Im sonst
verschlafenen und beschaulichen Teltow-Seehof am Rande Berlins war am vorigen
Samstag die Idylle getrübt. Rund 70 Antifas demonstrierten gegen die Vorgänge in
dem Ort und sahen sich wüsten Beschimpfungen ausgesetzt. Einige junge,
kurzhaarige Jugendliche brüllten der Demonstration entgegen: »Ihr Juden!« und
»Ausländer raus!« Andere Dorfbewohner fragten: »Wer hat euch bezahlt?« Einem
Mann missfiel die von Demonstranten gezeigte Israelfahne und er rief: »Aber ihr
habt doch die Atombombe!«
Schon im Vorfeld
der Demonstration waren die Gemüter in dem Ort äußerst erregt. Den
PDS-Kreisverband Potsdam-Mittelmark empörte das Vorhaben der Antifas derart,
dass er sich genötigt sah, die Organisatoren aufzufordern, »die beabsichtigte
Demo abzusagen und sich bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern für die
pauschale Verurteilung als Antisemiten zu entschuldigen«.
Worum geht es in
Teltow-Seehof? Im Jahr 1872 kauften die jüdischen Brüder Albert und Max Sabersky
das Gut Seehof. Mit der Übergabe der Macht an die Nationalsozialisten im Jahr
1933 war Schluss für die Saberskys. Angesichts von Verordnungen, die eine
landwirtschaftliche Nutzung des Bodens durch Juden unmöglich machten, blieb
ihnen nichts anderes übrig, als das Land im Oktober 1933 zu parzellieren und
unter Aufsicht als Bauland zu verkaufen. Der Verkauf und die spätere Sperrung
der Konten der Saberskys geschahen im Rahmen der »Arisierungen«.
Nach dem Krieg sah
sich auch die DDR nicht verpflichtet, den Opfern dieser »Arisierungen« ihr
Eigentum zurückzugeben. 16 Millionen Antifaschisten hatten sich eben für nichts
zu entschuldigen und erst recht niemanden zu entschädigen.
Als der
Realsozialismus zusammenbrach, verlangten im Jahr 1991 die Erben der Saberskys
die Rückübertragung der enteigneten Grundstücke. Seitdem dauert der Rechtsstreit
an. Die Rückgabe wurde mehrmals abgelehnt, bis der Fall schließlich vor das
Bundesverwaltungsgericht kam. Es nahm die gesetzliche Vorgabe, dass bei
»Veräußerungen eines Vermögensgegenstandes in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis
zum 8. Mai 1945« von einem »verfolgungsbedingten Vermögensverlust« auszugehen
sei, beim Wort und ordnete die Rückübertragung eines Grundstücks an.
Nach dem gleichen
Muster wird nun wohl in den verbliebenen rund 700 Fällen in Teltow-Seehof
entschieden. Einen von den Erben angebotenen Vergleich, den Anspruch auf die
Grundstücke für einen Bruchteil des Wertes abzutreten, nahmen etwa 200 Teltower
an, der Rest fühlt sich im Recht und hofft auf die deutsche Justiz.
Seit dem
Rechtsstreit mit den Erben der Saberskys stilisieren sich einige Bürger zu
Opfern eines unfassbaren Schicksalsschlages. Fast erinnert der Vorgang an die
Ereignisse in dem Städtchen Gollwitz im Jahre 1997. In dem brandenburgischen Ort
wehrte sich damals die Dorfgemeinschaft gegen den Zuzug jüdischer Zuwanderer aus
der ehemaligen Sowjetunion und fühlte sich von den Medien ungerecht behandelt.
Die Märkische
Allgemeine Zeitung dokumentiert seit einiger Zeit das Unbehagen der
Parzellenkämpfer ostdeutscher Prägung in Teltow-Seehof. So würden viele
Dorfbewohner beklagen, dass die »Keule Antisemitismus« ausgepackt werde.
Teltow-Seehof jedenfalls könne »nicht mehr ruhig schlafen«, sagte ein
Dorfbewohner der Zeitung, überhaupt ergäben sich da gewisse Parallelen zu
anderen, aktuellen Untaten der Juden. »Was die in Israel mit den Palästinensern
machen, machen sie hier mit uns«, zitierte die Berliner Morgenpost einen
Dorfbewohner.
T. H., die
gleichzeitig Vorsitzende der Bürgerinitiative der vertreibungsbedrohten
Hausbesitzer und PDS-Mitglied ist, präsentierte schon vor Jahren bereitwillig,
was sie »als Kommunistin« zu dem Sachverhalt zu sagen hat: »Die Saberskys waren
Schmarotzer, weil sie Grund und Boden zu Spottpreisen aufkauften und später
teuer weiterverkauften.« (konkret, 8/98)
T. S. (SPD), der
Bürgermeister des Ortes, sah in der Demonstration vom Wochenende »eine einzige
Provokation« und sann darüber nach, ob es nicht möglich sei, rechtlich gegen die
Organisatoren der Demonstration vorzugehen, weil Teile der Bevölkerung Seehofs
von den Antifas als antisemitisch bezeichnet worden seien. Die PDS
Potsdam-Mittelmark warf den Antifas in der oben erwähnten Erklärung vor: »In
völliger Verkennung der historischen und gesetzgeberischen Tatsachen macht sich
die Antifa-Bewegung jetzt zum Handlanger einer bundesdeutschen Politik, die
dieses neue Unrecht verursacht hat.« Mit Unrecht ist hier allerdings nicht die
»Arisierung« jüdischen Eigentums gemeint, sondern das nach der Wiedervereinigung
geltende Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung«.
Die Mehrheit in
Teltow-Seehof, unabhängig von parteipolitischen Einstellungen, steht dem Versuch
entgegen, wenigstens einen Teil des Unrechts »wiedergutzumachen«. Die
Stadtverordnetenversammlung rief die Seehofer in der vorigen Woche auf, »sich
von selbst ernannten Demonstranten gegen Antisemitismus nicht provozieren zu
lassen«. Die Stadtverordneten würden weiterhin versuchen, verträgliche Lösungen
für alle Beteiligten zu finden. Das Vorgehen der Antifas sei »frei von jeder
Sachkenntnis und ersichtlich auf Diskriminierung und Krawall ausgelegt«, sagte
der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Rolf-Dieter Bornschein.
Zum Krawall kam es am Samstag jedoch nicht, wohl auch dank der Polizei, die die
Demonstranten und die aufgebrachten Bürger vorsorglich voneinander entfernt
hielt. Christina DeClerq von der Antifa Nordost, die die Demonstration
organisiert hatte, sagte, die Reaktion der Bevölkerung habe gezeigt, wie »wie
wichtig und richtig« es gewesen sei, in Teltow-Seehof zu demonstrieren. Nach der
Demonstration kehrte schnell wieder Ruhe ein in dem Ort, der irgendwie so ist
wie viele andere in diesem Land.