Der Landstrich bei Bremervörde in
Niedersachsen ist eine der Gegenden Deutschlands, die man nicht mal im Urlaub
richtig kennen lernt. Mit der Ausschilderung der Sehenswürdigkeiten gibt man
sich hier nicht allzu viel Mühe. In Sandbostel wird auf eine
»Kriegsgräberstätte« hingewiesen, das klingt nach gefallenen deutschen Landsern.
Die Straße führt zum »Gewerbegebiet Immenhain«. Die wenigen Unternehmer
residieren zumeist in stark verfallenen Baracken. Offene Wände und eingestürzte
Dächer lassen darauf schließen, dass in Kürze von diesen Bauten nichts mehr zu
retten sein könnte.
Der Gymnasiallehrer Klaus
Volland kann mehr zur Geschichte des Gewerbegebietes erzählen. Er gehört dem
Verein Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel an, der es sich zum Ziel
gesetzt hat, eine Gedenkstätte auf dem Gelände einzurichten. Denn dort befand
sich von 1939 bis 1945 ein Kriegsgefangenenlager mit durchschnittlich 30 000 bis
50 000 Insassen, zudem war das Lager im April 1945 ein Auffanglager für
Evakuierungsmärsche aus dem Außenlager und dem Stammlager des KZ Neuengamme bei
Hamburg. Rund eine Million Kriegsgefangene und etwa 10 000 KZ-Häftlinge gingen
durch das Lager. Es wurde nach 1945 als Gefängnis genutzt und 1974 an
Gewerbebetriebe verkauft.
25 Baracken des ehemaligen
»Stalag XB« stehen offiziell unter Denkmalschutz. Die meisten dienen der
Großhandelsfirma Edelmann zur Aufbewahrung von Militärausrüstung. Sie lagert
dort Gasmasken und hunderttausende Uniformen, die aus aller Welt zusammengekauft
wurden.
Die ehemalige Lagerküche, in
der im April 1945 bei einer Hungerrevolte etwa 300 Gefangene getötet wurden,
nutzte bis vor kurzem ein Reiterhof. Einen anderen Teil des Geländes belegt die
Straßenmeisterei des Landkreises. Ein Zaun mit Verbotsschildern schützt die
Baracken vor BesucherInnen, derweil Schafe auf den überwachsenen Freiflächen
weiden.
Am Jahrestag der Befreiung des
»Stalag XB«, am 29. April, ist der bekannteste Bewohner des Geländes nicht
anzutreffen. Albrecht Siemens darf als Wachmann der Firma Edelmann mietfrei auf
dem Gelände wohnen. Wie die Hamburger Morgenpost berichtet, bedrohten er und
auch andere Gewerbetreibende schon mal BesucherInnen des Geländes. So sei eine
89jährige Niederländerin, deren Mann im Lager ums Leben kam, mit einer Dachlatte
begrüßt worden. Kamerateams empfange Siemens auch mal mit Flüchen.
Der Jungle World sagte er: »Die
Gefangenen hier sind ganz normal behandelt worden. Das haben mir viele Besucher
bestätigt. Und außerdem muss ja mal Schluss sein, und die Baracken lassen wir
jetzt einstürzen, damit das weg kommt.« Die Hamburger Morgenpost behauptet, dass
er beim Einsturz gerne auch nachhelfe.
Der parteilose Sandbosteler
Bürgermeister Heinz Hanschen lehnt die Pläne zur Einrichtung einer Gedenkstätte
auf dem historischen Gelände ab. Die Hamburger Morgenpost berichtet, er habe
sogar die Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung des Lagers verbieten wollen.
Verbissen steht Hanschen dann am Rande der Gedenkkundgebung am 29. April und
zeigt sich aufgebracht über die Schlagzeilen in der überregionalen Presse.
Schuld daran seien die »Aggressivität der Presse« und »Auswärtige«, gar
»ausländische Besucher«, sagt er der Jungle World.
Die Angriffe der
Gewerbetreibenden kommentiert er mit den Worten: »Hier sind viele Dinge
passiert, Besucher haben Zäune zerschnitten und Fenster zerstört.« Als Ort des
Gedenkens hält er den entfernt gelegenen Friedhof für geeigneter, da der
»Publikumsverkehr einer Gedenkstätte Auswirkungen auf die Gewerbebetriebe« habe.
Mit den Verantwortlichen des Landkreises ist er sich darüber einig, dass die
Gedenkstätte, für die die Gemeinde kein Geld bereit hält, »schlicht« zu sein
habe und keinerlei Kosten nach sich ziehen dürfe. Besonders wütend wird
Hanschen, wenn angeblich falsche Zahlen ins Spiel kommen. Ein paar Tausend Tote
im Lager will er noch gelten lassen, doch die Rede von Zehntausenden von Toten
verbittet er sich.
Die Vertuschung der Geschichte
wurde in Sandbostel mit allen Mitteln betrieben. Ein Denkmal, auf dem der
Sowjetstern prangte und das die Zahl der Toten in Sandbostel gemäß den ersten
russischen Nachforschungen mit 46 000 angab, wurde 1956 gesprengt. Tatsächlich
ist die Zahl der Toten ungesichert, doch Untersuchungen von Mitarbeitern der
Gedenkstätteninitiative lassen auf mehrere zehntausend getötete Gefangene
schließen.
Dorfbewohner legen offenbar
auch selbst gerne Hand an, wenn es um die Geschichte des Ortes geht. Ein
Straßenschild mit dem Hinweis »Kriegsgräberstätte und KZ-Friedhof« wurde
demontiert, die verbliebene Bezeichnung »Kriegsgräber« vermittelt den Eindruck
von im Kampf Gefallenen, wo doch in Wirklichkeit die Gefangenen von Wachtürmen
aus erschossen wurden, verhungerten, an Seuchen starben oder bei
Evakuierungsmärschen zusammenbrachen. Besonders unangenehm ist es den
Dorfbewohnern, wenn der Begriff KZ im Zusammenhang mit ihrem Ort auftaucht.
Selbst die örtliche evangelische Kirchengemeinde wollte einen im Jahr 2003
errichteten Gedenkstein neben der Lagerkirche nur für ein Jahr gestatten, stehe
doch fälschlich »KZ« darauf.
Bei der Gedenkfeier spricht ein
Offizier der Bundeswehr in Uniform, Gäste aus Frankreich sind da und ein
Überlebender der Shoa, Ivar Buterfas. Er trägt das Bundesverdienstkreuz auf der
Brust. Der Redner des französischen Verteidigungsministeriums spricht sich dafür
aus, den Ort zu erhalten, an dem auch Leo Mallet, der Surealist und
Schriftsteller, und Louis Althusser, der spätere marxistische Philosoph,
gefangen gewesen seien, und auf »die Erinnerung der Steine« zu vertrauen. Ein
ehemaliger Gefangener, Bernard le Godais, erzählt von dem furchtbaren Eindruck,
den die Ankunft des Evakuierungsmarsches aus dem KZ Neuengamme auf ihn machte.
Und er schlägt vor, ein europäisches ökumenisches Zentrum in Sandbostel
einzurichten.
Ivar Buterfas, der als Unternehmer in Hamburg lebt, fördert die
Gedenkstätteninitiative. Er hat erreicht, dass der ehemalige niedersächsische
Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) seine Unterstützung für die Gedenkstätte
bekundet, obwohl er vorher so desinteressiert war wie seine Vorgänger in der
Landesregierung. Seine Initiative lässt die Bremervörder Zeitung klagen: »In
einem Machtkampf mit Ivar Buterfas, wie es einige Kreispolitiker fordern, ziehen
sie garantiert den Kürzeren.«
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In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird die JVA abgerissen