"Ich bin nicht
Reemtsma". Mit diesem Begrüßungssatz trat Horst Möller, der Leiter des Münchner
Instituts für Zeitgeschichte, ans Hamburger Rednerpult und eröffnete die
Fachtagung Verbrechen der Wehrmacht. Eine Bilanz.
"Ich bin nicht
Möller" - das sagte Jan Philipp Reemtsma als zweiter Eröffnungsredner nicht, er
behauptete aber auch nicht, dass er noch der Reemtsma sei, der vor neun Jahren
die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht im Namen seines Hamburger Instituts für
Sozialforschung eröffnet hatte.
"Ich bin Hannes
Heer" - das konnte am Ort dieser Fachtagung im Hamburger Warburg Haus während
der vergangenen Woche keiner sagen. Der eigentliche Macher der
Wehrmachtsausstellung war nicht unter den 80 geladenen Teilnehmern und 18
Referenten dieses Symposiums über den Gegenstand der Ausstellung, die Ende des
Monats ein für alle Mal zu Ende geht und im Keller des Deutschen Historischen
Museums verschwindet.
Heer hätte bei dem
"historischen Ereignis", von dem die Süddeutsche Zeitung schon vorher sprach,
gestört, beim "Hamburger Händedruck" zwischen Möller und Reemtsma, der - wie es
heißt - "das Ende der ideologischen Grabenkämpfe in der akademischen
Zeitgeschichtsforschung" besiegelt.
Der Chef des
Instituts für Zeitgeschichte hatte noch vor wenigen Jahren vor der rechts außen
angesiedelten Deutschlandstiftung eine Preisrede auf Ernst Nolte gehalten, dem
Mann, der Auschwitz zu einer Erfindung Stalins machte. 1999 trug Horst Möller
zum Ende der von Hannes Heer konzipierten Ausstellung bei, indem er im Fachorgan
Focus Heer mit Hitler verglich und dekretierte: "Wir können es uns nicht
leisten, diese Geschichtsklitterung ins Ausland zu exportieren."
Die Ausstellung
sollte in den USA gezeigt werden. Es kam nicht mehr dazu. Heer hatte Fehler
gemacht, wie sie in jeder Ausstellung vorkommen, hier aber nicht passieren
durften. Reemtsma entließ Heer und schloss die Ausstellung. Eine große
Historikerkommission durchleuchtete sie in einem Maße, wie - so die
Kommissionsmitglieder selbst - "das bisher mit keiner anderen
zeitgeschichtlichen Ausstellung geschehen ist". Ergebnis: "Die Grundaussagen der
Ausstellung über die Wehrmacht und den im ›Osten‹ geführten Vernichtungskrieg
bleiben der Sache nach richtig." Von den 1.433 Fotografien wurden keine 20
beanstandet - lediglich zwei davon zeigten NKWD-Verbrechen.
Die zweite
Ausstellung, die 2001 eröffnet wurde, ist völlig neu konzipiert. Trotzdem:
Fairness und Bemühen um wissenschaftliche Seriosität hätten geboten, dass Hannes
Heer dabei gewesen wäre, als die Hamburger Tagung eine Bilanz beider
Ausstellungen zog. Heer hat keine Einladung bekommen. Sein soeben im
Aufbau-Verlag erschienenes Buch Vom Verschwinden der Täter kritisiert in einem
ganzen Kapitel "Die bedingungslose Kapitulation der zweiten
Wehrmachtsausstellung".
In seiner
Eröffnungsrede behauptete Möller, ihm sei kein ernsthafter Historiker bekannt,
der die Legende von der sauberen Wehrmacht vertreten hätte. Die Wehrmacht sei
"an Verbrechen beteiligt" gewesen. Doch über das Ausmaß gebe es Streit. Da gebe
es Zahlen von bis zu 80 Prozent der Wehrmachtsangehörigen, die Verbrechen
begangen hätten. Beide Ausstellungen hatten sich allerdings auf solche
Zahlenspielereien nicht eingelassen. Möller aber konnte jetzt aus dem Fundus
seines Instituts für Zeitgeschichte eine "seriöse Zahl" vorweisen: lediglich bis
zu fünf Prozent der Wehrmachtsangehörigen im Osten seien an Verbrechen beteiligt
gewesen, und in dieser Zahl steckten auch eher harmlose Taten.
Mit Spannung sahen
die Historiker daher dem Auftritt des Mannes entgegen, der die doch beruhigend
niedrige Zahl geliefert hatte. Christian Hartmann, leitender Mitarbeiter in
Möllers Institut, nannte seinen Beitrag Verbrecherischer Krieg - verbrecherische
Wehrmacht? - das vielsagende Fragezeichen nicht zu vergessen. Untertitel:
"Überlegungen zur Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen an Kriegsverbrechen".
Überlegungen etwas verwirrender Art, die unter den anwesenden Historikern eher
Ratlosigkeit auslösten, aber am Ende wieder zu der exakten und doch beruhigenden
Zahl führten.
Es war die
Journalistin Franziska Augstein, die den Anfang machte und etwas spitz fragte,
ob es für seine Annahme einen empirischen Hintergrund gebe oder ob Hartmann als
Historiker nur von allgemeinen anthropologischen Konstanten spreche. Hartmann
berief sich auf "historische Fakten", nannte sie: es sei doch Kennzeichen des
modernen Krieges, dass wenige Täter viele Opfer produzieren können. Und wand
sich: ja, es gebe viele "schwarze Löcher". Es half nicht, andere setzten nach,
wollten wissen, wie er auf seine beruhigend niedrige Zahl komme. Da konnte er
nicht mehr anders, der Mann des Instituts für Zeitgeschichte leistete seinen
Offenbarungseid. Er sagte: "Diese Zahl ist letztlich nichts mehr als eine
Metapher."
"Die Zahl als
Metapher, das müssen Sie mir noch erklären", verlangte einer der Diskutanten.
Vergebens. Gleich nach Hartmann machte das Referat des Aachener Historikers
Christoph Raß klar: Die Wehrmacht war eine verbrecherische Organisation, was
nicht heißen muss, dass jeder einzelne Wehrmachtsangehörige ein Verbrecher war.
Exakte Zahlen zu nennen, sei wissenschaftlich unseriös.
Horst Möller, der
Chef des Instituts für metaphorische Zeitgeschichte war da - den Hamburger
Händedruck im Koffer - schon abgereist, auch Reemtsma ließ sich an diesem Tag
nicht sehen. Eine Evaluation des Instituts für Zeitgeschichte war kürzlich zu
finsteren Ergebnissen gekommen. Verständlich.
Der Katalog zur zweiten Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des
Vernichtungskrieges 1941 - 1944 ist noch erhältlich: 765 Seiten. 30 EUR. Neu
erschienen ist eine DVD-ROM mit dem Inhalt der gesamten Ausstellung für 48 EUR.
Beides im Verlag Hamburger Edition.