Machtkämpfe unter Nazis
Wille braucht Krach
von Mariella Schwertmüller
Der Konflikt zwischen der NPD und den Freien
Kameradschaften um die Vorherrschaft in der Neonazi-Szene ist in vollem
Gange.
Die Auseinandersetzung zwischen der NPD und den
militanten Freien Kameradschaften, die sich um die Hamburger
Neonaziführer Steffen Hupka und Christian Worch gruppieren, spitzt sich
zu. Angesichts eines möglichen Einsatzes der Bundeswehr in Mazedonien
wollen beide Seiten den Anti-Kriegstag am 1. September für ihre
Propaganda nutzen. Ideologisch sind sich die Konkurrenten weitgehend
einig.
Neben dem üblichen Anti-Amerikanismus werden vor allem
geschichtsrevisionistische Thesen in Anschlag gebracht.
So behauptet etwa die so genannte Bürgerinitiative für deutsche
Interessen in unverblümt nationalsozialistischer Diktion, »dass der
Krieg am 1. Septemner 1939 nicht vom Deutschen Reich begonnen worden
ist«. Die Initiative ist eines der vielen rechtsextremen Bündnisse, die
von dem Nazi-Duo Wulff und Worch gemeinsam mit Steffen Hupka für
kurzfristige Mobilisierungen ins Leben gerufen wurde.
Während nun diese, die auch den Aufmarsch der Freien
Nationalisten am diesjährigen 1. Mai in Frankfurt/Main organisiert
hatte, für den 1. September ihre Anhänger nach Leipzig mobilisiert,
plant die NPD eigene Veranstaltungen. Der NPD-Landesverband
Mecklenburg-Vorpommern, der mittlerweile fest in der Hand des
nationalsozialistischen Flügels ist, will in Greifswald marschieren, und
die NPD-Führungsriege um den Parteivorsitzenden Udo Voigt hat eine
»Antikriegsdemonstration« in Weimar angekündigt.
Seit beide Seiten ihre Pläne bekannt gegeben haben, ist die
Schlammschlacht in vollem Gange. Ausgetragen wird der Konflikt - noch -
in den Gästebüchern und Diskussionsforen diverser Neonaziwebsites.
Da wirft zum Beispiel der Thüringer Heimatschutz dem
Aktionsbüro Norddeutschland um Thomas Wulff »Lügen« und »Verleumdungen«
vor; umgekehrt suggerieren Hupka, Worch und Co., dass der neue Thüringer
NPD-Landesvorsitzende Frank Schwerdt, der als Neonazi-Talentesucher auch
langjähriger politischer Ziehvater des enttarnten VS-Informanten und
Neonazis Tino Brandt war, für den Verfassungsschutz arbeiten könnte,
weil er den Aufmarsch in Weimar für die NPD organisiert.
Der Streit um die Vorherrschaft in der Neonaziszene
ist nicht neu. Er ist jedoch seit dem vergangenen Sommer deutlich
schärfer geworden, nachdem der NPD-Bundesvorstand wegen des drohenden
Parteiverbots sämtliche Demonstrationen abgesagt hatte. Dieser so
genannte Demonstrationserlass wurde von vielen organisierten Neonazis
und von ihren jugendlichen Anhängern als »Feigheit« interpretiert.
Das Vakuum, das dadurch in der rechten Erlebniswelt
entstanden ist, wird seither hauptsächlich durch die Aufmärsche gefüllt,
die von Christian Worch und Co. angemeldet werden und an fast jedem
Wochenende irgendwo in Deutschland stattfinden.
Den bisher größten Erfolg in der jüngsten Vergangenheit erzielten die
Freien Kameradschaften mit ihrer »Anti-Kriminalisierungs«-Demonstration
Anfang November vergangenen Jahres in Berlin. Damals brachten sie rund 1
000 Neonazis auf die Beine und setzten damit die NPD derart unter Druck,
dass diese ihre Zurückhaltung auf der Straße wieder aufgab.
Seitdem toben auch in den NPD-Landesverbänden
Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt die Grabenkämpfe zwischen
Kameradschaftsvertretern und Parteivorstandsgetreuen um Macht, Einfluss
und Posten. Doch länger schon verkünden Worch und Co., auf die NPD nicht
mehr angewiesen zu sein; ihr Motto »organisierter Wille braucht keine
Partei« ist eine Anspielung auf den NPD-Slogan »organisierter Wille
bedeutet Macht«. Jeder gerichtlich genehmigte Aufmarsch gibt dieser
Position Auftrieb.
Während die NPD und ihre Führungsriege im Falle eines
Verbots durch das Bundesverfassungsgericht einiges zu verlieren haben,
sehen Worch und Co. etwaigen Verbotsdrohungen gegen ihre Organisationen
mit Gelassenheit entgegen. Schon das Verbot des Hamburger Sturms im
September vergangenen Jahres, das den engeren Kreis um Worch und Wulff
treffen sollte, hat sich schnell als wirkungslos erwiesen. Die
Nazi-Aktivisten setzten ihre Arbeit unter einem anderem Label fort.
Die scheinbar losen Kameradschaftsgefüge nach dem
Vereinsrecht zu verbieten, scheint den meisten Innenministern juristisch
schwer zu fallen und dürfte tatsächlich nicht sehr erfolgsversprechend
sein. Denn die Kameradschaften sind nach Ansicht des Antifaschistischen
Infoblatts (AIB) Nachfolgeorganisationen von teilweise zwanzig Jahre
alten neonazistischen Vereinen und Strukturen, die größtenteils
verbotserfahren und -resistent seien.
»Obwohl die Kameradschaftsszene in ständiger Bewegung
ist und von außen kaum durchschaubar scheint, wird die Organisierung und
der Zusammenhalt der Szene durch eine Anzahl von Kadern vorangetrieben,
die vorwiegend den neonazistischen Gruppierungen und Kleinstparteien der
späten Achtziger - vor allem der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front
(GdNF) und der FAP entstammen«, schreibt das AIB. »Viele
Kameradschaftsführer kennen sich aus jahrelanger, teilweise
jahrzehntelanger Zusammenarbeit und bilden bundesweit eine feste und
organisierte Kerngruppe.«
Gerade für jüngere Neonazis und Skinheads werden die
Freien Kameradschaften immer attraktiver. Statt langweiliger
Parteiarbeit wird ihnen dort Nationalsozialismus pur und eine umfassende
Erlebniswelt geboten.
Aber auch innerhalb des Kameradschaftsspektrums wird
um Führungsansprüche gerangelt: So ruft die Berliner Kameradschaft
Germania für den 3. Oktober zu einer »Großdemonstration des nationalen
Widerstands« in Berlin auf. Das Motto »Deutschland ist mehr als die
Bundesrepublik« ist nicht sonderlich neu, der Termin garantiert jedoch
größtmögliche Medienaufmerksamkeit.
Dennoch scheint die Berliner Kaderriege etwas übereilt vorgeprescht zu
sein. Denn inzwischen hat das Aktionsbüro Norddeutschland seine
Unterstützung zurückgezogen, und die NPD mobilisiert einen eigenen
Aufmarsch in Dresden am gleichen Tag. Der Krach geht weiter.
aus: Jungle World 32/2001
- Kameradschaft Germania will marschieren
Rechtsextremer Durchmarsch
klick-nach-recht.de
03.08.2001 |