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I.G. Farben:
Moral ist nicht alles

Die Stiftung der IG Farben in Abwicklung hat angekündigt, die Schweizer Bank UBS zu verklagen, angeblich im Interesse der ehemaligen Zwangsarbeiter...

Kerstin Eschrich

"No lie can live forever", war das Motto der Pressekonferenz der Stiftung IG Farbenindustrie. Die Stiftung hatte Ende März geladen, um ihre Absicht bekannt zu geben, einen Teil des ehemaligen Auslandsvermögens des Konzerns IG Farben zurückzubekommen. Zu diesem Zweck will man notfalls in den USA die Schweizer Bank UBS verklagen. Das alles geschehe vor allem auch im Interesse der ehemaligen Zwangsarbeiter und Opfer des Nationalsozialismus, wie von den Vertretern der Stiftung immer wieder betont wurde.

Gleichzeitig fand in Frankfurt am Main ein Treffen ehemaliger Zwangsarbeiter der IG Farben statt, die sich entschieden gegen eine Vereinnahmung durch die Stiftung wandten. In einer Resolution erklärten 30 ehemalige Sklavenarbeiter der IG Farben, dass den Opfern das Vermögen des Konzerns gehöre. Besonders empörte Peter Gingold, ein Mitglied im Bündnis gegen IG Farben, dessen nahezu gesamte Familie in Auschwitz ermordet wurde, dass sich die Stiftungsvertreter »der Sprache der NS-Opfer bedienten«. Immer wieder war auf der Pressekonferenz davon die Rede, man müsse »sich der Vergangenheit stellen«, die IG Farben ebenso wie die UBS und die Schweiz.

Seit den fünfziger Jahren fordern ehemalige Zwangsarbeiter angemessene Entschädigungen und die Auflösung des Konzerns. Bis heute ist es dazu nicht gekommen. Die vor drei Jahren gegründete Stiftung IG Farbenindustrie soll für die Entschädigung der Zwangsarbeiter und KZ-Opfer sorgen. Das Geld dafür soll unter anderem von der UBS kommen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg das Vermögen der angeblichen IG Farben-Tochter Interhandel unter den Nagel gerissen hat.

Gingold traut den schönen Worten der Stiftungsvorstände nicht. »Den Opfern der IG Farben zu helfen, dazu hätten sie seit Jahren Gelegenheit gehabt. Jedes Jahr haben wir vor der Aktionärsversammlung demonstriert. Wenn wir unser Anliegen vorgetragen hatten, wurden wir rausgeschmissen.« Er glaubt, dass die Überlebenden benutzt werden sollen, damit die Aktionäre doch noch an Geld kommen.

Matthias Druba, einer der Rechtsanwälte der Stiftung, erklärt, er verstehe das Misstrauen der Überlebenden gegenüber der IG Farben. Dabei habe man mit Gerhard Baum, dem ehemaligen Bundesminister und Vertreter der russischen Delegation, sowie Ernst Ludwig Ehrlich, dem ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Organisation B’nai B’rith Europa, sehr kritische Unterstützer des UBS-Projekts gewonnen, die Verlässlichkeit garantieren könnten. Auch sollen ehemalige Zwangsarbeiter in das Kuratorium der Stiftung aufgenommen werden.

Eine Aussage darüber, welcher Anteil des ehemaligen Auslandsvermögens der IG Farben den NS-Opfern zukommen würde, war von den Vertretern der Stiftung allerdings nicht zu bekommen. »Das Ziel ist möglichst viel für alle«, erklärt Druba. Die Gesamtsumme, um die es sich bei der Klage gegen UBS handeln werde, liege im »zwei- oder dreistelligen Millionen-Euro-Bereich«. Und da es nicht nur um Moral gehe, würde natürlich auch die »wirtschaftliche Seite« – gemeint sind die Aktionäre von IG Farben in Abwicklung – ihren Teil bekommen. Ihre Aufgabe als kritische Instanz wahrnehmend, fordern Baum und Ehrlich dagegen, dass im Vorfeld der Klage klar sein müsse, wie viele Prozent zum Schluss für die NS-Opfer übrig bleiben werden. Ehrlich erklärte, dass ihnen der »größere Teil« zugute kommen müsse.

Anders als die Befürworter einer Stiftungsklage gegen UBS sagt Peter Gingold, es sei für ihn »eine Frage der Moral, dass die Opfer nicht zusammen mit der Täterfirma klagen oder sich von ihr vertreten lassen«. Es gebe Überlegungen bei den NS-Überlebenden, eine eigene Stiftung einzurichten. Sie könnten sich bei einer Klage gegen die UBS auf einen Kontrollratsbeschluss der Alliierten aus dem Oktober des Jahres 1945 berufen. Darin hieß es, das Geld des IG Farbenkonzerns, das auf Auslandskonten liege, solle denjenigen zugute kommen, die am meisten unter der Firma gelitten hätten. Und das sind eindeutig nicht die Aktionäre.

Der damals größte Chemiekonzern entstand 1925 nach der Fusion von Bayer, BASF und Hoechst. Seine Tochterfirma Degesch stellte das Giftgas Zyklon B her, mit dem Millionen Menschen in den Gaskammern ermordet wurden. Im konzerneigenen Arbeitslager Buna-Monowitz bei Auschwitz wurden 120 000 Menschen durch Arbeit vernichtet.

Das angebliche Vermögen des Chemiekonzerns auf Konten der Schweizer UBS beflügelt seit Jahren die Fantasie der Aktionäre der IG Farben in Abwicklung. Der Konzern gründete in der Schweiz Ende der zwanziger Jahre die Firma IG Chemie, um seine Auslandsgeschäfte abzuwickeln. Bereits 1940 löste die IG Farben die Verbindung formaljuristisch auf. Im Jahr 1945 wurde das Vermögen von Interhandel, so hieß die Firma inzwischen, wie alle deutschen Guthaben in der Schweiz zunächst blockiert. Doch nach zwei Revisionen durch die Schweizerische Verrechnungsstelle kam man zu dem Schluss, dass die IG Chemie/ Interhandel sich ab 1940 nicht mehr in der Hand der IG Farben befunden habe, auch wenn es noch starke personelle Verflechtungen gab. Deshalb wurde die Blockade des Vermögens aufgehoben. 1961 übernahm die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG), die Vorgängerin der UBS, die Kontrolle über Interhandel. Vier Jahre später fusionierten die beiden, und die SBG wurde zur größten Schweizer Bank.

Bereits 1983 reichte die IG Farben in Abwicklung Klage gegen die Bank ein, um einen Teil des Vermögens von IG Chemie/Interhandel zu erhalten. Doch die Klage wurde fünf Jahre später vom Frankfurter Oberlandesgericht abgewiesen. Die Stiftung begründet eine erneute Klage damit, dass der so genannte Rees-Bericht der Schweizerischen Verrechnungsstelle über IG Chemie/Interhandel aus den vierziger Jahren erst jetzt öffentlich zugänglich ist.

Die Stiftung hat allerdings keinen rechtlichen Anspruch auf das Vermögen der IG Farben. Das haben nur der Konzern, dessen Insolvenzverfahren am 25. März eröffnet wurde, und eine Kölner Aktionärsvereinigung, auf die in den achtziger Jahren fast die gesamten Ansprüche der IG Farben in Abwicklung übertragen wurden. Über die IG Farben Aktionärsvereinigung e.V. soll nun der Prozess geführt werden. Sie wurde zwar bereits 1989 aus dem Vereinsregister gestrichen, soll aber für die Klage reaktiviert werden.

Im vergangenen Jahr versuchte bereits Rüdiger Beuttenmüller, ein wegen Bilanzfälschung verurteilter Kaufmann, sein Glück. Er ließ sich vom Kölner Amtsgericht zum Rechtspfleger des Aktionärsvereins bestellen. Beuttenmüller ist inzwischen wegen fehlender moralischer Integrität abberufen worden. Bevor überhaupt eine Klage angestrengt werden kann, muss das Amtsgericht Köln einen Nachfolger für ihn finden.

Weitere Artikel zum Thema u.a.:

Erklärung von Überlebenden des Nazi-Terrors
Sieg durch Pleite
Ende einer Abwicklung

Jungle World
Jungle World Nummer 16 vom 07.04.2004

al / hagalil.com / 2004-04-07

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