Mit der Frage an den Vizepräsidenten des sächsischen
Verfassungsschutzes, Joachim Tüshaus, wie viel denn die Information wert wäre,
dass eine Synagoge in die Luft gesprengt werden soll, sorgte der Verteidiger
Günther Herzogenrath-Amelung für Heiterkeit bei den Angeklagten. Das war am
bisher letzten Prozesstag.
Wenn am 28. April nach vierwöchiger Pause die dritte
Verhandlung gegen die Neonazigruppierung Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) vor
dem Dresdner Landgericht weitergeht, wird wohl auf der Anklagebank erneut
Gelassenheit demonstriert. Seit März läuft der Prozess, in dem sechs Männern im
Alter von 21 bis 27 Jahren die Mitgliedschaft in der SSS oder ihren
Aufbauorganisationen (AO) vorgeworfen wird.
Neben Herzogenrath-Amelung, der schon den SS-Mann Erich
Priebke beriet und das Vorstandsmitglied der NPD Jens Pühse verteidigte, ist
Olaf Klemke der aktivste der zwölf Anwälte. Er war unter anderem Verteidiger im
Gubener Hetzjagdprozess. Im aktuellen Prozess überzieht er das Gericht mit
Erklärungen und Befangenheitsanträgen. Die Angeklagten nehmen den Prozess
locker, in den Pausen lachen sie oder plaudern angeregt, blättern in Zeitungen
oder Tattoomagazinen. Sie rechnen wohl mit ähnlich milden Strafen wie in den
vorangegangenen SSS-Verfahren. Die gingen im vergangenen Jahr mit der Einstufung
der Neonazigruppe als kriminelle Vereinigung und mit Bewährungsstrafen für 18
ihrer Mitglieder zu Ende.
Mitglieder der 1996 gegründeten SSS begingen bis zum Verbot
durch den sächsischen Innenminister im Jahr 2001 Straftaten wie
Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung, Volksverhetzung, Nötigung und
Benutzung verfassungsfeindlicher Symbole. Das Potenzial der Gruppierung schätzte
der Verfassungsschutz auf mehrere hundert Personen.
Anders als in den früheren Verfahren wollen die Angeklagten
diesmal keinerlei Geständnisse machen. Bis Juli wird das langwierige Verfahren,
in dem auch verurteilte SSS-Mitglieder als Zeugen auftreten, mindestens noch
dauern. Sie haben zwar als Verurteilte kein Recht, ihre Aussage zu verweigern,
können sich aber auf Erinnerungslücken berufen.
Der im zweiten Prozess verurteilte Ronny W. lachte auf die
Frage des Vorsitzenden Richters Rainer Lips nach den Plänen der SSS, die Region
Elbsandsteingebirge von »Kiffern und Zecken« zu säubern: »Wie denn? Da braucht
man einen großen Besen.« Die Aktivitäten der Pirnaer Aktion Zivilcourage mit
antirassistischer Aufklärung an Schulen und Veranstaltungen für Jugendliche
wertete W. als »Modewelle«. Rechte Jugendliche würden als »verloren für die
Gesellschaft« eingeschätzt. »Das ist ein Zuchtprogramm.«
Nach Informationen der Pirnaer Antifagruppe afa13 gibt es in
Pirna immer wieder Auftritte und Übergriffe von Neonazis, auch unter Teilnahme
der jetzt Angeklagten. So soll der Angeklagte Dirk S. im September 2003 dabei
gewesen sein, als Neonazis zwei Frauen in der Pirnaer Innenstadt
zusammenschlugen und einer von ihnen eine Zigarette am Hals ausdrückten. Der als
Chef der AO Oberes Elbtal angeklagte Tino K. sei an den Übergriffen am Tag der
Sachsen im gleichen Monat in Sebnitz beteiligt gewesen. Einem Zeugen aus dem
ersten SSS-Prozess wurde dort vor der Bühne der Pirnaer Aktion Zivilcourage der
Unterkiefer zerschlagen. Am Tag darauf soll K. mit anderen organisierten
Neonazis aus dem Elbsandsteingebirge und aus Dresden eine Talkrunde mit dem
sächsischen Innenminister Horst Rasch gestört haben. »Kampf den Verführern« hieß
das Motto, unter dem die Rechtsextremisten durchsetzten, dass Holger Apfel,
stellvertretender Vorsitzender der NPD und Leiter des Verlags Deutsche Stimme,
auf dem Podium reden durfte.
Gegen Andre F. ging im Februar vor dem Jugendschöffengericht
Pirna ein anderes Verfahren zu Ende. Er und drei Mittäter hatten in der Nacht
zum 20. August 2003 in Gersdorf den Wagen einer Romni angezündet. Das Gericht
verurteilte den seit August 2003 in Untersuchungshaft sitzenden F. zu einer
zweijährigen Bewährungsstrafe.
Nur der 26jährige Sven H. hat sich bisher im Prozess geäußert.
Er sagte aus, er sei über die NPD zur SSS gekommen. Auf einer Veranstaltung der
Partei habe er den als Rädelsführer verurteilten Thomas S. und weitere
Führungsmitglieder der SSS kennen gelernt und sei zum Chef einer
Aufbauorganisation aufgestiegen. »Das hat sich so ergeben.« Alles sei freiwillig
passiert. »Jedes Mitglied hatte seinen freien Willen. Die Teilnahme an
Veranstaltungen war nicht Pflicht.«
Verteidigung und Zeugen der SSS versuchen, den
Organisationscharakter der Gruppierung herunterzuspielen. Wieder werde die »Mär
vom Sauf- und Wanderverein« aufgetischt, sagte Staatsanwalt Christian Mansch.
Die Aufbauorganisationen seien als »Halt« für die Jüngeren gedacht gewesen, mit
denen sich die Älteren nicht abgeben wollten, erklärte der ebenfalls als
Rädelsführer verurteilte Zeuge Daniel B. Ein anderer sagte, die AO sei ein
»Sammelbecken für Leute, die man eine Weile beobachten muss«, gewesen, um sicher
zu gehen, dass sie nicht »zur anderen Feldpostnummer« überwechseln.
Wer wo dabei war, war aus Thomas S. ebenso wenig
herauszubekommen wie aus anderen SSS-Mitgliedern. Er könne sich einfach nicht
mehr erinnern, wer die 50 Leute gewesen seien, die sich in der Pirnaer
Innenstadt zusammenrotteten, um alternative Jugendliche, die an der Elbe
feierten, zu überfallen.
Ungeklärt ist bisher auch die Rolle von V-Leuten in der SSS. Joachim Tüshaus,
der früher als Abteilungsleiter des VS für Rechts- und Linksextremismus
zuständig war, erklärte vor Gericht, kein führendes Mitglied der SSS sei V-Mann
des Verfassungsschutzes gewesen. Die Zusammenarbeit mit einem Informanten habe
nur von März bis Juni 1999 bestanden, er wurde dann als vertraulicher Zeuge in
das SSS-Verfahren eingebracht. Der Charakter der Organisation habe sich durch
die Tätigkeit des V-Mannes nicht geändert. Tüshaus widersprach damit der These
der Verteidigung vom Provokationsagenten. Gefragt, ob der Angeklagte Mario M.
vom Verfassungsschutz angesprochen worden sei, erklärte Tüshaus, er dürfe sich
nicht dazu äußern.
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SSS-Männer hoffen auf kurzen Prozess