Zwei Jugendliche
waren es, die Emil U. bei der Gestapo denunzierten. Der Familienvater hatte sich
1937 abfällig über die HitlerJugend geäußert. Das kam der Kriminalpolizei, die
Teil der Gestapo war, zu Ohren. U. wurde verhaftet. Ein Kölner Gerichtsarzt
stellte in einem Gutachten fest, Emil U. leide an Wahnvorstellungen und
Schizophrenie. Auf seine Empfehlung beschloss das Gericht 1938 die Unterbringung
in der Heil- und Pflegeanstalt Düren. Weil Düren als Wehrmachtslazarett
vorgesehen war, wurde Emil U. 1940 nach Waldheim in Sachsen verlegt. Von dort
kam er nach Hartheim in Österreich, wo er am 27. März 1940 umgebracht wurde.
Der Fall Emil U.
ist nicht der einzige dieser Art in Köln. Aber einer der wenigen, die breiter
dokumentiert sind. Insgesamt gab es in Köln rund 1.000 "Euthanasie"-Opfer. Im
Rheinland waren es 20.000, im Deutschen Reich 200.000, die dem NS-Mordprogramm
zum Opfer fielen. Sie und die Opfer von Zwangssterilisationen stehen im
Mittelpunkt der Kölner Gedenkveranstaltung "Erinnern. Eine Brücke in die
Zukunft" am 27. Januar in der Antoniterkirche (siehe Kasten).
Verstecktes Morden
Die Euthanasie war
Teil der faschistischen Rassenpolitik. Der "arische" Mensch war danach blond,
blauäugig, lebenstüchtig und vor allem gesund und nützlich. Ein Kranker stellte
einen Kostenfaktor dar. Lange Krankenhausaufenthalte, die Unterbringung in Heil-
und Pflegeanstalten kosteten Geld. Wer die Gesellschaft belastete, sollte
sterben. Jede Reichsmark wurde für die Rüstung gebraucht.
In einem Erlass
vom 1. September 1939 leitete Adolf Hitler die "Euthanasie", die Ermordung
"lebensunwerten Lebens" ein. In Berlin wurden 1940 in der Tiergartenstraße 4 die
Behörden zur Organisation des Programms eingerichtet: die "Aktion T4". Die
Patienten wurden erfasst und anschließend über Durchgangs- in die
Tötungsanstalten gebracht. Für das Rheinland war die Sammelanstalt Galkhausen
bei Langenfeld zuständig. Reichsweit gab es sechs Orte, an denen die
systematische Ermordung in Gaskammern stattfand: Brandenburg/Havel,
Bernburg/Saale, Sonnenstein/Pirna, Hadamar/Limburg, Grafeneck/Würzburg und
Hartheim/Linz in Österreich. Die Aktion T4 wurde durchgeführt, bis durch
öffentliche Proteste, etwa seitens des katholischen Bischofs Graf Galen in einer
Predigt vom August 1941, die Nazis gezwungen waren, das Programm einzustellen.
Das Morden ging nun versteckt weiter, die Menschen wurden durch Hungerkost und
Medikamente umgebracht.
Bis heute werden
die "Euthanasie"-Opfer ebenso wie die Zwangssterilisierten nicht als Verfolgte
des NS-Regimes anerkannt. So wurden erst 1980 die Nachkommen der Krankenmorde
mit einer Einmalzahlung von 5.000 Mark entschädigt. 1998 wurden die Beschlüsse
der Erbgesundheitsgerichte aufgehoben, Zwangssterilisierte erhalten monatlich
61,36 Euro.
Es soll wohl die
Annullierung des Erbgesundheitsgesetzes vermieden werden, das seit dem 1. Januar
1934 galt und nach dem Krieg nur außer Kraft gesetzt wurde. Eine Annullierung
würde die Forderung nach "Wiedergutmachung" und Entschädigung begründen, auf die
bundesweit rund 5.000 Menschen Anspruch hätten. Auch die rot-grüne
Bundesregierung verhindert entsprechende Vorstöße des Bundes der
"Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten. Dieser will in diesem Jahr
mit gezielten Aktionen auf das Problem aufmerksam machen.
Furcht vor Gerede
Reichsweit wurden
damals über 400.000 Frauen und Männer auf der Grundlage des "Gesetzes zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses" zwangssterilisiert. Danach ordneten
Erbgesundheitsgerichte auf Antrag des Kranken, seines gesetzlichen Vertreters,
des Amtsarztes oder Anstaltsleiters die Sterilisation an. Die Gutachten für Köln
wurden im Gesundheitsamt erstellt.
Die Opfer waren
nach damaligem Verständnis psychisch unheilbar Kranke, Menschen mit schweren
körperlichen Missbildungen, vermeintlich "Asoziale", Hilfsschüler, Sinti und
Roma. Auch Nichtsesshafte, Prostituierte und Alkoholkranke fielen darunter. Die
Zwangssterilisationen fanden in Köln in der Lindenburg, dem
Universitätskrankenhaus und dem evangelischen Krankenhaus Weyertal statt.
In Köln sind über
4.000 Zwangssterilisationen dokumentiert. Im Historischen Archiv der Stadt gibt
es dazu einen etwa 39 Meter langen Aktenbestand, der aus dem Gesundheitsamt
stammt. Eine öffentliche Diskussion über die "Euthanasie"-Opfer und die
Zwangssterilisationen fand lange nicht statt. Zu peinlich ist den Überlebenden
und den Angehörigen der Opfer bis heute, dass es in ihrer Familie "so etwas"
gab. Noch heute fürchten sie das Gerede der Nachbarn.
Selbst in der
Bundesrepublik war es noch lange üblich, soziale Unangepasstheit mit
Geisteskrankheit gleichzusetzen. Natürlich medizinisch abgesichert. Am
wichtigsten aber: Die alten Gutachter der NS-Zeit, die für die Euthanasiemorde
und Zwangssterilisation verantwortlich waren, befanden sich noch lange in Amt
und Würden und bestimmten Lehre und Forschung.
Vergessene Akten
Eine erste
zaghafte Diskussion über dieses schwarze Kapitel Kölner Medizingeschichte gab es
im April 1985. Damals wollten die Fachschaft Medizin an der Universität Köln und
die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit die Tübinger
Ausstellung "Heilen und Vernichten" nach Köln holen, die das Thema erstmals
öffentlich gemacht hatte. Auf der Suche nach einem Köln-Bezug stießen die
Initiatoren auf vergessene Akten des Gesundheitsamtes. Die Ausstellung gab es,
die Forschung nahm sich des Themas an, aber eine öffentliche Diskussion fand
kaum statt. Einen Ansatz bietet das jüngst erschienene Buch von Klaus Schmidt
über den früheren Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, Franz Vonessen. Dieser
verweigerte sich den Anordnungen, Zwangssterilisationen durchzuführen, und wurde
deshalb seines Amtes enthoben (siehe dazu taz vom 2. 1. 2004).
"Erheblichen Forschungsbedarf" meldet dagegen Karola Fings vom Kölner EL-DE-Haus
für das Schicksal der Kölner "Euthanasie"-Opfer an. So harrten etwa im
Stadtarchiv Akten ihrer Auswertung. Auf dem Westfriedhof gibt es auf dem Areal
für die Opfer der Gewaltdiktatur einen Gräberbereich für "Euthanasie"-Opfer; an
sie erinnern schlichte Steine mit eingraviertem Namen und dem Todesjahr. Doch
ist nicht einmal geklärt, welche sterblichen Überreste hier ruhen - Körper oder
nur Asche. Auch die genaue Entstehung der Gedenkstätte ist unbestimmt. Sie
entstand wohl Anfang der 50er Jahre im Rahmen der allgemeinen
Friedhofsumgestaltung.