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Erinnerungen an Pierre Durand:
Widerstandskämpfer der ersten Stunde

Von Hans Daniel

»Die Umwälzungen am Ende des 20. Jahrhunderts haben einige Kräfte dazu ermuntert, die Geschichte einer "Revision" zu unterziehen, oder, genauer gesagt, sie zu verfälschen, um auch den großen Gedenkstätten der Nazideportation ihren eigentlichen Sinn zu nehmen. Das läuft darauf hinaus, die Verbrechen des Hitlerregimes zu banalisieren, um sie in der Verworrenheit eines ebenso abstrakten wie ahistorischen Totalitarismus zu ersticken.«

Pierre Durand:
»Die Résistance der Franzosen
in Buchenwald und in Dora«

Fast 20 Jahre, von 1982 bis 2001, stand Pierre Durand als Präsident dem Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos vor. Dann wählten ihn die Vertreter der Internationalen Lagergemeinschaften zu ihrem Ehrenpräsidenten. Das war die Würdigung eines Aufrechten, einer charismatischen Persönlichkeit, der auch der politische Gegner den Respekt nicht versagen konnte. Die französische Regierung ehrte den antifaschistischen Widerstandskämpfer mit militärischen Auszeichnungen und der Ernennung zum Kommandeur der Ehrenlegion. Am 31. Mai hat die internationale antifaschistische Bewegung von ihm Abschied genommen. Pierre Durand ist am 6. Mai nach schwerer Krankheit in Paris gestorben.

Mit 18 Jahren hatte er sich der kommunistischen Résistance angeschlossen. 20 Jahre war er alt, als ihn die faschistischen Okkupationsbehörden verhafteten und die SS ihn, wie er später schrieb, »mit dem Tode als Zugbegleiter und bis zu einhundertzwanzig Mann in einem Viehwaggon eingepfercht« nach Buchenwald deportierte. Hier hat er »unter unvorstellbaren Umständen diese Deutschen, die als Häftlinge aus einer anderen Welt als die anderen - unsere Folterknechte - stammten«, kennengelernt. Über sie spricht er im Vorwort zu dem in der Reihe Bibliothek des Widerstandes erschienenen Buch »Buchenwald - Ein Konzentrationslager«: »Sie waren deutsche Antifaschisten, an erster Stelle Kommunisten, Sozialdemokraten, christliche Liberale, kurz diejenigen, die die Ehre ihres Landes gerettet hatten und uns auf diese Weise ein anderes Gesicht Deutschlands zeigten. Soweit es möglich war, halfen sie uns, retteten das Leben vieler von uns und ermöglichten es, einen Gemeinschaftsgeist zwischen den Opfern gegen ihre Henker zu schaffen und den einzigartigen Befreiungskampf vorzubereiten.« (Pahl-Rugenstein Nachfolger, Bonn, 2000)

An diesem Befreiungskampf hat Pierre Durand in der internationalen illegalen Lagerleitung mitgewirkt. Seine Freunde übertrugen ihm nach der Selbstbefreiung des Lagers den ehrenvollen Auftrag, am 19. April 1945 den Schwur von Buchenwald für die französischen Häftlinge zu sprechen. Diesen Schwur und die erlebte Solidarität der deutschen Antifaschisten in den Jahren der KZ-Haft im Herzen, sah er es bis zuletzt als persönlichen Auftrag, die Erinnerung an den Widerstand und die Opfer des faschistischen Regimes wachzuhalten. Mit Leidenschaft stellte er sich vor seine deutschen Kameraden, als die nach der »Wende« als »rote Kapos«, als »rotlackierte Faschisten« diffamiert wurden und mit ihnen der Antifaschismus ins Zwielicht gerückt wurde.

»Wir sind Zeugen einer Vergangenheit, die wir nicht vergessen«, sagte er im April 1994 auf der Kundgebung zum 49. Jahrestag der Befreiung auf dem Ettersberg. »Wir vergessen nicht den Rauch, der aus dem Krematorium kam. Wir haben die Skelette vor Augen, die unter den Augen der SS, der entfesselten brutalen Menschen, zusammenbrachen.« Und im gleichen Atemzug versicherte er den »deutschen antifaschistischen Brüdern unsere Solidarität in einem Augenblick, in dem der dumme Haß, die infamen Verleumdungen der Erben der SS wieder einmal gegen sie aufflammten«.

Unvergessen bleibt der 14. Oktober 1994. Die vom Bundestag eingesetzte »Enquetekommission für die Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit« versuchte mit einem Hearing im ehemaligen KZ Buchenwald, die faschistischen Konzentrationslager mit den Internierungslagern auf eine Ebene zu stellen, die nach 1945 auf alliierten Beschluß für Funktionsträger des Naziregimes eingerichtet worden waren. Durand sprach für das Internationale Buchenwaldkomitee, abgestimmt mit Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Nachdrücklich erinnerte er an den Beschluß des Europäischen Parlaments vom 11. Februar 1993, in dem jede »willkürliche Vermischung der nazistischen Lager mit deren möglicher Nutzung nach dem Krieg« abgelehnt wird.

»Wenn es unberechtigte Internierungen gegeben hat, dann soll Gerechtigkeit geschaffen werden. Aber dem nazistischen Wüten darf kein Alibi geboten werden. Es ist klar, daß es zwischen uns und den Verteidigern unserer Henker keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit geben kann. Diese Idee an sich ist schon merkwürdig. Etwas derartig Ungereimtes würde es weder in Oradour noch in Lidice geben, um nur diese zwei Beispiele zu geben.« Die von Durand geleitete Delegation verließ nach dem Vortrag der Erklärung den Tagungsort.

Im April 2001 hörten wir ihn mit Worten, fast schon einem Vermächtnis gleich an die Nachkommenden gerichtet, zum 56. Jahrestag der Selbstbefreiung Buchenwalds zum letzten Mal vor dem Glockenturm auf dem Ettersberg; »Wir sind nicht die Klageweiber der Geschichte. Wir sind der lebende Beweis dafür, daß der Kampf für Freiheit, Frieden und Glück immer möglich ist. Unser langes Leben hat uns gelehrt, daß man nie aufgeben darf, daß man im Herzen die Flamme der Hoffnung und den Willen bewahren muß, eine bessere Welt aufzubauen, eine Welt, die der Menschheit würdig ist. Diesen Wunsch haben wir mit unserem Schwur am 19. April 1945 ausgedrückt. Jetzt müssen Sie ihn in die Tat umsetzen.«

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 hagalil.com 30-05-02


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