Der
Mann mit dem putzigen Wildschwein am Barett heißt Georg Schmitz. Was klassisch
rheinisch klingt, es aber nicht ist. Der 45-Jährige ist bei den belgischen
Ardennenjägern im Range eines "1. Sergeant Chef". Seit zehn Jahren gehört der
Hauptfeldwebel zur "großen Familie der Vogelsänger, wie wir uns hier oben
nennen". Heute gibt Berufssoldat Schmitz den Fremdenführer.
Fremdenführer eines sehr besonderen Ortes: Camp Vogelsang, Nazi-Ordensburg in
der Nordeifel, ehemalige Kaderschmiede der NSDAP, herrisch auf einem Bergrücken
oberhalb des idyllischen Urftsees platziert, mit traumhafter Fernsicht über die
karge Eifel. Außer dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gibt es hierzulande
keinen derart riesigen NS-Gebäudekomplex mehr. Seit 1950 ist das Gelände
"terrain militaire", Truppenübungsplatz der königlich-belgischen Armee.
Wir
gehen über den Adlerhof, "das Heiligtum der damaligen Kommandanten", wie Schmitz
sagt. Auch Hitler war hier oben zweimal zu Besuch, Göbbels ohnehin und Göring
zur Hirschjagd. Auf dem Appellplatz passieren wir ein großes Gitter mit
Parkverbotsschildern davor - alte Fotografien der braungrauen Bruchsteinmauern
zeigen ein massives Hakenkreuz an dieser Stelle. Auch die beiden riesigen
Steinadler im Hof oberhalb Kameradschaftshäuser und Saalbauten sind längt
entsorgt. Geblieben ist die erdrückende Architektur, massiv und klobig,
monumental der Landschaft aufgepfropft. Bärbel Höhn, grüne NRW-Umweltministerin,
lief beim Besuch im Vorjahr "ein Schauer über den Rücken".
Die
Schwimmhalle von damals existiert noch. Sie ist restauriert und wird intensiv
genutzt. Wandgemälde aus der NS-Zeit sind erhalten, auch ein Teil der Kacheln
"ist noch original", sagt Schmitz. Der Sportplatz mit Resten völkischer
Steinmetzunkunst an einer Mauer hat eine Laufbahn, die "komischerweise statt 400
nur 341 Meter lang ist, niemand weiß bis heute warum". Dem steinerne
Fackelträger ein Stück oberhalb, Sinnbild des arischen Mannes, der heldenhaft in
die Ferne blickt, sind die Eier weggeschossen. "Das waren belgische Soldaten und
englische gleich nach dem Krieg", grinst Schmitz. 1999 hat man die Figur
notdürftig restauriert - ohne Eier. Sorgsam weggesperrte Geschichte
Das
Militärgebiet rund um den 50 Meter hohen klotzigen Bergfried ist ein
schauerlicher Ort, voll unseliger deutscher Vergangenheit. Und es ist einer der
ganz wenigen Plätze, den kaum ein Deutscher zu Gesicht bekommt und den kaum
einer kannte vor der Debatte über die Errichtung eines Nationalparks. Fragte man
in der Nachbarschaft Köln, Bonn oder Aachen: Vogelsang? Ordensburg?
Schulterzucken.
Georg Schmitz erzählt, auch er hätte bei Dienstbeginn hier "die genaue
Geschichte gar nicht gewusst" und den Arbeitsplatz "nie als Nazi-Ort" gesehen.
"Jahrzehnte sorgsam weggesperrte Geschichte", nennt ein Aachener Historiker das
Gelände.
Ende 2005 werden die Belgier abziehen. Dann sollen die viele dutzend Gebäude
Bestandteil des in Rekordzeit von zwei Jahren geplanten und Anfang Januar
feierlich eröffneten Nationalparks Eifel sein. Und so wird Vogelsang derzeit
wiederentdeckt.
Was
soll aus der Mammutimmobilie werden, den 60.000 Quadratmetern Nutzfläche auf
einem Areal von 200 Fußballfeldern? Abreißen oder doch lieber Wellnesshotels,
Museum, Biobauernhof, Solarpark, Golfplatz? Aber selbst wenn alle Vorschläge und
Pläne realisiert würden, blieben noch 90 Prozent der Kernfläche ungenutzt.
Eine Herkulesaufgabe steht an, mit großem Finanzbedarf. Heizkosten: 750.000 Euro
jährlich. Instandhaltungsaufwand: 2,5 Millionen. Allein 14 Kilometer Dachrinnen
gilt es sauber zu halten. Ein Investor käme gern, "wenn man ihm noch 50
Millionen dazugibt", hat jemand mal gesagt. Über die Finanzierung wird hinter
den Kulissen gestritten zwischen der Gemeinde Schleiden, dem Land und dem Bund.
"Wer zuerst zuckt, hat verloren", lautet die Kosten vermeidende Devise aller.
Politiker wedeln mit Studien, um die Stimmung anzuheizen für den Nationalpark
mit einem Zentrum auf dem NS-Gelände. Bis zu zwei Millionen Besucher pro Jahr
seien denkbar, heißt es aus Bärbel Höhns Umweltministerium. Unsinn, sagen alle
vor Ort, 300.000 wären schon viel. In den malerischen, aber verkehrstechnisch
wenig erschlossenen Gemeinden Gemünd, Heimbach und Rurberg gilt es schon als
Erfolg, dass drei Verkehrsbetriebe aus drei Kreisen dazu gebracht werden
konnten, einen Busshuttle quer durch das Nationalparkgelände zu koordinieren.
Vogelsang, sagen Warner, könnte leicht zum Wallfahrtsziel von Neonazis werden.
Deshalb würden manche, auch in der Landesregierung, die Ordensburg am liebsten
einfach wegsprengen. Zuständig ist der grüne Kultus- und Bauminister Michael
Vesper. Im August regte seine Referatsleiterin eine "Einmottung der Gebäude und
einen kontrollierten Verfall" an, bei dem bis auf die Grundmauern nichts bliebe.
Auch Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, wollte die Gebäude
"bewusst verfallen" lassen: "Reine Täterorte", schrieb er, sollten "nicht um
jeden Preis erhalten bleiben"; schon gar nicht eigneten sie sich "als
Tourismusmagnet". Domizil der Wehrmachtausstellung
Anfang Januar preschte dann aber plötzlich Minister Vesper vor: Er sei dagegen,
"ein dunkles Kapitel unserer Geschichte einfach in die Luft zu jagen" und regte
an, Vogelsang zum Dauerdomizil der Wehrmachtausstellung zu machen. Der Vorschlag
ist, kaum ausgesprochen, schon wieder vom Tisch. In der Ausstellung geht es um
den Ostfeldzug, zudem sind die Exponate schon für das Deutsche Museum in Berlin
vorgesehen. Und: Womöglich lockt man die rechte Brut mit der Ausstellung erst
recht an.
Zwanzigmal war seit den 60er-Jahren hier oben Tag der offenen Tür. Ewiggestrige
wurden nicht auffällig. Soldat Schmitz berichtet lediglich von einem Vorfall,
als einmal "ein paar Jugendliche mit Leuchtpistolen" aufgegriffen wurden. "Es
gab damals Gerüchte von wegen Jungnazis." Andere berichten von obskuren Maklern
und Investoren. Die hätten sich bemüht "ausgesprochen gewinnorientiert zu
wirken", um die wahren Interessen an Teilen der symbolträchtigen Immobilie zu
verbergen. Kloster auf Zeit oder Technologiezentrum
Spätestens bis zum Neujahrstag 2006 muss ein schlüssiges Konzept stehen. Eine
Machbarkeitsstudie empfiehlt außer dem Sitz von Nationalparkzentrum samt
Verwaltung, einen "Lernort Geschichte" für "Erlebnis- und Bildungstourismus"
einzurichten und einen "sparsam inszenierten Ort der Begegnung". Im Gespräch ist
neben einem "Kloster auf Zeit" auch ein Technologietransferzentrum und die
"Europäische Jugendakademie des Jugendherbergswerks". Der Turm möge als
verglaste Aussichtsplattform zur "Nationalpark-Lounge" werden. Vorläufige
Investitionskosten: "nach sparsamen Standards", so die Studie, 36 Millionen
Euro.
Der
Förderverein Nationalpark hofft auf die Kombination Naturerlebnis mit einer
sensiblen Nutzung der NS-Stätte, "die auf die gesamte Region ausstrahlen,
Synergieeffekte erzeugen und somit die gesamte Eifel mitnehmen" möge. Der grüne
Landtagsabgeordnete Reiner Priggen, wichtiger Strippenzieher der
Naziburg-Konversion, spricht von der "größten Investition in der Eifel seit dem
Bau des Nürburgrings". Eine öffentlich-rechtliche Stiftung soll das Projekt
finanziell anschieben helfen. Nach Informationen der Aachener Nachrichten soll
ihr Johannes Rau vorstehen.
Fragen bleiben. Einen der Steilhänge herunter zum Urftsee hat seit 1945 kein
Mensch mehr betreten, weil das Gebiet noch immer mit tückischen Plastikminen
gespickt ist. Bleibt das gesperrt? Wer will das kontrollieren? Im Innern des
mächtigen Bergfried ist, das hatte Fremdenführer Schmitz schamvoll verschwiegen,
im ehemaligen "Kultsaal" der Nazis noch ein mächtiges Hakenkreuz in die Fliesen
eingelassen. Um es zu entfernen, müsste der gesamte Boden herausgerissen werden.
So kann man halt wenigstens darauf herumtrampeln - aber ist das
verfassungsrechtlich erlaubt? Und auf dem Grund des Urftsees, behaupten
beharrlich örtliche Taucher, hätten sie Reste der steinernen Hofadler gesichtet
und manch andere NS-Devotionalie, eilig entsorgt bei Kriegsende. Droht im
Nationalpark neben dem Gesinnungs- auch der illegale Tauchtourismus?
"Mehr Schweiß - weniger Blut" prangt als Losung am Ausgang des
Truppenübungsplatzes. "Ich glaube", sagt Georg Schmitz, "hier ist alles viel zu
gigantisch, um es sinnvoll zu nutzen." Manches kann eben nur das Militär.
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