Freundliches Frankfurt:
Begegnung aus dem Effeff
In Frankfurt an der Oder folterten Neonazis stundenlang einen
Jugendlichen. Die Stadtverwaltung sieht keine politischen Hintergründe der Tat.
Wenn ein Neonazi einen Autounfall baut, ist das kein rechtsextremer Übergriff.
Das meint zumindest der Pressesprecher der Stadt Frankfurt an der Oder,
Heinz-Dieter Walter. Mit dieser banalen Feststellung hat er wohl Recht. Er wurde
jedoch nicht nach seiner Meinung zu Neonazis, die nicht Auto fahren können,
gefragt, sondern zu einem rechten Übergriff, der an Brutalität kaum zu
übertreffen ist.
Anfang Juni wurde ein junger Mann im Frankfurter Stadtteil Neuberesinchen von
fünf jungen Leuten auf offener Straße entführt, regelrecht »von der Straße
weggefangen«, sagt die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Er wurde in eine Wohnung
gebracht und dort stundenlang schwer gefoltert, misshandelt und vergewaltigt. Er
überlebte nur Dank einer Notoperation und musste zunächst in ein künstliches
Koma versetzt werden. Inzwischen konnte er das Krankenhaus verlassen. Nach
Angaben der Staatsanwaltschaft wird er bleibende Schäden davontragen.
Dennoch ist Walter der Meinung, dass man nun wirklich nicht ȟber jeden Stock
springen« müsse, der einem im Zusammenhang mit rechter Gewalt hingehalten werde.
Schließlich gelte zunächst die Unschuldsvermutung, sagte er der Jungle World.
Und überhaupt sehe er keinen politischen Hintergrund der Tat. Deshalb habe die
Stadtverwaltung es auch nicht für notwendig gehalten, sich zu äußern. »Wer
behauptet, die Stadt unterdrücke Nachrichten und verharmlose rechte Gewalt,
betreibt Brunnenvergiftung«, sagt Walter.
Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen beteiligten sich drei Männer und zwei
Frauen an der Folter. Nach Informationen der linken Gruppe Kritik & Praxis
Berlin sind zumindest die beteiligten Männer in Frankfurt an der Oder als
Neonazis bekannt. Inzwischen konnten drei der mutmaßlichen Tatbeteiligten
festgenommen werden, teilte Ulrich Scherding von der Staatsanwaltschaft
Frankfurt der Jungle World mit. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gefährliche
Körperverletzung, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vor. Gegen einen weiteren
mutmaßlichen Beteiligten, Ronny B., läuft eine bundesweite Fahndung. Über B.
könne »man ohne viel Phantasie sagen, dass er ein Rechter ist«, sagte Scherding.
Der Staatsanwaltschaft zufolge habe er die »ganze kriminelle Palette«
rechtsextremer Straftaten aufzuweisen.
In Frankfurt an der Oder will man aber von einem politischen Hintergrund nichts
wissen. Auch deshalb organisierte die Autonome Antifa Frankfurt an der Oder
(Aafo) vor zwei Wochen eine Demonstration, an der sich rund 350 Personen
beteiligten. Sie richtete sich gegen rechte Gewalt und den Umgang der Stadt mit
diesem Problem. »Die Stadtoberen (…) strafen die massiven rechtsradikalen
Übergriffe der letzten Zeit immer öfter mit Desinteresse und Ignoranz, ohne sich
klar gegen Nazis zu positionieren«, heißt es in dem Aufruf. Der
Oberbürgermeister von Frankfurt, Martin Patzelt (CDU), distanzierte sich
postwendend in einer Presseerklärung von der Demonstration. Er sei nicht der
Meinung, dass der Protest »in erfolgversprechender Art und Weise« rechtsextremem
Denken und Handeln begegnen werde.
Besonderen Anstoß nahm er am Motto der Demonstration: »Dem Grauen ein Ende
setzen – Während die Anständigen nur aufstehen, greifen wir an.« Hiermit werde
zu einem »gewaltsamen Vorgehen« aufgerufen; die DemonstrantInnen setzten sich
ins Unrecht. Seit Jahren werde in Frankfurt den Neonazis »mit spürbarem Erfolg«
von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt die Stirn geboten, betonte er. Ein
Aktivist der Aafo hingegen sagte der Jungle World, angesichts der zahlreichen
Gewalttaten der letzten Zeit stelle sich die Frage, »wo der Erfolg zu sehen sein
soll«.
Zwar seien nach Einschätzung der Aafo in Frankfurt die Strukturen der NPD nahezu
zusammengebrochen, dafür gebe es eine Organisierung auf der Ebene der
neonazistischen Kameradschaften. Allerdings werde der abendliche Gang durch
Frankfurt nicht nur wegen organisierter Neonazis oft zu einem Spießrutenlauf.
Ebenso machten einem »besoffene Autoprolls« das Leben schwer.
Dass diese rechte Grundstimmung für viele eine generelle Bedrohung darstellt und
ein rechter Übergriff nicht erst einer ist, wenn er von einem organisierten,
»Sieg Heil« rufenden Neonazi begangen wird, ist bis zu den Verantwortlichen der
Stadt offenbar noch nicht vorgedrungen. Über eine der vielen Schlägereien
zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen aus der jüngsten Zeit sagt
Walter, die Jugendlichen hätten sich »in Wirklichkeit um ein Mädchen gekloppt«.
Die Angst um einen Imageverlust der Stadt ist spürbar. Während der so genannte
Aufstand der Anständigen im Sommer 2000 einerseits Projekte gegen rechte Gewalt
und Opferberatungen zumindest zeitweise stärkte, war er andererseits auch
Ausdruck der Angst von Städten und Unternehmen, dass rechte Umtriebe
Investitionen behindern könnten. Frankfurt an der Oder kann sich als
deutsch-polnische Grenzstadt und Sitz der Europa-Universität Viadrina einen Ruf
als browntown nicht leisten.
Die Stadt hebt in ihrer Selbstdarstellung die Europa-Universität besonders
hervor. Dank ihr werde Frankfurt zur »Bildungsbrücke zwischen Ost und West«, was
durch die Lage an der Grenze zu Polen begünstigt werde. Gerade dadurch werde die
knapp 70 000 EinwohnerInnen zählende Stadt zu einer »europäischen Begegnungs-
und Kommunikationsstadt«, die für die gesamte Grenzregion von Bedeutung sei. Die
Universität sieht nach eigenem Bekunden eine ihrer Aufgaben darin, das
Zusammenwachsen Europas zu fördern.
Die Kampagne »FF – Freundliches Frankfurt« soll das klare Bekenntnis der Stadt
gegen Rechtsextremismus und Gewalt verdeutlichen. Mit Aufklebern und T-Shirts
der Kampagne könnten Bürgerinnen und Bürger ein »sichtbares Zeichen (…) für
Toleranz und Gastfreundlichkeit« setzen, heißt es auf der Homepage der Stadt.
http://www.frankfurt-oder.de
Die Aafo vermutet hinter diesem Engagement allerdings eher Imagearbeit als eine
ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in der Stadt. Zudem
hätten sich bis hin zur PDS Verbände und Initiativen von der Demonstration
distanziert. Die städtische Kampagne diene letztlich auch dazu, linksradikale
antifaschistische Arbeit zu delegitimieren, meint der Aktivist der Aafo.
Nach wie vor vergeht kaum ein Monat ohne rechte Angriffe in der Stadt. Bei einem
der brutalsten Übergriffe prügelten im März 2003 drei Neonazis einen Punk in
seiner Wohnung zu Tode. Im April diesen Jahres schlugen acht junge Männer einen
Asylbewerber aus Sierra Leone so lange, bis er ins Koma fiel. Die Polizei
meldete den Vorfall nicht der Öffentlichkeit, weil sie von einer »harmlosen
Kneipenschlägerei« ausging. Der Verein Opferperspektive machte den Vorfall
schließlich bekannt.
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