Bernhard Schmid, Paris
Aus der Ferne würde man zweifellos glauben, es
handele sich um ein Plakat von Pazifisten oder Linken. Oben steht in
dicker Schrift "Irak: Nein zum Krieg", und darunter sieht man Rumpf und
Arme eines Soldaten mit schwerer Waffe sowie, im Hintergrund, ein
weinendes Kind. Doch im rechten unteren Eck prangt die blau-weiß-rote
Flamme mit dem Kürzel "FN", daneben steht die (postalische sowie
elektronische) Kontaktadresse der rechtsextremen Partei. - Die Flamme in
den drei Farben der Nationalfahne hatte der Front National anlässlich
seiner Gründung, im Oktober 1972, von der italienischen
neofaschistischen Partei MSI (Movimento Sociale Italiano) übernommen. In
der politischen Myhtologie des 1946 gegründeten MSI stellt die Flamme
die Seele des faschistischen Diktators Benito Mussolini dar, die aus
seinem Sarg entweicht. Der MSI hatte bei der Gründung der französischen
rechtsextreme Partei mit Pate gestanden, später allerdings entwickelten
die beiden Parteien sich auseinander.
Dieses Motiv ziert seit dem 21. März die elektronischen
Botschaften, die der Front National mehrmals pro Woche über seine
Mailingliste an die eingetragenen Sympathisanten (und JournalistInnen)
versendet. Ende März tauchten dann auch entsprechende Plakate auf. So
fanden die linken und sonstigen kriegsgegnerischen DemonstrantInnen -
unter ihnen zahlreiche
ImmigrantInnen -, die sich am 29. März zur vierten Demo seit Kriegsbeginn
auf die Parise Place de la Concorde begaben, in der Nähe des
Sammlungsorts geklebte Plakate mit diesem Motiv vor. Aus
antifaschistischem Reflex heraus hatten junge Leute die FN-Flamme mit
Aufklebern der KP-Jugend (JC, für Jeunesse communiste) überklebt.
Mitmarschieren durften die Neofaschisten freilich nicht, da sie
erklärtermaßen unerwünscht waren.
Der scheinbar humanistische Charakter des vom FN
verbreiteten Materials belegt seine Fähigkeit, auf geschickte Weise
aktuelle gesellschaftliche Stimmungen aufzugreifen - und Verwirrung zu
stiften. Die pseudo-pazifistische Pose hat dabei in jüngerer
Vergangenheit eine gewisse Tradition. Denn der Front National opponierte
in den 90er Jahren gegen die größeren militärische Konflikte, die von
den westlichen Führungsmächten geführt wurden - namentlich gegen den
Irak 1991 und gegen Serbien 1999 - und nutzte dabei die Gunst der
Stunde, um eher unerwartete Formen des Auftretens zu erproben.
So plakatierte der FN zu Anfang des Jahres 1991 auf
breiter Fläche: Mitterrand, la guerre - Le Pen, la paix
(Mitterrand, der Krieg - Le Pen, der Frieden), als Frankreichs damaliger
sozialistischer Präsident Francois Mitterrand das Land mit 15.000
Soldaten am seinerzeitigen Golfkrieg teilnehmen ließ. Damit überraschte
die extreme Rechte, von der man ein eher militaristisches Profil gewohnt
war, viele Beobachter.
1991: Überraschender Umschwung der extremen Rechten
Tatsächlich widerspiegelte die Opposition des FN gegen
die US-geführte Allianz im Golfkrieg von 1991 seinen damaligen
Paradigmenwechsel. Bis dahin war der FN vor allem antikommunistisch
orientiert und gegen die Dritte Welt ausgerichtet, und in den 80er
Jahren war er auch eher pro-atlantisch. (Jean-Marie Le Pen hatte 1986
noch US-Präsident Ronald Reagan aus Anlass eines Konvents der
US-Republikaner die Hand geschüttelt, dem er durch Rechtsausleger wie
den Senator Jessy Helms vorgestellt worden war; und das Foto vom
Händedruck wurde in seinem Präsidentschaftswahlkampf 1988 massiv
verwendet, um seine vorgebliche weltpolitische Kompetenz zu beweisen.)
Doch am Ende der Blockkonfrontation hatte der Front National seine
internationale Orientierung gründlich neu definiert.
Da die Frontstellung "freie Welt gegen Kommunismus"
überholt sei, so die rechtsextremen Vordenker und Strategen, müsse man
jetzt eine anti-westliche Orientierung annehmen, um sich strikt von der
liberalen Variante des Kapitalismus abzugrenzen. Dieser
Paradigmenwechsel verlief parallel zu jenem in der Innenpolitik, der den
FN zunehmend weiter von der konservativen und bürgerlichen Rechten
entfernte und ihn, mit verstärkter sozialer Demagogie, um Arbeiter und
Arbeitslose, ja ausdrücklich um frühere Linkswähler werben ließ. Denn,
so die Intellektuellen der extremen Rechten - wie ihr damaliger
Chefideologe Bruno Mégret, dessen politische Karriere heute freilich als
gescheitert gelten muss -, das Ende des "real existierenden Sozialismus"
sowie die Bekehrung der regierenden Sozialdemokratie zu neoliberalen
Paradigmen hätten den Platz der "Systemopposition" vakant werden lassen.
Es liege daher an der extremen Rechten, ihn zu besetzen, und die Opfer
sozialer Ungerechtigkeiten anzuziehen. Gleichzeitig war damit die
Strategie verbunden, eine Form authentisch faschistischer "soziale
Bewegung" aufzubauen, die auch auf der Straße und im sozialen
(Alltags-)Leben Präsenz zeigen könne. Allerdings hat die Mehrzahl der
Kader, die für diese Strategie standen, im Zuge ihrer Spaltung 1998/99
die Partei verlassen.
Freilich war die pro-irakische Position so
"revolutionär" auch wieder nicht, denn der Irak hatte in den 70er und
80er Jahren einen der engsten geostrategischen Verbündeten Frankreichs
gebildet. Daher exisitierte auch innerhalb der etablierten Parteien eine
beträchtliche pro-irakische Lobby, die eine stärkere Beachtung der
geostrategischen Eigeninteressen Frankreichs und ihre Geltendmachung
gegenüber den USA forderte.
Dennoch vollzog fast die gesamte konservativ-liberale
Rechte zwischen dem Ausbruch der Kuwait-Krise im August 1990 und dem
Kriegsbeginn im Januar 1991 einen Kurswechsel, zugunsten der
Unterstützung der USA. Daher stand der FN mit seiner klar pro-irakischen
(und sogar dezidiert regimefreundlichen) Position - Parteichef
Jean-Marie Le Pen besuchte im November 1990 demonstrativ den Präsidenten
Saddam Hussein - auf der Rechten am Ende quasi allein da.
Eine SOFRES-Umfrage, die am 6. Oktober 1990 durch die
Pariser Abendzeitung Le Monde veröffentlicht wurde, zeigt auch
die möglichen Beweggründe der -Stellungnahme des FN-Chefs auf. Ein
Drittel der Befragten gaben damals an, Le Pen beziehe die pro-irakische
Position, "um sich von allen anderen Politikern abzuheben". Tatsächlich
dürfte hier einer der Hauptgründe liegen: Alle großen Parteien (mit
Ausnahme der KP und der radikalen Linken) waren damals für den Aufmarsch
der USA und ihrer Alliierten am Golf, unter Führung von George Bush dem
Vater. Das erleichterte die gewünschte Unterscheidbarkeit von der
konservativ-liberalen Rechten.
25 Prozent der Befragten sahen Le Pens Antisemitismus
und sein Verhältnis zu Israel als Motiv an. Daran ist ohne Zweifel
Wahres dran, allerdings muss auch diese Aussage nuanciert werden: Bis
Ende der 80er Jahre, und seit den Kolonialkriegen der späten Fünfziger
Jahre - damals war Israel (gegen Algerien und Ägypten) mit Frankreich
verbündet gewesen - war Le Pen, der als Freiwilliger 1956 am Suezkanal
gekämpft und 1957 in Algerien eigenhändig gefoltert hatte, aus
außenpolitischen Motiven eher pro-israelisch gewesen. Aber seine
Ausladung von einem für Anfang 1988 programmierten Besuch in Israel (wo
er inden 80er Jahren unter anderem Kontakte zur Herut-Partei
unterhielt), nachdem er sich im September 1987 im französischen
Fernsehen allzu lautstark zu den Thesen der Geschichtsrevisionisten
bekannt hatte - Stichwort "die Detail-Affäre" - hatte zu einem Umschwung
seiner Position geführt. Seitdem zögerte Le Pen auch nicht mehr, offen
antisemitische Verschwörungstheorien öffentlich einzusetzen. So
verbreitete Le Pen ab 1988 das Gerücht, die konservativ-liberale Rechte
wolle sich nur deswegen nicht mit ihm verbünden, weil ein "Big brother"
von der US-amerikanischen Ostküste ihr dies verboten habe. Mehrfach
nannte Le Pen seit den späten 80er Jahren in diesem Zusammenhang die
jüdische US-Wohltätigkeitsorganisation B¹nai Brith, nachdem diese sich
in Schriften und Besuchen besorgt über das Anwachsen der extremen
Rechten in Frankreich geäußert hatte. Le Pen zeigte sich bemüht, die
Organisation vor diesem Hintergrund als internationale
"Strippenzieherin" darzustellen. Allerdings gibt es innerhalb der
extremen Rechten nach wie vor, nebeneinander koexistierend, primär
anti-arabische (und vor diesem Hintergrund sich pro-israelisch gebende)
und primär antisemitisch (und sich mitunter pro-arabisch gebende)
Strömungen. Le Pen muss ständig bemüht sein, mit beiden "Sensibilitäten"
zu jonglieren.
15 Prozent der Befragten wiederum meinten, Le Pen
unterstütze deswegen den irakischen Präsidenten, weil er Bündnisse mit
arabischen Herrschern suche, um mit diesen über die Begrenzung (oder
"Rückführung") der arabischstämmigen Immigration in Frankreich zu
verhandeln. Auch dies ist nicht völlig von der Hand zu weisen,
allerdings hat der Irak fast keinen Einfluss auf die real in Frankreich
lebenden Immigranten - die vor allem aus Marokko, Algerien und Tunesien
stammen. Aber als ideologische Konzeption mag Le Pen diese Vorstellung
gehegt haben.
2003: Schwierigkeiten, Gehör zu finden
Im Jahr 2003 haben sich die Dinge geändert. Frankreichs
offizielle Position war, vor dem Hintergrund eines Interessenkonflikts
mit den USA (dabei ging es um die Neuordnung des Mittleren Ostens und
die Aufgabenverteilung in der NATO), seit dem Jahreswechsel eher gegen
die Kriegspläne der US-Adminstration gerichtet. Zumindest wurde eine
Zustimmung zu einem Krieg mit Bedingungen versehen, die durch die
Regierung Bush zurückgewiesen wurden.
Damit wurde dem FN tendenziell der Wind aus den Segeln
genommen. Denn dass dieser nicht nur - die inzwischen auch andere Kräfte
- den US-Krieg ablehnt, sondern auch explizit die Diktatur Saddam
Husseins unterstützt, ist bis in seine eigene Wählerschaft hinein recht
unpopulär. Bereits während der Kuwait-Krise und im Vorfeld des Zweiten
Golfkriegs, 1990/91, war die Mehrheit der FN-Wählerschaft in dieser
Frage nicht unbedingt auf Seiten der Position Le Pens gestanden. Nur 48
Prozent der Le Pen-Wähler bei der Präsidentschaftswahl 1988 waren bei
der vorher zitierten Umfrage vom Oktober 1990 der Ansicht gewesen, der
FN-Chef vertrete mit seiner Position zum Irak "die nationalen Interesse
Frankreichs". Und als das "Figaro-Magazine" im März 1997 die
FN-Sympathisanten - der Kongress der Partei, der erstmals von massiven
Gegendemonstrationen und entsprechender Öffentlichkeit begleitet war,
stand dicht bevor - nach ihren Vorlieben für bestimme Länder fragte,
äußerten sich nur 14 Prozent zugunsten der Irak. Dieser nahm den letzten
Platz auf einer Liste von zwei Dutzend Vorschlägen ein.
Aus Anlass des aktuellen Konflikts zwischen den USA und
dem Irak zeigte sich, dass ab August 2002 die FN-Wählerschaft jene war,
die - unter allen Parteien - den höchsten Anteil an offenen
Kriegsbefürwortern aufwies. Der anti-arabische Rassismus von bedeutenden
Teilen dieser Wählerschaft spielt dabei sicherlich eine Rolle. 35
Prozent der FN-Wähler wollten im Herbst 2002 einem US-Krieg gegen den
Irak auch ohne Mandat der Vereinten Nationen zustimmen - das war der
höchste Anteil unter allen befragten Wählerschaften. Nach Kriegsbeginn
im März 2003 zeigten 55 Prozent der erklärten FN-Wähler und
-Sympathisanten mit diesem einverstanden. Hier zeigt sich das
Auseinanderklaffen zwischen den Einstellungen der Wählerschaft und des
Kader- bzw. Aktivistenstamms der extremen Rechten.
Daher hat die extreme Rechte zur Zeit einige Probleme,
in ähnlichem Ausmaß wie 1991 auf sich aufmerksam zu machen. Im
Zusammenhang mit dem Golfkrieg, und den Protesten der Pazifisten und der
Linken gegen ihn, sprach man in jüngerer Zeit kaum vom FN.
Die rechtsextreme Partei hatte zwar am 1. Februar 03
eine eigene Kundgebung mit seiner pseudo-humanistischen Vereinigung SOS
Enfants d'Irak (SOS Kinder des Irak), der Le Pens Ehefrau Jany vorsteht
und die real auch als Türöffner für mittelständische Unternehmen im irak
diente, durchgeführt. Dabei fanden sich jedoch nur rund 150 Personen
ein. Aus Anlass der großen Antikriegsdemonstration (mit 200.000
TeilnehmerInnen allein in Paris) 14 Tage später hatte zwar die Le
Pen-Tochter Marine, die mögliche künftige Parteivorsitzende, eine
Teilnahme ihrer Partei angekündigt. Die Veranstalter hatten jedoch
ihrerseits angekündigt, die extreme Rechte nicht im Zug zu dulden.
Letztlich hielt der FN es für angeraten, sich lieber nicht blicken zu
lassen.
Aktuelle Stellungnahmen der extremen Rechten
Aus Anlass des Kriegsbeginns am 20. März 03 hielt Le Pen
im Europaparlament eine recht scharfe Rede, in der er ankündigte,
nunmehr bräuchten die Staatschefs der US-geführten Koalition sich "nicht
zu wundern, wenn sie zu den ersten Zielen terroristischer
Vergeltungsaktionen werden". Dabei ging er freilich nicht so weit wie
der Chefideologe der “Neuen Rechten", Alain de Benoist, der in einem
Kommuniqué vom 20. März an verschiedene Zeitungsredaktionen ankündigte:
"Jeder Vergeltungsakt gegen amerikanische Interessen in der Welt (...),
an welchem Ort auch immer er stattfindet, mit welchem Ausmaß und welchen
Mitteln auch immer, unter welchen Umständen es sei, ist nunmehr zugleich
legitim und notwendig." Ein paar Stunden später schien Alain de Benoist
jedoch kalte Füße bekommen zu haben, denn in einem zweiten Kommuniqué
präzisierte er, er habe natürlich keine "terroristischen Aktionen"
gutheißen wollen. Beide Kommuniqués wurden durch die rechtsextreme
Wochenzeitung Minute vom 26. März 03 veröffentlicht.
Der FN und seine parteieigene Zeitung National Hebdo
(NH) vom gleichen Datum legten ihrerseits besonderen Wert in ihrer
Argumentation darauf, dass rund eine Million Christen im Irak lebten,
mit denen man besonders solidarisch zu sein habe. Seitens der Partei
äußerte sich zu diesem Thema besonders Bernard Antony - der Chef des
katholisch-fundamentalistischen Flügels - in einem Kommuniqué, in der
Zeitung NH kommentierte der ebenfalls den katholischen
Fundamentalisten angehörende Leitartikler Yves Daoudal in diesem Sinne
"Den ungerechten Krieg". Die Ultrakatholiken bilden eine der Strömungen
innerhalb der extremen Rechten, die aber in ihrem Kampf um die
ideologische Vorherrschaft besonders durch die neuheidnischen (und
antichristlichen, da antisemitischen, weil sie das Christentum zur
"Ausgeburt jüdischen Geistes" erklären) Rassebiologisten angegriffen
wird.
Die irakischen Christen aber, so schreiben beide (Antony
und Daoudal), seien im Fall eines Sturzes des Baath-Regimes - als
Ergebnis des US-Krieges - besonders bedroht, da im Fall einer Einführung
der Demokratie die schiitischen Muslime als größte Gruppe automatisch
das Land führen würden. Daher sieht die rechtsextreme französische
Partei "die Herrschaft der islamischen Revolution und den Genozid der
Christen" (sic!) bevor stehen, so steht es nachzulesen in
National Hebdo (Ausgabe vom 26. März). Allein die Herrschaft Saddam
Husseins sei in der Lage, wird hinzugefügt, das Land zusammenzuhalten.
Zu solchen Dingen wie Demokratie erklärt man die Bewohner des Mittleren
Ostens für generell unfähig. Nun ist es ansonsten richtig, nicht
unbedingt an die Einführung einer Demokratie durch die US-Bomber zu
glauben - am Ende der Intervention wird wohl eher ein anderes
autoritäres, aber pro-US-amerikanisches Regime stehen. Aber das ist
überhaupt kein Grund, das grundsätzliche Plädoyer der extremen Rechten
für die alte Diktatur für etwas anderes als bekämpfenswert zu halten.
Am Rande vermerkt sei noch: Die
rechtsextrem-verschwörungstheoretische Sekte "Nouvelle Solidarité" -
einer der Ableger der Privatpartei des US-Milliardärs Lyndon LaRouche,
deren deutsche Variante zur Zeit "Bürgerbewegung Solidarität" heißt -
verteilte mehrfach vor Beginn der Demonstrationen und an deren Rande
ihre Pamphlete und Flugblätter. Doch hier handelt es sich um eher
harmlose Spinner, jedenfalls verglichen mit einer organisierten Partei
wie dem FN, die über ein Wählerpotenzial von rund 15 Prozent der Stimmen
verfügt.