Petition und weitere Informationen:
hagalil.com/archiv/2004/02/jkv.htm
und
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Im Windschatten der
Haushaltsberatungen plant die SPD-geführte Innenverwaltung einen Schlussstrich
unter die Rentenversorgung der Opfer des Nationalsozialismus zu ziehen. Der
Gesetzentwurf, der am vergangen Donnerstag zur Beratung in den Innen- und
Haushaltsausschuss verwiesen wurde, sieht vor, dass neue Anträge nach dem
Berliner "Gesetz für die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder
religiös Verfolgten des Nationalsozialismus" (PrVG) nur noch bis zum 31.
Dezember 2004 gestellt werden können. Das Gesetz gilt seit den 50er-Jahren.
Die beabsichtige
Änderung sorgte bei den Opferverbänden bereits für Kritik. In der PDS-Fraktion
wird kleinlaut darauf verwiesen, dass die geplante Änderung vom
Koalitionspartner nicht abgesprochen wurde.
Die Intention der
Innenverwaltung offenbare eine "kalte Schlussstrichmentalität", kritisiert Petra
Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Sinti und
Roma. So heißt es im Entwurf der Gesetzesänderung: Nach der geltenden
Gesetzeslage sei eine Antragstellung teilweise ohne zeitliche Begrenzung
möglich, "obwohl die zur Antragstellung berechtigenden Sachverhalte bereits
lange abgeschlossen sind". Dem Land Berlin fehle daher "Planungssicherheit"
hinsichtlich der zu erwartenden finanziellen Ansprüche. "Verlässlichere
Planungsdaten" will der Senat nun über die Schlussfrist erhalten.
Dabei handele es
sich um "keine unzumutbare Härte", wenn mehr als 58 Jahre nach Kriegsende dem
"betroffenen Personenkreis Gelegenheit zur abschließenden Entscheidung über eine
Antragstellung gegeben werde", heißt es in dem Gesetzentwurf.
Nach Auskunft des
Jüdischen Kulturvereins gilt das PrVG seit den frühen 50er-Jahren.
Derzeit liegt die
höchstmögliche Rente nach dem PrVG für Alleinstehende bei etwa 950 Euro
monatlich, für Verheiratete bei 1.100 Euro. Sämtliche weiteren
Entschädigungsleistungen beispielsweise nach dem Bundesentschädigungsgesetz
(BEG) werden ebenso auf diese Rente angerechnet. Das betrifft insbesondere
Wohngeld oder Betriebsrenten, für die lediglich ein geringer Freibetrag von rund
200 Euro für Alleinstehende und 400 Euro für Verheiratete vorgesehen ist. "Die
Rentenempfänger leben damit nur knapp über dem Sozialhilfesatz und erhalten
nicht einmal Kleidergeld", klagt Petra Rosenberg.
In den vergangen
Jahren wurden die PrVG-Renten durschnittlich um 0,3 Prozent angehoben, zuletzt
2001. Im gleichen Zeitraum wurden die Leistungen der Kriegsopferfürsorge und die
Versorgung der Täter und deren Witwen regelmäßig erhöht.
Der Kreis
derjenigen, die als so genannte Leistungsberechtigte bezeichnet werden, ist eng
definiert: Betroffen sind und waren in Berlin lebende und durch Nazigewalt
verfolgte Juden, Angehörige von Widerstandsgruppen und verfolgte Kommunisten
oder Sozialdemokraten, Sinti und Roma, Homosexuelle sowie Euthanasie- und
Sterilisationsopfer.
Um anerkannt zu
werden, müssen die Betroffenen entweder zu Beginn ihrer Verfolgung in Berlin
gelebt haben oder vor dem 1. Januar 1991 nach Berlin zugezogen sein. Die
berlinspezifische Rente wird auf Antrag daher auch anspruchsberechtigten
jüdischen Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion und den
ehemaligen Ostblockstaaten gezahlt.
Allein bei dieser
Opfergruppe führt der Stichtag des 1. Januar 1991 zu erheblichen
Ungerechtigkeiten. "Trotz häufiger Nachfrage und zahlreicher Anträge wurde
dieser Stichtag nicht verändert, so dass schätzungsweise 600 überlebende
Betroffene die Rente nicht mehr erhalten, sondern in der Regel von Sozialhilfe
leben müssen", kritisiert Irene Runge, Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins
Berlin.
Monatlich werden
drei bis vier Anträge gestellt, Tendenz fallend. Im Jahr 2001 wurden noch 87
Neuanträge eingereicht, 2003 nur noch 50, wobei 34 Antragstellende weder eine
Anerkennung noch eine Versorgung erhielten. Durchschnittlich werden 20 Prozent
der Anträge abgelehnt. Zudem sterben jährlich fünf Prozent der
PrVG-Rentenbezieher. "Diese Wiedergutmachungsleistungen Berlins sind eingeführt
worden, um den Verfolgten den Gang zum Sozialamt zu ersparen", erinnert
Rosenberg an die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers. Bei den jetzt von der
geplanten Schlussstrichregelung Betroffenen handelt es sich zumeist um
Überlebende, die aus dem sonstigen Bundesgebiet und aus dem Ausland, wie
Argentinien, Bolivien und den USA, aber auch aus den ehemaligen Ostblockstaaten
nach Berlin zurückkehren oder zuziehen.
Schon jetzt wurden
im Doppelhaushalt für die Jahre 2004/2005 die Leistungen aus dem PrV-Gesetz um
fast die Hälfte herabgesetzt. Dabei hat das Land Berlin durch die fünfprozentige
Sterberate schon im vergangenen Jahr 450.000 Euro gespart. Insgesamt zahlte das
Land im vergangenen Jahr rund 16 Millionen Euro aus. Während es 1990 noch 3.500
Beziehende gab, erhielten acht Jahre später nur noch 2.400 Überlebende Rente
nach dem PrVG.
Gestritten wird
zwischen der Innenverwaltung und den Opferverbänden auch über die
Informationspolitik rings um die geplante Gesetzesänderung. Während Irene Runge
eine "heimliche Vorbereitung ohne Abstimmung mit den Verfolgtenverbänden"
kritisiert, behauptet die Innenverwaltung, es habe intensive Gespräche mit dem
im Gesetz verankerten Beirat gegeben. Zudem lobt man sich in der Innenverwaltung
selbst, dass mit der Gesetzesänderung eine Angleichung der Renten an die
Steigerungsraten des Sozialhilfesatzes festgelegt werden solle und die
Leistungsbezieher somit besser versorgt würden.
Dagegen hält die
"Arbeitsgemeinschaft der Vertretungen politisch, rassisch und religiös
Verfolgter", dass in der NS-Zeit aus Berlin Vertriebene, die nach Ablauf des 31.
Dezember 2004 doch noch nach Berlin zurückkehren wollen, "dann weder eine
Anerkennung als politisch Verfolgte noch eine PrV-Rente erhalten". Zusagen auf
finanzielle Absicherung an ehemalige Berliner, die Senatsvertreter bei
Einladungen und Empfängen gemacht hätten, würden somit nicht erfüllt werden.
Bei der PDS bemüht
man sich um Schadensbegrenzung. So verweist Steffen Zillich, PDS-Abgeordneter im
Innenausschuss, darauf, dass beispielsweise Betroffene, die zur Zeit der
nationalsozialistischen Verfolgung im Kindesalter waren und jetzt knapp vor dem
Rentenalter stehen, auch durch die Gesetzesänderung nicht vom Kreis der
Anspruchsberechtigten ausgeschlossen würden. "Um diese Gruppe über den Stichtag
zu informieren, sollte es eine gezielte Informationskampagne geben", fordert
Steffen Zillich.
Eine klare Position für oder gegen den Schlussstrich am 31. Dezember 2004 gibt
es innerhalb der PDS jedoch nicht. "Wir halten es nicht für ausgeschlossen, dass
es einen Stichtag geben wird", so Zillich.