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Judentum und Israel
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Zur Entstehung des Antisemitismus

von Fabian Kettner

TEIL II.

Der antisemitische Diskurs des Nationalsozialismus greift verschiedene, teilweise jahrhundertealte antisemitische Diskurse auf und synthetisiert und systematisiert sie. Es lassen sich v.a. folgende Bilder festmachen :

Der Ahasver geht zurück auf einen Mythos in Bestsellerform aus dem 17. Jahrhundert, der sich durch beständige Kolportage und durch beständiges Ab- schreiben erweiterte und fortpflanzte. Der Ahasver ist der "ewige Jude", der, weil er Jesus auf der via dolorosa Rast verweigerte, dazu verdammt wurde, ewig gleich, barfuß, heimat- und wurzellos die Welt zu durchwandern.

Der Urbantyp kommt in den großen Städten vor, die als Produkt moderner Gesellschaften, v.a. als Folge der Landflucht - oder eher Landvertreibung - im Zuge der ursprünglichen Akkumulation erst entstanden. In ihnen werden die Menschen in Massen zusammengefasst. Das Stadtleben sei schädlich an sich, es verderbe die Menschen (besonders die deutschen), weil sie ohne heilbringenden Kontakt mit ihrer natürlichen angestammten Scholle und zu dem dazugehörigen ruhigen, geordneten, gefestigten Leben sind. Die Stadt sei ruhelos, durch und durch ‚künstlich', reine Machination. V.a. ist sie Ort des Handels, was Wirkungsstätte des Juden sei, der deswegen in der Stadt besonders gut gedeihen könne. Das Stadtleben bringe als kulturelles Unkraut hervor den Intellektuellen und den Zersetzer.

Der Intellektualismus sei schädlich an sich, weil seine Vergeistigung eine "Verödung der Seele" bewirke. Die kalte zergliedernde Erkenntnis, zu der der Intellektuelle nur fähig sei, verunmögliche die Schau des wahren Seins, der Einheit, des Seinsgrunds. In seiner abstrakten unzugänglichen Welt entfremde er sich dem Volk. Seine reine Verstandestätigkeit habe sich herausgebildet im rational kalkulierenden kauf- männischen Gewerbe. Das Denken wie die dazugehörige ökonomische Praxis aber sei ein Instrument zur Aneignung, d.h. Wegnahme und Zerstörung fremder Werte.

Der Zersetzer wurde klassisch von Ernst Krieck skizziert in seinem Bild des Literaten: "kalt, zeugungslos, verstandesmäßig, zersetzend bis in die Knochen" . "Die Kräfte der Zerstörung, die Meckerer, Stänkerer, heimlichen Ehrabschneider, die Maulwürfe aller Parteifarben, die liberale, die schwarze und die rote Auflösung" , -- sie alle seien zu keiner positiven, konstruktiven Arbeit fähig. Der Zersetzer schwäche das Volk durch politische Aufwiegelung, durch Streit und schwäche seine Wehrkraft durch humanistische Ideen und durch den Pazifismus.

Der Wucherer bereichere sich an der Not Bedürftiger und Abhängiger. Er lebe von den Früchten der Arbeit anderer. Im Zins scheint das mysteriöse Wertprinzip ergriffen werden zu können, das Geheimnis von Mehrwert gelüftet: man bekommt vom Geld- leiher Geld und muss mehr Geld zurückgeben. Im Zins vermehre sich das Geld wie von selbst und verantwortlich sei die Gier des Leihers.

Das Bild des Wucherers wurde bereits vor dem Nationalsozialismus um das des Kapitalisten, des internationalen Monopolkapitalisten erweitert, der "Staat und Gesellschaft zum Spielball eines als privatives Kapitalakkumulationsunternehmen firmierenden Wirtschaftsliberalismus degradiere" , den Arbeiter beklaue, an der Arbeitskraft und Volkswirtschaft anderer schmarotze. Die Agitation gegen den Kapitalismus trennt in "raffendes" (Börse, Bank, freie Finanzmärkte etc.) und "schaffendes Kapital" (Industrie, Handwerker, ‚ehrliche Arbeit'). Diese Trennung ist das durchschlagende Ideologem des nationalsozialistischen Antisemitismus. Gespalten wird, was untrennbar zusammengehört: Finanzkapital und industrielles Kapital. Das "raffende Kapital" wird identifiziert als das international vertretene und organisierte Großkapital, welches parasitär wirke, indem es die Völker aussauge, in denen es sich ansiedelt. Das "raffende Kapital" wird verkörpert vom Juden.
Diese Trennung ist eine offenkundig naturwüchsige Wahrnehmung des Kapitalverhältnisses und ein beliebtes Bild bis in die Gegenwart, auch bei Linken: so in der Agitation gegen die "Multis" und gegen die "Spekulanten" (radikale Version) oder gegen ‚verantwortungslose Unternehmer', die keine Arbeitsplätze für ihre Nation und für ihr schaffen, sondern lieber Kapitalmengen unkontrolliert fließen lassen (sozialdemokratische Version).

Hinzu kam vom Nationalsozialismus das Bild des kulturzerstörenden bolschewistischen Juden. Diese Zusammenführung von Kapitalismus und Marxismus in einer Person mag absurd erscheinen, doch folgt sie einer inneren (Para-) Logik des Antisemitismus. Denn was macht der Jude? Er greife die Resultate des Kapitalismus auf, den er selber vorher in Werk gesetzt habe. Er ernte als marxistischer Jude die Früchte seiner Arbeit, die er als kapitalistischer Jude säte. Er greife den freien und verlendeten Arbeiter und dessen berechtigte soziale Forderungen auf und hetze diesen gegen sein eigenes Volk. An dieser Stelle kann er die Gemeinschaft in ihrer Substanz zersetzen: in ihrer Arbeitskraft.

Fortsetzung:

schule.judentum.de klick-nach-rechts.de 17.04.01


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