antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[Der Pressespiegel im Klick nach Rechts]

Orte des Nationalsozialismus:
Tief unter der Heide

Die Eibia war der größte Bombenbauer im Dritten Reich. Heute findet sich auf ihrem Areal ein Erholungsgebiet. Erster Teil einer Serie über Orte des Nationalsozialismus. Kein schöner Land I...

Jan Süselbeck

Sie greifen die Eibia an!!« So beginnt eine Szene in Arno Schmidts Roman »Aus dem Leben eines Fauns«, in der ein Bombardement im Zweiten Weltkrieg beschrieben wird. Das Ziel des Luftangriffs der Alliierten ist in Schmidts Fiktion eine »große Munitionsfabrik, die ›Eibia‹, mit ihren Eisenbahnen, Straßen, Riesenbunkern (oben mit Tarnwäldern bewachsen), und Tausenden von Arbeitern«.

 

Die zwischen den Heidedörfern Cordingen, Borg, Bomlitz und Uetzingen sowie den Flüssen Bomlitz, Böhme und Warnau strategisch ideal gelegene Eibia wurde jedoch nie so bombardiert, wie es Schmidt in seinem Text beschreibt. Warum die Alliierten es bis zuletzt unterließen, eines der wichtigsten Rüstungszentren des Nationalsozialismus dem Erdboden gleich zu machen, ist bis heute ungeklärt.

 

Die Fabrik mitten in der Lüneburger Heide war bis 1945 in Betrieb, in der Walsroder Gegend, bei Benefeld/Cordingen, wo Schmidt von 1945 bis 1950 lebte. Der in ein Waldgebiet hineingebaute Rüstungsstandort, dessen Name wohl auf die Baumart der Eibe zurückgeht, war gegen Ende des Krieges zum größten Bombenproduzenten des »Dritten Reichs« avanciert.

1935 begann die Firma Wolff & Co. im Auftrag des Reichswehrministeriums mit der Errichtung der Explosivstoffproduktion. Die traditionsreiche Firma hatte bereits seit 1815 eine Pulvermühle in der Gegend unterhalten und im Ersten Weltkrieg Sprengmaterial produziert. Am 26. Oktober 1938 ging der Komplex an das Tochterunternehmen von Wolff, an die Eibia GmbH, über.

 

Die Anlage umfasste die Teilareale Waldhof, Walo I und Walo II. Auf einer Fläche von rund 230 Hektar entstanden ab 1938 im Bereich Walo II 262 Gebäude, die bis zu drei Stockwerke tief unter die Erde gebaut wurden. Aus Tarnungsgründen waren die meisten Bunker mit einem flachen baumbepflanzten Betondach versehen, das in unregelmäßiger Gestalt über das Gebäude hinausragte. Dadurch sollten die Bauten für die alliierte Luftaufklärung unsichtbar werden.

 

Fast zehn Kilometer Gleis- und beinahe zwanzig Kilometer Straßennetz erschlossen das Gelände, und ein weit verzweigtes Rohrsystem regelte den fabrikinternen Pulvertransport. Zur NS-Zeit waren bis 6 000 Menschen in der Anlage beschäftigt. Die Eibia produzierte Dynamit in Rekordzahlen und wurde dafür von den NS-Ministerien mehrfach mit der Auszeichnung »Bestbetrieb« geehrt.

Der Großteil der oft lebensgefährlichen Arbeit wurde von Zwangsarbeitern geleistet. In und um Benefeld gab es mehrere Barackenlager, darunter auch ein KZ-Außenlager. Am 3. September 1944 kamen zwischen 600 und 750 polnische Jüdinnen mit einem Transport aus Auschwitz über Bergen-Belsen hierher und wurden am 15. Oktober 1944 abermals deportiert. Diese Facette der Bomlitzer Lokalhistorie wurde bis heute kaum aufgearbeitet.

 

1947 organisierte die britische Regierung die Demontage der Eibia. Die nicht ungefährlichen Sprengungen in dem umzäunten Waldareal gehörten nach dem Krieg für viele Jahre zum Alltag der Benefelder. Dass man ihre einstige Existenzgrundlage nun einfach zerstörte, stieß bei vielen auf Unverständnis, was man Zeitungsberichten der Zeit ablesen kann, die die hohe Arbeitslosigkeit in Benefeld mit Blick auf die Demontage der Eibia anprangern.

 

Nachdem die Bundeswehr in den sechziger Jahren erfolglos versucht hatte, sich das Areal verfügbar zu machen, ebnete die Gemeinde Bomlitz mit Unterstützung des Landes Niedersachsen die gefährlichen Bunkerruinen, verrosteten Nitroglycerinleitungen und klaffenden unterirdischen Industrieschächte in den achtziger Jahren größtenteils ein, um das geschichtsträchtige Waldstück zum »Erholungsgebiet Eibia/Lohheide« umzufunktionieren.

 

Doch so recht will sich die deutsche Heideidylle auch heute noch nicht einstellen. Überall in dem »Erholungsgebiet« stehen Begrüßungsschilder, auf denen der verblüffte Besucher lesen muss: »Die Gemeinde Bomlitz wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Im Interesse Ihrer Sicherheit bitten wir Sie, folgende Hinweise zu beachten.« Man solle die markierten Wanderwege nicht verlassen, heißt es weiter, und das Rauchen einstellen: »Es besteht Lebensgefahr. Achten sie auf Ihre Kinder.«

 

Tatsächlich ist dies heute der einzige Hinweis, der den ahnungslosen Touristen vage darauf aufmerksam macht, welcher besonderen Geschichte die Benefelder Infrastruktur ihre Existenz verdankt. Ein größerer Gebäudekomplex, in dem sich zu Kriegszeiten ein »Kraft-durch-Freude«-Kasino und ein Veranstaltungssaal befanden, wurde in den neunziger Jahren abgerissen. Hier steht seither ein großer Supermarkt, vor dem skatende Dorfkids gelangweilt ihr Pils schlürfen und die Hits der »Böhsen Onkelz« mitsummen.

 

Der benachbarte Ort Bomlitz ist nach wie vor von den Anlagen der Wolff Walsrode AG bestimmt, deren Kerngeschäft heute als Tochterfirma der Bayer AG in der Herstellung von Verpackungsmaterial besteht. In Benefeld wird ein abgesperrter Teil der ehemaligen Eibia von der Peter AG genutzt, die Wurstdärme produziert. Nebenan, in den ehmaligen Verwaltungs-, Arzt- und Kantinengebäuden, befindet sich seit 1951 die Benefelder Waldorfschule.

Eine bekannte historische Gedenkstätte gibt es in der Gegend nur für den nationalistischen Heidedichter Hermann Löns. Er ruht angeblich unter dem mit einer Wolfsangel-Rune geschmückten Findling, den die Nationalsozialisten am 2. August 1935 in der »Löns-Heide« unweit Uetzingen einweihten. Er zieht bis heute viele Touristen an.

Weiterer Artikel zum Thema:
Zwangsarbeit in Deutschland

Jungle World
Jungle World Nummer 16 vom 07.04.2004

al / hagalil.com / 2004-04-07

Die im Pressespiegel veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Verantwortlichen dieser Website wieder.


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved