Pressemitteilung
München, 7. Oktober 2002 -
Die Vergangenheit des Verlags C. Bertelsmann in
Gütersloh – Keimzelle des heutigen weltweiten
Medienkonzerns – war vor einigen Jahren in die Schlagzeilen geraten. Wie
hatte sich das Unternehmen während der NS-Zeit verhalten? Die
Bertelsmann AG beauftragte Anfang 1999 ein Gremium von vier
Wissenschaftlern, diesen Teil ihrer Geschichte zu untersuchen. Die
Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des
Hauses Bertelsmann im Dritten Reich (UHK) unter Vorsitz des Historikers
Saul Friedländer hat nun ihre Tätigkeit abgeschlossen und ihren
Untersuchungsbericht auf einer Pressekonferenz in der Universität
München vorgestellt. Der Band liegt zusammen mit einem Gesamtverzeichnis
der Verlagswerke 1921-1951 zur Frankfurter Buchmesse vor.
Bereits in einem Zwischenbericht hatte die UHK Anfang
2000 die Hauptvorwürfe gegen das Unternehmen behandelt: die fördernde
Mitgliedschaft des Verlegers Heinrich Mohn bei der SS, regimefreundliche
Veröffentlichungen des theologischen und belletristischen
Verlagsprogramms, das erfolgreiche Wehrmachtsgeschäft, die Vorgänge um
die Verlagsschließung 1944. Der nun fast 800 Seiten umfassende Bericht
geht darüber deutlich hinaus. Er zeichnet in elf Kapiteln anhand von
umfangreichem, bisher unbekanntem Archivmaterial, Dokumenten und
Textproben ein ebenso komplexes wie differenziertes Bild des
Verlagshauses zwischen Weimarer Republik und Besatzungszeit. Dabei
werden Firmengeschichte, Produktgeschichte und politische Geschichte
aufeinander bezogen.
Drei Themenfelder werden ausführlich untersucht:
zunächst die politischen, lokalen, familiären und unternehmerischen
Traditionen und Zusammenhänge, in denen der
nationalkonservativ-protestantische Verlag agierte. Das antimoderne
Milieu, in dem das Unternehmen situiert war, spiegelte sich im –
eingehend analysierten – theologischen und erbaulichen Verlagsprogramm,
das sich in der Debatte um das "wahre Christentum" mit der
NS-Weltanschauung teilweise kritisch auseinandersetzte, teils aber auch
obrigkeitsfromm für sie Partei ergriff.
Das 1928 begonnene belletristische Programm war gleichfalls geprägt von
nationalistischen Tönen und Parteinahme gegen die Moderne. Es verkaufte
sich dank unkonventioneller Werbe- und Vertriebsstrategien gerade nach
der NS-Machtübernahme mit wachsendem Erfolg; vor allem galt dies für die
Kriegsbücher, die aus der Militarisierung der Gesellschaft Profit
zogen und diese förderten. Insbesondere die Jugendheftreihe "Spannende
Geschichten" stellte sich mit Millionenauflagen in den Dienst der
Kriegspropaganda. Dort, aber auch an weiteren Texten des
belletristischen und theologischen Verlagsprogramms sind antisemitische
Stereotype und Polemik zu finden, die in einem eigenen Kapitel des
Berichts untersucht werden.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Bertelsmann mit 19 Millionen
Exemplaren zum größten Buchproduzenten für die Wehrmacht.
Zahlreiche Druckaufträge wurden ins besetzte Ausland vergeben; zwar
wurden in Gütersloh einige holländische "Zivilarbeiter" beschäftigt,
doch ist dort ein Einsatz von Zwangsarbeitern nicht erfolgt. Allerdings
gab es in Druckereien in Wilna und möglicherweise Riga, die einige
Aufträge für Bertelsmann ausführten, jüdische Zwangsarbeiter. Das
Bestreben, die gewinnträchtige Produktion auch im Zeichen des "totalen
Krieges" fortzuführen, brachte das Unternehmen 1943 in den Verdacht
illegaler Beschaffung und Hortung des Rohstoffs Papier. Das
Verfahren wurde nach der Inhaftierung von Mitarbeitern zwar nur mit
einer Ordnungsstrafe beendet, trug aber zur kriegsbedingten Schließung
des Verlages C. Bertelsmann 1944 wesentlich bei. Bereits 1943 war Mohns
Verlag "Der Rufer" stillgelegt worden. Die Legende, C. Bertelsmann
sei als "Widerstandsverlag" geschlossen worden, ist nicht
aufrechtzuerhalten. Sie diente ab 1945 dazu, von den
Besatzungsbehörden möglichst bald eine neue Verlagslizenz zu erhalten.
"Bertelsmann im Dritten Reich" beschreibt und analysiert
die ungewöhnliche Erfolgsgeschichte eines mittelständischen
Verlagshauses in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts und ist damit aufschlußreich über die Firmenhistorie im
engeren Sinn hinaus. Das Buch zeigt die Handlungsspielräume eines
Unternehmens und seines Leiters unter der nationalsozialistischen
Herrschaft im Wechselspiel zwischen religiöser und mentaler Tradition,
allzu großer politischer Anpassung und ökonomischer Erfolgsdynamik.
Bemerkenswert erscheint die Kontinuität des Hauses Bertelsmann in seinen
Vertriebs- und Marketingstrategien und seiner Orientierung an einem
breiten Publikumsgeschmack und potentiellen "Massenmarkt", vom
volkskirchlichen Leserkreis über die Wehrmachtsunterhaltung bis hin zum
"Lesering" der fünfziger Jahre.
auf der Pressekonferenz der Unabhängigen Historischen Kommission (UHK) am
7. Oktober 2002 in München
München, 07.10.02
Sehr geehrter Herr Professor Friedländer, sehr geehrte
Mitglieder der Unabhängigen Historischen Kommission, meine Damen und
Herren,
ich danke Ihnen für die Möglichkeit, als Gast an Ihrer
Pressekonferenz teilnehmen und das erste Exemplar des Berichts der
Unabhängigen Historischen Kommission entgegen nehmen zu können. Ich
halte diese Veröffentlichung für einen sehr wichtigen Schritt; nicht nur
für unser Unternehmen, sondern für das deutsche Verlagswesen insgesamt.
Die Fragen publizistischer Ethik, die hier berührt werden, sind in jeder
Epoche und in jedem politischen System von Bedeutung.
Im Namen der Bertelsmann AG und ihrer Mitarbeiter danke
ich den Mitgliedern der Unabhängigen Historischen Kommission und
insbesondere ihrem Vorsitzenden Professor Saul Friedländer für die
gründliche und sorgfältige Arbeit, die sie in den vergangenen vier
Jahren für die Erforschung und Dokumentation unserer
Unternehmensgeschichte geleistet haben. Sie haben der Wissenschaft und
uns damit einen großen Dienst erwiesen.
Ich möchte auch dem freien Journalisten Hersch Fischler
meinen Dank aussprechen. Seine vorausgegangenen Forschungen und
Veröffentlichungen zur Geschichte des
C. Bertelsmann Verlags haben uns 1998 dazu bewogen,
Herrn Professor Friedländer um die Einberufung einer solchen Kommission
zu bitten. So wurden wir das erste deutsche Medienunternehmen, das seine
Archive für die Geschichtswissenschaft geöffnet hat.
Herr Professor Friedländer übernahm diese Aufgabe, weil
wir ihm wesentliche Garantien geben konnten: freie Auswahl der
Mitglieder, uneingeschränkter Zugang zu allen verfügbaren Quellen sowie
Autonomie in allen Fragen von Forschung und Veröffentlichung. Später
verpflichteten wir uns zusätzlich, den Archivbestand der Unabhängigen
Historischen Kommission der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wir haben diese Versprechen zu jedem Zeitpunkt
eingehalten. Es war unser fester Wunsch, der historischen Wahrheit
möglichst nahe zu kommen und damit frühere Versäumnisse im Umgang mit
unserer Unternehmensgeschichte auszuräumen. Ich bedaure, dass die
frühere Darstellung erhebliche Lücken und Fehler enthielt und dass wir
mit unserem historischen Erbe nicht sorgfältig genug umgegangen sind.
Ich bedaure außerdem die Tatsache, das wir im Zweiten Weltkrieg mit
Büchern Geschäfte gemacht haben, die mit den Werten des
Medienunternehmens Bertelsmann vollkommen unvereinbar sind.
Die Bertelsmann AG akzeptiert den Bericht der
Unabhängigen Historischen Kommission uneingeschränkt als offizielle
Darstellung der Geschichte des Unternehmens im Dritten Reich – und als
beste Grundlage für die künftige öffentliche und wissenschaftliche
Diskussion.
Der Bericht der UHK bestärkt uns in unserer Überzeugung,
dass historische Wahrheit und Transparenz zu den Schlüsselwerten unseres
Unternehmens zählen müssen. Darüber hinaus haben wir gelernt, dass wir
als eines der größten Medienunternehmen der Welt in besonderer Weise für
die Förderung von Offenheit und Dialog über diese Themen verantwortlich
sind. Schließlich hat uns diese Erfahrung darin bestärkt, uns weltweit
weiterhin für Demokratie, Toleranz und Menschenrechte, für
Meinungsfreiheit und publizistische Vielfalt einzusetzen. Unser
umfassendes gemeinnütziges Engagement wird auch in Zukunft viele
Projekte mit Bezug zu jüdischen und israelischen Themen enthalten.
Wir wissen, dass wir unsere Geschichte nicht
vernachlässigen dürfen. In diesem Fall war es unser Ziel, die Wahrheit
aufzudecken und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Und deshalb
möchten wir Wissenschaftler, alle anderen interessierten Leser und
natürlich unsere Mitarbeiter herzlich einladen, den Bericht der UHK zu
studieren, seine Erkenntnisse zu prüfen und miteinander darüber zu
diskutieren. Auch ich werde das in den nächsten Wochen tun und bin auf
diese Lektüre außerordentlich gespannt. Wir werden außerdem in Gütersloh
eine öffentliche Diskussionsveranstaltung mit Zeitzeugen durchführen und
einzelne der in dem Bericht angesprochenen Themen in unseren
Mitarbeitermedien vertiefen. Insgesamt werden wir die
Unternehmensgeschichte in Zukunft zu einer tragenden Säule unserer
bekannten, auf das Gemeinwohl ausgerichteten Unternehmenskultur machen.
Die UHK hinterlässt uns einen modern erfassten und
aufbereiteten Archivbestand. Dieser Bestand wird morgen, am 8. Oktober
2002, in der bisherigen Geschäftsstelle der UHK der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Jeder von Ihnen kann dort die Ergebnisse der UHK
überprüfen. Im Frühjahr 2003 bringen wir sämtliche Akten nach Gütersloh
und werden sie dort als Kern unseres neuen Historischen Archivs
weiterhin für alle Interessierten einsehbar halten. Die Bertelsmann
Stiftung wird ihre Projektarbeit in den Bereichen
Unternehmensgeschichte, Unternehmensethik und Unternehmenskultur damit
verknüpfen. Es ist unser Ziel, uns auf diese Weise bald der Erforschung
der nächsten Epoche zu nähern, der Zeit des Wiederaufbaus und des
Aufstiegs unserer Unternehmensgruppe in der Zeit des deutschen
Wirtschaftswunders.
Herr Professor Friedländer, ich wünsche Ihrem Bericht
die verdiente Aufmerksamkeit und werde jetzt mit Interesse der
Erläuterung Ihrer Ergebnisse folgen. Vielen Dank.