No Exit:
Schicksal Neonazi
Der Dokumentarfilm »No Exit« zeigt den erbärmlichen Alltag
von Neonazis und erweckt dabei allzu viel Verständnis für sie...
Robert Jackopp
Die Bewohner des Altersheims freuen sich über den
adrett gescheitelten Nico, der ihnen Heimatlieder vorsingt. Dass er ein Neonazi
ist, hat beim Einstellungsgespräch niemanden interessiert.
Sein Kamerad Bibi hat ein sehr schlichtes, auf
Gewalt basierendes Weltbild. »Wer austeilt, … muss auch einstecken können«,
stammelt er. Das ist noch einer seiner klügsten Sätze, und der wurde ihm in den
Mund gelegt. Meistens steht oder sitzt der 19jährige mit einer Bierpulle da, die
er stets fest im Griff hat, und stellt fortwährend seine Dummheit zur Schau.
Dass sein Oberstübchen eine zappendustere Dunkelkammer ist, fällt seinen Kumpels
jedoch nicht weiter auf, denn bei ihnen herrscht, was den Kopf betrifft, auch
größtenteils Windstille.
Bibi und seine Kameraden, zu denen auch Nico
und zwei Frauen gehören, sind »Nationalisten«. In Frankfurt/Oder, wo sie zuhause
sind, haben sie eine so genannte »freie Kameradschaft« gegründet. Dergleichen
tut man dort, wenn man sonst nichts zu tun und außer Deutschland nichts im Kopf
hat.
In dem Dokumentarfilm »No Exit«, in dem sie
vorgestellt werden, sehen wir etwas, das wir schon immer geahnt haben, aber
bisher lieber nicht so genau wissen wollten. Wir sehen junge Rechtsextremisten,
die zuhause Tennissocken und Filzpantoffeln tragen, in abstoßenden
Couchgarnituren sitzen und Heimatlieder singen. Und wenn sie nicht erst 20
wären, könnte man sie für die Karikatur ihrer eigenen Eltern oder Großeltern
halten.
Wir dürfen ihnen bei etwas zuschauen, das sie
eine »Schulung« nennen, und das geht so: Nico liest etwas von »kollektiver
Identität« vor. »Irgendwelche Fragen?«, sagt er dann, und die anderen schweigen
betreten und gucken ratlos, weil sie nichts kapiert haben. »Erklär’ dit do’ mal
in deine eigene Worte«, sagt Bibi. So eine Schulung ist anstrengend mit der
Zeit, deshalb gucken sie zur Weiterbildung lieber alte Nazi- oder
Wikingerspielfilme.
Wir schauen ihnen auch bei ihrer Unfähigkeit
zu, ein Transparent zu malen. Am Ende, als sie’s geschafft haben, steht darauf:
»Härte Strafen für Kinderschänder«. Denn der Platz hat offenbar nicht ganz
ausgereicht. Und wir sehen dabei zu, wie sie sich wie kleine, ungezogene Bengel
von einem beherzten Polizisten abkanzeln lassen.
Wir lernen auch Nicos Vater kennen, der seiner
Verwunderung darüber Ausdruck verleiht, dass sein Sohn »ein kleiner Nazi«
geworden ist, obwohl er selbst sich von der Rumänenmafia, »Negern« und
Drogendealern umstellt sieht, General Rommel verehrt und gelegentlich seinen
Sohn überbrüllt: »Wenn ich watt zu sagen hätt’, dann …«
Was wir sehen, sind Witzfiguren, die
unfreiwillig ein Trauerspiel geben und die man beinahe bedauern könnte, wenn es
sich nicht gerade um Nazis handelte.
Auf einer Nachtwanderung spricht einer der
Burschen davon, wie faszinierend Fackelzüge und Demonstrationen sind. »Dit sin’
Gefühle, dit kannste nich’ beschreiben«, sagt er. Doch, man kann sie
beschreiben: Es sind Gefühle, die bisweilen entstehen, wenn man seinem Verstand
Lebewohl gesagt hat. Momente, in denen einem innen drin ganz feierlich zumute
wird, weil man enorm zu Kitsch und Sentimentalität neigt, weil man es schön
findet, mitten in einem Haufen Gesinnungsgenossen zu stehen, irgendwo
dazuzugehören und in jedem Gegenüber sich selbst zu erblicken, und weil man sich
mit einer Fackel in der Hand nicht nur gleich als doppelt so wichtig empfindet,
sondern sich auch ein bisschen fühlt wie ein Kind vorm Weihnachtsbaum. Ja, da
singt die Seele, schweigt auch der Mund.
Schließlich stellt sich einer der Neonazibuben
kameragerecht vor dem Grab eines Wehrmachtssoldaten in Positur und beginnt, von
der Freiheit und vom Vaterland zu schwadronieren. Er rasselt die
handelsüblichen, halb auswendig gelernten Floskeln herunter und spricht von den
»Idealen«, für welche die deutschen Soldaten seinerzeit gekämpft hätten, bis er
überraschend gefragt wird, welche Ideale das denn gewesen seien. Da zögert er
und ist sichtlich ratlos. Die Frage war offenbar zu viel für ihn. Es vergeht
noch einige Zeit, in der er anscheinend angestrengt überlegt, während die Kamera
ihn weiter im Bild behält. »Hm … also … da bin ich jetzt erst mal überfragt …«,
sagt er dann ein wenig peinlich berührt.
Der Regisseurin Franziska Tenner gelingt es
bisweilen, die Nazitrottel in ihrer ganzen Armseligkeit und Erbärmlichkeit
vorzuführen und derart zu entmythisieren. Das allein aber scheint ihr nicht zu
reichen. Sie will uns auch, wie sie selbst anmerkt, mit dem Film »das Schicksal
einer ganzen Generation« in dieser Region vor Augen führen. Und da fängt das
Problem an. Für die Nazis, die sie ein Jahr lang gefilmt hat, hegt sie
mittlerweile ein diffuses Verständnis, denn dass diese, obwohl sie anfänglich
Geld für ihre Mitwirkung haben wollten, sie als eine Art Kumpel hinter der
Kamera wahrnehmen, hat zur Folge, dass auch die Regisseurin mit der Zeit die
Distanz zu ihren Objekten verliert.
Die von ihr porträtierten jungen
Rechtsextremisten, mit denen sie das Gespräch über Politik bewusst vermeidet,
»denn das kennt man ja alles schon«, hält sie dementsprechend für hilflose und
»orientierungslose« Heranwachsende, die die »Fähigkeit zur Kommunikation, auch
untereinander«, leider verloren hätten und um die sich vor allem jemand
»kümmern« müsse. Man kennt dieses Geschwätz vom Nazi als Opfer, dem es angeblich
an Nestwärme und Anerkennung mangele, bereits zu Genüge und mag es nicht mehr
hören.
Denn die Menschen, die die Filmemacherin uns
zeigt, sind, auch wenn der Film das mitunter suggerieren will, nicht nur
bemitleidenswerte Heim- oder Scheidungskinder, die einen Sinn suchen, sich nicht
artikulieren können und sich unbestimmt danach sehnen, irgendetwas zu fühlen,
was ihnen bisher verwehrt blieb, sondern sie sind auch rabiate, rechtsextreme
Schläger, die sofort und ohne Wimpernzucken den Nächstbesten, der ihnen nicht
passt, zusammenprügeln würden.
Als Bibi, der einmal einen jungen Mann halb tot
geschlagen hat, gefragt wird, ob er Reue empfinde, verneint er. Er würde es
wieder tun, sagt er und grinst.
»No Exit« (BRD 2003), Regie: Franziska Tenner. Bereits angelaufen
Jungle World
Jungle World Nummer 11 vom 03.03.2004
kt /
hagalil.com
/ 2004-03-03
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