Gegen
die Gewöhnung
an die alltägliche Gewalt
Werner
Ruf
Anschläge sind angesagt. Fast täglich (eine
Auswahl Nov.2001) begegnen sie uns in der Berichterstattung
der Medien. Anschläge gegen fremdländisch aussehende Menschen, gegen
Unterkünfte von Asylbewerbern, gegen Behinderte, gegen Obdachlose. Und
inzwischen ist es nur noch die "Spitze des Eisbergs", die uns in den
Medien präsentiert wird. Pöbeleien, Menschenjagden in unseren Städten,
die gottlob ohne ernste Folgen bleiben, kleinere Schlägereien scheinen
schon nicht mehr der Erwähnung wert. Dies ist nicht nur schlimm, es
beschädigt auch das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland.
Und nicht nur das Ansehen leidet: Studien belegen, dass Orte, die
durch rassistische Anschläge bekannt wurden, wie Solingen, Hünxe,
Hoyerswerda, Guben von ausländischen Investoren gemieden werden. Dies
ist im weltweiten Kampf um Standorte und Standortvorteile ein äußerst
wichtiger Faktor, wirkt er sich doch direkt auf die lokale
Beschäftigungssituation und die Gewerbesteuereinnahmen aus. So ist es
sicherlich kein Zufall, dass das Bundesinnenministerium jüngst in
seinem Bericht vom 2. März dieses Jahres die von den Landesämtern für
Verfassungsschutz gelieferten Zahlen nicht einfach addiert, sondern
nach nicht erklärten Kriterien erheblich reduziert hat.
Dies ist
verständlich, geht es doch um das Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland im Ausland. Hierzu tragen auch unsere Gerichte bei, wenn
sie in ihren Urteilsbegründungen oft tunlichst vermeiden, rassistische
Anschläge explizit als "ausländerfeindlich" zu bezeichnen. Fehlen
solche Definitionen in den Urteilen, werden diese Taten nicht in die
Statistik der Anschläge aufgenommen. Man sieht, unser Staat bemüht
sich, das Bild der Deutschen im Ausland zu pflegen. Aber ist solche
Image-Pflege der richtige Weg? Darf die Fratze, die sich hier
(wieder) zeigt, beschönigt werden?
Das
gelingt auch nur schlecht, wenn man weiß, dass das US-Außenministerium
amerikanische Bürgerinnen und Bürger (von denen ja einige eine
ziemlich dunkle Hautfarbe haben) vor Reisen nach Deutschland warnt.
Und die Manipulation der Zahlen und die Nichtbenennung
rechtsextremistischer Taten zum Zwecke des Herunterspielens der
scheußlichen Realität könnte ja auch verstanden werden als
klammheimlicher Sympathiebeweis gegenüber jenen, die mit oder ohne
Springerstiefel in den braunen Fußstapfen einer wohl noch immer nicht
"bewältigten" Vergangenheit waten. Dies alles geschieht zeitgleich mit
dem unwürdigen Gezerre um die bescheidene Entschädigung der wenigen
noch lebenden Zwangsarbeiter der Nazizeit, die mit ihrer kostenlos
ausgebeuteten, oft zu Tode geschundenen Arbeitskraft die gewaltig die
Profite der Konzerne gemehrt haben, die verwandelt in fixes Kapital
von der Währungsreform in den Westzonen nicht berührt wurden und so
eine wichtige Ausgangsbasis nicht nur für den "Wiederaufbau" sondern
auch für die Konkurrenzfähigkeit deutscher Firmen auf den Weltmärkten
schufen. Dies schafft in der Bundesrepublik selbst ein Klima der
Gewöhnung an den alltäglichen Rassismus, an die alltägliche Gewalt, an
die alltägliche Angst der möglicherweise Betroffenen. Alltäglich, und
daher öffentlich kaum mehr wahrgenommen sind auch jene, die es wagen,
politisch und öffentlich gegen die Gewalt und die teilweise zu
merkende Laxheit der Exekutive zu protestieren. Eine Alltäglichkeit,
die sich auch darin äußert, dass die Mehrzahl der Bürgerinnen und
Bürger wegsieht, wenn gewalttätige Situationen entstehen, wenn
Menschen bedroht, ja sogar angegriffen werden.
Zu
solchen Anschlägen nicht nur auf das Bild der Bundesrepublik im
Ausland, sondern auch auf unser demokratisches Selbstverständnis
gehört es auch, wenn etwa der Landesverfassungsschutz des Bundeslandes
Thüringen einen hohen Funktionär der rechtsextremistischen NPD als
Spitzel führt, seine Dienste monatlich mit fünfstelligen Summen
honoriert, die und dies müsste der Verfassungsschutz ja wohl gewusst
haben in den Aufbau rechtsextremer Organisationen geflossen sind.
Steuergelder eines demokratischen Staates für den Aufbau demokratie-
und staatsfeindlicher Bestrebungen?
Nun gibt
es zweifellos Rechtsextremismus und rassistisch motivierte Anschläge
auch in anderen westlichen Demokratien. Und auch dort gibt es Parteien
und politische Strömungen, die mit rechten Parolen und der
Verharmlosung, wenn nicht gar Entschuldung der faschistischen
Vergangenheit wie Berlusconi in Italien Mehrheiten erringen oder,
wie die Freiheitliche Partei Österreichs, regierungsfähig werden. Es
kann kein Zweifel daran bestehen, dass solche Entwicklungen
beängstigend sind, gerade weil sie die Herausbildung einer neuen
Normalität signalisieren. Aber es besteht auch kein Zweifel daran,
dass der Umfang an gewalttätigen Anschlägen gegen die Angehörigen von
Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland ein Ausmaß angenommen
hat, das einzigartig ist.
Und Deutschland ist ein besonderes Land. Es war hier, wo Millionen
Menschen wegen ihrer "rassischen" Zugehörigkeit in industriell
perfektionierten Tötungsfabriken ermordet wurden; es war hier, wo
Hunderttausende wegen ihrer politischen Überzeugung, wegen ihrer
sexuellen Neigung, wegen ihres Widerstands gegen die Kriegs- und
Mordlust der Nazis umgebracht, gefoltert, geschunden, in ihrer
Menschenwürde zutiefst verletzt wurden. Dem Nazireich ist es in fast
schon perverser Weise zu verdanken, dass der Untergang dieses
menschenverachtenden Systems die Menschenrechte zu einem zentralen
Thema der Weltpolitik gemacht hat: Sie werden in Art. 1, Abs. 3 der
Charta der Vereinten Nationen als eines der herausragenden Ziele der
Weltorganisation bezeichnet.
Eine
internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale
Probleme wirtschaft licher, sozialer, kultureller und humanitärer Art
zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten
für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder
der Religion zu fördern und zu festigen.
Und die
1948 von der UNO verabschiedete Menschenrechtskonvention entwickelt
immer im Bewusstsein der Nazi-Gräuel die Menschenrechtsfrage weiter
und macht sie zu einer Norm, die für alle Mitgliedsstaaten
verpflichtend ist. Was beinhalten diese Prinzipien anderes als den
Grundsatz, dass alle Menschen gleich sind, gleiche Rechte haben und
dass der Respekt vor ihrer Würde und Unversehrbarkeit oberstes Gebot
ist. Dies ist ein Toleranzgebot, das geradezu zwingend aus dem
Gleichheitsprinzip demokratisch verfasster Gesellschaften folgt:
Die individuellen Freiheiten enden dort, wo sie auf die
Freiheitsrechte des Andern treffen. Diesen braucht man nicht lieben
wie sich selbst, wie es uns die christliche Lehre nahe legt, aber der
Andere ist zu respektieren und zu tolerieren, auch in seinem
Anderssein, ganz gleich, ob es sich hierbei um Hautfarbe,
Religionszugehörigkeit, Geschlecht, sozialen Status oder körperliche
Besonderheiten handelt. Soweit die Prinzipien, die jeder Rechtsstaat
und Unterzeichner der UN-Charta und der Menschenrechtskonvention
sicherzustellen hat.
Hier
erheben sich Fragen, die sich auf die politische Kultur und die
politische Praxis in unserem Lande beziehen. Hat die Bundesrepublik
Deutschland mit der Änderung des Artikels 9 des Grundgesetzes
zumindest in der Tendenz nicht gegen diese Prinzipien und die von ihr
unterzeichnete Flüchtlingskonvention verstoßen? Sind durch die
endlosen Debatten über Migration, Asylrecht, soziale Leistungen für
Asylbewerber nicht Themen in den Vordergrund geschoben worden, die
menschenfeindlicher Argumentation den Nährboden liefern? Und findet
nicht solche Argumentation auch breite Akzeptanz? Angesichts der
Organisationsformen rechtsextremer Täter, ja Täterschaften, kann vom
irregeleiteten Einzeltäter nicht mehr die Rede sein. Und empirische
Untersuchungen zeigen, dass die Täter oft ein hohes Maß an Akzeptanz
und Integration in ihren Familien und Nachbarschaftsverbänden finden.
Kein Zweifel, es handelt sich um mehr als nur um fanatisierte oder
alkoholisierte Individuen oder Randgruppen. Es gibt bemerkenswerte
Grade gesellschaftlicher Akzeptanz. Sie sind auch chiffrierbar: So hat
Eurobarometer anhand einer repräsentativen Umfrage festgestellt, dass
so die kontinuierlichen Umfragen seit Bestehen der Bundesrepublik
etwa 13% aller Deutschen ein konsistentes rechtsradikales Weltbild
haben. Wundert das, wenn man bedenkt, dass der Kommentator der
Nürnberger Rassengesetze, Globke, Staatssekretär im ersten Kabinett
des Bundeskanzlers Adenauer war? Dass ein Heinrich Lübke, Erbauer von
Konzentrationslagern und möglicherweise Kommandant von
Häftlingskolonnen, oberster Repräsentant dieses Staates werden konnte?
Und in
einer weiteren Hinsicht ist Deutschland ein besonderes Land, auf das
das Ausland mit besonderer Aufmerksamkeit schaut, auf das aber gerade
wir alle besonders kritisch schauen müssen: Nirgendwo anders sind
trotz mancher Argumente im "Historikerstreit" und im "Schwarzbuch
Kommunismus" solche Taten der Menschenvernichtung aus solch niederen
Beweggründen mit solcher Systematik betrieben worden. Da ist es dann
besonders erschreckend, wenn die gewaltbereite rechtsextreme Szene
demonstrativ an den Symbolen und Figuren der Nazibarbarei anknüpft,
die Verbrecher des "Tausendjährigen Reiches" glorifiziert, ja
exkulpiert und zum Vorbild macht.
Aufklärerische Arbeit gegen das Unmenschentum ist notwendig. Um sie
wirksam betreiben zu können, müssen die Gründe bekannt sein, müssten
die Gründe gewichtet, Zielgruppen definiert, geeignete Instrumente
geschaffen werden (damit sind nicht die letztinstanzlichen
Instrumente, die Gefängnisse gemeint). Allzu schnell ergeht sich der
politische Diskurs in selbstrechtfertigenden Schuldzuweisungen, so
etwa wenn die rechte Gewalt speziell in Ostdeutschland als Folge des
"verordneten Antifaschismus" interpretiert wird dann braucht nicht
mehr über die Folgen der personellen und ideologischen Kontinuitäten
im ach so mangelhaft (weil nicht von innen heraus und aus eigener
Überzeugung) "entnazifizierten" Westdeutschland nachgedacht zu werden.
Dies sind nur zwei Stichworte zu einer schwierigen Analyse, die hier
nicht geleistet werden kann. Was damit angedeutet werden soll, ist
nur, dass Politik sich um des Gemeinwesens willen einer Verantwortung
zu stellen hat, die über propagandistisch intendierte Platitüden
hinausgehen muss.
Denn
natürlich ist diese zunehmende, individuelle wie organisierte Gewalt
Erscheinung einer Krise. Die gesellschaftliche Entwicklung hat zu
immer stärkerer Individualisierung geführt, zu immer schärferer
Konkurrenz im Kampf um individuellen Erfolg, Wohlstand und
Anerkennung. Soziale Strukturen wie Familie und Nachbarschaft lösen
sich immer mehr auf, nicht zuletzt bedingt durch die hohe Mobilität,
die der Arbeitsmarkt fordert. Jener "doppelt freie Lohnarbeiter", den
Marx beschrieb, der frei ist vom Besitz von Produktionsmitteln und
frei ist, seine Lohnarbeit überall (inzwischen weltweit) zu verkaufen,
hat Freiheiten wie nie zuvor, aber er hat in seiner Einsamkeit und
Vereinzelung auch Angst. Diese Angst ist auch unmittelbares Resultat
der new economy und der Globalisierung, die keine festen
Arbeitsverhältnisse mehr kennt, sondern nur noch jobs, die
höchste Mobilität von der Arbeitskraft erwartet, ohne jede Rücksicht
auf persönliche und familiäre Bindungen. Kein Wunder, dass der
ehemalige Bundesspräsident Roman Herzog ungeteilten Beifall der
Industrie für seine Rede im Berliner Hotel Adlon erfuhr, in der
erforderte, dass jeder junge Mensch in dieser Republik in seinem Leben
mindestens drei verschiedene Jobs an mindestens drei unterschiedlichen
Orten annehmen müsse so er sie denn findet!
"Die Kinder der Freiheit werden immer öfter Kinder der Angst. Diese
Angst zehrt den unverzichtbaren Vorrat einer Grundbereitschaft auf,
sich verantwortungsvoll und tolerant zu verhalten und stärkt die
Kräfte der Selbstbehauptungsstrategien eines verzweifelten Egoismus."
(So Peter Fritzsche in seiner Antrittsvorlesung als Inhaber der ersten
UNESCO-Professur für Menschenrechtserziehung an der Universität
Brandenburg, dokumentiert in der Frankfurter Rundschau
25.05.01).
Angst ist die Botschaft vieler der preisgekrönten Plakate dieses
Wettbewerbs. Angst in unterschiedlichster Form: Die bös-braunen
Symbole des Hakenkreuzes verweisen in unterschiedlichsten
Zusammenhängen auf den Horror des Nazi-Terrors. Die vielfältigen
Beziehungen zwischen Macht und Angst, zwischen Angst und Macht
provozieren ängstliches Nachdenken. Und dort, wo karikiert wird, wo
auf buntes Leben hingewiesen wird, ist im Hintergrund die Angst
spürbar, dass die multikulturelle solidarische Fröhlichkeit
bestenfalls ein fernes Zukunftsprojekt bleiben wird.
Plakate
können nur ein Teil sein einer gesellschaftlichen Anstrengung. Aber
sie können große Wirkung entfalten. In vereinfachender, provokativer,
künstlerisch verfremdeter Form stoßen sie Fragen an, fordern auf zum
Nachdenken, zum Handeln. Und wichtig sind nicht nur die fertigen
Produkte, die in der kleinen Auswahl der preisgekrönten Arbeiten in
diesem Katalog versammelt sind. Wichtig sind auch die Diskussionen und
Prozesse, die bei der Darstellung dieser Arbeiten stattgefunden haben:
Die Beschäftigung mit deutscher Vergangenheit und Gegenwart, die
Erfahrung, dass etwas getan werden kann und muss. Den Anschlägen
rechter Gewalttäter sollen Anschläge entgegengesetzt werden. Anschläge
in Form massenhaft angeschlagenen Plakate. Dies sind "Anschläge", die
nicht zu Gewalt aufrufen, sondern zum Nachdenken, zum Diskutieren und
Streiten, zum Gestalten einer humanen Welt, die nicht nur für
Minderheiten sondern auch für die Mehrheit lebenswert ist. Und dies
ist in eindrucksvoller Form gelungen.
Der
Botschaft, die von diesen Plakaten ausgeht, kann man nur großen Erfolg
wünschen. Frank Hermenau danke ich sehr herzlich für seine sorgfältige
und konstruktive Kritik dieses Manuskripts.
Dr. phil.
Werner Ruf
Professor für Politikwissenschaft
(Internationale und Intergesellschaftliche Beziehungen und
Außenpolitik)
an der Universität Gesamthochschule Kassel.
Anschläge gegen rechte Gewalt
Ein
Plakatwettbewerb der AGI Alliance Graphique Internationale
an den deutschen Hochschulen /
Verlag Hermann Schmidt Mainz
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