Wuppertal:
Unter Räubern
Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum wehrt sich dagegen,
drei Bilder an die Erben der jüdischen Vorbesitzer zurückzugeben...
Thomas Binger
Der in Berlin lebende jüdische Fabrikant und Kunstsammler Max Meirowsky bereitet
1938 seine Emigration in die Schweiz vor. Zu seiner berühmten Sammlung zählen
Werke von van Gogh, Renoir, Monet, Gauguin und Pissarro. Nachdem die Berliner
Nationalgalerie zuvor die Übernahme einiger seiner Gemälde ablehnt, ist er zur
Finanzierung seiner Auswanderung dazu gezwungen, seine Kunstsammlung auf einer
so genannten »Judenauktion« zu versteigern. Im November 1938, einige Tage nach
der Reichspogromnacht, gelangt dabei auch das Gemälde »Felsige Flusslandschaft«
des Frankfurter Malers Otto Scholderer für 1 000 Reichsmark in den Besitz der
Galeristin Aenne Abels. Einige Monate später wird dieses Bild für 3 500
Reichsmark vom Wuppertaler Kunstmuseum erworben. »In gutem Glauben«, wie die
derzeitige Direktorin des Museums, Sabine Fehlemann, betont.
Zur Finanzierung der »Judenvermögensabgabe« muss der Berliner Oberregierungsrat
Alfred Sommerguth 1939 seine 106 Gemälde und Papierarbeiten verkaufen. Dabei
wird auch die Pastellzeichnung »Erinnerung vom Dampfboot auf der Donau« von
Adolph von Menzel für 8 000 Reichsmark im Berliner Auktionshaus Lange
versteigert. 1940 gelingt dem Ehepaar Sommerguth über die Schweiz und Kuba die
Flucht in die USA.
1956 stiftet der berühmt-berüchtigte Kunstsammler und Mäzen Eduard von der Heydt
diese Arbeit gemeinsam mit einem erheblichen Teil seiner umfangreichen Sammlung
dem Wuppertaler Museum. Ob er selbst das Bild auf der »Judenauktion« erwarb, ist
unklar. Zum Dank für seine großzügige Schenkung wird von der Heydt einige Jahre
später zum Namenspatron des Wuppertaler Museums erkoren.
Um seine Flucht nach Amsterdam zu finanzieren, muss der Frankfurter
Elfenbeinhändler Ernst Flersheim 1937 einen Großteil seiner Kunstsammlung
versteigern, u.a. auch das Gemälde »Tatar mit Pferd« des in Wuppertal gebürtigen
Malers Ernst von Maree. Ersteigert wird es für 850 Reichsmark vom Hamburger
Tabakindustriellen Phillip Reemtsma. Die Flucht des Ehepaars Gertrud und Ernst
Flersheim ist vergeblich. Nach der Besetzung der Niederlande werden sie von den
Nazis inhaftiert und 1944 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet. 1948
gelangt das wertvolle Bild Ernst von Marees für 4 000 Mark in den Besitz des
Von-der-Heydt-Museums.
Die Erben der ursprünglichen jüdischen Eigentümer – in zwei Fällen handelt es
sich um die leiblichen Enkel und in einem Fall um die Bona-Terra-Stiftung,
welche die Aus- und Fortbildung junger Juden fördert – kämpfen bereits seit
Jahren um die Herausgabe dieser Bilder. Doch die Museumsdirektorin Sabine
Fehlemann verweigert standhaft eine Rückgabe »ihrer« Bilder, die sie »so lange
behalten will, wie es irgend geht«. Unterstützt wird sie dabei vom Vorsitzenden
des Kunst- und Museumsvereins, Eberhard Robke, der nicht nur die Rechtsansprüche
auf Herausgabe der drei Kunstwerke bestreitet, sondern »auch eine moralische
Verpflichtung (…) angesichts der vielen Millionen Mark, die unser Staat an
finanzieller Wiedergutmachung geleistet hat«, nicht erkennen mag. Die Erben
würden die Bilder ohnehin wieder verkaufen oder auf Kunstmärkten versteigern. Es
geht also nicht um Moral, sondern um Geld, sind sich Robke und Fehlemann einig
und bedienen dabei das antisemitische Klischee vom »raffgierigen Juden«.
Um den sich für die Stadt Wuppertal zunehmend zu einem ernsthaften Imageschaden
auswachsenden Widerstand zu brechen, hat die Kulturdezernentin Marlis Drevermann
(SPD) in einer Beschlussvorlage für den Rat der Stadt dem Von-der-Heydt-Museum
kurzerhand die Zuständigkeit für die Rückgabeforderungen entzogen. »Künftige
Rückgabeansprüche werden (…) als Geschäft der laufenden Verwaltung abgewickelt«,
heißt es dazu in dem nahezu einstimmigen Ratsbeschluss, der am 15. Dezember 2003
die rechtlichen und moralischen Ansprüche auf Restitution der Raubkunst
grundsätzlich bejaht. Direktorin Fehlemann sieht in diesem Beschluss »einen
schwarzen Tag für das Museum Wuppertal« und befürchtet einen »Dammbruch«, was
die mögliche Herausgabe weiterer Bilder angeht. Moralische Kategorien seien in
dieser Entscheidung über rechtliche Ansprüche gestellt worden. Alle politischen
Verpflichtungen zur großzügigen Behandlung von Restitutionsansprüchen im Rahmen
der Washingtoner Holocaust-Konferenz von 1998 und der Selbstverpflichtung in der
»Berliner Erklärung« von Bund, Ländern und Deutschem Städtetag werden dabei von
der promovierten Kunsthistorikerin souverän ignoriert. Sie bestreitet weiterhin
die Rechtmäßigkeit der Rückgabeansprüche, und auch in der neuesten
Presseerklärung des Museums, anlässlich einer Podiumsdiskussion über »Baron von
der Heydt und seine Sammlung«, die am Dienstag vergangener Woche in der
Wuppertaler City-Kirche stattfand, ist von einem »falsch verstandenen
Wiedergutmachungseifer« die Rede.
»Meine Aufgabe ist es, die Bilder im Museum zu halten«, definiert Frau Fehlemann
ihre Rolle als Museumsdirektorin. Mit diesem bornierten Besitzstandsdenken steht
das Wuppertaler Kunstmuseum offensichtlich nicht alleine da. Lediglich ein
knappes Dutzend Museen hat bisher Stellen zur Erforschung der Provenienz ihrer
Bestände eingerichtet. Rückgabeansprüche werden immer wieder mit allen Mitteln
hintertrieben, wie z.B. im Fall des Duisburger Lehmbruck-Museums, das die
Herausgabe des Ölbildes »Buchsbaumgarten« von Emil Nolde an in Israel lebende
Erben verweigert. In der Regel sehen die Museen sich selbst eher in der Opfer-
als in der Täterrolle. So auch im Falle des Wuppertaler Museums, wo Frau
Fehlemann betont, nach dem Krieg selber etliche Bilder an die Besatzungsmächte
Russland und Frankreich verloren zu haben. Eine schon ziemlich dreiste
Gleichsetzung der Spätwirkungen des faschistischen Raub- und Vernichtungskrieges
mit den Begleitumständen der systematischen Entrechtung und Vernichtung der
Juden in Deutschland.
Die aktuelle Museumsspitze erweist sich mit dieser Haltung als würdige Nachfolge
ihres Namenspatrons, des Barons Eduard von der Heydt. Der Spross einer
alteingesessenen Wuppertaler Bankiersfamilie war nämlich nicht nur ein
international bekannter Kunstsammler und Mäzen, sondern auch ein wichtiger
Förderer des NS-Regimes. In einer persönlichen Korrespondenz mit dem »sehr
verehrten Reichsmarschall Hermann Göring« machte er sich um die Erweiterung von
dessen Kunstsammlung um einige Exponate aus dem Familienbesitz der von der
Heydts verdient. Als Vorsitzender des Fördervereins der Nationalgalerie in
Berlin war er ein wichtiger Förderer der Künste in Nazideutschland. Nach dem
Erwerb der Schweizer Staatsbürgerschaft 1937 liefen während des Krieges wichtige
Finanztransfers für das Netz der Spionageabwehr der Deutschen Wehrmacht über die
Konten von der Heydts. In seiner Funktion als Schweizer Vertreter der von ihm
mitgegründeten August-Thyssen-Bank war er an den Raubgoldgeschäften des
Deutschen Reichs beteiligt. Eduard von der Heydt gehörte zu jener diskreten
Riege von Privatbankiers, die sich um die Devisenbeschaffung für das NS-Regime
verdient gemacht haben.
Alle diese Fakten sind bereits seit langem aus den Unterlagen der
Nachkriegsermittlungen der Schweizer Polizei und Bundesanwaltschaft bekannt.
Damals wurde Baron von der Heydt die Schweizer Staatsbürgerschaft wieder
aberkannt und eine Strafuntersuchung gegen »Dr. Eduard von der Heydt und
Konsorten« wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit gegen fremde Staaten
eröffnet. Trotzdem ist und bleibt Eduard von der Heydt nicht nur der
Namenspatron des Wuppertaler Kunstmuseums, er ist seit 1952 auch Ehrenbürger der
Stadt und Namensgeber des bekannten Kunstpreises.
Aktivisten des Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege, die im Oktober 2002,
anlässlich eines Symposions zum hundertjährigen Jubiläum des Museums, lautstark
eine Umbenennung in Jankel-Adler-Museum forderten, wurden von der Museumsleitung
wegen Hausfriedensbruch und Versammlungsstörung angezeigt. Vor dem Hintergrund
der polarisierten Raubkunstdebatte stößt der am letzten Mittwoch eröffnete
Prozess gegen drei der Kunstfreunde und Antifaschisten auf ein reges Interesse.
Den Namen Jankel Adlers hat das Wuppertaler Museum allerdings wahrlich nicht
verdient. Der mit Paul Klee und Otto Dix befreundete, zeitweilig in Wuppertal
lebende jüdische Maler gehörte zur Bewegung Junges Rheinland und musste 1933
nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen. 1940
kämpfte er in der polnischen Armee in Frankreich gegen die deutschen
Invasionstruppen und konnte in Dünkirchen in letzter Minute nach England
evakuiert werden. Von seiner großen Familie überlebten nur eine Nichte und ein
Neffe den Holocaust. Nach Deutschland wollte Jankel Adler auch nach dem Krieg
nie wieder reisen.
Jungle World
Jungle World Nummer 13 vom 17.03.2004
kt /
hagalil.com
/ 2004-03-17
|