Bald werden die
Ausstellungsmaterialien ihren letzten Weg ins Bundesarchiv antreten. Nach acht
Jahren im Scheinwerferlicht öffentlicher Auseinandersetzung, nach
vorübergehender Schließung, Auswechslung des Ensembles, Neukonzeption und
Wiedereröffnung neigt sich die Inszenierung "Verbrechen der Wehrmacht,
Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941-44" ihrem Ende zu. Was
Publikumsbeteiligung wie politische Aufmerksamkeit anlangt, ein Riesenerfolg.
Nun wird die Ausstellung selbst zum Gegenstand der Zeitgeschichtsschreibung.
Können wir schon jetzt bilanzieren?
Was den Kern der
Auseinandersetzung angeht, die Frage, ob die deutsche Wehrmacht integraler
Bestandteil der nazistischen Völkermordmaschine war, so hat sich in der
öffentlichen Meinung die Antwort der Wehrmachtsausstellung durchgesetzt. Die
Schulklasse der 15-Jährigen, die ich vor wenigen Tagen auf dem Rundgang durch
die Ausstellung begleitete, bohrte nicht mehr in dieser Wunde. Für sie war die
Sache klar. Handlungsalternativen?
Aber hinter dem
breiten Konsens, den die Ausstellung in ihrer zweiten Fassung schließlich
erreichte, lauert eine Gefahr. Wenn es heute als selbstverständlich gilt, dass
die Wehrmacht am Massenmord beteiligt war, dann ist es leicht, alle diese
Beteiligten als ein letztlich unbegreifliches Kollektiv zu bestimmen, das durch
einen zivilisatorischen Abgrund von uns getrennt ist. Die Ausstellungsmacher der
zweiten Fassung haben sich Mühe gegeben, diesem Prozess der Abspaltung vor allem
dadurch entgegenzutreten, dass sie ein neues Kriterium, das der
Handlungsalternativen, in die Argumentation der Ausstellung einfügten.
Sie versuchten,
situativ zu argumentieren, zu differenzieren. Ulrike Jureit, Leiterin der
zweiten Ausstellung, bündelt es so: "Das Bild des deutschen Soldaten als Opfer
des Krieges war und ist ebenso falsch wie das des skrupellosen Mörders."
Dieser Satz enthält
eine polemische Zuspitzung gegen Hannes Heer und die Mitarbeiter der ersten
Wehrmachtsausstellung, denen vorgeworfen wird, die Beteiligung der Wehrmacht in
toto verurteilend vorausgesetzt zu haben, statt sie im Einzelfall zu
untersuchen. Dieser Vorwurf ist sicher nicht von der Hand zu weisen, nimmt aber
die zentrale Absicht der ursprünglichen Ausstellungsmacher nicht ernst.
Ihnen kam es darauf
an, das jähe Erschrecken zu provozierten, das einen befällt, wenn man "Ganz
normale Männer" (Christopher Browning) in Uniform auf den Fotos als mitleidlose,
wenn nicht gar triumphierende Zeugen, Helfer oder Mittäter des Mordens
identifiziert. Natürlich war die Rede von der "Vernichtungsmentalität" der
Soldaten an der Ostfront pauschal. Aber hierdurch war ein Effekt angezielt, der
zwischen der damaligen Abstumpfung und unseren heutigen Reaktionen eine Brücke
schlägt. Auch wir sind "ganz normal" - den gewohnten Gang der Dinge
vorausgesetzt.
Die
Wehrmachtsausstellung stellt sich in der Rückschau als wichtiges Glied einer
Ereigniskette der Neunzigerjahre dar, einer turbulenten Abfolge von Debatten
über den Stellenwert des NS-Regimes und die richtige Weise, es zu
vergegenwärtigen. Das vereinte Deutschland verlässt den abgesicherten
Ordnungsrahmen, den die Ost-West-Konfrontation für die
"Vergangenheitsbewältigung" bot. Es beginnt, zuerst ganz nah bei uns, in
Jugoslawien, das Massensterben.
Der Holocaust wird
für die Beteiligung an militärischen Interventionen instrumentalisiert. Und die
"Einzigartigkeit" des deutschen Verbrechens unter dem NS-Regime droht zu
verschwimmen. Wie ist in diesem Zusammenhang die Insistenz der zweiten, neu
konzipierten Wehrmachtsausstellung auf genauer Einordnung und Kontextualisierung
zu interpretieren? Entschärft die Textmenge die Kraft der Aussage, wird die
Tendenz zu einer Art von Historisierung befördert, die einebnet und wo aller
Schrecken gleich wird im Jahrhundert der Barbarei?
Eine solche
Interpretation ist untriftig. Denn Historisierung ist nicht identisch mit der
Tilgung der quälenden Frage, warum Hitler und sein Programm in Deutschland bis
zum bitteren Ende erfolgreich war: sieht ganz so aus, als ob sich diese Fragen
auch für nächste Generationen stellen werden, womöglich verschärft durch den
Zeitabstand.
Das kollektive
Gedächtnis ist eben nicht beliebig manipulierbar, wenn es um Fragen solcher
Tragweite geht. Die erste wie die zweite Wehrmachtsausstellung stellt auch
künftig Material für eine Antwort auf diese Fragen bereit - um zu "verstehen".
Die innovative Kraft
des Hamburger Unternehmens beruht aber nicht in erster Linie auf der
Aufbereitung historischer Materialien fürs Publikum. Die achtjährige Geschichte
der Ausstellung zeigt vielmehr einen bislang einzigartigen Prozess der
Auseinandersetzung um die Bedeutung dieses Materials, in erster Linie um die
dort präsentierten Fotografien. Es geht um die Geschichte eines Lernprozesses.
Im Umgang mit
Fotografien erwiesen sich bislang die Historiker eher als ignorant. Sie
verwenden die Fotos meist zur Illustration ihrer Texte, achteten nicht auf
Autorschaft, auf Provenienz der Bilder. Die Beschriftung erwies sich - übrigens
quer durch die deutsche Museumslandschaft - häufig als fehlerhaft. Auf die Kunst
der Ikonografie, die eine genaue Interpretation dessen, was auf den Fotos zu
sehen ist, ebenso umfasst wie die Stilisierung und die Auswahl des Blickwinkels,
verstanden sich die Historiker meist recht wenig. Erst recht nicht auf die
sozialen und politischen Mechanismen, in die der Fotograf bei der Produktion
unter den Bedingungen des Nazismus eingebunden war.
Gemessen an dieser
allgemeinen Misere verfuhren Hannes Heer und seine Freunde umsichtig. Sie
begingen aber zwei Fehler. Sie verwendeten Privatfotografien der knipsenden
Landser quasi als Indizien, häufig aber ohne den Fotografen und den Ort des
Geschehens eindeutig bestimmen zu können. Sie maßen den Privatfotos auch per se
einen höheren Authentizitätswert bei als den Fotografien aus der Hand der
offiziellen Fotografen in den Propagandakompanien. Zweitens ließen die
Ausstellungsmacher eine Reihe von osteuropäischen Archiven außen vor und
unterließen es, genauer der Frage nachzugehen, welche der abgebildeten
Verbrechen auf das Konto der sowjetischen, welche auf das der deutschen Seite
gingen. Ihr ideologisches Ressentiment führte zu Fehlern in der Beschriftung der
Bilder. Ein Mehrwert, der bleibt
Das Institut für
Sozialforschung entschloss sich angesichts von massiven Fälschervorwürfen, die
Ausstellung neu zu konzipieren. Das alles ist gut bekannt und kommentiert.
Weniger bekannt ist, dass das Institut gleichzeitig eine Grundsatzdebatte über
die Bedeutung der Fotos als historische Quelle lostrat. Das war neu. Das
Institut lud bisher ungehörte Spezialisten, vor allem Fotohistoriker zur
Mitarbeit ein.
Über das Verhältnis
von Privatfotos zu denen der Propagandakompanien ist seither in den Medien ein
ebenso heftiger Streit entbrannt wie über die Frage, ob sich die zweite
Wehrmachtsausstellung unbewusst bei der Auswahl der Fotos in den Bann der
offiziellen Nazifotografie begeben hat und deren Wirkung verdoppelt. Sie hatten
aber auch zum Ergebnis, dass Fotos für sich genommen nichts beweisen, dass sich
ihre Bedeutung erst im Zusammenhang weiterer Texte und Aussagen erschließt.
Diese Debatte und ihre bisherigen Ergebnisse haben uns gelehrt, wie man hinsehen
muss, um tatsächlich etwas zu sehen. Ein Mehrwert an kritischem Bewusstsein, der
bleiben wird, wenn die Fotos im Bundesarchiv längst vergilbt sein werden.