines verstärkten Austausches biometrischer Daten (derStandard-online 13.07.05).

Im ersten Halbjahr 2006 soll unter österreichischer Ratspräsidentschaft auch mit dem umstrittenen Projekt der Errichtung von Auffanglagern für Flüchtlinge außerhalb Europas ernst gemacht werden: der Ort des Pilotprojekts sei Tansania, gab Ministerin Prokop am 17. November 2005 im Ständigen Unterausschuss des Nationalrats in Angelegenheiten der Europäischen Union bekannt. Damit soll unter österreichischer Führung ein Projekt des Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union umgesetzt werden, das Ende 2004 beschlossen worden war (derStandard-online 03.01.06). Anfang Jänner erklärte Prokop, dass wahrscheinlich auch in der Ukraine ein Auffanglager gebaut werde (ORF On 04.01.06). Justizkommissar Frattini hat allerdings klargestellt, dass nicht Auffanglager, sondern regionale Schutzprogramme vorgesehen sind (ORF On 12.01.06).

Am 27. April 2006 wurde von den EU-InnenministerInnen unter österreichischem Ratsvorsitz die Finanzierung der ersten gemeinsame Charter-Abschiebeflüge beschlossen. Der erste Flug hat noch im Juni mit Beteiligung Österreichs in einer "führenden Rolle" (Prokop) stattgefunden (derStandard-online 27.04.06, 12.06.06).

Auch in Sachen Stabilitätspakt versuchte sich Österreich mit einem demokratiepolitisch bedenklichen Vorschlag K.-H. Grassers als Musterschüler zu präsentieren: Länder, die den Pakt nicht einhalten, sollten mit einem Entzug des Stimmrechts bestraft werden. Die geldaristokratische Idee dahinter: "wer zahlt schafft an" (ORF ON 27.05.04).

Bemerkenswert auch die Positionierung W. Schüssels im italienischen Wahlkampf im Frühjahr 2006: Während der Deutsche Ex-Kanzler und Christdemokrat Helmuth Kohl den Kandidaten der Opposition Romano Prodi unterstützte, hat Österreichs Kanzler und aktueller EU-Rats-Vorsitzender Schüssel kurz vor dem Wahltag anlässlich des Parteitag der EVP in Rom dem Gastgeber der Tagung und Kanzlerkandidaten der Rechtsallianz Silvio Berlusconi demonstrativ die Aufwartung gemacht – einem Mann, der mit den italienischen Faschisten paktiert, mit der "dritten Gewalt" der Justiz im Dauerkonflikt steht und als Medienmonopolist die "vierte Gewalt" Italiens in seinem Sinne orchestriert. Schüssels Grußadresse: "Mir ist Italien und Europa zu wichtig, um es von der Unterstützung der Kommunisten abhängen zu lassen. Wir brauchen eine starke Mitte-Rechts-Koalition in Italien. Alles Gute, lieber Silvio"  (ORF On 30.03.06).

Die Europawahlen im Juni 2004 haben dann der FPÖ die Gelegenheit geboten, ihr seinerzeit in Kärnten mit einem Treffen europäischer rechtsextremer Parteien (s. S. 18) konzipiertes Projekt einer europäischen Rechten voranzutreiben: Nicht mehr Kandidatin: die Haider-Kritikerin Daniela Raschhofer, dafür hinter Hans Kronberger und dem ehemaligen Landesparteisekretär der Kärntner SPÖ Franz Großmann am dritten Listenplatz: der rechte Publizist, "Umvolkungstheoretiker" und Architekt der angestrebten Union der europäischen Rechten Andreas Mölzer (derStandard-online 03. 05.04). Erster praktischer Schritt in diese Richtung: eine gemeinsame Pressekonferenz mit einem Vertreter des Vlaams  Blok und einem Vertreter der deutschen Republikaner, bei der das rechte Bündnisprojekt ventiliert und ein einschlägiges Buch mit dem Titel "Europa im rechten Licht" präsentiert wurde (derStandard-online 02.06.04).

Im Laufe des EU-Wahlkampfes 2004 versuchten Jörg Haider, FPÖ und – in deren Windschatten - ÖVP aber auch einmal mehr, das "gesunde  Volksempfinden" gegen vaterlandslose SozialdemokratInnen – diesmal in Gestalt des SPÖ-Spitzenkandidaten Hannes Swoboda - zu mobilisieren:

Swoboda habe – so Haider - im Zusammenhang mit den so genannten EU-Sanktionen gegen Österreich und mit der Waldheim-Affäre "Landesverrat" betrieben[10]. Deshalb sollte ihm sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht entzogen werden: "Jedem normal sterblichen Kriminellen wird bei einem schweren Verstoß gegen die Verfassung das Wahlrecht entzogen, und Landesverrat ist ein solch schweres Delikt". Die SPÖ müsse sich ihrerseits fragen, ob sie sich einen "Österreich-Feind und Demokratie-Verächter" als Spitzenkandidat leisten könne (derStandard-online 26.05.04). Dem folgte in den nächsten Tagen eine Flut von weiteren hetzerischen Anwürfen seitens der FPÖ gegen Swoboda: "Landesverräter" (Strache, Bleckmann), "Vaterlandsverräter" (Rosenkranz), "Österreich-Vernaderer" (Haupt, Scheibner), "Nestbeschmutzer" (Haider).

Die ÖVP übernahm in diesem Dramolett den Part der vornehm zurückhaltenden Trittbrettfahrerin: kein Wort vom Landesverrat, Distanzierung von der Forderung nach Mandatsverbot (Lopatka), aber der Vorwurf der Mitverantwortung der Sozialdemokratie an den "Sanktionen" (Molterer, Stenzel), die Ortung von Erklärungsbedarf bei Swoboda (Lopatka) für seinen Brief, der "wirklich empörend" sei (Schüssel), und die Aufforderung an die WählerInnen, "dieses Verhalten der SPÖ an der Wahlurne am 13. Juni zu quittieren" (Stenzel) (APA OTS 26.05.04 - 28.05.04).

In weiterer Folge kam es noch dicker: Haider und Haupt forderten nun einen parlamentarischen  Untersuchungsausschuss; dieser solle klären, "welche Rolle der EU-Spitzenkandidat der SPÖ und seine Partei seinerzeit bei den EU-Sanktionen gegen Österreich gespielt haben". Aber nicht nur die Demokratieverächter in der FPÖ, auch VP-Lopatka hielt einen solchen Ausschuss als "letztes Mittel" für angebracht. Erst drei Tage später – nach distanzierenden Bemerkungen der VP-Spitzenkandidatin Stenzel - die Kurskorrektur durch Molterer und Schüssel aus "rechtlichen und politischen" Gründen (APA OTS, derStandard-online 29.05.04, 01.06.04).

Als der – aus der VP stammende  - EU-Kommissar F. Fischler dann am 01.05.05 in einem Interview die Angriffe auf Swoboda als "ungeheuerlich" bezeichnete, wurde er von FPÖ-Klubobmann Scheibner postwendend seinerseits als "Österreich-Vernaderer" stigmatisiert (derStandard-online 02.05.04). Jörg Haider nannte ihn dann am 9. Juni in einer Wahlveranstaltung unter dem Titel "Stunde der Patrioten" postwendend ein "rotes Kuckucksei im Nest der ÖVP" und einen "Vaterlandsverräter", dem "normalerweise die Staatsbürgerschaft entzogen gehört" (ORF ON 09.06.04).

Mit einem - mit Schuldzuweisungen gegen Swoboda, Klima und Gusenbauer gespickten - Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen "betreffend Verurteilung und Verhinderung ungerechtfertigter Sanktionen gegen einen EU-Mitgliedsstaat" in der von den Grünen beantragten Europa-Sondersitzung des Nationalrats am 4. Juni 2004 wäre die Angelegenheit wohl erledigt gewesen, hätte sich nicht der stellvertretende Klubobmann der SPÖ Broukal durch eine Zwischenruf dazu hinreißen lassen, den Koalitionsparteien entgegenzuschleudern, dass es Ihnen unbenommen sei, "den Nationalsozialisten nachzutrauern". Diese angesichts der hinlänglich bekannten Aussagen und Aktionen von FPÖ-PolitikerInnen a la Haider ("ordentliche Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches", KZ als "Straflager", Überfall auf Russland als "Kampf für die Freiheit") über Mölzer ("Umvolkung") bis Stadler (die "angebliche Befreiung 1945") gegenüber den "rechtsextremen Elementen in der FPÖ" (EU-Weisenbericht) durchaus angebrachte, gegenüber der ÖVP selbst jedoch unberechtigte verbale Pauschalattacke brachte die FPÖ unversehens wieder aus der Isolation in die mit der ÖVP gemeinsam getragene Offensive: Trotz einer Entschuldigung Broukals ergoss sich in den nächsten Tagen von Khol und Molterer bzw. von Haider, Haupt, und Scheibner abwärts eine Woge der Angriffe und Rücktrittsaufforderungen über die SPÖ: Man müsse - so Bildungs- und Wissenschaftsministerin und stellvertretende VP-Vorsitzende Gehrer in zynischer Paraphrase einer traditionellen antifaschistischen Losung - "solchen Anfängen wehren". Wieder einmal war in der üblichen, das ganze Volk für die Regierungsfraktionen vereinnahmenden Weise von "Österreich-Verrat" die Rede, und angesichts dieser "Österreich-Beschmutzungen" wurde die Frage in den Raum gestellt, in wieweit die SPÖ "überhaupt noch die Interessen unseres Landes vertrete" (Haupt). Der von der FPÖ geforderte Untersuchungsausschuss, ja eine "Untersuchungskommission der Bundesregierung" (Haider) sei dringender denn je (APA OTS 04. - 06.06.04).

Als SP-Parteivorsitzender Gusenbauer das Verhalten Broukals damit zu erklären versuchte, dass zuvor im Parlament eine "Pogromstimmung" geherrscht habe, versuchten ÖVP und FPÖ kaltschnäuzig, den Faschismusvorwurf umzudrehen und ihn wegen dieser in der Tat unbedachten Ausdrucksweise der "Beleidigung der Opfer tatsächlich stattgefundener Pogrome" (Khol, Haupt) bzw. der "Verharmlosung der Judenverfolgung im Dritten Reich" (Neugebauer) zu bezichtigen. Herbert Scheibner, Klubobmann der Partei, die die hemmungslos aggressive und zynische "Kampfrhetorik" in die öffentliche politische Auseinandersetzung in Österreich hineingetragen hat, gab sich gar "besorgt um das politische Klima im Parlament, das sich bisher auf einem hohen Niveau befunden habe APA OTS 07.06.04, 08.06.04).

Dieser – von Haider provozierte – verbale Schlagabtausch erwies sich jedoch bei den EU-Wahlen am 13. Juni 2004 letztlich in mehrfacher Hinsicht als im Sinne des Erfinders konterproduktiv: Die Wahlbeteiligung in Österreich sank mit knapp 42 % unter den europäischen Durchschnitt. Die SPÖ konnte ihren Stimmenanteil auf 33,4 % ausbauen und ihre erste Position halten. Auch die Grünen – die einzige Partei, die sich nicht an dem Schlagabtausch beteiligt hatte – legten auf den grünen Europarekord von 12,8 % zu. Die Freiheitlichen hingegen verloren mit einen Absturz von über von 23,4% auf 6,3 % drei Viertel ihrer Stimmen, v. a. an Nichtwählerinnen und die Liste des SP-Renegaten Hans-Peter Martin (14 %), und wurden damit auf ein Format zurückgeführt, das "für eine Demokratie o.k. ist" (Coudenhove-Kalergi).  Das einzige verbliebene EU-Mandat der FPÖ wird übrigens auf Grund von freiheitlichen Vorzugsstimmen der rechtsextreme Listendritte A. Mölzer einnehmen. Allenfalls die ÖVP, die ihren Stimmenanteil ebenfalls leicht auf 32,7 % ausbauen konnte, konnte von der Wiederbelebung der "Sanktionen"-Hysterie profitieren, insgesamt verloren die Koalitionsparteien jedoch auch bei dieser Wahl 15 % der Stimmen.

Europaweit ist es unter dem Strich zu einem merkbaren Rechtsruck gekommen. Die in der EVP versammelten christlich-konservativen Parteien bauten ihre Mehrheit aus. Besorgniserregend war aber vor allem der Erfolg europafeindlicher und/oder rechtsextremer Gruppierungen, die in Zukunft immerhin ca. 15 % der Abgeordneten stellen werden (derStandard-online 13./14.06.04).

Nach den Wahlen hat sich A. Mölzer dann daran gemacht, sein Projekt der Vereinigung der extremen europäischen Rechten umzusetzen.

Er bemüht sich um eine Fraktion mit Vlaams Blok, Lega Nord, Alternativa Sociale (ein von A. Mussolini gegründeter italienischer Rechtsableger der MSI), Front National, Volkspartei Bewegung für eine demokratische Slowakei (Vorsitz: V. Meciar) und der polnischen Bauernpartei Samooborona. Das Projekt der europäischen Rechtsfraktion, das, so Mölzer, auch mit J. Haider vereinbart war (derStandard-online 19.07.04), ist freilich zunächst gescheitert.

Die Rechte hat das Vereinigungsprojekt jedoch nicht aufgegeben. Filip de Winter, Vorsitzender der belgischen rechtsextremen Partei Vlaams Blok, seit ihrem Verbot im Herbst 2004 unter dem Namen "Vlaams Belang" aktiv, hat erst unlängst wieder Bestrebungen, eine rechtsnationale Internationale mit dem Wunschkandidat Jörg Haider an der Spitze zu gründen, bestätigt (News Networld 09.12.04).

Ganz auf der Linie der Rechtsprofilierung der FPÖ nach der Abspaltung des BZÖ wurde das Projekt der Integration der europäischen extremen Rechten im November 2005 weiter vorangetrieben: Auf Einladung der Freiheitlichen Akademie trafen sich VertreterInnen der französischen Front National, des belgischen Vlaams Belang, der italienischen Azione Sociale, der bulgarischen Ataka und der großrumänischen Partei mit Strache, Stadler und Mölzer, um in einer so genannten "Wiener Erklärung" den "effektiven Schutz Europas" vor "Terrorismus, aggressiven Islamismus, Supermacht-Imperialismus und wirtschaftliche Aggression durch Niedriglohnländer" zu fordern, und einer Ausweitung der europäischen Integration auf "auf geographisch, kulturell, religiös und ethnisch nicht europäische Gebiete Asiens und Afrikas eine "klare Absage" zu erteilen. Organisatorisch zielt man laut Mölzer auf die Einbeziehung weiterer rechter Parteien, die Bildung einer rechten Fraktion im Europaparlament und die Gründung einer "Nationale Internationale" ab. (derStandard-online 14.11.05).

In der Zwischenzeit versucht Mölzer, der nationalen Internationalen propagandistisch den Boden zu bereiten: man müsse etwas gegen die "Überalterung der autochtonen Bevölkerung" unternehmen. Dafür sei es "höchste Zeit, eine europaweite Geburteninitiative zu starten" und "allen Versuchen, die traditionelle Kinderfamilie zugunsten von Randgruppen wie der Homosexuellen aufzulösen, mit Entschiedenheit entgegenzutreten", denn menschenwürdige Pflege  könne nicht "den Türken und Nigerianern überlassen", sondern nur durch eigene Kinder und Enkelkinder gewährleistet werde. Daher dürfe sich die "pronatalistische Politik" auch "nur auf die Bürger der EU-mitgliedstaaten beziehen" (APA OTS 30.11.05)

FORTSETZUNG

Anmerkungen:
[1] Im Wahlkampf des Frühjahrs 2004 hat die Kärntner FPÖ übrigens den Rechtsbruch Haiders als Wahlargument für ihn angeführt: "Weil er die Aufstellung zusätzlicher zweisprachiger Ortstafeln verhinderte" (derStandard-online 05.02.04). In Slowenien hat das zu heftigen Protesten von Seiten politischer Parteien (Nationalpartei, demokratische Partei) sowie des Außenministeriums und zur Aufforderung an Österreich, den VFGH-Entscheid "in kürzester Zeit umzusetzen", geführt (derStandard-online 21.02.04).
[2] Allerdings hat der VFGH am 24. März 2004 die Einleitung einer amtswegigen Prüfung des Ausschlusses der "wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter (in Ausbildung)" vom aktiven und vom passiven Wahlrecht zum Senat durch das UG 2002 bekannt gegeben (VFGH 26.02.04). Nach einer vorsorglichen diesbezüglichen Novellierung des  UG durch die Regierungsmehrheit im Frühsommer 2004 ist dieses Verfahren jedoch gegenstandslos geworden.
[3] Im Jänner 2005 hat die Steiermark mit einem von SPÖ, ÖVP und Grünen unterstützten Antrag an den Landtag, die Bundesregierung zu ersuchen, dem Nationalrat eine entsprechende Verfassungsänderung zur Beschlussfassung vorzulegen, einen entsprechenden Vorstoß unternommen (derStandard-online 17.01.05).
[4] Einer Studie des Synthesis Instituts zufolge versuchen entsprechend auch nur drei von vier Frauen den Wiedereinstieg, aber nur jede Zweite schafft ihn, und davon wiederum nur ein Drittel im Ausmaß einer geringfügigen Beschäftigung (derStandard-online 16.12.04).
[5] Um das umzusetzen wurde die Personenstandsverordnung dahingehend abgeändert, dass Ehen, bei denen "wenigstens einer der Verlobten Drittstaatsangehöriger ist", der Fremdenpolizei gemeldet werden müssen. – ein bedenklicher Eingriff in die Privatsphäre, der ab 1.1.2006 zur Routine werden wird (derStandard-online 24.11.05).
[6] SOS-Mitmensch verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie, derzufolge kein Zusammenhang zwischen Immigration und Arbeitslosigkeit nachweisbar ist (der Standard-online 05.09.05).
[7] Um Befangenheiten in einem evtl. zukünftigen VFGH-Verfahren in dieser causa zu vermeiden, wird Korinek nicht als Teilnehmer, sondern nur als Auskunftsperson zur rechtlichen Situation bei der Konferenz erscheinen (ORF On 16.03.05).
[8] Im Rahmen eines "Anerkennungspakets", in dem nochmals die Nichtigkeit von in der NS-Zeit gefällten Urteilen über ÖsterreicherInnen festgestellt wurde und auch vom NS-Regime verfolgte Homosexuelle, sogenannte "Asoziale" bzw. behinderte Opfer medizinischer Versuche sowie WiderstandskämpferInnen und politische DissidentInnen mit finanziellen Zuwendungen bedacht wurden.
[9] Angesichts der Krise der EU nach den negativen Volksabstimmungen über die EU-Verfassung Ende Mai bzw. Anfang Juni 2005 in Frankreich und den Niederlanden ist freilich nicht nur die Aufnahme der Türkei, sondern die gesamte nächste Erweiterungsrunde (Bulgariens, Rumänien, Kroatien) in Frage gestellt (derStandard-online 01.06.05, 02.06.05).
 
[10] In Wahrheit hat sich  Swoboda  in dem angesprochenen Brief an die SPE-Fraktion – ganz im Sinne des breiten österreichischen Konsensus vor der "Wende" und ganz im Geist der europäischen Werte - von der rassistischen und fremdenfeindlichen FPÖ und von deren Beteiligung an der Regierung distanziert, aber ausdrücklich auf das andere, regierungskritische  Österreich verwiesen und dazu aufgefordert, die gesellschaftlichen Kontakte mit Österreich aufrecht zu erhalten (vgl. APA OTS 26.05.04)

hagalil.com 22.10.2006


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved