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Italien:
Das Massaker in St' Anna di Stazzema

Prozess gegen deutsche Kriegsverbrecher in Italien, zähe Ermittlungen in Deutschland...

Maike Dimar

Am August 1944 überfiel die 16. Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS" das kleine norditalienische Dorf Sant' Anna di Stazzema und ermordete 560 BewohnerInnen. Am 20. April beginnt in La Spezia der Prozess gegen die Verantwortlichen.

 

Angeklagt sind drei ehemalige SS-Offiziere: Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred Schönenberg. Alle drei gehörten zur 16. Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS", die in Italien rund 2000 ZivilistInnen ermordeten. Doch weshalb die Anklage jetzt, fast 60 Jahre später? Eine gewisse Rolle dabei spielt der "Schrank der Schande". Jener Schrank stand, mit Siegeln zugeklebt und die Türen der Wand zugekehrt, bis 1994 unbeachtet in der Militärstaatsanwaltschaft in Rom. Sein brisanter Inhalt: knapp 700 Aktenbündel der Alliierten, die äußerst detaillierte Informationen über Mordtaten der SS und der Wehrmacht während der deutschen Besatzung Italiens 1943 bis 45 enthielten. Mit dem Auftauchen des Schrankes begann eine regelrechte Prozesswelle gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher. Ein Schrank mit hochbrisanten Akten, zugeklebt und verstaubt, irgendwo? Eine mehr als dubiose Geschichte. Seit Ende letzten Jahres versucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Rom Licht ins Dunkel zu bringen. Möglich für die Vertuschung sind mehrere Motive: Italien wollte im Kalten Krieg das Verhältnis zu Deutschland nicht trüben. Spekuliert wird aber auch über ureigene Gründe Italiens: Schließlich versuchte Italien selbst die eigenen Kriegsverbrechen unter den Teppich zu kehren, Kriegsverbrechen, die seine Soldaten während der Besetzung Jugoslawiens begangen hatten. Als es mit Mussolini an der Spitze noch Verbündeter Hitlers war, bevor es mit den Alliierten einen Waffenstillstand schloss und daraufhin von Nazideutschland besetzt wurde. Wie viel bei einer Untersuchungskommission unter der jetzigen Regierung mit Beteiligung von Alt- und Neofaschisten herauskommen wird, bleibt abzuwarten.

 

Zurück zu den Ermittlungen wegen des Massakers in Sant' Anna, das "nur" ein Massaker unter vielen war. Das Ausmaß der deutschen Verbrechen an italienischen ZivilistInnen macht der Militärhistoriker Gerhard Schreiber deutlich: Zwischen dem Beginn der Besatzung und Kriegsende "starben - ohne Berücksichtigung der gefallenen Partisanen und regulären Soldaten sowie der durch Kriegseinwirkung getöteten Staatsbürger - täglich über 160 italienische Kinder, Frauen und Männer jeden Alters durch deutsche Hand, sei es auf direkte, sei es auf indirekte Weise", so Schreiber.

 

Konkret vorgeworfen wird den drei Angeklagten in La Spezia Mord. Die einzige Möglichkeit, die Schuldigen noch juristisch zu belangen, denn Mord verjährt nicht. Verhandelt werden muss ab dem 20. April wohl ohne die Angeklagten. Sie werden nicht erscheinen. "Für mich ist diese Zeit jetzt erledigt, ich habe mir keinerlei Vorwürfe zu machen", äußerte Gerhard Sommer gegenüber dem Fernsehmagazin "Kontraste". Nicht erledigt sind seine Taten in Italiens Öffentlichkeit und fast allen Fernsehnachrichten der letzten Wochen. Zähe Veranstaltung

 

In Deutschland wird seit Herbst 2002 wegen des Massakers gegen rund ein Dutzend Verdächtige ermittelt. Eine Anklage kam bis jetzt nicht zustande. "Eine zähe Veranstaltung" seien die Ermittlungen, meint der Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Eckhard Maak. Weshalb in Italien schon der Prozess beginne, in Deutschland aber immer noch ermittelt werde, erklärt er so: "In Italien stützen sie sich auf Militärdokumente und argumentieren, dass die formal Verantwortlichen der Einheiten auch in strafrechtlicher Hinsicht die Verantwortung tragen." Dementsprechend werde gegen diejenigen mit dem höchsten Dienstgrad Anklage erhoben. "Wir versuchen aus einer größeren Anzahl von Leuten, die vor Ort waren, diejenigen, die die maßgeblichen Befehle gegeben haben, rauszufiltern. Das ist ein ungleich aufwändigerer Weg", argumentiert Maak.

 

Deutsche (oder notwendige) Gründlichkeit oder Verschleppung der Ermittlungen? Deutlich unwahrscheinlicher jedenfalls damit zu einer Verurteilung zu kommen. Die wenigen Überlebenden waren Kinder und sollen Täter erkennen, deren Gesichter sie sich kaum in Ruhe einprägen konnten. Weitere mögliche Zeugen sind Angehörige der Division. Doch nur wenn sie selbst nicht beteiligt waren, können sie aussagen. Und der Treueschwur der SS überdauert die Jahrzehnte: Fast nie kam es vor, dass ein SSler einen "Kameraden" belastete. Zwar hofft Maak, dass der Prozess in Italien "verwertbare Erkenntnisse abwirft". Zum Stand der eigenen Ermittlungen äußert er sich verhalten: "Wir rechnen schon damit, dass das Bild irgendwann so klar ist, dass wir zu einer Anklage kommen."

 

Irgendwann. Zu spät wohl für viele Überlebende oder direkte Angehörige der Opfer. Spät genug, um die Täter nicht mehr zur Rechenschaft ziehen zu müssen, die dann verhandlungs- oder haftunfähig sind - oder dazu erklärt werden.

 

In La Spezia will man nicht länger warten. Zivilkläger wegen des Massakers in Sant' Anna sind neben Enio Mancini und anderen Überlebenden oder Angehörigen der Opfer auch: die Gemeinde von Stazzema, die Provinz Lucca und die Region Toscana. Angeschlossen hat sich - nach langem Drängen - inzwischen auch der italienische Staat. Eine Verurteilung in Italien dürfte die deutschen Rentner nur wenig beeinträchtigen. Doch gezeigt hat sich auch, dass deutsche StaatsanwältInnen nicht so leicht darüber hinweggehen können, wenn ein italienisches Gericht ein Urteil gegen Kriegsverbrecher spricht.

Raumzeit
Raumzeit Nummer 29 vom 10.04.2004

kt / hagalil.com / 2004-04-18

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