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Wehrmachtsausstellung:
Unsere Geschichte sehen lernen

Die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" nähert sich ihrem triumphalen Ende, noch bis Ende März wird sie in der Hamburger Kampnagelfabrik zu begutachten sein. Ende März wandert sie schließlich ins Depot des Bundesarchivs. Aber die Kontroversen bleiben. Und das ist ihr größtes Verdienst...

Christian Semler

Bald werden die Ausstellungsmaterialien ihren letzten Weg ins Bundesarchiv antreten. Nach acht Jahren im Scheinwerferlicht öffentlicher Auseinandersetzung, nach vorübergehender Schließung, Auswechslung des Ensembles, Neukonzeption und Wiedereröffnung neigt sich die Inszenierung "Verbrechen der Wehrmacht, Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941-44" ihrem Ende zu. Was Publikumsbeteiligung wie politische Aufmerksamkeit anlangt, ein Riesenerfolg. Nun wird die Ausstellung selbst zum Gegenstand der Zeitgeschichtsschreibung. Können wir schon jetzt bilanzieren?

 

Was den Kern der Auseinandersetzung angeht, die Frage, ob die deutsche Wehrmacht integraler Bestandteil der nazistischen Völkermordmaschine war, so hat sich in der öffentlichen Meinung die Antwort der Wehrmachtsausstellung durchgesetzt. Die Schulklasse der 15-Jährigen, die ich vor wenigen Tagen auf dem Rundgang durch die Ausstellung begleitete, bohrte nicht mehr in dieser Wunde. Für sie war die Sache klar. Handlungsalternativen?

 

Aber hinter dem breiten Konsens, den die Ausstellung in ihrer zweiten Fassung schließlich erreichte, lauert eine Gefahr. Wenn es heute als selbstverständlich gilt, dass die Wehrmacht am Massenmord beteiligt war, dann ist es leicht, alle diese Beteiligten als ein letztlich unbegreifliches Kollektiv zu bestimmen, das durch einen zivilisatorischen Abgrund von uns getrennt ist. Die Ausstellungsmacher der zweiten Fassung haben sich Mühe gegeben, diesem Prozess der Abspaltung vor allem dadurch entgegenzutreten, dass sie ein neues Kriterium, das der Handlungsalternativen, in die Argumentation der Ausstellung einfügten.

 

Sie versuchten, situativ zu argumentieren, zu differenzieren. Ulrike Jureit, Leiterin der zweiten Ausstellung, bündelt es so: "Das Bild des deutschen Soldaten als Opfer des Krieges war und ist ebenso falsch wie das des skrupellosen Mörders."

 

Dieser Satz enthält eine polemische Zuspitzung gegen Hannes Heer und die Mitarbeiter der ersten Wehrmachtsausstellung, denen vorgeworfen wird, die Beteiligung der Wehrmacht in toto verurteilend vorausgesetzt zu haben, statt sie im Einzelfall zu untersuchen. Dieser Vorwurf ist sicher nicht von der Hand zu weisen, nimmt aber die zentrale Absicht der ursprünglichen Ausstellungsmacher nicht ernst.

 

Ihnen kam es darauf an, das jähe Erschrecken zu provozierten, das einen befällt, wenn man "Ganz normale Männer" (Christopher Browning) in Uniform auf den Fotos als mitleidlose, wenn nicht gar triumphierende Zeugen, Helfer oder Mittäter des Mordens identifiziert. Natürlich war die Rede von der "Vernichtungsmentalität" der Soldaten an der Ostfront pauschal. Aber hierdurch war ein Effekt angezielt, der zwischen der damaligen Abstumpfung und unseren heutigen Reaktionen eine Brücke schlägt. Auch wir sind "ganz normal" - den gewohnten Gang der Dinge vorausgesetzt.

 

Die Wehrmachtsausstellung stellt sich in der Rückschau als wichtiges Glied einer Ereigniskette der Neunzigerjahre dar, einer turbulenten Abfolge von Debatten über den Stellenwert des NS-Regimes und die richtige Weise, es zu vergegenwärtigen. Das vereinte Deutschland verlässt den abgesicherten Ordnungsrahmen, den die Ost-West-Konfrontation für die "Vergangenheitsbewältigung" bot. Es beginnt, zuerst ganz nah bei uns, in Jugoslawien, das Massensterben.

 

Der Holocaust wird für die Beteiligung an militärischen Interventionen instrumentalisiert. Und die "Einzigartigkeit" des deutschen Verbrechens unter dem NS-Regime droht zu verschwimmen. Wie ist in diesem Zusammenhang die Insistenz der zweiten, neu konzipierten Wehrmachtsausstellung auf genauer Einordnung und Kontextualisierung zu interpretieren? Entschärft die Textmenge die Kraft der Aussage, wird die Tendenz zu einer Art von Historisierung befördert, die einebnet und wo aller Schrecken gleich wird im Jahrhundert der Barbarei?

 

Eine solche Interpretation ist untriftig. Denn Historisierung ist nicht identisch mit der Tilgung der quälenden Frage, warum Hitler und sein Programm in Deutschland bis zum bitteren Ende erfolgreich war: sieht ganz so aus, als ob sich diese Fragen auch für nächste Generationen stellen werden, womöglich verschärft durch den Zeitabstand.

 

Das kollektive Gedächtnis ist eben nicht beliebig manipulierbar, wenn es um Fragen solcher Tragweite geht. Die erste wie die zweite Wehrmachtsausstellung stellt auch künftig Material für eine Antwort auf diese Fragen bereit - um zu "verstehen".

 

Die innovative Kraft des Hamburger Unternehmens beruht aber nicht in erster Linie auf der Aufbereitung historischer Materialien fürs Publikum. Die achtjährige Geschichte der Ausstellung zeigt vielmehr einen bislang einzigartigen Prozess der Auseinandersetzung um die Bedeutung dieses Materials, in erster Linie um die dort präsentierten Fotografien. Es geht um die Geschichte eines Lernprozesses.

 

Im Umgang mit Fotografien erwiesen sich bislang die Historiker eher als ignorant. Sie verwenden die Fotos meist zur Illustration ihrer Texte, achteten nicht auf Autorschaft, auf Provenienz der Bilder. Die Beschriftung erwies sich - übrigens quer durch die deutsche Museumslandschaft - häufig als fehlerhaft. Auf die Kunst der Ikonografie, die eine genaue Interpretation dessen, was auf den Fotos zu sehen ist, ebenso umfasst wie die Stilisierung und die Auswahl des Blickwinkels, verstanden sich die Historiker meist recht wenig. Erst recht nicht auf die sozialen und politischen Mechanismen, in die der Fotograf bei der Produktion unter den Bedingungen des Nazismus eingebunden war.

 

Gemessen an dieser allgemeinen Misere verfuhren Hannes Heer und seine Freunde umsichtig. Sie begingen aber zwei Fehler. Sie verwendeten Privatfotografien der knipsenden Landser quasi als Indizien, häufig aber ohne den Fotografen und den Ort des Geschehens eindeutig bestimmen zu können. Sie maßen den Privatfotos auch per se einen höheren Authentizitätswert bei als den Fotografien aus der Hand der offiziellen Fotografen in den Propagandakompanien. Zweitens ließen die Ausstellungsmacher eine Reihe von osteuropäischen Archiven außen vor und unterließen es, genauer der Frage nachzugehen, welche der abgebildeten Verbrechen auf das Konto der sowjetischen, welche auf das der deutschen Seite gingen. Ihr ideologisches Ressentiment führte zu Fehlern in der Beschriftung der Bilder. Ein Mehrwert, der bleibt

 

Das Institut für Sozialforschung entschloss sich angesichts von massiven Fälschervorwürfen, die Ausstellung neu zu konzipieren. Das alles ist gut bekannt und kommentiert. Weniger bekannt ist, dass das Institut gleichzeitig eine Grundsatzdebatte über die Bedeutung der Fotos als historische Quelle lostrat. Das war neu. Das Institut lud bisher ungehörte Spezialisten, vor allem Fotohistoriker zur Mitarbeit ein.

 

Über das Verhältnis von Privatfotos zu denen der Propagandakompanien ist seither in den Medien ein ebenso heftiger Streit entbrannt wie über die Frage, ob sich die zweite Wehrmachtsausstellung unbewusst bei der Auswahl der Fotos in den Bann der offiziellen Nazifotografie begeben hat und deren Wirkung verdoppelt. Sie hatten aber auch zum Ergebnis, dass Fotos für sich genommen nichts beweisen, dass sich ihre Bedeutung erst im Zusammenhang weiterer Texte und Aussagen erschließt.

 

Diese Debatte und ihre bisherigen Ergebnisse haben uns gelehrt, wie man hinsehen muss, um tatsächlich etwas zu sehen. Ein Mehrwert an kritischem Bewusstsein, der bleiben wird, wenn die Fotos im Bundesarchiv längst vergilbt sein werden.

die tageszeitung
taz - die tageszeitung vom 27.02.2004

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kt / hagalil.com / 2004-02-27

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