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Judentum und Israel
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Helene Riefenstahl im "Haus der Geschichte der BRD":
Nur der Tod mag sie nicht

Zwei Tage nachdem die Lübecker Synagoge brannte, strahlte das ZDF »Die Macht der Bilder«, eine von ihrem Objekt faszinierte Dokumentation über die NS-Filmregisseurin Leni Riefenstahl aus. Ein Zufall, der keiner war: Beide Ereignisse sind Ausdruck des gleichen, hierzulande längst dringend gewordenen Bedürfnisses nach »nachholender Versöhnung«.

Das war der Anlass zu dem Ingrid Strobl 1994 den folgenden Text schrieb. Gut acht Jahre später, am 12.12.2002 eröffnete das "Haus der Geschichte der BRD" eine Ausstellung zu Ehren Helene Riefenstahls. Die
Antifa Duisburg dokumentierte Ingrid Strobels Text mit kleinen Änderungen:

Sie ist eine blondgefärbte, braungebrannte, geistig wie körperlich ungeheuer rüstige Greisin, eine begabte Selbstdarstellerin. Sie posiert vor den Gipfeln der Dolomiten, sitzt am Schreibtisch, erläutert im Berliner Stadion die Kamerapositionen in ihrem »Olympia«-Film, streichelt in Tiefseegewässern einen Rochen...

Von der Bücherverbrennung, erzählt die Riefenstahl, habe sie nichts gewußt, zu dem Zeitpunkt sei sie nämlich in der Schweiz gewesen, und »damals gab es ja kein Fernsehen, nicht wahr«, verschwörerisches Lächeln. Irgendwie muß sie dann aber doch irgend etwas erfahren haben, denn als sie mit Hitler sprach, habe sie »sofort versucht« - treuherziger Augenaufschlag -, mit ihm über ihre jüdischen Freunde zu reden. Da aber habe sich »sein Gesicht verdüstert«, und die kleine Leni sah wohl ein, daß sie den großen Führer mit derlei nicht belästigen konnte. Sie schämt sich nicht, hinzuzufügen, ihre jüdischen Freunde wiederum hätten ihr dringend geraten, in Deutschland zu bleiben, als Bollwerk gegen den Antisemitismus. Und ihr Porträtist Ray Müller schämt sich nicht, derlei unwidersprochen stehen zu lassen.

Sie plaudert auch angeregt über den Führer, der sei privat so bescheiden gewesen, eine hypnotische Ausstrahlung habe er gehabt, »vielleicht eine schizophrene Figur, ein Teufel, aber auch das Gegenteil« sei er gewesen (ein Engel?). Während der Dreharbeiten zum Parteitags-Film habe er ihr immer gegen den bösen Goebbels geholfen. Überhaupt, »Triumph des Willens«: Arbeit und Friede sei die Botschaft dieses Films, sagt die Riefenstahl und wird nicht rot dabei. Strahlend sitzt sie am Schneidetisch und führt mit leuchtenden Augen vor, wie sie das Werk geschaffen hat, das den Nationalsozialismus verherrlicht wie kein anderes. Und fröhlich strickt sie an ihrer Legende, sie habe nur nach ästhetischen Kriterien das Material bearbeitet, das sie vorgefunden habe, um Politik, um Inhalte sei es ihr nie gegangen, die habe sie ja gar nicht begriffen, Künstlerin sei sie eben gewesen, die Bilder hätten sie interessiert, die Montage, sonst nichts. Und ständig habe Goebbels versucht, ihre Arbeit zu behindern.

Kritikerinnen und Kritiker wie Susan Sontag haben diese Version längst als Lüge entlarvt. Sontag: »Es ist ein Film, der schon allein von der Anlage her die Möglichkeit ausschließt, die Regisseurin habe über eine von der Propaganda unabhängige ästhetische Konzeption verfügt. Tatsache ist ..., daß sie ›Triumph des Willens‹ mit unbegrenzten technischen Mitteln und großzügiger offizieller Unterstützung drehte (es gab nie einen Kampf zwischen der Regisseurin und dem deutschen Propagandaminister). In Wirklichkeit hat die Riefenstahl, wie sie in dem schmalen Buch über die Entstehung von ›Triumph des Willens‹ berichtet, bereits bei der Planung des Parteitags mitgewirkt - der von Anfang an als Kulisse für ein Filmspektakel angelegt war« (Susan Sontag: »Faszinierender Faschismus«, in: Im Zeichen des Saturn, München/Wien 1981). Sontag kommt in ihrem, im Original 1974 erschienenen, Aufsatz zu dem Schluß: »Das historische Ereignis diente also als Kulisse für einen Film, der sich dann in einen authentischen Dokumentarfilm verwandeln sollte. ... Will man noch einen Unterschied machen zwischen Dokumentarfilm und Propaganda, dann ist jeder, der die Filme der Riefenstahl als Dokumentarfilme verteidigt, naiv. In ›Triumph des Willens‹ ist das Dokument (das Bild) nicht nur die Aufzeichnung der Realität, sondern ein Grund, warum die Realität hergestellt wird; und schließlich wird das Dokument an die Stelle der Realität treten.«

Die öffentliche Aufführung von »Triumph des Willens« ist in Deutschland (noch) verboten. Doch nun wurde »Die Macht der Bilder«, die »einzige autorisierte Filmbiographie der Riefenstahl« (Covertext des Verleihvideos) in den USA mit dem Emmy-Award ausgezeichnet, und mit diesem »Fernseh-Oscar« gehen jetzt alle hausieren, die mit Hilfe von Ray Müllers Film die Riefenstahl rehabilitieren möchten, auch diejenigen, die sonst gerne gegen die Schund- und Coca-Cola-Kultur der Amis wettern. Daß im »ehemaligen Feindstaat« die Riefenstahl längst geachtet, ja verehrt, hierzulande aber noch immer der Bann über sie gesprochen werde, beklagen Riefenstahl-Adepten wie Will Tremper, der in der »Welt« erst »Schindlers Liste« verrissen hat, um dann Müllers Film über die Riefenstahl zu feiern. Tremper (»Die Halbstarken«), einer der populärsten Journalisten der 50er Jahre, Verfasser mehrerer Drehbücher, präsentiert, ehe er sich über Spielberg ausläßt, erst einmal sich selbst, und zwar so: »Ich kannte bereits zuviele Geschichten über die Judenverfolgung, ohne mich als Deutscher im Kollektiv schuldig zu fühlen. Es ging mir, dem bei Kriegsende 16 Jahre alten, wie fast allen Deutschen, die 1945 erst von Auschwitz gehört hatten und es als Zumutung empfanden, sich nachträglich mit Blut beflecken zu lassen.«

Derart ausgewiesen, tritt er sodann an, die Riefenstahl von der Schande freizuwaschen, mit der man sie, zu Unrecht natürlich, befleckt hat: »Keine amerikanische, keine japanische Universität, die ohne ›Triumph des Willens‹ auskommen zu können glaubte«, behauptet er am 22.1.94 in der »Welt« und fährt fort: »In Deutschland hingegen herrschte Schweigen, dominierten ›Kollegen‹ wie Erwin Leiser und Kulturfunktionäre wie Hilmar Hoffmann, die jeden herunterputzten - auf Grund welchen Wissens? -, der es wagte, in den Feuilletons eine halbwegs vorurteilsfreie Meinung über die Riefenstahl zu vertreten.« Doch es gab auch, so Tremper, Tapfere, die es wagten, die Riefenstahl gegen das neudeutsche Banausentum zu verteidigen: Die »angesehene Filmwissenschaftlerin« Frieda Grafe zum Beispiel, die er mit folgenden Sätzen zitiert: »›Mit der Frauenbewegung hat das Interesse an der Riefenstahl neuerlich einen Schub bekommen ... Bei der geringen Zahl wettbewerbsfähiger Regisseurinnen können wir uns Pingeligkeit in ideologischer Hinsicht freilich nicht leisten.‹« Wo Frieda Grafe das, 1975, gesagt haben soll, läßt uns Herr Tremper nicht wissen. Tatsächlich aber setzte sich die Mitbegründerin der Zeitschrift »Filmkritik« und Autorin der legendären »Filmtips« in der »Süddeutschen Zeitung« schon früh und kontinuierlich für eine Rehabilitierung der Riefenstahl ein. - Im Gegensatz zu »der Frauenbewegung«, auch wenn nun auf dem Cover des Verleihvideos von »Die Macht der Bilder« behauptet wird, die Riefenstahl sei »vom internationalen Feminismus als Kultfigur wiederentdeckt« worden. In der Frauenbewegung, der amerikanischen wie der bundesdeutschen, waren die Meinungen zur Riefenstahl durchaus kontrovers (sofern sich Feministinnenzu diesem Zeitpunkt überhaupt für sie interessierten). Anfang der 80er Jahre wandten sich feministische Kritikerinnen wie Gisela von Wysocki dezidiert gegen die Riefenstahl als »geile und besessene Schöpferin magischer Darstellungen ›des Männlichen‹« (Wysocki).

Zehn Jahre später allerdings interpretierte die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms (»Deutschland bleiche Mutter«) »Tiefland«, den letzten Film der Riefenstahl, als Aufruf zum Tyrannenmord, bemüht, seine Regisseurin nicht nur zu rehabilitieren, sondern auch noch in die Reihen der Widerstandskämpferinnen aufzunehmen: »›Tiefland‹ ist Lenis Auseinandersetzung mit den Nazis, mit Hitler, mit dem Verbrecher, dem sie dienstbar war und dem sie nichts mehr als den Tod wünscht. Es ist erstaunlich, daß sie diesen Film zur Zeit der Siege an allen Fronten vorbereitete, daß sie ihn mitten im Krieg drehen konnte ...« Das ist in der Tat erstaunlich, denn nur für »kriegswichtige« Filme wurden Studios und das nötige Material zur Verfügung gestellt, und Filme, in denen Hitler der Tod gewünscht wird, wurden gemeinhin vom Propagandaministerium nicht als »kriegswichtig« eingestuft.

Von derlei schnöder Realität aber läßt sich Leni-Fan Sanders-Brahms nicht beeindrucken. Sie geht sogar noch weiter: Die Filmemacherin Nina Gladitz hatte in einem Dokumentarfilm über die Produktion von »Tiefland« gesagt - und ihre Aussage durch die Berichte Überlebender bekräftigt -, die Riefenstahl habe gewußt, daß die Sinti, die sie sich als Komparsen für ihren Film aus dem Konzentrationslager Maxglan bei Salzburg hatte kommen lassen, anschließend in die Vernichtungslager deportiert werden würden. Die Riefenstahl prozessierte gegen Gladitz, wie sie schon fünfzigmal gegen andere Kritikerinnen und Kritiker prozessiert hatte - und gewann, wie stets. Dennoch fühlt sie sich als Verfolgte, und Sanders-Brahms fühlt mit ihr: »Die Besetzung der Bauern mit Sinti und Roma ist ihr vorgeworfen worden. Sinti und Roma, die aus dem KZ zum Drehort und von da wieder ins KZ geführt wurden. Daß sie auch hier mitschuldig geworden ist - der Film selbst zeigt, daß sie dafür eine Sensibilität hatte ... . Mit Recht hat sie auch darauf hingewiesen, daß wenigstens für die Zeit des Drehs die Sinti und Roma nichts zu befürchten hatten, die in dem Film mitspielten, der Film also wenigstens für die Zeit seiner Entstehung ihr Überleben ermöglicht hat, auch wenn sie nach Drehende nichts mehr für sie tun konnte« (Helma Sanders-Brahms: »Tiefland«, in: Das Jahr 1945, Katalog der Internationalen Filmfestspiele Berlin, Berlin 1990). Manchmal wird Dummheit kriminell.

Die richtungsweisende Kritik nicht nur an den Filmen, sondern am Gesamtwerk der Riefenstahl verfaßte Susan Sontag 1974 in ihrem bereits zitierten Aufsatz »Faszinierender Faschismus«. Sie widerlegt darin den Ansatz französischer und US-amerikanischer Cineastinnen und Cineasten, das Ästhetische in den Arbeiten der Riefenstahl vom Politischen zu trennen. Sontag analysiert die Ästhetik der Riefenstahl als konsequent faschistische, von den Bergfilmen der 20er Jahre über die NS-Produktionen bis zu den Nuba-Porträts der 60er und 70er Jahre: »Obwohl die Nuba schwarz und nicht arisch sind, ruft Leni Riefenstahls Porträt von ihnen einige der großen Themen der Nazi-Ideologie wach: den Gegensatz zwischen dem Reinen und dem Unreinen, dem Unbestechlichen und dem Korrupten, dem Physischen und dem Geistigen, dem Heiteren und dem Kritisch-finsteren. Ein Hauptvorwurf gegenüber den Juden in Nazi-Deutschland lautete, sie seien urban und intellektuell und hätten einen destruktiven, korrumpierenden, ›kritischen‹ Geist.«

Die Nuba der Riefenstahl sind schöne und fremdartige wilde Tiere, reine Natur. Als Regisseur Ray Müller sie in »Die Macht der Bilder« zu Sontags Vorwurf befragt, stellt sich die Riefenstahl naiv - sie habe doch nur fotografiert, was ist: »Ich hab sie (die Nuba, I.S.) doch nicht verändert, die Menschen, die sehen so aus. Das sind eben gesunde Menschen, es gibt überhaupt keine kranken Menschen bei diesem Stamm.« Das Negative, sagt sie an anderer Stelle, »macht mich nicht kreativ«, nur das Schöne begeistere sie, nicht das Häßliche. Und »das Schöne« ist für sie gesund, rein, natürlich. So wie (in ihren Augen) die Männer in »Triumph des Willens«, die ihr Scharführer auf dem Nürnberger Parteitag aufruft: »Und du, Kamerad, wo kommst du her?« - Aus deutschen Landen kommen sie. Das Kinn recken sie vor, das Blondhaar haben sie nach hinten gekämmt, den Spaten geschultert. Die Sportler im »Olympia«-Film sind wie die Nuba Körper, reine, zum Kult erhobene Körper, Maschinen, die den Gesetzen der Bewegung, der Beschleunigung, des Willens gehorchen. Der lebendige Diskuswerfer löst sich in einer weichen Überblendung aus dem mamornen der griechischen Antike, die Turmspringer schweben wie Vögel durch die Luft, ehe sie ins Wasser eintauchen, eins mit den Elementen, in den Gesichtern der Marathonläufer kämpft der Wille siegreich gegen die Erschöpfung.

Es wäre falsch, zu sagen, die Riefenstahl habe sich der Ästhetik des Nationalsozialismus unterworfen, ganz im Gegenteil, sie stellt sie her, mit ihren Bildern, mit der Choreographie ihres Schnitts - wie Albert Speer mit seinen Bauten.

»Die NS-Kunst«, sagt sie angewidert in »Die Macht der Bilder« und meint damit die herkömmliche Propagandakunst, »war Kitsch«. Damit hat sie nichts zu tun, ihre Arbeiten tendieren zu Wagner und Nietzsche, nicht zu blondzopfigen Idyllen. Sie ist begabt zum Pathos und zur Stilisierung und damit prädestiniert für die Gestaltung nationalsozialistischen Größenwahns. Sie ist dazu noch eine begabte Technikerin und eine besessene Arbeiterin. Ihre Bilder haben durchaus die Macht, zu faszinieren. Sie widersprechen dem Kunstverständnis einer Moderne, die sich als subversiv und emanzipatorisch, als kritisch, gebrochen und dissonant begreift, und bedienen das Bedürfnis nach Totalität, Geschlossenheit, Ekstase und ungebrochener Harmonie. »Leni Riefenstahls Filme üben noch immer ihre Wirkung aus«, schreibt Susan Sontag, »weil - neben anderen Gründen - die darin zum Ausdruck kommenden Sehnsüchte nach wie vor empfunden werden, weil der Inhalt einem romantischen Ideal entspricht, zu dem sich immer noch viele hingezogen fühlen ... «

»Sagen Sie mir, wo liegt denn meine Schuld?« fragt die Riefenstahl in der Pose der Verzweifelten den Regisseur, es sind ihre letzten Worte in »Die Macht der Bilder«, dem dreistündigen Dokumentarfilm, der, wie die ZDF-Sprecherin so richtig ankündigte, »die Welt der Leni Riefenstahl« präsentiert. Die alte Bergsteigerin ist wieder dabei, den Gipfel zu erklimmen, von dem man sie einst gestoßen hat. »Es ist nicht so«, schreibt Susan Sontag 1974, »daß Leni Riefenstahls Nazi-Vergangenheit über Nacht akzeptiert würde. Das Rad der Kultur hat sich nur weitergedreht, und so spielt diese Vergangenheit ganz einfach keine Rolle mehr.« Das zielt auf die Cineastenkreise der 70er Jahre in Frankreich und den USA. Im heutigen Deutschland, das seinen Jünger und seinen Breker wieder ehrt, in dem die Noltes die Vergangenheit - sprich: den Nationalsozialismus und seine Verbrechen - neu bewerten und im Fernsehen eine »tabufreie Diskussion nazistischer Ideologie« gefordert wird, in dem die Häuser von Immigrantinnen und Immigranten brennen und auch wieder Synagogen, in diesem Deutschland ist eine Riefenstahl-Renaissance mehr als nur der Ausdruck der Geschichtsvergessenheit einer cineastischen Elite. Sie drückt, wie Stefan Reinecke in der »Kölner Stadtrevue« feststellte, ein allgemeines Bedürfnis nach »nachholender Versöhnung« aus.

Ingrid Strobl

hagalil.com 28-01-03


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