NS-Opfer:
Traurige Fehlkalkulation
Viele NS-Opfer werden keine Entschädigung erhalten...
Jürgen Albers
Vor wenigen Tagen
gab die Internationale Organisation für Migration (IOM) - als eine von sieben
Partnerorganisationen zuständig für Entschädigungszahlungen an nichtjüdische
NS-Opfer außerhalb Europas - bekannt, dass wegen Geldmangels der Bundesstiftung
Erinnerung, Verantwortung und Zukunft 39.800 Anträge auf Entschädigung von ihr
zurückgewiesen werden mussten.
Man scheint sich
bei der Kalkulation gravierend verschätzt zu haben: Der Fonds zur Entschädigung
von Opfern, bei denen sogenannte "weitere Personenschäden" vorlagen, wurde mit
einer Summe von 25,5 Millionen Euro ausgestattet. Allein bei der IOM aber gingen
41.000 Anträge ein - was bei Bewilligung aller Ansprüche noch geringere
Zahlungen an die Opfer bedeutet hätte als die anvisierten 4.240 Euro. Statt nun
auf die Idee zu kommen, die zur Verfügung gestellte Summe zu erhöhen, engte man
kurzerhand die Kriterien so weit ein, dass auch wirklich nur die kalkulierten
Berechtigten Zahlungen erhalten können. 4.240 Euro für das Erleiden
pseudomedizinischer Versuche von "NS-Ärzten" oder die Einweisung in
Zwangsarbeiter-Kinderheime sind schon wenig genug. Dass nun aber fast 40.000
zuvor Entschädigungsberechtigte, die selbst laut IOM "extrem schwere oder
schwere Gesundheitsschäden" erlitten haben, gar keine Zahlungen erhalten sollen,
ist ein Skandal. Ein Skandal, der in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen,
geschweige denn diskutiert wurde. Weder der Frankfurter Allgemeinen, noch der
Süddeutschen Zeitung waren diese bitteren Neuigkeiten auch nur eine Zeile wert!
Die heftigen
Diskussionen um die finanzielle Ausstattung der Stiftung Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft, waren vor Jahren beschämend genug, bis die zehn
Milliarden DM - nach vielen Aufforderungen - endlich zusammengekommen waren.
Seitdem die Stiftung ihre Arbeit aufgenommen hat, ist sie allerdings aus der
öffentlichen Wahrnehmung gänzlich verschwunden. Das obige Beispiel zeigt aber,
wie dringend notwendig die kritische Begleitung durch die Öffentlichkeit wäre,
auch um eine Aufstockung des Entschädigungsfonds zu erreichen. Natürlich wird
eine so ungemütliche Diskussion nur ungern neu angestoßen.
Die IOM unterhält in Tschechien und der Ukraine Projekte für Roma und andere
Minderheiten, die zwar Opfer des Holocaust waren, jedoch nicht entschädigt
werden konnten. Ziel soll es sein, den Überlebenden wenigstens aus "humanitärer
Perspektive eine gewisse Anerkennung" zukommen zu lassen. Das ist löblich und
sehr wichtig. Noch besser allerdings wäre es, zusätzlich die nötigen Gelder zur
Verfügung zu stellen, damit auch allen Überlebenden, die unter den
Nationalsozialisten zu leiden hatten, eine finanzielle Entschädigung zukommen
kann. Das Thema Entschädigung muss wieder diskutiert werden - und diejenigen
Firmen, die der Stiftungsinitiative vor vier Jahren nicht beigetreten sind,
sollten dazu ermahnt werden, ihren Beitrag zu leisten.
Der Freitag
Der Freitag Nr.17 vom 16.04.20004
kt /
hagalil.com
/ 2004-04-16
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