Österreich:
FPÖ und SPÖ koalieren in Kärnten - Sozis für Haider
Es ist kein Aprilscherz. Am 1. April wird Jörg Haider
wieder zum Kärntner Landeshauptmann gewählt, und zwar mit Unterstützung der SPÖ,
die sich zwar nicht an Haiders Wahl beteiligen will, aber erstmals in der
österreichischen Geschichte mit seiner nationalreaktionären FPÖ eine Koalition
eingeht...
Hito Steyerl
In der konstituierenden Sitzung des Landtages wird die SPÖ die Wahl Haiders
durch Abwesenheit der Abgeordneten ermöglichen. Kurz vor der Abstimmung werden
die Sozialdemokraten das Plenum verlassen, damit Haider mit den Stimmen der FPÖ
die erforderliche Mehrheit erhält.
Mit diesem passiv-aggressiven Schachzug wird Kärnten blau-rot. Wurde schon
Haiders in dieser Höhe unerwarteter Wahlsieg als Sensation empfunden, so
verblüffte an dieser Nachricht eher die Schnelligkeit ihrer Bekanntgabe. Nur
zwölf Stunden benötigten die Kärntner FPÖ und das Verhandlungsteam der SPÖ unter
Spitzenkandidat Peter Ambrozy, um ihre Koalition zu schmieden. Dabei hatte
Ambrozy, wie im Übrigen auch die Spitzenkandidaten aller anderen Parteien, vor
der Wahl eine Unterstützung Haiders ausgeschlossen. Als Haiders Partei aber
keineswegs die erwarteten starken Verluste hinnehmen musste, sondern 42,4
Prozent der Stimmen erhielt und im Vergleich zur letzten Wahl noch ein halbes
Prozent zulegen konnte (Jungle World, 12/04), lautete die Frage nur noch, welche
Partei am schnellsten umfallen werde.
Die SPÖ und die ÖVP überboten sich schon seit der Wahlnacht in
Servilitätsgesten, wobei die der Konservativen nur dadurch gemindert wurden,
dass sie ohnehin nicht davon ausgingen, zur Koalition aufgefordert zu werden.
Gewissensqualen wegen eines Bündnises mit der nationalreaktionären Rechten
leidet aber auch der Spitzenkandidat der SPÖ nicht. Ambrozy weist schlicht
daraufhin, dass es in bestimmten Sachfragen schon bisher kaum Unterschiede
zwischen SPÖ und FPÖ gegeben habe. Diese trockene Einschätzung ist völlig
realistisch. Tatsächlich herrschen in Kärnten wenig Unterschiede zwischen den
großen Parteien. Sie buhlen traditionell um einen Wählerstamm, der zum größten
Teil entweder sozialreaktionär oder liberalreaktionär ist.
Es ist weiterhin gänzlich sinnlos, der Kärntner SPÖ Prinzipienlosigkeit
vorzuwerfen, denn diese hat sich als grundlegender Bestandteil, ja sogar als
Leitmotiv der österreichischen Innenpolitik herauskristallisiert. Opportunismus
ist die Kernaussage des Programms aller größeren Parteien und wird von
österreichischen Wählern in kaum vorstellbarem Ausmaß honoriert. Schon letztes
Jahr traf sich SPÖ-Parteichef Alfred Gusenbauer mit Haider zum seither
berüchtigten Spargelessen. Funktionäre der SPÖ deuteten immer wieder an, dass
die Ära der Ausgrenzung der FPÖ vorbei sei. Der ehemalige Innenminister Caspar
Einem, der von Haider als »Terroristenfreund« bezeichnet wurde, schätzt sogar
die FPÖ »auf einer Liebesskala gleich lieb wie die ÖVP«.
Bislang war der politische Flirt von Rot und Blau folgenlos geblieben, aber die
Ausgrenzung, die von der SPÖ gegen Haiders rechtsradikale Vorstellungen
betrieben wurde, nimmt schon seit Jahren ab. Auch wenn man Haider selbst nicht
wollte, wurde seine rassistische Ausländerpolitik umgehend integriert und
maßgeblich von sozialdemokratischen Innenministern realisiert.
Da ist es nur konsequent, wenn mit der Koalitionsbildung nun auch die letzte
Schamgrenze fällt, die bislang gegen Haiders antisemitische Ausfälle und
angeblich antiimperialistische Außenpolitik aufrechterhalten wurde.
Jungle World
Jungle World Nummer 13 vom 17.03.2004
kt /
hagalil.com
/ 2004-03-17
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