Am 3. Oktober will die rechtsextreme Kameradschaft Germania erneut
durch Berlin demonstrieren.
Rechtsextremer Durchmarsch
Am 3. Oktober will die rechtsextreme Kameradschaft
Germania erneut durch Berlin demonstrieren. SPD-Innensenator Ehrhart
Körting will an die erfolglose Politik seiner CDU-Vorgänger anknüpfen
von HEIKE KLEFFNER
Die Nachricht kann Berlins neuem Innensenator Ehrhart Körting (SPD) kaum
gefallen: Die neonazistische Kameradschaft Germania aus Berlin ruft für
den 3. Oktober zu einer "deutschlandweiten Großdemonstration" und einem
"historischen Marsch durch die Berliner Innenstadt" auf. Bei der
Innenverwaltung versucht man die Ankündigung derzeit noch
herunterzuspielen: "Wir prüfen noch", lautet die Antwort auf
entsprechende Nachfragen.
Im Übrigen habe Ehrhart Körting "nicht den Eindruck,
dass seinen Amtsvorgängern bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus in
der Vergangenheit Vorhaltung zu machen sind", sagt dessen Sprecherin
Svenja Schröder-Lomb. Vielmehr wolle der Innensenator die Linie seiner
CDU-Amtsvorgänger Eckart Werthebach und Jörg Schönbohm "weiter
entwickeln und verfeinern". Das gelte auch für den Umgang der
Innenverwaltung mit rechtsextremen Aufmärschen, die Körting
"insbesondere an neuralgischen Orten" verbieten lassen möchte.
Warum der neue Innensenator dabei ausgerechnet an die
unselige und völlig erfolglose Strategie Werthebachs anknüpfen möchte,
bleibt vorerst sein Geheimnis. "Werthebachs Verbotsversuche waren sehr
schlecht begründet", erinnert der grüne Bundestagsabgeordnete
Hans-Christian Ströbele an das kontinuierliche Scheitern der
Verbotsbegründungen aus den senatseigenen Schreibstuben vor dem
Verwaltungsgericht. Körtings Amtsvorgänger hätten die rechten Aufmärsche
lediglich dazu missbraucht, um das Versammlungsgesetz zu verschärfen.
Gescheiterte Strategie
Ströbele ist fest davon überzeugt, dass "die Anti-NPD-Demos mehr
erreicht haben als alle Innensenatoren zusammen". Sein Fazit, nachdem in
den vergangenen achtzehn Monaten in der Hauptstadt sieben rechtsextreme
Großdemonstrationen stattfinden konnten: Die bisherige Strategie der
Innenverwaltung ist gescheitert.
Auch der Berliner PDS-Abgeordnete Freke Over, in den
vergangenen Jahren mehrfach Anmelder von Demonstrationen gegen Rechts,
ist entsetzt. Es könne nicht Aufgabe eines rot-grünen Senats sein, sagt
Over, "die Politik der Verharmlosung und Vertuschung fortzusetzen, die
unter der Großen Koalition geherrscht habe, wenn es um das rechte
Potenzial in der Hauptstadt ging.
Dass sich dieses Pozential unter den
CDU-Innensenatoren in den letzten zehn Jahre stabilisieren konnte, zeigt
ein Blick auf die offiziellen Statistiken: Die Zahl der rechten
Straftaten stieg im vergangenen Jahr um 40 Prozent auf 333, darunter 39
gewalttätige Angriffe auf Menschen. Zu den etwa 440 vom
Verfassungsschutz gezählten Neonazis in der Hauptstadt - immerhin ein
Fünftel der von den Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik
registrierten Neonazis - kommen noch einmal 830 als gewaltbereit
geltende Rechtsextreme.
Ein Vergleich mit den Zahlen von 1991 - dem Jahr, als
die erste Welle rassistischer und rechtsextremistischer Gewalt nach der
Wiedervereinigung im August mit dem Pogrom gegen Vertragsarbeiter und
Flüchtlinge in Hoyerswerda auch in Berlin spürbar wurde - zeigt, wie
wenig Einfluss staatliche Politik in den letzten zehn Jahren auf die
Entwicklung der Szene genommen hat. Für das Jahr 1991 registrierte der
Verfassungsschutz 500 Neonazis, 1.000 organisierte Rechtsextremisten und
389 Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund. Unverändert geblieben ist
auch der räumliche Schwerpunkt: Nach wie vor spielt sich die Mehrheit
der Straftaten in den Ostbezirken ab.
Dass ein erhebliches Maß an Misstrauen gegenüber der
Genauigkeit von offiziellen Einschätzungen angebracht ist, macht der
Mord an dem 60-jährigen Sozialhilfeempfänger Dieter Eich in der Nacht
zum 25. Mai vergangenen Jahres in Berlin-Pankow deutlich: Vier junge
Rechte zwischen 17 und 21 Jahren traten und schlugen den wehrlosen Mann
in seiner Wohnung zunächst bis zur Bewusstlosigkeit, und töteten ihn
dann einige Stunden später mit Messerstichen. Ihr aus dem klassischen
rechten Weltbild stammendes Motiv "einen Assi klatschen", weil ihr
ursprünglicher Plan für den Abend - "Ausländer klatschen" - gescheitert
war. Polizei und Staatsanwaltschaft teilten erst drei Monate nach dem
Tod von Eich mit, dass die Täter zur rechten Szene gehörten.
Kunst der Beruhigung
An ihren Kameradschaftsabenden hatte auch der langjährige Berliner
Neonazi Arnulf Priem teilgenommen. Im Verfassungsschutzbericht des
vergangenen Jahres wird der Tod von Dieter Eich mit keinem Wort erwähnt
- schließlich hatte ja auch schon die Staatsanwaltschaft während des
Prozesses betont: "Nicht jede Tat eines Rechtsextremisten ist eine
rechtsextremistische Straftat."
Die hohe Kunst der beruhigenden Worte für die immer
mal wieder beunruhigte Öffentlichkeit haben Justiz und
Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt durchaus zu hoher Perfektion
gebracht. Auf eine Anfrage der taz nach der Bedeutung der Kameradschaft
Germania, heißt es im Hinblick auf die Demonstration am 3. Oktober beim
Verfassungsschutz: Welche Resonanz der Aufruf haben werde, bleibe
abzuwarten. Die bisherigen Versuche der Kameradschaft, Szeneangehörige
für eigene Demonstrationen zu mobilisieren, gingen über etwa 150
Personen nicht hinaus.
Dabei handelt es sich wohl um frommes Wunschdenken.
Und das müsste eigentlich auch dem Verfassungsschutz klar sein. Immerhin
war es die Kameradschaft Germania, die am 4. November vergangenen Jahres
in Berlin für den bundesweiten Zusammenschluss der militanten Freien
Kameradschaften zur einer Neonazi-Großdemonstration mobilisierte - gegen
das angekündigte NPD-Verbot. Rund 1.000 Neonazis aus dem gesamten
Bundesgebiet folgten dem Aufruf und zogen stundenlang durch Berlins
Mitte - während die Polizei einige hundert protestierende linke
Jugendliche und unabhängige Antifaschisten an abdrängte.
Lässig auch der Umgang der Berliner Justiz mit den
"germanischen Aktivisten" der Kameradschaft: Seit mittlerweile zwei
Jahren schlummert in den Tiefen der Berliner Staatsanwaltschaft ein
Ermittlungsverfahren gegen zehn Neonazis, die der Kameradschaft Germania
zugerechnet werden. Sie hatten auf dem Rückweg von einem
Neonaziaufmarsch in Hamburg unter den Augen von zwei Polizisten einen
Kleinbus mit deutschen und polnischen Punks überfallen.
Während einer der Täter, ein 21-jähriger
Rechtsextremist aus Luckenwalde, wegen des Angriffs vom Amtsgericht
Luckenwalde mittlerweile rechtskräftig zu einer neunmonatigen
Bewährungsstrafe verurteilt wurde, heißt es bei der Staatsanwaltschaft
in Berlin lapidar: Man arbeite mit Hochdruck an dem Fall.
Derweil mobilisierte die Kameradschaft in den
vergangenen Monaten ungehindert weiter zu Neonazi-Aufmärschen im Umland
- zuletzt im März in Brandenburger Eberswalde oder am vergangenen
Wochenende in Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Auch der
Nachwuchs mischt kräftig mit: Jugendliche Rechtsextremisten -
insbesondere im Ostberliner Bezirk Friedrichshain - sammeln sich in der
Kameradschaft Tor. Auf deren Webseite wird stolz von gemeinsamen Fahrten
zu rechten Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet berichtet und vom
"Osterlager" mit "Fahnenappell und Bogenschießen" geschwärmt. Neun
Kameradschaften, die sich vor kurzem im so genannten Kameradschaftsbund
Germania zusammen geschlossen haben, sind in Berlin zur Zeit aktiv.
Wesentlich offensiver als die NPD und deren Jugendorganisation JN
propagieren sie offen nationalsozialistische Ideen und Militanz.
"Für junge Rechtsextremisten bietet Berlin inzwischen
die ganze Bandbreite einer rechten Erlebniswelt", sagt Ulli Jentsch vom
Antifaschistischen Pressearchiv: Die reicht von einschlägigen Läden über
Kameradschaftsabende in der Hauptstadt bis hin zu gemeinsamen Besuchen
von Skinheadkonzerten - in jüngster Zeit verstärkt im Ausland.
Wenig tröstlich erscheint da auch, dass die
Sicherheitsbehörden nach den diversen Waffenfunden des letzten Jahres
und der Enttarnung einer "Nationalrevolutionären Zelle" im Sommer 2000
nun von "einer gesteigerten Gewaltbereitschaft bis hin zu
terroristischen Ansätzen" unter Rechtsextremisten sprechen. Immerhin
sind die gravierenden antisemitischen Anschläge aus dem Jahr 1999
allesamt noch unaufgeklärt: Weder wurden die Täter gefunden, die im
Januar 1999 mit einer Ladung Sprengstoff die rund eine Tonne schwere
Platte auf dem Grab des verstorbenen Vorsitzenden der Jüdischen
Gemeinde, Heinz Galinski, in mehrere Teile zerfetzten. Noch wurde die
Schändung von über 100 Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof in
Weißensee und der Brandanschlag auf eine Austellung über jüdisches Leben
in einem S-Bahn-Waggon auf dem Anhalter Bahnhof im gleichen Jahr
aufgeklärt.
Rechts auf der Straße
Das Problem der öffentlichen Präsenz von Rechtsextremisten auf den
hauptstädtischen Straßen blieb in den letzten Jahren ebenfalls ungelöst:
Nach dem Schock der 600 schwarzweißrote Fahnen schwingenden und "Ruhm
und Ehre der Waffen-SS" grölenden Neonazis am 29. Januar letzten Jahres
am Bauplatz des Holocaust-Mahnmals und am Brandenburger Tor, gegen die
nur einige hundert junge Linke demonstrierten, schien die
Zivilgesellschaft kurzfristig aufgewacht.
Beim nächsten rechten Marsch am 12. März liefen 500
Neonazis zwar wieder zum Brandenburger Tor. Durchgehen durften sie aber
nicht. Denn auf der anderen Seite des Tores hatten sich erstmals nicht
nur die bei Anti-Nazi-Demos üblichen unabhängigen Antifas und Autonomen
versammelt. Am Pariser Platz hatten sich 12.000 Menschen - wie immer
ohne den Regierenden Bürgermeister, aber dafür mit einem breiten Bündnis
"Europa ohne Rassismus" - zu einer Kundgebung gegen rechts eingefunden.
Beim fünften Neonazi-Aufmarsch am 25. November 2000 gelang es mehreren
tausend Gegendemonstranten schließlich, mit Hilfe von Straßenblockaden,
Barrikaden und Steinwürfen, auf dem Alexanderplatz ein vorzeitiges Ende
der Veranstaltung zu erzwingen.
Doch schon wenige Monate später war alles wieder wie
jahrelang gehabt: Am 1. Mai konnten rund 900 Neonazis in
Hohenschönhausen marschieren, nur 300 Gegendemonstranten gelangten
überhaupt in Rufweite. Noch einmal so viele hatte die Polizei schon im
Vorfeld aus dem Stadtteil verbannt.
Er habe oft den Eindruck gehabt, dass die Polizei die Gelegenheit
wahrnahm, gegen die nicht rechten Demonstranten "mit ungerechtfertiger
Härte" vorzugehen, meint Hans-Christian Ströbele. Man darf gespannt
sein, ob Ehrhart Körting auch an diesem Punkt die Linie seiner Vorgänger
verfeinern möchte. Der Wahlkampf, bei dem es der NPD weniger um
Stimmengewinne und Mandate, als um die Rekrutierung jugendlicher
Sympathisanten und den Ausbau der "braunen Erlebniswelt" geht, wird
ausreichend Anlässe bieten.
(aus: taz vom 20.7.2001)
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20.07.2001 |