Bundeskanzler Gerhard Schröder :
50 Jahre Jad vaSchem
Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des
50-jährigen Bestehens der Holocaust-Gedenkstätte "Yad Vashem" am 2. Dezember...
Es gilt das gesprochene Wort, vom Do, 02.12.2004
Sehr geehrter Herr Shalev, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Yad Vashem ist ein einzigartiger Ort - ein Mahnmal, eine Erinnerungsstätte,
ein Kultur- und Lernzentrum. Wer einmal Yad Vashem besucht hat, der wird die
Gefühle der Scham und der tiefen Trauer im Moment der Begegnung mit der dort so
gegenwärtigen Geschichte nie vergessen. Man möchte das Unfassbare begreifen, das
doch jede menschliche Vorstellungskraft übersteigt.
Aber - Yad Vashem ist mehr als Aufschrei und Anklage, als Trauer und
Gedenken. Diese Stätte ist zugleich ein Ort der Hoffnung. Der Hoffnung auf
Verständigung und Versöhnung, auf Toleranz und Menschlichkeit, auf Frieden und
gute Nachbarschaft.
Meine Damen und Herren, von Yad Vashem geht eine Botschaft gegen das
Vergessen aus. Yad Vashem, auf dem "Berg der Erinnerung" in Jerusalem errichtet,
gibt den Opfern des industriell organisierten Völkermordes ihre Namen zurück.
Die Stätte bewahrt ihr Erbe, die Spuren der vielen individuellen Schicksale. Den
Millionen Kindern, Frauen und Männern - die auf unvorstellbare Weise ihrer Würde
beraubt wurden - die Würde wieder zu geben, das ist das Anliegen von Yad Vashem.
Zugleich, und das ist einmalig in der Welt, werden in der Gedenkstätte Menschen
geehrt, die ihr Leben eingesetzt haben, um Juden während des Holocaust zu
retten. In der "Allee der Gerechten" erinnern mehr als 20.000 namentlich
gewidmete Bäume an diejenigen, die sich auch unter einer barbarischen Diktatur
in ihrem Verhalten vom eigenen Gewissen leiten ließen. Diese als "Gerechte unter
den Völkern" Geehrten haben nicht weggeschaut, sondern durch ihren Mut viele
Leben gerettet. Sie sind ein Vorbild dafür, wie notwendig es ist - und dass es
aber auch möglich ist -, Anstand und Moral gegen Grausamkeit und tiefe
Unmenschlichkeit zu setzen. Meine Damen und Herren, Yad Vashem ist längst
zu einem Teil der Identität Israels geworden. Im Jahr 1953, nur fünf Jahre nach
der Gründung des Staates Israel, hat die Knesset das Gesetz zur Einrichtung der
Gedenkstätte verabschiedet. Der Ort ist seitdem zu einem Zentrum für Juden aus
aller Welt und aus allen Generationen geworden - als Ort des nationalen und des
internationalen Gedenkens. Für die deutsch-israelischen Beziehungen ist Yad
Vashem ein besonders bedeutsames Symbol: Für das Bekenntnis und die
bleibende Verantwortung Deutschlands für die staatliche Existenz Israels in
sicheren Grenzen. Diese historische und politische Verantwortung ist ein
Grundpfeiler unserer Außenpolitik. Und ein Zeichen der Solidarität und der
Verbundenheit mit einem Land, das den Überlebenden der Shoah die ersehnte
Heimstätte gegeben hat. Meine Damen und Herren, es ist ein hoffnungsvolles
Zeichen, dass sich in Yad Vashem auffallend viele Schulklassen informieren. Sie
sind Gäste der hervorragenden Internationalen Schule für Holocaust-Studien.
Millionen Schüler, Studenten und Pädagogen aus aller Welt haben an deren
Lehrgängen teilgenommen. Ich wünsche mir, dass es noch viel mehr werden. Und ich
hoffe sehr, dass noch mehr Gruppen gerade aus Deutschland, dass Lehrer und
Schüler diese Schule kennen lernen. Denn unsere Aufgabe besteht mehr denn je
darin, die kommenden Generationen aufzuklären über den Nationalsozialismus und
seine Verbrechen. Denn nur wer sich erinnert, auch wenn er keine Schuld auf sich
geladen hat, kann verantwortungsbewusst mit der Geschichte umgehen.
Erinnerung hilft, der Gegenwart einen Sinn zu geben. Erinnerung ermöglicht
Identität und Kontinuität. Aber vergangene Ereignisse werden nicht automatisch
zu Erinnerungen. Das Vergessen, das Verdrängen, ja auch das Umdeuten sind
allgegenwärtig. Dagegen müssen wir, jede und jeder einzelne, immer wieder
aufs neue die Bereitschaft setzen, Vergangenes zu vergegenwärtigen, unsere
Geschichte anzunehmen und sich mit ihr bewusst auseinander zu setzen. Denn ohne
Erinnerung kann es keine Freiheit und keine Zukunft geben. Yad Vashem setzt
Maßstäbe für diese Erinnerungsarbeit. Für den sachlichen und sensiblen
Umgang mit Geschichte und für ein breites Bewusstsein dafür, dass wir alles
tun müssen, damit unsere Gesellschaften respektvoll, menschlich und vor allem
friedlich zusammenleben können. Damit Menschen verschiedener Herkunft,
Sprachen, kultureller Prägungen, Religionen und Hautfarben in offenen
Gesellschaften gemeinsam Zukunft gestalten können. Yad Vashem mahnt genau zu
dieser Toleranz, Verständigung und Versöhnung. Jeder, der dort war, wird die
stille, aber machtvolle Botschaft verstehen. Meine Damen und Herren, die
Gedenkstätte Yad Vashem hat zu recht Unterstützer in der ganzen Welt. Sie
organisieren sich in 32 Freundeskreisen. Den Anstoß für den deutschen
Freundeskreis gab Ignaz Bubis, der unvergessene ehemalige Präsident des
Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Freundeskreis ist in gewisser Weise
auch Ausdruck für das wieder erblühende jüdische Leben in Deutschland und
Europa, das uns mit Freude und Dankbarkeit erfüllt. Vor allem aber ist dieser
Abend in der Deutschen Oper Berlin eine Begegnung mit jüdischer Kultur und
wunderbaren Künstlern. Ich denke, Sie alle freuen sich genau wie ich auf das
außergewöhnliche Programm. Ich danke Ihnen.
DG /
hagalil.com
/ 2004-12-03
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