Bis zur letzten Minute« wollen die Neonazis in
Hamburg »gegen die Schandausstellung« demonstrieren. Für den 27. März plant das
Aktionsbüro Norddeutschland einen Aufmarsch als Abschluss ihrer Kampagne für den
»Ehrenschutz von Wehrmacht und Waffen-SS«. Einen Tag später schließt die
Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs
1941–1944« des Hamburger Instituts für Sozialforschung um Jan Philipp Reemtsma.
Mehr als 40 000 Besucher in über 40 Städten hatte sie in den vergangenen Jahren
angezogen.
Erneut lehnte die Hamburger Versammlungsbehörde
die von den Neonazis gewünschte Route des Aufmarsches ab. Kein Grund zur
Enttäuschung für die Söhne und Enkel, in deren Sicht »Vati und Opa« vollauf »in
Ordnung und keine Verbrecher« waren. Denn wieder können die Neonazis ihren
»Unmut über die Soldatenverleugnung« in der Nähe des Kulturzentrums in der
Jarrestadt kundtun.
Bereits bei der Eröffnung der Ausstellung
durften die Neonazis vor der »roten und multikulturell gesinnten Einrichtung«
auftreten. An die 1 200 Neonazis aus dem Netzwerk der Freien Kameradschaften
kamen am 31. Januar diesen Jahres zu dem Marsch. Während die Neonazis, angeführt
von Thorsten Heise und Thomas Wulff, relativ ungestört von der Polizei die
eigentlich per Auflage verbotene Parole »Ruhm und Ehre der Waffen-SS«
skandierten, lösten die Einsatzkräfte die Gegendemonstration gewaltsam auf.
Viele Schneebälle und vereinzelte Steine, die aus der über 5 000 Menschen
zählenden Demonstration unter dem Motto »Deutsche Täter sind keine Opfer«
geworfen wurden, genügten der Einsatzleitung, um mit Wasserwerfern und
Schlagstöcken gegen die Linken vorzugehen.
Inzwischen hat die Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Strafantrag gegen den
Neonazi Wulff wegen Volksverhetzung gestellt. Wegen »Strafvereitelung im Amt«
zeigte die VVN-BdA zudem Hamburgs ehemaligen Innensenator Dirk Nockemann von der
früheren Schill-Partei an, da er die Versammlung der Neonazis nicht habe
auflösen lassen. »Mit der Strafanzeige verbinden wir die Absicht, die
Voraussetzungen für ein Verbot des kommenden Naziaufmarsches zu schaffen«, sagt
die Sprecherin des VVN-BdA, Cornelia Kerth. Aber keine der Gruppen des
Gegenbündnisses verlässt sich auf die Justiz. Eine Gegendemonstration ist längst
angemeldet.
»Der gegen Kamerad Thomas Steiner Wulff
gestellte Strafantrag« sei juristisch »substanzlos«, vebreitet indes
siegessicher das von Tobias Thiessen und Thomas Wulff geleitete Aktionsbüro auf
seiner Website. Die Neonazis rechnen nicht mit einem Verbot des Aufmarsches.
Dessen Motto klingt selbstbewusst: »Reemtsma lügt - wir haben gesiegt.«
Zwar hat sich der Anmelder des Aufmarsches,
Christian Worch, mit Wulff und Thiessen über Fragen der rechten Strategie
zerstritten, doch das hindert die norddeutschen Neonaziführer nicht daran,
zusammen zu marschieren. Das Aktionsbüro sucht auch nicht mehr den offenen
Disput über den von Worch vorangetrieben »Demotourismus«. Stattdessen weiten die
Kameraden um Thiessen und Wulff die von ihnen präferierten Aktivitäten an der
Basis aus.
»Vor und während des Ausstellungszeitraums«
böten sich viele »Möglichkeiten, seinen Unmut kundzutun«, riet das Aktionsbüro
im Januar. Dem Aufruf folgten in den vergangenen Wochen Taten. Ganz getreu dem
Konzept, die Aktivisten an der Basis besser einzubinden, die Aktionen
ideologisch vorzubereiten, die regionale Struktur aufzubauen und sich lokal in
der Gesellschaft zu verankern, führten die Kameraden verschiedene Aktionen
durch.
Offenbar haben sie Spontiaktionen und die
Kleinkunst für sich entdeckt. In Hamburgs Innenstadt tauchte ein Neonazi als
Weihnachtsmann auf und rief: »Ho, ho, ho - Wer noch an mich glaubt, der glaubt
auch Reemtsmas Lügen.« Die Kameraden, die ihn begleiteten, verteilten
Flugblätter. Mit Gitarre und Noten trat ein Neonazi-Trio in der Bergedorfer
Fußgängerzone als »Straßenmusiker« auf und sang bekannte Soldatenlieder und
Lieder des Neonazibarden Frank Rennicke über das ewige Heimatland und den
tapferen Landser. Sie führten auch ein Straßentheater in der Fußgängerzone auf,
mit dem sie auf die »vielen nachweislich gefälschten Bilder in der
Schandausstellung« hinweisen wollten.
In der Wandsbeker Einkaufsstraße liefen sie mit
Esels- und Schafsmasken und Umhängeschildern herum, auf denen zu lesen war: »Ich
Esel glaub noch immer, dass alle Wehrmachtssoldaten Verbrecher waren.« Diese
Aktion erinnert an eine des verstorbenen Neonazianführers Michael Kühnen. Seine
Gesinnungsfreude trugen im Jahre 1978 auch Eselsmasken, nur der Slogan lautete
anders: »Ich Esel glaub noch, dass in deutschen KZs Juden vergast wurden.«
Kühnen und auch Worch wurden später u.a. wegen dieses Auftritts in Hamburg zu
Haftstrafen verurteilt.
Am 21. Februar dieses Jahres »besuchten« dann
40 Neonazis den Vortrag »Soldaten der Wehrmacht im Vernichtungskrieg« im
Institut für Sozialforschung. Kaum hatte der Historiker Christoph Rass vor den
insgesamt 70 Gästen zu reden begonnen, entrollten die Neonazis ein Transparent
mit der Aufschrift: »Reemtsma lügt - Wahrheit siegt.« Sie riefen: »Alles Lüge«
und bestimmten die anschließende Diskussion mit Anmerkungen wie: »Warum haben
sie nicht von Dresden geredet?« Als der Moderator die Veranstaltung schließlich
abbrach, skandierten sie »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« und warfen Konfetti.
Ein voller Erfolg sei der Auftritt am »Ort der
Schande« gewesen, verbreitete das Aktionsbüro später. Die Aktion, stinkende
Flüssigkeit in die Ausstellung zu kippen, erwähnte es nicht, ebenso wenig wie
die Versuche, einzelne Veranstaltungen, wie etwa die von Ralph Giordano, zu
stören. Die Kampagne gegen die Ausstellung dürfte die Neonaziszene im Norden
nachhaltig festigen. Noch selbstsicherer dürften sie am 27. März auftreten.
Allenfalls die Tatsache, dass Worch die »Abschlussdemonstration« verantwortet,
könnte einige Kameraden stören. Vielleicht tun das aber auch die Gegenaktionen.
Infos unter:
www.hamburg-gegen-nazis.de.vu
weiterer Artikel zum Thema:
Unsere Geschichte sehen lernen