Die Nazis benutzten
Schalke zum Transport ihres Bildes vom deutschen Arbeiter, das durch den harten
Einsatz in der Produktion und unbedingtes Pflichtbewusstsein gegenüber der
»Volksgemeinschaft« charakterisiert war, sowie zur Propagierung ihrer
Ertüchtigungsideologie und deren Erfolgsträchtigkeit.
In einem Fußballbuch
aus den dreißiger Jahren heißt es: »Schalkes Leistung ist Leistung aus
Verbundenheit mit dem Volke. Gerade die Mannen um Szepan und Kuzorra haben
gefühlt und erkannt, welche Kräfte in der Begeisterung einer ganzen Gemeinschaft
stecken. (…) In all diesem Sinne hat die Schalker Mannschaft eine besondere
innige Beziehung zu den Voraussetzungen des Nationalsozialismus. Hier wird
einfach Fußballsport getrieben im Sinne der Bewegung. (…) Schalke wurde
Deutschland. Irgendwie Deutschland.« Außerdem wurden Übereinstimmungen zwischen
der NS-Ideologie und dem Schalker Spielstil konstatiert. Und hier und dort wurde
das Team auch ganz direkt von den braunen Herrschern protegiert.
Die Tatsache, dass
Schalke von der Nazipropaganda instrumentalisiert wurde, heißt allerdings nicht,
dass es sich bei den Spielern und Funktionären samt und sonders um bekennende
Nazis handelte. Genauso wenig lässt sich behaupten, dass der Verein wegen seiner
Herkunft aus dem Arbeitermilieu widerständig gewesen sei, auch wenn im
unmittelbaren Einzugsbereich der Schalker zu Weimarer Zeiten die »Linksparteien«
das Sagen hatten.
Die strategische
Bedeutung, die die Nazis Kohle und Stahl beimaßen, führte zu einer Verminderung
der Arbeitslosenzahlen im Revier und förderte die Integration der Arbeiterschaft
ins politische System. Letztlich dürfte es sich mit den Aktiven und Anhängern
der »Arbeitervereine« so verhalten haben wie mit Teilen der Arbeiterschaft.
Viele Arbeiter gingen nicht in den Widerstand, noch wurden sie zu beigeisterten
Anhängern der braunen Herrscher. Man verharrte in skeptischer Distanz und zog
sich in ein betont unpolitisches Leben zurück. Zu diesem Rückzug ins
Unpolitische zählte auch der FC Schalke 04.
Dass die Nazis
Schalke liebten, war wohl dem Umstand geschuldet, dass die »Knappen« erfolgreich
waren. Und als »plebejischer« Verein waren sie der antiintellektuellen Bewegung
sicherlich sympathischer als die eine oder andere bürgerliche Adresse.
Dies kommt auch in
einem angeblichen Zitat Ernst Kuzorras zum Ausdruck, das unter dem Verdacht
steht, es sei der Legende in den Mund gelegt worden: »Der studierende Mensch ist
noch zu sehr der fragende, um die antwortfrohe Entschlossenheit aufzubringen,
auf die es im Sport, wie nebenbei auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel in der
Politik – welchen Beweis liefert hier schon allein Adolf Hitler! – vielleicht
zuallererst ankommt. Ich habe die Feststellung gemacht, dass bei den so
genannten Intelligenzvereinen, den gutbürgerlichen Sportvereinen mit dem Stich
ins Vornehme, zwar die Schüler- und Jugendmannschaften ihren Gegnern überlegen
sind. Aber wenn es heißt, den Sprung in die erste Mannschaft zu tun und die
entscheidende Probe zu bestehen, dann versagt allzu oft gerade dieser
Nachwuchs.«
Als Italien im Jahr
1934 Weltmeister wurde, erkannten manche Beobachter im Ilmetodo-System die
faschistische Denkweise von Fußballern als (unbewaffnete) Krieger der Nation.
Wegen seiner robusten Spielweise und einiger wohl vom »Duce« beeinflussten
Schiedsrichterentscheidungen ging das Team von Vittorio Pozzo als »hässlicher
Weltmeister« in die Geschichte ein. Aus der Spielweise der Schalker lassen sich
weit weniger Affinitäten mit der Ideologie der braunen Herrscher herauslesen.
In der zweiten
Hälfte der zwanziger Jahre hatten sie den so genannten »Schalker Kreisel«
etabliert, ein System aus Kurzpasskombinationen, in das möglichst viele Spieler
einbezogen wurden und bei dem der Ball wie ein Kreisel über das gesamte
Spielfeld tanzte. Der »Kreisel« war eine beeindruckende Demonstration
technischer Überlegenheit, erwies sich aber zugleich häufiger als ineffizient.
Gegner mit harten und kompromisslosen Verteidigern und geradlinig agierenden
schnellen Stürmern konnten die Schalker schon mal »in Schönheit sterben lassen«.
1933 wurde Hans
Schmidt Trainer, und unter ihm wurde die Spielweise sowohl defensiver als auch
rationalisiert, was sich aber schwerlich als Ausdruck der neuen politischen
Verhältnisse interpretieren ließ. Vielmehr handelte es sich um eine
Modifizierung, wie sie noch heute für die Entwicklung einer aufstrebenden
Mannschaft typisch ist. Ansonsten frönten die Schalker halt jenen Tugenden, wie
sie auch von vielen andere Vereinen aus dem schwerindustriellen Milieu vor 1933
und nach 1945 praktiziert wurden.
Die direkte
Unterstützung durch die Nazis fiel nicht sonderlich groß aus. Bekannt ist u.a.
der Fall des Torhüters Heinz Flotho, der im vierten Kriegsjahr von der Front zu
den »Knappen« beordert wurde und dann beim »großdeutschen« Finale gegen Vienna
Wien zwischen den Pfosten stand.
Schalke 04
profitierte weniger von propagandistischer Rückendeckung und direkter
Einflussnahme als vielmehr von den ökonomischen Strukturen des deutschen
Fußballs dieser Jahre. Der Aufstieg der so genannten Arbeitervereine begann nach
dem Ersten Weltkrieg, als der Fußball eine soziale Ausbreitung erfuhr und sich
zum Zuschauersport entwickelte. Ein sozialer Machtwechsel ließ allerdings noch
einige Jahre auf sich warten. 1929 wurde Schalke erstmals Westdeutscher Meister,
1934 folgte der erste nationale Titel.
Der letzte Deutsche
Meister vor der »Machtergreifung« war 1932 der FC Bayern München, ein
bürgerlicher Klub mit jüdischem Präsidenten und jüdischem Trainer. Der Verein
gehörte schon damals zu den treibenden Kräften im deutschen Fußball, betrieb
eine exzellente Nachwuchsarbeit, holte zahlreiche namhafte ausländische Teams
nach München und zahlte seinen Akteuren wohl auch schon Geld. Offiziell gab es
in Deutschland allerdings nur Amateure. Anfang 1925 hatte der DFB sogar einen
Boykott der Profiteams aus Wien und Budapest beschlossen, die beim FC Bayern
häufiger zu Gast waren. Noch 1930 erschien im Jahrbuch des Verbands ein Beitrag
mit dem Titel »Kampf dem Berufssport«.
1932 riefen
Journalisten eine Initiative zur Bildung einer professionellen »Reichsliga« ins
Leben, dem sich auch der FC Bayern anschloss, und auch beim 1930 wegen
Handgeldazahlungen für ein Jahr gesperrten Schalke 04 unterstützte man dieses
Vorhaben. Doch mit dem 30. Januar 1933 »war das Thema Profifußball für zwölf
Jahre vom Tisch, vermutlich zur Erleichterung einer ganzen Reihe von
Fußballoberen«, wie der Historiker Arthur Heinrich schreibt. Denn auch die Nazis
waren entschiedene Gegner des Professionalismus, den sie als »jüdische Kreation«
betrachteten.
Die
Reamateurisierung des deutschen Spitzenfußballs machte dem FC Bayern schwer zu
schaffen. So hieß es in der Fußball-Woche: »Nicht überall ist die Umstellung vom
Spesen-Amateur auf den ›bargeldlosen‹ Amateur von heute auf morgen ohne Verlust
möglich gewesen. Besonders schwer scheint es in dieser Hinsicht Bayern München
gehabt zu haben.« Bayerns Torjäger Oskar Rohr verließ Deutschland, um sich in
der Schweiz und in Frankreich seinen Traum vom Profifußballer zu erfüllen.
Zu den Profiteuren
dieser Entwicklung zählte Schalke 04, zumal der Verein mit der lokalen
Schwerindustrie im Bunde war. Bereits beim Bau der »Glückauf-Kampfbahn«
(1927/28) hatte die Zeche »Consolidation« Pate gestanden. Der offiziellen
Amateurideologie zum Trotz herrschten »auf Schalke« professionelle Verhältnisse.
Ein weiteres
Beispiel aus der »Gauliga Westfalen«, der die Schalker angehörten und in der sie
von 1934 bis 1944 ununterbrochen Meister wurden, ist der VfL Altenbögge aus
einer kleinen Bergbaugemeinde am östlichen Rand des Ruhrgebiets. Altenbögge
zählte nicht einmal 4 000 Einwohner, doch dank der Unterstützung durch die
lokale Schachtanlage herrschten beim »Arbeiterverein« Verhältnisse, von denen
viele bürgerliche Clubs aus größeren Städten nur träumen konnten. Die Spieler
waren in der Regel auf der Zeche Königsborn III/IV beschäftigt und wurden von
sympathisierenden Betriebsführern nur mit »leichter Arbeit« beauftragt und für
das Training freigestellt. Die Zeche half auch beim Bau der Sportanlage »Am
Rehbusch«, stellte der Mannschaft ihr Gesundheitshaus zur Verfügung und bezahlte
einen hauptberuflichen Trainer, der als »Betriebssportlehrer« geführt wurde.
Während zweier Spielzeiten – 1942/43 und 1943/44 – wurden die »Roten Husaren«
hinter den Schalkern Vizemeister.
Der Standortvorteil
von Schalke und Co. überdauerte die NS-Jahre zunächst. Nur dass die Schalker nun
im eigenen Lager Konkurrenz bekamen, insbesondere in Gestalt von Rot-Weiß Essen
und Borussia Dortmund. Rot-Weiß Essen gewann den Titel 1955 und war der erste
Nachkriegsmeister aus dem Revier. Essen galt damals als größte »Kohlenstadt« in
Europa. Die u.a. von der lokalen Stahlindustrie unterstützten Borussen wurden
1956 und 1957 Deutscher Meister. Ein Jahr später gewann Schalke seinen bis heute
letzten Meistertitel.
Das Ende dieser Ära kam mit den Krisen in der Kohle- und Stahlindustrie sowie
der Einführung der Bundesliga und des Profifußballs (1963). Die große Zeit des
Revierfußballs war die des »informellen Professionalismus«. Von 1934 bis 1963
gingen immerhin elf der 27 Meistertitel ins Ruhrgebiet.
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