Ob er sich vielleicht
wenigstens noch ein klein wenig beherrschen könnte, wär ja auch gleich vorbei.
Vielleicht liegt es ja daran, dass die interne Vorführung von "Kolberg", Veit
Harlans eigentlich nur als kommentierte Fassung zugelassenem
NS-Endsieg-Propagandafilm von 1944, schlicht etwas lang geraten war. Oder an der
ungemein miesen Qualität der Videokopie. Jedenfalls lässt in der Gruppe die
Konzentration etwas nach.
So recht will die
Diskussion um das "Outen zu Deutschland" auch nicht in Gang kommen. Selbst die
Ermahnung des Skinheads auf dem Sofa - "Bibi, nen bisschen noch!" - verpufft.
Insgesamt wirkt die
politische Schulung der "Freien Kameradschaft Frankfurt (Oder)" ungefähr so
engagiert, wie die Religionsstunde eines verordneten Bildungskurses der
Bundesagentur für Arbeit ablaufen würde. Man weiß schon, was
Kameradschaftsführer Nico hören will, möchte wohl auch gern an die
völkisch-nationale Revolution glauben, aber na ja, wird damit wohl doch nichts
demnächst.
Hier treffen wir alle
drei Protagonisten, die Franziska Tenner in ihrer Dokumentation "No Exit"
vorstellen wird. Ein Jahr lang hat sie den damals 22-jährigen Nico, die
28-jährige Conny und den 19-jährigen Bibi durch Frankfurt (Oder) begleitet. In
zwei Grundschritten nährt sich "No Exit" ihnen: Mal ist die Kamera als stiller
Beobachter bei Treffen, Schulungen oder Demonstrationen anwesend; mal wird
direkt das Gespräch gesucht.
Mit "Nähe suchen"
könnte man das zentrale Programm der Langzeitstudie überschreiben. Um
persönliche Begegnungen mit Rechtsradikalen soll es gehen, bei der sich alle
drei, wie Franziska Tenner sagt, "tief in ihre Seele" schauen ließen. Nico ist
als NPD-Mitglied die treibende politische Kraft der kleinen Gruppe, organisiert
die Schulungen, wehrt sich gegen die Behauptung seines Vaters, Hitler sei ja in
Wahrheit selbst ein Halbjude gewesen, und singt, wenn man ihn lässt, selbst
verfasste Liebeslieder vor: "Denn deutsche Mädchen findest du in Deutschland
kaum / drum ist sie für mich ein deutscher Mädeltraum."
Bibi findet Nico
etwas "machtgeil" und gibt sich eher als eine Art unpolitischer Neonazi mit
Durchdrehpotenzial. Am Ende muss er in den Knast, weil er einen anderen
19-Jährigen zusammengeschlagen hat. Da sitzt der neue Freund von Conny schon,
die allein zwei Kinder großzieht und panische Angst hat vor der Rückkehr ihres
Exmannes. Der war, wie wir erfahren, marokkanischer Asylbewerber, gewalttätig,
unberechenbar, und bevor Conny von selbst erzählt, dass sie deshalb zu den
Faschisten gestoßen ist ("ein deutscher Mann würde so was nicht tun"), holt sich
Franziska Tenner diese Erklärung ab: "Hat diese Erfahrung damit zu tun, dass du
jetzt rechts bist?"
Abgesehen davon, dass
hier ja kein bekennendes CSU-Mitglied interviewt wird, formuliert sich an dieser
Stelle ein grundsätzliches Problem des Films: Die bekannten Antworten sind immer
schon da. Während "No Exit" die Unfähigkeit Einzelner dokumentiert, die eigene
rechtsradikale Ausrichtung öffentlich zu formulieren, geht es andererseits um
biografische Hintergründe und psychologische Dispositionen, die alles zu
erklären scheinen. Nico wurde als Kind von der Mutter verlassen, der arbeitslose
Vater hat sich neben seiner Wut auf "Göring, die fette Sau", und "die Neger"
oder "die Kameltreiber" damit abgefunden, "dass Nico nen kleiner Nazi ist".
Conny scheut quasi als gebranntes Kind nun das ausländische Feuer, und Bibi wird
im Gespräch am Ende gefragt, ob er manchmal an Selbstmord denke und es nicht
sein könne, "dass du eigentlich ganz traurig bist".
Bis zum Ende erfahren
wir wenig über die Haltungen und Ziele der "Freien Kameradschaft Frankfurt
(Oder)", als ob man es beruhigt bei den hingestotterten Erklärungen in der
Einkaufszone belassen könne: "Sicherlich haben wir auch national denkende
Menschen in unseren Reihen." Klarer hingegen entwirft sich das Bild einer
tristen, verarmten Stadt, in der junge Menschen wie automatisch "rechts" werden.
Nach der Vorführung des Films, berichtet Franziska Tenner, habe Nico sie
gefragt, warum sie keine seiner politischen Statements verwendet habe: "Es hat
mich nicht interessiert, war meine Antwort." Dieselbe Haltung spricht auch aus
"No Exit". Und stellt damit die Frage, warum es hier eigentlich überhaupt um
Rechtsradikale geht.