Sie ist zwar wenige
Jahre jünger als ich, aber die Mentalität, die mich mit Erika Steinbach
verbindet, wage ich nicht zu bezweifeln. Sie ist Präsidentin des Bundes der
Vertriebenen und verklagt zur Zeit die in Warschau lebende deutsche Journalistin
Gabriele Lesser, von der sie sich und ihre Verbandsmitglieder verleumdet sieht.
Ich, einst ein
begeisterter kleiner Nazijunge, erinnere mich nur zu gut an meine damalige
Lektüre, die weitverbreitete Kriegsbücherei der deutschen Jugend,
zusammengeschrieben von Journalisten, von denen einige in der Bonner Republik
bei der FAZ, der Zeit oder dem stern sehr berühmt wurden. Bomber über Warschau
hieß solch ein 32-Seiten-Exemplar, das mich besonders anmachte. Als
Neunjähriger, 1944, schrieb ich in ein leeres Schulheft mit kindlichem Sadismus
meinen ersten Roman: wie mutige deutsche Stukas - Sturzkampfflugzeuge - auf
Warschau niederstoßen und alles vernichten, was sich bewegt. Das - und nichts
anderes - bewegt meine Vorstellung, wenn ich heute bei Frau Steinbach lese,
welche "Anforderungen" man an die Polen in "Menschenrechtsfragen" zu stellen
habe: "Es bedarf keiner Kampfflugzeuge. Ein schlichtes ›Veto‹ zur Aufnahme
uneinsichtiger Kandidaten ist ausreichend."
Sind Bomber keine
Kampfflugzeuge?
Wohlgemerkt, von
irgendwelchen Kampfhandlungen mit Polen war zuvor nicht die Rede, die
ultimativen Kampfflugzeuge, die diesmal nicht unbedingt nötig sind, fielen der
Vertriebenenpräsidentin einfach so ein. Warum?
Da ist also auch so
eine, die sich - engagiert? wehmütig? - erinnert an unsere Stukas, die über
Warschau den Kampf gegen die polnische Zivilbevölkerung eröffneten. Die auch ins
Kalkül zieht, dass 1999 über Belgrad erstmals seit 1941 deutsche Kampfflugzeuge
dabei waren, um wieder einmal den Serben Respekt in Menschenrechtsfragen
beizubringen. Denn Erika Steinbach schrieb ihren Kampfflugzeug-Artikel kurz nach
unserem letzten Krieg, am 26. August 1999.
Und da will die
Präsidentin des Vertriebenenverbandes 60.000 Euro dafür, dass die in Warschau
lebende Gabriele Lesser aus dem Gedächtnis schrieb: "Heutzutage müsse man keine
Bomber mehr nach Polen schicken, um den Polen klar zu machen, was ›westliche
Werte‹ seien". Das habe Steinbach erklärt.
Hat sie nicht?
Verleumdung? Üble Nachrede? Sind Bomber keine Kampfflugzeuge? Sollten die von
der Vertriebenenpräsidentin vorsorglich angedachten Kampfflugzeuge sich nur
Luftkämpfe mit der polnischen Luftwaffe liefern - ohne auch nur, entgegen der
bewährten deutschen Tradition, eine einzige Bombe abzuwerfen? Ist es eine
Diffamierung "Menschenrechtsfragen" zu den "westlichen Werten" zu zählen?
Die 60.000 Euro
will Steinbach von der freien Journalistin allerdings nicht nur für lediglich
als Kampfflugzeuge gedachte Bomber haben. Es sind noch zwei weitere Wertungen
der Journalistin, die sie beanstandet. Einmal Lessers Behauptung, die
Friedensbotschaft der polnischen katholischen Bischöfe von 1965 sei bis heute
von den deutschen Vertriebenen unbeantwortet geblieben. Er habe doch
geantwortet, meint jetzt der Vertriebenenverband, doch das war, so sieht es
nicht nur Lesser, keine Antwort, sondern eine Selbstbestätigung, dass auch die
polnischen Bischöfe ein Vertreibungsunrecht einsähen.
Der dritte Satz,
für den Gabriele Lesser vor Gericht steht, lautet, dass das Projekt eines
"Zentrums gegen Vertreibungen" im Zusammenhang mit dem Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas entwickelt wurde. Das hat zwar alle Welt gedacht und
gesagt. Aber die Lesser soll dafür zahlen.
Wie vertrieben ist
die Präsidentin?
Erika Steinbach
klagt für den Bund der Vertriebenen und der für sie. Wie aber sieht es mit ihrer
Aktivlegitimation aus? Wie vertrieben ist eigentlich die Präsidentin des Bundes
der Vertriebenen?
Dass sie die
richtige Gesinnung hat, um diesem Bund vorzustehen, verträgt keine Zweifel. Vor
einem Jahr hielt sie im Marburger Rheinfrankenhaus einen "Burschenschaftlichen
Abend", einen Schulungsabend, ab zum Thema: "Warum Deutschland ein Zentrum gegen
Vertreibung braucht." Vertreibung. Den später nachgereichten salvatorischen
Plural "Vertreibungen" hatte sie hier nicht nötig. Erika Steinbach sprach am
richtigen Ort. Vor ihr hatten schon der bekennende SS-Mann ("Ich war dabei") und
ehemalige Vorsitzende der Republikaner, Franz Schönhuber, der NPD-Aktivist Horst
Mahler und der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann ihre Schulungsabende abgehalten.
Dass der
Steinbach-Abend Erfolg hatte, bewies im Herbst eine Expedition der
Burschenschaftler nach Wroclaw (Breslau) unter dem Kampfruf "Die Ostritter
kommen". Gleich darauf gab es mit Bbr. - Bundesbruder - Schüler die Schulung:
Kampf um Deutschland - Die Freikorpsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg - die
Todesschwadronen der (meist) späteren SS- und SA-Leute wurden hier als eine
frühe Friedenstruppe gewürdigt.
Gut also, die
Gesinnung ist richtig, wenn man in solchen Kreisen verkehrt. Aber was für eine
Art von Vertriebene ist die Vertriebenenpräsidentin denn eigentlich? Die
Süddeutsche Zeitung vermerkt im redaktionellen Vorspann zu Erika Steinbachs
Kampfflugzeug-Artikel zwar wahrheitsgemäß: "Sie stimmte gegen den
deutsch-polnischen Grenzvertrag und gegen die deutsch-tschechische
Versöhnungserklärung." Zuvor aber behauptet das Blatt, dass ihre "Familie am
Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat verlassen" musste. Erika Steinbachs
Eltern stammen nun allerdings aus Hanau und Bremen. Vertrieben wurden sie
zusammen mit der 1945 zweijährigen Erika aus dem polnischen Rumia, wo ihr Vater
als Besatzungssoldat seinen Wehrmachtsstandort hatte.
Wenn alle in solche
alte Heimat zurückkehren, die unter Hitler das "Generalgouvernement" besetzten
und ihre Nachkommen dazu, dann darf sich Polen bei seinem Beitritt zur EU auf
einiges gefasst machen.
Der Bund der Vertrieben aber könnte, wenn Erika Steinbach eines Tages nicht mehr
mag, ebenso gut einen der Söhne des Heidelberger SS-Hauptsturmführers
Hanns-Martin Schleyer, der 1945 samt Familie aus seiner arisierten Prager Villa
vertrieben wurde, zum Präsidenten aller Vertriebenen machen.