Sie greifen die Eibia an!!« So beginnt eine Szene in Arno Schmidts Roman »Aus
dem Leben eines Fauns«, in der ein Bombardement im Zweiten Weltkrieg beschrieben
wird. Das Ziel des Luftangriffs der Alliierten ist in Schmidts Fiktion eine
»große Munitionsfabrik, die ›Eibia‹, mit ihren Eisenbahnen, Straßen,
Riesenbunkern (oben mit Tarnwäldern bewachsen), und Tausenden von Arbeitern«.
Die zwischen den Heidedörfern Cordingen, Borg, Bomlitz und Uetzingen sowie den
Flüssen Bomlitz, Böhme und Warnau strategisch ideal gelegene Eibia wurde jedoch
nie so bombardiert, wie es Schmidt in seinem Text beschreibt. Warum die
Alliierten es bis zuletzt unterließen, eines der wichtigsten Rüstungszentren des
Nationalsozialismus dem Erdboden gleich zu machen, ist bis heute ungeklärt.
Die Fabrik mitten in der Lüneburger Heide war bis 1945 in Betrieb, in der
Walsroder Gegend, bei Benefeld/Cordingen, wo Schmidt von 1945 bis 1950 lebte.
Der in ein Waldgebiet hineingebaute Rüstungsstandort, dessen Name wohl auf die
Baumart der Eibe zurückgeht, war gegen Ende des Krieges zum größten
Bombenproduzenten des »Dritten Reichs« avanciert.
1935 begann die Firma Wolff & Co. im Auftrag des Reichswehrministeriums mit der
Errichtung der Explosivstoffproduktion. Die traditionsreiche Firma hatte bereits
seit 1815 eine Pulvermühle in der Gegend unterhalten und im Ersten Weltkrieg
Sprengmaterial produziert. Am 26. Oktober 1938 ging der Komplex an das
Tochterunternehmen von Wolff, an die Eibia GmbH, über.
Die Anlage umfasste die Teilareale Waldhof, Walo I und Walo II. Auf einer Fläche
von rund 230 Hektar entstanden ab 1938 im Bereich Walo II 262 Gebäude, die bis
zu drei Stockwerke tief unter die Erde gebaut wurden. Aus Tarnungsgründen waren
die meisten Bunker mit einem flachen baumbepflanzten Betondach versehen, das in
unregelmäßiger Gestalt über das Gebäude hinausragte. Dadurch sollten die Bauten
für die alliierte Luftaufklärung unsichtbar werden.
Fast zehn Kilometer Gleis- und beinahe zwanzig Kilometer Straßennetz erschlossen
das Gelände, und ein weit verzweigtes Rohrsystem regelte den fabrikinternen
Pulvertransport. Zur NS-Zeit waren bis 6 000 Menschen in der Anlage beschäftigt.
Die Eibia produzierte Dynamit in Rekordzahlen und wurde dafür von den
NS-Ministerien mehrfach mit der Auszeichnung »Bestbetrieb« geehrt.
Der Großteil der oft lebensgefährlichen Arbeit wurde von Zwangsarbeitern
geleistet. In und um Benefeld gab es mehrere Barackenlager, darunter auch ein
KZ-Außenlager. Am 3. September 1944 kamen zwischen 600 und 750 polnische
Jüdinnen mit einem Transport aus Auschwitz über Bergen-Belsen hierher und wurden
am 15. Oktober 1944 abermals deportiert. Diese Facette der Bomlitzer
Lokalhistorie wurde bis heute kaum aufgearbeitet.
1947 organisierte die britische Regierung die Demontage der Eibia. Die nicht
ungefährlichen Sprengungen in dem umzäunten Waldareal gehörten nach dem Krieg
für viele Jahre zum Alltag der Benefelder. Dass man ihre einstige
Existenzgrundlage nun einfach zerstörte, stieß bei vielen auf Unverständnis, was
man Zeitungsberichten der Zeit ablesen kann, die die hohe Arbeitslosigkeit in
Benefeld mit Blick auf die Demontage der Eibia anprangern.
Nachdem die Bundeswehr in den sechziger Jahren erfolglos versucht hatte, sich
das Areal verfügbar zu machen, ebnete die Gemeinde Bomlitz mit Unterstützung des
Landes Niedersachsen die gefährlichen Bunkerruinen, verrosteten
Nitroglycerinleitungen und klaffenden unterirdischen Industrieschächte in den
achtziger Jahren größtenteils ein, um das geschichtsträchtige Waldstück zum
»Erholungsgebiet Eibia/Lohheide« umzufunktionieren.
Doch so recht will sich die deutsche Heideidylle auch heute noch nicht
einstellen. Überall in dem »Erholungsgebiet« stehen Begrüßungsschilder, auf
denen der verblüffte Besucher lesen muss: »Die Gemeinde Bomlitz wünscht Ihnen
einen angenehmen Aufenthalt. Im Interesse Ihrer Sicherheit bitten wir Sie,
folgende Hinweise zu beachten.« Man solle die markierten Wanderwege nicht
verlassen, heißt es weiter, und das Rauchen einstellen: »Es besteht
Lebensgefahr. Achten sie auf Ihre Kinder.«
Tatsächlich ist dies heute der einzige Hinweis, der den ahnungslosen Touristen
vage darauf aufmerksam macht, welcher besonderen Geschichte die Benefelder
Infrastruktur ihre Existenz verdankt. Ein größerer Gebäudekomplex, in dem sich
zu Kriegszeiten ein »Kraft-durch-Freude«-Kasino und ein Veranstaltungssaal
befanden, wurde in den neunziger Jahren abgerissen. Hier steht seither ein
großer Supermarkt, vor dem skatende Dorfkids gelangweilt ihr Pils schlürfen und
die Hits der »Böhsen Onkelz« mitsummen.
Der benachbarte Ort Bomlitz ist nach wie vor von den Anlagen der Wolff Walsrode
AG bestimmt, deren Kerngeschäft heute als Tochterfirma der Bayer AG in der
Herstellung von Verpackungsmaterial besteht. In Benefeld wird ein abgesperrter
Teil der ehemaligen Eibia von der Peter AG genutzt, die Wurstdärme produziert.
Nebenan, in den ehmaligen Verwaltungs-, Arzt- und Kantinengebäuden, befindet
sich seit 1951 die Benefelder Waldorfschule.
Eine bekannte historische Gedenkstätte gibt es in der Gegend nur für den
nationalistischen Heidedichter Hermann Löns. Er ruht angeblich unter dem mit
einer Wolfsangel-Rune geschmückten Findling, den die Nationalsozialisten am 2.
August 1935 in der »Löns-Heide« unweit Uetzingen einweihten. Er zieht bis heute
viele Touristen an.
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