Auschwitz-Prozess:
Aktenzeichen 4 Ks 2/63
Eine Ausstellung - Erinnerung an den Beginn des Frankfurter
Auschwitz-Prozesses vor 40 Jahren...
Rudolf Walther
Die von Irmtrud Wojak am ursprünglichen Schauplatz
Frankfurt realisierte Ausstellung dokumentiert im historischen Teil den
Prozessverlauf an sechs Angeklagten und belegt Bedeutung und Wirkung des
Prozesses - auf die deutsche Öffentlichkeit, auf die Literatur, unter anderem
auch auf Die Ermittlung von Peter Weiss. Fotos, Filme und Dokumente lenken den
Blick auf andere wichtige Prozesse: den Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg 1945
oder den gegen Eichmann in Jerusalem. Neben Tondokumenten vom Auschwitzprozess
gibt es auch eine eigene Abteilung, die dem Leben und Werk Fritz Bauers gewidmet
ist, und eine, in der Künstler aus Israel, Italien, Deutschland, Kuba und Polen
Werke zeigen, in denen sie sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Der
wissenschaftliche Katalog mit den zeitgenössischen Fotos von Günter Schindler
ist zugleich ein Erinnerungsbuch (870 Seiten!) an den Prozess.
Zur Vorgeschichte gehören die Nürnberger
Prozesse, nach deren Abschluss die Mehrheit der Deutschen das Kapitel
"Nationalsozialismus" für "bewältigt" hielt. Zwischen 1945 und 1949, also in der
Zeit vor Gründung der deutschen Nachfolgestaaten BRD und DDR, wurden von den
Alliierten 4.500 Personen verurteilt. Das sind mehr als doppelt so viele wie in
den darauf folgenden 55 Jahren. Bereits anfangs der fünfziger Jahre begannen
unter dem Motto, "einen Schlussstrich ziehen" die Verjährungs- und
Amnestiedebatten - angetrieben von Konrad Adenauers Begnadigungen, durch die
eben von Alliierten zu Haftstrafen verurteilte Kriegsverbrecher und
Kriegsprofiteure vorzeitig entlassen wurden.
Erst 1958 wurden im Ulmer Einsatzgruppenprozess
Massenmorde vor einem deutschen Gericht verhandelt. Die mörderischen Aktivitäten
von Himmlers Polizeibataillonen und Einsatzgruppen in der Sowjetunion und im
Baltikum wurden nicht dank staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aufgedeckt,
sondern durch "Kommissar Zufall." Ein an den Massakern im deutsch-litauischen
Grenzgebiet Beteiligter hatte, nachdem er einige Jahre abgetaucht war, die
Unverfrorenheit, auf eine Wiedereinstellung in den deutschen Staatsdienst zu
klagen. Die späte Wahrnehmung dieser Taten veranlasste die Landesjustizminister,
am 1. Dezember 1958 in Ludwigsburg die "Zentrale Stelle der
Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von national-sozialistischen Verbrechen"
einzurichten. Vieles blieb weiterhin dem Zufall überlassen. Im Januar 1959
übergab der Rentner Emil Wulkan dem Frankfurter Journalisten Thomas Gnielka ein
Verzeichnis mit Namen von Wachleuten, die an der Ermordung von Häftlingen in
Auschwitz beteiligt waren. Die Opfer registrierte man als "auf der Flucht"
Erschossene. Der Journalist erkannte die Brisanz des Materials und übergab es
dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903-1968). Ohne die
Hartnäckigkeit dieses Juristen, der als Jude und Sozialist 1933 verhaftet wurde
und von 1936 bis 1949 im Exil lebte, wäre der Prozess nie zustande gekommen.
Bauer musste sich gegen interne wie externe Widerstände durchsetzen. An den
Spitzen von Justiz, Polizei und Verwaltung dominierten in den späten Fünfzigern
immer noch jene, die an gerichtlichen Verfahren gegen nationalsozialistische
Verbrecher wenig Interesse hatten. Wie einflussreich der Widerstand sein konnte,
hatte Bauer bereits 1952 als Ankläger gegen Generalmajor Otto-Ernst Remer
(1912-1997) erfahren. Remer war eine Schlüsselfigur, die unter anderem das
Gelingen des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 verhinderte. Er hielt treu zu
Hitler und verhaftete die Verschwörer in Berlin. Nach dem Krieg hetzte er als
Mitglied der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei mit Vokabeln wie
"Vaterlandsverräter" gegen Stauffenberg und die anderen Aufständischen. Bauer
erreichte seine Verurteilung wegen Verunglimpfung Verstorbener.
Mit politischer Rückdeckung des hessischen
Ministerpräsidenten berief er zwei junge Staatsanwälte (Jahrgang 1926), um die
Ermittlungen zum Auschwitz-Prozess vor justizinternen Sabotageversuchen
abzuschirmen. Georg Friedrich Vogel und Joachim Kügler leiteten die strapaziösen
Vorarbeiten. Die Personensuche und Beweissicherung unter anderem in Polen, mit
dem keine diplomatischen Beziehungen bestanden, waren schwierig. Aber in weniger
als zwei Jahren trugen die beiden Beweismaterial zusammen, das 74 Bände füllte.
Sie hörten 600 Zeugen und beschuldigten 23 Personen des Mordes oder Totschlags -
alle anderen Verbrechen waren bereits verjährt. Am 20. Dezember 1963 konnte der
Prozess unter dem Aktenzeichen 4 Ks 2/63 gegen nunmehr 20 Angeklagte, denen die
Schuld am Tod von mindesten 28.910 Opfern vorgeworfen wurde, eröffnet werden.
Fritz Bauer beharrte darauf, historische Sachverständige beizuziehen, weil die
am Einzelfall orientierte Prozessführung das "große Bild des Gesamtgeschehens",
in dem die Massenverbrechen stattfanden, verschwinden ließ. Damit aber ging auch
die aufklärende Funktion des Verfahrens für das "breite Publikum" verloren.
Selbst auf die Gefahr hin, der "Veranstaltung eines Schauprozesses" bezichtigt
zu werden, hielt Bauer an der politisch-moralischen Bedeutung des Ereignisses
fest.
Beteiligt an den Verbrechen waren Menschen
verschiedener Herkunft - Akademiker, ein Kaufmann und ein Arbeiter waren ebenso
unter den Angeklagten wie ein Adjutant des Lagerkommandanten. Der Prozess endete
nach 20 Monaten, am 19./20. August 1965, mit der Urteilsverkündung. Sechs
Angeklagte wurden zu lebenslänglicher Haft verurteilt, elf erhielten Strafen
zwischen drei und vierzehn Jahren, drei wurden freigesprochen. Ein einziger
Angeklagter zeigte Reue und sagte: "Ich schäme mich heute".
"Natürlich ist das Resultat der Prozesse mehr
als negativ" (Fritz Bauer), die Rechtslage gab nicht mehr her. Sie ermöglichte
den Angeklagten einen bequemen Ausweg, den der "furchtbare Jurist" und
CDU-Politiker Hans Filbinger so beschrieb: "Was damals Recht war, kann heute
nicht Unrecht sein." Mit der Fiktion eines juristisch normalen Verfahrens, in
dem das zur Tatzeit geltende Recht den Rahmen vorgab, war die jede Normalität
sprengende Dimension der Nazi-Verbrechen nicht adäquat zu erfassen. Zwischen der
Realität der Vernichtungslager, der Qualität der dort verübten Verbrechen und
der Milde der Strafen lag derselbe Abgrund wie zwischen den tatbeteiligten und
den rechtlich belangten Personen: In Auschwitz leisteten rund 7.000 SS-Leute
Dienst; 738 kamen vor Gericht, ganze 50 davon in Deutschland.
Für Fritz Bauer war "die Geschichte des
Widerstands" gegen staatlich betriebenes Unrecht identisch mit "der Geschichte
der Demokratie". Deshalb plädierte er im Namen der Demokratie für eine
"Widerstandspflicht" im Sinne seines Lehrers Gustav Radbruch: Unter einer
Diktatur erfolgt "Rechtsentstehung durch Rechtsbruch".
Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63. Bürgerhaus Gallus, Frankfurt. Bis 23.5. Katalog
49,80 E
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