
Über Djihadismus und Nazismus
Regressive Revolte
Von Matthias Küntzel (aus: konkret 11/2001)
Djihadismus und Nazismus funktionieren ähnlich: Ein wahnhafter Reflex
setzt Juden und kapitalistische Moderne gleich
Entscheidend ist die Tat selbst. Hunderte in den eigenen Selbstmord
hineinzureißen, damit Tausende an ihren Arbeitsplätzen verbrennen – das
ist beispiellos. Erneut wurde die Unzulänglichkeit unserer an
Vernunftkriterien orientierten Vorstellungskraft deutlich. Vielleicht
erklärt dies die Eilfertigkeit, mit der das Verbrechen als "Antwort auf
die Aufteilung der Welt in Arm und Reich" rationalisiert wurde, anstatt
es aus der Perspektive jener wahnhaften Vorstellungsstruktur zu
interpretieren, die im Vorgehen der Täter ihren Ausdruck fand.
Nicht
zufällig hatte schon für Hitler das Symbol des Infernos über Manhatten
einen besonderen Reiz. "Nie habe ich ihn so außer sich gesehen wie gegen
Ende des Krieges, als er wie in einem Delirium sich und uns den
Untergang New Yorks in Flammenstürmen ausmalte", erinnerte sich Albert
Speer. "Er beschrieb, wie sich die Wolkenkratzer in riesige, brennende
Fackeln verwandelten, wie sie durcheinanderstürzten, wie der Widerschein
der berstenden Stadt am dunklen Himmel stand." Hitler geriet bei dieser
Vorstellung in Ekstase, weil "Wall Street" für ihn die Chiffre für
jüdische Weltherrschaft war, "sozusagen das Generalstabsgebäude Judas.
Von hier aus gehen die Fäden Judas über die ganze Welt", wie eine
Programmschrift des deutschen Antisemitismus schon 1919 halluzinierte.
Der
arabische Antisemitismus, der mit dem deutschen nicht identisch ist,
weist gleichwohl ähnliche Züge auf. Seine ideologische Quelle sind die
ägyptischen Muslimbrüder, die im Kontext der Weltwirtschaftskrise von
1929 gegen "Kreuzfahrer und Juden" mobilisierten und so die erste
islamistische Massenbewegung initiierten. Von Anbeginn an verherrlichte
diese Bewegung – nicht zuletzt unter dem Einfluß des europäischen
Faschismus - "Kampf" (Djihad), "Tod und Märtyrertum" sowie, so ihr
Gründer Hasan al-Banna, die "Kunst des Sterbens".
Wichtigster Autor der Muslimbrüder ist Sayid Qutb, dessen antisemitische
Pamphlete den militanten Islamisten derzeit vertrauter sind als der
Koran selbst. "Wir dürfen nicht vergessen", schrieb Qutb 1964 in seinem
Hauptwerk Soziale Gerechtigkeit im
Islam, "daß Kommunismus und Freimaurerei jüdische Institutionen sind
und daß die erste Säule des jüdischen Plans zur Zerstörung der Welt ...
darin besteht, die Religion ... von der Welt zu entfernen." Die
"fortwährende Rolle der Juden" sei ihre "Verschwörung gegen den Islam"
durch "Vereinigung der antiislamischen Kräfte sowohl in der
kreuzfahrerischen imperialistischen Welt wie auch in der
materialistischen kommunistischen Welt" (zit. nach W.E. Shepard: Sayyid Qutb and Islamic Activism, Leiden 1996). Nach der Logik der
Djihadisten hat ihr Sieg über die Rote Armee in Afghanistan den
Kommunismus vernichtet, weshalb sie jetzt die Zeit für gekommen halten,
den anderen Feind des Islam zu vernichten, die "jüdisch infizierte"
Weltordnung des Westens.
1995
gründeten Bin Laden und der ehemalige ägyptische Muslimbruder Ayman
an-Zawahiri als militantesten Flügel des arabischen Antisemitismus die
"Islamische Front für den Djihad gegen die Juden und die Kreuzritter".
Mohammed Atta, der als "Kopf" der Attentäter vom 11. September gilt,
soll Mitglied in der von Zawahiri geführten Organisation Ägyptischer
Islamischer Djihad gewesen sein.
Die
Aneignung von Wissenschaft und fortgeschrittenster Technologie, wie etwa
die der Kernspaltung, gelten den Djihadisten als Voraussetzung für
militärische Überlegenheit und als Grundlage zur Befreiung der Welt.
Doch nicht nur in diesem Punkt ist ihre Revolte modern. Wie Hitler einst
"einen neuen Sozialstaat von höchster Kultur" angekündigt hatte, so will
die "antikapitalistische" Rebellion der Djihadisten die "umfassende
Weltsicht des Islam" durch eine von Zins und Gewinnsucht "gereinigte"
Ökonomie verwirklichen. Schon in den dreißiger Jahren gründeten deshalb
die Muslimbrüder "befreite" Industriebetriebe. In den Neunzigern machte
auch Osama Bin Laden den Versuch, "mit Musterbetrieben die
wirtschaftliche Einigung der umma, der islamischen Welt also, anzustoßen" ("FAZ", 29.9.01). Dem
freilich stehen die bekannten Feinde im Weg: So hatte der
Selbstmord-Attentäter Mohammed Atta in seiner Harburger Diplomarbeit
"anonyme Mächte" für die "Zerstörung von menschlicher Lebensqualität"
verantwortlich gemacht. Niemals ist solch "verkürzter" Antikapitalismus
der Herrschaft des Geldes gefährlich geworden. Stets aber war seinem
Programm ein Identitätswahn eingeschrieben, der auf Beseitigung der
"anonymen Mächte", der "Juden" und der "Kommunisten", sinnt.
Die Täter
des 11. September hatten die Wahl, und ihre Tat zeugt vom Motiv: Ihr
eliminatorische Haß gegen das "jüdische" New York, dem Tausende zum
Opfer fielen, ist weder "verrückt", noch "religiös versponnen" oder
"rückwärtsgewandt", sondern das Antriebsmoment ihrer regressiven
Revolution. Der Anschlag auf das World Trade Center war die bisher
monströseste Offenbarung eines erneut auf Vernichtung zielenden
Antisemitismus. Zwingend hat er den Kampf gegen seine Urheber auf die
internationale Tagesordnung gesetzt.
Dieser
Kampf findet heute unter paradoxen Voraussetzungen statt: Erstens kann
er nur im Rahmen jener kapitalistischen Verfaßtheit geführt werden,
welche das Potential zur absoluten Barbarei stets neu aus sich heraus
erzeugt. Zweitens sind seine Voraussetzungen nicht überall, wo das
Wertgesetz herrscht, a priori gleich. Während dem Identitätswahn der
Attentäter die britische und US-amerikanische Vorstellung vom Individuum
als politischem Subjekt eher konträr gegenübersteht, ist deren Weltbild
mit der völkischen, die "kulturelle Identität" betonenden Doktrin der
Deutschen durchaus verwandt. Schon "Zivilisation" ist bei Gerhard
Schröder stets rassistisch konnotiert (um sich von den weniger
"zivilisierten" Russen, Serben oder Yankees abzugrenzen), während Tony
Blair damit "zivilisierte Verhaltensweisen" jenseits von Abstammung oder
Geographie zu fassen sucht. Im Kampf gegen die Djihadisten gewinnen
solche Unterschiede an Bedeutung und beeinflussen Politik: Die jetzt
besonders enge Kooperation zwischen Washington und London hat vermutlich
auch hierin ihren Grund.
In dieser
Auseinandersetzung verändert sich drittens das Paradigma der
antikapitalistischen Kritik: Selbstverständlich müssen die amerikanische
und die britische Politik weiterhin kritisiert werden. Jedoch nicht
deshalb, weil sie die Djihadisten verfolgt, sondern weil sie diese nicht
zielgenau und konsequent genug verfolgt.
Von einer
Klärung des Charakters der Anschläge kann in Washington keine Rede sein:
Das Wort vom "Terrorismus" verdunkelt, worum es eigentlich geht. Das
kleinlaut nachgeschobene Eingeständnis, diesen nur dann bekämpfen zu
wollen, "wenn er die Vereinigten Staaten bedroht" ("International Herald
Tribune", 24.9.01), macht den instrumentellen Charakter der
Bush-Kampagne offenbar und erklärt, weshalb beispielsweise Albanien oder
die mit Bin Laden kooperierende UCK auf der Liste der
Terrorsymphatisanten fehlen, während Israel vom Anti-Terror-Bündnis
demonstrativ ausgeschlossen bleibt und ein aktiver Förderer des
Djihadismus wie Saudi-Arabien als bevorzugter Verbündeter hofiert wird.
Immerhin
haben Washington und London damit begonnen, die antisemitischen
Netzwerke Bin Ladens zu zerstören, was von der Berliner Politik kaum
behauptet werden kann. Während die nationalistische deutsche Linke die
Bundesregierung wegen ihres angeblich vorauseilenden Gehorsams gegenüber
Washington kritisiert, ist die entgegengesetzte Entwicklung längst im
Gang. Beim Kampf gegen den Terrorismus machen wir mit, ruft Gerhard
Schröder laut. Aber nur, weil wir leider müssen, fügt vor dem Bundestag
leise Rudolf Scharping hinzu, da sonst "das Risiko des Sonderwegs"
besteht.
Von einer
transatlantischen "Kampffront gegen den Terrorismus" kann jenseits der
rhetorischen Blüten keine Rede sein. Im Gegenteil: "Die Sprengwirkung
der Attentate (reicht) bis in das Innerste der Allianz", warnte am 13.
September Berthold Kohler, Mitherausgeber der "FAZ". Schon heute ist die
Nato in ihrer bisherigen Form kaum mehr als ein Relikt. Daß man im Kampf
gegen die Djihadisten sich einzig auf die Briten verlassen und auf
Deutsche wie auch Franzosen pfeifen könne, wurde von amerikanischen
Regierungsbeamten auch öffentlich erklärt. Die neue Kriegführung, so
US-Verteidigungsminister Rumsfeld, werde freischwebende Koalitionen von
Ländern einbeziehen, die sich verändern und jeweils neu herausbilden
können.
In dieser
durch Auflösung und Neuformierung gekennzeichneten Gemengelage scheint
Deutschland eine Doppelstrategie zu verfolgen. Während man einerseits
den Eindruck eines Abschieds von der internationalen
"Anti-Terrorismus-Front" peinlich zu vermeiden sucht, wird gleichzeitig
gerade gegenüber den USA eine eigenständig-aggressive Großmachtpolitik
verfolgt. Die Mitteilung der Bundesregierung vom 2. Oktober 2001, sich
erstmals vier bis fünf eigene, d.h. von der Nato unabhängige
militärische Aufklärungssatelliten zu beschaffen, ist hierfür nicht das
einzige Indiz. In ungewöhnlicher Offenheit gewährte Lothar Rühl, ein
ehemaliger Staatssekretär im Bundeskriegsministerium, nur wenige Tage
nach dem Anschlag in New York einen Blick auf bevorstehende Szenarien,
in welchen es keine Bündnisse, sondern nur noch "Großstaaten", also
Großmächte zu geben scheint.
"In den
akuten Krisen zum Jahrhundertbeginn" erweise sich der Einfluß der USA
"als umstritten, unsicher und begrenzt", behauptet Rühl. "Mittelasien
ist wie der Mittlere Osten Objekt der strategisch-ökonomischen
Konkurrenz und damit ein aufgeladenes Spannungsfeld zwischen den
Großstaaten und deren Klienten." Die europäisch-deutsche Position werde
"in dieser Weltkrise kritisch ... für die Neubestimmung der
Machtverhältnisse sein"("FAZ", 17.9.01).
Neuformierung der Machtverhältnisse, strategische Konkurrenz: Dies ist
das Terrain der deutschen Politik und der Hintergrund der
Bundestagserklärung von Rudolf Scharping vom 26. September, eine
militärische Antwort der USA auf das Massaker nur dann unterstützen zu
wollen, wenn "der Dialog zwischen Kulturen und Religionen,
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bewahrung von
Lebensgrundlagen, Förderung von Rechtsstaatlichkeit durch die Art der
Reaktion nicht diskreditiert und in Zweifel gezogen werden können" –
also eigentlich nie!
Neuformierung der Machtverhältnisse, strategische Konkurrenz: Dies ist
heute auch das Terrain der Friedensbewegung und ihrer antiamerikanischen
Freunde, die nolens volens bei der Neuformierung Deutschlands gegen den
US-amerikanischen Rivalen ein Aktivposten sind. "America's New War"
betitelte beispielhaft und bedrohlich die Wochenzeitung "Freitag" ihre
fortlaufende Rubrik, um an dreierlei Postulaten von vornherein keinen
Zweifel aufkommen zu lassen: 1. Nicht die Djihadisten, sondern die USA
hätten den Krieg erklärt. 2. Falls die USA auf den Djihadismus
militärisch reagierten, sei dies nur ein neuer imperialistischer Krieg,
wie einst gegen Nicaragua oder Vietnam. 3. Der Kampf gegen den
Djihadismus sei einzig und allein Sache der USA.
Die
ersten beiden Punkte halten der Analyse nicht stand, während Position 3
im Land der Mörder, das den eliminatorischen Antisemitismus bis zur
letzten Kriegsminute praktizierte, auch den moralischen Bankrott
markiert: Anstatt gegen massenmörderische Antisemiten zu mobilisieren,
was hierzulande tatsächlich einmal etwas Neues wäre, wird in Sachen
Feindmarkierung mit ihnen der Schulterschluß praktiziert.
Der neue
Haß, der den USA nicht zufällig im Moment größter Schwäche und größter
menschlicher Verluste entgegenschlägt, ist mehr als nur der Nachvollzug
eines heimlichen Regierungsprogramms. Er verweist zugleich auf jene
wahnhafte Vorstellungsstruktur, die im Vorgehen der islamistischen
Attentäter ihren Ausdruck fand: verkürzter Antikapitalismus plus
antisemitische Rebellion.
Matthias Küntzel schrieb in KONKRET 5/2001 über die historische
Freundschaft zwischen Deutschen und Albanern
Neue Allianzen?
Mit Odin und Allah
hagalil.com 04-11-01 |