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KZ Neuengamme:
Dorf ohne Vergangenheit

Im niedersächsischen Sandbostel setzt sich eine Initiative für eine Gedenkstätte im ehemaligen Auffanglager des KZ Neuengamme ein. Dagegen regt sich Widerstand...

Thomas Käpernick

Der Landstrich bei Bremervörde in Niedersachsen ist eine der Gegenden Deutschlands, die man nicht mal im Urlaub richtig kennen lernt. Mit der Ausschilderung der Sehenswürdigkeiten gibt man sich hier nicht allzu viel Mühe. In Sandbostel wird auf eine »Kriegsgräberstätte« hingewiesen, das klingt nach gefallenen deutschen Landsern. Die Straße führt zum »Gewerbegebiet Immenhain«. Die wenigen Unternehmer residieren zumeist in stark verfallenen Baracken. Offene Wände und eingestürzte Dächer lassen darauf schließen, dass in Kürze von diesen Bauten nichts mehr zu retten sein könnte.

Der Gymnasiallehrer Klaus Volland kann mehr zur Geschichte des Gewerbegebietes erzählen. Er gehört dem Verein Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel an, der es sich zum Ziel gesetzt hat, eine Gedenkstätte auf dem Gelände einzurichten. Denn dort befand sich von 1939 bis 1945 ein Kriegsgefangenenlager mit durchschnittlich 30 000 bis 50 000 Insassen, zudem war das Lager im April 1945 ein Auffanglager für Evakuierungsmärsche aus dem Außenlager und dem Stammlager des KZ Neuengamme bei Hamburg. Rund eine Million Kriegsgefangene und etwa 10 000 KZ-Häftlinge gingen durch das Lager. Es wurde nach 1945 als Gefängnis genutzt und 1974 an Gewerbebetriebe verkauft.

25 Baracken des ehemaligen »Stalag XB« stehen offiziell unter Denkmalschutz. Die meisten dienen der Großhandelsfirma Edelmann zur Aufbewahrung von Militärausrüstung. Sie lagert dort Gasmasken und hunderttausende Uniformen, die aus aller Welt zusammengekauft wurden.

Die ehemalige Lagerküche, in der im April 1945 bei einer Hungerrevolte etwa 300 Gefangene getötet wurden, nutzte bis vor kurzem ein Reiterhof. Einen anderen Teil des Geländes belegt die Straßenmeisterei des Landkreises. Ein Zaun mit Verbotsschildern schützt die Baracken vor BesucherInnen, derweil Schafe auf den überwachsenen Freiflächen weiden.

Am Jahrestag der Befreiung des »Stalag XB«, am 29. April, ist der bekannteste Bewohner des Geländes nicht anzutreffen. Albrecht Siemens darf als Wachmann der Firma Edelmann mietfrei auf dem Gelände wohnen. Wie die Hamburger Morgenpost berichtet, bedrohten er und auch andere Gewerbetreibende schon mal BesucherInnen des Geländes. So sei eine 89jährige Niederländerin, deren Mann im Lager ums Leben kam, mit einer Dachlatte begrüßt worden. Kamerateams empfange Siemens auch mal mit Flüchen.

Der Jungle World sagte er: »Die Gefangenen hier sind ganz normal behandelt worden. Das haben mir viele Besucher bestätigt. Und außerdem muss ja mal Schluss sein, und die Baracken lassen wir jetzt einstürzen, damit das weg kommt.« Die Hamburger Morgenpost behauptet, dass er beim Einsturz gerne auch nachhelfe.

Der parteilose Sandbosteler Bürgermeister Heinz Hanschen lehnt die Pläne zur Einrichtung einer Gedenkstätte auf dem historischen Gelände ab. Die Hamburger Morgenpost berichtet, er habe sogar die Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung des Lagers verbieten wollen. Verbissen steht Hanschen dann am Rande der Gedenkkundgebung am 29. April und zeigt sich aufgebracht über die Schlagzeilen in der überregionalen Presse. Schuld daran seien die »Aggressivität der Presse« und »Auswärtige«, gar »ausländische Besucher«, sagt er der Jungle World.

Die Angriffe der Gewerbetreibenden kommentiert er mit den Worten: »Hier sind viele Dinge passiert, Besucher haben Zäune zerschnitten und Fenster zerstört.« Als Ort des Gedenkens hält er den entfernt gelegenen Friedhof für geeigneter, da der »Publikumsverkehr einer Gedenkstätte Auswirkungen auf die Gewerbebetriebe« habe. Mit den Verantwortlichen des Landkreises ist er sich darüber einig, dass die Gedenkstätte, für die die Gemeinde kein Geld bereit hält, »schlicht« zu sein habe und keinerlei Kosten nach sich ziehen dürfe. Besonders wütend wird Hanschen, wenn angeblich falsche Zahlen ins Spiel kommen. Ein paar Tausend Tote im Lager will er noch gelten lassen, doch die Rede von Zehntausenden von Toten verbittet er sich.

Die Vertuschung der Geschichte wurde in Sandbostel mit allen Mitteln betrieben. Ein Denkmal, auf dem der Sowjetstern prangte und das die Zahl der Toten in Sandbostel gemäß den ersten russischen Nachforschungen mit 46 000 angab, wurde 1956 gesprengt. Tatsächlich ist die Zahl der Toten ungesichert, doch Untersuchungen von Mitarbeitern der Gedenkstätteninitiative lassen auf mehrere zehntausend getötete Gefangene schließen.

Dorfbewohner legen offenbar auch selbst gerne Hand an, wenn es um die Geschichte des Ortes geht. Ein Straßenschild mit dem Hinweis »Kriegsgräberstätte und KZ-Friedhof« wurde demontiert, die verbliebene Bezeichnung »Kriegsgräber« vermittelt den Eindruck von im Kampf Gefallenen, wo doch in Wirklichkeit die Gefangenen von Wachtürmen aus erschossen wurden, verhungerten, an Seuchen starben oder bei Evakuierungsmärschen zusammenbrachen. Besonders unangenehm ist es den Dorfbewohnern, wenn der Begriff KZ im Zusammenhang mit ihrem Ort auftaucht. Selbst die örtliche evangelische Kirchengemeinde wollte einen im Jahr 2003 errichteten Gedenkstein neben der Lagerkirche nur für ein Jahr gestatten, stehe doch fälschlich »KZ« darauf.

Bei der Gedenkfeier spricht ein Offizier der Bundeswehr in Uniform, Gäste aus Frankreich sind da und ein Überlebender der Shoa, Ivar Buterfas. Er trägt das Bundesverdienstkreuz auf der Brust. Der Redner des französischen Verteidigungsministeriums spricht sich dafür aus, den Ort zu erhalten, an dem auch Leo Mallet, der Surealist und Schriftsteller, und Louis Althusser, der spätere marxistische Philosoph, gefangen gewesen seien, und auf »die Erinnerung der Steine« zu vertrauen. Ein ehemaliger Gefangener, Bernard le Godais, erzählt von dem furchtbaren Eindruck, den die Ankunft des Evakuierungsmarsches aus dem KZ Neuengamme auf ihn machte. Und er schlägt vor, ein europäisches ökumenisches Zentrum in Sandbostel einzurichten.

Ivar Buterfas, der als Unternehmer in Hamburg lebt, fördert die Gedenkstätteninitiative. Er hat erreicht, dass der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) seine Unterstützung für die Gedenkstätte bekundet, obwohl er vorher so desinteressiert war wie seine Vorgänger in der Landesregierung. Seine Initiative lässt die Bremervörder Zeitung klagen: »In einem Machtkampf mit Ivar Buterfas, wie es einige Kreispolitiker fordern, ziehen sie garantiert den Kürzeren.«

weiter Artikel zu KZ Neuengamme u.a. :

In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird die JVA abgerissen

Jungle World
Jungle World Nummer 22 vom 19.05.2004

kt / hagalil.com / 2004-05-19

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