Der nicht
genehmigten Ein-Mann-Demonstration vor dem Palast von Präsident Alexander
Lukaschenko machte die herbeigeeilte Miliz Mitte Januar in der weißrussischen
Hauptstadt Minsk ein schnelles Ende. "Stoppt die Zerstörung von Synagogen,
Friedhöfen und Monumenten", war auf dem Transparent zu lesen, mit dem Jakaw
Gutman, der Präsident des Weltverbands der weißrussischen Juden, auf den
wachsenden Antisemitismus in seinem Heimatland aufmerksam machte. Nach seiner
Verhaftung kündigte er einen Hungerstreik als Protest gegen die seiner Meinung
nach staatlich sanktionierte "Politik des schleichenden Antisemitismus" an.
Mit mehr als einer
Million Juden beherbergte Weißrussland unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg
eine der größten jüdischen Gemeinschaften des Kontinents. Vier von fünf
weißrussischen Juden starben in den deutschen Vernichtungslagern.
Die Zahl der Juden
in dem 1991 selbstständig gewordenen Land ist im vergangenen Jahrzehnt durch die
anhaltende Auswanderung auf wenige zehntausend geschrumpft. Öffentlich hat der
diktatorisch regierende Lukaschenko zwar keine antisemitischen Äußerungen
verlauten lassen. Doch selbst Juden, die auf Distanz zur Protestaktion des
umtriebigen Gutman gehen, zeigen sich besorgt über die Tatenlosigkeit der
Behörden angesichts der zunehmenden Zahl antisemitischer Schmierereien, der
Verwahrlosung und Zerstörung jüdischer Monumente.
Mehrere jüdische
Friedhöfe wurden in den vergangenen Jahren verwüstet, selbst die Gedenkstätte
für die jüdischen Opfer des Holocaust im einstigen Ghetto von Minsk wurde im
vergangen Mai mit Hakenkreuzen beschmiert. Den Abriss ehemaliger Synagogen
werten viele Juden ebenso als Indiz für die judenfeindliche Ausrichtung
staatlicher Stellen wie den offenen Antisemitismus einiger staatlicher
Publikationen wie der Jugendzeitung Das Banner der Jugend, der Zeitung
Persönlichkeit oder der Slawische Sturmglocke. Würden sie vom Lukaschenko-Regime
nicht geduldet, wären sie zumindest aus den staatlichen Druckereien verbannt
worden, wirft der Publizist Siemion Bukchyn dem Staat vor. Damit bereite er
zumindest indirekt den Boden für "Propaganda, die früher oder später zum Pogrom
führt".
Wurden die damals
als "Zionisten" geschmähten Juden bereits zu Sowjetzeiten gerne für
gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht, machen der alternden
jüdischen Gemeinschaft heute nicht nur die tief sitzenden Vorbehalte ihrer
Landsleute zu schaffen, sondern auch die Gleichgültigkeit der Behörden gegenüber
ihren Kulturgütern und Gedenkstätten: In Rahachow ist der jüdische Friedhof zu
einem Bolzplatz umfunktioniert worden, in Grodno wurden jüdische Gebeine auf
einer Abraumhalde "entsorgt". Auf der Gedenkstätte für den jüdischen
Massenselbstmord 1941 in Mozyr, die erst 2001 vom Kulturministerium unter
Denkmalschutz gestellt wurde, wird eine Gaspipeline angelegt.
Er sei "kein Antisemit", aber Weißrussen hätten im Krieg genauso gelitten wie
die Juden - der Parlamentsabgeordnete Sergej Kostjan wirft den protestierenden
Juden gar vor, "ethnische Zwietracht" zu säen. "Sollen wir nur wegen der Juden
die Stadt ohne Gas lassen ?"