Hamburg:
Wenn Deutsche kämpfen
Antifademo in Hamburg ...
Ernst Winkler
Zu beneiden war niemand an diesem verregneten 31. Januar.
Hamburgs EinzelhändlerInnen wurde im Winterschlussverkauf das Samstagsgeschäft
verhagelt, über unzählige BürgerInnen eines Stadtteils wurde de facto eine
Ausgangssperre verhängt und mindestens 5 000 antifaschistische DemonstrantInnen
liefen zusammen mit 3 000 PolizistInnen und rund 1 000 Neonazis stundenlang
durch den Regen.
Da das Szenario den Ordnungshütern aber noch nicht
feucht-fröhlich genug erschien, setzten sie neun Wasserwerfer ein und schnitten
der 79jährigen Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano das Wort ab, indem sie den
Kundgebungsort räumten und dem Mikrophon den Strom abdrehten. Zur gleichen Zeit
durften die Nazis fast unbehelligt vor den Ausstellungsort ziehen und »Deutsche
Soldaten, Heldentaten!« grölen.
So weit der eigentliche politische Skandal.
Feuchtes Wetter schlägt bekanntlich aufs Gemüt. So mag es
auch daran gelegen haben, dass es bereits vor Beginn der Antifademonstration zu
einer Schlägerei innerhalb derselben kam. Beteiligt waren Angehörige
verschiedener Berliner Gruppen (Team A) und DemoteilnehmerInnen an der Spitze
des Zuges (Team B). Team A trug israelische, US-amerikanische und britische
Fahnen mit sich und wollte sich ebenfalls einen Platz an der Sonne sichern. Dies
stieß bei den Angehörigen von Team B auf wenig Verständnis, hatten sich diese
ihren Platz im Zug doch auf wochenlangen Verhandlungen, die denen im Vorfeld des
Kölner Rosenmontagszugs in nichts nachstehen, erkämpft.
Nach Darstellungen von Team A wurde Team B sofort
gewalttätig, folgt man Team B, prügelte sich Team A mit den Fahnenstangen voran
in die Demo. Beendet wurde die Tragödie als Farce von verständlicherweise
verwirrten Ordnungshütern, die offenbar glaubten, es hätten sich Nazis in die
linke Demo gemischt.
An den Reaktionen auf indymedia.org kann man das
erbärmliche Niveau der Auseinandersetzung erkennen. Neben ordnungspolitischen
Argumenten rechtfertigen die AnhängerInnen von Team B ihr Vorgehen unter anderem
damit, dass es abgesprochen gewesen sei, keinerlei Nationalfahnen mit auf die
Demo zu nehmen. Man tut so, als hätte es die unzähligen baskischen, kurdischen,
palästinenensischen und sowjetischen Fahnen auf linken Demos nie gegeben.
Auch in Hamburg waren wieder unzählige Palitücher zu
sehen, die zwar keine Fahnen, aber ganz sicher ein nationales Symbol sind. Aber
es ging vor allem um Israelfahnen, um Fahnen der USA und anderer Alliierter des
Zweiten Weltkrieges. Warum man aber genau diese auf einer Antifademo den Nazis
nicht entgegen halten sollte, wenn man schon »Stalingrad, Stalingrad!«
skandiert, erschließt sich nicht. Vom gewalttätigen Vorgehen gegen die
TrägerInnen solcher Fahnen ganz zu schweigen.
Andererseits ist der Bewusstseinszustand der Gegenseite ebenso mitleiderregend.
Die Zeitschrift Bahamas, Supporter des Teams A, forderte im Befehlston dazu auf,
in Hooligan-Manier »mit allen Mitteln die blau-weiße Fahne« zu verteidigen. Das
Problem, dem man sich hier unter Zuhilfenahme einer Entweder-oder-Rhetorik
entziehen will, ist ein kontextuelles. So glaubte Die Welt nachher, dass
Autonome »auf junge Juden« eingeprügelt hätten, »die Israel-Flaggen gezeigt
hatten«. So bezeichnend es ist, dass bei der Welt jeder Träger einer
Israel-Fahne sofort zum Juden wird, so problematisch ist es, wenn deutsche Linke
genau diese Art der Zuschreibung bewusst provozieren und sich so zum Opfer
antisemitischer Gewalt stilisieren.
Jungle World
Jungle World Nummer 8 vom 11.02.2004
kt /
hagalil.com
/ 2004-02-11
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