Von Rüdiger Suchsland
"Man produzierte schließlich keine Waschmaschinen,
sondern Bücher." Der Literaturwissenschaftler Reinhard Wittmann brachte
es auf den Punkt: Verlage sind etwas Besonderes, nicht nur, wenn es um
Unternehmensgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus handelt. Aber
nicht zufällig ist die Geschichte von Medienunternehmen während des
Dritten Reichs kaum erforscht.
"Wir können nur schwer kontextualisieren, denn eine
ähnliche Untersuchung liegt zu keinem anderen Verlag vor", betonte jetzt
der in Bochum lehrende Zeithistoriker Norbert Frei, wie Wittmann eines
von vier wissenschaftlichen Mitgliedern der Unabhängigen Historischen
Kommission (UHK) zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann
und seiner verlegerischen Aktivitäten zwischen 1933 und 1945. Damit es
überhaupt zu dieser Kommission kam, die gestern nach fast vier Jahren
Arbeit in München ihren lange erwarteten Bericht vorlegte, bedurfte es
schon eines handfesten Skandals: Im Herbst 1998 enthüllte der Journalist
Hersch Fischler, dass Heinrich Mohn, seit dem Jahre 1921 Chef des
bereits 1835 gegründeten Gütersloher Hauses Bertelsmann, ein "Förderndes
Mitglied" der SS gewesen ist.
Doch die Bestätigung dieser in ihrer Bedeutung schwer
einzuschätzende Tatsache - Fördermitglieder waren in bestimmtem Sinn
keine SS-Mitglieder, zudem war der nationalkonservative Christ Mohn
andererseits auch Mitglied der Bekennenden Kirche - ist nicht das
brisanteste Ergebnis des voluminösen, zwei Bände umfassenden Konvoluts,
das nicht im Voraus zugänglich war und nun erstmal sorgfältig gelesen
werden will.
So wurde bereits bei der gestrigen Vorstellung deutlich,
dass Bertelsmann nach 1933 weit über das unvermeidbare Maß hinaus mit
den Nationalsozialisten kooperiert hatte. Schon während der Zeit der
Weimarer Republik machte der Verlag "glänzende Profite" (Wittmann) mit
antimoderner Literatur und vor allem mit theologischen Schriften, die im
"Kampf für eine christliche Erneuerung", so Kommissionsmitglied Trutz
Rendtorff, ihren Dienst tun sollten. Doch mit der Produktion von
populären Kriegserlebnis- und Freikorpsbüchern seit 1934 sprengte der
Verlag die selbstauferlegte Beschränkung auf das protestantische Milieu
und erlebte eine Gewinnexplosion, die durch die in höchsten Auflagen (19
Millionen Exemplare) erschienenen Wehrmachtsbücher seit 1939 noch
gesteigert wurde.
Dieser Höhenflug des kleinen protestantischen
Provinzverlages nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war
durchaus nicht die Regel für ein Medienunternehmen während des Dritten
Reiches. Selbst angepasste Verlage hatten mit Zensur und politischer
Einflussnahme durch die Berliner Regierung zu kämpfen. So ließ vor allem
Norbert Freis Kommentierung des Ergebnisses an Deutlichkeit wenig zu
wünschen übrig: "Der Erfolg lag an Vertriebsformen und Inhalt, hatte
aber auch andere Gründe: Vor allem muss man von einer weltanschaulichen
Affinität und von hoher Anpassungsbereitschaft aus ökonomischem Kalkül
reden. Heinrich Mohns persönliches Verhalten kann man dabei als ziemlich
charakteristisch für das protestantische Milieu allgemein einschätzen."
Auch nach 1945 bemerkt Frei eine "irritierende
Unbeeindrucktheit von der politischen und moralischen Katastrophe" und
spricht von der "mentalen Kontinuität und Uneinsichtigkeit gegenüber dem
alliierten Demokratisierungsbemühen" im Verlagshaus nach Kriegende. Und
auch Kommissionschef Saul Friedländer sieht bei Heinrich Mohn selbst
eine "moralische Indifferenz" gegenüber dem Arrangement mit dem Regime.
Diese Gleichgültigkeit und die von der Kommission
festgestellte "Dynamik der Anpassung" könnte man freilich auch mit etwas
erklären, das über die Frage der persönlichen Ethik hinausgeht: Mit der
Amoral des Kapitalismus, des Gewinnstrebens um seiner selbst willen.
Eine Kontinuität, nicht nur bei Bertelsmann.