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Nationalsozialismus:
Kein Licht im Kunkel

»Endstufe« von Thor Kunkel gilt als Skandalroman. Es ist erbarmungslos schlechter Nazi-Pulp...

Jörg Sundermeier

Die Feuilletons reden gern über Thor Kunkel. Er sei aufschneiderisch, wird geschrieben, er habe nicht richtig recherchiert, heißt es. Man konfrontiert ihn gern mit seinen Aussagen, doch er zieht sich, mit seinen Sätzen konfrontiert – auch dann, wenn es sich um Aussagen eines auktorialen Erzählers handelt –, gern hinter die Behauptung zurück, alles sei nur »Rollenprosa«. Es gibt vielleicht jene Nazi-Pornos, an denen Kunkel sich so abarbeitet, vielleicht gibt es sie nicht, Kunkel jedenfalls gibt vor, eine Darstellerin von damals zu kennen, sie freilich äußert sich nicht. Kunkel tut dies, Kunkel tut das. Das ist allesamt höchst lächerlich, ein Autor demontiert sich selbst, indem er sich aufs Widerlichste spreizt.

Der jungen Welt, die als eine der wenigen Zeitungen bereit ist, sein Buch zu verteidigen, berichtet Kunkel von seiner Intention: »Ich sehe das Dritte Reich als die Vorstufe einer Entwicklung zur Pornokratie, in der wir heute leben, hin zu einer Biokratie, die schon bald durch biometrische Erfassung der Bürger, der Kommerzialisierung des menschlichen Genoms und bioästhetischen Normierung des Körpers droht, die Demokratie abzulösen.« Ein Warner und Mahner also, der Thor Kunkel? Mal abgesehen davon, dass »Pornokratie« ein so intelligentes und sinnvolles Wort wie »Kartoffelismus« ist, kann man sein schönes Wort »Vorstufe« als Beleg dafür heranziehen, dass er zu eben jenen Menschen gehört, die sich weigern, sich mit der Geschichte des Dritten Reiches eingehend zu beschäftigen, zugleich aber offensichtlich fasziniert davon sind.

In »Endstufe«, diesem schon vorab so sehr als Skandal gehandelten, von seinem ursprünglichen Verlag schließlich aus dem Programm gekippten Roman, präsentiert Kunkel, der angibt, jahrelang recherchiert zu haben, seine Version vom Nazi-Leben, jener »Vorstufe«. Es gab ein paar glückliche Menschen in diesem Deutschland, denen der Krieg, sofern er nicht sie betraf, ziemlich piepegal war, die Vernichtung der Juden wurde als unangenehm empfunden, doch war auch sie kein Thema, Opium und Kokain wurden im großen Stil genommen, man war der schmucken Uniform wegen in der SS, pendelte irgendwas aus, fuhr munter mit dem Volkswagen oder dem Mercedes umher, hatte selbst als arbeitsloser Deserteur große Mengen Reichsmark auf der Tasche und die Reichsführung war auch irgendwie nur Huipfui und windig. Solche Leute, denen das Dritte Reich ein bohemehaftes Leben erlaubt (und die es zweifelsohne wirklich gab), kommen in Kunkels Roman auf die Idee, Pornos zu drehen und gegen Rohstoffe zu tauschen. Einer von ihnen, der Karl Fußmann heißt, und, haha, ein bisschen ein Fußfetischist ist, wird, obschon ein stockbiederer Wissenschaftler mit einer eher heimlich gepflegten sexuellen Obsession, unfreiwillig zum Darsteller in einem dieser Streifen, den so genannten »Sachsenwald«-Filmen. Und er verliebt sich in jene Frau, mit der er dort vor der Kamera agiert, die er, wie gesagt, nicht bemerkt, so, als sei eine Filmkamera damals so leise gelaufen wie die Digicam von heute.

Kunkel nimmt es mit der geschichtlichen Wahrheit eh nicht so genau, das Berliner Zeitungsviertel liegt unweit des Kudamms, man hat einfach so Parkuhren und sogar Porsches in seiner Nazizeit. Lotte jedenfalls heißt die Frau, in die sich jener Fußmann, nun ja, verliebt, sie ist selbstverständlich eine Edelhure, die allerdings wiederum gänzlich dem Penis Fußmanns verfällt, da jener eine Standfestigkeit aufweist, welche die ansonsten frigide Lotte zu Orgasmen bringt, endlich. Es ist also doch nur der Vaginalverkehr, da haben wir es wieder!

Dann wird noch ein bisschen in Nordafrika rumgemacht, in dem es aber auch nur Deutsche und Engländer, Italiener und ein paar finstere »Beduinen« hat und das irgendwie nichts anderes als ein, äh, Schauplatz war. Lotte, die Fußmann tot glaubt, verlustiert sich derweil mit Kokain und dem Pornokameramann in Babelsberg, neben der Villa der Rühmanns, und, hihi, der olle Heinz geht immer spannen, wenn sich Frau Lotte oben und unten ohne sonnt.

Ist Ihnen schon schlecht? Es geht noch weiter.

Die Gestapo oder Ex-Gestapo will irgendwelche Leute umbringen, hier knallt eine Handgranate in einem Zimmer, alle drei Anwesenden überleben allerdings, dort agiert ein Junge mit einem Granatsplitter im Kopf, der Junge ist offensichtlich magnetisch und übersinnlich begabt.

Das sei Trash, sagt Kunkel, der eben noch eine politische Botschaft vorschützte. Alles egal, Hauptsache es gibt Kunkel Gelegenheit für weitere, den bisherigen Wortreichtum der europäischen Schmuddelliteratur mit Füßen tretende Bumsszenen. Schließlich allerdings kommen die fiesen Russen und vergewaltigen alle Damen, die vorher so gern willig waren, und das, Kunkel nimmt es mit den Fakten weiterhin nicht so genau, auf höchsten Befehl. Da kann ein Stadtkommandant Bersarin zig Erlasse gegen vergewaltigende Rotarmisten erlassen und drakonische Strafen verhängt haben, wen kümmert’s, wenn’s der muntere Rechercheur nicht nachliest? Der ganze Krieg, eine große Sexorgie. So wird es gewesen sein.

Da erwacht selbst im übelsten Nazi und Pornoproduzenten das Gewissen, er wird allerdings sogleich erschossen, weil er mit einem Amerikaner verwechselt wird. Recht so, es trifft ja gleich doppelt den Richtigen. Fußmann und Lotte allerdings finden wieder zueinander, leben ihren »Magnetismus« aus. Das, was hier Leidenschaft ist, klingt dann so: »Seine Hände wanderten über ihren Körper; der letzte Hungerwinter hatte ihr nicht geschadet – im Gegenteil, ihre Beckenschaufel war zu spüren, und ihr Podex fühlte sich fest an, fest und kalt, wie er es mochte. ›Wenn ich in dir bin, weiß ich alles.‹ Sie ertrug den Rückstoßantrieb ohne Geschrei, kein Laut drang über ihre Lippen. Nur die kochende Vaseline schmatzte wie ein nächtliches Moor.« Es muss Liebe sein. Das tolle Paar jedenfalls geht in die USA, schließlich ist Fußmann ausgelaugt, er verelendet und verfällt. Lotte stirbt, weil ihr Körper hässlich wird und sie zu viel Schindluder mit ihm treibt.

Die Männer, die Frauen. Die Liebe. Das Buch lebt von einem Frauenbild, angesichts dessen selbst das von Otto Weininger als höchst fortschrittlich betrachtet werden muss. Es ist auch noch restlos schlecht geschrieben, eine umfangreiche Ansammlung von Stilblüten, und Kunkel sind die Formen des inneren Monologs und der erlebten Rede weitgehend fremd. Dennoch ist alles irgendwie Rollenprosa, politisch gemeint, dann wieder vor allem Trash, dann wieder gut recherchiert, dann wieder große Erzählkunst. Kunkel ist nicht zu fassen, einfach, weil er keine Reibefläche anbietet. Er ist im ekligsten Sinne glitschig. Dennoch wird er im Pressetext allen Ernstes mit Jonathan Swift oder Anthony Burgess verglichen. Kurz: Kunkel hat es nötig. All das ist eine ärgerliche, zunächst aber nicht einmal besonders erregende Geschichte im an dummen Geschichten nicht eben armen hiesigen Literaturbetrieb. Der jedoch diskutiert gerade heiß und liebevoll die Frage, ob es diese Pornos wirklich gab.

Thor Kunkel ist lächerlich, ja, sein Buch ist Mist, ja, doch der eigentliche Skandal ist: dass sich überhaupt, um des Skandalbetriebes willen, ein anderer großer Verlag, Eichborn nämlich, auf die elende Pubertätsfantasie gestürzt hat, obschon Rowohlt doch noch rechtzeitig diesen braunen Müll aussortiert hatte.

Thor Kunkel: Endstufe. Eichborn 2004, 586 S., 24,90 Euro

Jungle World
Jungle World Nummer 19 vom 28.04.2004

kt / hagalil.com / 2004-05-01

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