Leverkusener
Aufbruch
Wenn die Nacht am tiefsten ist, wissen
auch deutsche Neonazis nicht mehr weiter. In ihrem Oberstübchen rumort es
gewaltig, aber was es ist, wissen sie nicht so recht. Der Naziverein
Leverkusener Aufbruch zum Beispiel ist schon ganz verzweifelt: »Wer soll uns
führen und vor allem, wohin soll man uns führen? Gibt es eine ultimative
Weltanschauung, eine allgemeingültige Wahrheit, eine Generallinie?«
Zweifel is in the house.
Aber nicht nur die großen Grundsatzfragen,
sondern auch feinsinnigere werden gestellt: »Ist Homosexualität eine Krankheit,
eine Perversion, ein Verbrechen?« Ja, wer solch knifflige, spitzfindige Fragen
auf Anhieb fachlich korrekt zu beantworten wüsste!
Jedenfalls beginnt man, sich Fragen zu stellen.
Wer, wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm. Keine klare
Marschroute ist derzeit vorhanden, kein Identitätsbums findet sich, an dem man
sich festklammern kann, und ein ordentlicher Führer, der den jungen Leuten vom
Leverkusener Aufbruch rasch beibiegen könnte, wo’s langgeht, ist auch weit und
breit nicht in Sicht.
So müssen sie also eingestehen, dass sie in der
Tat »keine unumstößlichen, absoluten Antworten auf jene mitunter quälenden
Fragen« anbieten können. Allerorten Orientierungslosigkeit, Unsicherheit,
Verwirrung. Was ist bloß geschehen? Wie kann man helfen? Wo man markige Sprüche
und zünftiges Haudraufgebrüll erwartet hat, ist plötzlich von »Resignation« und
»mehr oder minder demonstrationsmüden Gliedern« die Rede.
Erschöpfung und Überdruss bleiben da nicht aus:
»Das Ergebnis sind enttäuschte, desillusionierte Volksgenossen. Denn es ist ja
die Natur des Menschen und noch mehr die Natur des Deutschen, in Zeiten des
Identitätsverlustes und der Orientierungslosigkeit einen festen Halt zu suchen.
Einfache Antworten auf komplexe Problemstellungen geben zu können.«
Zweifelsohne hat’s der deutsche Faschist ohne
festen Halt und ohne einfache Antworten schwer. Schließlich kannte er sich ja
zumindest bisher mit derlei Dingen bestens aus. Was nun?
Deutsche Jugendwacht
Doch wo man auch sonst hinschaut, ist die
gesamte Nazijugend anscheinend schon erfasst von einer starken Neigung zu
Innenschau und Weinerlichkeit. Auch die Deutsche Jugendwacht, die ja, wie der
Name vollmundig verspricht, eigentlich ihre schützende Hand über die deutsche
Jugend halten sollte, blieb am vergangenen Weihnachtsfest traurig und verstockt
zuhause hocken. In den »Gedanken zur Weihnacht« heißt es: »Für uns beginnt nun
die Zeit des Sehnens und Hoffens. Statt, wie sonst, hinauszujagen in die Natur,
bleiben wir doch oft daheim und gehen all den Dingen nach, für die man sonst
kaum Ruhe findet.« Und was tun sie da? Heidegger lesen? Ringelpiez mit Anfassen
ausprobieren? So was Ähnliches oder eine Mischform aus beidem, muss man wohl
vermuten: »Der eine beginnt mit den Händen zu formen, der andere hängt Gedanken
hinterher, dem Formenden die Arbeit zu erleichtern. Andere wiederum entdecken
den Philosophen, den Dichter in sich, kurz: jeder spürt sich selbst am stärksten
im Jahreslauf, weil er sich selbst viel inniger betrachtet.«
Daheim bleiben, Besinnlichkeit, Sehnsucht,
Ruhe, Einkehr, Kontemplation, mit den Händen formen. Das klingt eher nach
Daumenlutschen, Teestube und Töpferwerkstatt als nach Manneszucht und
Schlachtgebrüll. Verbirgt sich etwa auch im gemeinen Neonazischergen das
sensible, zärtlichkeitshungrige Kind? Ist manch ein Neonazi in Wirklichkeit ein
stiller, bescheidener Däumchendreher und Melancholiekloß, der auf dem heimischen
Flokatiteppich hockt und heimlich Gedichte schreibt? Neue deutsche Innerlichkeit
jetzt auch unter Rechtsextremisten? Wo soll das noch hinführen?
Gemeinschaft
deutscher Frauen (GdF)
Auch die Nazifrauen wollen da nicht abseits
stehen. Nicht etwa pflichtschuldigen Beischlafdienst und die Herstellung
reinrassigen Nachwuchses haben sie im Kopf, wie sich das gehörte. Während ihre
Männer offenbar resignieren, machen sie sich eine Gaudi, berichten von albernen
»Schattenspieldarbietungen, Fahnenschwingen und Volkstanz« und haben nichts
Besseres zu tun, als sich stolz als kostenlose Hilfstruppe dem Umweltministerium
anzudienen: »Wir erlebten gemeinsam viele schöne Stunden, so sammelten wir im
nahe gelegenen Wald in eingeteilten Gruppen Müll und übergaben die dutzenden
Tüten, wie vereinbart, dem Ordnungsamt. Das ›außergewöhnlichste‹ Stück Müll
wurde ›prämiert‹, man findet wirklich die haarsträubendsten Dinge im Wald!
Gleichzeitig sammelten wir Naturmaterialien, um später hieraus etwas Schönes zu
basteln.«
Von »bunten Abenden«, »Plaudern«,
»Quasselrunden«, lustigem Beisammensein und allerlei »Bastelstunden« wird
freimütig geplappert, obwohl in der Abteilung »Brauchtum« deutlich gemahnt wird:
»Leere Töpfe klappern, leere Köpfe plappern.« Wenn ausnahmsweise mal nicht
fanatisch gebastelt oder stramm in der Gegend herumgestanden wird, aalt man sich
träge und müßig »einen ganzen Tag bei strahlendem Sonnenschein unter freiem
Himmel« und ist stinkfaul. Auch hier also Enttäuschung auf der ganzen Linie.
Kameradschaft Tor
Wendet man sich nun aber wieder den Herren zu
in der Hoffnung, wenigstens hier walte noch Zackigkeit, liest man verbittert von
»Festen« und schon wieder von »Tänzen, die man aus Anlass dieser Feste tanzt.
Oftmals kann man Äußerungen von Kameraden hören, dass z.B. Volkstanz oder
Ähnliches nichts für revolutionäre Aktivisten ist. Diese Meinung teile ich
überhaupt nicht.« Was ist mit unseren Neonazis los? Degenerieren sie zu einem
verweichlichten Haufen von Stubenhockern und Tanzbären? Und zu allem Übel werden
auch hier in der »Mädelecke« alberne »Bastelideen« aufgelistet.
Eins sei wenigstens den Buben in der Bewegung verraten: So wird das nichts. Mit
Springen, Trällern, Hopsen und Extrembasteln ist noch nie ein Sieg im Volkskrieg
errungen worden. Man muss sich Sorgen machen. Wenn nicht bald was passiert, ist
Deutschland verloren.