Mel Gibsons Jesus-Film:
Das Einschlagen der Nägel
Kreuzigung mit Special Effects - und mehr als nur ein Hauch
Kulturkampf in den USA...
Konrad Ege
In den USA ist Mel
Gibsons The Passion of the Christ angelaufen, ein Film in aramäischer und
lateinischer Sprache (mit Untertiteln) über die letzten zwölf Stunden im Leben
von Jesus Christus. Sicherlich einer der brutalsten Filme in der Geschichte des
Kinos. Zwei Stunden lang Folter, zerfetzte Haut und Blut. "Fast pornografisch"
seien die Gewaltdarstellungen, schrieb das Fachblatt Hollywood Reporter.
Manchmal weiß Gibson nicht, wann er aufhören sollte: Bei der Geißelung spritzt
und tropft das Blut eine Viertelstunde lang. Das Hämmern der Nägel in Jesu
Hände, das Hängen des geschundenen Körpers und die Zertrümmerung der Beine der
mit Jesus Gekreuzigten reichen nicht: Es müssen auch noch Vögel auf den Kreuzen
landen und in die noch lebenden Opfer hacken.
In seinen ersten
fünf Tagen in rund 3.000 Kinos hat The Passion ... in den USA 117,5 Millionen
Dollar eingespielt, fast so viel wie The Lord of the Rings: The Return of the
King in seinen ersten fünf Tagen. Kirchengemeinden mieteten ganze Kinos, alles
in der Hoffnung, der Film werde die Zuschauer näher zum Christentum bringen.
Denn - so der christliche Glaube - das Leiden des Christus habe die sündige
Menschheit erlöst. Und das könne man viel besser verstehen, wenn man das Ausmaß
des Leidens selber sehe. Das Phänomen des Filmes sagt viel über die Zustände in
den USA, einer Nation, in der 30 bis 40 Prozent sonntags in die Kirche gehen,
und in der die meisten nur einen Präsidenten wählen würden, der an Gott -
gemeint ist der des Christentums - glaubt. Der Pressesprecher des Weißen Hauses
versicherte, Präsident Bush wolle den Film sehen. Der greise Prediger-Urvater
Billy Graham hat den Film gelobt. Die konservative Christian Coalition wirbt mit
einem - verglichen mit dem Film - eher zahmen Trailer auf ihrer Webseite
(www.cc.org).
Gibsons
Grassroots-Marketing-Kampagne war beispielhaft. Er ließ den Film schon Wochen
vor der Eröffnung Tausenden evangelikalen Pastoren vorführen, die ihn allgemein
lobten, und entfachte eine Schlagzeilen machende Kontroverse darüber, ob der
Film wegen seiner Darstellung "der Juden" als Feinde Jesu antisemitisch sei.
Gibsons Vater erklärte, der Holocaust habe nicht stattgefunden; der Sohn wollte
sich nicht vom Vater distanzieren.
The Passion of the
Christ ist ein Stück Kulturkampf. "Evangelikale" - das sind Christen, die die
Bibel wörtlich nehmen und an die Notwendigkeit glauben, ihren Glauben verbreiten
zu müssen - fühlen sich bedrängt in den USA. Obwohl konservative Evangelikale
(trotz landläufiger Stereotypen stehen nicht alle rechts) heute wohl mehr
politische Macht haben als jemals zuvor, werden sie von kulturellen Gegentrends
überschwemmt. Janet Jackson zeigte ihren linken Busen (oder war es der rechte?),
Pornografie tobt im Internet, Gewalt und Sex im Fernsehen, Konsum ist Religion:
Der von den konservativen Christen geradezu als biblisch gelobte Kapitalismus
hat Konsequenzen, die von den Männern und Frauen mit der Bibel nicht
kontrolliert werden können. Und da kommt der Oscar-Preisträger Mel Gibson -
bizarrer Weise selber kein Evangelikaler, sondern ein Anhänger einer sehr weit
rechts stehenden katholischen Gruppierung, nach der nur Katholiken in den Himmel
kommen. Und macht einen Film, der implizit die Alleinseligmachung des
Christentums proklamiert und explizit Jesu radikale Botschaft auf sein Leiden
reduziert, das alle erlöse, die an ihn glauben. Es fehlt in The Passion der
Kontext zum gefolterten und gekreuzigten Jesus und eine Antwort darauf, warum
dieser Mann aus Nazareth (Gibsons Jesus sieht freilich sehr weiß und
mitteleuropäisch aus) für die römischen Besatzer und die im religiösen Bereich
Mächtigen gefährlich war.
Jesus versprach ein
neues "Königreich auf Erden"; er warf die Geldwechsler aus dem Tempel und
verkündete die radikale Botschaft von der Gleichwertigkeit aller Menschen.
Gibsons Film passt in ein Amerika, in dem kaum hoffnungsvolle Visionen für eine
solidarische Zukunft heranwachsen, sondern betont wird, "das Andere" sei zu
bekämpfen, und sei es im Krieg gegen den Terrorismus. Ist The Passion of the
Christ (der Streifen kommt in der Karwoche in die deutschen Kinos)
antisemitisch? Der Film entstellt die Geschichte: Eine Meute von Juden mag Jesu
Kreuzigung gefordert haben. Todesurteile fällen konnte aber nur der römische
Statthalter Pontius Pilatus. Bei Gibson ist Pilatus ein nachdenklicher
Politiker, der nur widerwillig das Todesurteil fällt. In Wirklichkeit waren
Kreuzigungen Routine unter seiner Herrschaft: Der Mann hat Tausende so
hinrichten lassen. Und Gibson "übersieht", dass die Evangelien, auf denen der
Film angeblich basiert, Jahrzehnte nach dem Tod Jesu geschrieben wurden, als die
neue Sekte der Christen im spirituellen Clinch lag mit dem traditionellen
Judentum, und gleichzeitig Gründe hatte, das herrschende Rom nicht allzu hart
anzugreifen. Mel Gibson lässt sich von derartigen "Feinheiten" nicht aus dem
Konzept bringen. Nach dem Konzept, dass "die Juden" für die Kreuzigung
verantwortlich seien, wurden im Mittelalter Pogrome verübt.
Auf Kritik hin entfernte Gibson angeblich den Ausspruch des jüdischen Volkes aus
dem Matthäus-Evangelium "Sein Blut komme über uns und unsre Kinder". Entfernt
wurde aber nur der Untertitel. Bei der weltweiten Verbreitung des Filmes kann
man wohl nicht alle Verteiler daran hindern, den Spruch wieder einzufügen.
Jüdische Proteste, dass der Film antisemitische Vorurteile stärke, werden von
Gibson und seinen Freunden zurückgewiesen. Die Dynamik - hier die Beschwerde
führenden Juden, dort die Christen - hat in den USA ein ungesundes Eigenleben
angenommen. Dabei sollte die Debatte über den Film besonders im Christentum
stattfinden, Christen sollten sich beschweren, die einen anderen Jesus kennen
als den des Mel Gibson.
Der Freitag
Der Freitag Nummer 11 vom 05.03.2004
kt /
hagalil.com
/ 2004-03-05
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