Für das Aussehen kann keiner was.
Ob dick oder dünn, blass oder braun, das regeln die Gene. "Na ja", sagt Lea Rosh
und fährt sich mit der Hand durchs dunkle Haar, "so richtig arisch seh ich ja
nicht aus." Das klingt nicht so, als ob sie darüber unglücklich wäre.
Ja, die Menschen halten die Frau
mit dem markanten Gesicht und der üppigen Mähne oft für eine Jüdin. Dann holt
Lea Rosh ihr "Vierteljudentum" raus und erzählt, dass der Großvater
mütterlicherseits Jude war. Bei ihrem Kampf um ein Holocaust-Denkmal sind diese
Familiengeschichten und dieses Aussehen zumindest nicht hinderlich. Und wenn es
um ihr Lebenswerk geht, ist Lea Rosh, 67, nicht zimperlich.
Das kann sie sich auch nicht
leisten. An der streitbaren Journalistin kleben viele Etikette: Sie ist
wahlweise Mutter aller Mahnmale, Holocaustkassandra oder Berufsjüdin. Und das
ist nur eine kleine Auswahl der Titel, mit denen sie im Lauf der Jahre von
Gegnern bedacht wurde. Von jenen, die ihren leidenschaftlichen und lauten
Einsatz für Profilierungssucht halten. Rosh winkt ab. "Das sind doch keine
Argumente", sagt sie und zitiert einen tröstenden Freund: "Ein großer Baum fängt
viel Wind." Diese Frau weiß um ihre Bedeutung.
Und sie hat Bedeutendes vor. Seit
14 Jahren streitet sie für ein Denkmal für die sechs Millionen ermordeten Juden
Europas. Es soll nicht irgendwo stehen, sondern mitten in der Hauptstadt, es
soll nicht klein und bescheiden, sondern unübersehbar monumental sein, und es
soll ausschließlich den europäischen Juden gewidmet werden. Die Geschichte des
Denkmals - von der Gründung des Förderkreises 1988 bis zum Graffitischutzskandal
um die Firma Degussa Ende 2003 - ist eine unendliche Geschichte hitziger
Debatten.
Darüber, ob es eine adäquate Form
der Kunst geben kann, die dem Erinnern an den Völkermord gerecht werden kann.
Darüber, ob es nicht sinnvoll wäre, aller Opfer des Nationalsozialismus
gemeinsam zu gedenken, statt nun einen Kranz von Denkmälern um das jüdische zu
gruppieren: für die Sinti und Roma, für die Schwulen, für die Euthanasieopfer.
Und nicht zuletzt darüber, wer eigentlich Lea Rosh das Recht gibt, sich zur
Fürsprecherin der Juden zu machen.
Vor allem Letzteres bringt Lea
Rosh auf die Palme. "Das ist doch Quatsch", sagt sie mit dieser dunklen Stimme,
die den Raum beherrscht, "was soll diese Frage? Ich nehme mir das Recht, mich zu
engagieren."
Da sitzt sie in ihrem Büro in der
Gormannstraße in Berlin, drei Handys hat sie wie einen Schutzwall vor sich
aufgebaut, nippt an ihrem Cappuccino und redet sich in Rage. Der Zeigefinger
stößt nach vorn ("Was haben Sie eigentlich gegen ein eigenes Denkmal für die
Schwulen, sagen Sie mal?"), die Hand nestelt am Kragen der Bluse ("Es gab
unterschiedliche Verfolgungsgeschichten, das müssen die Deutschen doch endlich
verstehen").
80 Leitzordner füllt die Debatte
inzwischen, Lea Rosh scheint sie alle im Kopf zu haben. Wer sich einmal dem
Bombardement belehrender Argumente ausgesetzt sieht, versteht, womit sie sich
das Etikett "deutsche Oberlehrerin" erarbeitet hat. Lea Rosh lässt keinen
Zweifel daran, dass sie weiß, was gut und richtig ist.
Diese Frau ist kämpferisch bis zur
Herrschsüchtigkeit, leidenschaftlich bis zum Fanatismus, eloquent bis zur
Einschüchterung. Dass ihr Eitelkeit nicht fremd ist, zeigt nicht nur die
ausgewählt auffällige Eleganz ihrer Kleidung. Und doch: In einer Welt voller
Jasager und stromlinienförmiger Mitschwimmer sind die Roshsche Hingabe und
dieser kompromisslose Kampfgeist auch bewundernswert. "Wenn man die Sache
freundlicher und geschmeidiger gemacht hätte", sagt sie und lehnt sich kurz
zurück, "hätten wir bis heute kein Denkmal." Da hat sie zweifellos Recht. Lea
Rosh hat schon für ein Mahnmal gekämpft, als keiner ein Ohr dafür hatte. Und sie
lässt sich nicht einschüchtern.
Warum also zieht diese Frau so
vehement Kritik auf sich? Weil viele das Mahnmal nicht wollen, klar. Erinnern an
die Gräuel des Nationalsozialismus wird in Deutschland nicht groß geschrieben.
Doch das sind die, die anonyme Drohbriefe schreiben, ihre Reifen zerstechen.
Daran hat sie sich gewöhnt. Weil die gelernte Journalistin weiß, dass ihr
Anliegen Öffentlichkeit braucht, und sie sich im Rampenlicht ausgesprochen wohl
fühlt. Das ruft Neid hervor. Und weil sie das Mahnmal nicht hergeben will. Die
Stelen am Potsdamer Platz scheinen Lea Rosh zu gehören, und wer mitreden darf,
bestimmt nicht zuletzt sie.
Der jüdische Autor Henryk M.
Broder gehört nicht dazu, Paul Spiegel schon. Er hat Lea Rosh dazu gebracht, die
umstrittenen Werbetafeln "Den Holocaust hat es nie gegeben" abzuhängen. "Wenn
mich der Vorsitzende des Zentralrats der Juden dreimal bittet, kann ich nicht
Nein sagen", sagt sie charmant lächelnd. Doch als der Vorsitzende noch Ignaz
Bubis hieß und er den von Lea Rosh favorisierten Denkmalentwurf kritisierte,
ließ sie ihn abblitzen. Dass der dennoch nicht verwirklicht wurde, lag an Helmut
Kohl. Manchmal braucht es den Bundeskanzler, um diese Frau zu stoppen. Denn Lea
Rosh hat das Denkmal für die Juden zu ihrem eigenen gemacht.
Das Foto einer älteren Frau hängt
unübersehbar in ihrem Büro. "Meine Mutter war eine so schöne, gütige Frau",
schwärmt die Tochter. Die Mutter hat die vier Kinder sicher durch den Krieg
gebracht, als Tochter eines jüdischen Vaters war sie immer wieder auf der
Flucht. "Selbst wenn ich einen Mord begangen hätte, hätte meine Mutter noch
gesagt: ,Du hattest sicher deine Gründe'", meint Tochter Lea. So viel Hingabe
ist von Freunden wohl kaum zu erwarten.
Die Mutter hat ihr auch den Namen
Edith Ursula Renate verpasst. Ihre Zweitjüngste Lea zu nennen, traute sich die
Mutter 1936 nicht, weil es so jüdisch klingt. Das hat die Tochter dann später
einfach eigenmächtig korrigiert, womöglich, weil es so jüdisch klingt. Überhaupt
die Sache mit dem Namen: Lea Rosh, sprich "Ros", geht inzwischen gegen jeden
gerichtlich vor, der behauptet, sie habe ihren Nachnamen hebräisiert.
Sie schleppt Stammbaum und
Geburtsurkunde an, um mit dem Gerücht aufzuräumen, dass ihr Vater Rohs hieß und
bei ihrer Geburt zwei Buchstaben vertauscht wurden. Dass Rosh auf Hebräisch "der
Kopf" bedeutet, ist ihr nicht unangenehm. Lea Rosh, protestantisch erzogen und
nicht Mitglied einer jüdischen Gemeinde, schafft es, mit ihrem Aussehen und
ihrem Namen etwas um sich aufzubauen, was sie für eine jüdische Aura hält.
Wenn Lea Rosh von ihrem Denkmal
erzählt, ist nur von wir die Rede. Manchmal mag es der unbescheidene Pluralis
Majestatis sein. Doch meist ist damit ihr Alter Ego gemeint: Der Stuttgarter
Historiker Eberhard Jäckel sitzt immer mit im Boot,wenn es um das
Holocaust-Mahnmal geht. Sie sind seit Jahrzehnten ein eingespieltes Team.
Der bedächtige Professor ist für
den wissenschaftlichen Hintergrund zuständig, die gewiefte Journalistin für den
medienwirksamen Vordergrund. Jäckel steht für Sachlichkeit, Rosh für
Betroffenheit. Er steht am Katheder und sie vor Fernsehkameras. Das war schon so
bei ihrem ersten gemeinsamen Projekt.
Während eines Symposiums hatten
sie festgestellt, dass die Geschichte der in Europa ermordeten Juden nicht
aufgearbeitet war. Der Professor organisierte daraufhin ein Seminar, die
Journalistin machte daraus eine viel beachtete vierteilige
Fernseh-Dokumentation. Das Buch zum Film "Der Tod ist ein Meister aus
Deutschland" (1990) brachte dem erfolgreichen Duo den Geschwister-Scholl-Preis.
Darauf legt Lea Rosh großen Wert: "Ich habe sieben Preise gewonnen." Wer sich
viele Feinde macht, will zumindest ein bisschen Ehre.
Manchmal wird auch die Frau, die
gut austeilen kann, dünnhäutig. Weil die Häme, die ihr entgegenschlägt, auch für
eine Kämpferin wie sie schwer auszuhalten ist. Ende vergangenen Jahres hat die
Berliner Zeitschrift Tip sie zur peinlichsten Berlinerin gewählt, eine
Auszeichnung, die vor ihr Partygirl Ariane Sommer und CDU-Mann Frank Steffel
ereilte. Auf dem Titelbild eine Karikatur von der "führenden Kraft der
einheimischen Bewältigungsbranche", beide Füße einbetoniert in die Stelen des
Holocaust-Denkmals, hinten die rot untergehende Sonne, vorne ein Hund namens
Adolf, der die rechte Pfote zum Hitlergruß hebt. Eine Freundin hat sie am
Telefon getröstet mit den Worten: "Sei froh, dass du so berühmt bist."
Diese Frau beschäftigt sich seit
Jahren mit dem Tod. Wie geht sie mit dem eigenen Sterben um? Da ist keine Zeit
für Angst, sagt sie, und außerdem: "Das ist ja noch lange hin." Möchte sie
unsterblich sein? "Ich bin ja nicht überdreht. Wir Menschen sind nicht
unsterblich. Punkt." Doch dann kommt sie ins Nachdenken. "Ich bin leider nicht
so begabt wie Schubert, und ich bin auch nicht Goethe. Aber wir werden mit dem
Denkmal diesem Land etwas hinterlassen, was noch lange, lange bleibt."
Keine Scheu vor großen Vergleichen. Lea Rosh macht weiter.