Christus sells! In nur zwölf Tagen hat »Die Passion Christi« in Nordamerika
bereits rund 212 Millionen Dollar (fast 172 Millionen Euro) umgesetzt – rund das
Siebenfache der Kosten, die Produzent und Regisseur Mel Gibson zum großen Teil
aus eigener Tasche vorgeschossen hatte. Erste Erkenntnis also: Mel Gibson hat
Jesus erfolgreich aufs Kreuz gelegt. Zweite: Der Film ist als gesellschaftliches
Ereignis jetzt schon viel größer als die Summe der in ihm verteilten
Peitschenhiebe. Dritte: Religion ist immer noch Opium für das Volk und Gibson
momentan der größte Dealer.
Einer der Gründe für den immensen Erfolg ist sicherlich die von Gibson geschickt
genutzte Antisemitismusdebatte, die dem Film schon lange vor dem Kinostart die
nötige mediale Skandalpräsenz sicherte und an deren Ende der Actionstar seinem
Publikum die »Jesus Horror Picture Show« (Jüdische Allgemeine) als den Film
präsentieren konnte, von dem die Juden nicht wollen, dass die Welt ihn sieht.
Ganz dem Niveau seines »Meisterwerks« (Welt) verpflichtet, bezeichnet der
katholische Australier seine Kritiker als »Mächte des Satans«. Bei so viel
demonstrierter Glaubensstärke und religiöser Verblendung war es daraufhin ein
Leichtes, mit Hilfe von Fernsehpredigern und der religiösen Rechten die
christlichen Massen zum Kinogang zu mobilisieren, wurde ihnen dieser doch
zugleich als gelebtes Glaubensbekenntnis mitverkauft.
Das Leidensspektakel, das sich auf die Darstellung der letzten zwölf Stunden im
Leben Jesu beschränkt, offenbart sich denn auch als genauso nervtötend,
langweilig und humorfrei, wie man es von einem solchen Eventmovie der besonderen
Art erwartet hatte, im Nachhinein betrachtet wirkt es sogar noch eine Spur
dümmer und lächerlicher. Zwei Drittel des Streifens zeigen einen faden
Foltermarathon, dessen minutiös abgebildete Quälerei ebenso öde wie abstumpfend
wirkt. Dabei werden dem selbst ernannten Heiland (Jim Caviezel) von debil
grinsenden Römern mit der Neunschwänzigen Katze die Hautfetzen vom Leib
gerissen, bis dessen Torso nach einer zehnminütigen Peitschorgie aussieht wie
Hackfleisch, anschließend wird er weiter verprügelt und nach endlosem
Herumgestolpere auf dem Kreuzweg schlussendlich symbolträchtig gekreuzigt.
Das Ganze wird unter Einsatz von Zeitlupenbildern und plumpesten Schockeffekten
aus der Horrorfilm-Trickkiste so penetrant in Szene gesetzt, dass man dem
unfreiwillig grotesken Schauspiel das Erreichen einer neuen Dimension der
Lächerlichkeit attestieren kann. Fast erwartet man, dass Jesus am Ende wie der
Terminator verspricht: »I’ll be back!«
Auch bei den von den ikonografischen Malern des Mittelalters wie Caravaggio
inspirierten Motiven verwendet Gibson die üblichen Versatzstücke der gängigen
Special-Effect-Filme vom Slasher- bis zum Actionmovie in solch einem Übermaß,
dass seine sadomasochistischen Obessionen überdeutlich werden. Mehrere
amerikanische Rezensenten wiesen bereits auf die große Affinität des
Jesus-Streifens zu so genannten Snuff-Filmen hin, bei denen die Handlung
ebenfalls darin besteht, dass ein Mensch langsam zu Tode gefoltert wird. In
einem so von religiösem Wahn beseelten, kreuzdämlichen Werk darf ein bisschen
Satan nicht fehlen, natürlich dargestellt von einer Frau.
»Das Böse ist verlockend und anziehend«, erklärt uns Gibson offenherzig sein
mittelalterliches Weltbild. Eine weitere Herzensangelegenheit des homophoben
Machos dürfte sich durch den Erfolg des Sandalen-Schockers nun auch erfüllen,
nämlich das amerikanische Kuschelimage von Jesus als gütig lächelndem Bartträger
zu ändern. Dass der komplette Film nur in den toten Sprachen Latein und
Aramäisch gedreht wurde, soll sicher dazu dienen, Authentizität vorzugaukeln.
Authentisch ist der Film freilich nur in der Reproduktion des Antisemitismus der
Evangelien des Neuen Testaments, und natürlich übernimmt er auch die historisch
falsche Darstellung eines milden Pontius Pilatus, der in Wirklichkeit derart
brutal herrschte, dass selbst Rom ihn mehrmals verwarnte.
Wenn das Ganze auch noch von einem Regisseur verfilmt wird, der einer
erzreaktionären katholischen Sekte angehört, die das zweite vatikanische Konzil
ablehnt, und dessen Vater den Holocaust leugnet – Gibson bemerkt dazu in einem
Reader’s Digest-Interview lapidar: »Mein Vater hat noch nie gelogen« – ist die
Intention klar. Der im Fahrwasser von »A Fistful of Nails« (New York Times)
allseits hervorragend gedeihende religiöse Irrsinn manifestiert sich momentan in
den USA unter anderem auf der von Gibson extra eingerichteten Webseite
www.mylifeafter.com. Im Forum berichten Eltern, die sonst gegen jede Art von
Gewalt- oder Sexfilm plakateschwenkend vorm Kino demonstrieren würden, mit
Begeisterung, wie sie ihre Kinder in einen Film schleppen, der vom New Yorker
als »Übelkeit erregender Todestrip« bezeichnet wurde.
»Ich habe meinen Zwölfjährigen in den Film begleitet«, erklärte einer etwa,
»gut, am Anfang war er sehr verstört über die brutalen Bilder, aber am Ende war
dann doch seine Liebe zu Jesus stärker!« Seitenweise berichten Zuschauer dort
auch von »seltsamen körperlichen Wahrnehmungen«, die sie während der Vorführung
ereilten. Die meisten verspürten »ein komisches Gefühl im Magen«, und anstatt
auf die Idee zu kommen, dass es sich wohl wahrscheinlich nur um eine angesichts
der blutigen Szenen stinknormale Übelkeit handelte, war man sich ganz sicher:
»Das ist ein Zeichen für die Anwesenheit des Heiligen Geistes!«
Aber immerhin kann man diesem dumpfen, pathologischen Film nicht unbedingt
absprechen, dass er dem wahren Christentum mit seiner zweitausendjährigen
Blutspur gerecht würde. Er zeigt das wahre Gesicht einer Religion, die
Nächstenliebe hauptsächlich mit dem Schwert predigte und deren geschichtliche
Ruhmestaten unter anderem Kreuzzüge, Inquisition, Cortez und Co.,
Hexenverbrennungen und die Rattenlinie umfassen. Die im Christentum propagierten
sozialen Prinzipien waren hauptsächlich als Verheißung für die verelendeten
Massen gedacht, die man trotz der frohen Botschaft Christi weiterhin mit der
üblichen Mischung aus Angstmache (Fegefeuer) und Heilsversprechen (Paradies)
fast zweitausend Jahre lang einfach zu unterdrücken wusste.
Gerade der von Gibson praktizierte düstere Schuld-und-Sühne-Katholizismus mit
seiner Forschritts- und Menschenfeindlichkeit war und ist eine gut
funktionierende Herrschaftsideologie, die es der Kirche jahrhundertelang
erlaubte, jede Schreckensherrschaft zu legitimieren, solange ihre eigene Macht
dadurch weiter gesichert wurde.
Aber vielleicht sollte man einfach nur der christlichen Logik vertrauen, dass
aus allem Schlechten auch Gutes entstehen kann und wie vor über einem
Vierteljahrhundert auch diesmal wieder aus einem Jesusfilm etwas Positives
erwächst.
Damals stolperten Teile der Monthy-Python-Mannschaft in Italien eher zufällig
über die übriggebliebenen Gipstempel eines Zeffirellischinkens, erwarben diese
billig und lieferten anschließend mit »Life of Brian« die bisher einzig
gelungene Adaption der notorischen Nagelsaga.
»Die Passion Christi« (USA 2004). Regie: Mel Gibson; Darsteller: Jim Caviezel,
Maia Morgenstern, Monica Bellucci. Filmstart: 18. März