"Wir haben keine
Vergangenheit, die wir verbergen müssten!" Ohne rot zu werden und voll Emphase
rief Silvio Berlusconi am Samstag bei der Großkundgebung zum 10. Jubiläum der
Berlusconi-Partei sein Statement in den Saal, und tausende
Forza-Italia-Aktivisten spendeten frenetischen Beifall. Einen Monat lang war
Berlusconi von der Bildfläche verschwunden, um erst 36 Stunden vor der
Zehnjahresfete wieder aufzutauchen - und den Grund seines Abtauchens konnten
alle besichtigen.
Ein ganzes Stück
Vergangenheit hatte sich Italiens Regierungschef wegoperieren lassen, in der
Schweiz, von einem US-Schönheitschirurgen. Weg mit dem schlaffen Doppelkinn, weg
mit den aufgedunsenen Tränensäcken, weg mit den tiefen Stirnfurchen.
Das italienische
Oppositionsblatt Repubblica bemühte gleich den Papst: Der wisse Alter und
Gebrechlichkeit mit Würde zu tragen. Ist Berlusconi also bloß ein eitler Pfau,
der nicht wahrhaben will, dass auch er altern muss? Oder vielmehr einer, der
sich mit vollem Körpereinsatz für seine politische Sache opfert? Dass sich da
ein Politiker geradezu manisch um sein Erscheinungsbild kümmert, das stempelt
ihn ganz gewiss nicht zur Ausnahme. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen ein
junger Ministerpräsident namens Helmut Kohl mit Kassengestell auf der Nase
Karriere machen konnte. Ob Designerbrille oder Föhnrolle: Heute muss der
Typberater ran, um dem Politiker das erfolgsträchtige Outfit zu verpassen. Bloß
merken soll es keiner; Selbstinszenierung gilt als unschicklich.
Da allerdings ist
Berlusconi durchaus einen Schritt voraus: Er tuts nicht nur - er steht auch
dazu. Schon vor zehn Jahren, bei seinem Einstieg in die Politik, wusste es ganz
Italien: Zu Berlusconis Antrittsrede hatte der Kameramann einen Damenstrumpf
übers Objektiv gezogen, um ihn in wärmeres Licht zu tauchen.
Auch wissen alle
von den hohen Absätzen, den dicken Sitzkissen, den erhöhten Stehpodesten, die
den kleinwüchsigen Berlusconi davor bewahren sollen, als Zu-kurz-Gekommener zu
erscheinen. Und keiner ist wirklich überrascht, wenn Wahlplakate ihn, trotz der
im wirklichen Leben rasant fortschreitenden Glatze, mit vollem Haar zeigen. Die
dreiste Retusche soll vor allem eines zeigen: Der Mann hat nichts zu vertuschen
- ganz offen inszeniert er die Selbstinszenierung.
Als "neuer Mann"
hatte er sich im Januar 1994 präsentiert. Und am Samstag stand er wieder da, mit
dem gleichen markanten Kinn, den gleichen straffen Wangen, um gegen das
"Politiktheater" zu wettern, ganz unverbraucht, so als gehöre er nicht sein zehn
Jahren zu dem Laden. Als Selfmademan hatte er sich verkauft, als einer, der aus
eigener Kraft sein Imperium der Bilder, seinen TV-Konzern geschaffen hat. Nun
zeigt er, dass er sich selbst an die gefälschten Bilder anzupassen weiß. Zum
"vom Herrn Gesalbten" hatte er sich damals befördert, seinen Anhängern von
seinem politischen "Traum", ja von "Wundern" vorgeschwärmt.
Die gleichen
Träume und Wunder beschwor er am Samstag wieder, als sei die Zeit einfach stehen
geblieben unter dem trotz seiner 67 Jahre traumhaft jung wirkenden "Presidente".
Der weiß nämlich:
Er darf einfach nicht alt werden. Er braucht nicht nur die Feindbilder von
gestern - am Samstag gings wie gehabt zuvörderst gegen die "Comunisti", vor
denen er Italien errettet haben will, und gegen die Justiz, die er indirekt mit
dem Faschismus verglich, indem er aus einem Brief eines Anhängers zitierte: "Der
Faschismus war weniger gehässig als diese in Roben gehüllte Bürokratie."
Berlusconi braucht
vor allem sich selbst. 1994 gründete er nicht bloß die Forza Italia (FI), er war
die Partei, mit seinem Geld, mit seiner Staff, seinen Dienern, seinen Medien. So
ist es heute noch, auch wenn ein Forza-Italia-Mann wissen ließ, die Partei sei
"kein Plastikgeschöpf mehr". Forza-Italia-Koordinator Sandro Bondi ist da
ehrlicher: "Noch mindestens 30 Jahre" benötige der als Silvio-Fanclub gegründete
Verein seinen Chef, bevor FI auf eigenen Beinen laufen werde. Wohl an sich
selbst dachte denn auch Berlusconi, als er am Samstag die "authentische
Erneuerung" beschwor.
Die braucht er, die kann er seinen Anhängern einfach nicht versagen, allein
schon der brandgefährlichen Gegner wegen, gegen die er seit zehn Jahren seine
"Schlacht der Freiheit" führt. Über die roten Feinde nämlich wusste der
runderneuerte Berlusconi Fürchterliches zu berichten: "Ihr Lifting ist ihnen
misslungen."