Brauchtum wird in Mittenwald groß geschrieben.
Sein Erhalt und die »Pflege von Traditionen sind Zeugen von einer noch heilen
Umwelt«, heißt es auf der Homepage des bayrischen Luftkurortes. Am Fuße des
Karwendels finden allerdings nicht nur Schützen- und Trachtenfeste statt. Seit
1952 treffen sich jedes Jahr an Pfingsten Wehrmachtsveteranen und Gebirgsjäger
der Bundeswehr zur größten Soldatenfeier Deutschlands.
In der Verbandszeitschrift des
Traditionsverbands Kameradenkreis der Gebirgstruppe heißt es: »Möge der
Kameradschaftsabend am Samstag und das Treffen am Sonntag dazu dienen, ein
Wiedersehen unter alten Kameraden und ein Kennenlernen neuer zu ermöglichen.«
Der Verein lädt zur Gedenkfeier für die Toten der Gebirgstruppe zum Hohen
Brendten. Dort schrieben Unbekannte am 8. Mai auf das Ehrenmal die Namen von
Orten, in denen die Gebirgsjäger Massaker verübt hatten: »Mörder unterm
Edelweiss. Wir trauern um die Opfer der Gebirgstruppe: Kommeno, Lingiades,
Kephalonia, Korfu, Vercors, Camerino.« An Pfingsten soll während eines
Feldgottesdienstes ein neues Lärchenkreuz vor dem angepinselten Denkmal geweiht
werden. Und in der Mittenwalder Karwendelkaserne wird es am Samstag einen Tag
der Offenen Tür geben mit Handwaffenschau, Maultieren, Panzerfahrten und Übungen
an der Gebirgshaubitze.
Die Gebirgsjäger sind in Mittenwald wie auch an
den Standorten Schneeberg im Erzgebirge, Füssen, Bad Reichenhall und
Berchtesgaden stationiert. Sie waren für zahlreiche Massaker im Zweiten
Weltkrieg verantwortlich. Allein in Griechenland, das fast vier Jahre von
faschistischen Truppen besetzt war, wurde nachweislich über ein Dutzend der
insgesamt 66 Massaker von den Gebirgsjägern verübt. Heute zählen die Einheiten
der Gebirgsjäger zu den Elitetruppen der Bundeswehr, die seit Mitte der
neunziger Jahre an Einsätzen der Sfor und Kfor im früheren Jugoslawien und der
Isaf in Afghanistan beteiligt sind. Ihre Verbindungen zu den
Traditionsgemeinschaften sind im Vergleich zu anderen Truppengattungen der
Bundeswehr besonders ausgeprägt.
Der Traditionsverband hat rund 8 000
Mitglieder, zu den prominentesten unter ihnen gehört Edmund Stoiber. Bei einem
der letzten Treffen sagte er nach Angaben des Fernsehmagazins »Monitor« in einem
Grußwort: »Als bayrischer Ministerpräsident, der seinen Grundwehrdienst bei den
Gebirgsjägern abgeleistet hat, bin ich natürlich stolz auf diese spezifisch
bayrische Truppe und ihre Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart.«
Unter dem Motto »Die Mörder sind unter uns!«
organisieren die Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA)
und der
Arbeitskreis »Angreifbare Traditionspflege«
wie im vergangenen Jahr eine Gegenveranstaltung mit Beiträgen zu den
NS-Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in Frankreich, Italien und Griechenland und
zum bewaffneten Widerstand gegen die Deutschen. Eingeladen sind Jacob Baruch
»Jacquot« Szmulewicz, ein jüdischer Partisan aus Frankreich, und Panagiotis
Babouskas, ein Überlebender des Massakers im griechischen Lyngiades. Außerdem
sind eine Demonstration in Mittenwald sowie eine Kundgebung gegen das
Pfingsttreffen am Hohen Brendten geplant. Damit soll auch der Kampf der
Überlebenden und Angehörigen der Opfer um Entschädigung unterstützt werden.
Während die Mörder von einst strafrechtlich nicht verfolgt wurden und von
staatlichen Renten leben, haben die meisten Opfer bis heute keine Entschädigung
erhalten. Kein deutscher Soldat, Beamter, SS-Mann oder Polizist ist jemals von
einem Gericht der Bundesrepublik für Verbrechen in Griechenland verurteilt
worden.
Ermittlungsverfahren gegen mehrere Gebirgsjäger
wurden vor über 30 Jahren wegen angeblichen Beweismangels eingestellt. Seit
einigen Jahren nun werden wieder Befragungen durchgeführt, nachdem Historiker
und Journalisten neue Zeugen und historische Belege vorlegten.
»Ich bin eifrig dabei zu ermitteln«, sagt
Staatsanwalt Ulrich Maaß, der zuständig ist für den Fall des Massakers an
mindestens 4 000 italienischen Kriegsgefangenen auf Kephanolia. Der Leiter der
nordrhein-westfälischen Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer
Gewaltverbrechen in Dortmund hat mittlerweile zwei Fälle gegen einen ehemaligen
Feldwebel und einen Offizier an die zuständige Staatsanwaltschaft München
weitergeleitet, da bei ihnen klare Erschießungsmaßnahmen vorlägen. »Im Auge habe
ich auch einen weiteren Fall, bei dem eine Anklage möglich erscheint«, sagt
Maaß. Aber es sei schwierig, die Fäden zu knüpfen. »Man trifft auf ein Kartell
des Schweigens.« Besonders häufig erklärten die Wehrmachtsveteranen bei den
Befragungen, dass sie an dem betreffenden Tag gerade in der Küche Dienst gehabt
hätten, dass sie krank oder im Urlaub gewesen seien. »Ich wäre heilfroh, wenn
die Sache in München nun endlich durchkommt«, sagt der Staatsanwalt. Doch dort
wurde noch keine Anklage erhoben. »Seit Anfang 2004 läuft ein
Ermittlungsverfahren gegen zwei Personen wegen Mordes«, sagt Oberstaatanwalt
Stephan Reich. Wann und ob es überhaupt zu einer Anklage komme, sei unklar. »Es
wird längere Zeit in Anspruch nehmen«, heißt es. Außerdem seien die
Beschuldigten sehr alt. »Ob sie noch vernehmungsfähig sind, steht in den
Sternen«, sagt Reich. Wegen anderer Massaker, etwa in Kommeno, würden weiterhin
Zeugen befragt.
Die Ermittlungen laufen schleppend, die
zuständigen Stellen sind unterbesetzt. Außerdem besteht das juristische Problem,
dass den Tätern Mord nachgewiesen werden muss, denn Totschlag ist längst
verjährt.
Vielleicht hilft den deutschen Behörden das
Simon-Wiesenthal-Zentrum auf die
Sprünge. Die jüdische Menschenrechtsorganisation will erreichen – wie in 84
Fällen bereits geschehen –, dass weiteren NS-Tätern oder deren Witwen die
Kriegsopferrente entzogen wird. Um diese Rente zu streichen, müsse die
betreffende Person selbst gestanden haben oder Zeugen müssten dem Täter Verstöße
gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit nachweisen können,
erklärt ein Mitarbeiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Eine strafrechtliche
Verurteilung sei dafür nicht nötig. In 178 Fällen werde noch ermittelt und immer
wieder tauchten neue Namen und bislang unbekanntes Material auf. Die Aberkennung
von Kriegsopferrenten wurde 1998 möglich, als ein entsprechendes Gesetz
geschaffen wurde. »Ich bin sehr froh, dass diese Möglichkeit existiert«, sagt
der Leiter des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff. Allerdings
erfahre das Zentrum nicht, wem die Rente entzogen wurde, was die weitere Arbeit
erschwere, kritisiert er. Die Versorgungsämter weigerten sich aus
Datenschutzgründen, die Namen zu nennen.
Auch die »Operation letzte Chance« des
Simon-Wiesenthal-Zentrums, die im Juni in Deutschland beginnen soll, könnte so
manchem Gebirgsjäger der Wehrmacht das Leben schwer machen. Nach Angaben Zuroffs
sind Zeitungsanzeigen und eine Telefon-Hotline geplant. Für Hinweise, die zur
Verurteilung eines Naziverbrechers führen, setzt das Zentrum eine Belohnung von
10 000 Dollar aus.
Wie viele Naziverbrecher in Deutschland noch aufgespürt werden? »Niemand weiß
es«, antwortet Zuroff. Er verweist aber auf die erfolgreichen Aktionen in
anderen Ländern. So seien allein in den baltischen Staaten Hinweise zu 241
Personen eingegangen und mindestens zwei Ermittlungsverfahren wegen Mordes
eingeleitet worden. Die Aktion »letzte Chance« lief bisher in Lettland, Litauen,
Estland, Rumänien, Polen und Österreich. »Die Ergebnisse zeigen, dass
Gerechtigkeit erreicht werden kann, wenn genügend Ressourcen und innovative
Methoden eingesetzt werden«, sagt Zuroff.
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