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Sachsen:
Das Neonazigericht

Mit harten Strafen rechnen die mutmaßlichen Mitglieder der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) in ihrem Prozess nicht...

Alexander Fichtner

Mit der Frage an den Vizepräsidenten des sächsischen Verfassungsschutzes, Joachim Tüshaus, wie viel denn die Information wert wäre, dass eine Synagoge in die Luft gesprengt werden soll, sorgte der Verteidiger Günther Herzogenrath-Amelung für Heiterkeit bei den Angeklagten. Das war am bisher letzten Prozesstag.

Wenn am 28. April nach vierwöchiger Pause die dritte Verhandlung gegen die Neonazigruppierung Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) vor dem Dresdner Landgericht weitergeht, wird wohl auf der Anklagebank erneut Gelassenheit demonstriert. Seit März läuft der Prozess, in dem sechs Männern im Alter von 21 bis 27 Jahren die Mitgliedschaft in der SSS oder ihren Aufbauorganisationen (AO) vorgeworfen wird.

Neben Herzogenrath-Amelung, der schon den SS-Mann Erich Priebke beriet und das Vorstandsmitglied der NPD Jens Pühse verteidigte, ist Olaf Klemke der aktivste der zwölf Anwälte. Er war unter anderem Verteidiger im Gubener Hetzjagdprozess. Im aktuellen Prozess überzieht er das Gericht mit Erklärungen und Befangenheitsanträgen. Die Angeklagten nehmen den Prozess locker, in den Pausen lachen sie oder plaudern angeregt, blättern in Zeitungen oder Tattoomagazinen. Sie rechnen wohl mit ähnlich milden Strafen wie in den vorangegangenen SSS-Verfahren. Die gingen im vergangenen Jahr mit der Einstufung der Neonazigruppe als kriminelle Vereinigung und mit Bewährungsstrafen für 18 ihrer Mitglieder zu Ende.

Mitglieder der 1996 gegründeten SSS begingen bis zum Verbot durch den sächsischen Innenminister im Jahr 2001 Straftaten wie Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung, Volksverhetzung, Nötigung und Benutzung verfassungsfeindlicher Symbole. Das Potenzial der Gruppierung schätzte der Verfassungsschutz auf mehrere hundert Personen.

Anders als in den früheren Verfahren wollen die Angeklagten diesmal keinerlei Geständnisse machen. Bis Juli wird das langwierige Verfahren, in dem auch verurteilte SSS-Mitglieder als Zeugen auftreten, mindestens noch dauern. Sie haben zwar als Verurteilte kein Recht, ihre Aussage zu verweigern, können sich aber auf Erinnerungslücken berufen.

Der im zweiten Prozess verurteilte Ronny W. lachte auf die Frage des Vorsitzenden Richters Rainer Lips nach den Plänen der SSS, die Region Elbsandsteingebirge von »Kiffern und Zecken« zu säubern: »Wie denn? Da braucht man einen großen Besen.« Die Aktivitäten der Pirnaer Aktion Zivilcourage mit antirassistischer Aufklärung an Schulen und Veranstaltungen für Jugendliche wertete W. als »Modewelle«. Rechte Jugendliche würden als »verloren für die Gesellschaft« eingeschätzt. »Das ist ein Zuchtprogramm.«

Nach Informationen der Pirnaer Antifagruppe afa13 gibt es in Pirna immer wieder Auftritte und Übergriffe von Neonazis, auch unter Teilnahme der jetzt Angeklagten. So soll der Angeklagte Dirk S. im September 2003 dabei gewesen sein, als Neonazis zwei Frauen in der Pirnaer Innenstadt zusammenschlugen und einer von ihnen eine Zigarette am Hals ausdrückten. Der als Chef der AO Oberes Elbtal angeklagte Tino K. sei an den Übergriffen am Tag der Sachsen im gleichen Monat in Sebnitz beteiligt gewesen. Einem Zeugen aus dem ersten SSS-Prozess wurde dort vor der Bühne der Pirnaer Aktion Zivilcourage der Unterkiefer zerschlagen. Am Tag darauf soll K. mit anderen organisierten Neonazis aus dem Elbsandsteingebirge und aus Dresden eine Talkrunde mit dem sächsischen Innenminister Horst Rasch gestört haben. »Kampf den Verführern« hieß das Motto, unter dem die Rechtsextremisten durchsetzten, dass Holger Apfel, stellvertretender Vorsitzender der NPD und Leiter des Verlags Deutsche Stimme, auf dem Podium reden durfte.

Gegen Andre F. ging im Februar vor dem Jugendschöffengericht Pirna ein anderes Verfahren zu Ende. Er und drei Mittäter hatten in der Nacht zum 20. August 2003 in Gersdorf den Wagen einer Romni angezündet. Das Gericht verurteilte den seit August 2003 in Untersuchungshaft sitzenden F. zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe.

Nur der 26jährige Sven H. hat sich bisher im Prozess geäußert. Er sagte aus, er sei über die NPD zur SSS gekommen. Auf einer Veranstaltung der Partei habe er den als Rädelsführer verurteilten Thomas S. und weitere Führungsmitglieder der SSS kennen gelernt und sei zum Chef einer Aufbauorganisation aufgestiegen. »Das hat sich so ergeben.« Alles sei freiwillig passiert. »Jedes Mitglied hatte seinen freien Willen. Die Teilnahme an Veranstaltungen war nicht Pflicht.«

Verteidigung und Zeugen der SSS versuchen, den Organisationscharakter der Gruppierung herunterzuspielen. Wieder werde die »Mär vom Sauf- und Wanderverein« aufgetischt, sagte Staatsanwalt Christian Mansch. Die Aufbauorganisationen seien als »Halt« für die Jüngeren gedacht gewesen, mit denen sich die Älteren nicht abgeben wollten, erklärte der ebenfalls als Rädelsführer verurteilte Zeuge Daniel B. Ein anderer sagte, die AO sei ein »Sammelbecken für Leute, die man eine Weile beobachten muss«, gewesen, um sicher zu gehen, dass sie nicht »zur anderen Feldpostnummer« überwechseln.

Wer wo dabei war, war aus Thomas S. ebenso wenig herauszubekommen wie aus anderen SSS-Mitgliedern. Er könne sich einfach nicht mehr erinnern, wer die 50 Leute gewesen seien, die sich in der Pirnaer Innenstadt zusammenrotteten, um alternative Jugendliche, die an der Elbe feierten, zu überfallen.

Ungeklärt ist bisher auch die Rolle von V-Leuten in der SSS. Joachim Tüshaus, der früher als Abteilungsleiter des VS für Rechts- und Linksextremismus zuständig war, erklärte vor Gericht, kein führendes Mitglied der SSS sei V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen. Die Zusammenarbeit mit einem Informanten habe nur von März bis Juni 1999 bestanden, er wurde dann als vertraulicher Zeuge in das SSS-Verfahren eingebracht. Der Charakter der Organisation habe sich durch die Tätigkeit des V-Mannes nicht geändert. Tüshaus widersprach damit der These der Verteidigung vom Provokationsagenten. Gefragt, ob der Angeklagte Mario M. vom Verfassungsschutz angesprochen worden sei, erklärte Tüshaus, er dürfe sich nicht dazu äußern.

Weiter Artikel zu SSS u.a. :
SSS-Männer hoffen auf kurzen Prozess

Jungle World
Jungle World Nummer 18 vom 21.04.2004

al / hagalil.com / 2004-04-21

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