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Die soziale Frage und die Rechten:
Nimm zwei!


Wer die Demontage der Demokratie verhindern und mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen will, muss sich auch gegen Rassismus und Antisemitismus wehren

Es ist keine Überraschung, dass rechtsextreme Initiativen die Montagsdemonstrationen mit völkischer und nationalsozialistischer Propaganda zu infiltrieren versuchen. Wer die Geschichte dieses Landes und auch meines ehemaligen Zuhauses, Italien, nicht verdrängt hat, weiß, dass die soziale Frage immer von den Rechten genutzt wurde, um an die Macht zu kommen.
Wer wie die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, die PDS, der DGB, die evangelische Kirche, Verdi und die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Suhl angesichts der Tatsache, dass bei den Suhler Montagsdemos Neonazis mitlaufen konnten und der Hauptredner rassistisch argumentierte, gemeinsam mit diesem Hauptredner in einem Aufruf nach »Möglichkeiten einer Bündelung der Kräfte« sucht und das »Auftreten rechter und linker Extremgruppen bei unseren Veranstaltungen« gleichsetzt, arbeitet meines Erachtens der gefährlichen Entwicklung in die Hand.

Suche nach dem Sündenbock

Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Anschläge auf Nichtdeutsche und Minderheiten Schlagzeilen machten, doch die Anschläge finden nach wie vor statt. Gingen jedoch vor Jahren noch Tausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße, wird er inzwischen wieder allzu oft von einer zumindest gleichgültigen Gesellschaft schweigend hingenommen, oder es wird sogar immer mehr mit ihm sympathisiert. Ungestört können Neonazis, wie etwa im thüringischen Pößneck, sogar Immobilien kaufen, um Anlaufpunkte zu organisieren. Anstelle von Glatze und Springerstiefeln ist ein überkorrektes und gepflegtes Äußeres zu erkennen. Die Neonazis müssen kaum noch provozieren, um auf sich aufmerksam zu machen. Das »anständige« Umfeld nimmt sie auch so zur Kenntnis. Schlimmer noch, es akzeptiert sie oftmals.

Die wachsende soziale Frustration und die Suche nach Sündenböcken für die eigene Lage ist ein idealer Nährboden für Rechtsextremisten. Sie liefern die vermeintlichen Erklärungen und benennen die angeblichen Täter: das internationale Kapital, die USA, die Linken, die Ausländer und natürlich die Juden als Weltverschwörer. Es sind die altbekannten Feindbilder, deren sie sich bedienen. Neu ist die stillschweigende Duldung dieser Entwicklungen durch immer größere Teile der Bürger, der Politiker und Organisationen vor allem in den neuen Bundesländern.

Jeder weiß, dass dort weniger Nichtdeutsche leben und arbeiten und es die höchste Erwerbslosigkeit und eine überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsrate gibt. Nicht nur die Rechtsextremen behaupten, die Ausländer seien daran schuld. Seit Jahren tobt die Dumpinglohnkonkurrenz insbesondere in Ostdeutschland. Aber nun wird behauptet, die Ost-Erweiterung der EU vom 1. Mai dieses Jahres sei daran schuld.

Und schon können sich die Neonazis wieder als Antikapitalisten profilieren. Sie behaupten, dass die internationale Konkurrenz und das Finanzkapital schuld seien an der Situation. Aber auch der Sozialneid auf »die da oben«, auf die Managergehälter, ist kein Ringen um eine bessere Gesellschaft, sondern die Suche nach dem Sündenbock. Denn auch der gut bezahlte Manager ist nicht die Ursache, sondern lediglich eine Auswirkung dieses menschenfeindlichen Systems.

Auch die NSDAP konnte damals nur an die Macht kommen, weil von der Mehrheit der Politiker die Interessen des Kapitals in den Vordergrund gestellt wurden und die Mehrheit der Bürger nicht nach der Ursache ihrer sozialen Not suchte, sondern Sozialneid auf Minderheiten richtete und es zu keinem widerstandsfähigen Bündnis kam.

Die Geschichte wiederholt sich nicht. Es ist zwar so schnell nicht damit zu rechnen, dass neonazistische Kräfte wieder an die Macht gelangen, denn ihr plumper Nationalismus widerspricht den Kapitalinteressen. Aber ein großer Teil der Bürger sucht nicht nach Alternativen, die sich am Menschen orientieren, sondern nach dem Sündenbock und blickt mit Neid auf den Schwächeren und Stärkeren. Auf dieser Grundlage entfaltet sich Rassismus und Antisemitismus.

Der Bürger klagt: »Der arbeitsscheue Türke fährt BMW.«

Der Bürger klagt: »Asylanten bekommen für 5 000 Euro neue Zähne.«

Der Bürger klagt: »Den Aussiedlern schieben sie es von vorn und hinten rein.«

Der Bürger klagt: »Die Türken kassieren Kindergeld.«

Der Bürger klagt: »Der Asylant bekommt mehr Sozialhilfe als der Erwerbslose ALG II.«

Sozialneid, nämlich Neid auch und insbesondere gegenüber dem Bürger, der noch schlechter behandelt wird, gehört zur Demagogie des Rechtsextremismus. Neid, Hass, Rache, Geltungssucht – all diese niedersten Regungen in unserer Gefühlswelt, die es eigentlich zu zügeln gelte, werden vom Rechtsextremismus zum ideologischen Programm und von der Politik der »Mitte« befördert.

Ungebrochene Tradition auch in der DDR

Der Rassismus und der Antisemitismus konnte und kann ungebrochen in der BRD, aber auch in der DDR gedeihen. Rassismus war in den achtziger Jahren in der DDR in einem schockierenden Ausmaß verbreitet. Dies ist um so bemerkenswerter, als in der DDR nur rund 90 000 Ausländer lebten. Trotzdem wurden bereits damals immer wieder Arbeiter aus Angola, Mosambik oder Vietnam oder Kleinhändler und Touristen aus Polen zusammengeschlagen.

Der knappe Wohnraum oder der Mangel an Waren wurden oft als Gründe für die Feindschaft gegen Ausländer vorgebracht, es wurde behauptet, die Ausländer würden angeblich bevorzugt. Und das, obwohl, wie heute auch, eher das Gegenteil zutraf. Denn auch staatlicherseits wurden und werden Nichtdeutsche diskriminiert. Schwarze oder asiatische Ausländer hatten am meisten unter rassistisch motivierter Verfolgung zu leiden, Polen und Türken, oftmals aus Westberlin oder der BRD, wurde insbesondere angekreidet, dass sie, im Gegensatz zu vielen Bürgern der DDR, über Westmark verfügten. Ausländer und Westmark, das war offensichtlich eine besondere Provokation. Schließlich spielte eine Rolle, dass die meisten ausländischen Arbeiter, aber auch Studenten in der DDR in einer Art Kasernierung gehalten wurden und zugleich relativ jung waren.

Die Neonazis nutzen nun diese nach wie vor vorhandenen Haltungen und die aktuelle Entwicklung der sozialen Demontage mit Losungen wie etwa »Für den nationalen Sozialismus!«, um die Rechtsentwicklung zu stärken. Die Orientierung der Mehrheit der Menschen an den falschen Ursachen für die Erwerbslosigkeit, die soziale Demontage und die fehlende Freiheit, ermöglicht es der politischen Mitte, mit der Aushöhlung des Asylrechtes und der Verabschiedung des so genannten Zuwanderungsgesetzes die Nichtdeutschen auszugrenzen bzw. nach Nützlichkeitsprinzipien zu integrieren und den Widerstand gegen die Massenerwerbslosigkeit und die soziale Demontage einzudämmen.

Notwendige Gegenstrategien

Die Bekämpfung der Rechtsentwicklung und des Sozialabbaus hat keine Wirkung, wenn sie sich auf Gegendemonstrationen beschränkt. Ergänzend ist es notwendig, die Einstellungen der Bürger zu verändern. Aktivitäten gegen Rassismus, Antisemitismus und Neofaschismus müssen zur täglichen Arbeit gehören. Der Widerstand gegen die soziale Demontage und die Erwerbslosigkeit muss die Frage der Demokratie und der Gleichbehandlung in den Mittelpunkt stellen und darauf achten, dass es keine Forderungen gibt, die völkisch interpretiert werden können.

Es gilt, statt gegen die Globalisierung für die Gegengobalisierung der Bürger zu kämpfen; dem Stellvertreterdenken Selbstorganisation, Selbstbehauptung und Systemalternativen entgegenzusetzen, die allein einen Mittelpunkt kennen, den Menschen.

Die Rechtsentwicklung in der Gesellschaft ist nur wirksam zu bekämpfen, wenn alle Menschen, Organisationen und Initiativen, die eine nicht rassistische und/oder antifaschistische Haltung haben, kooperieren und die soziale Frage, die Gleichbehandlung und Freiheit einbeziehen. Dies setzt voraus, dass in dieser Frage Meinungsunterschiede und unterschiedliche Analysen – Glauben, politische Überzeugungen, Parteizugehörigkeit usw. – von zweitrangiger Bedeutung sind und das »gemeinsame Handeln gegen soziale Demontage und die Rechtsentwicklung« ins Zentrum des Handelns rückt.

Dies darf aber nicht zur Folge haben, dass die Ziele und Inhalte zur Beliebigkeit verkommen. Bündnisse, die nur das Ansehen der Stadt, der Region oder des Landes im Blick haben, sind keine Bündnisse gegen die Rechtsentwicklung, sondern eine PR-Maßnahme und schaden letztlich den Opfern von Rassismus und und Neofaschismus.

Bündnisse haben nur dann eine Perspektive, wenn unterschiedliche und widersprechende Meinungen ausgetragen werden. Sie haben nur Bestand und Wirksamkeit, wenn es keine Führungsansprüche gibt und die Gleichwertigkeit zwischen den Bündnispartnern dominiert. Das Suchen nach dem richtigen Weg ist wesentlicher Bestandteil wirksamer Aktionen gegen die soziale Demontage und die Rechtsentwicklung. Bündnisbereitschaft darf auf der einen Seite nicht zur Folge haben, dass Inhalte und Aktionsformen beliebig sind, muss aber gleichzeitig unterschiedliche politische Kulturen und Sozialisierungen respektieren.

DG / 700101

 


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