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Belgien:
Deutsche, autonom

Ihre Sonderrechte sind der deutschsprachigen Gemeinschaft in Ostbelgien nicht genug. Sie will sich jetzt vollständig aus der belgischen Region Wallonien lösen...

Jörg Kronauer

Karl-Heinz Lambertz, der sozialdemokratische Ministerpräsident der ostbelgischen Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) spuckt Gift und Galle. Kritik an seinen grenzüberschreitenden Projekten hört der Regierungschef des Gebietes um Eupen und St. Vith, das bis 1919 zum Deutschen Reich gehörte, nicht gern. Schon gar nicht jetzt, da ein neues Kooperationsabkommen mit einer deutschen Behörde vor der Tür steht.

Ganz harmlos hat es begonnen, vor vielen Jahren. Das erste Projekt, mit dem die deutschen Behörden ihre Fühler nach Belgien ausstreckten, waren »Exkursionen im grenzüberschreitenden Naturschutzraum Ardennen«, erzählt Udo Molsberger, Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland in Köln. Vorsicht war damals noch geboten. Niemand wollte Erinnerungen an den Rechtsvorgänger des Landschaftsverbandes wecken, den Provinzialverband, der in den zwanziger und dreißiger Jahren kulturpolitisch verbrämte deutsche Avancen gegenüber dem im Versailler Vertrag abgetretenen Gebiet finanzierte.

Vorsicht ist heute nicht mehr nötig. »Hoffnungsvoll« blicke er in die Zukunft, sagt Bernd Gentges, Kulturminister der DG, die in Belgien ähnlich einem deutschen Bundesland, vor allem in kulturellen und sozialen Belangen zahlreiche Autonomierechte innehat. Ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung gestalten diese Rechte, während Eupen auf anderen Politikfeldern der Region Wallonien untergeordnet ist. Die Hoffnung des Kulturministers richtet sich auf ein formelles Kooperationsabkommen der Eupener Regierung mit dem Landschaftsverband Rheinland, der ansonsten für deutsche Städte und Kommunen tätig ist. Mit dem Abkommen soll demnächst, so heißt es, »die jahrzehntelange gute Zusammenarbeit in formale Strukturen gefasst« werden. Das wird, so wünscht es sich Gentges, die jetzt schon hervorragenden Kontakte festigen.

Ein gewöhnliches Kooperationsabkommen zwischen zwei Gebietskörperschaften ist langweilig, sollte man meinen. Doch der unscheinbaren Vereinbarung wohnt eine Brisanz inne, die Ministerpräsident Lambertz so gereizt auf Kritik reagieren lässt. Das Abkommen fixiert den Einfluss einer deutschen Verwaltungsbehörde auf belgisches Territorium – noch dazu auf ein Gebiet, das deutsche Revanchisten seit 1919 schon immer zurückgewinnen wollten.

Sorge ist fehl am Platz, hört man in Ostbelgien allerorten. Historische Empfindlichkeiten, die in der Annexion »Eupen-Malmedys« durch Nazideutschland im Mai 1940 wurzeln, seien überholt. Heute wolle niemand mehr »heim ins Reich«, und im zusammenwachsenden Europa verlören Nationalstaaten und Grenzen ohnehin ihre Bedeutung. Der Völkerverständigung gehöre die Zukunft, heißt es, nachbarschaftliche Zusammenarbeit sei angesagt. Nationale Ansprüche? Vorbei.

Nicht recht zu dem Friedensszenario will freilich die aggressive Autonomie-Offensive passen, die die Eupener Regierung seit Jahren führt. Diverse Sonderrechte hat die DG inzwischen inne. Doch Eupen will mehr, will sich vollständig aus der belgischen Region Wallonien lösen, zu der es im belgischen Bundesstaat gehört.

»Es gibt keine Alternative«, hat Lambertz im August 2002 verbissen gefordert: »Wir sind die vierte Komponente im Föderalstaat«, eine gleichberechtigte eigene Region neben Wallonien. Dort aber stößt das Eupener Ansinnen auf Ablehnung. »Bleibt in Wallonien und lasst uns in Partnerschaft arbeiten«, bat der wallonische Ministerpräsident Jean-Claude van Cauwenberghe schon im vorletzten Herbst. »71 000 Menschen – ist das eine lebensfähige Einheit?«

Nicht ohne weiteres, das gibt auch Lambertz zu. Der »kleinste Gliedstaat in der EU«, wie der Sozialdemokrat die DG vorauseilend tituliert, ist auf die Nachbarn angewiesen. »Wir haben nicht die Ressourcen, für jedes Problem eine Behörde zu schaffen«, witzelte Lambertz in Köln im vergangenen März. »Wir nutzen fremde Behörden.« Immer weniger allerdings diejenigen des belgischen Wallonien, in zunehmendem Maße die deutschen Verwaltungsapparate Nordrhein-Westfalens (NRW).

Das Abkommen, das Eupen demnächst mit dem Landschaftsverband Rheinland schließen wird, ist schon das zweite entsprechende Dokument. Das erste unterzeichneten die Eupener Regierung und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück mit der »Gemeinsamen Erklärung über die nachbarschaftliche Zusammenarbeit« Anfang März. Auf eine »möglichst enge Vernetzung zwischen beiden Regionen« zielt die Vereinbarung ab. Hinaus aus Wallonien, heran an NRW?

Selbstverständlich. Wer die Entwicklung in Ostbelgien beobachtet, kennt das schon länger. In den neunziger Jahren kam es dort zu einem Skandal um die Düsseldorfer Hermann-Niermann-Stiftung, die mit deutschen Geldern Einflussnahme zur Förderung der »deutschen Identität« betrieben hatte. Im Jahr 2002 sorgte der Skandal um den Deutschen Jörg Horn für Aufsehen, dem Lambertz den Posten des DG-Repräsentanten in Brüssel verschafft hatte (Jungle World, 44/02) . Horn versuchte damals, als DG-Lobbyist in den Kreis der Brüsseler Vertretungen deutscher Bundesländer aufgenommen zu werden. Erst als bekannt wurde, dass Artikel des »Volksgruppen«-Experten Horn im Ostpreußenblatt und in der Jungen Freiheit veröffentlicht wurden, konnte Lambertz ihn nicht mehr halten.

Ein Jahr zuvor hatte Horn den Leserinnen und Lesern des Ostpreußenblatts eine interessante Technik nahe gelegt, um Einfluss auf ihre Herkunftsgebiete im heutigen Polen zu erlangen. Der Fachmann für das Deutschtum hatte empfohlen, man müsse die Oder-Neiße-Grenze mit grenzüberschreitender Politik auflösen »wie ein Stück Zucker im Tee«. Ein fast neoliberaler Gedanke: Wenn die schützende Grenze wegfällt, ist der schwächere Nachbar in politischen Auseinandersetzungen dem stärkeren schutzlos ausgeliefert; deutscher Einfluss kann sich gegen polnische Interessen noch leichter durchsetzen.

Die Autonomie der DG gilt unter Fachleuten für »Volksgruppen« als Vorbild für deutschsprachige Minderheiten in Osteuropa. Eupen bindet sich schon lange mit grenzüberschreitenden Maßnahmen an Nordrhein-Westfalen. Die einzelnen Elemente sind unscheinbar, reichen von gemeinsamen Tourismusprojekten (von Deutschland aus koordiniert) bis zu Verbandspolitik. So hat der deutsche Sozialverband VdK im vergangenen Jahr einen »Ortsverband Ostbelgien« gegründet, der dem VdK-Kreisverband Aachen untergeordnet ist. Ganz ohne Grenzrevisionen, dafür grenzüberschreitend gewinnt Deutschland immer stärkeren Einfluss auf Nachbargebiete und findet Zustimmung bei Deutschsprachigen jenseits der Grenzen. »Unfug«, schimpft Karl-Heinz Lambertz. Trotzdem will er die DG aus Wallonien herauslösen und sie mit NRW vernetzen.

Jungle World
Jungle World Nummer 23 vom 26.05.2004

kt / hagalil.com / 2004-05-26

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